Über das Verschwinden der Vorurteile zu erzählen, das sei Epik – so heisst es an einer Stelle in der »Morawischen Nacht« von Peter Handke. So ganz sind diese Vorurteile (oder Urteile) bei den Damen und Herren Kritiker noch nicht verschwunden – es wird reichlich Buße festgestellt und manchmal kann es schlimmer sein, so hinterrücks, so gönnerhaft, so fast-verzeihend gelobt zu werden als herzhaft verrissen. (Immerhin Platz 1 und viele Punkte in der Februar-Bestenliste des SWR.)
So knüpft Iris Radisch in ihrer Besprechung Bande zu Handkes Jugoslawien-Reisebücher und konstatiert, er, Handke, habe sich nun abgewandt von der »verstörenden Parteinahme«, aber vor lauter »Budenzauber« übersehe man das Herzstück der Erzählung, welches sie in der Lossprechung der Sünden des Sohnes durch die Mutter sieht. Oh ja. Und was diese Frau liest und vor allem wie sie liest (liest oder nur herunterrattert?) erkennt man daran, dass sie das Buch dann am Ende mit einer Computeranimation vergleicht. Was haben die heutigen Dichter eigentlich verbrochen, einen solchen Blödsinn über sich ergehen lassen zu müssen?-->
Die FAZ bemüht sogar zwei Rezensenten. Hubert Spiegel trifft dabei erstaunlicherweise gelegentlich sogar den Ton und kommt fast ohne Häme aus, wobei er freilich Handke ziemlich gerne noch ins Büssergewand stecken würde. (Er legt dann noch einmal nach – vielleicht weil ihm seine Rezension zu positiv schien?) Volker Weidermann glaubt sogar, Handke verabschiede sich vom Balkan und macht damit seinen Wunsch zum Vater des (Leser-)Gedankens.
Schön das Herantasten und Einfühlen von Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung. »Keinen Funken Provokation« findet Martin Krumbholz in der Frankfurter Rundschau und man fragt sich »warum auch?«, und der Rezensent attestiert Handke ein »defensives« Buch und zeigt damit, dass er sich selber nicht von der Rezeption ÜBER Handke lösen kann (oder auch, dass er dazu nicht bereit ist), statt den Zauber des Buches auf sich wirken zu lassen.
Treffend der Titel der Besprechung von Andreas Breitenstein in der Neuen Zürcher Zeitung, »Die grosse Versöhnungstour«, aber auch hier einige alte Rechnungen und gelegentlich ein rechthaberischer Unterton; sei’s drum.
Zwingen muss man sich, Peter Mohrs Besprechung im »Titel-Magazin« bis zum Ende zu lesen, denn spätestens wenn jemand als »eigenwillig« charakterisiert wird, sollte man aufhören. Der Rezensent stellt dann noch Parallelen bis zum Narzissmus zum eigenen Werk Handkes fest (was für ein Unsinn) und hat offensichtlich gar nicht bemerkt, dass der Ex-Autor im Buch den Gregor Keuschnig gar nicht trifft.
Und flankierend natürlich ein Interview. Mindestens eines. Aber auch ein »gutes«, fruchtbares. Von Christine Eichel in der Online-Ausgabe des »Cicero«: »Der Zorn verraucht, das Feuer bleibt«. Dort finden sich sehr bemerkenswerte Sätze von Handke; es ist wirklich lesens- und nachdenkenswert (obwohl einmal ein Umbruch fehlt, d. h. eine Frage wird in einer Antwort versteckt – wer findet’s?). Eichel beginnt ihr Interview (ist es nicht schon fast ein Gespräch?) mit dem Zitat aus »Selbstportrait aus unwillkürlichen Selbstgesprächen« (aus der Zeitschrift »Manuskripte«, im März 2007 erschienen, hier herunterzuladen [PDF; ca. 110 kb]), die man noch am ehesten mit Handkes Journalen vergleichen könnte, wenn diese auch wesentlich ausführlicher angelegt sind, während es sich bei den »Selbstgesprächen« weitgehend um kleine Sentenzen, nein, eher: Gedankensplitter handelt (auch diese Sätze hier enden ohne Punkt – wie in den Journalen).
Möge sich jeder sein Urteil bilden.
‘Möge sich jeder sein Urteil bilden’.
Ich lese diese Besprechungen nicht, weil ich Handke erst selbst lesen möchte, was seit heute auch praktisch möglich wäre :)
So hatte ich es auch gehalten.
Aber danach sagen Sie mir Bescheid, ja?
Gern, aber ‘danach’ kann etwas dauern...
Geniessen Sie ruhig...
Literary Encyclopedia
Herzlichen Dank für Gedanken die hilfreich waren beim Verfassen eines Essays über Die moravische Nacht. Siehe
http://www.litencyc.com/php/sworks.php?rec=true&UID=24866