In George Orwells Roman »1984« gibt es im Wahrheitsministerium, dass sich dem Leser durch die Sicht auf den Protagonisten Winston Smith langsam erschließt, eine Figur mit dem Namen Ampleforth. Er ist ein »verträumter« Mensch mit »stark behaarten Ohren«. Seine Aufgabe besteht darin, geänderte Texte von Gedichten hin zu » ‘endgültigen Fassungen’ « zu erstellen. Er besaß bei aller Untüchtigkeit, die ihm attestiert wird, immerhin das Talent, »mit Reimen und Versmaßen zu jonglieren«. Derart verändert konnten Gedichte, die »ideologisch anstößig« geworden waren, in den Gedichtsammlungen beibehalten werden. Mit Zeitungen und allen anderen literarischen Texten verfuhr man ähnlich: Sie waren einem »dauernden Umwandlungsprozeß« unterzogen. »Auch Bücher wurden immer wieder aus dem Verkehr gezogen und neu geschrieben und ohne jeden Hinweis auf die vorgenommenen Veränderungen neu aufgelegt.«
Bei Orwell heißt das »Wirklichkeitskontrolle«. Winston führt ein Tagebuch, welches er vor den allgegenwärtigen Apparturen der Überwachung verstecken muss. Winston will dieser Kontrolle etwas entgegensetzen. Dabei ist das Führen des Tagebuchs eigentlich sinnlos, da es niemand jemals lesen wird. Der »Gruß aus dem Zeitalter der Gleichmachung«, den er dort eines Tages niederschreibt, wird mit größter Wahrscheinlichkeit verhallen – oder sogar bestraft werden.
Orwell schrieb seine Dystopie bekanntermaßen um 1948. 1951 veröffentlichte Ray Bradbury die Erzählung »Der Feuerwehrmann«, aus der zwei Jahre später der Roman »Fahrenheit 451« hervorging. Bei Bradbury werden die Bücher nicht mehr umgeschrieben und der jeweiligen Ideologie angepasst. Sie werden verboten und von Feuerwehrleuten mit Flammenwerfern vernichtet. Die vereinzelten Widerständler gegen diese Tyrannei sind diejenigen, die sie auswendig lernen, bevor sie vernichtet werden.
In beiden fiktiven Geschichten (aber nicht nur in diesen) gibt es einen emphatischen Glauben an die Wirkung des geschriebenen, freien Wortes. Daher muss es von den jeweiligen Machthabern wenn nicht unterdrückt, so doch mindestens im Sinne des Systems manipuliert werden.
Orwells Wahrheitsministerium ist dabei zum Inbegriff eines im verborgenen agierenden manipulativen Propagandaapparates geworden. Anatol Stefanowitsch ist zweifellos nicht für einen solchen Apparat tätig. Er ist Sprachforscher, was man seinen Artikeln ansieht. Er beschäftigt sich in seinem Aufsatz »Pippi Langstrumpf, Negerprinzessin und Übersetzungsproblem« mit Passagen aus Astrid Lindgrens Büchern »Pippi Langstrumpf geht an Bord« und »Pippi in Taka-Tuka-Land«.
Blyton, Lindgren, die Bibel…
Konkret geht es um die Passagen von Pippi Langstrumpf im Taka-Tuka-Land in denen von »Negern« in allen möglichen Variationen die Rede ist (bspw. »Negerprinzessin«, »Negerkönig«). Pippi Langstrumpfs Faszination für die fremde Kultur geht soweit, dass sie sich mit Schuhcreme anmalt, um genauso auszusehen wie die Einwohner dieses Landes. Stefanowitsch kamen »im Jahr 2004 im Kontext eines Kinderbuchs« diese Ausdrücke »nicht mehr angemessen vor«. So hat er das »Wort ‘Neger’ durchgängig durch ‘Südsee- bzw. Südseeinsulaner ersetzt’ «.
Die Problematik ist nicht ganz neu. Wolfgang Benz, Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismus-Forschung, macht gar »kolonialrassistische« Ressentiments in Lindgrens Büchern aus. Und so will die Stadt Bonn die Bibliotheksbestände der inkriminierten Bücher sukzessive durch Neuauflagen ersetzen. Hier wird dann »Negerkönig« mit »Südseekönig« übersetzt. Andere Sprachaktivisten arbeiten an einer »Positivliste«, in der nur noch Ausgaben von Kinderbüchern aufgeführt werden, die in »aktueller Sprache« verfasst sind.
Das erinnert an die Auseinandersetzungen um Enid Blyton aus den 60er und 70er Jahren in Grossbritannien. Blyton, die Schöpferin u. a. der »Hanni und Nanni«-Bücher, wurde »Sexismus und Rassismus vorgeworfen«, auch deshalb, »weil in ihren Büchern immerzu Mädchen die Hausarbeit machen und ihre Bösewichte stets zu sinistrem südländischem Aussehen neigen«, wie Susanne Gaschke in der ZEIT 2006 feststellte. Das Resultat der »Bemühungen« der »Logoklasten« laut Gaschke:
Blytons britische Verlage haben vor der Welle politischer Korrektheit in den angelsächsischen Ländern kapituliert: In den »Fünf-Freunde«- Büchern müssen jetzt auch Jungen putzen; böse Lehrerinnen ohrfeigen nicht mehr, sondern standpauken; »queer« heißt jetzt »odd« (queer kann in moderner Umgangssprache neben merkwürdig auch homosexuell heißen); die Kinder »Fanny« und »Dick« wurden umgetauft in »Franny« und »Rick«, weil die alten Namen im heutigen Slang als Bezeichnungen für die Geschlechtsorgane verstanden werden könnten. Barbara Stoney, Blytons Biografin, sieht die Umschreibeaktivitäten mit Sorge: »Fangen wir demnächst an, Jane Austen zu modernisieren? Oder Dickens?«.
Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Besonders eifrige Wortstürmer werden beispielsweise bei Shakespeares »Othello« oder dem »Kaufmann von Venedig« Vorbehalte anmelden. In den USA ist es längst gang und gäbe, »unpassende« Literatur aus dem Unterrichtskanon zu entfernen. Dies betrifft nicht nur Biologiebücher, die kreationistischen Glaubenskriegern ein Dorn im Auge sind; es kann durchaus auch Conan Doyles Sherlock Holmes treffen. In dem Buch »Eine Studie in Scharlachrot« werden Mormonen, wie Stefanowitsch sich ausdrückt, »extrem negativ« dargestellt. Die Entscheidung des »School Board« (ob man das will oder nicht: es ist eine Art Schulbehörde), das Buch von der »Lektüreliste der sechsten Klasse zu streichen und durch ‘The Hound of the Baskervilles ’ (‘Der Hund der Baskervilles’) zu ersetzen« begrüsst Stefanowitsch. Alleine: wer bestimmt, wo die »negative« Bezeichnung beginnt? Welche Kriterien wurden angelegt? Könnte dies nicht gerade auch ein Thema des Schulunterrichts sein? Und wie sieht es mit dem »Tagebuch der Anne Frank« aus, welches ebenfalls mindestens teilweise indiziert wurde? (Es gibt, wie eine Mitteilung der Lokalzeitung aus dem Januar 2010 berichtet, zwei Versionen des Buches.) Und in Deutschland gibt es seit einigen Jahren die »Bibel in gerechter Sprache«, in der »Jüngerinnen und Jünger« »auf der Höhe der derzeitigen Forschung« agieren.
Wortstürmers Schwung
Einmal in Schwung gekommen, geht Stefanowitsch bei Pippi Langstrumpf noch weiter. Er ist mit den Umschreibeaktivitäten des Oetinger-Verlags, der die Lindgren-Bücher verlegt, nicht zufrieden. Zwar habe dieser »versucht…alle Wörter zu vermeiden, die überhaupt eine Klassifikation von Menschen nach ihrer Hautfarbe vornehmen«, aber die »schwarze Hautfarbe« würde beibehalten. In der Tat sind die vorgenommenen Änderungen, die Stefanowitsch in seinem Blog-Beitrag aufführt, lächerlich. Zumal wenn man voraussetzt, dass die hier verwendeten Bezeichnungen pejorativ und demzufolge rassistisch sind. Stefanowitsch ficht das nicht an: Für ihn ist nicht nur das Wort »an sich« negativ und diskriminierend – sei es nun »Negerkönig« oder »Südseekönig«. Generell ist es – seiner Lesart nach – schon diskriminierend, wenn Menschen mit anderer Hautfarbe als solche beschrieben werden. Dabei interessiert ihn der Kontext gar nicht. Dass sich Pippi Langstrumpf mit Schuhcreme einreibt, um wie ein »Neger« (oder, korrekterweise, wie eine »Negerin«) zu diesen Einheimischen aufzuschließen, sich ihnen sozusagen anzuverwandeln – wenn auch auf eine abstruse, eben kindliche Art und Weise – passt nicht in sein Weltbild.
Schließlich kommt er ins philosophieren: »Das Problem an dieser Passage (und an den Büchern insgesamt) ist tatsächlich gar nicht die Sprache. Es ist die Idee, dass es sinnvoll ist, Menschen nach ihrer Hautfarbe zu kategorisieren…dass man Hautfarben mit der Einfärbung durch Schuhcreme vergleichen kann.« Nimmt die Heldin tatsächlich eine Kategorisierung nach »erwachsenen« Kriterien vor? Oder ist es ein naiv-kindliches Nivellieren durch Anverwandlung – das glatte Gegenteil dessen, was er unterstellt? Schließlich will Pippi Langstrumpf nicht die »Neger« mit Schuhcreme weiß malen – dies hätte man als rassistischen Ausfall werten können (und dann mit einigem Recht).
In einem Beitrag drei Tage später hat sich Stefanowitsch dann endgültig dazu entschlossen, den Daumen nach unten zu strecken: »Pippi, geh von Bord« posaunt er mit großer Geste und plädiert dafür, die Bücher Lindgrens einzustampfen:
- »Verlage könnten aufhören, sie nachzudrucken und sie könnten stattdessen neuen Autor/innen und neuen Geschichten eine Chance geben, bessere Geschichten zu schreiben. Und Konsument/innen könnten aufhören, sie ihren Kindern vorzulesen. Es ist ja nicht so, als ob eine Welt ohne Pippi Langstrumpf unvorstellbar oder eine literarische Dystopie wäre. Pippis fünfzehn Minuten Ruhm dauern jetzt schon sechzig Jahre. Schicken wir sie doch einfach in den wohlverdienten Ruhestand.«
Die Sprache ist also nicht mehr das Thema. Sie wird nur instrumentalisiert. Tatsächlich geht um eine Gesinnungsbeurteilung. Dabei geht man besonders perfide vor: Man unterstellt dem Autor / der Autorin eine Gesinnung, die man dann in ihre Texte hineininterpretiert. So wird aus dem servilen Mitarbeiter des Wahrheitsministeriums der Feuerwehrmann mit (virtuellem) Flammenwerfer. Das macht natürlich vor Astrid Lindgren nicht halt. Auch vor Harriet Beecher Stowe und Mark Twain wird gewarnt:
Man könne » ‘Die Abenteuer des Huckleberry Finn’ und ‘Onkel Toms Hütte’ jungen Menschen« nicht »einfach kommentarlos zum Lesen in die Hand drücken...Beide Bücher, besonders ‘Onkel Toms Hütte’, erfordern ein umfassendes Hintergrundwissen über die Geschichte der Sklaverei in den USA und über amerikanische Sozialgeschichte allgemein, über die Absichten, das Leben und die Ideenwelt der Autor/innen und möglicherweise sogar über bestimmte literarische Konventionen.« Am Ende wird gnädig konzediert: »Onkel Toms Hütte« »sollte im Druck bleiben, aber nur noch in wissenschaftlich aufbereiteter Form.«
Totalitärer Geist
Diese paternalistischen Anwandlungen sind in Deutschland nicht neu. Schon in den 70er Jahren blendete das ZDF in der für kurze Zeit sogar abgesetzten »Schweinchen Dick«-Zeichentrickserie Warnhinweise ein, weil einigen Politikern die Filme zu brutal waren. Wenn der Wolf auf der Jagd nach »Roadrunner« von einem Felsblock erschlagen wurde oder hunderte Meter in die Tiefe stürzte, kam der entsprechende pädagogische Hinweis aus dem Hintergrund, dass es sich um einen Film handele, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe. Vermutlich ist es dieser Maßnahme ja zu verdanken, dass die Zahl der Amokläufe in Deutschland relativ gering geblieben ist. Freilich hätte ich mir damals vielleicht noch erklärend gewünscht, dass es keine rosaroten Panther gibt und die auch nicht sprechen können.
Der Geist, der aus dieser fürsorglich verbrämten Bevormundung spricht, ist seinem Wesen nach totalitär. Er entmündigt den potentiellen Leser und spricht ihm a priori die Reflexionsfähigkeit ab. Stattdessen wollen diese Propheten des Zeitgeists fast zwanghaft eine Welt errichten, wie sie ihnen gefällt (paradoxerweise wie Pippi Langstrumpf). Alles, was dieser Sicht auch nur scheinbar entgegensteht, wird entweder verändert oder entfernt. Differenz wird grundsätzlich nicht als belebendes Element gesehen, sie wird schlichtweg geleugnet. Die gegebenen Begründungen für das Vorgehen sind dabei eher tautologischer Natur: Es ist so, weil sie sagen, dass es so ist.
Dabei sind Bücher unter Umständen nur der Anfang. Derart kann man irgandwann die Ausstrahlung von Filmen verbieten, in denen geraucht wird. Später die, in den getrunken wird. Und noch später jene, in den Fleisch gegessen wird. Und was ist mit den Rap-Texten, die vor rassistischen Äußerungen nur so wimmeln?
Nein, Stefanowitsch et. al. haben nichts mit »Ampleforth« gemein. Dieser wird nämlich als »milde« und »untüchtig« geschildert und verrichtet seine Aufgabe nicht aus Neigung, sondern eher mechanisch und ohne Leidenschaft. Die Logoklasten von heute sind von missionarischem Eifer beseelt. Ihnen geht es nicht um ein bedächtiges Verwenden von sprachlichen Mitteln. Sie üben keine Sprachkritik – sie verbannen. Wie schon immer in solchen Fällen behauptet geschieht dies zum Nutzen aller. Gemeinsamkeiten entdeckt man unweigerlich mit den mittelalterlichen Index-Kongregationen. Der Unterschied besteht darin, dass die Verfechter des Index Angst vor der Zukunft hatten. Die heutigen Logoklasten haben eine geradezu panische Angst vor den vermeintlichen Geistern der Vergangenheit, die sie mit teilweise futuristischem Furor bekämpfen.
Man sollte sich hüten, diese Formen übermotivierter LTI-Lektüre als Randphänomen besserwisserischer Wissenschaftler abzutun. Mit ihren Attitüden beanspruchen die Wortstürmer längst eine Definitionsmacht. Sie bestimmen nicht nur, wer wann was lesen darf, sondern auch, wer – wie in diesem Fall – als »Rassist« gilt (hier kann wahlweise jede andere Signatur eingesetzt werden). Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. (Man lese die Kommentare auf Stefanowitschs Blog.) Längst beanspruchen ihre restriktiven Auslegungen Geltung bis in den Tagesjournalismus hinein.
Logoklasten sind sie fast naturgemäß gezwungen, zu vereinfachen, weil ihre Welt am Ende nur noch »richtig« und »falsch« kennt; »gut« und »böse«. Der Kollateralschaden ihres Handelns besteht darin, dass bei potentiellen Lesern eine Sensorik für die Feinheiten von Sprache (und deren manipulative Wirkung) gar nicht mehr entstehen kann. Ähnlich wie übertriebene Hygiene (insbesondere bei Kindern) zu Schädigungen des Immunsystems führt. Diese Sorgen als »Anti-PC-Hysterie« abzuqualifizieren, gehört zu ihrer Strategie. Für den Hysteriker ist die Kritik des anderen immer Hysterie.
Ampleforth endet übrigens in »1984« wie Winston Smith im Gefängnis. Seine Verfehlung: Er hatte das Wort »Gott« in einer Gedichtzeile Kiplings stehen lassen. »Ich konnte nicht anders!«, sagt er zu Winston. Er hatte einfach kein anderes Wort gefunden, dass sich auf »Trott« reimt.
Am meisten erschüttert mich der naive Glaube, dass die Verbannung von Wörtern dazu führen würde, dass aus dem Rassissten ein Gutmensch (im eigentlichen Sinne des Wortes) würde. Und dann wird auch noch so dumm und sinnentstellend »umformuliert«. Ein Negerkönig wird zum Südseekönig. Ein gewöhnlicher Neger zum Afro-Amerikaner, Afrikaner oder gar pigmentiell bevorzugter. Der Negerkuss wandelte sich über den Mohrenkopf zum Schokokuss – bis eines Tages Küssen als i‑bäh gebrandmarkt werden muss! Auf einer Speisekarte las ich sogar schon »Sinti- und Roma-Schnitzel«. Und das war ernst gemeint.
Schade finde ich, dass der momentan allgegenwertige Aufhänger Arthur Conan Doyle in meinen Augen ein wenig anders gelagert ist. Da entscheidet ein Schulbezirk, dass ein Buch besser für Zehnt- als für Sechstklässler geeignet ist. Und weiter?
Das schmälert aber in keiner Weise die Grundaussage.
In meinem Bücherregal befindet sich ein »Hermann, der Cherusker«-Jugendbuch von (ich glaube) 1937. Das erste Kapitel ist mit »Blondes Haar aus Germanien« überschrieben. Viel weiter habe ich nie gelesen und ich bezweifle, dass ich es irgendwann mal meinen Kindern zum Lesen geben würde (höchstens, wenn sie Geschichte oder Literaturwissenschaften studieren).
Aber das ist eindeutig ein Propagandabuch und unterscheidet sich insofern von Twain, Lindgren oder Austen, deren Werke einfach von ihrem Zeitgeist geprägt wurden. Natürlich sollte man mit seinen Kindern darüber sprechen, dass man »Neger« heute nicht mehr sagt (und warum), aber – Herrgott! – sollte man nicht mit seinen Kindern über jedes Medium sprechen, was die so konsumieren?
Bei Kinofilmen wird/wurde übrigens gerne schon bei der Veröffentlichung geklittert, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen: »Notorious« von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1946 kam in Deutschland zunächst unter dem Titel »Weißes Gift« ins Kino. Aus den Exil-Nazis, die eine Atombombe bauen wollten, waren in der Synchronisation Kokain-Händler geworden. Im ersten »Stirb langsam«-Teil haben die deutschen Terroristen in der deutschen Fassung plötzlich englische Namen.
Und im Übrigen finde ich, dass man die „10 kleinen Neg... ääh – Schwarzafrikanerlein..“ Kindern nur noch in der korrekten Version vorsingen darf und, dass der „ Zigeun... – ääh – Sinti- oder Romabaron“ nur noch in der korrekten Version die Operettenbühne betreten darf. Der „kohlpechrabenschwarze Mohr“ darf nur noch als kohlpechrabenschwarzer Schwarzafrikaner vor dem Tor spazieren gehen und weil sich das dann nicht mehr reimt sollte man gleich den ganzen Struwwelpeter einstampfen.
Der monierte Eintrag im Sprachlog hat mich überaus befremdet, insbesondere als ich Herrn Stefanowitsch’ Betrachtungen über Sprache und Sprachgepflogenheiten im allgemeinen sehr schätze. Aber diese Pippi-Langstrumpf-Nummer ist nachgerade kindisch. Würde man diesen Ansatz konsequent weiterverfolgen, müsste die halbe Weltliteratur vom Alten Testament bis Charles Bukowski im Sinne dieser unseligen Political correctness & Gendering-Manie redigiert und umgeschrieben werden. Grober Unfug.
@SvenR
Naja, Schulbezirke entscheiden in den USA gelegentlich sehr merkwürdig. Das Problem ist, wenn diese Entscheidungen sozusagen demokratisch legitimiert sind, d. h. wenn Eltern dieser Form der Indizierung nicht nur zustimmen, sondern sie vielleicht sogar befördern.
Die gleichen Schüler der 6. Klasse, die vor dem Mormonen-Bashing »geschützt« werden sollen, sehen dann in den Nachrichten Kriegsbilder oder Actionfilme mit explodierenden Autos.
@Lukas
Interessant. Vielleicht ist das Phänomen dieser Form von Manipulationen schon wesentlich verbreiteter, als man (= ich) gemeinhin denkt.
Vermutlich entsteht die fürsorgliche Bevormundung, weil man vielen Erziehungsberechtigten nicht mehr zutraut, dass sie sich in kompetenter Form über den Medienkonsum ihrer Kinder befassen. Da sind Verbote natürlich das einfachste Mittel.
@blackconti
Ich glaube, der Struwwelpeter steht längst auf der virtuellen Index-Liste – allerdings auch aus anderen Gründen.
nömix
Es ist ja gerade die von Ihnen genannte Konsequenz, die mich ein bisschen ängstigt. Und ja: »Grober Unfug« trifft es ziemlich genau.
Sehen Sie es doch mal positiv, Herr „Keuschnig“: Ihre aufgeregte und völlig verzerrte Darstellung meiner Argumentation hat Ihnen einen Link von Perlentaucher.de eingebracht:
http://www.perlentaucher.de/artikel/7039.html
Ich freue mich immer, wenn ich aufstrebenden Bloggern helfen kann, die sonst durch Nichtbeachtung zensiert würden.
@Gregor Keuschnig
Ich finde schon, dass die Entscheidung, ein Buch im Kanon zu verschieben eine ganz andere Qualität hat, als Pippi Langstrumpf umschreiben zu wollen oder gar abzuschaffen. Und gibt es nicht immer eine Indizierung aller anderen Bücher, die nicht im Kanon enthalten sind?
@A.S.
So einen arschigen Kommentar hätte ich von Ihnen nicht erwartet.
@SvenR
@A.S.
So einen arschigen Kommentar hätte ich von Ihnen nicht erwartet.
Merkwürdigerweise ich schon.
Aber, aber, Herr A.S., ihr Kommentar lässt tief blicken – vielleicht sollten sie mal eine/n Spezialisten/Spezialistin konsultieren. DSM-IV, Achse-II, Cluster B vielleicht?
@ #6
Ich bin davon überzeugt, dass der unter dem auf das Sprachlog verlinkenden Kürzel »A.S.« verfasste Eintrag nicht von Herrn Stefanowitsch stammt.
@nömix
Die angegebenen Daten lassen einen anderen Schluß zu.
A propos, von »politisch unverdächtiger Seite«:
http://www.usatoday.com/news/education/2011–08-22-book-ban-schools_n.htm
Das ist nativer Kommentarstil von A.S.; in der Vergangenheit kam dieser unterirdische Stil in den Kommentaren im inzwischen eingestellten Blog „Geschlechtsverirrung” auf den scilogs zur zweifelhaften Blüte. (Die entsprechenden Beiträge mit den teils beleidigenden Kommentaren sind von Knauß offenbar gelöscht worden.
Übrigens:
@JuergenL
Danke für den Googleplus-Link.
Ich würden seinen Kommentarstil eher als schnöselig bezeichnen (»fruchtlose Wiederholungen«).
@SvenR
Naja, eine »Verschiebung« ist natürlich etwas anderes, wenn ich auch in diesem Fall die Alarmglocken klingen höre.
Und gibt es nicht immer eine Indizierung aller anderen Bücher, die nicht im Kanon enthalten sind?
Nein. Eine Auswahl ist etwas anderes als eine Indizierung. Diese sieht ja ausdrücklich die Bannung eines Buches (oder sonstigen Mediums) vor.
@Gregor
Ach, mir fallen da noch einige Adjektive ein.
Das Kommentarverhalten deutet auf ein grundsätzliches Problem, mit Widerspruch umzugehen. Aber das haben Sie ja im Artikel herausgearbeitet.
„Ich glaube, der Struwwelpeter steht längst auf der virtuellen Index-Liste – allerdings auch aus anderen Gründen.“
Na, das ist sowieso klar. Wes Geistes Kind A.S. ist, macht sein Kommentar überdeutlich. Mein Gott, die Überheblichkeit dieser „Korrekten“ ist schon faszinierend.
@Gregor Keuschnig
Da haben Sie grundsätzlich natürlich recht. Wenn ich aber sehe, was meine Kinder in Hessen mit G12 für »Lehrpläne« haben, da ist ein nicht-im-Index-Erscheinen – für die meisten Schüler – tatsächlich schon fast eine Indizierung. Ich hätte es in Gänsefüßchen setzen sollen, die Sie hier so schön in Guillemets verwandeln.
@SvenR
Mich würde interessieren, welche Bücher die Schüler gerne auf Lehrplänen finden würden. Und welche sie stattdessen »bekommen«.
@Gregor Keuschnig
Das ist ja lustig. Darüber habe ich gestern mit einem meiner Kinder gesprochen. Es sagte sinngemäß, dass es einem Teil der Kinder egal sei, weil sie einfach alles lesen, was sie interessiert und dem anderen Teil sei es egal, weil sie außer den Büchern, die sie lesen müssen, keine kennen. Ich bin mit dem, was sie lesen müssen bislang zufrieden. Aber ich bin ja auch kein Literaturkritiker ;-)
Fängt dieser amerikanische Quatsch jetzt auch bei uns an? ...war leider zu erwarten. Manche Deppen springen auf jeden modischen Zug, sogar – wie man nun sieht – Sprachwissenschaftler.
Entgültiges, also Vernichtendes, über p.c.-Sprache hatten doch bereits vor Jahren Robert Gernhardt (bei uns) und Robert Hughes (N.Y.Times & Buch) geschrieben. Aber sowas lesen Sprachwissenschaftler wohl nicht.
PS: Jetzt versteh ich auch, wieso ich in des Bremer Sprachwissenschaftlers Blog vor ein paar Jahren so angepinkelt wurde als ich naiv & launig gefragt hatte, wieso man – als Liebhaber des schwarzen Jazz & beruflich mit diesen meinen Freunden verbundener – nicht mehr SCHWARZER oder NEGER sagen »darf«.
Jetzt seh’ ich erst den hochnäsigen Kommentar von A.S.
Bin sprachlos.
@Klaus #22
Ich find’s sehr erhellend.
Gemäß »der braune Mob e.V« ist der politisch korrekte Ausdruck für Schwarze Menschen schlicht Schwarze Menschen.
Demnach wäre das »N‑Wort« in Pippi Langstrumpf zu vermeiden, aber der »Südseekönig« völlig korrekt. Genau so, wie eine Beschreibung der Hautfarbe der Südseebewohner als »dunkelbraun« oder »schwarz« in Ordnung ist, wenn es für die Geschichte ähnlich wichtig ist, wie Pippis feuerrote Haare und unzähligen Sommersprossen.
Solche Überlegungen halte ich aber nur bei Büchern, die sich direkt an Kinder im Vorschul / Grundschulalter wenden, für relevant.
Von junge Menschen in einem Alter, in dem sie in der Lage sind, »Huckleberry Finn« oder »Onkel Toms Hütte« selbst zu lesen, kann man hoffentlich erwarten, dass sie erkennen, dass die Geschichten die Zeit ihrer Entstehung wiederspiegeln, und nebenbei vermitteln, welche üblen Auswirkungen Rassismus in den USA um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte, und für wie selbstverständlich Sklaverei auch bei gebildeten Weißen dieser Zeit gehalten wurde.
Interessant fand ich die kurze Äußerung, falls sie von ihm stammt, auch. Sie zeigt doch gerade, dass Sie auch getroffen haben (ich find ja dass es ein bisschen viel Getöse und rhetorische Geschütze waren, aber gut). Aber vielleicht auch, dass es feinere Punkte geben könnte, wo er (fernab vom ideologischen Säbelgerassel) recht haben könnte. Übersetzungen werden ja z.B. auch immer wieder neu vorgenommen (z.B. Svetlanas Neuübersetzung von Dostojevskij), auch weil die Sprache sich wandelt. Dabei gehört es vielleicht auch gerade dazu sich in verschiedene Stil- und Zeitschichten zu lesen, um ein Sprachgefühl erst zu bekommen.
Was ich am Sprachlog oder dem Auftreten seines Autors, gerade auch dem jüngsten Eintrag über »der« oder »das« Blog, etwas irritierend finde ist, diese Normierung. Bei seiner rhetorischen Breitseite gegen die Sprachnörgler, da gehe ich gerne mit – da ist es ja gerade die unsinnige Normierung, gegen die er angeht. Ein Sprachwissenschaftler kann ja gerne die Evolution von Sprache beschreiben, oder den jetztigen Ist-Zustand. Aber (rhetorisches Standardmanöver) aus dem Sein folgt doch kein Sollen. Sprache ist ja gerade etwas lebendiges und warum soll mir jetzt die Beobachtung, dass gerade (angeblich) mehr Leute »der Blog« sagen, dekretieren, dass ich das auch tun sollte? (Immerhin, weiß ich dann, dass ich vielleicht komische Blicke ernte, wenn ich dann den »falschen« Artikel verwenden werde..)
@MartinM
Ich frage mich ernsthaft, wer den »braunen Mob« zu den auf der Seite ausgesprochenen urteilen und Verhaltensmaßregeln autorisiert und legitimiert hat. Wer bestimmt die »politisch korrekte« Sprache? (Ich habe bewußt diesen Begriff vermieden, damit der Beitrag nicht in die ein oder andere Richtung interpretiert werden kann.)
Wenn man mit Amerikanern locker spricht, ist man erstaunt, welches Vokabular dort umgangssprachlich Verwendung findet – ausgerechnet in dem Land, welches allgemein als Musterland der »korrekten« Sprache gilt.
Ich bin schon jetzt gespannt, ob das neue Buch von Umberto Eco, welches im Oktober auf deutsch erscheint, als antisemitisch bezeichnet werden wird. Und werde mich dann abermals fragen: Wen will man damit eigentlich »beschützen«?
@Phorkyas
Es besteht kein Zweifel daran, dass der hier als »A. S.« erschienene Kommentar von Stefanowitsch stammt; er zeichnet auf anderen Blogs mit seinen Initialen. Die Normierung ist natürlich gewollt. Er will konstituieren, Normen aufstellen. Sein ganzes Auftreten ist repressiv. Wenn Flaute ist, wird jedes Lüftchen zum Ereignis, daher diese lächerliche Artikel-Diskussion (ich sag immer schon »der Blog«).
Etwas anderes ist die Situation bei Übersetzungen. Ich gestehe, dass ich immer ein bisschen ratlos bin, wenn es heißt, ein Buch wird neu übersetzt, weil die alte Übertragung »verstaubt« war (o. ä.). Ich stelle mir dann einen deutschen Titel vor – Goethe, Kleist, Kafka – und überlege, ob dort nicht jemand mal auf die Idee kommt, diese Prosa »anzupassen«. Entweder ist eine Übersetzung schlecht oder sie ist kongenial (gut). Dass sie den Zeitgeist des Werkes sozusagen mitträgt, erscheint doch logisch. Jetzt mag es sein, dass ein Buch selber altbacken wirkt. Dann kann es aber auch keine Übersetzung retten.
Der »braune Mob« ist ein Verein von Schwarzen Deutschen, denen es darum geht, endlich nicht mehr ständig diskriminiert und beleidigt zu werden. Eines ihrer Anliegen ist es, den tief in unserer Kultur verankerten Rassismus zu bekämpfen. Der »Braune Mob« legitimiert sich aus der Position der Betroffenen. Ich halte die Regelungen für eine diskriminierungsfreie und präzise journalistische Sprache (denn darauf kommt es dem Verein hauptsächlich an) für praktikabel.
Worum es dem »braunen Mob« meines Erachtens nicht geht: um Euphemismen. Daher also »Schwarzer« (als Gegenbegriff zum »Weißen«), und nicht etwa »Farbiger« (von so komischen Prägungen wie »stark Pigmentierter« oder so ganz abgesehen).
@MartinM
Solche Setzungen sind zwar verständlich, aber eben auch sehr subjektiv. Hinzu kommt, dass man Standards und Normen vorgibt. Ich halte so etwas für ambivalent und im Einzelfall schwierig. Insofern ist ein Ansinnen einer diskriminierungsfreien Sprache praktisch nicht durchführbar, weil jeder darunter etwas anderes versteht. Man ersetzt die unerwünschten Euphemismen durch andere, zum Teil komisch-skurrile, zum Teil lächerliche. Irgendwann kommt dann so etwas wie Özgans Mediencharta dabei heraus. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann so etwas informell zur absoluten Regel wird.
Man kann diesen seltsamen Umgang mit Widersprüchen bei vielen Gelegenheiten beobachten: Seien es Umbenennungen von Straßen, Schleifung oder Veränderung von Denkmälern, die politischen und moralischen Einstellungen von Künstlern und Wissenschaftlern, die im Gegensatz zu ihren Werken und ihrem Wirken stehen oder zuletzt die Diskussion um die Ehrenbürgerschaften von Adolf Hitler in diversen österreichischen Städten ... immer hat man den Eindruck: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und man beginnt zu korrigieren, das Vergangene und das Gegenwärtige.
Aber jede Interpretation weist auf den Interpreten zurück. Sie offenbart einen Geist, der keinen Widerspruch duldet und das ist, wie Du richtig schreibst, tendenziell totälitär – wir stehen wieder einmal mitten in den Schatten, die selbst das Licht von Moderne, Vernunft und Aufklärung werfen.
[Gerade die Diskussion um die Ehrenbürgerschaften Adolf Hitlers zeigen m.E. wie fruchtbar solche Widersprüche sein können, weil sie die eigenen Schattenseiten oder die der Menschen und Gemeinschaften, denen man sich verbunden fühlt, aufzeigen; muss man nicht gerade weil Hitler Ehrenbürger Amstettens war, diese Tatsache akzeptieren und ihr ins Auge blicken? Ließe sich daraus, auch für das Selbstverständnis der Bürger, nicht einiges lernen?]
@metepsilonema
Für mich ist der Totalitarismus, mit dem Sprache zurechtgebogen werden soll auf den zeitaktuellen Duktus Ausdruck des Versagens von Aufklärung bzw. deren Nicht-Existenz. Man kann das in der Erziehung bei Kindern beobachten: Wenn der Erziehungsberechtigte beispielsweise keine Zeit hat eine Maßnahme zu erklären, wird ein Verbot ausgesprochen. Dies befolgt das Kind dann – allerdings »droht« immer der Rückfall, da es die Maßnahme an sich nicht einsieht.
Indem nivellierend auf Sprache Einfluß genommen wird, sagt man implizit zum Bürger: ‘Du bist nicht in der Lage, etwas anderes zu verstehen.’ Und: ‘Du musst auf den richtigen Weg geführt werden.’ Es kann sein, dass man das tatsächlich irgendwann sagen muss. Aber dann hat alles das, was man mit dem großen Begriff der »Bildung« bezeichnen kann, restlos versagt. Dieser tyrannische Paternalismus ist dann Beleg für das Scheitern einer Gesellschaft, die nur noch aus »Mob« besteht.
Man kann sagen: Aufklärung über die Aufklärung. Aber wie auch immer, es steckt ein Denken dahinter, das keine Widersprüche erträgt und diese zu tilgen bereit ist. Und diese Art zu denken ist in hohem Maße gefährlich, es trägt diktatorische Züge ... ich bin mir nicht sicher, sagt das nicht mehr darüber, wie man eine Gesellschaft gerne hätte, als über deren Versagen (gut: wenn sie so wird, dann könnte man auch sagen, dass sie versagt hat).
@metepsilonema: Aber zu sehr sollte man dann auch nicht in die andere Richtung drehen, meine ich. Denn dann könnte man auch dahin kommen alles (als totalitär) zu verteufeln was nach »PC« riecht – und dann würde man vielleicht doch das Kind mit dem Bade ausschütten. (Verdammt, ich glaube, ich sollte mehr Aristoteles lesen: das klingt mir doch schon nach dessen goldener Mitte?) – Konkret, so lange ich noch nicht weiß was der braune Mob macht oder worin Özgans Mediencharta genau bestanden hätte, möchte ich den Stab noch nicht brechen. Vielleicht geht es ja mehr darum Sprachgebrauch bewusst zu machen, hinzuweisen (interkulturellen Austausch zu fördern..) als Normen durchzusetzen oder zu sanktionieren – und ersteres wäre doch Aufklärung im besten Sinne. Wenn man aber sofort Zensur, Gleichmacherei, Totalitarismus ruft, verhindert man vielleicht auch dies.
Phorkyas
Der Einwand ist berechtigt. Natürlich weiss man nicht, was in der ominösen »Mdiencharta« genau gestanden hätte. Da ist aber beispielsweise von »kultursensibler Sprache« die Rede. Desweiteren war vorgesehen, dass Journalismus in eine bestimmte Richtung zu berichten hatte. Beides geht als Verordnung aus einem Ministerium in einem demokratischen Staat gar nicht. Insofern hatte die neue Ministerin einen Fehler begangen: sie wollte die eigentlich informellen »Regeln« offiziell formulieren. Ein Fauxpas einer Anfängerin.
Ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht, was ein brauner (oder roter) Mob aus einer wie auch immer gearteten Formulierung machen könnte. Ich kann und will meinen Duktus nicht davon abhängig machen (müssen), wie es von irgendwelchen Dumpfbacken aufgenommen und interpretiert werden könnte. Dann würde ich mich in der Konsequenz nach diesen Leuten richten.
Wohin das führt, hat man in der Bundesrepublik in punkto »Identität« gesehen. Durch die Indoktrination der Nazis wurden Begriffe wie »Nation« oder »Gemeinschaft« schlichtweg in den Giftschrank gesperrt. Das Ergebnis war, dass, als die Fußball-Nationalmannschaft plötzlich die Nationalhymne sang, eine Empörung um sich griff, die rational nicht zu erklären war. Mit der gleichen Verve hätte man Franzosen, Engländer (!), Amerikaner oder Japaner auch als »Nationalisten« beschimpfen müssen.
Statt Begriffe zu tabuisieren, hätte man diese diskursiv selber besetzen und bestimmen können. Im (vermeintlich) linken Lager hatte man erstaunlicherweise damit immer weniger Probleme. So ist der Begriff »Sozialismus« keineswegs diskreditiert. Wer sich heute als »Sozialist« (in Abgrenzung zum Kommunisten) bezeichnet, erntet immer eine gewisse Achtung. Wer sich dagegen als »Nationalist« bezeichnen würde, gilt schon als 80%iger Nazi.
Das merkwürdige an diesem Vorgehen dieser Sprachregler ist: 1. fällt ihnen scheinbar gar nicht auf, wie manipulativ die Sprache bspw. in Nachrichten verwendet wird, weil sie sich nur auf Formalien konzentrieren. 2. verhunzen sie die Sprache mit Wortgetümen. Und 3. beanspruchen sie Autorität, statt zu überzeugen. Letzteres ist so ziemlich das Gegenteil von Aufklärung.
Wohin das führt ist schön am »Fall« Sarrazin zu sehen: Indem dort auf jegliches sprachlich »korrektes« Verhalten gepfiffen wurde (eher im Gegenteil; einige Formulierungen sind fast schon beleidigend), wird er schon aus diesem Grund zum Helden.
Über den Fall Sarrazin kann man, meiner Meinung nach nur schweigen. Die Hochskandalisierung ist da nach einem Jahr immer noch so präsent, dass selbst ein Einwurf wie der von Schirrmacher, Schiffbruch erleiden muss:
»In diese Not hat sich eine Öffentlichkeit begeben, die es nicht schafft, die Wahrheit über ein Buch auszusprechen.« (und schon vorgegeben, dass er es auch nicht schaffen wird)
Bei diesen Skandalisierungen habe ich schon das Gefühl, dass das vernünftige Beurteilen aussetzt, da wird nur noch reflexhaft gehandelt (wenn der Fall so stimmt, z.B. auch hier:
http://www.bildblog.de/32950/er-hat-jude-gesagt/
) -
Ich habe manchmal mit kleinen Dingen schon meine Problemchen: »Leser:innen« oder ähnliches will mir nicht über die Tastatur, weil es so gar nicht gelesen werden könnte (man müsste ja doch aussprechen »Leser und Leserinnen«) – aber das sind auch nur Idiosynkrasien, die sich auch umschiffen lassen...
@Phoryas/Gregor
»Tendenziell totalitär« und »diktatorische Züge« (wohlgemerkt, nicht »totalitär« oder »diktatorisch«) meint, dass hier jemand der Ansicht ist, über ein verbindliches Sprachverständnis und zweifelsfreie Konnotation zu verfügen, und diese auch durchsetzten zu müssen oder zu können (ob nun offiziell oder nicht). Sprache entwickelt sich m.E. evolutionär und gewährt immense Möglichkeiten persönlichen Ausdrucks und steht in Zusammenhang mit der Freiheit ihrer Sprecher – das ist ein achtenswertes Gut, weil es das Widersprüchliche und andere aufbewahrt und nicht bekämpft.
Ich habe nichts gegen sensiblen Sprachgebrauch und auch nichts dagegen das zu thematisieren und bestimmte Umstände rechtfertigen den Gebrauch oder Verzicht bestimmter Worte. Ich glaube aber, dass das Sache der (aller) Sprecher sein sollte, einerseits, weil Sprache immer mehrdeutig ist und andererseits weil jeder Eingriff wieder nur eine Spiegelung von Machtverhältnissen ist.
@metepsilonema: Ich fürchte in der Sache lässt sich bei uns kein wirlicher Dissens erzielen.
Alban Nikolai Herbst, für A.S. wäre er wohl so ein weiterer militanter Anti-PCler, schrieb gerade in sein Arbeitsjournal:
- So auch wurde ich gestern abend, auf dem Elternabend der Klasse meines Jungen, zurechtgewiesen: das sei kein korrektes Wort, daß jemand „sitzenbleibe”, sondern der angemessene Sprachgebrauch verlange das Wort „zurücktreten”. Wer sitzenbleibt, tritt zurück. Fein das. Selbst Freiwilligkeit wird dabei mitunterstellt. Die Karriere wirft ihre Schatten. „Du bist jetzt in der achten Klasse?” „Nein, ich bin zurückgetreten.” – „Ist Ihr Sohn versetzt worden?” „Nein, er ist zurückgetreten.” Man möchte diesen Sprachsaubermenschen die Fresse polieren, damit sie die Verlogenheit wie rausgeschlagene Zähne schlucken. – Nein, keine Sorge, mein Junge ist nicht zurückgetreten. Zurückzutreten, freilich, wäre zu lernen.
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/das-arbeitsjournal-des-mittwochs-dem-letzten-augusttag-des-jahres-2011/
Mir kommen da zwar keine Gewaltphantasien, ich möchte lieber lachen. Das ist doch alles absurd. Man kann schon irr werden über diese Welt, nur wüsste man dann nicht wer der irre iist: der Irrgewordne oder die Welt. – Allerdings finde ich dieses Beispiel sehr gut, weil es meiner Meinung nach freilegt, woher diese Sprachsauberkeisakte kommen könnte: Angst. Die Angst abgehängt zu werden und darüber wird kaschierend das sprachliche Mäntelchen gelegt (Herbst: »Karriere«). (Nun können Leute mit Angst ja gerade auch gefährlich sein, aber ich bezweifle, dass es hülfe, würde man diesen mit dem Totalitarismus-Vorwurf kommen. Bzw. sind die Motive für die paternalistische Sprachpflege doch insgesamt vermutlich auch sehr vielfältig)
@Phorkyas
Ich verstehe Ihre Intervention bzgl. des »Totalitarismus« und dem damit implizit ausgedrückten, dass man doch bitte mit Kanonen nicht auf Spatzen schiessen möchte.
Aber wie soll man die Forderung, man möge Pippi Langstrumpf, Tom Sawyer und Huck Finn entweder in den Orkus oder eben in den Giftschrank verweisen, anders interpretieren? Wie soll man die bekannten Anweisungen in Unternehmen lesen, man habe stets die weibliche Form mitzuberücksichtigen, also »MitarbeiterInnen« zu schreiben oder »Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen«? Was ist es anderes als ein Geltung beanspruchendes Gesetz, das natürlich formal sozusagen informell bleiben muss – und daher fast noch stärker wirkt, weil ansonsten gruppendynamische Sanktionsmechanismen eingesetzt werden bzw. drohen eingesetzt zu werden.
Herbsts Beispiel mutet zunächst – sollte es denn stimmen – lächerlich an. Aber irgendwann bleibt mir dann das Lachen im Halse stecken. Worin liegt das Motiv, das Wort »sitzenbleiben« mit »zurücktreten« zu ersetzen? Ja, diesen Ersatz zu fordern! Es besteht kein Zweifel daran, dass »sitzenbleiben« für die Wiederholung eines Schuljahres ungenau ist (wenngleich es leicht nachgewiesen kann, welchen Ursprung es hat). Aber es aus welchen Gründen auch immer durch »zurücktreten« zu ersetzen, ist noch falscher, denn »zurücktreten« impliziert ja, wie Herbst schreibt, eine Freiwilligkeit.
Welche Angst west in diesen »Sprachsauberkeitsakten« wirklich?
Noch – weil sprachlich – schlimmer ist der Nexus »Student«/»Studierender«. Ein Studierender ist jemand, der soeben studiert. Sitzt er in der Kneipe, ist er kein Studierender mehr, wohl aber kann er auch dort noch Student sein. Das wird vom neuen »guten« Sprachgebrauch völlig ignoriert: was die Sprache-selbst sagt, wird ignoriert – und damit ihre Geschichtlichkeit und ihre Logik. Ja, dieses beides wird durchgestrichen zugunsten eines Wohlmeinens, das sich von Knall auf Fall, je nach gegebener politischer Orientierung, ändern kann.
Daß eine der schönsten Erfindungen Michael Endes (auch ästhetisch, weil eben mit der notwendigerweise, wenn sie sich fortbewegen will, Lokomotive Emma bezogen), nämlich Lukas-der-Lokomotivführer (dem wir, nebenbei gesagt, die große Entdeckung des Scheinriesen verdanken)... daß der nicht mehr rauchen darf, sondern nun Kaugummi kaut, gehört in den Zusammenhang, wie ich dort schon schrieb. Weder der Herr Lukas noch der Herr Ende können sich aber mehr wehren (um von Sartre und Bloch ganz zu schweigen), doch es bleibt das Fakt, das die einzige politische Novelle, die Barack Obama zuwegegebracht hat (o über die Jubler am Großen Stern in Berlin!), genau dieser Lukas-Komplex gewesen ist, jedenfalls bislang: daß er sich das Rauchen abgewöhnt hat. Dagegen ist in der Tat die Weiterexistenz Guantánamos marginal. Um das mal s o herum zu sagen: Wer nicht raucht, darf auch foltern. Ich könnte, aber mag nicht, nun auch von politischen Vegetariern erzählen.
Astrid Lindgren kann sich auch nicht mehr wehren und ich warte schon auf die »kritischen« Journalisten, die auf eine Umbenennung all der Schulen und Kindergärten pochen, die bisher ihren Namen tragen.
@ANH/Phorkyas
Danke, für das Beispiel. Es deutet sehr schön auf das Problem: Dass ganz offensichtlich einige Sprecher ihren (politisch motivierten) Gebrauch von Sprache für alle als verbindlich ansehen (oder gerne durchgesetzt hätten), obwohl es andere, ebenso gültige Sichtweisen gibt. Und dann sind wir eigentlich schon wieder bei dem oben diskutierten Punkt, dass dieses Denken auf ein Ganzes zielt (und sehr wichtig der Hinweis: Diese Idee kann natürlich auch aus anderen politischen Richtungen kommen).
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Eine Ergänzung zu #16
@JuergenL
Schöner Beitrag. Danke.
@ Gregor Keuschnig
Respekt! Wirklich ein sehr gelungener, vielschichtiger Beitrag. So stelle ich mir Sprachforschung/-kritik vor. Dass die Reaktionen auf den Beitrag nebenbei bestätigen, dass ich mit meiner Einschätzung von Stefanowitsch richtig liege, hat mich sehr ermutigt, solchen Typen auch weiterhin den Spiegel vorzuhalten.
Ich habe, auf Stefanowitsch’ Blog gelesen, dass er die Pippi Langstrumpf-Geschichte auch seiner Tochter vorgelesen hat und dabei das Wort ‘Neger’ durch ‘Inselbewohner’ ersetzt hat. Ich habe mir dann vorgestellt, dass seine Tochter die Originalversion zufällig schon aus dem Kindergarten kannte und dass Sie vor dem Gute Nacht-Kuss, ihren verblüfften Vater gefragt hat:
»Papa, sind alle Inselbewohner Neger?«!
Danke, danke und nochmals danke für diesen Blog-Eintrag.
zu Lukas,
18. Aug. 2011 um 12:40,
ergänzend sei zu seinem hinweis auf hitchcock hinzugefügt, dass auch der film casablanca lange zeit in deutschland sprachlich verhunzt war: dass die bösewichter nazis, vertreter des 3. reiches, waren, konnte man erst hören, als die deutsche fassung des films neu synchronisiert wurde.
zum thema passt auch: das retuschieren von fotos, um die historische realität zurechtzubiegen.
ich kannte zunächst nur die alte synchronfassung von casablanca. viele waren damals überrascht, welche dimension der film plötzlich bekam, als man ihn restauriert hatte.
wikipedia beschreibt die 2 fassungen u.a. wie folgt:
Als Casablanca am 29. August 1952 in die deutschen Kinos kam, enthielt der Film kaum noch Hinweise auf den Zweiten Weltkrieg. Alle Szenen mit Major Strasser und anderen Nazis waren herausgeschnitten worden. Auch die Szene, als die Deutschen Die Wacht am Rhein anstimmen und von französischen Patrioten mit der Marseillaise niedergesungen werden, fehlte. Victor László wurde zu Victor Larsen, einem norwegischen Atomphysiker, der die rätselhaften Delta-Strahlen entdeckt hat. Captain Renault wurde in Monsieur Laporte umbenannt und war nun ein Mitglied der Interpol.
Casablanca war in dieser um 25 Minuten gekürzten Version eher eine harmlose Romanze als ein Propagandafilm gegen die Nationalsozialisten und das Vichy-Regime. Erst im Oktober 1975 strahlte die ARD die ungekürzte und neu synchronisierte Fassung aus, die bis heute bekannt ist.[15]
@baum
Das wusste ich nicht. Danke.
Danke, sehr anregend.