Ohne Zweifel gehört Peter Waldmann zu den Experten, denen jemand wie Elmar Theveßen nicht das Wasser reichen kann. Hierin dürfte einer der Gründe liegen, warum man von Waldmann im Fernsehen so gut wie nie etwas hört. Er vermeidet wohltuend emotionale Hyperventilierungen und bleibt nüchtern. Dafür bemüht er häufig die Wissenschaftlichkeit seiner Erhebungen, speist Thesen aus Statistiken und zieht hieraus Schlüsse. So versucht er die Balance zwischen übererregter Stammtisch-Verdammung und altlinkem Einfühlungsvermögen zu finden. Sein Buch »Terrorismus – Provokation der Macht« erschien 2011 in einer 3. und aktualisierten Auflage; am Ende konnte sogar noch die Ermordung Osama bin Ladens aufgenommen werden. Dabei hätten die grundsätzlichen Erläuterungen aus den vorigen Auflagen kaum einer Ergänzung bedurft. Es geht wohl um die aufgenommenen Statistiken und die am Ende des Buches aufgeführten Listen (der »Großanschläge mit fünfzig und mehr Todesopfern« [eigentlich eine entbehrliche Aufzählung] und die »der wichtigsten terroristischen Gruppen 1960–2010«), die fortlaufende Ergänzungen notwendig machen bzw. zu machen scheinen.
Definitionen
Zunächst wird sinnvollerweise der Staatsterrorismus und der Guerillakampf vom »normalen« Terrorismus abgegrenzt (obwohl es insbesondere zum Guerillakampf durchaus Parallelen gibt) und folgende Definition vorgeschlagen: Unter Terrorismus sind planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge aus dem Untergrund gegen eine politische Ordnung zu verstehen. Sie sollen vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.. Dabei geht es, so Waldmann wenige Seiten später schon einschränkend, dem Terroristen weniger um den eigentlichen Zerstörungseffekt seiner Aktionen. Diese sind nur ein Mittel, eine Art Signal, um einer Vielzahl von Menschen etwas mitzuteilen. Terrorismus, das gilt es festzuhalten, ist primär eine Kommunikationsstrategie. Eine unglückliche Formulierung, denn es geht ja sehr wohl um den »Effekt« der Zerstörung, wie er dann später auch ausdrückt: Der Schockeffekt ist der zentrale[n] Bestandteil terroristischer Logik. Dieser Schockeffekt kann jedoch nur über eine überaus spektakuläre Zerstörung (mit notwendigerweise vielen Opfern) erzielt werden.
Hier wird exemplarisch ein immer wieder aufflackerndes Dilemma dieses Buches deutlich: Eben noch eine These aufgestellt – wird sie manchmal nur wenige Seiten später abgewandelt und relativiert. Im Beispiel des Schockeffekts heißt es eine Seite später: Diese Betrachtungsweise, die ausschließlich auf die Negativeffekte terroristischer Anschläge abstellt, wird der Komplexität der terroristischen Botschaft nicht gerecht. Natürlich hat Waldmann recht, wenn er feststellt, dass die Anschläge für einen Teil der Bevölkerung als Hoffnungszeichen gedacht werden muss. Aber warum wird hieraus plötzlich ein Gegensatz konstruiert? Ist es nicht möglich, dass Terrorakte für die beiden Seiten unterschiedliche Interpretationen liefern können? Was für die überwiegende Mehrheit ein verabscheuungswürdiger »Schockeffekt« ist, mag für die (wenigen) Anhänger ein Signal sein. Aber gerade über die Interdependenzen zwischen Terroristen und Medien erfährt man leider viel zu wenig in diesem Buch (hierfür gibt jedoch glücklicherweise Andreas Elters »Propaganda der Tat«).
Pendeln zwischen These und Ausnahme
Eingeleitet wird jedes Kapitel mit einer Art Exzerpt, was auf Dauer nervig ist und gelegentlich zu Redundanzen führt. Zudem ist sein Ton manchmal belehrend und floskelhaft. Laufend wird der Leser aufgefordert, etwas nicht zu unter- oder zu überschätzen. Bisweilen wirkt das Pochen auf Wissenschaftlichkeit unfreiwillig komisch. Wenn Waldmann beispielsweise den Nachahmungseffekt terroristischer Aktionen durch die Berichterstattung in den Medien untersucht heißt es zunächst: Für den nicht politischen Bereich ist erwiesen, dass medialen Gewaltinformationen und ‑darstellungen, vor allem wenn sie auf realen, nicht bloß fiktiven Vorgängen und Ereignissen beruhen, unter Umständen ein gewisses Ansteckungspotential zukommen kann. Schon die Formulierung »unter Umständen…kann« ist reichlich unverbindlich. Im nächsten Satz relativiert Waldmann dann auch noch diese schwammige Aussage: Ob sich nun diese Erkenntnis auch auf den Terrorismus übertragen lässt, ist eine komplexe und brisante Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Warum dann also dieses Aufheben?
Immer wieder stellt der Autor Thesenpunkte zusammen – um sie dann flugs in scheinbarer Präzisierung und Perfektionierung einzuschränken. So wird der mehrmals erwähnte Rechtsterrorismus (der mit dem Zusatz vigilantistisch versehen wird) als eigentümliche[r] Zwischenplatz in der Dichotomie »Terror von oben« und »Terror von unten« aufgeführt. Waldmann führt Unterschiede zu den sozial-revolutionären und ethnisch-nationalistischen Terrororganisationen an (letztere wäre sicherlich mit dem Zusatz »sezessionistisch« besser spezifiziert), die jedoch bei näherer Sicht nicht immer greifen. Rechtsradikale Gewalt (wieso »nur« »Gewalt«?) sei ein typisches Gruppendelikt, so Waldmann. Aber das ist ein Allgemeinplatz und nicht auf Rechtsradikale beschränkt (wie er an anderer Stelle im Buch aufzeigt). Und nicht nur im Rechtsterrorismus gibt es »Teilzeitterroristen«. Auch die Aussage, die rechtsterroristischen Aktionen seien eine Mischung aus spontanem Entschluss und gezielter Planung und oft unter Alkoholeinfluss geplant worden, sticht nicht besonders.
Zutreffend scheint dann wieder die Feststellung, rechtsterroristische Kreise seien auf marginalisierte soziale Gruppen fokussiert, die wehrlos sind und vor die sich niemand stellt. Interessant ist dabei weniger, dass das Ziel der Anschläge sei, in der betreffenden Bevölkerungsgruppe Angst und Schrecken auszulösen (das ist ja genuin für jede Form von Terrorismus), sondern ihre Angehörigen nach Möglichkeit dazu zu bewegen, das Land beziehungsweise den betreffenden Ort zu verlassen (eine Aussage, die auch für den ethnisch-sezessionistischen Terrorismus gilt). Würde diese Einschätzung zutreffen, wäre die »NSU« keine terroristische Vereinigung gewesen (Waldmanns Buch war vor den Enthüllungen zur »NSU« fertiggestellt), während der in einigen Gebieten besonders in Ostdeutschland agierende Straßenmob, der »ausländerfreie Zonen« propagiert, sehr wohl dazugehört.
Vollends im Pendeln zwischen These und Ausnahme verheddert sich Waldmann in den Portraits von vier Terroristen. Es wird sogar die Frage nach dem statistischen Durchschnittsterroristen aufgeworfen und tatsächlich eine Typologie entwickelt – die wenige Zeilen später relativiert wird, weil sie nicht verabsolutierbar ist. Wenn die recht dürftigen Portraits etwas zeigen, dann nur die weit differierenden biografischen Anlässe und Motivationen für terroristische »Karrieren«. Am Ende hat man rund 30 Seiten ohne besonderen Erkenntnisgewinn gelesen.
Zuweisungen
Waldmann zeigt kursorisch, wie der Terrorismus seit Jahrtausenden in der Menschheit verankert ist. Sehr instruktiv ist das Kapitel über die Geldbeschaffung terroristischer Organisationen. Es wird gezeigt, wie die Entwicklung von eher rustikalen Raubzügen über Entführungen und Kontakten zur organisierten Kriminalität (bspw. kopierte man das »Modell« der Schutzgelderpressungen), der Finanzierung durch Despoten anderer Staaten bis hin zum legalen Unternehmertum durch Sympathisanten fortgeschritten ist. Erhellende Einsichten, die erstaunlich wenig Berücksichtigung finden.
Der Autor ist augenscheinlich ein Freund ausgiebiger Statistiken – insbesondere mit den Zahlen von der »RAND Corporation«, einer Denkfabrik aus den USA mit durchaus neokonservativem Potential. Durch die Monstrosität des Anschlags von 2001 (besonders was die Opferzahlen angeht), bekommen die Statistiken jedoch eine Schlagseite. Gänzlich schwierig wird es, wenn die Opferzahlen terroristischer Gruppen zwischen 1910 und 2000 nach Ideologien erfasst werden. Die Problematik beginnt bereits mit den Zuordnungen »linksextrem«, »ethnisch-nationalistisch«, »religiös« und »rechtsextrem«. Da hätte man im Einzelfall gerne gewusst, wie beispielsweise die ETA, die IRA oder auch die nordirischen Protestanten eingeordnet werden (78 Seiten später erfährt man, dass die ETA als »ethnisch-nationalistisch« eingeordnet wird – was nur teilweise stimmt, da der baskische Nationalismus der ETA parallel zu einer sozialistischer Gesellschaftsordnung vertreten wurde.)
Zudem neigt Waldmann dazu, den Begriff des »religiösen« Terrorismus in Bezug auf al-Qaida und deren Nachahmer voreilig zu festzuschreiben. Das religiöse Motiv sei im internationalen Terrorismus derzeit dominierend, so die These. Zwar verweist er auf den pan-nationalistischen, territorialen Anspruch von al-Qaida, der sich jenseits der Durchsetzung eines wie auch immer definierten radikalen Islam bewegt, verfolgt diese Fährte jedoch nicht weiter. Stattdessen setzt er voll auf die Theorie einer »Renaissance des Islam«, obwohl die sozialen Missstände und die paternalistische[n] politische[n] Führungssysteme in den Mittelost-Staaten, die man als Ursache zur Hinwendung an den Islam benennen könnte, durchaus gestreift werden. Waldmann macht die islamische Revolution im Iran von 1979 als definitive Rehabilitierung des islamisch-arabischen Lagers (sic!) aus. Dabei vergisst er die spezifische Vorgeschichte des Iran (Mossadegh und die Unterstützung durch den Westen für das korrupte Schah-Regime). Wenig bis gar nicht wird auf den in den 1970er Jahren beginnenden immer schneller fortschreitenden und als Bedrohung für die originären Werte empfundenen Einfluss des westlichen Konsumismus in die bis dahin eher rural geprägten arabischen Räume eingegangen. Auch die als einseitig empfundene Unterstützung Israels durch den Westen thematisiert er nicht.
Über die Motivationen von Selbstmordattentätern erfährt man ebenfalls leider wenig. Zwar werden in einem Halbsatz die LTTE erwähnt (die säkulare, sezessionistische Terrororganisation der »Tamil Tigers« auf Sri Lanka), am Ende rubriziert er jedoch den Selbstmordangriff ausschließlich als in jenseitigen Heilsversprechen angelegt. Die sozialen Implikationen kommen nicht vor.
Keine Horrorszenarien
Horrorszenarien mit Angriffen von Terroristen durch ABC-Waffen erteilt Waldmann eine besonnene und gut begründete Absage. Er weist darauf hin, dass Terrorismus in einer freien Gesellschaft nicht einzudämmen ist, ohne grundsätzliche Werte dieser Gesellschaft einzuschränken. In diesem Zusammenhang sind die Erörterungen über die Reaktionen und die Reaktionsangewiesenheit terroristischer Akte, insbesondere in und von Rechtsstaaten, durchaus interessant. Mehr Informationen hierzu gibt es allerdings in Louise Richardsons Buch »Was Terroristen wollen«, in dem sie – unter anderem – ihre »3R«-Theorie entwickelt.
In Waldmanns Sicht auf das vermeintliche Ende terroristischer Organisationen fehlt eine Komponente. Er entwickelt drei Formen der Beendigung terroristischer Feldzüge: Zum einen die militärische Niederlage, zum zweiten die Zerschlagung der Organisationsstrukturen oder – drittens – die freiwillige Auflösung des Gewaltverbandes (letzteres war/ist hauptsächlich bei den mitteleuropäischen Linksterroristen zu beobachten). Nur in einem Halbsatz erwähnt er, dass terroristische Organisationen sehr wohl zu staatstragenden Institutionen aufgestiegen sind. Dabei gibt es hierfür zahlreiche Beispiele für diese Form der Domestizierung von Terroristen wie PLO, ANC, IRA oder MPLA (um nur einige zu nennen). Könnte es nicht sein, dass von der Geschichte dieser längst fast durchgängig anerkannten ehemaligen Terror-Organisationen ein gewisser Anreiz für heutige Aktivisten ausgeht?
Es ist zwar nicht primär die Aufgabe eines eher beschreibenden Buches Lösungsvorschläge anzubieten. Aber wenn es am Schluss dann doch ein Kapitel in dieser Hinsicht gibt, kann man es auch kritisieren. Hierzu besteht allerlei Grund. Denn Waldmann schreibt hauptsächlich, was nicht erfolgversprechend (Entwicklungshilfe, militärische Interventionen) für eine Eindämmung des Terrors bzw. einem Rechtsstaat nicht zuzumuten sei (Verhandlungen). Wiederum hat Louise Richardson hier mehr zu bieten.
Trotz der vielleicht geballt erscheinenden Kritik ist Peter Waldmanns Buch als Einstieg in die Thematik durchaus zu empfehlen. Nach der Lektüre kann man wenigstens die Binsenwahrheiten der üblichen Nachrichtenexperten problemlos ignorieren.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Ein Terrorist befindet sich vielleicht tatsächlich in dem Dilemma, dass er Effekt und Motiv gleichermaßen kalkulieren bzw. vermitteln muss, allerdings lenkt der Effekt leicht vom Motiv ab (oder überdeckt es).
Ich kann mir vorstellen, dass hinsichtlich des Terrorismus eine Diskrepanz zwischen Auslöser und Motiv bestehen könnte (dass also der Auslöser eines Terrorakts nicht dem artikulierten Motiv entspricht). Sagt Waldmann dazu etwas?
Eher nicht. Zwar gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte über die Auslöser terroristischer Aktivitäten, bspw. in den angesprochenen Portraits. Hier spielen dann persönliche Motivationen eine Rolle (auch Gruppendruck). Beim Radikalisierungsprozess von »islamistischen« Terroristen heißt es dann einmal: Die entsprechende individuelle Entscheidung hat meistens eine längere Vorgeschichte. Dann ist noch von subtilen Vorurteilen und Diskriminierungen die Rede, die dann die häufig gebildeten, meist jugendlichen Männer in eine tiefe Unruhe versetzt. Mir ist das ein bisschen zu holzschnittartig. Vielleicht hätte man besser die europäischen Linksterroristen (RAF oder BR) untersuchen sollen; hier dürften mehr empirische Daten vorliegen. (Bei der RAF machten z. B. fast nur Mittelschichtkinder mit; der mit großer Verve vorgetragene sozialrevolutionäre Impetus spiegelte sich niemals in der Sympathisanten- bzw. Mitgliederstruktur.)