»El Greco und die Moderne« – so heißt die Ausstellung im Düsseldorfer »Museum Kunstpalast« (noch bis 12. August). Rund 3 Millionen Euro kostet dieses Spektakel. Kein Wunder, dass auch am obligatorischen Freitag, dem Montag, die Ausstellung geöffnet ist. Am Wochenende dürfen die Massen als Ausgleich dafür, dass es voller ist auch 14 Euro (statt 12) bezahlen (Ermäßigungen entsprechend).
Leer war es auch an diesem Mittwoch Nachmittag nicht. Man sah mindestens zwei kopfhörerbewaffnete Schauer, die ihren in Mikrophone sprechenden Führern folgten (die Interpretations-Beschallungen gehören wohl der Vergangenheit an). Andere fuchtelten mit Geräten herum, die wie etwas zu groß geratene Mobiltelefone aussahen. Für 3 oder 4 Euro Mietgebühr kann man sich hier ausgewählte Bilder erklären lassen. Wie immer waren diejenigen, die mir am besten gefallen haben, nicht dabei. Die groß avisierte kostenlose App (»mit Audioguide«) konnte im Museum mangels Empfang nicht geladen werden. Draußen brach sie dann zusammen. Auch noch ein Versuch zu Hause misslang; die fast 90% schlechten Bewertungen sind berechtigt.
Der Film über El Greco fiel leider aus, so dass wir sofort in die Ausstellung gingen. Dort sind sie also, die »etwa 40 bedeutenden« Bilder (Museumsprospekt) von El Greco, der eigentlich Domínikos Theotokópoulos hieß, 1541 geboren wurde, nach Spanien ging und dort 1614 hoch angesehen starb. Später erkennt man, warum es »etwa« oder – (Webseite) – »rund« heißt, denn einige Bilder entstammen der »Werkstatt« El Grecos, und ab und an gibt es ein »?« beim Maler. Die El Greco zugeschriebenen Bilder sind fast alle in der Mitte des Raumes angeordnet. Rechts und links davon dann Werke der Moderne, von Kokoschka, Oppenheimer, Max Beckmann, Delaunay, Picasso, Macke, Schiele, Ludwig Meidner, Franz Marc, später, eine Etage höher dann noch mehr Expressionisten wie Heinrich Nauen und Max Ernst (»Rheinische Expressionisten«). Es gibt sogar Skulpturen des wunderbaren Wilhelm Lehmbruck, die von Ferne an die langgestreckten El-Greco-Protagonisten erinnern (sollen), aber mehr wie Giacometti-Vorläufer wirken (die wohl zu teuer gewesen sein dürften).
Zwischendurch entdeckt man auch zwei Cézanne. Dabei soll suggeriert werden: Cézanne hat seine Totenköpfe dem von El Greco abgeschaut. Ein Buch von 1936 liegt in einer Vitrine aus, in dem Cézannes Kopie eines El Greco-Portraits thematisiert wird. Die beiden Seiten, die aufgeschlagen sind, werden nicht übersetzt; über evtl. Hintergründe erfährt man nichts.
Geradezu krampfhaft versucht die Düsseldorfer Ausstellung den El-Greco-Boom, der sich vor fast einhundert Jahren insbesondere in Deutschland ereignete, als ein irgendwie besonderes Epochensignal aufzuhübschen. Dazu passen die an die Wand geworfenen Texte mit Zitaten von mehr oder weniger bekannten Künstlern, die El Greco mal mit Cézanne (also einem Impressionisten) und mal mit den Expressionisten in Verbindung sehen.
Natürlich sind die zum Teil blassen, physiognomisch merkwürdigen Gestalten auf den Bildern El Grecos sehr ungewöhnlich für seine Zeit. Und tatsächlich gab es durchaus Schwierigkeiten bei den Zeitgenossen mit diesen Darstellungen. Aber El Greco blieb von den Inquisitoren der Gegenreformation scheinbar unbehelligt. Besonders »modern« und fast mysteriös wirkt da »Die Vision des Heiligen Johannes« im »Fünften Siegel der Apokalypse«. Die Deutungen zu diesem Bild sind immer noch im Gange. Aber ist die Tatsache, dass er einige Künstler im 20. Jahrhundert zu Motiv-Variationen inspirierte schon Grund genug, El Greco als einen Wegbereiter der Moderne zu sehen? Beat Wismer, Generaldirektor des Museums, macht ihn sogar zum Vordenker des Existentialismus, wenn er schreibt, El Greco sei eine »Schlüsselfigur […], das In-die-Welt-Geworfen-Sein des modernen Menschen darzustellen.«
Sicherlich, Heilige wurden von ihm (fast) profanisiert; es gab kaum Herausstellungsmerkmale (außer bei Jesus [der mal salbend, dann wieder somnambul wirkt; s. Bild]) und der Gottesmutter, die wie von hinten angestrahlt wirken). Man könnte El Grecos Darstellungen als »nüchtern« bezeichnen; sie hatten kaum noch Erhabenes. Hier bleibt der Heilige Mensch (was er zu seinen Lebzeiten ja auch meist nur war); hier darf er’s sein. Sie bleiben zumeist nur durch Zeichen zuzuordnen. So trägt der Heilige Jakobus immer den Pilgerstab in einer Hand (während die andere grazil verbogen ist). Und Petrus ist mit dem Himmelsschlüssel dargestellt. Aber ist das wirklich so revolutionär? Man vergleiche El Grecos Petrus-Bild mit dem von Peter Paul Rubens: El Grecos Figur ist hager und schlank, Rubens malt schon im Barockstil. Aber beide kommen ohne den Heiligenschein aus. Und auf einem anderen Portrait wirkt Petrus ähnlich fragend wie bei Rubens. (Im viel gerühmten und ebenfalls mysteriösen Laokoon-Bild hat eine der Figuren verblüffende Ähnlichkeit mit Petrus.)
Auf der dritten Etage sind im Gang nur einige wenige expressionistische Grafiken aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts zu sehen. Hier kam mir dann – zu spät – die Einsicht, wie man sich dieser Ausstellung nähern müsste (womöglich mit einem der kostenlos zur Verfügung gestellten Klappstühle): Die Parallelitäten, die uns der/die Kuratoren einreden wollen, sollte man ignorieren. Stattdessen zunächst die El Greco zugeschriebenen Bilder (die zum Teil ziemliche stilistische Brüche offenbaren, die einem sonst gerne durchgehen) anschauen und – geniessen. Sodann die Eindrücke bei einem Kaffee ordnen (das Geklapper des Innenhof-Bistros ist zuweilen hörbar). Danach dann die Ausstellungsstücke der Moderne auf sich wirken lassen. Die an den Wänden angebrachten Erläuterungen und zum Teil zwanghaften Verknüpfungsversuche können getrost ignoriert werden.
Wer sich wundert, dass es so wenig Bilder gibt – ich wurde »erwischt«, als ich ein wunderbares Bild von Max Beckmann fotografierte (das ich nur noch verschwommen habe). Der verkabelte Museumswächter nötigte mich – das Hausrecht zitierend – nicht nur das Fotografieren einzustellen, sondern die beiden Bilder, die er beobachtet hatte, auf meinem Smartphone zu löschen. Andernfalls drohte er mit freiheitsberaubenden Maßnahmen. Ein deutlicher Hinweis, dass das allgemeine Fotografierverbot rein gar nichts mit dem Schutz der Objekte zu tun hat (was hier für eine interessante Diskussion sorgte) – sondern mit dem irgendwelchen Rechten auf das Bild. Wobei dieses Bild (und noch zwei andere) natürlich gar nicht als Postkarte zu erwerben war (womöglich jedoch im Katalog).
Kunsthistorisch wertvollere Erläuterungen als meine: Hanno Rauterberg (»Die Zeit«; besonders erwähnenswert: die Bildergalerie) und Karin Hellwig (»NZZ«). Die jeweiligen Titel nicht verwechseln: »Ekstase für immer« vs. »Ekstase und Rausch«.
Stimmt, wenn sich die Museumsverwaltung beim Fotografieren von Ölgemälden zickig zeigt, dann geht’s nur ums Geld. Wobei das Bildrecht, auf das sich Museen in Deutschland gerne berufe, ziemlich schwach ist: http://de.wikipedia.org/wiki/Bildrechte#Bildrechte_in_Museen.2C_Archiven_und_Bibliotheken
Deswegen rudern da viele Museen langsam aber sich zurück: So darf man in Stuttgart mittlerweile als normaler Besucher fotografieren, nur Blitz und Stativ darf man nicht benutzen.
Diese Verwandlung der Ausstellungserfahrung in ein komplett durchökonomisiertes Konsumevent, was bei diesen »Blockbuster«-Ausstellungen fast zwangsläufig ist, denn allein die Leih- und Versicheurngskosten sind extrem hoch, geht mittlerweile schon soweit, dass ich in einigen Ausstellungen schon Probleme bekommen habe, wenn ich für meine Begleitung eine kleine impromptu-Führung mache. Offensichtlich sind die Aufsichten darauf eingeschworen, dass Führungen / Informationen Instrumente zur Refinanzierung (und für das »Branding«, noch so ein ökonomistischer Unsinn) sind, so dass Selbst-Denken oder gar sich als Publikum im gemeinsamen Räsonnieren über das, was man da sieht, zu ergehen, nicht mehr erwünscht ist. Viele bürgerliche Museumsgründer und ‑stifter aus dem 19. und 20. Jahrhundert würden sich über die aktuellen Gepflogenheiten in ihren Museen sehr wundern.
Sieht man El Grecos, wie zum Beispiel im Metropolitan oder in Madrid, zwischen seinen spanischen Zeitgenossen hängen, erkennt man ganz gut, dass wir es hier nicht mit einem Bildrevolutionär zu tun haben, sondern einem sehr angesehenen Maler des spanischen gegenreformatorischen Establishments, Inquisitoren inklusive. Das macht die Begeisterung für ihn unter den deutschen Expressionisten ganz besonders amüsant. Ganz besonders wenn man sich klar macht, dass die meisten kein einziges Original gesehen haben, sondern v.a. extrem auf Kontraste ausgerichtete Schwar-Weiß-Reproduktionen in Kunstzeitschriften und ‑büchern.
Wirklich interessant fände ich eine Ausstellung, die sich mit der seltsamen Rolle der spanischen gegenreformatorischen Malerei des 17. Jahrhunderts für die Selbst-Findung und ‑Definition der sich selbst als modern verstehenden Maler um 1900 befasste: Als eines der rückständigsten Länder Europas bekommt Spanien anscheinend die Rolle des europäischen Primitiven zugewiesen, das Gegenmodell zur Moderne der Großstädte. Seit den 1840er Jahren (Merimées Carmen) treten in Paris (und dann auch in den anderen Metropolen) regelmäßig Spanien-Moden auf, bei denen man sich am Primitivismus und der Authentizität der wackeren Iberer erfreut. Picassos früher Ruhm basiert nichtzuletzt auf seiner »Spanischkeit«, die er auch später offensiv ökonomisch ausgebeutet hat. (Womit ich nicht in Abrede stellen will, dass seine Auseinandersetzungen mit dem Spanisch-Sein auch ganz existentiell waren.)
Wie schon im verlinkten Artikel anklingt, kann man eigentlich nicht mit dem Recht auf das Bild ein Fotografierverbot umsetzen wollen, sondern mit dem sogenannten »Hausrecht«. Dass man mich gezwungen hat, die Aufnahmen zu löschen dürfte jedoch mit dem Hausrecht in keinem Fall gedeckt sein. Schließlich kann man in Bibliotheken auch Fotokopien für den Eigenbedarf anfertigen.
Vor einigen Wochen gab es eine sehr interessante Diskussion auf SWR2 über die sogenannte »Museumsbesuchstudie«, u. a. mit Hanno Rauterberg, der in sehr intelligentem Disput mit einer Kuratorin (und »Blockbuster«-Verfechterin) geriet. Man kann das vielleicht noch ein paar Wochen herunterladen; ca. 20 MB. Wirklich lohnenswert!
Ganz herzlichen Dank! Frau Lange wird die neue Chefin der Staatsgalerie Stuttgart, meines »Heimatmuseums«. Na großartig ... ich hasse Blockbuster-Ausstellungen.
Frau Langes Ausführungen erinnern fatal an die der Quoten- und Auflagenfetischisten in Fernsehen, Rundfunk und Presse. Als heilige Quantität alles. Rauterberg gibt ihr wunderbar Contra.
Ich habe leider noch kein Bild El Grecos im Original gesehen (einmal eine Ausstellung über ihn versäumt, was mich jetzt wieder ärgert), aber selbst bei der ersten Fotografie die ich vor vielen Jahren sah, dachte ich mir: Solche Bilder zu dieser Zeit! Anders anders, sozusagen, als Bosch oder Grünewald (Isenheimer Altar). Ob man das modern nennt oder nicht, ist eine Frage der Interpretation. Mir scheinen einige (!) seiner Bilder, wenn ich mir die Galerie der Zeit durchsehe, noch immer sehr außergewöhnlich (z.B. den Heiligen Jacobus den Älteren oder die Öffnung des fünften Siegels).
Ich hatte in der letzten Zeit immer wieder das Gefühl, dass Ausstellungen und Thematiken manchmal an den Haaren herbeigezogen werden. Weil man Geld verdienen muss. Oder gehört werden will. Oder meint etwas machen zu müssen.
Vor einiger Zeit war in Düsseldorf auch so eine völlig überlaufene Monet-Ausstellung, zu der man mehrere Stunden anstehen musste. Habe ich mir damals auch angetan und kann mich nur noch an ein paar Bilder erinnern. Von dieser Erfahrung würde ich den Einwänden gegen Quoten‑, Massenkunst zustimmen. Allerdings kam es mir in dem verlinkten Interview dann doch schon beinahe etwas.. bedenklich vor, wie die beiden Herren die Dame bearbeiteten, die sich vielleicht nur rhetorisch nicht so geschickt wehren konnte. Was hatten die beiden denn schon als Gegenposition zu bieten? Die »Elite-Kunst«, die der eine zu Ende propagierte, ließ für mich auch schon tief blicken. Von den Unis sollte man doch wissen, wie das aussieht; ein Label, dass die Massen anziehen soll, genauso wie die ‘großen’ Namen in der Kunst. (Meine letzte Austellung war, glaube ich, ein Guggenheim und das war für mich so eine abschreckende Versammlung bekannter Namen)
Ich weiß nicht, ob dabei nicht eigentlich die Frage nach der Demokratisierung von Kunst gestellt ist. Und gerade erscheint mir das doch nicht so abwegig: wenn schon Geld der Allgemeinheit ausgegeben wird, um ihr Kunstwerke zugänglich zu machen, dann sollte auch dafür gesorgt werden, dass ein paar Leute in diesen Genuss kommen. Dass dabei große Namen, große öffentliche Aufmerksamkeit/Hypes mehr Leute in die Ausstellung spülen, ist in unserer Massenkultur/-gesellschaft zunächst einmal so. Das darzustellen, zu reflektieren, zu unterwandern könnte Aufgabe von Kunst oder Kuratoren sein.
PS. Wenn ich mich vor etwa 8 Jahren nicht getäuscht habe, hingen damals einige El Grecos in Kirchen oder öffentlichen Gebäuden in Toledo herum. (Ohne Eintritt und Auszeichnung der Werke – vielleicht waren’s auch nur Reproduktionen)
Naja, vielleicht war es nicht mangelnde Rhetorik bei Frau Lange, sondern einfach nur die schlechteren Argumente? Tatsache ist doch, dass die Vermassung von Kunst, Kultur aber auch Medien in Hinsicht auf eine möglichst breite Zustimmung unter Weglassung von Komplexität geschehen soll bzw. geschieht. Und dies in vorauseilendem Gehorsam. Das führt am Ende zum Niveau von »Bild«, »BamS« und »Glotze«. Dass sich Ausstellungen rein über die Besucherzahlen und die ökonomischen Faktoren als Erfolg oder Misserfolg definieren, ist die Kapitulation zur Eventisierung. Es findet ausschließlich eine quantitative Legitimation statt (»Quote« nennt man das im Fernsehen und Rundfunk; »Auflage« bei Buch und Presse), die rein gar nicht über die Qualität aussagt. Diese zu beurteilen gilt per se längst als »problematisch«. Schließlich haben wir ja Postmoderne.
Der Einwurf oder die Befürchtung, es handele sich um »Elite-Kunst« ist – pardon – ein mir fast lächerlich erscheinender Pleonasmus: Kunst ist per se elitär. (Die moderne Kunst ist mir beispielsweise derart elitär, dass ich versuche, sie zu meiden.)
Es mag schick sein, alles mögliche zu »demokratisieren«, aber dann sollte man auch die Folgen davon bereit sein zu tragen. Als es diese Formulierung noch nicht gab, pries man uns das Privatfernsehen als zusätzliche Instanz für pluralistisches Fernsehen. In Wahrheit ging es darum, dass einigen Politikern ihr Einfluss auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht groß genug war und sie nun hofften mit »freien« Journalisten eine Gegenwelt zu schaffen. Die Realität ist bekannt. Umgesetzt auf Kunst bedeutet dies eben Blockbuster-Ausstellungen mit überfüllten Sälen, in denen Gruppen hindurchgeschleust werden als handele es sich um Theken von Bäckereien.
Zu der Demokratisierung von Kunst hatte ich weder gesagt, ob ich sie befürworte, noch was darunter verstanden werden könnte. Statt Vermassung, Verflachung könnte man sie zum Beispiel auch über (diskursive) Anschlussfähigkeit definieren, darüber dass das Werk eben (prinzipiell) allen nicht nur physisch zugänglich sei. – Ich möchte das erst einmal gar nicht fordern, denn sobald man das tut, könnte das gleich eine Gegenposition provozieren, aber ich denke, dass eine gewisse Grundverständnismöglichkeit für ein Werk schon sinnvoll wäre.
Auch beim Zweiten, dem Elitären der Kunst, ist für mich die Begriffsbestimmung beziehungsweise der Zungenschlag entscheidend. Wenn Elite nur heißt Distinktionsgewinn, dann sind wir nämlich genau wieder bei dieser Diskussion der 70er Jahre oder davor. Und diesen Eindruck habe ich leider oft vom Bürgertum wie es mir von der Zeit präsentiert wird oder Kunst- und Kulturbeflissenen: dass es sich in die kuschlig-einsam-elitären Zeiten voriger Jahrhunderte zurücksehnt, dass es eben auch nur um elegant lancierte Gedankenbruchstücke geht. (Natürlich geht das wiederum jedem von uns so: Das sind immer die anderen die nur auf Distinktionsgewinn aus sind.) Man kann Elite nur als Label verstehen. Wie die Unis, die mit ihrem Prestige größere Massen anziehen wollen. Deutschland sucht das Elite-Museum.
Das ist vermutlich die völlige Umkehrung, dessen was Sie in diesen Begriff legen wollten, aber darauf kommt es gerade an; womit man diese befüllt. Und in Bezug auf den Begriff Kunst hatte ich bei obigem Gespräch nicht das Gefühl, dass die beiden Herren den mit so viel mehr Substanz füllen konnten – da war nicht viel mehr als die negative Bestimmung: Kunst muss keine Quote.
Vielleicht sind wir näher beieinander, als es scheint.
Man lasse doch die »Zeit«-Elfenbeintürme (bzw. deren Ruinen) unangetastet links oder rechts liegen. Sie spielen doch am Ende gar keine Rolle mehr. Man sollte sagen: Eine Ausstellung ist nicht alleine deswegen besonders gut, weil sie wenig besucht und/oder heftig kritisiert wurde. Aber sie ist auch nicht alleine deswegen gut (oder ein »Erfolg«), weil sie viele Besucher hatte. In der Literatur ist das doch ähnlich: Ein Buch ist nicht automatisch schlecht, weil es ein Bestseller ist. Und ein anderes ist nicht deswegen schon gut, weil es nur 100 x verkauft wurde. In diesem Sinn löst sich der Vorwurf des Elitären von selber auf.
Man sollte aber akzeptieren, dass die Bilder von Picasso oder auch Cézanne (wie die Bücher von Kafka oder Thomas Mann) niemals einen großen Massengeschmack treffen werden. Insofern sind ja auch Blockbuster-Ausstellungen mit 100.000 oder 300.000 Besuchern (über mehrere Monate verteilt) noch immer Minderheitenprogramme. Daher stellt sich die Frage, ob ich die Latte des Zugangs bewusst niedrig wähle oder vielleicht ein bisschen höher. Aber was nutzt es, wenn von 300.000 Leuten vielleicht ein Drittel nach 15 Minuten ins Café abwandert? Ich habe auch schon Ausstellungen besucht, wo mir dies passiert ist. Warum wird der Erfolg eines Museums oder einer Ausstellung ausschließlich an Besucherzahlen festgemacht? Klar, es geht um Legitimation (von Steuergeldern), aber warum begibt sich Kunst und Kultur in diese Ökonomiefalle? (Es ist dieselbe Falle, in der auch die öffentlich-rechtlichen Medien allzu bereitwillig tappen.)
Ist nicht die Angst vor dem soigniert daherkommenden Distinktionsgewinnler (mir fällt da – bezogen auf die Literaturkritik – immer Raddatz ein) auch ein bisschen 70er Jahre? Das ist keine despektierlich gemeinte Frage. Sind nicht längst Galeristen und Kuratoren weitgehend entzaubert, oder, besser: ent-sakralisiert? Was hindert das mündige Publikum, sich über die zuweilen lächerlichen Verbiegungen moderner Interpretatoren hinweg zu setzen und ihre eigene Deutung anzubieten und offensiv zu vertreten (und notfalls mit ihr zu scheitern)? Wer liest denn all den Schrott noch, der da über Ausstellungen im Vorfeld publiziert wird (wenn es nicht sowieso Pressetexte sind, die unendlich wiederholt werden)? Sie merken, ich bin jemand, der den nackten König als nackt bezeichnet sehen möchte, wenn er es denn ist. Ich plädiere für einen neuen Purismus, der sich jenseits von selbsternannten Deutungseliten oder Kuratoren, die dem potentiellen Besucher alles möglichst mundgerecht servieren wollen, bewegt. Wenn ich Erklärungen wünsche, sollten diese parat stehen. Aber nicht vorauseilend schon eine Richtung angeben. Weniger kann zuweilen mehr.
Wenn Krethi und Plethi nicht in die Ausstellung gehen, macht das doch nichts; Kunstliebhaber sind nicht per se bessere Menschen (von Künstlern ganz zu schweigen).
Ich habe das Interview noch nicht gehört, aber mir scheint ein wichtiger Punkt, auch hier in der Diskussion, übersehen zu werden: Es ist völlig belanglos ob man sich merkt welche oder wie viele Bilder man von wem gesehen hat. Eine Ausstellung zu besuchen bedeutet (besser) sehen zu lernen, den Blick zu schulen, sein ästhetisches Vermögen zu bilden und zu entwickeln.
Bilder oder Plastiken selbstständig betrachten zu können, zu interpretieren und zu verstehen, darum geht es doch. Nein, nicht Kunst immerfort erklären, man muss lernen (irgendwann) selbsttätig zu werden.
@Gregor
Lese gerade, dass Du etwas ähnliches in Kommentar 9 schreibst.
Um den Schluss zu ziehen: Demokratisierung von Kunst bedeutet dann im Ergebnis eine Emanzipation von einseitiger Kunsterklärung hin zu einer weitgehend selbständigen ästhetischen Betrachtung und Interpretation.
»Demokratisierung« klingt mir zu sehr danach, als könne man über Kunst und Kunsturteile per Mehrheitsentscheidung Einigung erzielen. Das ist es eben auch nicht. Ich halte es beispielsweise für einen großen Irrtum, dass man über Literaturpreise abstimmen kann (alleine die Voraussetzungen sind viel zu vage).
Das meinte ich jedenfalls nicht. Aber mir scheint manchmal die Angst vor der Masse, Angst vor dem Verlust der Deutungshoheit zu sein. Diese Hoheit infrage zu stellen indem es jeder selbst lernt und versucht und schließlich auch kann, wäre ein geradezu aufklärerisches Unterfangen.
Was hindert das mündige Publikum, sich über die zuweilen lächerlichen Verbiegungen moderner Interpretatoren hinweg zu setzen und ihre eigene Deutung anzubieten und offensiv zu vertreten (und notfalls mit ihr zu scheitern)?
Die Beschreibungen, die Sie da anbringen, könnten auch als im Besten Sinne »demokratisch« verstanden werden. Wie ich mir die öffentlichen Sender auch vorstelle: als ein Angebot, welches wahrgenommen werden kann, oder auch nicht. – Tut mir leid, dass ich diesen misslichen Terminus ins Spiel brachte, von dem metepsilonema möglicherweise auch noch eine dritte Auffassung hat. Noch schillernder ist aber ja der Begriff Kunst selbst. In der Tat sind unsere Ansichten so verschieden wahrscheinlich nicht – vielmehr die Begriffswahl und ‑verwendung dissentieren.
Möglicherweise erscheint die Kunst zu erhaben, oder man traut sich keine Selbstständigkeit zu (oder erkennt nicht, dass das ein Lernprozess ist).
@Phorkyas
Bei dem Begriff »Demokratisierung« zieht sich bei mir eben alles zusammen. Es ist für mich deutlich mehr als nur die Auswahl zu haben zwischen »ja« und »nein« (ansonsten wäre ja das Feuilleton immer schon »demokratisch« gewesen). Wie der Begriff derzeit politisch verwendet wird, läuft er auf eine Nivellierung hinaus, an eine Anpassung an den Mehrheitsmeinungen, die alleine durch ihre Quantität Legitimation ausüben. Geschickt wird er zuweilen als weitergehende Variation der »Schwarmintelligenz« gebraucht. Tatsächlich geht ja das demokratische Legitimationsverfahren davon aus, dass, je mehr Leute an einem Entscheidungsprozess teilnehmen, je geringer die »Fehlerquote ist«. Daher vergöttert man ja so etwas wie »Wahlbeteiligung« (um nicht die leidige Quoten- oder Auflagendiskussion zu beleben) bzw. glaubt, dass eine möglichst hohe Partizipationsquote per se schon die »richtigen« Ergebnisse zeitigen wird. Dabei ist oft genug schon im voraus klar, wie die »richtigen« Ergebnisse auszusehen haben.
Demokratie ist nun in dem Dilemma gefangen, dass sie einerseits Minderheiten entsprechend berücksichtigen muss, andererseits jedoch das Instrument der Mehrheit braucht, um entsprechende Entscheidungen zu treffen. Dabei ist es eigentlich selten, dass es absolut falsche bzw. absolut richtige Entscheidungen in politischen Prozessen gibt. Meist handelt es sich um grundlegende Überzeugungen, die dann in entsprechende Handlungsmaxime (Gesetze) übertragen werden. Durch Wahlen wird entschieden, welcher Art die Richtung(en) sind, die politisch eingeschlagen werden. Nur Ideologen glauben, dass es eine richtige und eine falsche Richtung gibt. tatsächlich sind politische Entscheidungen selten von einer solchen Eindeutigkeit.
Dieses Dilemma gibt es nun auch bei ästhetischen Beurteilungen. Spätestens seit der Postmoderne ist einigermaßen klar, dass die Zahl der verbindlichen Vorgaben schwinden (ich glaube nicht, dass sie ganz verschwunden sind; man könnte sehr wohl ästhetische Imperative aufstellen). Aber bildende Kunst, Musik und/oder Literatur können nicht einfach wie die Politik Mehrheitsentscheidungen unterworfen werden. (Dass dies de facto passiert, ist eine andere Sache.)
Aber der Widerstand gegen die Deutungseliten nimmt natürlich nicht nur in der Politik zu. (Und ich rede hier noch nicht einmal von Literaturforen, die Geschmacks-Meinungen abgeben und dies als »Rezension« bezeichnen.) Einen wesentlichen Anteil daran tragen die »Produzenten« und deren Vermarkter selber. Ein bildender Künstler muss sich heute – wie auch immer – inszenieren. die Königsdisziplin der Inszenierung ist die Provokation. Diese braucht jedoch Multiplikatoren. Und prompt entsteht dieser elitäre Zirkel, dem – so verstehe ich Sie – Ihre Abneigung gilt.
Ich würde dahingehend tendieren, Kunst (zunächst) möglichst ohne die gängigen Deutungseliten wahrzunehmen. Für mich ideal und kongenial wurde dies von metepsilonema hier zusammengefasst (insbesondere der letzte Satz.