Sou­ve­rä­ni­ti­sten und Ge­braucht­wa­gen­händ­ler

Wenn man ei­ni­ge Ta­ge nach der Ver­han­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts die Be­richt­erstat­tung Re­vue pas­sie­ren und al­le mehr oder we­ni­ger ge­wich­ti­gen Aus­sa­gen zur Kennt­nis ge­nom­men hat, so bleibt bei mir – viel­leicht zum er­sten Mal im Le­ben – das Ge­fühl ei­ner un­be­stimm­ba­ren Furcht vor der Zu­kunft des­sen, was man – tech­no­kra­tisch kühl – Ge­mein­we­sen nennt. Schier un­ver­söhn­lich ha­ben sich wohl die Pro­zess­geg­ner in Karls­ru­he ge­gen­über ge­stan­den. Hier die Po­li­tik – im par­tei­en­über­grei­fen­den Kon­sens ih­rer Al­pha-Prot­ago­ni­sten agie­rend (au­ßer die Links­par­tei). Sie er­klä­ren den vorge­schlagenen Weg für »al­ter­na­tiv­los« und ma­len in sel­te­ner und selt­sa­mer Ein­tracht das Schei­tern Eu­ro­pas in dicken Stri­chen auf ih­re Fah­nen. Aber war­um maß­re­gelt mich die­ses Ka­ta­stro­phen­sze­na­rio nicht? War­um ver­fal­le ich nicht des­we­gen in Schock­star­re und Un­be­ha­gen, son­dern vor al­lem ob der schein­bar un­aus­weich­li­chen Al­ter­na­tiv­lo­sig­keit, die sich da auf­zu­tun scheint?

Der in­zwi­schen in­fla­tio­nä­re Ge­brauch von Ka­ta­stro­phen­sze­na­ri­en be­hagt mir nicht und macht mich noch skep­ti­scher als wür­de man die vor­ge­schla­ge­nen Maß­nah­men nüch­tern als Not­wen­dig­keit po­stu­lie­ren und mit ih­nen ar­gu­men­tie­ren. Aber das fin­det gar nicht statt. In Wahr­heit ver­mag nie­mand zu er­klä­ren, war­um die­ser drit­te (oder vier­te?), im Prin­zip ver­mut­lich un­end­lich gro­ße »Ret­tungs­schirm« nebst ent­spre­chen­dem Vertrags­werk in Kom­bi­na­ti­on mit ei­ner Sou­ve­rä­ni­täts­ab­ga­be an ei­ne noch nicht ein­mal in Skizzen­strichen ent­wor­fe­nen eu­ro­päi­schen In­sti­tu­ti­on den Eu­ro und/oder Eu­ro­pa – und da­mit die Welt! – ret­ten soll. Die Er­klä­run­gen der Be­für­wor­ter blei­ben blass und va­ge. Ei­ni­ge las­sen sich die­ses Zö­gern auch noch als be­son­de­re Au­then­ti­zi­tät be­schei­ni­gen. Die Kanz­le­rin sag­te, sie fah­re »auf Sicht« – und ge­nau das gilt als »ehr­lich«. Gleich­zei­tig weiß sie aber, dass Eu­ro­pa an­son­sten zu schei­tern droht. Aber wie kann je­mand im Ne­bel fah­ren und das Land am Ho­ri­zont trotz­dem se­hen?

Die Geg­ner ha­ben an zwei Fron­ten zu kämp­fen: Zum ei­nen müs­sen sie er­klä­ren, war­um sie da­ge­gen sind. Gleich­zei­tig wer­den von Ih­nen Pro­gno­sen ver­langt. Das ist er­staun­lich, weil die so­ge­nann­ten Be­für­wor­ter kaum mit Pro­gno­se­ab­ga­ben kon­fron­tiert wer­den. Man setzt vor­aus, dass sie glau­ben, dass ih­re Maß­nah­men zu ei­nem Er­geb­nis füh­ren, den Eu­ro, wie es längst pa­the­tisch ge­sagt wird, zu »ret­ten«. So brau­chen die Be­für­wor­ter kei­ner­lei Rechen­schaft ab­zu­ge­ben: ihr Han­deln liegt vor; es wird vor­aus­ge­setzt, dass sie es be­dacht ha­ben und das es »gut« aus­geht. Oh­ne dass hin­rei­chend de­fi­niert ist, was das be­deu­tet. Der zwei­te Punkt mit dem die Geg­ner zu kämp­fen ha­ben ist die in­zwi­schen of­fen ge­äu­ßer­te Un­ter­stel­lung des An­ti-Eu­ro­päis­mus. Vol­ker Beck von den Grü­nen nennt sie ver­ächt­lich »Sou­ve­rä­ni­ti­sten« und twit­tert aus dem Ver­fas­sungs­ge­richt: »Hier in Karls­ru­he gibt es ei­nen Gra­ben zwi­schen Eu­ro­pä­ern und deut­schen Sou­ve­rä­ni­ti­sten, der Rest wirkt wie Bei­werk‪«. Ab­ge­se­hen da­von, dass die­se Aus­sa­ge Becks De­mo­kra­tie­ver­ständ­nis hin­rei­chend il­lu­striert, ver­gisst er auch, dass er es sel­ber ist, der die­sen Gra­ben aus­hebt. Dar­auf an­ge­spro­chen, dass nicht je­der, der ge­gen ESM und Fis­kal­pakt ist, au­to­ma­tisch ge­gen Eu­ro­pa sei, kommt die per­fid-lo­gi­sche, aber un­ver­schäm­te Ant­wort: »war in Karls­ru­he an­ders«.

Tweet von Volker Beck

Tweet von Vol­ker Beck


Hier­in liegt der Keim des Pro­blems, dass der deut­schen Po­li­tik (aber nicht nur ihr) in Be­zug auf Eu­ro­pa noch um die Oh­ren flie­gen dürf­te. Spä­te­stens seit den Maas­tricht-Ver­trä­gen be­gnüg­te sie sich das Pro­jekt »Eu­ro­pa« als un­hin­ter­frag­bar zu ze­men­tie­ren und even­tu­el­le Ein­wän­de mit der De­nun­zia­ti­on von An­ders­den­ken­den zu be­ant­wor­ten. Ab­schrecken­de Bei­spie­le von an­ti-eu­ro­päi­schen Par­tei­en, die auch (fast) im­mer ras­si­sti­sche An­klän­ge hat­ten, gab es im Aus­land ge­nug.

Die Ak­zep­tanz in der Be­völ­ke­rung für die­ses im Kern de­mo­kra­tisch höchst de­fi­zi­tä­re Eu­ro­pa funk­tio­nier­te so­lan­ge, bis die öko­nomische Si­tua­ti­on für die brei­te Mas­se einiger­maßen sta­bil war. EWG, EG und EU wa­ren in Wahr­heit im­mer im Kern öko­no­mi­sche Or­ga­ni­sa­tio­nen. Hier­über hin­aus­ge­hen­de po­li­ti­sche An­nä­he­run­gen ver­puff­ten zu­meist an den na­tio­na­len Ego­is­men. Dass nun aus­ge­rech­net die Wäh­rungs- und Haus­halts­po­li­tik von Na­tio­nal­staa­ten ver­ge­mein­schaf­tet wer­den soll, ent­behrt in ei­ner Uni­on, die sich noch nicht ein­mal auf den Be­griff des »EU-Au­ßen­mi­ni­sters« ei­ni­gen konn­te, sehr be­fremd­lich.

Er­ste ernst­haf­te, sy­stem­re­le­van­te Brü­che in der öko­no­misch sta­bi­len (nicht »hei­len«) Welt gab es 2008 als sich in ei­nem heu­te als he­ro­isch gel­ten­den, in Wahr­heit je­doch eher dümm­li­chen Akt die Bun­des­kanz­le­rin und der Fi­nanz­mi­ni­ster vor die Pres­se stell­ten und die Spar­gut­ha­ben als »si­cher« er­klär­ten. Die Maß­nah­me funk­tio­nier­te, ob­wohl ei­gent­lich doch erst durch die­se Aus­sa­ge klar wur­de, dass das Ge­gen­teil mög­lich ge­we­sen war. Man stel­le sich vor, ein Arzt sag­te sei­nem mit Ma­gen­schmer­zen vor ihm ste­hen­den Pa­ti­en­ten, er ha­be kei­nen Krebs.

Neu­lich sah ich ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on, in der die rhe­to­ri­schen Mit­tel US-ame­ri­ka­ni­scher Prä­si­den­ten seit den 1940er Jah­ren in Be­zug auf Krieg und Frie­den ana­ly­siert wur­den. Es war ver­blüf­fend, wie sich die Be­grün­dun­gen für den Ein­tritt, den Noch-nicht-Ab­zug, über Sieg und Nie­der­la­ge, über die Not­wen­dig­keit des Waf­fen­gangs, glei­chen. Ob die Prä­si­den­ten nun John­son, Ken­ne­dy, Rea­gan, Clin­ton oder Bush hie­ßen: Stets wur­de die mo­ra­li­sche Un­aus­weich­lich­keit und das gro­ße, heh­re Ziel her­aus­ge­stellt. Krieg er­schien ir­gend­wann wie ei­ne hu­ma­ni­tä­re Maß­nah­me; lei­der un­aus­weich­lich.

Es ist na­tür­lich ge­wagt, die­se Ana­ly­se der Kriegs­rhe­to­rik in Be­zug auf die Eu­ro- oder Eu­ro­pa-Kri­se an­zu­wen­den. Aber auch hier gilt: Der ei­gent­lich sach­li­che Aus­tausch von Ar­gu­men­ten für ei­ne be­stimm­te Hand­lungs­wei­se wird durch zwei Um­stän­de be­wusst ver­un­mög­licht. Zum ei­nen wird ei­ne mo­ra­li­sche Ver­pflich­tung her­auf­be­schwo­ren, die jen­seits der ei­gent­li­chen Ent­schei­dung liegt. Im vor­lie­gen­den Fall wer­den die bei­den Welt­krie­ge des 20. Jahr­hun­derts als Recht­fer­ti­gung für das vor­lie­gen­de Ak­ti­ons­pro­gramm her­an­ge­zo­gen. Der viel­zi­tier­te Satz »Schei­tert der Eu­ro, schei­tert Eu­ro­pa« zielt eben­falls in die­se Rich­tung. Ich hal­te die­se Kon­no­ta­tio­nen für ex­trem ge­fähr­lich und un­hi­sto­risch. Mit ih­nen sol­len schwan­ken­de Ent­schei­dungs­trä­ger in schein­mo­ra­li­sche Di­lem­ma­ta ver­wickelt wer­den.

Hier­aus folgt un­mit­tel­bar die Si­mu­la­ti­on von Ei­le. Stän­dig ist je­man­dem vor­zu­kom­men. Stän­dig droht et­was; es herrscht prak­tisch per­ma­nen­ter Aus­nah­me­zu­stand. Im Krieg droht der »Feind«. In der Eu­ro­kri­se dro­hen »die Märk­te« (ei­gent­lich ist es nur ei­ner, aber mit dem Plu­ral wird die dro­hen­de Ge­fahr ver­stärkt). Setzt man sich un­ter Zeit­druck, ver­lässt man die Po­si­ti­on des Agie­ren­den und re­agiert nur noch. Setzt man an­de­re un­ter dem glei­chen Zeit­druck, gibt man den ok­troy­ier­ten Zeit­druck auf den An­de­ren ab. Ge­nau dies ge­schieht, wenn die Po­li­tik in Karls­ru­he von not­wen­di­ger Ei­le spricht. Üb­ri­gens set­zen nicht nur die Be­für­wor­ter das Ge­richt un­ter Druck, son­dern auch die Klä­ger. Aus­ge­rech­net ein Ju­rist wie Gre­gor Gy­si schlägt ernst­haft vor, wenn das Ge­richt schon län­ger für die Eil­ent­schei­dung brau­che, kön­ne es doch gleich das end­gül­ti­ge Ur­teil fäl­len. Da fühlt man sich an win­di­ge Ge­braucht­wa­gen­händ­ler er­in­nert, die en pas­sant von »noch an­de­ren In­ter­es­sen­ten« re­den und da­mit ei­nen Zeit­druck auf­bau­en, der die Ent­schei­dung be­schleu­ni­gen und die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Vor­lie­gen­den ver­hin­dern soll. Mir sind sol­ches Zeit­druck-Sze­na­ri­en be­kannt. Ge­le­gent­lich ha­be ich sie be­ruf­lich sel­ber an­ge­wandt. Er­folg stell­te sich da­bei zu­meist nur bei eher schwä­che­ren Per­sönlichkeiten ein bzw. wenn man sel­ber in ei­ner bes­se­ren Po­si­ti­on war. Oft­mals ging es den An­de­ren so wie mir: Wenn man mich un­ter Zeit­druck setzt, über­le­ge ich noch mehr, weil die­ser Zeit­druck ja sel­ten tat­säch­lich mit ei­ner rea­len Not­la­ge zu tun hat.

Je grö­ßer der Zeit­druck und je wort­ge­wal­ti­ger und dröh­nen­der die Ka­ta­stro­phen-Rhe­to­rik in­to­niert wird, de­sto skep­ti­scher wer­de ich aber. Je här­ter der Ton ge­gen­über den so­ge­nann­ten »Ab­weich­lern« in den klas­si­schen Par­tei­en wird, de­sto grö­ßer wächst bei mir das Ge­fühl, man traut den ei­ge­nen Ar­gu­men­ten nicht. Da­bei kann ich mich den Ein­drucks nicht er­weh­ren, dass bei­de Par­tei­en – Klä­ger und Be­klag­te – auf je ih­re Art und Wei­se das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in­stru­men­ta­li­sie­ren. Es dient als Be­stä­ti­gungs­or­gan. Ent­we­der der Ge­setz­ge­ber hat Recht ge­habt und die Klä­ger trö­sten sich mit ih­rem Ver­such (und dem Ein­gang in die Ge­schichts­bü­cher). Oder es gibt mehr oder we­ni­ger stren­ge Auf­la­gen – bei­spiels­wei­se nach Ar­ti­kel 146 GG. Das wird dann in den po­li­ti­schen Pro­zes­sen der­art ge­siebt, dass die ver­meint­li­che Volks­ab­stim­mung am En­de aber­mals wie­der zur »Krieg oder Frieden«-Frage her­un­ter­ge­bro­chen wird (falls es sie über­haupt ge­ben wird und nicht »Ver­fassuns­g­recht­ler« an­de­re We­ge fin­den). Mehr ist nicht zu er­war­ten. Die Nö­te des Ge­richts mit ih­rem heim­li­chen Prä­si­den­ten in­ter­es­sie­ren nicht. Aber wo sind die an­de­ren Po­li­tik­ent­wür­fe? Wo gibt es Al­ter­na­ti­ven im par­la­men­ta­ri­schen Wett­streit? Wel­che Kon­zep­te hat die deut­sche Bun­des­re­gie­rung zur Re­gu­lie­rung von Ban­ken und dem Fi­nanz­markt vor­ge­legt? Wird ei­ne win­zi­ge »Fi­nanz­trans­ak­ti­ons­steu­er« nicht nur pu­ren Sym­bol­hand­lung des Fi­nanz­mark­tes ver­kom­men? Wie sieht die in­sti­tu­tio­nel­le Kon­trol­le nach dem ESM-Ver­trag aus?

Ein Bild am Schluss, dass mich im­mer wie­der ab­stößt: Bei der Ab­stim­mung im Bun­des­tag zei­gen die Ab­ge­ord­ne­ten in de­mon­stra­ti­ver Kind­lich­keit das Kärt­chen, mit dem sie ab­stim­men wer­den. Ih­re Wahl ist so­fort er­sicht­lich. Man er­fährt un­mit­tel­bar, wer mit den Wöl­fen heult und wer nicht. Wä­re es nicht bes­ser, sol­che grund­sätz­li­chen Din­ge in ge­hei­mer Ab­stim­mung vor­zu­neh­men? Dann müss­ten end­lich auch die Geg­ner ein­mal da­mit rech­nen, dass sie ob­sie­gen und sich nicht nur in ih­rer Rol­le als ei­gent­lich nicht re­le­van­ter Op­po­si­ti­on son­nen.

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  1. „….so bleibt bei mir – viel­leicht zum er­sten Mal im Le­ben – das Ge­fühl ei­ner un­be­stimm­ba­ren Furcht vor der Zu­kunft des­sen, was man – tech­no­kra­tisch kühl – Ge­mein­we­sen nennt.“ Ich weiß jetzt nicht, ob ich froh sein soll, dass es Dir ge­nau­so geht, dass nicht nur ich ziem­lich ver­un­si­chert bin. Nur ein Ge­fühl, si­cher, aber ein sehr un­an­ge­neh­mes, denn da ja nichts wirk­lich er­klärt wird, da „Wis­sen­schaft­ler“ und „Ex­per­ten“ dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te Mei­nun­gen ver­tre­ten, ist die­se Ver­un­si­che­rung ja kein Wun­der.
    Die par­la­men­ta­ri­sche Ein­heits­front, das Feh­len ei­ner re­le­van­ten Op­po­si­ti­on, ver­stärkt das un­gu­te Ge­fühl, dass die Po­li­tik in den letz­ten 20 Jah­ren ei­ne tat­säch­lich aus­weg­lo­se Si­tua­ti­on an­ge­rich­tet hat. Auch dies wie­der nur Ge­fühl, denn trotz al­ler Be­mü­hun­gen der letz­ten Jah­re, we­nig­stens ru­di­men­tä­ren wirt­schaft­li­chen oder fi­nanz­tech­ni­schen Sach­ver­stand zu er­wer­ben, kann ich mir kei­ne fun­dier­te Mei­nung zu den di­ver­sen Ret­tungs­maß­nah­men er­lau­ben. Wem soll ich glau­ben, wenn ich bei der po­li­ti­schen Klas­se ähn­li­che Ah­nungs­lo­sig­keit ver­mu­te und al­le mil­li­ar­den­schwe­ren Ent­schei­dun­gen wohl nur auf die Ein­flü­ste­run­gen in­ter­es­sier­ter Lob­by­isten zu­rück­zu­füh­ren sind? Da kann ei­nem wohl zu recht Angst und Ban­ge wer­den.

  2. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt über­nimmt in Deutsch­land im­mer wie­der Auf­ga­ben, die ei­gent­lich die De­mo­kra­tie über­neh­men müss­te, die Di­rek­te De­mo­kra­tie bes­ser und nach­hal­ti­ger über­neh­men könn­te. Nur sind wir an ei­nem Punkt an­ge­langt, an dem es gar nicht mehr so wich­tig er­scheint, wie ge­nau die Ent­schei­dun­gen aus­se­hen, da es bei ih­nen so oder so nur noch dar­um geht, ob man den Crash noch län­ger hin­aus­zö­gert oder ob man den Tat­sa­chen end­lich ins Au­ge sieht und so­fort an­fängt mit den Re­struk­tu­rie­run­gen des Staats, der Staa­ten.

    Mich ir­ri­tiert es, wenn Geg­ner der EU-Bü­ro­kra­tie oder Leu­te, die in den Ret­tungs­mass­nah­men wohl zu­recht ein Loch oh­ne Bo­den se­hen, als Geg­ner oder als Fein­de von an­de­ren Lands­leu­ten oder Eth­ni­en ge­se­hen wer­den. Lei­der scheint mir die Stim­mung in Deutsch­land durch­aus manch­mal so zu sein.

    Er­staun­lich sind auch die Re­ak­tio­nen der Bür­ger auf die La­ge. Es wird schon so lan­ge pa­nisch »die Kri­se« ver­mel­det, dass das An­kom­men der tat­säch­li­chen Kri­se mit rea­len Aus­wir­kun­gen auf die Bür­ger gar nicht mehr rich­tig re­gi­striert wer­den wird. Die Leu­te sind kri­sen­mü­de, ehe die Kri­se über­haupt be­gon­nen hat (hier­zu­lan­de).

  3. @blackconti
    Es ist bei mir mehr als nur ein Ver­un­si­che­rungs­ge­fühl. Es geht – ge­wis­ser­ma­ßen – an die Sub­stanz des Zu­sam­men­le­bens, wo­bei es kei­nen ge­ord­ne­ten Über­gang gibt, son­dern eher das Ge­gen­teil. Die Un­ter­su­chen der Ge­walt­for­schung zei­gen, wo so et­was hin­füh­ren kann. Po­le­misch ge­sagt: Ei­nem Krieg kann man aus­wei­chen – not­falls durch De­ser­ti­on. Die­ser Aus­lie­fe­rung ent­we­der an po­li­ti­sche Be­am­te oder öko­no­mi­sche Blind­schlei­chen hat et­was kaf­ka­es­kes.

    @Ronnie Grob
    Der Auf­bau des »Feind­bil­des« des »Euro(pa)-Gegners« ist wo­mög­lich die letz­te Mög­lich­keit, Mo­ral ein­zu­for­dern. Als An­fang der Wo­che in der FAZ ein kur­zer Ar­ti­kel, eher ei­ne Mel­dung, über die fin­ni­sche Fi­nanz­mi­ni­stern zu le­sen war, die ei­nen Aus­tritt Finn­lands aus dem Eu­ro nicht ganz aus­schloß, gab es über 80 Kom­men­ta­re bin­nen 24 Stun­den da­zu. Man merk­te den mei­sten Schrei­bern an wie er­leich­tert sie wa­ren, dass ih­re Sicht auch ein­mal von ei­ner an­de­ren Re­gie­rung ge­teilt wur­de und nicht so­fort als Na­tio­na­lis­mus dif­fa­miert wer­den konn­te.

    Die Be­ob­ach­tung, dass die Bür­ger schon vor dem ei­gent­li­chen Aus­bruch der Kri­se er­mü­det sei­en, ist in­ter­es­sant. Ich hal­te das durch­aus für zu­tref­fend, wo­bei man sich fra­gen muss, ob durch die stän­di­ge Hy­per­ven­ti­la­ti­on in den Me­di­en dies nicht durch­aus be­ab­sich­tigt ist. Den­ke im­mer an den Kier­ke­gaard-Spruch von der Per­son, die im Ki­no dau­ernd Feu­er­alarm aus­ruft. Als es dann wirk­lich brennt, hört nie­mand mehr auf ihn.

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  5. Es ist an­ge­sichts der drän­gen­den Pro­ble­me ei­gen­ar­tig und doch längst Ge­wohn­heit ge­wor­den, dass eu­ro­päi­sche The­men von po­li­ti­scher Sei­te der­art ar­gu­ment­frei »ver­han­delt« wer­den. Ich ver­mag Dei­ner Ana­ly­se, der ich zu­stim­me, kaum et­was hin­zu­zu­fü­gen.

    Mich lässt das gleich­mü­tig und ab­wei­send ge­gen­über Eu­ro­pa – dem, was hier als sol­ches be­zeich­net wird – und sei­ner Kri­se (wel­che ei­gent­lich?) wer­den; ich wen­de mich an­de­rem zu. Ei­gent­lich scha­de, ich wä­re der An­ge­le­gen­heit grund­sätz­lich gar nicht ab­ge­neigt, aber wenn ich zu­rück­blicke, muss ich das fest­stel­len.

  6. Sinn-lo­se Sym­bo­lis­men wie »Schei­tert der Eu­ro, schei­tert Eu­ro­pa« wi­der­legt man viel­leicht am ein­fach­sten, in­dem man hart­näckig nach­fragt: Was ist der Eu­ro? Was ist mit Eu­ro­pa ge­meint? Wel­che Vor- und Nach­tei­le ha­be ich, wenn Grie­chen­land jetzt mehr oder we­ni­ger Geld un­ter die­sen oder je­nen Auf­la­gen er­hält? Usw. Dann wird wahr­schein­lich sehr schnell er­sicht­lich, dass die ver­ant­wort­li­chen Po­li­ti­ker das selbst nicht wis­sen. Oder aber es kom­men die näch­sten All­ge­mein­plätz­chen, wie »das ist schlecht für’s Wirt­schafts­wachs­tum«. Aber wahr­schein­lich kommt sehr schnell das Kil­ler­ar­gu­ment per se: »Das ge­fähr­det Arbeitsplätze.»Da kann man dann ei­gent­lich auf­hö­ren, denn auf Fra­gen wie »Und der Be­sitz ei­nes Ar­beits­plat­zes, völ­lig un­ab­hän­gig von den Um­stän­den wie den Ar­beits­be­din­gun­gen, der Be­zah­lung, der per­sön­li­chen Zu­frie­den­heit, ist ein un­ter al­len Be­din­gun­gen an­zu­stre­ben­der Zu­stand?« wird man dann erst recht kei­ne ver­nünf­ti­ge Ant­wort mehr er­hal­ten.

  7. »Eu­ro­pa«, »Ar­beits­plät­ze«, »Wachs­tum« – die be­schwö­ren­de Wort­hül­sen neh­men ja in Kri­sen­zei­ten ge­ra­de­zu in­fla­tio­när zu. Das al­les sind ty­pi­sche Zei­chen für die Kon­zep­ti­ons­lo­sig­keit der han­deln­den Ak­teu­re. Da­bei wird na­tür­lich still­schwei­gend ei­ne be­stimm­te Kon­no­ta­ti­on vor­aus­ge­setzt. Die ge­nann­ten Be­grif­fe gel­ten per se als die Lö­sung der Pro­ble­me, oh­ne dass man sie auch nur im ent­fern­te­sten ein­mal dis­ku­tiert hat. Der Streit geht ei­gent­lich nur dar­um, was dar­un­ter zu ver­ste­hen ist. Da aber fast je­der »Mit­spie­ler« ge­wis­se In­ter­es­sen ver­tritt (auch die an­geb­lich so neu­tra­len an­gel­säch­si­schen Öko­no­men), müss­te man die­se von der je­wei­li­gen Aus­sa­ge ex­tra­hie­ren. Hier­für wä­ren Me­di­en ei­gent­lich zu­stän­dig.