Die Weisheiten der werktäglichen Börsensendung in der ARD sind zumeist eh nur von bescheidenem Rang. Da wird mit Zahlen jongliert und auch schon mal Statistiken falsch ausgewertet. Hauptsache, die gerade gängige Meinung (es sei alles »grau und trostlos«) in den »Erwartungsbarometern« wird entsprechend bebildert.
So ging es auch am 17.07., als das derzeit sinkende Wachstum Chinas halb triumphal, halb resignativ vermeldet wurde. Im zweiten Quartal wachse die Wirtschaft dort »nur« noch um 7,6% (was zwar im Verhältnis zu Europa »märchenhafte« Zustände seien, aber im Vergleich zum durchschnittlichen Wachstum Chinas im Jahr 2007 mit 14% ein Rückgang vom 46%. Diese Aussage wird mit einer Graphik unterstützt und wörtlich sagt der Berichterstatter Markus Gürne: »Binnen fünf Jahren ging es also um 46% bergab.«
Graphik und Ton suggeriert, die Wirtschaft sei vom damaligen Wachstum von 14% auf 7,6% geschrumpft. Das ist falsch. Zurückgegangen ist da gar nichts. Das Wirtschaftswachstum ist nur langsamer geworden. Wenn eine Wirtschaft um 14% wächst und danach um 7% beziehen sich die 7% auf die um 14% gewachsene Wirtschaft. Die Graphik hätte additiv sein müssen. Das ist ungewöhnlich. Aber der Pfeil nach unten ist – mit Verlaub – unseriös.
Halbseiden ist auch das Vorgehen, ausgerechnet das Jahr des höchsten Wachstums als Referenzgrösse heranzuziehen. Im Vergleich mit den Jahren 2009–2011 fällt die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums durchaus verhaltener aus. Die Graphik, die man mindestens zusätzlich hätte zeigen müssen, ist die des BIP in China. Aber dann hätte man gesehen, dass es eigentlich immer noch nach oben geht. Das hätte nicht zur Regenstimmung gepasst.
So wie man sagen kann: Glaube keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast, so müsste man heute ergänzen: Misstraue jeder Infografik die du nicht selbst gemalt hast. Zur Verteidigung des Pfeils nach unten sei aber gesagt, dass jedes Konjunkturprognose so arbeitet. 7,6% – das wäre mit europäischen Maßstäben übrigens immer noch deutsches Wirtschaftswunder, aka »Aufholwachstum« in den FÜnfzigern.
Nein, lieber Marcuccio, ich mag den Pfeil nicht verteidigen. Selbst dass solche Darstellungen üblich sind, rechtfertigt sie nicht in Verbindung mit der Aussage »Binnen 5 Jahren ging es also um 46% bergab«. Das ist kompletter Unsinn. Zwischen 2008 und 2011 addierte sich das Wirtschaftswachstum um mehr als 38%. Für 2012 wird im Schnitt irgend etwas um 8% erwartet. Tatsächlich sind es also 46% mehr und nicht 46% weniger (schon klar, dass diese Berechnung auf der Differenz zwischen 14 und 7,6 beruht). Dass da etwas »bergab« führt, ist eine bewußte Täuschung des Zuschauers um eine Entwicklung zu skandalisieren, die nicht skandalisierbar ist.
Ich verlange ja von einer 3‑Minuten-Sendung gar nicht die Frage nach der inflationsbereinigten Zahl zu stellen (das sähe dann tatsächlich »schlechter« aus). Geschweige denn die »Systemfrage« nach der Sinnhaftigkeit des BIP als Maßstab für »Wachstum«.
Aber ein Mindestmaß an Seriosität... Ja, ich bin ja schon still.
Was will man von einem Boulevardsender schon erwarten ...
Es ist – wie so oft – eine Frage der richtigen Worte. Tatsächlich ist der Anstieg des Wachstums (nehmen wir mal an, dass die genannten Zahlen stimmen) um 46% zurückgegangen (aber nicht das Wachstum selbst). Die Grafik dürfte aber auch nicht ‘additiv’ sein, wie im Text suggeriert. Vielmehr wurden die 100% die da waren zunächst um 14% gesteigert und dann noch mal um 7,6%. Das würde einen ‘multiplikativen’ Zusammenhang generieren (100 * 1,14 * 1,076). Tatsächlich scheint es aber so zu sein, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut und die Untertitel, dass hier ein Durchschnittswert von 2007 mit einem Quartalswert von 2012 verglichen wird. Letzterer dürfte sich auf das gleiche Quartal 2011 beziehen, also auch nichts mit den 14% aus der ersten Säule zu tun haben. Conclusio: Kritik an der Grafik ist berechtigt aber sachlich falsch und Mathematik ist ein schönes Fach. :-)
Matthias: Immer noch nicht ganz richtig. Nicht der Anstieg des Wachstums ist zurückgegangen, das Wachstum ist zurückgegangen, der Anstieg des Wachstums also negativ, das Wachstum positiv, aber rückläufig, die Wirtschaftskraft insgesamt wachsend, aber langsamer als früher.
Und mathematisch am schönsten wäre ein log-scale-Diagramm, in dem dann 14% (genau log(1,14) = 13,11%) und 7,6% (genau log(1,076)=7,33%) tatsächlich additiv dargestellt würden. Bei diesen relativ kleinen Zahlen fällt der Unterschied nicht so ins Auge.
Wie wenig die Medien davon verstehen, kann man zur Zeit daran sehen, dass sowohl der Deutschlandfunk als auch die Tagesschau behaupten, 374 (Euro im Monat) seien 40% mehr als 225. Es geht um die Asylbewerberleistungen im Vergleich zu Hartz IV, und dass 40 Prozent weniger eben nicht 40 Prozent mehr bedeutet, scheint da den Redaktionen einfach deutlich zu viel Mathematik zu sein.
Bezogen auf die »Messgröße« Wirtschaftswachstum scheint der Bericht richtig zu sein (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftswachstum. Das prozentuale Wachstum ist tatsächlich kleiner geworden. Da muss auch nichts additiv dargestellt werden. Was Du vermutlich meinst, ist das Bruttoinlandsprodukt, welches dauerhaft gestiegen ist, nur zuletzt etwas langsamer.
Diese Betrachtung von Differenzen ist für den normalen Zuschauer, insbesondere in der kurzen Zeit, nicht verständlich. Zudem sind es auch noch prozentuale Werte, deren Bezugsgröße sich definitionsgemäß regelmäßig ändert (hier wohl jährlich).
Jedenfalls ist das keine bewusste Täuschung des Zuschauers, denn dann müsste die ARD mit selbsterfundenen, verwirrenden Größen arbeiten. Sie arbeitet allerdings mit fachlich anerkannten, verwirrenden Größen.
Der ARD kannst Du bestenfalls vorwerfen, dass sie sich einen beliebigen Vergleichzeitpunkt (besonders hohes Wachstum?) rausgesucht hat und den Verlauf in den Jahren dazwischen ignoriert hat (langsamer Rückgang ist was anderes als ein plötzlicher Rückgang).
@Matthias
Ja, Mathematik ist ein schönes Fach. Eine additive Darstellung wäre tatsächlich nicht korrekt, würde aber zumindest das Verfahren dahin erläutern, dass immer wieder neu Bezug auf die aktuelle Größe genommen wird. Eine multiplikatorische Darstellung (quasi also Zinseszins-Rechnung) erwarte ich ja erst gar nicht.
Es ist wohl davon auszugehen, dass der genannte Quartalswert sich auf den Quartalswert des vergangenen Jahres bezieht. Dabei kann man sehr wohl den Jahreswert als Vergleichsgröße heranziehen, wenn man davon ausgeht, dass die Wirtschaft sich tendenziell im Rahmen des Q2/2012 bewegt. Dieses prognostische Verfahren ist nicht unseriöser wie alle anderen Prognosen und Tabellen auch. Präziser wäre es gewesen wie der »Spiegel« vorzugehen. Der schreibt, dass das Wachstum im 1. Quartal 2012 bei 8,1 % gelegen habe, in Q2/2012 bei 7,6 %. Demnach wäre der »Rückgang« gemäss der ARD-Rechnung 6,5%. Aber ich beharre auf der Darstellung, dass es kein Rückgang ist, sondern nur eine Verlangsamung des Wachstumsprozesses. Der Duktus ist falsch.
Da lässt sich über Mathematik und Börsentechnisches prima streiten, das sehe ich ein, aber Ihr alle überseht etwas:
Diese Visualisierung ist nichts anderes als die Abbildung des Börsianer-Selbstverständnisses. Wenn die Wirtschaft im Vorjahr um 14 Prozent gewachsen ist und für das Folgejahr mit 7 Prozent Plus prognostiziert wird, dann sind das für einen Börsianer ausgesprochen schlechte Nachrichten. Passiert das einem DAX-Unternehmen, dann erklärt der nette Mick Knauff auf N24 freundlich, dass das Unternehmen hinter den bereits eingepreisten Gewinnerwartungen zurückbleibt und es dafür mit einem deutlichen Kursrutsch abgestraft wird. Und das ist seit mindestens 20 Jahren immer das gleiche. Nur der Grad des vernunftbefreiten und giergesteuerten Denkens hat mit gleicher Intensität zugenommen wie die mögliche Handelsgeschwindigkeit. Besser gesagt: Da wird – wie Knauff und Co. immer so schön ausdrücken – schnell »reagiert« anstatt nachgedacht, und das ist die größtmögliche Bedrohung für die Aktienmärkte.
Das eigentliche Drama ist doch, dass sich das dort, wo es jeden betrifft, ebenso fortsetzt: In der Politik. Die verschiedenen Bundesregierungen fingen und fangen an zu jubeln, wenn sie die Neuverschuldung um 10 Prozent senken konnten/können. Neuverschuldung! Das heißt, der Schuldenberg wird trotzdem größer – nur nicht mehr ganz so schnell. Aber damit hat man ja die eigenen Schulden im Griff, gelle?
Was haben solche Leute noch mit dem echten Leben zu tun?
@JJPreston
Ja, »Neuverschuldung«! Auch so ein Wort aus einem Paralleluniversum. (Schlägt aber immer noch nicht das »Minuswachstum«.)
In meinen Augen ist die Grafik richtig gewählt. Da die Überschrift klar anzeigt, dass die Wachstumsraten verglichen werden, muss der Balken für 2012 natürlich halb so groß sein wie der von 2007. Die Aussage ist in dem Beitrag eigentlich auch recht deutlich geworden. Ich kann die Kritik nicht nachvollziehen.
Übrigens sind Wachstumszahlen für die Gesamtwirtschaft immer »inflationsbereinigt« zu verstehen. Das sagt niemand, ist aber so Tradition. (Das heißt, die Inflation wird herausgerechnet, was eine tolle Gelegenheit zum Schummeln ist, weil man im Zweifelsfall technische Veränderungen als tolles Wirtschaftswachstum und nicht als doofe Inflation abrechnen kann—auch wenn man sich darüber streiten kann, ob die Veränderung eine wirkliche Verbesserung darstellt). Fast immer, wie auch in diesem Fall, wird auf das ganze Jahr hochgerechnet.
Auf gar keinen Fall ist das Realwachstum in China negativ oder auch nur ungefähr null: die Inflationsrate liegt zwar auch so um die 7% p.a., aber die 7,6%-Zahl ist halt schon inflationsbereinigt.
Über die Auswahl der zu vergleichenden Zeiträume lässt sich streiten.
Grafik und Ton aber suggerieren keineswegs, die Wirtschaft sei geschrumpft! Es ist allein die Rede vom Wachstum und dieses ist zwischen den betrachteten Zeiträumen offenbar sehr wohl geschrumpft.
Der Fehler liegt hier bei demjenigen, der daraus den Schluss zieht, die Wirtschaft selbst sei geschrumpft. Ich schließe mich Dodo an.
@Dodo @c
Es heißt ausdrücklich: »Binnen fünf Jahren ging es...um 46% bergab.« Und das ist und bleibt Blödsinn.
@Philip
Danke für den Hinweis. Hier sieht es ja noch so aus, als sei die Inflation auf dem Rückzug. Tatsächlich – und das sagen mir auch chinesische Geschäftspartner – steigen die Preise auch für existentielle Dinge (Wohnraum, Lebensmittel) immer noch rasant. SZ und Die »New York Times« sehen hier eine große Gefahr für die Weltwirtschaft. Dort steht ja auch, dass die offiziellen Zahlen nicht unbedingt stimmen. Sie erscheinen recht selektiv erhoben.
@Gregor Keuschnig
Aber es ging doch wirklich um 46% bergab, es, das Wirtschaftswachstum (nicht die Wirtschaft selbst, aber das behauptet der Beitrag auch nicht)! Hier wurde das Wachstum von 2007 als Bezugspunkt gewählt. 6,4 Prozentpunkte bergab sind relativ zu 14% ein Schrumpfen von 46%.
Betrachte die Wirtschaft als Funktion und das Wachstum als deren Ableitung. Ein fallendes Wachstum impliziert keine Abnahme der Wirtschaft.
Sorry, aber wo ist das Problem? Es geht hier nicht um die Wirtschaft, sondern um das Wachstum der Wirtschaft.
Grundlage: Wirtschaft im Jahr A = 100%
Vergleich im Jahr B: um 14% zum Vorjahr gewachsen = 114%
Vergleich im Jahr C (Grundlage hier Jahr B = 100%): um 7% zum Vorjahr gewachsen = 107%
Im Jahr 2 ist die Wirtschaft
@ c
Natürlich bedeutet ein »fallendes Wachstum« (was ist das?) keine »Abnahme« der Wirtschaft. Aber exakt dies wird sowohl mit dem Diagramm als auch mit der Aussage suggeriert. Wachstum bleibt Wachstum – ob dies nun 14% oder 7,6% beträgt. Hier ging es darum, mit der Zahl »46%« einen Abstieg zu dokumentieren, der in dieser Form gar nicht existiert. Daher werden die Größen 14% und 7,6% in eine Relation gebracht, die ich mindestens als fragwürdig betrachte. Hinzu kommt, dass man sich ausgerechnet den Zeitraum als Referenzgröße ausgesucht hat, in der prozentual das höchste Wachstum der letzten 20 Jahre erreicht wurde
Wenn, dann hätte man vielleicht diese Graphik zeigen können, die mindestens das Niveau aufzeigt. Oder, noch besser, eine Graphik wie hier vorgeschlagen wird. Beides eignet sich jedoch nicht besonders gut für die im Kontext des gesamten Beitrags stehende These, dass es irgendwie im Moment bergab geht.
Hinzu kommt noch etwas anderes: Ich kann mich noch daran erinnern, dass in den Medien (und auch in dieser Sendung) vor noch nicht einmal anderthalb Jahren auf die Gefahr eines zu großen Booms in der chinesischen Konjunktur behandelt wurde hier oder hier. Der Staat regulierte mit finanzpolitischen Mitteln, dass das Wachstum nicht zu schnell anstieg.
Ich muss das Folgende mal loswerden, weil das noch keiner angemerkt hat (und zu solchen Statistiken selten jemand erwaehnt): ‑46% ist ein relativer Wert! Und zwar werden hier das jaehrlich Wachstum im Vergleich zum Vorjahr von 2007 mit dem 2012 verglichen. Das kann man machen, hat aber nicht viel Aussagekraft, wenn man sich nicht im Klaren darueber ist, was diese Zahlen eigentlich aussagen!
Basierend auf Zahlen von http://de.statista.com/statistik/daten/studie/14560/umfrage/wachstum-des-bruttoinlandsprodukts-in-china/ aus den letzten Jahren seit 2007 sah/sieht das Wachstum des BIP wie folgt aus: der Startwert aus 2006 sei 1 (es war wohl damals ein BIP von 2.713 MrdUSD, aber wie schon jemand richtig geschrieben hat, kann man die absoluten Zahlen der Jahre nicht miteinander vergleichen, da dann Inflation sich am Wachstum beteiligen wuerde: z.B. in 2007 war das BIP 3.494 MrdUSD, also ein »Anstieg« von mehr als 28% (»Geld von gestern« verglichen mit »Geld von heute«)). Also: +14,16% in 2007 gibt 1,1416, +9.64% in 2008 gibt 1,2516 (das sind 11% mehr als 2007 im Vergleich zum Startwert 1 in 2007), +9,21% in 2009 gibt 1,3669 (11,5% mehr als 2008 im Vergleich zum Startwert von 2007), +10,45% in 2010 gibt 1,5098 (14,3% mehr als 2009 im Vergleich zum Startwert 1 von 2007), +9,24% in 2011 gibt 1,6493 (13,9% mehr als 2010 im Vergleich zum Startwert 1 von 2007), +7,6% in 2012 (die Schaetzung fuer 2012 ist uebrigens 8,2%) gibt 1,7746 (12,5% mehr als 2011 im Vergleich zum Startwert 1 von 2007). Somit: absolut wuerde das Wachstum nur unmerklich zurueckgehen; umso »unmerklicher«, nimmt man die Schaetzung fuer 2012: 8,2% gibt 1,7845 und das sind 13,5% mehr als 2011 im Vergleich zum Startwert in 2007, somit in nahezu gleich grosses absolutes Wachstum wie von 2006 auf 2007.
Ich kann Ihre Kritik nur teilweise nachvollziehen. Tatsächlich hat ein Rückgang des Wachstums stattgefunden (Wachstum = 1. Ableitung d. Wirtschaftsleistung, Rückgang des Wachstums = 1. Ableitung sinkend / 2. Ableitung negativ / »Rechtskurve«, was natürlich nicht heisst, dass die Wirtschaftsleistung selbst ebenfalls sinkt). Es bleibt also an Kritik lediglich die tendentiöse Auswahl von Kennzahl und Vergleichsjahr, die von Menschen mit mangelndem Zahlenverständnis leicht fehlinterpretiert werden kann. Diese Kritik lässt sich aber bei nahezu jeder Verwendung von Zahlen in den Massenmedien anwenden.
»Der Staat regulierte mit finanzpolitischen Mitteln, dass das Wachstum nicht zu schnell anstieg.«
Was genau meinen Sie jetzt wieder damit?
– Dass nicht im Jahr n 10% Wachstum herrsche, im Jahr n+1 11%, im Jahr n+2 12% usw. (so dass die Wirtschaft im Jahr n+5 im Vergleich zum Jahr n‑1 um 102,589 % gestiegen ist – also mehr als eine Verdoppelung der Wirtschaftsleistung binnen 6 Jahren, in diesem Beispiel), oder
– dass DIE WIRTSCHAFT nicht zu schnell ansteigt (d.h. beispielsweise im Jahr n 14%, n+1 7%, n+2 4%, n+3 6%, n+4 2%, n+5 3% – damit wäre die Wirtschaftsleistung im Jahr n+5 im Vergleich zu n‑1 »nur« um 41,275% gestiegen)
@Hans
Mir ist diese Pauschalkritik ein bisschen zu einfach. Natürlich werden Statistiken auch als tendenziöse Instrumentarien mißbraucht. In »Payback« gibt Frank Schirrmacher ein Beispiel. Ärzte und Krankenkassen deklamierten mit Autorität, dass das Brustkrebsrisiko bei einer bestimmten Vorsorgeuntersuchung (dem Screening) um 20% sinken würde. Die Zahl suggeriert, dass durch rechtzeitige Vorsorgeuntersuchungen 20 von 100 Frauen sozusagen »gerettet« werden könnten. Das ist jedoch falsch. »Es heißt nur«, so Schirrmacher, »dass von tausend Frauen, die sich keinem Screening unterziehen, fünf sterben, und von tausend Frauen, die eines machen, vier sterben werden. Der Unterschied von vier zu fünf ergibt die zwanzig Prozent.«
Die Situation ist im vorliegenden Fall ähnlich. Es soll mit einer massiven Zahl etwas vorgetäuscht werden.
Noch ein Beispiel: Hier wird das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 graphisch dargestellt. Die krisenhafte Delle von 2009 fällt natürlich besonders stark ins Auge. Danach geht es dann wieder rasant nach oben. Betrachtet man jedoch das Bruttoinlandsprodukt insgesamt, so fällt nicht nur die Delle (naturgemäß) kleiner aus. Tatsächlich ist der reale Wert für 2010 sogar noch niedriger als 2009 (3,2589 vs. 3.2986). Die vorherige Graphik zeigt jedoch ein »Wachstum« an. Das Geheimnis liegt wohl darin, dass das BIP jeweils in US-Dollar umgerechnet wurde. Die Zahlen in Euro stellen sich so dar.
@ JJPreston
Vollkommen berechtigter Einwand zu meinem Kommentar. Danke.
Wenn zwei Prozentzahlen (die auf unterschiedlichen Basisgrößen beruhen) miteinander wiederum mit Hilfe einer Prozentzahl verglichen werden, so ist das schon eine ziemlich gewagte Konstruktion.
Das wird m.E. jedenfalls den einfachen Zuschauer eher verwirren als schlauer machen.
Die Ableitung (Wachstum) und manchmal zweite Ableitung (die ‑46%) wird vom Profi genutzt um anhand der Vorzeichen Dinge zu wissen.
Normale Leute oder Presse sollte sowas mit Vorsicht nutzen oder wenn, dann korrekt und den laut Definition »oberflächlichen (niedrig gebildeten) Gelegenheitsleser« unterstellen damit die schlauen Leute aber auch die ungebildeten klar und korrekt Bescheid wissen.
Ohne Abmahnungen, Trivialpatente und andere Regularien hätte ich längst ein Erklär-Wiki aufgesetzt welches früher oder später auch Reporter und Journalisten nutzen würden um sinnvoller zu erklären.
Bei den Zinsen von den Microkreditbanken des Nobelpreisträgers wird auch immer behauptet, diese wären viel zu hoch. Allerdings muss man einen Teil des Eigenkapitals selber ansparen und kriegt darauf hohe Zinsen und die Inflation in diesen Ländern ist hoch aber auch das Wirtschaftswachstum.
Es ist also gar nicht relevant ob China um 20 oder 2% wächst sondern wie viel Bevölkerung und potentielle Arbeiter zu versorgen sind. Stagnierende Länder ohne Übervölkerung sind mit 2% also vielleicht gut bedient. Die BRICs mit 20% Jugendarbeitslosigkeit und Großfamilien bräuchten vielleicht 20–50% Wachstum um allen anständige Arbeit und Lebensbedingungen zu verschaffen.
Bei Formel1 wird besser berichtet als bei ARD. Da wird nämlich abgeschätzt ob die Gegner schneller oder langsamer sind und ob man inclusive Reifenwechseln seine Position halten oder verbessern oder verlieren wird und man würde sich eine App wünschen wo man das krass sehen kann wie in einer Crowderstellten Runden-Speed-Excel-Tabelle mit graphisch einleuchtenden Darstellungen. Fußball mit den Punkten und welche Kombinationen man für den Sieg der Bundesliga (oder einen sicheren Nicht-Abstiegsplatz) braucht wird weitaus schlechter erklärt und keiner scheint selber mal hinzugehen und mit Bleistift die Optionen mal durchzurechnen. Wirtschaftspresse ist oft noch viel schlechter. Das Thema scheint wohl nicht so wichtig zu sein. Für Stimmverteilungen nach Wahlen habe ich mir inzwischen selber was geschrieben weil die Wählerwanderungen gut dargestellt werden, die möglichen Koalitionen aber für mich völlig nichtssagende Grafiken sind und manche mögliche Koalitionen auch fehlen.
Solche Dinge könnte man als Wiki problemlos organisieren und besser darstellen. Leider fehlen Organisationen (nicht Wikipedia die ihre Probleme wenig erkennt) die daran Interesse haben und schützen.
Bei TV, Radio und Print hat man nur ein paar Sekunden oder Worte und pickt die relevanten Infos heraus. Bei Online-Berichten müsste man korrekterweise aber alle Zahlen in $ und Euro und Gewinne, Vorquartale, in Absolut und Prozent usw. als nette (gerne templatebasierte) Tabelle darstellen wozu in Print kein Platz ist und man sich dann Dinge fragen und selber rechnen muss. Online ist Vollkost mit Platz und allen relevanten Informationen (ggf. per Klick erreichbar) und Print nur kleines, kurzes, schnelles Fastfood-Brötchen.
Trotzdem rechtfertigt Kürze (hier bei TV-Berichten) keine misverständliche Darstellung.
Die Frage ist, wie man sowas knapp und korrekt darstellt. Die Wirtschaft wuchs um 14% und jetzt nur noch um 7%. Man bekam früher jedes Jahr eine Beförderung (oder Firmen-iphone oder Firmen-Auto) und jetzt nur noch alle zwei Jahre oder die Störche warfen jedes Jahr zwei Babies und jetzt nur noch eines. Die Hundetafeln wachsen nur noch halb so schnell. Das Wachstum hat sich also halbiert. Wie man sieht gehört auch noch Kontext dazu. Bei China die Bevölkerungszahl-Entwicklung der Arbeiter. Ein Iphone kriegt länger Updates als ein Android welches nach einem Jahr oft schon »abgehängt« ist. Bei einem Firmenauto ist es nicht schade wenn man es länger nutzt. Bei den Hundetafeln wäre relevant wie viele Hartz4-Hunde dazukommen oder entfallen bzw. für wie viel Tage die Rationen pro Hund reichen um zu sehen was das langsamere Wachstum bedeutet.
Kontext ist alles.
Hallo zusammen,
Diese Kritik ist einfach nur albern und peinlich. Sämtliche Zahlen der ARD Sendung sind zwar auf das allernötigste beschränkt aber nunmal richtig. Egal ob dir das gefällt oder nicht!
Beim ganzen Artikel und so manchem Kommentarschreiber wundert man sich nur noch über die zur Schau gestellte Arroganz. Frei nach dem Motto : »Alle (Deppen) außer mir haben es wahrscheinlich falsch interpretiert...sind die doof«. Weder die Feinheiten der Volkswirtschaftlehre noch die der Statistik lassen mal so eben in 5 Minuten erklären. Konsequenz kann aber doch nicht sein sämtliche Informationssendungen auf das Niveau eines Grundschülers abzusenken oder bei derartigen Sendungen ein umfassendes Studium der o.g. Fachrichtungen gleich mitzuliefern.
Kopfschüttelnde Grüße
poochiee
@ poochiee
Es gibt nur eines, was noch schlimmer ist als Arroganz: Ignoranz.
@Gregor
In deinem letzten Kommentar hättest du bei gleichem Aussagegehalt auch »so jung komm mer nimma zam« schreiben können.
@poochiee
Wäre jetzt wieder um sachgerechte Kommentare dankbar. Duzen schätze ich nicht so. Danke.
@Gregor
Kritik die einem nicht passt kann man natürlich auch einfach ignorieren. Vermutlich passt der Kommentar von 15:00 doch. Viel Glück beim nächsten Mal.
@poochiee
Die Tatsache, dass Sie Ihren Kommentar #24 als »Kritik« begreifen, zeigt das Dilemma deutlich.
Und trotzdem hat poochiee Recht: In der Grafik steht doch ganz klar die Überschrift: WirtschfaftsWACHSTUM – und nicht Wirtschaft. Und das Wachstum hat eben abgenommen von 14,0% auf 7,6%, daher der Pfeil nach unten. Die Darstellung ist also vollkommen korrekt.
Deine Spekulation was andere sich falches dabei denken, ist doch absurd.
Davon abgesehen, dass Keuschnig völlig zutreffend die tendenziöse Darstellung des ARD-Redakteurs kritisierte, sollten einmal die Konsequenzen dieser Wachstumsraten imaginiert werden. !4% jährliches Wachstum bedeutete eine Verdopplung der Wirtschaftsleistung je fünf Jahre. In zehn Jahren würde sie sich also vervierfacht haben. In 20 Jahren wäre die Wirtschaftsleistung um ca. das 16-fache gestiegen. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 7% wäre die Wirtschaftsleistung nach 20 jahren erst – aber immerhin auch – vervierfacht. Ressourcenverbrauch (incl. Energie) und Umweltbelastung wohl annähernd ebenso. Wollen wir das? Geht das überhaupt? DAS sind die brennenden Fragen, um deren Antworten wir mit derartigen Beiträgen leider betrogen werden.
Zuwachsraten werden als linear wahrgenommen und ohne jegliche Vorstellung von den Auswirkungen auf die zugrunde liegende Größe angewandt, welche aber tatsächlich exponentiell sind. Ich bezeichnete das als Perfidie der Sonderklasse, wäre es Markus Gürne, dem Moderator jenes ARD-Beitrages, bewusst gewesen, was er da verzapfte. Viel eher hielte ich jedoch als zutreffend, dass Gürne sich nicht vorstellen kann, dass sich lineares Wachstum in abnehmenden, sich jeweils auf das Vorjahr beziehenden Zuwachsraten ausdrückt. Deshalb wird der Rückgang des Wachstums als bedrohlich erlebt und eben so berichtet. Wer das für angebracht hält, hat keinen Blick für’s Ganze.
@kienspan
Sie haben mit Ihrem Einwand natürlich vollkommen recht. Allerdings erwarte ich von einer solchen Börsensendung (die zwischen 2 und 3 Minuten dauert) solche Befragungen eher nicht. Hier wird eben systemimmanent »argumentiert«. – Im übrigen ist diese Form der tendenziösen Auslegung von Daten inzwischen längst von der Finanz- und Geschäftswelt in andere Funktionsbereiche übergeschwappt.