Carsten Schneider ist der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er sagt oft etwas, weil er oft gefragt wird. So richtig habe ich seine Pseudo-Opposition, was die Griechenland-/Euro-Aktivitäten der Regierung Merkel angeht, nicht verstanden, denn immer wenn sogenannte Hilfspakete zur Abstimmung standen, stimmte Schneider zu. Gründe mag es dafür genug gegeben haben; ich sah sie nicht. Deshalb ist Carsten Schneider für mich kein Oppositionsabgeordneter mehr gewesen. Dass, was er sagte, war eine Kritik jenseits eines tatsächlich anderen Politikentwurfs; allzu oft nur ritualisierte Gegenrede.
Am Mittwoch früh horchte ich jedoch auf. Schneider sagte in einem Interview im Dudelsender WDR2: »Eine Entscheidung zu Griechenland ist in dieser Woche nicht vorstellbar.« Der Zeitdruck, den die Bundesregierung aufbaue, verhindere eine sorgfältige Entscheidung. Er sei auch gar nicht notwendig. Schneider bekannte, dass er sich nicht in ein, zwei Tagen für oder gegen die Beschlüsse entscheiden könne.
Heute ist Freitag und wir sind noch in der Woche, in der laut Carsten Schneider eine seriöse Entscheidung für den Parlamentarier nicht möglich ist. Also ist Carsten Schneider wieder unseriös geworden wie man im »ZDF-Parlameter« nachsehen kann:
Was ist also passiert? Angst um den Listenplatz bei der nächsten Auskungelung? Schneider ist 36 Jahre alt, aber schon seit 14 Jahren im Bundestag. Welche Karriere hofft er mit einem derartig erbärmlichen, charakterlosen, rein taktischen Verhalten zu machen?
Dass es auch anders geht, d. h. dass es einen Politiker gibt, der seine Unzuständigkeit in einer aufgepressten Zeit nicht nur medial inszeniert, sondern dann auch entsprechend abstimmt, zeigt Marco Bülow (auch er ist von der SPD). Er spricht offen von einer »Verhöhnung des Parlaments«. Etwas anderes vermag ich an solchen akklamatorischen Pflichtübungen auch nicht mehr zu erkennen.
Dabei entsteht im übrigen nicht nur ein evtl. finanzieller Schaden (Finanzminister Schäuble gab ja gestern zu, selbst nicht alle Punkte verstanden zu haben; hierfür rekurrierte er auf seine »Beamten«). Art und Weise dieses zwanghaften Zustimmens können die Akzeptanz des Parlamentarismus und damit die demokratischen Institutionen dauerhaft gefährden. Wenn man sich in U‑Bahnen und Kneipen begibt, hört man längst das unsägliche Wort der »Quasselbude« wieder. Aber all das ficht Leute wie Schneider nicht an.
Um es deutlich zu machen: Es geht mir weder um die eigentliche Entscheidung zu Griechenland noch um die Möglichkeit, dass ein Oppositionspolitiker nicht »für« die Regierung stimmen kann. Es geht darum, dass hier aus rein taktischen Gründen ein Popanz aufgebaut wird, den man dann mit scheinbar staatstragendem Gestus wieder zu Grabe trägt. Wobei man eigentlich nie die Absicht hatte, sich irgendwie anders zu verhalten. Dieses Gehabe nenne ich heuchlerisch und erbärmlich.
Carsten Schneider ist die SPD! Ein angepasster Berufspolitiker, für den der Parlamentssitz existenziell wichtig ist, da er zwar einen Beruf erlernt, aber nie ausgeübt hat. Wie all diese Seeheimer auf eine Politkarriere angewiesen und in jeder Hinsicht äußerst flexibel, ist die Parteizugehörigkeit nur ein untergeordnetes Kriterium. Schneider könnte auch CDU oder FDP, wie es umgekehrt auch bei diesen Parteien Leute gibt, die ohne Probleme für die SPD arbeiten könnten. Wegen Figuren wie Schneider ist die traditionelle parlamentarische Teilung in Regierungsparteien und Opposition als zwei etwa gleichstarke, aber entgegengesetzte Blöcke kaum noch zu erkennen. Unglaubwürdige Heuchelei und Wortgeklingel von beiden Seiten sind an die Stelle echter Auseinandersetzung getreten. Allerdings, was soll man von jemandem erwarten, der mit 22 Jahren schon in den Plenarsaal kam und seit dem niemals mehr das Tageslicht erblickte?
Opposition, wie ich sie mir vorstelle, gibt es aber auch noch, hier z.B. und das mag ja auch nur Polittheater sein, aber es sieht einfach gut aus
Wenn meine Informationen stimmen (verbürgen kann ich mich dafür nicht, es ist zu lange her und ich habe es nur aus zweiter Hand von einem Erfurter), ist CS als einziger seiner Klasse nach seiner Banklehre nicht von seiner Bank übernommen worden. Im Wikipediaartikel über ihn liest man das natürlich nicht.
Es gibt doch diesen schönen Spruch: Wer nichts wird, wird Wirt. Meiner Meinung nach tut man hier den Wirten unrecht, es gibt da noch ganz andere Berufe...
@blackconti
Naja, Frau Wagenknechts politische Sichtweise ist derart radikal von jeder Möglichkeit einer Umsetzung entfernt, dass man sie in 20 Jahren noch als verpasste Gelegenheit preisen kann. Ich glaube schon, dass es Mittelwege gibt, die aber nicht gewünscht sind.
Im übrigen gehört auch Wagenknecht zur Berufspolitiker-Generation (wie Schneider und Mißfelder und all die anderen windigen Gestalten).
@Gregor – So richtig weiß ich jetzt nicht, was an Wagenknechts Situationsbeschreibung so radikal oder gar falsch ist. Sie stellt einfach nur klar, wer von diesen Griechenland -»Hilfen« in Wirklichkeit profitiert, weil das von der »besten Regierung seit der Wiedervereinigung« sowieso, aber auch von der sogenannten Opposition, von SPD und Grünen, verschleiert bzw. nicht benannt wird. Sie nimmt die Schönfärberei der Regierung nicht hin, zeichnet ein realistisches Bild und sie benennt die Lösung, den Schuldenschnitt oder Eurobonds, was ja sowieso kommen wird, was ja auch jeder weiß, was aber die Regierung ums Verrecken jetzt noch nicht zugeben will.
Das ist echte Opposition und was daran so radikal sein soll, erschließt sich mir nicht.
Ja, und dann sehe ich, abgesehen vom Alter, keine Gemeinsamkeiten zwischen Wagenknecht und diesen Schneiders und Mißfelders. Der auffälligste Unterschied ist, dass die Frau Wagenknecht einfach viel besser aussieht ;-)
Die Diagnosen von Wagenknecht sind meist richtig – ihre Lösungen jedoch zu sehr linken Idealen gehorchend. Ihr Trick ist, sich auf die Wirtschaftsliberalen zu berufen, um diese dann sozusagen zu vereinnahmen.
Die Vergemeinschaftung der Schulden ist seit Sommer beschlossene Sache. So wie man aus politischen Gründen Griechenland in den Euro hat hineingeraten lassen – und das zum Teil wider besseres Wissen -, so ist jetzt Konsens, dass Griechenland um wahrlich jeden Preis im Euro verbleiben soll. Ansonsten müsste nämlich die EZB gewaltige Abschreibungen vornehmen. Dass Merkel noch so tut, als sei sie ein Bollwerk dagegen, ist natürlich dem Wahlkampf geschuldet. Daher ist es übrigens egal, wer die Wahlen 2013 gewinnt – die Entscheidungen in Europa sind längst gefallen.
Soweit ich das, man verzeihe mir den Einwurf aus der weiten österreichischen Entfernung, beurteilen kann, zeigt Wagenknecht durchwegs leicht wiedererkennbare Haltung. Das unterscheidet sie wesentlich und wohltuend von vielen anderen Volksvertretern – da mag man politisch von ihr halten, was man will.
Von der unsäglichen »Griechenland-Handhabung« mal gänzlich abgesehen, ist auch beizupflichten, dass die Entscheidungen in Europa bereits gefallen sind, namentlich mit der »Schuldenbremse« bzw. dem »Fiskalpakt«. Was gesamtwirtschaftlich nicht darstellbar ist – das ist der Abbau der öffentlichen Verschuldung bei gleichzeitig stattfindendem weiteren Aufbau von Vermögen in den übrigen Sektoren – wird spätestens ab 2019 zur Wiedervereinzelung Europas führen.
Doch ist mir bewusst, dass meine Einlassung im strengsten Sinne des Beitrages eine Themenverfehlung begeht. Ich bitte deshalb um Nachsicht.
Ihre These der Wiedervereinzelung Europas finde ich aufregend. Wie kommen Sie auf Datum 2019?
In durchaus weiterer Fortsetzung einer Themenausweitung: Ich glaube auch, dass die EU irgendwann in dieser Form auseinanderfallen bzw. nur noch als Marktplatz fungieren wird (vielleicht mit Schengen-ähnlichen Grenzen).
Eine ausführlichere Darstellung hätte ich eben vollendet. Sie ist allerdings recht lang (knapp 700 Wörter) geraten ... (?)
Mir ist da ein Fehler unterlaufen: es muss natürlich 2020 heißen. Das ist jenes Jahr, ab welchem den Bundesländern in Deutschland jegliches strukturelles Haushaltsdefizit untersagt ist.
(mit meiner angekündigten Darstellung würde ich, nun bei Tageslicht besehen, den gegebenen Rahmen doch weit überschreiten und möchte mich deshalb lieber zurückhalten)
Naja, die sogenannte »Schuldenbremse« ist bei Licht betrachtet kaum mehr als ein Placebo-Pillchen. Es gibt natürlich »Ausnahmen«, die praktisch jederzeit, d. h. je nach Konjunkturlage aktiviert werden können. Papier ist – wie die Euro-Verträge zeigen – geduldig, Verfassungsparagraphen kein Dogma; im Zweifel auch in Deutschland.
Prinzipiell kann ich gegen eine Begrenzung von Schulden nichts finden. Sie widerspricht natürlich der Wachstumsideologie des Kapitalismus, der alle Parteien (außer die Linke) verhaftet sind. Nach der deutschen Bundestagswahl 2013 wird die EU endgültig in eine Haftungsunion umgewandelt werden, was sie praktisch jetzt schon ist. Die EZB wird wie die Fed agieren. Das schafft noch ein paar Jahre Luft. Dann ist Frau Merkel raus aus dem politischen Geschäft.
Die Hinweise auf »Ausnahmen« und »Papiersgeduld« haben Berechtigung, überhaupt keine Frage. Was die Begrenzung von Schulden betrifft, ist hingegen Vorsicht geboten. In den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Euro- bzw. EU-Staaten führt das unausweichlich zu heftigen Verwerfungen. Wo Schulden begrenzt werden sollen, müssen notwendigerweise auch Vermögen im selben Ausmaß begrenzt werden. Das wird nicht dazugesagt. Ich meine sogar, dass dieses Verschweigen nicht einmal wahltaktischen Erwägungen, sondern schlichtem Unverständnis geschuldet ist.
Damit finde ich glücklicherweise nun doch zum Kern des Beitrages zurück: aus Unverständnis kann keine seriös argumentierbare Haltung entstehen. Die eine Woche mehr hätte am vorliegenden Abstimmungsergebnis nichts zu verändern vermocht. Daran kommt auch Schneider nicht vorbei. Nicht zuletzt deshalb ist auch Ihre zusammenfassende Benennung des Gehabes zutreffend.
Die Schuldenbegrenzung alleine ist natürlich nicht zielführend. Am Beispiel Griechenland ist das deutlich zu sehen: Die Milliardäre dort haben schon vor längerer Zeit ihre Vermögen anderweitig geparkt (übrigens ist nicht nur immer die Schweiz der Übeltäter; Luxemburg ebenfalls). Es ist notwendig, den Kapitalverkehr verstärkt zu kontrollieren und den lächerlichen »Wettbewerb« zwischen den einzelnen Staaten um niedrigere Steuersätze auszusetzen.
Schon klar: Mit einer Woche mehr Bedenkzeit wäre die Entscheidung nicht anders ausgefallen. Insofern haben Sie natürlich Recht. Schneider verlässt aber in seiner »Trotzdem-Zustimmung« jegliche Form der Glaubwürdigkeit. Im Prinzip wird damit das so oft beschworene Recht des Parlaments zur reinen Farce heruntergewürdigt. Im übrigen liegt – wie so oft – manchmal die Wahrheit in der Sprache: Das einfachste Abstimmverfahren im Deutschen Bundestag heißt Hammelsprung. Noch verlaufen die Abstimmungen über Milliardenpakete anders. Aber das Wort sagt ja auch so einiges...
Wenn hier alle so schlau sind, warum geht ihr nicht in die Politik??? Aus belegbarer Quelle weiß ich, dass Carsten Schneider sein Abitur mit 1,5 gemacht hat und sehr wohl von seiner Bank (Volksbank Erfurt) gern übernommen worden wäre. Er selbt hat gekündigt! Na ja wie war das, Mitleid bekommt man geschenkt und Neid muss man sich halt erarbeiten. Viel Spaß noch hier .
Wenn hier alle so schlau sind, warum geht ihr nicht in die Politik???
Erstens möchte man sein Talent vielleicht nicht verschwenden und zweitens muss man nicht Koch sein um festzustellen, dass die Suppe versalzen ist.
Aus belegbarer Quelle weiß ich...
Danke für die Information. Ändert am Sachverhalt des Beitrags allerdings nichts.