So weit, so gut. Es folgen kraftvoll geschriebene Aufsätze, die so gut wie alle relevanten journalistischen und politischen Affären der letzten Jahre Revue passieren lassen. Es beginnt mit dem Fall von Bundespräsident Wulff, den Hunger im Nahkampf mit der vereinten Medien-Landschaft von »Spiegel« bis »FAZ« straucheln sieht. Natürlich hebt er auch die »Bild«-Zeitung hervor, die sich urplötzlich in der Rolle des unerschrockenen Aufklärers und des Kämpfers für die Pressefreiheit wiederfand. Auch wenn er (richtigerweise) attestiert, »Bild« könne nur noch Trends verstärken, die als Stimmung in der Bevölkerung schon vorhanden sind, aber kaum eigene setzen, verfällt er in der Wiederholung der Mär von der Partnerschaft zwischen »Bild« und Wulff. Dabei stützt er sich auf die Studie »Bild und Wulff – Ziemlich beste Partner« von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz [pdf] und übernimmt die Formulierung der »seit vielen Jahren erprobte Geschäftsbeziehung« zwischen »Bild« und Wulff ohne Einschränkung. Zwar analysiert die Studie auf höchst interessante Weise die Sprache der »Bild« in Bezug auf Wulff und dessen positiver Darstellung. Allerdings berücksichtigt Hunger die Fehler leider nicht: Zum einen werden »Bild« mit »bild.de« und »Bild am Sonntag« in einen Topf geworfen – ein Problem, dass die Autoren selber einräumen. Dabei hatte »Bild am Sonntag« 2010 ausdrücklich und massiv Joachim Gauck als potentiellen Bundespräsidenten favorisiert (»Yes, we Gauck«-Schlagzeile). Und zum anderen wird schlichtweg ausgeblendet, dass sich »Bild« und »Bild am Sonntag« kritisch mit Wulffs Rede zum 3. Oktober 2010 auseinandersetzten (»...der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland«), wie man beispielsweise hier, hier und hier nachlesen kann und insbesondere Politikern von CDU/CDU, die den Bundespräsidenten kritisierten, ein Forum boten, während man parallel eine »Yellow-Press«-Stategie verfolgte. Faktoren, die übrigens nicht nur bei Hunger vernachlässigt werden, sondern auch im Buch »Der böse Wulff?« von Michael Götschenberg.
»Bild« trennte die Glamour-Figur Wulff und den Bundespräsidenten. Etwas, was Wulff ebenfalls praktizierte (wie man anhand einer Analyse seines Fernsehauftritts vom 4. Januar 2012 gut nachvollziehen kann). Die »Geschäftsbeziehung« mit »Bild«, die Wulff vielleicht wirklich als eine Art informelle Absprache betrachtete, galt für die Redaktion nur so lange, wie sie für das Organ einen Vorteil versprach. Die Kipppunkte in der »Beziehung« zwischen »Bild« und Wulff erwähnt Hunger nur unzureichend. Und leider bietet er auch in der weiteren Betrachtung der Affäre nur die üblichen Stereotypen: Da ist inflationär von Schauspiel oder Tragödie die Rede; Begriffe, die längst zu hohlen Phrasen herabgewürdigt wurden. Natürlich gibt es jene mediale Hybris, die sich im Gespräch Wulffs mit Schausten und Deppendorf exemplarisch zeigte (Zimmermiete für die Übernachtung eines Freundes). Aber sie nur an diesen Punkten festzumachen, greift zu kurz. Weder den Rücktritt Horst Köhlers und die medialen Implikationen und Hysterisierungen, die hier aufbrausten, noch Abläufe und Timing der Wulff-Geschichte werden eingehend untersucht. Das wäre aber notwendig gewesen, um nicht einen schnöden Aufguss der Chronologie versetzt mit einer Portion abgestandener Aufregung in Richtung Medien zu servieren.
Warum wurde Köhler für Aussagen derart abgestraft, die längst gängige und formulierte Politik Deutschlands waren? Und wie kam die Nils Minkmar von der »FAS« dazu schon vor Weihnachten 2011 von einem vermeintlichen Ausbruch Wulffs auf Diekmanns Mailbox zu schreiben? Welche Gründe trieb auch die seriösen Medien (die Hunger zu recht ebenfalls mit spitzen Fingern anfasst) dazu, die Tröpfcheninfusionen aus dem Springer-Haus gierig aufzusaugen und wiederzugeben? Man denke an den Auftritt von Mascolo (»Spiegel«) und Blome (»Bild«) bei »Günther Jauch«, in der sich Mascolo vor der Kamera die Zitate aus dem Wutanruf Wulffs von Blome beglaubigen lässt – die einzige Quelle des »Spiegel« war »Bild« (später dann rhetorisch-pflichtschuldigst einige distanziert-pseudokritische Sätzchen gegen »Bild«). So zutreffend Hungers Diagnosen sind (etwa wenn er in der Selbstüberhöhung zu obersten Richtern im Journalismus eine Anmaßung sieht) und so unbestritten die kampagnenartigen Spielchen beispielsweise des »Spiegel« 2002 waren (»Wir haben beschlossen, dass Rot-Grün weg muss« zitiert Hunger den ehemaligen Chefkorrespondenten von »n‑tv« und »RTL« Gerhard Hofmann) – so ermüdend sind bloße Aufzählungen journalistischer Schweinereien, wenn sie nicht kontextualisiert und befragt werden.
Publikumsbeschimpfung, wenn einem nichts mehr einfällt
Fast verzweifelt verfällt Hunger immer wieder in die Beschimpfung des Publikums: Es gehört zur Hybris des Publikums, von gesellschaftlichen Würdenträgern ohne Abstriche moralisches Handeln zu verlangen. An anderer Stelle wird dem empörungsbereiten Publikum der journalistische Sittenverfall noch deutlicher in die Schuhe geschoben: Das Publikum liebt den Skandal, kostet ihn aus und interessiert sich dann nicht mehr für die offenkundige Fehlleistung des Angreifers, so schreibt Hunger. Einen überprüfbaren Beleg für die These des skandalliebenden Publikums bleibt er schuldig. Gegenbeispiele bieten sich dafür an: In Deutschland verfiel man weder in Terror-Wahn noch ging der Paranoia über Schweine- und Vogelgrippen auf dem Leim. Und kurz vorher hieß es noch, die Leute verzeihten sehr wohl kleinere Fehltritte von Prominenten, ohne diese sofort zu richten. Stimmt dies, so müssen Journalisten moralisch grenzwertiges Handeln erst zum Skandal aufpumpen, um überhaupt noch eine Reaktion hervorzurufen. Wie aufregend wäre es gewesen, die vermeintlichen Skandale (Köhler, Grass-Gedicht, Vatileaks – all dies kommt vor) abseits von hysterischem Gekreisch zu analysieren.
Mit Verve nimmt sich Hunger des Wirtschaftsjournalismus an. Die Überschrift eines Kapitels lautet, der Wirtschaftsjournalismus habe seine Glaubwürdigkeit verspielt. Wer zwei Ökonomen nach der richtigen Antwort auf die Schuldenkrise fragt, erhält drei Antworten. Aber diese Zweifel am eigenen Urteilversmögen werden nicht thematisiert, wenngleich es ein intellektuelles Gebot wäre. Aber woran liegt das? Hunger greift in der Not zu Klischees. Mal entdeckt er bei den Journalisten mangelnde Sachkenntnis. Dann wieder den Zwang zur schnellen, griffigen Schlagzeile (der womöglich auf einer Fehleinschätzung des Lesers/Zuschauers beruht, aber auch das thematisiert er nicht). Aber wie sieht es mit der schleichenden Infiltration des Journalismus beispielsweise durch Unternehmen aus? Hunger zitiert Peter Sloterdijk, der von »eingebetteten Journalisten« spricht. Das war es aber dann. Dass dies mehr als nur ein weiteres Vorurteil ist, zeigt sich an den aktuellen Vorwürfen über Hofberichterstattung über Thyssen Krupp durch vom Unternehmen perfekt organisierte Luxusreisen von Journalisten. Diese Vorgänge werden in besonders perfider Form totgeschwiegen; nur Jörg Eigendorf vom »Welt-Investigativteam«, David Goeßmann vom »Deutschlandfunk« und eine Journalistin vom »Wall Street Journal« thematisierten dies. Die »FAZ« verfasst schüchtern eine kleine Meldung. In den Hauptnachrichtensendungen des Fernsehens schweigt man sich aus. Allenfalls die Verstrickungen von Betriebsratsmitgliedern in die Korruption war der »heute«-Sendung des ZDF eine kurze Meldung wert. Kein Vergleich zur Empörung über Luxus- und Sexreisen von VW- oder Ergo-Mitarbeitern. Vermutlich versteht man dieses laute Schweigen in eigener Sache als journalistischen Corpsgeist.
Dabei könnte doch gerade Hunger als ehemaliger PR-Manager aus dem Nähkästchen plaudern oder mindestens Beziehungen spielen lassen, ohne dabei seinen ehemaligen Arbeitgeber desavouieren zu müssen. Stattdessen verwurstet er den hinlänglich analysierten Fall Hunzinger/Scharping, verdammt pauschal PR-Rhetorik und spricht eher allgemein vom PR-Büttel der Finanzwelt, den die Journalisten allzu willig zitieren würden. Als Kronzeugen für die Untiefen der Public Relations dient ihm Klaus Kocks, den er als vordergründig zu den Ehrlicheren erklärt, weil dieser sich selbst und die Branche als potentielle Lügner darstellt. Aber auch hier referiert er nur aus dessen Büchern und Interviews. Eigene Recherchen und neue Fakten gibt es nicht.
Stattdessen rät er den Journalisten PR-Begriffe wie »Rettungspaket« oder »Rettungsschirm« zu vermeiden und stattdessen von »Kreditpaket« oder »Bürgschaft« [zu] sprechen. Die Begründung ist interessant: Es seien Begriffe, die Normalbürger auch verstehen könnten. Dabei lässt er außer Acht, dass die Verwendung der »Rettungs«-Vokabeln weniger die Rezipienten überfordert (diese Annahme zeugt wieder einmal von einer ziemlich negativen Sicht auf diese), sondern als sprachmanipulative Euphemismen Verwendung finden. Die Aufgabe wäre demnach nicht der Austausch von Begriffen, sondern die Herausstellung, warum gerade diese Begriffe in der Politik verwendet werden.
Der wuchtig angegriffene Wirtschaftsjournalismus bekommt dann plötzlich und überraschend neues Leben eingehaucht. Hunger zitiert aus einer Studie, nachdem die Werte für Glaubwürdigkeit beim Journalisten noch höher liegen als bei Politikern. Das benutzt er zur Kehrtwende und sieht den (Wirtschafts-)Journalismus dann offenbar als eine Art Volkshochschule, wenn er (womöglich äußerst populär) schreibt: Nicht den orthodoxen Lehrstuhlinhabern und Institutsvorstehern oder den Bankern und Finanzpolitikern einfach nachzuplappern, sondern die Sicht der Dinge aus Sicht des Bürgers und Verbrauchers zu erklären, denn, so schließt er nonchalant aus einer Umfrage (die mit Hilfe einer Bank in Auftrag gegeben wurde): Das Volk will Antworten. Antworten von Journalisten auf die Eurokrise? Wie soll das funktionieren, wenn womöglich noch nicht einmal die richtigen Fragen gestellt werden? Schließlich konstatiert Hunger selber, wie uneinig sich die sogenannten Experten in der Bewertung ökonomischer Vorgänge sind.
Edelfedern mit Heiligenschein
Auch gegen die Edelfedern wettert Hunger: Journalisten, insbesondere jene Gattung, die sich dem lupenreinen investigativen Bereich ihres Gewerbes zuordnet, laufen gerne mit einem Heiligenschein durch Redaktionsräume und öffentliche Wandelhallen. Wenn sie wieder einmal Anrüchiges »aufgedeckt« und ihr Blatt damit geschmückt haben, wird das zur Schau getragene Ego kaum noch erträglich. Dabei untersucht Hunger den interessanten Aspekt, dass so manche RechtsInstitution auf »verlässliche« Journalisten setzt, um über die Öffentlichkeit Druck auf den oder die Beschuldigten auszuüben. Somit würde, so die These, gar keine primär journalistische Leistung vorliegen: man nimmt das zur Verfügung gestellte Material und/oder wird, im schlimmsten Fall, entsprechend instrumentalisiert.
Hunger sieht es durchaus kritisch, wie weit inzwischen der Informantenschutz bei Affärenflüsterern geht, die unter Umständen auch vertrauliche Dinge an Journalisten weitergeben dürfen. Und warum wird es per se als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet, Informanten von Journalisten bei Rechtsverstößen habhaft zu werden? Statt diese Fragen analytisch anzugehen, misst Hunger dem sogenannten investigativen Journalismus eine übertriebene Rolle zu. Damit betreibt er vielleicht unbewusst jenen Sensationalismus, den er so ablehnt.
Dabei gibt es wirklich gute Ansätze in diesem Buch. Etwa die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit…medial inszeniert werde. Jetzt hätte man gerne einige Beispiele; der Köhler-Rücktritt böte sich zum Beispiel an. Oder die Neigung von Journalisten, ihre bloßen Vermutungen als Fakten darzustellen und diese dann zum Maßstab ihrer weiteren Bewertungen zu machen. So werden Personen aber auch Trends rauf- und später wieder runtergeschrieben: Es genügt, wenn die Erwartung der Journalisten nicht befriedigt wurde. Dies zu untersuchen wäre sehr viel interessanter gewesen, als das leidlich durchgenudelte Döpfner-Fahrstuhl-Zitat zu wiederholen oder sich an Exzessen eines Pseudo-Journalismus wie Witwenschütteln abzuarbeiten.
Gut wird von Hunger herausgearbeitet, warum Vorgänge von den Medien mit Vorliebe personalisiert werden (wobei der Aspekt der gewollten Vereinfachung von Sachverhalten nicht angesprochen wird; es geht Hunger ausschließlich darum, dass man ein »Gesicht« besser präsentieren kann, als eine Gruppe). Auch die Feststellung, dass Verleger und Chefredakteure immer mehr zu Verlagsmanagern mutieren, die die nur ein Rezept kennen: sparen, schließen, streichen, ist nicht ganz neu, aber ein wichtiger Aspekt. Aber was macht Hunger daraus? Nennt er Beispiele? Leider nicht. Stattdessen zitiert er Frank Schirrmacher, der sich empört, dass die nächste Generation Redakteure zu verarmen drohe. Und bedauerlicherweise unterlässt es Hunger (aus Unkenntnis oder weil es ihm nicht in die Argumentation passt?), wie erbärmlich die »FAZ« die immer zahlreicher werdenden freien Autoren bezahlt. Der Schriftsteller Alban Nikolai Herbst schrieb dazu nach Abrechnung für einen seiner Beiträge auf seiner Webseite: »Wie soll Schirrmacher gesagt haben? ‘Es ist eine Ehre, für die »FAZ« zu schreiben’, das sei des Honorars genug«.
Zu großer Form läuft er schließlich auf, wenn es gilt, die sogenannte Schwarmintelligenz im Netz anzugreifen. Für Hunger allesamt nur Para-Journalisten, die mit wahren und falschen Behauptungen – vorzugsweise im Netz – experimentieren. Kronzeuge gegen die »Schwarmdummheit« wird für ihn Frank Schirrmacher, den er teilweise verzerrend zitiert. Aber er übernimmt das längst schlaff am Mast baumelnde Fähnchen »Qualitätsjournalismus« – eine Bezeichnung, die er an anderen Orten in seinem Buch so vehement infrage stellt. Hunger greift dann noch den Transparenzwahn auf und echauffiert sich über Google-Apostel, die Bettina Wulffs Suchmaschinenresultate schulterzuckend dem Algorithmus zuweisen. (Herrlich übrigens der Gedanke, diejenigen, die ein Interesse an dem Rufmord an Bettina Wulff haben, hätten so lange geklickt, bis der Google-Algorithmus entschied, Leuten, die nach »Bettina Wulff« suchen, gleich »Prostituierte« mitzuliefern.) Und schliesslich wird GuttenPlag zum Fallbeil der Netz-Guillotine und Ursache und Wirkung irgendwie wunderlich verdreht. Zwischendurch wendet sich Hunger auch noch der Urheberechtsdebatte zu. Während beim Thema Netz und Journalismus Frank Schirrmacher und beim Urheberrecht Stefan Niggemeier als Referenzen und Zitatgeber dienen, durchziehen die Thesen von Jens Bergmann und Bernhard Pörksen über Skandale in den Medien praktisch das ganze Buch. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht auch hier die Zitate al gusto verwendet würden.
Vierte Gewalt?
Ein gutes Beispiel für Hungers Undifferenziertheit zeigt sich an der von Schirrmacher paraphrasierten These der einseitigen Information, die das Netz fördere: Orientiert man sich…nur am Netz, wird man eine Welt kennenlernen, die man ohnehin schon kennt oder die einen gerade interessiert. Aber was ist daran netzspezifisch, sich Informationen über Themengebiete zu besorgen, für die man sich interessiert? Ist die »Abschottung«, die einem vor »unliebsamen« Erkenntnissen beschützen soll, im Netz nicht mitunter schwieriger als in den »klassischen« Medien? Ein Beispiel: In den 70er/80er Jahren wusste man, welche politisch-reaktionäre Stoßrichtung das »ZDF-Magazin« mit Gerhard Löwenthal hatte. Es war ein Einfaches, sich von dieser propagadagleichen Berichterstattung zu absentieren: Man schaltete einfach nicht mehr ein. Und jetzt? Es ist ziemlich leicht, die nicht interessierenden Seiten in einer Zeitung oder einem Magazin einfach zu überblättern. Was aber, wenn einem nun im Netz eine persönliche Empfehlung, ein Link, darauf führt? Zwar glaube ich auch, dass am Ende die Informationskanäle nach persönlichen Neigungen ausgesucht werden. Aber dies kann unmöglich dem Netz angelastet werden – es ist (unter anderem) ein Schutz vor der Überinformation. Selektion im Netz fällt unter Umständen sogar schwerer; verlangt größeren Aufwand in der »Vermeidung« des Unerwünschten, auch wenn gruppendynamische Prozesse, die zu dichotomischen Weltbildern führen, zweifellos auch hier eine gewichtige Rolle spielen. Aber hierfür hätte man das Meute- und Schwarmverhalten von Journalisten und auch Rezipienten untersuchen müssen, statt es voreilig und pauschal zu denunzieren.
Und irgendwann möchte man, dass sich der Autor dann bitte entscheidet: »Vierte Gewalt« oder nicht? Worin läge eine Legitimation durch Journalisten, zur »Vierten Gewalt« zu werden? Und wenn ja, dann möchte ich einen Entwurf zur Gewaltenteilung sehen, denn es kann nicht sein, dass die »Vierte Gewalt« die anderen dominiert. Überraschend ist es dann schon, wenn Hunger mit seiner bombastischen Journalistenkritik plötzlich schreibt, die Presse habe eine aufklärerische Rolle zu spielen, an der Seite der Machtlosen gegenüber den Mächtigen zu stehen, zu recherchieren und niederzuschreiben. Plötzlich redet er einem Gesinnungsjournalismus das Wort. Wie kommt er darauf? Und wo ist denn dieser Anspruch der vorausgenommenen Parteilichkeit festgeschrieben? Dagegen fällt mir immer wieder Hanns-Joachim Friedrichs Diktum vom Journalisten ein, der sich mit keiner Sache gemein machen dürfe – eben auch nicht mit der vermeintlich »guten« Sache. Zumal sich dann die Frage nach Definition und Festlegung des »Guten« stellt.
Hungers Herangehensweise in diesem Buch ist leider allzu komplexitätsreduzierend. Die Fehleranalyse, die »Blattkritik«, würde sich im Untersuchen des Alltagsjournalismus zeigen. Wie manipulativ sind die mit Objektivität daherkommenden journalistischen Beiträge, die sich bei näherer Betrachtung als Meinungsmache entpuppen? Warum werden Kommentare nicht mehr als solche kennzeichnet? Vielleicht kann man hieran die »Krise des Journalismus« festmachen, wie neulich Stefan Sasse in einer wirklichen »Blattkritik« einwarf. Oder man könnte nach Intentionen forschen (wie zum Beispiel hier) und versuchen, den Stand des Journalismus im Internet-Zeitalter zu ermitteln. Hieran hat Hunger aber kein Interesse. Hunger erleichtert sich mit Affekten; die zum Teil boulevardeske Sprache tut sein übriges und ist mit der Zeit kolossal ermattend. Ganz sicher wird er diese Kritik weder lesen, geschweige denn annehmen. Denn sie stammt ja nur von einem Pöbler im Netz.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Verehrter Herr Kollege Keuschnig,
gute Kritik. Chapeau! Manches unterschreibe ich, manches natürlich nicht. Grad so viel zum Wink mit dem Zaunpfahl: Sie schreiben von der »am Ende gescheiterten Übernahme von VW durch Porsche«. Was ist daran gescheitert, wenn die börsennotierte Gesellschaft Porsche SE mit ihren stimmberechtigten Gesellschaftern Porsche und Piech knapp 51 Prozent an Volkswagen hält? Sie haben leider auch nur die Formulierung von den anderen Gazetten übernommen.
Beste Grüße
Anton Hunger
Diese Darstellung stimmt also nicht? Warum stellen Sie das nicht klar? Es dürfte ja kein Betriebsgeheimnis sein, die Leute in die Geheimnisse des Gesellschafterrechts einzuweihen.