Seit einigen Jahren schreibt der Wahl-Liechtensteiner Jens Dittmar nun Romane. Sein neuestes Buch »So kalt und schön« nennt er kühn (er ist 64) sein »Vermächtnis«. Diese Aussage und insbesondere der Untertitel »Ein Sonderweg« erinnern natürlich sofort an Thomas Bernhards autobiographische Bücher. Aber hier kann Entwarnung gegeben werden. Bernhards Duktus wird von Dittmar weder kopiert noch fortgeschrieben.
»So kalt und schön« erzählt die Lebensgeschichte eines gewissen Aleph Kraus-Góngora (ein Künstlername; inspiriert vom spanischen Dichter Luis de Góngora y Argote), im weiteren Verlauf des Buches oft AKG abgekürzt. Sie beginnt mit AKGs Tod im Sessel. Dieser hatte wohl mit Guillotine und Scanner begonnen, die Bücher seiner Bibliothek zu entleiben und zu digitalisieren (einen Vorgang für den ich in Erinnerung an den Initiator dieser Idee den Begriff »herwigieren« vorschlagen möchte) als ihn der Herztod ereilte. Nach dem Prolog, der eigentlich ein Epilog bzw. Epitaph ist, beginnt die eigentliche Erzählung, und zwar »aus dem Nachlass von Hildegard Kleinschmidt (Temuco/Chile) herausgegeben, kommentiert und mit Anmerkungen versehen von Jens Dittmar«. Letzterer steuert auch die zahlreichen Anmerkungen am Ende des Buches bei. Schließlich gibt es ein Nachwort, in dem die Umstände des Manuskripts und der Bearbeitung erläutert werden.
Einen »Schelmenroman« nennt der Verlag das Buch. Es ist Literatur-Literatur; dieser AKG erzählt halbwegs chronologisch aber mit zahlreichen Abschweifungen sein Leben einer Bibliotheksbekanntschaft Andrea. Wie diese Informationen dann an Hildegard Kleinschmidt gekommen sind, bleibt irgendwie unklar, denn Jens Dittmar, also der so genannte Jens Dittmar in dem Roman, hat, wie es im Nachwort heißt, Andrea ausfindig gemacht und befragen können. Wenn aber die Befragungen in den Text einfließen, wie passt dies mit den Aufzeichnungen von Hildegard Kleinschmidt zusammen?
Ist das wichtig? Keine Ahnung. Fest steht: Wer an Rätselspielen, Scharaden und Mockumentaries Interesse hat, wird hier voll auf seine Kosten kommen. AKG war Lektor des Jonas-Wittling-Verlages und damit ist eine Art »Zelig« der deutsch(sprachig)en Literaturszene gefunden. Er war scheinbar immer »dabei«, kannte jeden und wenn es über acht Ecken oder sieben Brücken ist. Da agieren fiktive Dichter, Verleger und Lektoren neben und mit realen, wobei die fiktiven Charaktere oftmals ganz viel Ähnlichkeit mit realen Personen haben. Das Namedropping ist enorm; es gibt sogar ein Personenverzeichnis aller vorkommenden Figuren (real und fiktiv bunt gemischt) und eine Lebenschronik, in dem AKGs Lebensdaten mit dem wichtigsten historischen Ereignissen zusammen aufgeführt sind. Fast unzählbar die Referenzen und Anspielungen, für die man wohl ganz schön tief im Betrieb gesteckt haben und/oder einen riesigen Lesespeicher in seinem Kopf angelegt haben muss. Neben der Apostrophierung als »Schelmenroman« verdient sich das Buch ganz schnell die ebenfalls vom Verlag ausgesprochene Einstufung als »postmodern«. Prägnanter wäre womöglich die Bezeichnung »Wimmelroman« gewesen.
Aber ich muss gestehen: »So kalt und schön« ist ein Roman, der mich vollkommen überfordert hat. Er hat mich daher gelangweilt und das nicht wegen der Redundanzen zwischen Endnoten und Text oder wegen des manieristischen Tonfalls des fast monologisierenden »Kryptologen« und »Gongoristen« AKG, der natürlich zuweilen doch an Bernhards Theatermacher erinnert, dann aber wegen seiner Bildungshuberei auch an Umberto Eco oder an einen magischen Realismus à la Roberto Bolaño (den AKG sogar persönlich gekannt hat; AKGs Frau ereilt dann fast naturgemäß das Schicksal wie im schrecklichen Frauenmordkapitel von »2666«). Und manchmal schimmert ein Gemisch aus Eulenspiegel und Jean Paul zwischen bzw. in den Zeilen, denn dass sich AKG nicht einfach »im Dickicht der Lappalien« verliert und nicht so ein dämlicher, besserwisserischer Schwätzer ist, wie unsereins sie vielleicht in Bibliotheken trifft, ist schnell klar (und auch wieder nicht).
Gelegentlich erkennt man ja die Parallelen, die Allegorien (viele natürlich dann doch auf T. B., so beispielsweise der »Holzfällen«-Skandal) und ist dann auch kurze Zeit ein bisschen stolz. Aber meine Langeweile resultiert daraus, dass ich all dieser Spielereien, die in diesem Text stecken, irgendwann müde bin nachzuforschen. Am Ende bin ich zu ungeduldig und zu dumm für diesen textgewordenen Zauberwürfel, oder, freundlicher ausgedrückt: da ist ein Autor, der zu klug ist, der seine Figuren vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen lässt und das immer höher, aber der Autor, also der richtige Jens Dittmar, hat vergessen, dass es Leser wie mich gibt, die auf den diversen Stöckchen angekommen plötzlich von Schwindel befallen werden, weil man so weit über allem schwebt, dass man einfach nur das Buch zuklappen und »Frost« aufschlagen möchte oder beispielsweise ein Buch des anderen manisch-depressiven des 20 Jahrhunderts, Hermann Burger, der zuweilen auch in Dittmars Roman hervorlugt, ohne natürlich nur mit einem einzigen Wort erwähnt zu werden und ich bin so stolz diese Anspielung(en) verstanden zu haben und hoffe inständig, dass der Autor mir nicht mitteilt, dass es gar keine Anspielung(en) auf Hermann Burger in diesem Buch gibt.
Also ich kapituliere. Ich kapituliere vor diesem Universal-Leser Jens Dittmar. Es bedarf anderer Rezensenten, dieses Buch zu würdigen. Stefan Zweifel beispielsweise. Oder Ina Hartwig. Und ich bitte nun alle Leser, die klüger sind als ich, unbedingt dieses Buch zu kaufen, zu lesen und sich mit ihm zu vergnügen.