Daniel Bax beschwerte sich gestern im Politischen Feuilleton von Deutschlandradio Kultur über die Inflation der Hitler-Vergleiche. Dabei wiederholt all das, was man schon ‑zig mal gehört hat. Natürlich geht es ihm auch um die »Verharmlosung der Nazi-Diktatur«, die sich in diesen Vergleichen immer wieder zeige. Zur Illustration bedient sich der Sender eines Putin-Bildes unter anderem mit Hitlerbärtchen (hierfür ist Bax sicherlich nicht verantwortlich).
Wovon Bax schweigt ist der entscheidende Unterschied zwischen »Vergleich« und »Gleichsetzung«. Vergleichen kann ich alles mit allem – vielleicht ist es sogar geboten, dies zu tun, schon um festzustellen, dass A mit B nicht zu vergleichen ist. Putins Annexion auf der Krim kann man demzufolge vielleicht mit Hitlers Sudeten-Politik vergleichen, um dann festzustellen, dass beides eigentlich nicht miteinander gleichzusetzen ist. Dazu braucht man zunächst den Vergleich, der nicht per se etwas verharmlost oder gar relativiert. Erst eine Gleichsetzung könnte dergestalt kritisiert werden.
Dass der Vergleich in den Medien immer wieder stillschweigend als Gleichsetzung verwendet wird – DAS ist die fatale Entwicklung, die sich Kommentatoren wie Bax vielleicht einmal vornehmen sollten. Denn sie, die Medien, tragen zu der Inflationierung und am Ende auch Trivialisierung dessen bei, was sie danach wohlfeil kritisieren.
Skandalisierungsrhetorik benötigt solche Tricks, sonst ist sie erledigt. Die Hälfte der Skandalisierungen beruht auf Faulheit des Denkens. Ich schlage vor, hier mal eine Sammlung von Skandalisierungsrhetoriktricks zusammenzutragen. Es könnte ein Beitrag gegen tägliche Gehirnwäsche und Denkschlamperei werden.
Gute Idee. Vielleicht sollte ich vorher ein bisschen Geld sammeln und mich vielleicht »Sauerkrauter« nennen?
Wäre auch mit kleineren Beiträgen zufrieden.Dem Vergleichen ist gar nicht zu entkommen. Wir können fast keinen Gedanken fassen, ohne in irgendeiner Form eine Relation zu irgendetwas herzustellen. Ausnahmen sind vllt die unmittelbar ästhetisch-sensuellen Erfahrungen, z.B. sind Blüten immer »schön«, ohne dass ich sie untereinander vergleichen müsste. Aber z.B. die ganze Kunstgeschichte entwickelt sich entlang von Relationen, quasi kompetitiv (siehe auch Literaturpreise) gegenüber dem, was es schon gibt. Aus dieser Unmöglichkeit, etwas ohne Bezugspunkte zu beurteilen, ergeben sich dann eine Fülle von rhetorischen Schachzügen, wobei in meinen Augen immer der Schönste ist, wenn man Dinge miteinander in Bezug setzt, die nichts miteinander zu tun haben. Nach dem Muster: Während in Afrika Kinder verhungern ... hat sich X zurückgezogen und schreibt einen Roman über seine Uroma — feiert der Entwicklungsminister eine Geburtstagsparty, die über 5.000 Euro kostet — trinken die Deutschen immer mehr Bier etc. Damit kann man mühelos jemanden bzw etwas in einem Zug schachmatt setzen (»Sie tragen Krawatten, die 120 Euro das Stück kosten und wollen den Hartz IV Empfänger keine 10 Euro mehr im Monat gönnen! Ist Ihnen nicht selbst klar, wie abscheulich das ist!?«, »Die Regierung lässt die Bulgaren ins Land strömen, während 3 Millionen Deutsche keine Arbeit haben!« etc...)
Auf diese Art und Weise gibt es praktisch nichts, was nicht aus irgendeiner Perspektive dumm, brutal, hässlich oder sonstwie »unmöglich« aussieht. Wenn man ein Büchein schreiben würde »Der rhetorische Halunke« (oder so), dann könnte sich am Ende jeder darin seine eigenen gedanklichen Short-cuts beschrieben finden ;) Wem gelingt es schon, sich allen Un- & Wahnsinn aus dem Kopf zu schütteln?
Woraus man (boshaft) schließen könnte, dass es in weiten Teilen der Medien mehr um Setzungen als Diskussionen geht. — Verräterisch ist auch die moralische Bewertung: Gefragt wird meist nicht nach den (unterscheidenden) Charakteristika, die ein Vergleich ans Licht bringt oder den Konsequenzen, die aus ihm zu ziehen wären.
@Fritz Iversen
Natürlich ist dem Vergleichen nicht zu entkommen. Darum ging es mir auch nicht. Ich finde ja die Tabuisierung von Vergleichen und den synonymen Gebrauch Vergleich = Gleichsetzung fatal. Gerade im »unmöglichen« Vergleich kann ja oft eine Erkenntnis liegen.