Noch mehr als sonst, muss man sich die Argumente derjenigen, die sogenannte militärische Interventionen befürworten, ansehen. Ein Beispiel aus der österreichischen Presse.
Eine Intervention zur Verhinderung humanitärer Katastrophen bedarf einer ausführlichen Begründung: Sie ist nur nach Ausschöpfung aller anderen Mittel, der Aussicht auf Erfolg und unter einem Mandat der Vereinten Nationen gerechtfertigt. Erfolg bedeutet hier eine (meist unausgesprochene) Abwägung von Menschenleben: Besser wenige, als viele Tote; besser ein paar hundert, als zehntausende. Das ist ein Kalkül im Angesicht einer offenen Zukunft: Eine Intervention kann die Lage weiter verschlechtern und das Gegenteil bewirken.
Der Titel »Gegen den Krieg und für Frieden sein: Europäer, das genügt nicht!« lässt vorsichtig werden, stehen doch derzeit einige europäische Nationen im Krieg gegen den Islamischen Staat, waren sie in der Vergangenheit doch an den Interventionen in Libyen, im Irak oder in Afghanistan beteiligt und haben unlängst eine aggressive Haltung der NATO gegen Russland unterstützt. Man ahnt: Die Europäer sind noch zu weich, sie müssen mehr Verantwortung übernehmen, bereit sein für den Frieden Krieg zu führen: Die Resultate solcher Vorhaben liegen im Irak oder in Afghanistan vor aller Augen, der Erhalt des Friedens war häufig weder Grund noch Resultat solcher Interventionen und das Chaos danach größer als zuvor. — Vermutlich stecken hinter dieser Rhetorik handfeste Interessen, aber sehen wir uns die Argumente einmal an.
Bereits im Kopftext beginnt die Verdrehung der Tatsachen: Nicht zehntausende, sondern etwa 6000 Zivilisten befanden1 sich zur Publikationszeit des Texts noch in Kobane. Doch das bevorstehende Massaker muss möglichst gewaltig gezeichnet werden, damit die Kontraste – pazifistische Europäer auf der einen Seite, die humanitäre Katastrophe auf der anderen – auch eine emotionale Wirkung beim Leser verursachen, der aus eben dieser das eigene Versagen begreifen soll: Europa sieht tatenlos zu, es sollte aber handeln, aus moralischen Gründen. Diese sind deshalb wichtig, weil man dann nicht an Recht, Gerechtigkeit oder gar Humanität denken muss. Das sollte man aber, denn humanitär ist die Intervention selbst nicht, sondern erst ihre Folgen, das oben beschriebene Kalkül, von dem wir nicht wissen ob es aufgeht. Darüber hinaus erhebt die Moral den eigenen Standpunkt und fördert die Blindheit (die schlechteste Art Politik zu machen).
Damit die Fronten möglichst klar werden, müssen Erdoğan und die Türkei dämonisiert werden, was relativ einfach ist, wenn man die Interessen der Kurden außer Acht lässt: Erdoğan sei ein brutaler Machtpolitiker, paktiere mit den wahnsinnigen Islamisten (man beachte dass zwischen fanatisch und wahnsinnig ein Unterschied besteht) und schlage Demonstrationen gewaltsam nieder: All dies hat einen realen Boden, wird aber möglichst so gezeichnet, dass es in die »Argumentation« passt; Zweifel bleiben außen vor: Dass Erdoğan mit den Islamisten paktiere ist nicht bewiesen, es gibt allenfalls Hinweise für deren (mehr oder weniger) passive Unterstützung; und ob die Toten und Verletzten bei den Demonstrationen (denken wir an Hamburg) nur auf Übergriffe staatlicher Seite beruhen, darf bezweifelt werden. Abschließend wird die Position der Türkei innerhalb der NATO rein moralisch angegriffen, obwohl es durchaus militärische Argumente gäbe. — Europa müsse sich auf dem Feld der Moral verdient machen und seine Ehre wiederherstellen (eine archaische Logik).
Durch eine solche Vorgangsweise erspart man sich mühevolle Analysen und leistet zugleich eine moralische Mobilisierung, Gründe für eine Intervention fehlen: Die ausgeschöpften Mittel und die Umstände des zu verhindernden Massakers oder die Aussicht auf Erfolg. — Daneben drängt sich die Frage auf: Wo war der werte Verfasser eigentlich, als die Menschen zu tatsächlich zehntausenden in den Kriegswirren in Syrien umkamen? Beim Nägelschneiden? Der Zeitpunkt der Wortmeldung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Gründe für diesen Kommentar medialen, politischen oder interessegeleiteten, jedenfalls nicht humanitären, Ursprungs sind.
Was fehlt ist eine Art Segen, der die Unverbrüchlichkeit des Unterfangens sicherstellt, am besten von möglichst weit oben, und da Gott nicht mehr gut ankommt, wir erinnern uns an die Kreuzzugsrhetorik, sind weltliche Autoritäten, in diesem Fall Einstein und Freund, die getroffene Wahl: Wenn diese beiden schon eine Weltpolizei wollten, dann ist das über jeden Zweifel erhaben, man kann sich weitere Argumente sparen und den Platz anderwärtig nutzen: »Ist eine solche [Weltpolizei] im Rahmen der UNO nicht realistisch durchsetzbar, dann ist es die moralische Pflicht der westlichen Welt, die Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte auch in anderen Ländern, nötigenfalls auch mit militärischen Mitteln, zu verteidigen.« Kurzum: Steht die UNO unseren Interessen im Weg, dann ohne sie. Bleibt nur noch zu klären wen man sich vornimmt: China vielleicht? Oder Saudi Arabien? Oder kleiner: Boku Haram?
Eine Interventionsideologie, die als Friedenssicherung durchgehen soll, benötigt eine historische Absicherung: Das Problem einer solchen Argumentation ist, dass man dadurch zwar zeigen kann, dass Interventionen sinnvoll waren (oder gewesen wären), eine Garantie für die Gegenwart geben solche Beispiele freilich nicht: Der Verfasser wählt die Massaker von Ruanda 1994 und Srebrenica 1995. Erläutert werden sie nicht und das hat seinen Grund2. Beide Beispiele sind mit der Situation vor Kobane nicht zu vergleichen, da UNO-Truppen vor Ort waren und diese hätten entweder handeln (Mandat) oder verstärkt werden müssen. Und zur Äußerung der moralischen Pflicht, wäre zu überlegen, ob eine Intervention, also die Durchsetzung von Rechten unter Missachtung ebendieser Rechte eigentlich moralisch sein kann, sondern nicht vielmehr als eine Art von Ausnahmehandlung oder Ausnahmezustand begriffen werden müsste (Kalkül, s.o.).
Wenn man einmal soweit ist, muss noch der zu erwartenden Kritik vorgebeugt werden, und das geschieht – erraten – durch das Verdikt Antiamerikanismus. Um das weiter abzusichern wird zwar faktisch richtig, aber dem Kontext nach falsch, die amerikanische Hilfe und die europäischen Versäumnisse in der Bekämpfung von Ebola hervorgehoben. Dann verliert der Autor seine Linie, fährt einen Angriff gegen Deutschland (Pannen der Bundeswehr) und einen gegen den österreichischen Bundespräsidenten (der angeblich, es passt zur seiner »Logik«, etwas wie die moralische Instanz der Nation sein soll; vielleicht hilft ein Blick in die Verfassung). Seine abschließende Formel ist bemerkenswert, weil sie, wie unlängst auch bei Ortner, Ängste schürt, aber keine Konsequenzen ziehen will:
»Es steht zu befürchten, dass sich die passive, ja verantwortungslose Haltung Europas noch bitter rächen wird. Den fürchterlichen Entwicklungen in der islamischen Welt und deren Auswirkungen vor allem auf Europa werden wir – früher oder später – mit viel mehr Entschlossenheit entgegentreten müssen. Je später das aber geschieht, desto höher wird der Preis werden.«
Dabei wäre gerade die Fortsetzung von Interesse, aber vielleicht soll der Leser ja kriegslüsternd diese Leerstelle tappen. — In dem vorliegenden Text findet sich kein einziges Argument für eine militärische Intervention, noch wird auf eine externe Analyse verwiesen; als Ersatz dienen Übertreibungen, Unrichtigkeiten und Verdrehungen, Schein- und Autoritätsargumente: – der universale Kleister, der das wacklige Gerüst zusammenhält, ist die Moral. Solange solche Herrschaften schreiben, ist alles halb so schlimm, beeinflussen sie dagegen politische Entscheidungsträger, müssen wir um Frieden und Humanität fürchten.
Anmerkung: Ich hatte für den zweiten Text eigentlich etwas anderes geplant, aber dann doch dies eingeschoben (es passt im weitesten Sinn zur Thematik).
Laut Wikipedia einige Tausend, vice news spricht von Zivilisten die sich außerhalb der Stadt vor der Grenze befinden, die Zahlen sind etwa doppelt so hoch; weitere Angaben und zu den damit verbundenen Interessen der Kurden dort. ↩
Bei dieser Gelegenheit sei bezweifelt, ob die Form eines meinugsäußernden Kommentars der verhandelten Problemstellung überhaupt angemessen sein kann. ↩
Die Rechtfertigungen für die Interventionen in Afghanistan und dem Irak waren nicht primär friedens- bzw. Status-quo-erhaltend. Eher im Gegenteil. Afghanistan 2001 wurde mit der Austrocknung des Nährbodens für Terroristen legitimiert. Die Regierung der fundamentalistischen Taliban kooperierte mit Al Qaida zusammen. Mit großzügiger Interpretation konnte man einen UN-Beschluß als Legitimation interpretieren. Die Ergebnisse sind bekannt. Beim Irak lag die Sache anders: Hier wurde eine terroristische Gefahr durch Saddam Hussein behauptet, die in Wirklichkeit so nicht bestand. Beiden Interventionen wurde die Implementierung demokratischer Strukturen übergestülpt. Dabei hatte man einfach nur vergessen, die Menschen zu fragen, ob sie eine westliche Demokratie auch wirklich wollten.
Dass eine Einmischung aus humanitären Gründen nur mit der Legitimation der UN gestattet ist, mag völkerrechtlich stimmen. Praktisch hätten sich die massakrierten Jessiden sozusagen posthum davon nichts mehr kaufen können.
Tatsächlich ist das Gerede von Interventionen mit UN-Mandat m. E. an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Es gibt kein einziges Beispiel dafür, dass eine UN-Mission einen (sogenannten) Bürgerkrieg hat verhindern helfen. Etwaige Einsätze kamen immer erst nach politischen Verhandlungen zustande um einen gewissen Status quo abzusichern bzw. bestimmte Verhandlungsresultate umzusetzen. Und selbst dann gab es schlimme Aussetzer – das verheerendste war das Massaker von Srebrenica, in dem sich die zumeist niederländischen Blauhelmsoldaten praktisch kampf- und widerstandslos bosnischen Serben ergaben. Die Angelegenheit ist komplex – die Urteile reichen von Duldung über Mitschuld bis Ahnungslosigkeit. Es hat aber wohl vor allem damit zu tun, dass die Blauhelme der Aggression der bosnischen Serben nichts entgegen zu setzen hatten. Hinzu kam das Befehlswirrwar der einzelnen UN-Protagonisten. Auch in Ruanda waren die meisten UN-Mitarbeiter bei Ausbruch der Mordaktionen entweder nicht mehr im Land oder hatten sich irgendwo in Schutz begeben.
Im aktuellen Fall kommt nur etwas ähnliches wie es George Bush sr. 1990/91 in Kuwait gelang: Eine möglichst breit angelegte, politisch durchaus heterogene Koalition, die sich dahingehend einig ist, den Aggressor (damals Saddam Hussein) zu vertreiben. Am Ende machte die UN ein Schleifchen drum. Die Sache dauerte m. W. etwas mehr als ein halbes Jahr, dann marschierte man los (übrigens mit fürchterlichen »Verlusten« für die irakische Armee). Die Zeit war damals günstig; es war kurz nach dem Mauerfall, Ost und West auf Entspannungskurs. Saddam Husseins Aggression war auch anderen arabischen Diktaturen nicht geheuer; hier liegen Parallelen zum IS. Bei bestimmten Staaten, die der Koalition Bushs »beitraten«, ging es am Ende nur darum, nicht in den Konflikt in irgendeiner Form einzugreifen und die Amerikaner gewähren zu lassen.
Eine solche multinationale Koalition wurde ja in Fall von IS auch beschlossen. Legitimationsmässig hat man die UN nicht bemüht; Russland und China würden entweder dagegen stimmen oder auf andere Weise die Angelegenheit verzögern. Was soll man stattdessen tun? Dem Morden zusehen? Den Verteidigern Waffen zukommen lassen, sich aber ansonsten heraushalten? IS hat ja programmatisch erklärt, seinen Einflussbereich auf die gesamte arabische Welt auszudehnen. Andere Länder werden bereits beäugt: Libanon, Jordanien.
Die Aggression des IS zeigt deutliche Parallelen zu den Wirren des Dreißigjährigen Krieges in Europa. Er ist religiös grundiert (statt Protestanten gegen Katholiken nun Sunniten gegen Schiiten und andere [islamische] Glaubensrichtungen; übrigens auch mit entsprechender Rhetorik), ist zugleich ein politisch-hegemonialer Krieg. Er wird mit großer Brutalität gegen die Zivilbevölkerung geführt. Durch Interventionen anderer wurde der Dreißigjährige Krieg zu einem europäischen Krieg, der am Ende einen hohen Blutzoll forderte. Proportional zur damaligen Bevölkerungsdichte war der Dreißigjährige Krieg der verlustreichste der europäischen Geschichte überhaupt.
Die grundsätzliche Frage ist: Kann man im 21. Jahrhundert, in dem nahezu jede Regung sofort zu Nachrichten verarbeitet werden kann, ein derartiges Marodieren wie es der IS betreibt, ignorieren und auf Institutionen vertrauen, die am Ende vorhersehbar interessegeleitet sind denen die potentiellen Opfer gleichgültig sind? Ich bin in diesem Punkt was den sogenannten Islamischen Staat angeht, gespalten. Einerseits teile ich Deine Polemik gegen den Interventionalismus, der, das ist schön herausgearbeitet, moralisierend daherkommt und daherkommen muss, um ein gewisses Klima zu erzeugen. Auf der anderen Seite ist es schwierig zuzusehen, wie sich im Mittleren Osten die Menschen gegenseitig massakrieren.
Und es ist natürlich bigott, Erdoğans balancierende Politik zu kritisieren. Er wittert nun seine Chance, zwei Fliegen (sprich: zwei Terrorsysteme) mit einer Klappe zu besiegen – und obendrauf noch Syriens Assad zu stürzen. Für ihn sind Kurden und IS praktisch identisch – beide greifen ja an die territoriale Integrität der Türkei. Er kann die Kurden nicht gegen IS unterstützen, weil damit irgendwann die Rechnung der Kurden – der eigene Staat – auch ihm präsentiert würde. Andererseits gibt es durchaus fundamentalistische, sunnitische Türken, die Sympathien mit dem IS haben; es sind zum Teil Erdoğans Wähler. Die Frage, die sich da stellt ist dann: Ist die Türkei mit dieser Politik noch ein Bündnispartner der NATO?
Die Fehler der Vergangenheit aufzuzählen wäre müssig. Ich war immer gegen eine Intervention des Westens in Syrien, weil die diversen Konfliktmächte sehr früh überhaupt nicht zu überblicken waren. Wer waren/sind die »guten« Rebellen, wer die »bösen«? Es klingt nun zynisch, ist aber vielleicht nur das, was man Realpolitik nennen könnte: Solange der syrische Krieg im Land blieb und nicht expansiv andere Länder aggressiv berührte, musste man zuschauen bzw. mit (eher wirkungsarmen) diplomatischen Mitteln agieren. Der IS hat die Angelegenheit dahingehend geändert, dass es sich um eine Eroberungsmacht handelt, die mit unglaublicher Geschwindigkeit und Aggression die bestehenden, ohnehin schon fragilen Staaten, angreifen und auch vor den raren Oasen (den irakischen Kurden) nicht Halt machen. Dabei werden systematisch Minderheiten (Jesiden, Christen Kurden) verfolgt.
Ich gestehe sofort, dass eine militärische Intervention von wem auch immer (bspw. der oben angesprochenen Koalition) das »Problem« IS nicht lösen wird. Aber ich bin in diesem Fall durchaus willig, diesem willkürlichen Morden etwas entgegen zu setzen. Das Problem ist nur, dass dies nicht als (neo)kolonialer Akt geschehen muss, sondern aus der Region – maximal mit Unterstützung, aber in keinem Fall unter Federführung. Tatsächlich sind die Interessen auch innerhalb der sogenannten Anti-IS-Koalition höchst unterschiedlich. Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien haben zwar kein Interesse an einer Erstarkung dieser Gruppierung in ihrem Land, hegen aber andererseits sehr wohl Sympathien für die religiösen Interpretationen. Saudi-Arabien ist dem IS in punkto Menschen- und Minderheitenrechte nicht unähnlich. Dass dieses Land dem Westen als Bündnispartner dient ist eine der Doppelzüngigkeiten, die den Westen in dieser Region zu recht diskreditiert.
Auf die UN würde in keinem Fall bauen.
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Die Friedenserhaltung war meine Interpretation, der Autor hat beide (Krieg und Frieden) eigentlich nur neben einander gebraucht (die Interventionen waren ursprünglich stabilisierend bzw. befriedend gedacht, man hätte argumentieren können, dass das Ergebnis dem Frieden dient; gekommen ist es anders).
Warum die Vereinten Nationen? Hier sind zwei Ebenen zu trennen: 1) Die prinzipielle und 2) die reale. Prinzipiell argumentiere ich für die Vereinten Nationen, weil sie die einzige Möglichkeit bieten demokratisch und international über einen etwaigen Einsatz von Gewalt zu befinden. Ich wüsste keine andere Möglichkeit einer derart breiten Legitimation außer durch ein Mandat der Vereinten Nationen. Dazu kommt, dass sie einen Rahmen bieten um lokal verankerte Truppen zu entsenden, die in Konflikten eher akzeptiert werden (es fiele das Argument weg, dass immer der Westen seine Interessen vertritt oder – wie im Fall des Nahen Ostens – Bomben wirft). In der Realität werden über den Sicherheitsrat (und die Vetorechte) Interessen und Politik verhandelt; die Einsätze waren, wie Du anführst, wenig erfolgreich; ich meine, dass man das ändern kann (könnte), auch wenn es nicht einfach ist. — Warum sollte ein rascher Beschluss wie im Fall der Jesiden im Prinzip nicht möglich sein? — Sprechen wir also von prinzipieller Unmöglichkeit oder praktischer hinsichtlich des Status quo?
Ich meine, man hat dem Morden (Syrien) lange zugesehen, es gab etwa 160.000 Tote, eingreifen wollte niemand, das geschah erst als es zu medienwirksamen Beinahe-Massakern kam (Jesiden und Kurden) und es nicht mehr mit den eigenen Interessen (Assad) vereinbaren ließ (der Bürgerkrieg war ja ganz recht, allerdings hat sich der Islamische Staat dann nicht mehr mit der Bauernrolle begnügt). Ich will damit nicht sagen, dass die Hilfe falsch war, sondern zu spät. Auch hier meine ich, dass die Vereinten Nationen einen Rahmen bilden in dem man entscheiden kann, ob eingegriffen wird oder nicht, wie Du es nennst: Heraushalten, nur Waffen liefern oder Bodentruppen entsenden, usf. – ob es nun Fälle gibt, wo die Strukturen der Vereinten Nationen überfordert sind und man womöglich anders handelt, ist kein Argument das prinzipiell dagegen spricht (Jesiden).
Interessant wäre zu überlegen ob und wie man einen Krieg wie den Dreißigjährigen durch Interventionen beenden kann (inklusive einer politischen Lösung). Man soll nicht zusehen wie Leute abgeschlachtet werden, aber vor einem Einsatz die Situation analysieren (das ist, was ich kritisiere, nicht dass man gegen den Islamischen Staat etwas unternimmt); die Situation vor Kobane unterscheidet sich vom Fall der Jesiden: Kobane hätte man evakuieren können, die Kurden von internationalen Truppen entwaffnen lassen und die kurdischen Kämpfer bzw. deren Waffen getrennt nach Syrien bringen können (oder tatsächlich eine Zone bilden, wie Erdoğan das wollte, nur mit internationalen Truppen; die türkischen Flughäfen hätten die Unterstützung aus der Luft verbessert; aber dass Soldaten im Einsatz sterben, will ja auch niemand, daher der Luftkrieg). — Dass der Bürgerkrieg in Syrien schwierig zu überblicken war und ist, stimmt, aber der Islamische Staat kam aus diesen Wirren und früheres Einschreiten hätte die Probleme nicht dergestalt anschwellen lassen (Auch ein Punkt der befragt werden muss: Sind Tote das alleinige Kriterium oder wäre das Morden in Ordnung solange es Syrien nicht verlassen hätte?).
Noch zum Artikel: Gegen Ende gibt es dort einen Vergleich, betreffend die Folgen dieser KriegsHerbeiSchreiberei. Ich bin nicht ganz einverstanden, weil ich inzwischen (via Sloterdijk) die öffentliche Agitation kritisch sehe. Dass keine Handlungspläne entworfen werden, und nur ein moralischer Kreuzzug für alle / gegen alle unternommen wird, halte ich für ein typisches Verfallssymptom der spätmodernen Öffentlichkeiten. Es stimmt: die Herrschaften können nur schreiben, sie werden nichts bewirken. Aber genau darauf haben sie sich festgelegt. Ich behaupte, die journalistische Ethik fußt fest auf dieser Rumpelstilzchen-Position. Präpotenz (der Predigt) und Verweigerung der Willensbildung gehen Hand in Hand. Noch den verwegensten Agitationen liegt doch ein profunder Verzicht zugrunde. Liest man genau, dann soll niemand handeln. Alles was passiert (ich höre da einfach nur in mich hinein) ist eine ziel- und sinnlose Agitation. Deswegen fand ich Gregors Hinweis toll:
Aus Erregungen werden Nachrichten...
@metepsilonema
Ich muss bekennen, dass ich in einem Punkt dem verrückten Bush jr gefolgt bin: Mit den Vereinten Nationen ist »kein Staat« zu machen. Der Sicherheitsrat mit seinen Vetomächten deren Legitimation sich aus dem zweiten Weltkrieg und dem Besitz von Atomwaffen fast schon erschöpft, ist eine »lame duck«. Er ist durch seine Veto-Positionen noch nicht einmal demokratisch legitimiert. Dabei berühre ich noch nicht einmal die Frage, ob Länder wie China und Russland als Nicht-Demokratien ausgerechnet in einem solchen Gremium Veto-Rechte geniessen sollten.
Umso bewundernswerter fand ich die von Bush sr geschmiedete Allianz 1990/91 in Bezug auf die Rückeroberung Kuwaits. Formal war das einwandfrei; der Auftrag wurde erfüllt. Die Situation war einfach günstig. So etwas wird es nie mehr geben, weil Russland (und auch China) in entscheidenden Punkten ihre Großmacht-Ambitionen immer ausspielen werden; etwas, was die USA im Nahen Osten auch immer macht.
Die Untätigkeit im syrischen Bürgerkrieg war und ist der Unübersichtlichkeit der Lage geschuldet. Zudem war der Westen unsicher, ob ein »verläßlicher Despot« wie Assad nicht besser sei als eine heterogene syrische Opposition, die von säkularen Muslimen bis zu radikalen Fundamentalisten (al-Nusra) alles enthielt. Die Diktatorenstürze in Libyen und Ägypten erschütterten die Stabilität ihrer jeweiligen Region mehr als gedacht (einzig Tunesien scheint auf einem guten Weg). So war auch Israel nicht sicher, ob man mit Assad nicht besser bedient wäre (Golan-Höhen). Realpolitik bevorzugt immer den Status quo, insbesondere wenn zu erwartende Veränderungen revolutionären und nicht evolutionären Charakter haben.
Um die Jesiden hat man sich dann aus zwei Gründen gekümmert: 1. Expansion der IS, die, solange sie in Syrien wüteten, ignoriert wurden, aber jetzt im Irak nach außen aggressiv wurden. 2. Verantwortung der USA für den Irak durch den Wahnsinn von 2003.
@die_kalte_Sophie
So ganz teile ich die These nicht, dass Journalisten nur um ihrer selbst willen dem Interventionalismus frönen. Vielleicht mag das in Deutschland so ein. In Frankreich ist es anders, dort schwätzen Leute wie BHL und Glucksmann regelmässig Regierungen in »humanitäre Interventionen«, wie zuletzt in Libyen. Die Agitation ist nicht folgenlos, sie mobilisiert. Und zwar die Mächtigen.
@Gregor
Die Vetorechte sind Großmachtsrelikte und gehören abgeschafft. Der Sicherheitsrat müsste erweitert werden und immer aus kleinen und großen Staaten (Bevölkerung) der verschiedenen Kontinente, bestehen (auf dauerhafte Mitglieder kann verzichtet werden); die Stimmen sollten gewichtet sein, die kleinen Staaten zusammen eine Sperrminorität haben; eventuell könnte man überlegen ob regelmäßige Beitragszahler kleine Vorteile genießen.
Ich stimme Deiner Kritik an den VN durchaus zu, sehe aber ohne sie auch keine dauerhafte Lösung, weil immer Interessen die Koalitionsbildung bestimmen werden.
Wenn die Vereinigten Staaten bezüglich Assad unsicher waren, dann frage ich mich, warum man die Opposition mit Geld und ab November 2012 auch bei der Beschaffung von Waffen unterstützt hat (zu dem wurde Assad angedroht zu intervenieren, falls er die rote Linie [Einsatz von Giftgas] überschreite). Man musste also durchaus mit einem Einsatz rechnen (es hätte in der amerikanischen Öffentlichkeit wohl wenig Zustimmung zu einem Einsatz von Bodentruppen gegeben). Dass sehr lange nichts passiert ist, hat der Islamische Staat ausgenutzt.
Wir werden sehen, ob man sich um die erneut bedrohten Jesiden kümmert oder die Aufmerksamkeit in Kobane bleibt.
@die_kalte_Sophie
Die Agitation reduziert womöglich den Widerspruch in der Bevölkerung (allerdings nur bei denjenigen die nicht mitdenken). Das ist nicht unwichtig, überzeugt aber noch keine Entscheidungsträger oder nur bei sehr großem öffentlichen Druck (ich finde da ad hoc für die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kein Beispiel). Umgekehrt ist es daher einfacher: Die Entscheidungsträger müssen überzeugt werden und das Ganze der Bevölkerung »verkauft« werden (wiederum müsste der öffentliche Druck sehr groß sein, um die Entscheidung noch zu verhindern).