Ich kann Lutz Bachmanns Foto nur als Satire wahrnehmen, ich musste sogar lauthals lachen, weil es den Wahnsinn der Person Hitler relativ subtil sichtbar macht (die schlechte Rasur um den Zweifingerbart, der Haarscheitel, die verdrehten Augen, die beinahe krampfartig starren Züge) und ihn damit vom Podest der Führung, der Autorität, holt (die er für viele nicht mehr, aber für einige noch hat): Sie ist keine und er eine lächerliche Figur. – Das Beispiel und seine Aufnahme in den Medien – von reißerisch bis eher unerwartet1 – zeigt, dass der kulturelle Kontext, die Wahrnehmung und individuelle Bereitschaft hier sicherlich eine Rolle spielen, Satire muss nicht (immer) eindeutig sein, man kann vielleicht sogar sagen: Gute Satire gewahrt sich eine gewisse Offenheit und verhindert dadurch Plattheit: Man muss sich einen Moment lang anstrengen, muss überlegen.
Das Beispiel zeigt auch wie vergesslich diejenigen, die jetzt das Wort Skandal verwenden, gegenüber dem sind, was sie gerade eben noch lauthals verkündet und verstärkt haben: Dass Satire alles darf (dazu dort). Die Meisten scheinen auch nicht zu bemerken, dass man anhand des Fotos und der anscheinend authentischen Facebook-Äußerungen eine Art Selbstaufklärung diagnostizieren kann. — Das ist auch »zweierlei Maß« bzw. inkonsequent und diese Inkonsequenz sollte man mit Blick auf die Satire im Kopf behalten (vielleicht gibt es da doch kulturelle oder soziale Normierungen, die die »alles können«-Rufe übertönt haben).
Die Freiheit gegen den Mord zu verteidigen ist richtig, man sollte aber auch nachdenken, um die eigene Position vor zu viel Selbstgefälligkeit zu schützen und in den Blick rücken was man tut oder auch tut. Dieser Tage wird das »aber« gerne verteufelt; der Zweifel gilt als Bündnis mit dem Feind, dabei ist es genau umgekehrt: Wer »aber« sagt, beginnt zu denken, er nimmt sich Zeit, er reflektiert, macht sich bewusst. Das wäre angebracht, nachdem sich die Wogen etwas geglättet haben.
»Der Zweck heiligt die Mittel«, das scheint mir gerade im Fall der Satire zu gelten: Im besten Fall ist sie Aufklärung, lässt sie die Wahrheit (nicht ohne den Betrachter) durchschimmern; der Satiriker will zeigen, dass der Schein nicht die Realität ist, das bindet ihn an seinen Gegenstand; und was er an diesem zeigen will, bedingt seine Methode, der wohl meist mehrere Möglichkeiten offenstehen. Welche man dann wählt, mag in letzter Konsequenz und in gewisser Hinsicht beliebig sein, steht aber auf jeden Fall in Bezug zu seinem Wollen. — Satire beinhaltet also ein Erkenntnismoment, löst ein Aha-Erlebnis aus, zeigt einen Zusammenhang, den man vorher so nicht gesehen hat (ein Flämmchen Vernunft, zumindest). Damit wird klar, dass Satire kein Selbstzweck ist (oder nur dann, wenn ihr Unterfangen gelingt).
Die Lächerlichmachung von Autorität alleine ist wenig, womöglich nicht genug, denn die Trennlinie zur Pöbelei, zur Verächtlichmachung, zum Werfen mit Schmutz, des Spaßes oder des partikularen Interesses wegen, ist schwierig auszumachen; Satire agiert nicht (nur) im eigenen Interesse, einer ihrer wesentlichen Bezugspunkte liegt weit ab davon und ist der einer (möglichen) Realität, die dem Schein gegenüber steht. Man könnte zugespitzt sagen: Satire ist empirisch prüfbar.
Ein drastisches Beispiel, nicht nur der freien Rede, sondern auch jener Methodik, der sich die Satire bedient, sind Karikaturen, die Überzeichnungen nutzen, wie sie in antisemitischen Darstellungen vorkommen (siehe dazu auch dort). Nun könnte man vielleicht ein Beispiel konstruieren, in dem eine Darstellung, die sich dieser Methodik bedient, eine uneindeutige Erkenntnis zukommt: Da das aber eine öffentliche Rede ist, wird sie Diskussionen und Protest auslösen und wahrscheinlich vor ein Gericht führen. – Vielleicht lässt sich manch eine Aufregung durch eine solche Überlegung besser verstehen. Was nicht gegen die Satire steht, sondern für sie.
Das Hitler-Posing des Pegida-Mannes kann ich nicht als Satire verstehen. Man stelle sich vor ein Politiker verkleide sich entsprechend im Karneval. Eine Selbstaufklärung entdecke ich da nicht, zumal in einem solchen Posing immer auch eine Spur Sympathie mitschwingt (man denke an das Cowboy-und-Indianer-Spiel als Kind). Genau kann ich übrigens den immer wieder initiierten Hitler-Gruss des Jonathan Messe nicht als Kunst verstehen. Sondern als eine gezielte dümmliche Provokation.
Die Frage, was Satire darf und nicht ist eine andere. Ich halte einige der Karikaturen von Charlie Hebdo für geschmacklos und tatsächlich beleidigend. Das »Problem« ist, dass
sieso etwas [nachträglich korrigiert – G. K.] nicht empirisch nachweisbar ist. Das neueste Cover von Charlie Hebdo wurde ja von einigen (aufgehetzten) Massen in muslimischen Ländern ebenfalls als Gotteslästerung aufgefasst. Das halte ich nun für durchsichtige Propaganda.Ich hätte das Thema »Satire« gerne vertieft, aber im Kommentar fasse ich mich kurz. Es kam nicht vor bei all dem Werte-Schmerz der letzten 2 Wochen.
Satire ist boshaft. Die Überschreitung funktioniert nur aufgrund (teil-)akzeptierter Grenzen. Darin liegt ein Moment der Freiheit. Ich kann die Grenzen überschreiten, wenn ich will, wenn es nötig ist, bzw. nur zum Spaß.
Zwei Irrtümer sind mir immer wieder begegnet:
‑Der erste besagt: Es gibt ein Recht auf Freiheit! Unendlich viele Wiederholungen dieses Axioms haben diesen Unfug inzwischen als geltendes »Recht« plausibel gemacht. Die professionelle Satire wurde mit diesem Kurzschluss für »unantastbar wertvoll« erklärt. Sie hat ein ständiges Recht für Überschreitungen, weil sie im Namen der Freiheit agiert.
‑Der zweite besagt: Wenn ich das Recht habe, eine Handlung zu vollziehen, sind die Konsequenzen immer das Problem »anderer Leute«. Sollen die zusehen, wie sie mit der liberalen Gesellschaftsordnung klar kommen.
‑Dass diese Argumente dumm und sinnlos sind, brauche ich nicht zu betonen. Aber warum wurden sie millionenfach variiert?!
Meine Erklärung wäre anthropologisch: mit der liberalen Gesellschaftsordnung wird es unnötig, über Moral und Ethik zu reflektieren. Sie stellt eine große Erleichterung dar im Sinne Nietzsches. Die Grundkompetenzen verschwinden, weil sie nicht mehr erlernt werden müssen.
mit der liberalen Gesellschaftsordnung wird es unnötig, über Moral und Ethik zu reflektieren.
Weil »Moral und Ethik« längst durchnummeriert sind? Ähnliche Karikaturen wie diese mit jüdischen Protagonisten würden sofort als antisemitisch gegeisselt – übrigens zu recht. Man denke an den Aufschrei bzgl. dieser Zuckerberg-Karikatur, die ebenfalls als antisemitisch bezeichnet wurde und umfangreiche Stellungnahmen nach sich zogen. Da gilt dann plötzlich das »Satire darf alles« nicht mehr.
Stimmt, zeigt aber nur, dass die moralische Klaviatur weiße und schwarze Tasten hat. Anything goes, solange sich keine Juden auf den Schlips getreten fühlen (könnten). Das widerspricht sich, wird aber durchgesetzt. Typisch westliche »Konsequenz«. Von einer Sensibilität, einer Genauigkeit der Reflexion kann keine Rede sein.
@Gregor
Ich habe das Beispiel bewusst an den Anfang gesetzt, weil es einige Fragen aufwirft und zeigt wie zweifelhaft oder subjektiv das sein kann. Ich gestehe sofort zu, dass die Frage, ob das tatsächlich Satire ist, ihre Berechtigung hat. Ich musste jedenfalls lachen; für mich wird Hitler dort zu einer komischen Figur. Genügt das? Wenn Satire eine über reine Subjektivität hinausgehende Kategorie sein soll, wohl nicht.
Woher könnten unsere Differenzen rühren? Da ist einmal der Hintergrund, den wir zwar beide kennen, der aber scheinbar nicht gleich zur Geltung kommt: Öffentliche Person und öffentliche Äußerungen bzw. deren politischer Kontext. Was wäre, wenn der ein anderer wäre (Bachmann etwa ein bekannter Komiker oder Kabarettist)? Ist Satire davon abhängig? Anscheinend. Sollte sie das? Die letzte Frage mag angesichts der Realität ohne Bedeutung sein. Dann: Können wir den Aspekt »Sympathie« tatsächlich mit Sicherheit bestimmen, gesetzt wir kennen nur das oder ein ähnliches Foto? Eher nicht. Eine große Rolle spielt offensichtlich der Inhalt, da finde ich Greenbergs Anmerkungen wichtig: In Paris war es »einfach« und folgerichtig das Recht auf Satire und Freiheit der Meinungsäußerung zu verteidigen. Dein Beispiel mit der Stellungnahme des Zeichners bringt das sozusagen auf den Punkt: Man kann etwas anders interpretieren, als es gemeint war; eine Karikatur kann als antisemitisch aufgefasst werden, obwohl dem Zeichner das völlig fern liegt. — Kunst und Karneval, ich halte es da mit mit Messe genauso, sind vom Kontext her Voraussetzungen, die womöglich nicht für alles passend sind (Hitler kann man satirisch darstellen, aber vielleicht nicht im Karneval).
Die »Art von Selbstaufklärung« ist eine Interpretation im Nachhinein und natürlich nicht von Bachmann beabsichtigt gewesen (aber jemand der sich als Hitler fotografieren lässt und öffentlich über Asylanten und Fremde schimpft, kann man das schon attestieren; er sprach ja von Selbstironisierung o.ä.).
@die kalte Sophie
Wer Freiheit in Anspruch nimmt (was grundsätzlich in Ordnung ist), muss sich darüber klar sein, dass er Freiheitskonflikte lösen muss und zwar anhand von Werten jenseits der dem der Freiheit (weshalb die [wirtschafts]liberale Propaganda, wie man sie immer wieder lesen kann, so armselig ist; Freiheit wird dort zum Synonym für Egoismus bzw. Gleichgültigkeit).
Ich glaube, dass ihr beide recht habt: Es gibt einen durchnummerierten oder korrekten Konsens, der sicherlich nicht in jeder Hinsicht falsch ist (schon deswegen, weil öffentliche und private Rede nicht dasselbe sind). Aber es gibt auch eine Art Konsens auf wen man öffentlich recht ungeniert draufhauen kann (etwa auf konservative, christliche, religiös-orthodoxe Ansichten und Meinungen; das gilt als weitgehend überkommen, usf.); ein gewisses Ungleichgewicht existiert da, was auch historische Gründe hat. Auch die Sache mit den Handlungen stimmt; sie ist in einer individualisierten (auf das Individuum ausgerichteten, egoisierten) Gesellschaft auch folgerichtig (ob gut, ist eine andere Frage). — Der »Westen« hat seine bilden Flecke und seine Doppelbödigkeit, aber kein gut ausgeprägtes Sensorium dafür (was ihm zu Recht vorgehalten wird).
Das lässt sich leicht umreißen, der »Westen« als Persönlichkeits-Profil:
–Geschlechtsneutral, leicht gynophil –atheistisch –philosemitisch –karrieristisch, ohne Ellbogen, wenn’s geht –Minderheiten meinungsmäßig zugetan, sonst egal –Gebildet bis zur Stufe des Zeitungslesers –kinderlos –geschichtsbewusst, Geschichte=Katastrophe –jung bis zum Schluss –anti-nationalistisch –Konsum ökologisch reflektiert –Aussicht auf ein Eigenheim, wenn noch nicht vorhanden –schon heimlich konservativ gewählt –verärgert über die Schere zwischen Arm und Reich, ca. 1x pro Woche –Krimi-Fan –Auslandseinsätze ja, aber ohne Waffen
Da gibt es kein Reflexionsbedürfnis.
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»Satire. Oder?«
Ein hervorragender Blogpost mit wirklich weiterführenden Analysen!
Noch etwas Anthroplogisches von Plessner: In »Grenzen der Gemeinschaft« plädiert Plessner für eine Spaltung des Menschen, der, sobald er die gesellschaftliche »Bühne« betritt, Masken trägt und Rollen spielt, die ihn vor Zudringlichkeiten seiner Mitbürger schützen. Er agiert nie als er selbst, sondern immer als ein Anderer. Dieser Thematik hat Plessner auch zwei Essays zur Anthropologie der Nachahmung und des Schauspielers gewidmet.
Bezogen auf Satiren bedeutet das: als gesellschaftliche und politische Form der Kommunikation richten sie sich nie auf den individuellen Menschen, sondern nur auf gesellschaftliche Masken. Individuelle Gefühle sind also prinzipiell nicht gemeint, wenn Satiren geschrieben und Karikaturen gezeichnet werden. Vom mündigen Bürger, der am gesellschaftlichen Maskenspiel – und das ist Plessners Definition von Freiheit – teilnimmt, ist also zu erwarten, daß er um diese Zusammenhänge weiß und sich nicht sofort und reflexhaft persönlich angegriffen fühlt. Nur so kann das Grundrecht auf die Unantastbarkeit der Würde Anerkennung finden.
Die Masken existieren schon aus sozialen Gründen, wir sind selten »der eine«, sondern schillern je nach Situationen und Kontext (und durchaus nicht nur passiv). Die gesellschaftliche Bühne (auch die Öffentlichkeit) fügt den vorhandenen noch weitere hinzu, so weit, so gut. Plessners Sicht der Dinge bzw. ihre Ausdehnung auf die Satire ist sicherlich nicht falsch, allerdings trägt sie unser Verständnis von Bürger und Individuum in sich, das man nicht teilen und nicht kennen muss; dieser FAZ-Artikel zeigt am Beispiel einer Schulklasse sehr anschaulich wie schwierig all das ist (oder: sein kann). [In dem Text werden Karikaturen in einem funktionellen Sinn auch als Denkanstöße bezeichnet; das ist sicherlich richtig, es erscheint mir aber wenig, wenn das, im Falle von Grobheit oder Beleidigungen ihre einzige Rechtfertigung ist.]
Daneben gibt es auch keinen Konsens innerhalb »des Westens«, es spielen hier auch immer historische und andere Entwicklungen oder Verständnisse herein (etwa in den Vereinigten Staaten).
Richtig ist aber auch, dass man von einem erwachsenen, mündigen Bürger einer Demokratie erwarten kann, dass er eine persönliche Betroffenheit reflektiert; sie ist keineswegs zu verleugnen, sie ist ganz sicher aber nicht das Maß aller Dinge (nur: das Artikulieren von Betroffenheit und deren Verkleidung als Argument, ist mittlerweile leider üblich geworden).
zu #8:
Einverstanden.