Hand­werk statt Ge­sin­nung

Ein Be­richt über ei­nen Fund

Al­so wie­der so ein Buch über Mas­sen­me­di­en und »wie sie uns in die Ir­re füh­ren«. Und es gibt so­fort har­ten To­bak:

»Wir wer­den nicht rich­tig in­for­miert. Wir le­ben mit der Des­in­for­ma­ti­on. […] Des­in­for­ma­ti­on wird von ei­nem Kar­tell aus Po­li­ti­kern, Funk­tio­nä­ren, Öf­fent­lich­keits­ar­bei­tern und Presse­sprechern be­trie­ben. Sie tun das ih­nen Mög­li­che, die Pres­se in ih­ren Dienst zu neh­men und sie nur in­so­weit mit der Wahr­heit zu be­die­nen, als sie dem je­wei­li­gen Mit­glied des Kar­tells nicht schäd­lich ist.«

Der Au­tor skiz­ziert die Se­lek­ti­on in den Nach­rich­ten­re­dak­tio­nen und kri­ti­siert sie:

»Die Mei­nung ist frei, doch wor­über die Bür­ger über­haupt Mei­nun­gen ha­ben kön­nen, das ha­ben zu­vor zu ei­nem er­heb­li­chen Teil die Jour­na­li­sten per agen­da-set­ting ent­schie­den.«

Und dann wen­det er sich die­sen Jour­na­li­sten zu:

»Sie lü­gen, weil sie un­ter Er­folgs­zwang ste­hen und von ih­ren Chefs oder Auf­trag­ge­bern un­ter Druck ge­setzt wer­den, in­ter­es­san­ter zu schrei­ben als die Kon­kur­renz. Sie lü­gen, weil sie nur In­for­ma­tio­nen ver­kau­fen kön­nen, die an­de­re nicht ha­ben. Sie lü­gen, weil sie in der Re­dak­ti­ons­hier­ar­chie auf­stei­gen wol­len, weil sie mit ih­rer Ge­schich­te auf der er­sten Sei­te oder weil sie den Pu­lit­zer­preis be­kom­men wol­len. Und sie schlit­tern in die Lü­ge hin­ein, weil sie mit Über­trei­bun­gen be­gon­nen ha­ben und das Über­trie­be­ne im­mer noch wei­ter ge­stei­gert wer­den muß, da­mit es in­ter­es­sant bleibt.«

Im­mer­hin wird kon­ze­diert:

»[D]ie drei­ste Lü­ge ist frei­lich selten…Häufiger liest man…die Le­gie­rung aus Dich­tung und Wahr­heit.«

Und die Ab­we­sen­heit von Lü­ge ist ja noch lan­ge nicht iden­tisch mit der An­we­sen­heit der Wahr­heit. Aber:

»Die täg­li­che Desinformation…findet sich vor al­lem in der un­ver­fäng­lich wir­ken­den po­li­ti­schen Be­richt­erstat­tung. Die Ma­ni­pu­la­ti­on be­ginnt mit der Ent­schei­dung über die Plat­zie­rung ei­ner Nachricht…setzt sich fort in der Zu­spit­zung in der Schlag­zeile und führt zur Un­ter­drückung ge­gen­tei­li­ger Stellung­nahmen und zur Über­be­wer­tung ge­schätz­ter Stand­punk­te.«

Und:

»Nicht der ein­zel­ne Be­richt ist falsch, aber die staats­er­hal­ten­de Frosch­per­spek­ti­ve ver­fälscht die Rea­li­tät. Die Mi­se­re zeigt sich oft we­ni­ger an dem, was be­rich­tet wird, als an dem, was nicht im Fern­se­hen zu se­hen ist.«

Wet­ten, dass schon mehr als 50% der Le­sen­den kurz da­vor ste­hen, in den heut­zu­ta­ge so be­que­men »Lügen­presse«-Abwehrreflex zu flüch­ten? Wer be­haup­tet, dass Jour­na­li­sten die Un­wahr­heit sa­gen, schrei­ben, kom­men­tie­ren gilt schnell als AfD-An­hän­ger, rechts­extrem, Reichs­bürger oder al­les zu­sam­men. Zwei­fel­los ist der »Lügenpresse«-Vorwurf, wenn er pau­schal er­ho­ben ist, falsch und un­ge­recht. Aber er ist ne­ben der po­li­ti­schen In­stru­men­ta­li­sie­rung eben auch ein Auf­schrei ei­nes Über­drus­ses an Tendenzbericht­erstattungen. Wer hat ei­gent­lich die Meinungs­ströme der letz­ten zwan­zig, drei­ssig Jah­re ein­mal nach­träg­lich auf ih­ren Wahr­heits­ge­halt un­ter­sucht? Wann wur­de je­mals zur Haupt­sen­de­zeit nach­träg­lich die Ju­go­sla­wi­en-Be­richt­erstat­tung in den 1990er Jah­ren of­fen­siv auf den Prüf­stand ge­stellt? Wer hat der brei­ten Mas­se jah­re­lang sug­ge­riert der Bun­des­wehr­ein­satz in Af­gha­ni­stan sei so et­was wie Ent­wick­lungs­ar­beit (»Brun­nen boh­ren«) und da­mit die Ge­fah­ren und tat­säch­li­chen po­li­ti­schen Ge­ge­ben­hei­ten ausge­blendet – ob be­wusst oder aus ein­fa­cher Dumm­heit? (Erst knapp neun Jah­re spä­ter dreh­te sich der Wind: Plötz­lich war vom »Krieg« die Re­de und die glei­chen Re­por­ter, die eben noch die Harm­lo­sig­keit des Ein­sat­zes be­ton­ten, ver­fie­len nun in Pa­nik.) Wo gab es die Be­rich­ti­gun­gen wenn, wie bei­spiels­wei­se 2008 in der ARD, ein In­ter­view oder ein Bild vor­sätz­lich ma­ni­pu­liert wur­de? Wann gab es ei­nen »Brenn­punkt« oder »zdf-spe­zi­al«, um die Kam­pa­gne ge­gen Chri­sti­an Wulff zu ent­skan­da­li­sie­ren? Und wer möch­te all die »Fake-News« der letz­ten zwan­zig Jah­re in den so­ge­nann­ten Qua­li­täts­me­di­en ein­mal auf­li­sten?

Wolf Schneider: Unsere tägliche Desinformation

Wolf Schnei­der:
Un­se­re täg­li­che Des­in­for­ma­ti­on

Da­bei kann ich be­ru­hi­gen: Das Wort »Lü­gen­pres­se« fällt in dem Buch, aus dem oben zi­tiert wur­de, nir­gends. Es war da­mals na­he­zu un­be­kannt und wenn, dann nur als Kampf­ruf der DDR-Me­di­en ge­gen die west­li­chen Mas­sen­me­di­en, ins­be­son­de­re die­je­ni­gen des »Springer«-Konzerns.

Da­mals, als die­ses Buch er­schien, gab es noch die DDR. Man schreibt das Jahr 1984 und das Buch heißt »Un­se­re täg­li­che Des­in­for­ma­ti­on«. Als Au­tor fun­giert Wolf Schnei­der (am En­de des Bu­ches wer­den noch an­de­re Au­toren er­wähnt: Bernd Mat­thies, Mat­thi­as Nass, Chri­sti­an Nürn­ber­ger, Mar­tin Tschech­ne und Bernd Zie­se­mer). Vor­ne im Buch liest man von Hei­ner Bre­mer, Mi­cha­el Jürgs und Klaus Liedt­ke als Heraus­geber. Pu­bli­ziert wor­den ist es als »Stern-Buch« bei Gru­ner & Jahr. Neu­auf­la­gen gab es zahl­reich bis in die 1990er Jah­re hin­ein.

Schnei­der ist heu­te 91 Jah­re alt und ein ve­he­men­ter, scharf­zün­gi­ger Me­di­en­be­ob­ach­ter, der auf die Print- und Fern­seh­me­di­en kon­zen­triert ist. Be­son­ders her­vor­ge­tre­ten ist er seit sei­ner Ei­gen­schaft als Lei­ter der Hen­ri-Nan­nen-Jour­na­li­sten­schu­le (1979–1995) als Kri­ti­ker der Jour­na­li­sten­spra­che. Sein Ton ist zu­wei­len ober­leh­rer­haft, was den mei­sten ge­nügt, ihn des­we­gen ab­zu­leh­nen oder, noch schlim­mer, zu igno­rie­ren.

Ne­ben der er­fri­schen­den Art, in der gänz­lich be­freit von po­li­tisch oder sonst­wie kor­rek­ten Wahr­heits­mi­ni­stern (die es da­mals ein­fach noch nicht gab), be­ein­druckt die Durch­dringung der Di­lem­ma­ta von Me­di­en. Zum Bei­spiel: Wann soll et­was be­rich­tet wer­den und wann nicht? Wie be­ein­flus­sen Jour­na­li­sten be­reits durch ih­re pu­re An­we­sen­heit die Er­eig­nis­se, über die be­rich­ten sol­len? Wann wird man zu Pro­pa­gan­di­sten von Po­li­ti­kern, Lob­by­grup­pen, Ak­ti­vi­sten oder so­gar Ter­ro­ri­sten? Und wann wird man, wenn man es ver­schweigt, zu Lüg­nern?

»Be­rich­ten hie­ße, sich zum Hand­lan­ger ei­ner Me­di­en­stra­te­gie ma­chen, sei­nem Pu­bli­kum ei­ne me­di­en­ge­recht auf­ge­putz­te Rea­li­tät als Wirk­lich­keit ins Haus lie­fern und dra­ma­tisch agie­ren­den Min­der­hei­ten den Bild­schirm als Spiel­wie­se frei­ge­ben. […] Nicht be­rich­ten aber hie­ße: Le­sern und Hö­rern ei­ne In­for­ma­ti­on vor­ent­hal­ten, die sie eben doch et­was an­geht, und sie über­dies ver­wir­ren, wenn man als ein­zi­ger nicht das re­gi­striert, wo­von auf dem Me­di­en­ka­rus­sell die Glocken klin­geln.«

Die Lö­sung könn­te, so Schnei­der, »mehr­stu­fig« aus­se­hen. In dem man sich bei­spiels­wei­se nicht so­fort mit Ka­me­ra und Mi­kro­fon zu er­ken­nen gibt. Oder das Er­eig­nis ent­spre­chend ih­rer Wich­tig­keit be­wer­tet.

Al­le Punk­te, an de­nen noch heu­te die Me­di­en kran­ken, führt das Buch aus dem Jahr 1984 auf: Die Re­kord-Ma­nie, der Sen­sa­tio­na­lis­mus, die »Sen­sa­ti­ons­lü­stern­heit und Anomalie­sucht«, die­ses »Mo­no­pol des Ne­ga­ti­ven«, die Lust nach Skan­da­len und Eklats – aber auch die Schön­fär­be­rei­en und Ir­re­füh­run­gen nebst will­fäh­ri­ger, kri­tik­lo­ser Be­richt­erstat­tung über Ver­laut­ba­run­gen von Po­li­ti­kern, NGOs oder an­de­ren Lob­by­grup­pen.

Auch der in­zwi­schen gras­sie­ren­de Mei­nungs­jour­na­lis­mus ist nicht neu. Schnei­der er­klärt be­reits da­mals, dass »Spie­gel« und »Stern« kei­ne Nach­rich­ten- son­dern Meinungs­magazine sei­en. Sein Cre­do ver­hallt heu­te erst recht:

»Wer Mei­nun­gen ver­brei­ten möch­te, soll­te sie als sol­che kennt­lich ma­chen. Wer Nach­rich­ten an­zu­bie­ten be­haup­tet, soll­te de­nen, die ihm ver­trau­en oder auf sei­ne In­for­ma­tio­nen an­ge­wie­sen sind, nicht statt­des­sen Mei­nun­gen un­ter­ju­beln.«

Aber gibt es über­haupt so et­was wie Ob­jek­ti­vi­tät? Wahr­heit? Die Mehr­zahl der Jour­na­li­sten heu­te be­strei­ten dies. Auch Schnei­der et. al. se­hen ein, dass bei ei­ner phi­lo­so­phi­schen Er­ör­te­rung des Ob­jek­ti­vi­täts­be­griffs die­ser Zu­stand am En­de als na­he­zu un­mög­lich er­scheint. Da­her ver­sucht er die Be­grif­fe Über­par­tei­lich­keit bzw. Unpartei­lichkeit ein­zu­brin­gen. Re­por­ter und Jour­na­li­sten soll­ten min­de­stens be­mü­hen, ih­re ei­ge­nen Mei­nun­gen auch nicht sug­ge­stiv ein­flie­ssen zu las­sen. Das be­deu­tet nicht, dass man je­de Lü­ge ei­nes Po­li­ti­kers kom­men­tar­los wie­der­ge­ben muss. Ziel soll es sein, nichts zu un­ter­drücken, nichts ver­fäl­schen und nicht Sprach­rohr ei­ner Par­tei zu sein. Jour­na­list ist aus­schließ­lich jour­na­li­sti­schen Kri­te­ri­en ge­gen­über ver­ant­wort­lich. Er soll sich, so Schnei­der, vom Sockel der schein­ba­ren All­wis­sen­heit be­ge­ben und wi­der­ste­hen, Er­eig­nis­se aus Ruhm­sucht her­aus zu in­sze­nie­ren. Hand­werk statt Ge­sin­nung.

Ir­gend­je­mand hat­te auf Twit­ter die­ses Buch er­wähnt. Was für ein Fund!1 Sehr vie­les was hier in Be­zug auf Print- und Fern­seh­me­di­en be­schrie­ben wird, hat sich kaum ver­än­dert. Na­tür­lich sind sei­ne Bei­spiel aus den 1980er Jah­ren (in­klu­si­ve der Re­fe­ren­zen), aber man ent­deckt oh­ne Pro­ble­me die Mo­di ope­ran­di von heu­te. Wür­de man die al­ten Be­le­ge durch neue er­set­zen, könn­te es zu viel­leicht 70% ein­fach neu auf­ge­legt wer­den.

Der größ­te Vor­teil die­ses Bu­ches ist es, dass die gän­gi­ge Aus­re­de, dass der Jour­na­lis­mus durch die Di­gi­ta­li­sie­rung lei­de hier­mit die Qua­li­täts­ein­brü­che be­grün­det wer­den, nicht ver­fängt. Die­ses Buch macht deut­lich, dass das In­ter­net Ent­wick­lun­gen be­schleu­nigt, aber nicht er­zeugt hat. Die Ur­sa­chen für den Nie­der­gang des­sen, was de­ren Ur­he­ber ger­ne Qua­li­täts­jour­na­lis­mus nen­nen (in den 1980er war man vor sol­chen Selbstbeweihräu­cherungen noch ge­feit) sind kom­ple­xer als man denkt und lie­gen in Ent­wick­lun­gen be­grün­det, wie weit vor dem In­ter­net-Zeit­al­ter ein­ge­setzt hat­ten. So wird in die­sem Buch be­reits auf das Lo­kal­zei­tungs­ster­ben hin­ge­wie­sen. Und auf die zu­neh­men­de Unter­nehmenskonzentration im Ver­lags­we­sen. Schnei­der hält den Aus­druck »freie Schrei­ber« für die­je­ni­gen, die kei­ner Re­dak­ti­on an­ge­hö­ren, für Ver­höh­nung. Dass die­se ir­gend­wann die Ho­no­ra­re und Ge­häl­ter in den Re­dak­tio­nen drücken, schim­mert schon durch. Auch die­se Ent­wick­lung ist al­so nicht ur­säch­lich in der Di­gi­ta­li­sie­rung zu se­hen.

Vie­le der Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge im Buch wir­ken im­mer noch wie from­me Wün­sche. Nicht weil sie un­er­füll­bar sind, son­dern weil in­zwi­schen das Pro­blem­be­wusst­sein bei den han­deln­den Me­di­en­ak­teu­ren noch we­ni­ger als da­mals aus­ge­prägt zu sein scheint. Der Re­zi­pi­ent kann nur ei­nes: ge­nau­er hin­hö­ren, hin­schau­en, le­sen. Und das hat sich eben­falls im Ver­gleich zu 1984 kaum ver­än­dert.


  1. Die Zitate beziehen sich auf die Ausgabe der 4. Auflage von 1990. 

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  1. Mit dem Be­wusst­sein von heu­te ha­be ich mir sel­ber schon oft den Vor­wurf ge­macht, früher,d.h. bis An­fang der Neun­zi­ger, re­la­tiv blau­äu­gig mei­nen Lieb­lings­me­di­en ein­fach ver­traut zu ha­ben. Dies fiel auch leicht, denn mei­ne Lieb­lings­me­di­en stand im­mer ein star­ker Me­di­en­block ent­ge­gen, der der Ten­denz mei­ner Lieb­lings­me­di­en dia­me­tral ent­ge­gen ar­gu­men­tier­te. Mein Herz schlug links, eher links­li­be­ral und so emp­fing ich die Be­stä­ti­gung mei­ner Ein­stel­lung wie selbst­ver­ständ­lich aus eben sol­chen Me­di­en.

    „Über­par­tei­lich“ hat­ten al­le in ih­rem Ti­tel, die stock­kon­ser­va­ti­ve Köl­ni­sche Rund­schau wie auch der ehe­mals links­li­be­ra­le Köl­ner Stadt­an­zei­ger. Der kon­ser­va­ti­ven Welt oder der FAZ setz­ten die SZ oder die Frank­fur­ter Rund­schau ei­ne links­li­be­ra­le Mei­nung ent­ge­gen und im Fern­se­hen freu­te ich mich über Mer­se­bur­gers Pan­ora­ma und fand ZDF’s Lö­wen­tal ganz fürch­ter­lich. Die BILD-Zei­tung war per se un­glaub­wür­dig und für mich al­lein we­gen der an­bie­dern­den „ein­fa­che-Leu­te-Spra­che“ ein­fach un­les­bar, was aber letzt­lich auch nicht not­wen­dig war, weil die „Mei­nung“ , die dort ge­puscht wur­de, er­fuhr man durch die 10 Mil­lio­nen Kon­su­men­ten je­der­zeit und über­all. Um­so in­ten­si­ver las ich den Spie­gel, denn dort wur­de ich in mei­ner Mei­nung be­stä­tigt und das ge­fiel mir.

    Aber da war die Welt noch in 2 Blöcke ge­teilt – bei uns im We­sten die „Frei­heit“ und die Dik­ta­tur im Herr­schafts­be­reich der So­wjet­uni­on. Wir wa­ren die Gu­ten, das war auch da­mals schon klar und im Ge­gen­satz zu heu­te war auch ich da­von über­zeugt

    Im Bun­des­tag stan­den sich eben­falls 2 Blöcke , CDU/CSU/ und SPD und ei­ne la­vie­ren­de FDP fast gleich­stark ge­gen­über, so­dass es im Par­la­ment zu­min­de­stens aus­sah, als gä­be es ei­ne Al­ter­na­ti­ve zur je­wei­li­gen Re­gie­rung.

    Die­se klei­ne Re­mi­ni­zenz soll ei­gent­lich nur dar­stel­len, war­um die si­cher rich­ti­ge Aus­sa­ge des Bu­ches, Lücken – und Mei­nungs­jour­na­lis­mus wä­re auch da­mals Gang und Gä­be ge­we­sen, nicht so auf­fiel. Die fort­schrei­ten­de Me­di­en­kon­zen­tra­ti­on und der im­mer grö­ße­re Druck auf die Jour­na­li­sten, ei­ner­seits die Er­war­tung des Lesers/Nutzers zu er­fül­len, es sich aber an­de­rer­seits nicht mit dem Ei­gen­tü­mer zu ver­scher­zen, führt zu die­sem un­er­träg­li­chen Ein­heits­brei der Me­di­en­land­schaft – und, durch das In­ter­net ist plötz­lich die Deu­tungs­ho­heit in Fra­ge ge­stellt.

    Die er­staun­li­che Klar-und Weit­sicht des Aut­hors be­reits in den Ach­zi­ger­jah­ren ist wirk­lich zu be­wun­dern und mir ist mei­ne da­ma­li­ge Me­di­en­gläu­big­keit in­zwi­schen doch recht pein­lich.

  2. Pein­lich? Nein, war­um? Denn es gab ja tat­säch­lich kaum Kor­rek­ti­ve und die Mei­nungs­macht von »Spie­gel«, »Stern« oder »Zeit« (ge­gen »ZDF-Ma­ga­zin«, »FAZ« oder so­gar »Bild«) war auf­grund ih­rer Sug­ge­sti­vi­tät schwer zu durch­schau­en. Zu­dem um­gab sich doch da­mals schon je­der nur mit Gleich­ge­sinn­ten. Auch das ist kein Phä­no­men des In­ter­net.

    Ir­gend­wann konn­te ich aber den »Spie­gel« nicht mehr le­sen; die sub­ku­ta­nen An­spie­lun­gen und Ma­ni­pu­la­tio­nen wa­ren mir zu deut­lich ge­wor­den und mit den Ju­go­sla­wi­en­krie­gen hör­te es dann wirk­lich auf. Et­was län­ger ging es bei mir mit der »Zeit«. In­zwi­schen steht man ste­he ich mit al­ler­gröss­ter Skep­sis al­len Nach­rich­ten und Me­di­en ge­gen­über – so­gar de­nen, de­nen ich ei­gent­lich glau­ben möch­te. Aber auch die Watch­blogs und »kri­ti­schen« Web­sei­ten fin­de ich zum gro­ßen Teil in­zwi­schen nur noch pein­lich, weil sie der Par­tei­lich­keit des Main­streams ein­fach nur mit ei­ner Ge­gen­mei­nung be­geg­nen. Jetzt mag mi­nus mal mi­nus ja plus er­ge­ben (war­um das so ist, ha­be ich in Wahr­heit nie ver­stan­den; my fault), aber das blo­ße »Schwarz« bei der Nach­rich­ten­la­ge »Weiß« hilft mir dann auch nicht wei­ter.

    Ich glau­be, dass sich der Jour­na­lis­mus zu­rück ent­wickelt hat. Die 1980er Jah­re wa­ren ja – wie eben die­ses Buch auch zeigt – kei­ne Pa­ra­dies­zeit, aber es gab da­mals ei­ne ge­wis­se To­le­ranz der ab­sei­ti­gen, an­de­ren Sicht­wei­se ge­gen­über. Viel­leicht so­gar ei­ne ge­wis­se Neu­gier (die »Bild« hat man schon ge­nom­men, wenn sie am Ar­beits­platz rum­lag). In­zwi­schen schot­tet man sich in der Fil­ter­bla­se ab; die Welt ist (schein­bar) zu kom­plex ge­wor­den um sie je­den Tag neu zu be­fra­gen. Es ist ja viel ein­fa­cher stünd­lich neue Tex­te, Vi­de­os und Fern­seh­be­rich­te über die Nie­der­tracht von Pu­tin oder die Ge­fähr­lich­keit von Trump zu fa­bri­zie­ren. Wer län­ger da­bei ist, kennt das längst (Rea­gan; Chruschtschow/Breschnew). Das Netz po­ten­ziert den Blöd­sinn nur noch.

  3. „In­zwi­schen steht man ste­he ich mit al­ler­gröss­ter Skep­sis al­len Nach­rich­ten und Me­di­en ge­gen­über – so­gar de­nen, de­nen ich ei­gent­lich glau­ben möch­te.“

    Ja, ge­nau­so ist es und dass es so­weit ge­kom­men ist, ist wirk­lich nicht lu­stig. Im­mer miß­trau­isch, im­mer in Kon­tro­ver­sen ver­wickelt mit na­he­ste­hen­den Leu­ten, die ein­fach nur glau­ben wol­len – kein an­ge­neh­mer Zu­stand. Den­noch – al­le gu­ten Wün­sche für ein ge­sun­des und glück­li­ches 2017.

  4. In­ter­es­san­ter Ein­blick. Viel­leicht kann man aber Un­ter­schie­de zu da­mals noch deut­li­cher for­mu­lie­ren, da sich das In­stru­men­ta­ri­um der Macht in der Zeit deut­lich ver­bes­sert hat.

    1. Durch die Hin­ter­grund­ge­sprä­che ha­ben Po­li­ti­ker und Jour­na­li­sten sich ge­mein­sam ge­gen die in­ter­es­sier­te Öf­fent­lich­keit ge­stellt. Wer re­gel­mä­ßig vie­le un­ter­schied­li­che Me­di­en kon­su­miert, wird schnell hell­hö­rig, wenn sich wie­der ei­ne Sprach­re­ge­lung breit macht. Häu­fig bis zum Wort­laut. Na­tür­lich hat man sich auch in Bonn in ei­ner Ka­schem­me ge­trof­fen, aber die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung der Hin­ter­grund­ge­sprä­che in der Ber­li­ner Re­pu­blik ist schon ein qua­li­ta­ti­ver Un­ter­schied.

    2. Wenn Po­li­tik heu­te ein The­ma auf die Agen­da set­zen mnöch­te, wer­den erst die schwar­zen Rei­ter aus­ge­schickt, so wie man ein an­zu­grei­fen­des Ziel erst sturm­reif schie­ßen muss. Ne­ben der di­rek­ten Kon­tak­te zu Jour­na­li­sten, schiebt man via Ber­tels­mann­stif­tung, INSM, Wirt­schafts­in­sti­tu­ten, be­zahl­ten Pseu­do­ex­per­ten etc.pp. noch ei­ne Schicht da­zwi­schen, um noch ein Quänt­chen Glaub­wür­dig­keit zu er­zeu­gen. Vor dem Ju­go­sla­wi­en­krieg (sie sa­gen es!) war ich da tat­säch­lich auch deut­lich nai­ver. Mitt­ler­wei­le ha­be ich das früh­zei­ti­ge Er­ken­nen sol­cher Kam­pa­gnen zum Sport ge­macht. Wenn ich zwei gleich­klin­gen­de Mel­dun­gen hö­re, star­te ich ei­ne Re­cher­che über die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen. Mei­ne Tref­fer­quo­te wird im­mer bes­ser. Frü­her hat­te man mehr Mei­nung oder Hal­tung. Heu­te mehr Funk­ti­on. Ei­nem Mi­cha­el Hüt­her wür­de ich auch zu­trau­en, mor­gen den So­zia­lis­mus zu pre­di­gen. Wenn es sich denn loh­nen wür­de.

    3. Im Netz wird sehr viel Un­sinn ver­brei­tet. Im Netz kann man sich mit vor­han­de­nem Vor­wis­sen und nö­ti­ger Skep­sis aber auch selbst ein Bild ma­chen. Ver­mut­lich stimmt auch hier das al­te Jauch-Dik­tum: »Es macht Klu­ge klü­ger und Dum­me düm­mer«. Wir er­le­ben ja ge­ra­de ein Trom­mel­feu­er der Dif­fa­mie­rung al­ler Netz­quel­len. Muss man ein­fach nur lau­ter sein als An­de­re? Vor­beu­gung? Ir­gend­je­mand ver­mu­te­te, dass näch­stes Jahr fie­se In­for­ma­tio­nen über die Par­tei­en­fi­nan­zie­rung öf­fent­lich wer­den. Z.B. Näch­stes Jahr wird man noch hell­hö­ri­ger sein müs­sen, als schon bis­her.

    Wenn man jetzt noch in Be­tracht zieht, dass durch Kon­zen­tra­ti­on, In­ter­net und Des­in­ter­es­se der Be­völ­ke­rung die frü­her un­ver­schäm­ten Ren­di­ten nicht mehr da sind, wird auch ver­ständ­lich, dass die Kar­rie­re mehr Kom­pro­mis­se nö­tig macht. Ob sol­che Kra­ken wie Jof­fe oder Elitz heu­te noch­mal ent­ste­hen?

  5. @Joseph Bran­co
    In­ter­es­san­te Er­läu­te­run­gen; vie­len Dank hier­für.

    Dass die In­sti­tu­tio­na­li­sie­rung von Hin­ter­grund­ge­sprä­chen sich in Ber­lin im Ver­gleich zu Bonn pro­fes­sio­na­li­siert hat, ist si­cher­lich rich­tig. Ich glau­be aber, dass das, was Sie fest­stel­len – die im­mer­glei­che Se­man­tik quer durch al­le Me­di­en – die­sen Ef­fekt merk­wür­di­ger­wei­se kon­ter­ka­riert. Viel­leicht hat­te man »da­mals« (in den 80ern/90ern) ein­fach nicht das Ge­fühl, über­all na­he­zu iden­ti­sche For­mu­lie­run­gen und Schwer­punk­te »ser­viert« zu be­kom­men. In­zwi­schen ist es ja tat­säch­lich so, dass es Nach­rich­ten­trends zu ge­ben scheint, de­nen man kaum ent­rin­nen kann. Da­durch wächst ei­ne »kri­ti­sche Mas­se« (und zwar in al­le po­li­ti­sche Rich­tun­gen), zu­mal auch die Wohl­stands­ver­spre­chen der Po­li­tik (durch die Me­di­en ver­brei­tet) ero­die­ren.

    (Ein in­ter­es­san­tes Bei­spiel – nicht aus dem po­li­ti­schen Be­reich, aber wie Me­di­en neu­er­dings funk­tio­nie­ren: Im Ok­to­ber 2016 gab es ur­plötz­lich in na­he­zu al­len Me­di­en Be­rich­te über »Hor­ror-Clowns« in den Städ­ten. Die­se »Wel­le« ging nur über ei­ne knap­pe Wo­che – da­nach wur­de das The­ma nicht mehr re­le­vant ver­folgt. War­um?)

    Ver­ein­facht for­mu­liert durch­le­ben wir Zy­klen von Kam­pa­gnen­jour­na­lis­mus, der zu­wei­len ge­nau so schnell ver­schwin­det wie er ge­kom­men ist. Sie er­wäh­nen die durch­weg ne­ga­ti­ve Be­richt­erstat­tung über das Netz. Hier kommt noch da­zu, dass man dies un­be­dingt braucht, um das ei­ge­ne An­ge­bot zu er­hö­hen.

    Hin­zu kommt ja, dass das »Kra­ken­tum« im Netz ähn­li­che Blü­ten treibt. Ich den­ke da an Fi­gu­ren wie Sa­scha Lo­bo aber auch Don Al­phon­so. Da Lo­bo dem Main­stream das Wort re­det, wird er in­zwi­schen von den öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en ver­ein­nahmt. Es wird nicht bes­ser.

  6. Ich wür­de Schnei­der und die an­de­ren Ex-Al­pha-Jour­na­li­sten ger­ne mal zu dem The­ma hö­ren, war­um all die­se hoff­nungs­vol­len jun­gen Men­schen, die durch ih­re Schu­len ge­gan­gen sind, größ­ten­teils auch nicht mehr brin­gen als Mei­nung, Hoch­mut statt Kri­tik­fä­hig­keit und schlech­ten Stil. Schnei­der hat sei­nen mir schlei­er­haf­ten Ruf als »Sti­list« und »tol­ler Jour­na­list« lan­ge da­zu ge­nutzt, um in gut be­zahl­ten Lehr- Kurz­auf­trit­ten bei Pres­se­kon­zer­nen erst­mal die ver­sam­mel­ten Vo­lon­tä­re und Prak­ti­kan­ten zu­sam­men­zu­schei­ßen als wä­re man beim Kom­mis. Das ein­zi­ge, was man ler­nen konn­te, war auf­zu­ste­hen und zu ge­hen. Hat von den zu­künf­ti­gen Ver­trtern der 4. Ge­walt aber kaum ei­ner ge­tan. Die Strom­li­ni­en­för­mig­keit ge­ra­de der Leu­te, die von den Jour­na­li­sten­schu­len pro­du­ziert wer­den, ist so groß, de­nen muss man gar kei­ne Kam­pa­gnen­pla­nung un­ter­stel­len, das läuft So­cial Bot-mä­ßig von al­lei­ne.

  7. Na­ja, zum ei­nen ist ein Leh­rer nicht für die spä­te­re Lauf­bahn sei­ner Schü­ler ver­ant­wort­lich zu ma­chen. Und zum an­de­ren wer­den auch noch so em­si­ge Schü­ler am En­de vom Sy­stem und de­ren Zwän­gen ver­ein­nahmt, um nicht das häss­li­che Wort kor­rum­piert zu ver­wen­den.

    Schnei­ders Nim­bus des tol­len Jour­na­li­sten er­klärt sich m. E. auch da­hin­ge­hend, dass es vie­le öf­fent­li­che Per­so­nen gibt, die am En­de schlicht­weg ver­klärt wer­den. Als Mo­de­ra­tor der NDR-Talk­show war er um Äo­nen in­ter­es­san­ter als die Fi­gu­ren, die das heu­te ma­chen. Und ein Re­stau­rant­kri­ti­ker muss ja nicht bes­ser ko­chen kön­nen als die­je­ni­gen, die er kri­ti­siert.

    Der letz­te deut­sche po­li­ti­sche Jour­na­list, der mich dann doch manch­mal mit sei­nem Sche­ma­tis­mus zur Weiß­glut brach­te, im we­sent­li­chen al­ler­dings in­ter­es­san­te Ver­knüp­fun­gen er­öff­ne­te war Scholl-La­tour. Mein ak­tu­el­les In­ter­es­se an den Be­rich­ten zur In­nen- wie Au­ßen­po­li­tik in der deut­schen Pres­se flaut im­mer mehr ab, weil ich zu­meist nach we­ni­gen Zei­len schon weiss, wie die Ten­denz aus­sieht. Die all­ge­gen­wär­ti­gen Mei­nungs­jour­na­li­sten le­se ich fast nur noch, wenn der Kaf­fee mich nicht so recht mun­ter ma­chen will.

    In der Po­li­tik ist es ja ziem­lich häu­fig, dass »Pen­sio­ni­sten« plötz­lich als mo­ra­li­sche Ret­tungs­an­ker für die Ge­sell­schaft fun­gie­ren. Von den noch Le­ben­den fällt mir da bei­spiels­wei­se Hei­ner Geiß­ler ein, der ein furcht­ba­rer CDU-Ge­ne­ral­se­kre­tär war und seit vie­len Jah­ren als das so­zia­le Ge­wis­sen der Uni­on un­ter­wegs ist und die­se Rol­le auch an­nimmt. (Ei­ne Va­ri­an­te ist der Nim­bus der früh Ver­stor­be­nen – bei­spiels­wei­se bei den Ken­ne­dys.)

  8. Für den Man­gel an hand­werk­li­chem Kön­nen ist der Leh­rer schon ver­ant­wort­lich, sonst könn­te man sich das gan­ze Jour­na­li­sten­schuls­ums ja spa­ren. (Da scheint ja vor al­lem Ha­bi­tus ver­mit­telt zu wer­den – aber das ist viel­leicht auch al­les, was den Jour­na­li­sten aus­macht.)
    Der Klas­si­ker für Al­te-Män­ner-Ha­gio­gra­phie in DE: Hel­mut Schmidt. Vor al­lem bei Men­schen, die den als han­deln­den Po­li­ti­ker gar nicht mehr ken­nen.

  9. Se­he ich an­ders. Selbst ein be­gna­de­ter Leh­rer kann aus ei­nem un­ta­len­tier­ten Schü­ler kei­nen Mei­ster ma­chen. Aber er muss ihn wei­ter un­ter­rich­ten. Aus mir hät­te Rie­men­schnei­der kei­nen Bild­hau­er und Cé­zan­ne kei­nen Ma­ler ma­chen kön­nen. Auch die so­ge­nann­ten Schreib­schu­len zei­gen ja da deut­li­che Gren­zen auf. Ein­zig der Korps­geist, ei­ne ve­ri­ta­ble Bes­ser­wis­ser­ar­ro­ganz, wird und wur­de ver­mit­telt. Und da ist man dann wie­der bei Schnei­der.

  10. Schö­ner Text, eben­sol­che Dis­kus­si­on.

    Die Ver­su­che auf Mas­sen­me­di­en Ein­fluss zu neh­men, sind wohl eben­so alt wie die­se (den­ken wir et­wa an die Zeit vor und wäh­rend des er­sten Welt­kriegs). Von die­sen be­wuss­ten Ver­su­chen be­stimm­te Mei­nun­gen und Sicht­wei­sen zu ver­brei­ten, ist das Er­zeu­gen von Kon­for­mi­tät oder bes­ser: die Re­pro­duk­ti­on (des Be­kann­ten, Ge­wohn­ten, des Eta­blier­ten, der herr­schen­den Sicht auf die Din­ge) zu un­ter­schei­den und viel­leicht ist es letz­te­re, die un­se­re Zeit von ver­gan­ge­nen in be­son­de­rem Maß un­ter­schei­det (oder fällt uns der Ver­gleich heu­te nur be­son­ders leicht?). Zu nen­nen wä­ren die öko­no­mi­schen Struk­tu­ren, das Hand­werk, der Be­trieb und sei­ne Funk­tio­na­li­tät (Pres­se­agen­tu­ren!), die Di­gi­ta­li­sie­rung in­klu­si­ve ih­rer Dy­na­mik und letzt­lich wohl auch ei­ne ent­spre­chen­de So­zia­li­sie­rung.

  11. Das wit­zi­ge an dem Buch ist ja, dass die Di­gi­ta­li­sie­rung da­mals gar kein The­ma war – die Kla­gen aber ähn­lich. Der (spür­ba­re) Un­ter­schied: Da­mals war die Gate­kee­per-Funk­ti­on der Jour­na­li­sten noch in­takt. Mei­ne The­se geht da­hin, dass die jour­na­li­sti­schen Rei­hen heut­zu­ta­ge sich vor al­lem des­we­gen in Rich­tung Mei­nungs­kor­ri­dor schlie­ßen, weil man be­fürch­tet, dass Kri­tik von der »fal­schen Sei­te« in­stru­men­ta­li­siert wer­den könn­te. Das ist ja ei­ne Art Stan­dard­vor­wurf ge­wor­den. Da­mit über­lässt man aber den Ver­schwö­rungs­ex­ege­ten im Netz all­zu be­reit­wil­lig das Feld: Sie kön­nen sich als Hel­den der Mei­nungs­äu­ße­rung ge­rie­ren.

    Im Prin­zip ist die­se Angst vor dem »fal­schen Ap­plaus« ein Ein­ge­ständ­nis, dass man dem Re­zi­pi­en­ten nicht mehr zu­traut, au­to­nom Ur­tei­le zu tref­fen. Da­her auch der pa­ter­na­li­sti­sche An­satz so­ge­nann­te »Fake-News« in­sti­tu­tio­nell ver­hin­dern zu wol­len. Da­bei wird ver­mut­lich der Be­griff des »Fakes«, al­so der Lü­ge, im Lau­fe der Zeit im­mer brei­ter aus­ge­legt wer­den.

  12. Hm, könn­te es nicht sein, dass die Rei­hen des­halb ge­schlos­sen sind, weil die ei­ge­ne (»mo­ra­lisch rich­ti­ge«) Sicht häu­fig in wei­ten Tei­len mit der der po­li­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Eli­ten ident ist? Man ver­tei­digt wo­für man – war­um auch im­mer – selbst steht. Und ja: Der Bür­ger wird of­fen­bar und so­gar in Mei­nungs­an­ge­le­gen­hei­ten als zu be­leh­rend an­ge­se­hen (gut, man könn­te sa­gen, dass zu die­sem Pro­gramm na­tür­lich ge­hört, dass man ver­mit­teln muss wel­cher Sei­te man ja nicht zu­ar­bei­ten soll). — Wo­her die­se pa­ter­na­li­sti­sche Hal­tung (auch in der Po­li­tik) kommt, ist mir nicht ganz klar.

  13. Ich ver­mu­te, dass sich Jour­na­li­sten für die bes­se­ren Welt­erklä­rer hal­ten. Ihr Selbst­ver­ständ­nis als »Vier­te Ge­walt« hat da­mit zu tun. Hin­zu kommt, dass ih­nen ver­mut­lich im­mer schon er­zählt wur­de, dass ih­re Mei­nung per se an­de­re in­ter­es­sie­ren muss. Die Nä­he zur Macht, die dann bei den so­ge­nann­ten »Edel­fe­dern« fast un­um­gäng­lich zu sein scheint, kor­rum­piert ih­re Ei­tel­keit zu­sätz­lich noch.

    Man kann zu Trump ste­hen wie man will (ich hal­te ihn ins­be­son­de­re au­ßen­po­li­tisch für ei­ne Ka­ta­stro­phe), aber die ge­ra­de­zu hy­ste­ri­sche so­ge­nann­te Be­richt­erstat­tung über ihn ist ein er­schrecken­des Sym­ptom für die­se Hy­bris. Das hat mit Jour­na­lis­mus nichts mehr zu tun.

  14. Apro­pos Gate­kee­per. Am 14.1. tweetet Ha­ti­ce In­ce zum To­de Ulfkot­tes:

    Ich: »Ha­ha­ha­ha! [trä­nen­la­chen­des Emo­ti­con] Dar­auf ei­nen Schnaps!«

    Das Jahr fängt gut an. [trä­nen­la­chen­des Emo­ti­con] #ulfkot­te

    Wä­re nicht wei­ter er­wäh­nens­wert, wenn In­ce nicht für das Ju­gend­res­sort des Spie­gels Ben­to schrei­ben wür­de. Ju­lia Reh­kopf (Lei­tung der For­ma­t­ent­wick­lung für das Jun­ge An­ge­bot von ARD/ZDF) klickt auf ge­fällt mir. Da ist die Ju­gend in be­sten Hän­den.

    Man stel­le sich vor, dies hät­te ein AFD­ler zum To­de ei­nes Grü­nen-Po­li­ti­kers ge­tweetet. Hier aber Gra­bes­stil­le Nicht ein Me­di­um au­ßer­halb der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen hat es für nö­tig ge­hal­ten, auch nur ei­ne Kurz­mel­dung zu brin­gen. Doch, Gate­kee­ping funk­tio­niert noch. Man ver­ste­he dies bit­te als voll­kom­men neu­tra­le Be­ob­ach­tung.

  15. Na­ja, Mer­kel hat­te ja da­mals auch der Tod von Bin La­den ge­freut...

    Im­mer­hin brach­te der Spie­gel zu Ulfkot­te ein Por­trait von Fleisch­hau­er – aus dem Jahr 2015

    Ja, Gate­kee­ping funk­tio­niert bes­ser als man denkt und ins­be­son­de­re die öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en ge­ben hier im­mer wie­der sehr gu­te Bei­spie­le ab.

  16. Sie se­hen in der Hä­me kei­nen Un­ter­schied? Noch da­zu von der Ju­gend­ab­tei­lung? Sie glau­ben nicht, dass ein ent­spre­chen­der AFD-Tweet ein brei­tes Echo ge­fun­den hät­te? Das kann ich nicht glau­ben.

  17. Ich ha­be jetzt ein­mal ein biss­chen hin- und her­ge­klickt. Ha­ti­ce In­ce kann­te ich vor­her nicht und als »Bento«-Schreiberin war (und ist) sie für mich auch voll­kom­men be­deu­tungs­los. Das gilt auch für die Da­me Reh­kopf. Ähn­lich gin­ge es mir, wenn ir­gend­ein AfD-An­hän­ger ei­nen äqui­va­len­ten Tweet über ei­nen links­li­be­ra­len oder grü­nen­freund­li­chen Jour­na­li­sten ver­fasst hät­te. Die­se Leu­te las­se ich nicht mehr an mich her­an; sie sind für mich nicht sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig. Ih­ren Äu­sse­run­gen zu fol­gen ist rei­ne Zeit­ver­schwen­dung; sich dar­über auf­zu­re­gen scha­det mir ge­ra­de­zu phy­sisch (das mei­ne ich nicht iro­nisch).

    Ich ver­mu­te, dass wir hier­in viel­leicht über­ein­stim­men. Ih­ren Ein­wand in­ter­pre­tie­re ich nun da­hin­ge­hend, dass die In­vek­ti­ve von In­ce (Selbst­ein­schät­zung im Som­mer 2016: »Ich ge­hö­re zu Deutsch­land. War­um wollt ihr das nicht ak­zep­tie­ren?«) von den an­son­sten so emp­find­li­chen und alarm­freu­di­gen Me­di­en nicht mit der glei­chen Em­pö­rung be­dacht wor­den ist wie bei­spiels­wei­se die Hä­me des Twit­ter-Pö­bels als Vol­ker Beck auf­grund sei­nes ein­ge­stan­de­nen Dro­gen­kon­sums vor­über­ge­hend sei­ne po­li­ti­schen Äm­ter auf­gab (die­ses Bei­spiel ist mir ge­ra­de ein­ge­fal­len; es gibt be­stimmt tref­fen­de­re).

    Die Ant­wort ist mei­nes Er­ach­tens re­la­tiv ein­fach: Ulfkot­te war – ob be­rech­tigt oder nicht – zu ei­ner Art »Un­per­son« ge­wor­den. All den­je­ni­gen, die in ir­gend­wann ein­mal in die­se Ka­te­go­rie ver­bracht wor­den sind, darf of­fen­sicht­lich der Re­spekt ver­wei­gert wer­den – oh­ne das hier­über Kon­se­quen­zen zu be­fürch­ten sind. Mo­ra­li­sche Kri­te­ri­en sind au­ßer Kraft ge­setzt. Ich glau­be so­gar, dass die Da­me von Ben­to das re­gi­striert hat und der Tweet als ei­ne Art »Ver­suchs­bal­lon« galt, um aus­zu­te­sten, wie weit man ge­hen kann.

    Als Be­schrei­bung der Bi­got­te­rie der Me­di­en­schaf­fen­den dient der Tweet als klei­nes Stein­chen im Mo­sa­ik sehr gut. »Ha­te-speech« be­trei­ben im­mer nur die an­de­ren, »Fake-News« gibt es nur im Netz, nur die Bild-Zei­tung hat über Wulff falsch be­rich­tet, so­zia­le Netz­wer­ke sind in Wirk­lich­keit aso­zi­al, usw. Wer sich die­sem Be­find­lich­keits­strom wi­der­setzt, wird min­de­stens skep­tisch be­äugt.

    Das der­zeit ge­ra­de­zu gro­tes­ke Trump-Bas­hing hat für mich al­len­falls noch Un­ter­hal­tungs­wert. Sel­ten hat sich die jour­na­li­sti­sche Eli­te der­art ver­rannt. Der Mann ist noch nicht ei­nen Ta­ge Prä­si­dent, wird aber be­ur­teilt, als ha­be er die USA be­reits in Schutt und Asche ge­legt. Al­les wird be­ob­ach­tet, ver­ab­so­lu­tiert und be­krit­telt – so­gar sei­ne Phy­sio­gno­mie (mit den Haa­ren be­gann es ja). Et­was, was bei­spiels­wei­se bei Oba­ma streng­stens sank­tio­niert wor­den wä­re. Ver­mut­lich ana­ly­siert dem­nächst noch je­mand sei­nen Müll oder, wenn mög­lich, den Stuhl­gang. Als Ge­gen­be­we­gung wird in ge­ra­de­zu kin­di­scher Ma­nier be­reits jetzt die Oba­ma-Amts­zeit ver­klärt. Das er­in­nert frap­pie­rend an die vor­zei­ti­gen Se­lig- und Hei­lig­spre­chun­gen in der Ka­tho­li­schen Kir­che.

  18. Viel­leicht bin ich schon pa­ra­no­id oder klein­lich; was mir die­ser Ta­ge un­ter­kam: Un­ser Bun­des­kanz­ler Kern hat am Mitt­woch den 11.1. abends ei­ne Grund­satz­re­de ge­hal­ten und ei­nen so­ge­nann­ten »Plan A« für Öster­reich prä­sen­tiert; ei­ne der ent­hal­te­nen Maß­nah­men ist die Ein­füh­rung ei­nes Min­dest­lohns von 1.500 Eu­ro. Zwei Ta­ge spä­ter fin­de ich in der öster­rei­chi­schen Ta­ges­zei­tung »Die Pres­se« ei­nen Ar­ti­kel, der, ba­sie­rend auf ei­ner APA-Mel­dung*, die Si­tua­ti­on in ei­ni­gen Bra­chen be­schreibt, für die kein oder ein sehr nied­ri­ger, kol­lek­tiv­ver­trag­lich ver­ein­bar­ter, Min­dest­lohn gilt (in Öster­reich gibt es bis­lang kei­nen für al­le gel­ten­den, ge­setz­lich ver­pflich­ten­den Min­dest­lohn). Ob die Li­ste voll­zäh­lig ist, bleibt of­fen, er­wähnt wird gleich zu Be­ginn, dass die Ge­werk­schaf­ten 1.700 Eu­ro for­dern. Der Ein­druck, der ent­steht, un­ter­streicht die For­de­rung des Bun­des­kanz­lers: Sie er­scheint wich­tig, ge­bo­ten, drin­gend (dass die Ge­werk­schaf­ten im­mer mehr ver­lan­gen, liegt in de­ren Na­tur, wird der Le­ser wahr­schein­lich er­gän­zen). Tat­säch­lich gilt für ca. 80% der Bran­chen (viel­leicht so­gar mehr) seit 2014 ein Min­dest­lohn von 1.500 Eu­ro, der Nied­rig­lohn­sek­tor um­fasst in Öster­reich ca. 15% der un­selbst­stän­dig Er­werbs­tä­ti­gen (er­ste­res wur­de von der­sel­ben Zei­tung im Jahr 2015 pu­bli­ziert). Die For­de­rung un­se­res Bun­des­kanz­lers dürf­te nur we­ni­gen Er­werbs­tä­ti­gen deut­li­che Ver­bes­se­run­gen brin­gen (et­li­che in dem Ar­ti­kel an­ge­führ­te Min­dest­löh­ne lie­gen ja nur knapp un­ter 1.500 Eu­ro) und po­li­tisch ein­fach durch­zu­set­zen zu sein (egal wel­che Form die Re­ge­lung am En­de hat). — Mir scheint, dass hier ei­ne po­li­ti­sche Idee – ob ab­sicht­lich oder un­ab­sicht­lich – als et­was an­de­res dar­ge­stellt wird, als sie ist (im Jahr 2010 wur­de die Nied­rig­lohn­gren­ze für Öster­reich mit 14 x 1.476 Eu­ro brut­to de­fi­niert).

    *Ich ge­he da­von aus, dass das »(APA)« am En­de des Ar­ti­kels kei­ne APA-OTS Aus­sendung meint.