Ich hatte gerade 10 der 14 Texte gelesen, als mich eine Mitteilung eines Twitter-Followers erreichte: »Ihr konsequentes Schweigen zum Blogbusterpreis stimmt mich nachdenklich.«
Tatsächlich hatte ich die Longlist-Leseproben erst einige Tage zuvor entdeckt. Den Blogbuster-Preis hatte ich fast schon vergessen; die teilnehmenden Blogger verfolge ich nur sehr unregelmässig. Zuweilen konnte man von Auswahlqualen lesen, wobei ich mich frug, warum man so etwas mit Namensnennungen öffentlich macht, aber nach den Statuten war das möglich. Erst die Implementierung eines neuen literarischen Kanon in der »Literarischen Welt« durch den mittlerweile unvermeidbaren Denis Scheck liess mich an den Preis denken, war doch eben jener Scheck als Zugpferd dabei.
Und jetzt also Leseproben. In einer Mischung aus Bewunderung und Abscheu verfolgt ich ja zuweilen die jakobinischen Urteile eines gewissen Malte Bremer, der auf literaturcafe.de mehr oder weniger aufgrund von Leseproben die Romane zu diversen Buchpreisen bespricht (wenn er nicht schon nach einer Seite aufgehört hat). Die Bewunderung beschränkt sich dabei auf die Chuzpe. Die Abscheu entwickelt sich aus seinen lächerlich daherkommenden apodiktischen Urteilen (»Dieses Buch ist einfach nur doof«). Wenn dies die vielbeschworene neue Literaturkritik im Internet sein soll, dann wäre es besser, sie ginge zum Teufel.
Anhand einer Leseprobe lässt sich nur ein sehr eingeschränktes Urteil über eine längere Erzählung bzw. einen Roman bilden.1 Man kann beispielsweise nicht beurteilen, wie die Figurenführung des Autors ist. Auch dezidierte Aussagen über die Behandlung und Fortführung des Themas, des Plots, der Geschichte sind nahezu unmöglich. Immerhin könnte sich der Sound, die Sprache des Romans zeigen, sofern es im weiteren Verlauf keine Überraschungen (Erzähl- und/oder Perspektivwechsel) gibt.
Zugegeben, manchmal schimpfte ich bei der Lektüre im Selbstgespräch: »Wenn dieser Text das beste Manuskript gewesen ist, möchte ich nicht die anderen gelesen haben« (in Klammern immer der Autorenname; die Longlist-Downloads hier). Manches erreicht wohl bestenfalls Illustriertenroman-Niveau (Katharina Radtke, Helmut Pöll). Einer wiederum überhebt sich an seinen Ambitionen schon im ersten Satz indem er einen berühmte Kafka-Anfang paraphrasiert (Stefan Zett) und eine überspannte leider nur bedingt originelle Geschichte eines Magenkomplotts erzählt. Gunnar Kaisers Text soll ein Roman über einen bibliophilen Mörder sein. Bei Chrizzi Heinen findet die Protagonistin ein Schwarzes Loch im Badezimmer. Und Ina Elbracht paraphrasiert in ihrer Geschichte ein wenig »Das Parfüm« und erzählt von einer Person, die einem mysteriösen Getränk verfällt, welches Kreativitätsschübe erzeugt. Hier scheinen die auswählenden Blogger insgesamt eher weniger an literarischen Kriterien als an Originalität interessiert gewesen zu sein.
Andere, vielversprechende Anfänge scheitern schon früh krachend, etwa wenn ein »Chronist« über ein Dorf irgendwo im Schwäbischen Wald schreibt und die Figuren mit Häme und arrogantem Zynismus zudeckt (Kai Wieland). Dass man Provinzialismus auch mit Ironie darstellen kann ohne ihn per se zu denunzieren, zeigt Doris Brockmann. Dabei droht jedoch ständig eine gewisse Possierlichkeit (auch in der Sprache), die im Textausschnitt gerade erträglich ist, aber womöglich für den Roman ein Problem sein könnte. Natürlich gibt es auch etwas fürs Gemüt, etwa eine Kaspar-Hauser-angehauchte Story eines Mädchens, das in den 1950er Jahren unter Hunden aufgewachsen ist und von einer strahlend-moralischen Frau trotz aller Widerstände der Zeit zu einem wertvollen Mitglied der Gesellschaft geformt wird (Brigitte Morgenroth). Oder ein Roman über »Gewalt und ihre Folgen« (Heike Duken), der, so die auswählende Bloggerin, »Geduld« verlangte – aber wie soll das bei einem derart kurzen Abriss funktionieren? Leidliche Spannung verspricht Torsten Seiferts Roman, in dem sich ein Reporter anlässlich des Filmdrehs 1948 auf die Spur des Schriftstellers B. Traven macht, um dessen Identität zu lüften. Die Leif-Randt-gemässe utopische Dystopie (oder dystopische Utopie?) unter anderem mit »Plastik auf der Zunge« gibt es auch (Lukas Vering). Ein bisschen unheimlich geht es auch in der Geschichte von Micaela Daschek zu, die im Sommer 1974 irgendwo in Russland unter Wölfen spielt. Und man erfährt von Daniel Faßbender einiges über die »Roofer«-Szene. (Einen 15. Text wie überall angekündigt gibt es anscheinend nicht.)
Natürlich könnte man an den vorliegenden Textproben eine Art Mini-Lektorat vornehmen, Korrekturen anmahnen und andere Baustellen aufbauen. Aber sinnvoll ist das nicht, weil – siehe oben. Schließlich läuft es darauf hinaus, ob man den Rest des Romans auch noch lesen möchte oder nicht. Hier hätte ich – bei großzügiger Beurteilung und entsprechender Zeit – nur drei Kandidaten. Aber das ist eben alles nur bezogen auf die Textproben.
Die Blogger, nach denen merkwürdigerweise dieser Preis benannt ist, haben nun ihre Schuldigkeit getan – jetzt übernimmt die Jury mit Denis Scheck, Elisabeth Ruge, Tom Kraushaar von Klett-Cotta, Lars Birken-Bertsch und der Initiator dieses Unterfangens, Literaturbloggeraktivist Tobias Nazemi. Gerne wüsste man wie die Jury die vollständigen Romane aufnimmt. Die Shortlist mit drei Kandidaten gibt es bereits am 11. April, irgendwann im Mai wird denn der Preis für Germanys next Topwriter, also das »neue, herausragende literarische Talent im Bereich Gegenwartsliteratur« ausgerufen. Mal sehen, wer herausragt.
Der Unterschied zu dem Wettbewerb in Klagenfurt, bei dem gelegentlich Ausschnitte aus Romanen vorgetragen werden, ist immanent. In Klagenfurt darf diese Perspektive keine Rolle spielen; es ist ausschließlich vom eingereichten Text auszugehen, der allen vorliegt. Beim Blogbuster-Preis ist nur den Juroren der gesamte Text bekannt, der Mitlesende hingegen kennt nur die Auszüge. ↩
Anhand einer Leseprobe lässt sich nur ein sehr eingeschränktes Urteil über eine längere Erzählung bzw. einen Roman bilden.
Arbeiten denn die professionellen Kritiker anders? Lesen die alles, was sie besprechen?
Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht und die Frage ich auch nicht pauschal zu beantworten. Es gibt einige Gerüchte, aber das ist es auch schon. Manchmal erkennt man, dass mindestens ungenau gelesen wurde. Und zuweilen ähneln die Zuschreibungen schon sehr den Waschzetteln und Materialien der Verlage.
Ich heiße Vering , aber mit Leif Randt kann ich leben.
Kann man nicht einen originellen Plot abliefern und trotzdem gut schreiben?!
Soweit ich es verfolgt habe, haben die Blogger das GESAMTE Manuskript gelesen, bevor sie es der Jury empfohlen haben.
@Lukas Vering
Pardon; Fehler ist korrigiert.
@Susan McMorris
Die Frage ist ja schon, was »origineller Plot« heißt? Und dann stellt sich die zweite Frage nach der Bedeutung von »gut schreiben«: Spannungsgeladen? Politisch? Oder geht es primär vielleicht um kommerziellen Erfolg? Vielen meinen ja immer noch, dass Bestseller auch die besten Bücher sind.
Die Blogger haben – soweit ich das verstanden habe – die Manuskripte gelesen, die sie nach den Exposés der AutorInnen angefordert haben, die sie angeschrieben hatten. Sie kennen – noch einmal: so wie ich es verstanden habe – die Manuskripte, die die anderen Blogger erhalten und bewertet haben, nicht. Demzufolge kennen sie auch die anderen, von ihren Kollegen vorgeschlagenen Texte nicht.
Die Blogger haben die kompletten Texte gelesen, soweit sie diese angefordert haben.
@Sandro Abbate
Nichts anderes sage ich ja.
.. dass das Gewinnermanuskript ein ‘Bestseller’ werden wird – davon war nie die Rede und sicher auch kein Ziel! Das wäre auch kein Qualitätsurteil.. Voll die Fake-News, die hier im Blog verzapft werden ;)
Chronistenpflicht: Chrizzi Heinen, Kai Wieland und Torsten Seifert sind die drei Shortlist-Kandidaten. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen. Den Sieger werde ich nicht verkünden – wer will, kann das ja zu gegebener Zeit im Netz nachschlagen.