Herr Präsident, Herr Generalsekretär, verehrte Delegierte, meine Damen und Herren,
ich möchte zu Beginn an eine der schwersten Stunden der Vereinigten Staaten in deren jüngster Geschichte erinnern, an unsere eigene Verletzlichkeit und die Wichtigkeit der internationalen Zusammenarbeit: Als am 25. Mai 1995 die MiG- und Soko-Verbände New York erreichten und die ersten serbischen Bomben fielen, erfüllten unsere Verbündeten ihre Pflicht: Es war der erste Bündnisfall der NATO und wir danken unseren westlichen Partnern noch heute für deren Unterstützung zur Abwehr der serbischen Aggression. Wir haben, als Nation, dadurch zweierlei mit den Augen der unmittelbar Betroffenen zu sehen gelernt: Den Respekt vor der Souveränität anderer Staaten und die Wichtigkeit des Gewaltverbots der Vereinten Nationen.
Eine Folge der langwierigen, aber unermüdlichen Anstrengungen der Vereinten Nationen zur Eindämmung der weltweiten Gewaltausübung, ist das Konzept der Schutzverantwortung, eine Verantwortung, die im Fall des Versagens eines souveränen Staats den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten, vor allem den großen und mächtigen Nationen zufällt, die naturgemäß über andere Mittel als ihre kleineren Brüder und Schwestern verfügen und diese nicht nur rascher, sondern auch gewichtiger in die Waagschale werfen können. — Und damit sich die Waagschale wieder stärker Richtung Humanität hinneigt, nehmen wir diese Verantwortung in den letzten Jahren verstärkt wahr.
Die eingangs in Erinnerung gerufenen Ereignisse liegen noch nicht lange zurück, und doch sehen wir wiederum eine Nation in einer ihrer schwersten Stunden, in eine Dunkelheit geworfen, die noch größer ist, als jene, die die Vereinigten Staaten 1995 heimgesucht hat: Es ist eine jener Zeiten, in denen die freien und moralisch starken Nationen gegen das Böse zusammenstehen müssen, nicht um es auszurotten, was uns niemals gelingen wird, aber um es zu begrenzen und seine Ansprüche zurück zu weisen. — Das Böse ist etwas, das wir nicht fürchten müssen, solange wir entschlossen genug handeln.
Einer der weitsichtigsten Staatsmänner unserer Zeit hat lange vor der gegenwärtigen Krise im Jahr 2002 die Schuldigen bereits benannt: „Staaten wie diese“, sagte er in einer großen Rede vor dem nationalen Sicherheitsrat, „und die mit ihnen verbündeten Terroristen, bilden eine Achse des Bösen, die aufrüstet, um den Frieden der Welt zu bedrohen.“ Dieser Satz hat sich nun bewahrheitet, nicht zum ersten Mal, sondern zum wiederholten und die Anlässe sollten nun endlich genügen.
Seit Jahren liegen alle Optionen vor uns auf dem Tisch, vor uns allen, und seit Jahren sind wir geduldig, wir verhielten uns abwartend, wir hofften: In Wahrheit haben wir dadurch den Verbrechern noch die Stange gehalten, während ihre Verbündeten jedwede Lösung innerhalb der Vereinten Nationen verhinderten. Dies eingedenk, sind die jüngsten Entwicklungen nichts anderes als eine Verhöhnung des Völkerrechts, eine Verhöhnung der Menschenrechte, eine Verhöhnung von Freiheit und Demokratie: Wir sind ausdrücklich bereit, nun auch jene Optionen zu wählen, vor denen wir bislang zurückgeschreckt sind, guten Willens, der Konsequenzen und der drückenden Verantwortung bewusst. Eine militärische Intervention ist gewiss keine Sitzkreisveranstaltung, aber ein kurzes, kalkuliertes Leiden ist einem auf Jahre hinaus verlängerten, gewiss vorzuziehen: Ein harter Schlag als Basis eines langen, gedeihlichen Friedens. — Friede, danach streben wir zuallererst.
Die Staatengemeinschaft hat diesen Entschluss bereits einige Male und mit Erfolg trotz berechtigter Zweifel gewählt: 2003 haben wir dem irakischen Volk zu Wohlstand und Demokratie verholfen, 2011 Afghanistan und 2015 das libysche Volk in deren Entwicklungsanstrengungen unterstützt, indem wir ihnen militärisch beistanden und ihre innere Stabilität gewährleisteten. Und gewiss, einige von Ihnen werden sich, auch wenn das schon lange zurück liegt, an die helfenden Hände der Vereinigten Staaten in Laos und Kambodscha erinnern. — Diese Beispiele mögen genügen, als Leitmotiv und um unsere Absichten zu verdeutlichen.
Es ist richtig, dass wir immer wieder zögerlich waren, nicht nur in unserem Entschluss, sondern auch in unseren Maßnahmen, und wenn unsere Kritiker auf das Jahr 1986 verweisen, dann kann ich ihnen nur beipflichten: Wir hätten damals härter und entschlossener vorgehen müssen. — Doch die Achtung vor dem internationalen Recht hält uns auch heute zurück, noch zurück: Wenn einige in dieser ehrenvollen Versammlung der Nationen dieser Welt einen Verbrecher schützen und Beihilfe zur Vertuschung seiner Verbrechen gegen sein eigenes Volk leisten, dann muss man den moralischen Forderungen seines Gewissens auch irgendwann einmal nachgeben, zumindest dann, wenn man solche kennt: Ich bitte alle freien und moralisch starken Nationen, all jene, die keine Fassbomben und kein Napalm einsetzen, keine Streubomben, keine Uranmunition und keine Phosphorbomben, um ihr Mandat, das leider, aus den genannten Gründen, ein bloß moralisches sein wird, damit wir diese Angelegenheit in ihrem Namen und unser aller Sinn regeln.
Ich möchte zum Abschluss noch einmal auf die Sache selbst zu sprechen kommen, denn sie ist letztendlich der Begründung unseres Einschreitens wegen, von höchster Wichtigkeit: Gründlichkeit, Redlichkeit und Wahrheit leiten uns, nichts weiter. — Die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich in ihrer Geschichte gewiss das eine oder andere Mal von ihren Eigeninteressen leiten lassen, so wie das allen anderen großen Nationen auch passiert ist: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Dass zwischen den Nationen aber ausschließlich Interessen Geltung besäßen, diesen Satz möchte ich, hochverehrte Versammlung, auf das Schärfste zurückweisen: Er würde, bedenkt man ihn lange genug, sogar die Grundsätze der Vereinten Nationen hinwegfegen.
Wir haben die am 04. April bekannt gewordenen Angriffe lange und ausgiebig geprüft und wie sie alle wissen, sind unsere Diente die besten, die sie auf dieser Welt finden werden, sie sind nicht nur in hohem Maß verlässlich, sie sind integer wie keine anderen. Niemals würden wir die Weltgemeinschaft zu täuschen versuchen, noch in unserem eigenen, schäbigen Interesse, lügen: Meine Damen und Herrn, ich möchte keine langen Worte machen, die Zeit drängt und das Warten hat eine Ende: Ich habe hier ein Dossier, das Sie gerne studieren können, die Beweise sind eindeutig, die Sachlage ist geklärt und die Verantwortlichen benannt: Die gegen den syrischen Diktator vorgebrachten Vorwürfe treffen zu, ja es ist leider noch schlimmer, als es zunächst den Anschein hatte: Die Zahl der Toten ist auf über 100 gestiegen, wir haben Chlorgas und Sarin aus Beständen der syrischen Armee nachweisen können, die 2013 vor den internationalen Kontrolleuren versteckt worden sind. Der vorliegende Angriff ist der fünfte, den wir eindeutig der syrischen Armee zuschreiben können und ein dreister Schlag ins Gesicht der über Frieden und eine Lösung des syrischen Konflikts vermittelnden Nationen. — Ich möchte abschließend hervorheben, dass wir als Nation in diesem Konflikt keiner Partei angehören und keinerlei Interessen verfolgen, weder politische, noch ökonomische und selbstverständlich ist es unser oberstes Ziel, die Verantwortlichen vor den internationalen Strafgerichtshof zu bringen, den wir, wie alle anderen moralischen Nationen als die höchste Instanz des Völkerrechts anerkennen.
Einige von Ihnen werden irritiert sein, dass wir nur in Absprache mit unseren engsten Verbündeten, einen ersten militärischen Schlag ausgeführt haben, aber wir sind der Überzeugung, dass diesem Regime nur rasches und entschlossenes Handeln, Einhalt gebieten wird. Wie sich schon 2009 im Jemen gezeigt hat, als wir die Ausbildungslager der al-Qaida in der Region al-Majalah bekämpften, muss man die Terroristen treffen, wann und wo sie das nicht erwarten: Unsere Zögerlichkeit wird sie immer reizen, so wie die offensichtliche Schwäche eines Opfers den Aggressor eigentlich erst reizt. Keinesfalls wollen wir uns zu einem Alleingang hinreißen lassen, wir sind, im Gegenteil, der Ansicht, dass einzig eine Koalition der freien und moralisch starken Nationen, die nötige Durchsetzungskraft und Rechtfertigung besitzen wird.
Ich möchte mich bei Ihnen für Ihre Geduld bedanken. Ich freue mich über die Erklärungen einiger europäischer Staaten, die zeigen, dass sie zu ähnlichen Schlüssen wie wir selbst gekommen sind. Ich weiß, dass die folgenden Entscheidungen nicht einfach sein werden, aber ich bin mir sicher: Die freie Welt wird nicht tatenlos zusehen und diese Dunkelheit wird nur von kurzer Dauer sein.
Vielen, herzlichen Dank!
Anmerkung: Diese, offenbar Anfang April 2017 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen gehaltene oder nur für diese vorbereitete und mit dem Kürzel RT gezeichnete Rede, wurde mir vergangenes Wochenende zugespielt. Ich gebe sie hier ungekürzt und übersetzt wieder und bitte bei der Lektüre zu berücksichtigen, dass wir keinerlei Möglichkeit besitzen, ihre Echtheit zu überprüfen.
Oft und wohl meist zu Recht wird »Terrorismus« als eine Sprache der Ohnmacht deklariert. Der Terrorist sieht nur diese Möglichkeit, sein Anliegen »vorzubringen« und damit medial in den Fokus zu rücken. Es geschieht also vor allem auch für die anderen, für Zuschauer, wenn möglich in aller Welt.
Dieser Aspekt (der nicht singulär ist), zeigt sich auch in solchen Aktionen wie der Bombardierung einer Militärbasis durch die USA. Die Gemeinsamkeiten mit terroristischen Anschlägen sind überraschen signifikant: Zum einen stellt sich die ausführende Partei über geltendes Recht; man beansprucht die Berechtigung für diese »Sache« derart zu agieren. Dann der mediale Aspekt. Und schließlich geht es um das diffuse Gefühl für etwas Rache nehmen zu müssen. In diesen drei Punkten passt man sich also denen an, die man vorgibt, zu bekämpfen. Im aktuellen Fall ist es nicht direkt eine »Terror«-Organisation, sondern das syrische Regime.
Gemeinsam ist beiden Aktionen noch ein weiterer Aspekt: Es verändert grundsätzlich nichts an dem verfahrenen Status quo. Die sogenannte Gewaltspirale bleibt stattdessen zuverlässig erhalten. Die Vorhersehbarkeit solcher Aktionen ist zudem gefährlich, weil sie dazu führen könnte, dass es »gefakete« Angriffe gibt. Der amerikanische Journalist Seymour Hersh stellt die gängige Lesart infrage (was natürlich in den meisten Medien in D ignoriert der negiert). Laut Hersh hatte Obama mit einem ähnlichen Angriff gezögert, weil es auch Geheimdienstberichte gab, die die Eindeutigkeiten nicht bestätigten.
So geschieht denn zumeist so etwas aus innenpolitischen Gründen. Trump bekommt zu Hause nichts auf die Reihe – da muss er nach außen Stärke zeugen (Nordkorea wird das nächste Beispiel sein).
Diese Art der Kriegsführung ist hochgradig manipulativ. Jede Kindergärtnerin hätte »im Zorn« zurückgeschlagen, aber die US-Administration ist normalerweise besetzt mit furchterregend kaltschnäutzigen Leuten, deshalb wird hier nur eine Simulation des »righteous response« durchgeführt.
Ich kann es mir nur so erklären, dass die Kräfteverhältnisse im Nationalen Sicherheitsrat immer noch nicht klar sind, zumal das Besetzungskarusell sich noch dreht, und man vielleicht eine »Kampfabstimmung« über einen Angriff durchgeführt hat, nur um zu sehen, WER WELCHE Position bezieht. Die Kräfteverhältnisse im Inneren sind wohl jetzt geklärt. Neue internationale Strategie: Strike by Mayority. Von wegen Moral, Moral ist wenn man sich einig ist...
Die Europäer haben sich wieder mal besonders anpassungsfreudig gezeigt; Putin meinte, die Allianz erinnere ihn an eine chinesische Figuren-Gruppe mit Wackelköpfen (sog. Wackelkopf-Pagode, in Europa eher unbekannt). Die Köpfe nicken im Sinne der Administration.
Kurz und knapp: die moralisch ambitionierte Nation ist ein Fake, eine Lüge von früher, die Administration findet ihre Handschrift on the fly. Wir werden wieder mal verladen, in Wahrheit können wir keine drei Tage das Handeln voraussehen. Und die US-Administration vielleicht auch nicht. Nach außen moralische Spontis, nach innen Trainees on the job. Nie standen die Europäer so blank und blöde da. Ein Königreich für eine geopolitische Strategie.
Diese Art der »Politik« ist kein Alleinstellungsmerkmal der verwirrten Trump-Administration. Auf dem Höhepunkt der Lewinsky-Affäre bombardierte Clinton Ziele in Afghanistan und eine vermeintliche Giftgasfabrik im Sudan. Reagan agierte in dem 1980ern ein paar Mal ähnlich.
Die geopolitische Strategie hat im Falle der arabischen Staaten nie bestanden. Beziehungsweise: Sie bestand darin, den Status quo aufrecht zu erhalten – Menschenrechte hin, Menschenrechte her. Das Paradebeispiel ist Mubarak in Ägypten gewesen. Jahrzehntelang brauchte man ihn als moderaten Nahost-Politiker und somit als Stabiliätsanker. Als das Volk ihn wegwischte, war er auf einmal der Paria. Noch schlimmer Gaddafi.
Als in Ägypten dann durch Wahlen (die man ja soo wichtig nahm) die »falschen« an der Regierung kamen (Muslimbrüder), schwenkte man wieder um. Das kannte man ja noch von Algerien.
Statt sich mit den eruptiven Revoluzzern der diversen arabischen Frühlinge (deren Beweggründe man nur unzureichend gekannt haben dürfte) voreilig zu solidarisieren, hätte man viel früher konzertiert Befriedungspolitik versuchen sollen. Man hatte einfach den Machtwillen und die Brutalität Assads unterschätzt (dabei hätte man sich nur den Vater genauer ansehen müssen).
Eine Übersetzung von Seymour Hershs sehr ausführlichem Artikel erschien übrigens im Mai 2016 im Cicero. Hersh rechnet gnadenlos mit Obama ab, berichtet über die Stimmung im Stab, der sich nur nach außen an Obamas Regeln hielt, tatsächlich aber Information über IS und Al Nusra an Assad durchstach.
An gemäßigte Rebellen hat dort nie jemand geglaubt, im Gegenteil, es wurde von der DIA (unter der Leitung von Michael Flynn) die Machtübernahme von dschihadistischen Extremisten vorhergesagt. »Ich hatte das Gefühl, man wollte die Wahrheit nicht hören.«, soll Flynn zu Hersh gesagt haben. Währenddessen hat die CIA mit Großbritannien, Saudi-Arabien und Katar Waffen und Waren aus Libyen über die Türkei nach Syrien geliefert, um Assad zu stürzen. Egal mit wem. Flynn hatte erkannt, dass ohne Zusammenarbeit mit Russland und China eine Lösung nicht möglich ist, zumal die Saudis und die Türken kompromisslos Öl ins Feuer schütteten. Die folgenden Kontakte sind ihm dann ja noch auf die Füße gefallen.
Via Wikileaks war bekannt geworden, dass schon die Bush-Administration trotz intensiver Zusammenarbeit mit Assad versucht hatte, Syrien zu destabilisieren, was unter Obama fortgeführt wurde. Hersh beschreibt das sehr genau. Jugendliche haben Parolen auf Wände geschmiert. Natürlich. Scholl-Latour hatte in seinem letzten Buch schon ganz unverblümt die CIA als Agent Provocateur des Krieges benannt. Pipelines, sagte er. Pipelines.
Hersh beschreibt die ganzen schmutzigen Details der Intrigen zwischen allen Beteiligten, auch innerhalb der USA. Vor allem auch, wie sich die Situation änderte, als der moderate Martin Edward Dempsey von dem Russlandhasser Joseph Dunford als Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff abgelöst wurde. Wie es dann weiterging, wissen wir heute.
Die (angeblichen) Chemiewaffen sind die Brutkästen von heute. Vielleicht sollten wir ein bisschen froh sein, dass nicht Hillary Clinton Präsidentin geworden ist. Natürlich hatte ich nach der Lektüre des Artikels mit heftigen Reaktionen gerechnet. Und es kam: Nichts. Mainstreaming? Nein. Einheitsfront! Moral? Lächerlich. Interessen! Und auf röchelnde Babys sch... die. Entschuldigung.
Danke für den Hinweis auf den Hersh-Text. Den habe ich mir jetzt mal bei Blendle gekauft. Womöglich gibt es erquicklichere Osterlektüre, aber die Neugier ist stärker...
Ich mutmaße Folgendes: Dass die NATO bei Trump wieder explizit »in« ist, hängt mit dem Militärschlag zusammen, wie sicher einiges andere, das ich jetzt nicht sehe. Es war doch, wenn wir zurückblicken, höchst seltsam, was da an journalistischem Geschrei und Geplärr über einen (noch nicht einmal inaugurierten) US-Präsidenten hereingebrochen ist, das wäre unter anderen Voraussetzungen, etwa Frau Clinton, in Österreich und Deutschland völlig undenkbar gewesen (ich kann mich nicht erinnern, dass bei Bush jr. etwas Vergleichbares der Fall gewesen wäre). Ich vermute, dass dahinter u.a. die seit Anbeginn sichtbare Abkehr Trumps von einigen strategischen Grundkonstanten der US-Außenpolitik, steckt: Kein anderer hätte freiwillig auch nur ansatzweise daran gedacht den Fuß ein Stück weit von good old Europe abzuheben oder die NATO bzw. das internationale Machtsicherungsengagement als wenig nutzbringend anzusehen. Das alles steht eigentlich ganz entgegen der klassischen, grundlegenden geopolitischen Überlegungen, wie etwa jener, dass Europa auf gar keinen Fall »gemeinsame Sache« mit Russland machen sollte, weil daraus ein den USA entgegengesetztes Machtgewicht entstehen könnte (man wird sehen inwieweit sich Russland und China zusammen tun). Es musste also stutzig machen, dass sich Trump da – anscheinend völlig unüberlegt – entgegen dieser klassischen Doktrin verhalten hat. Ich denke, dass diese Ansichten gerade eben ihre realpolitische Erdung erfahren, denn es kann nicht sein, dass dieser Weg im nationalen Sicherheitsrat, in den militärischen oder geheimdienstlichen Kreisen so ohne Weiteres hingenommen wird. Soll, heißen, dass Trump vielleicht nicht klein, aber doch etwas beigeben muss und andererseits zeigen muss oder will, dass er auch im Nahen Osten bereit ist, einzugreifen.
[Diesmal ist wieder alles wie in einem Dreigroschenroman gelaufen: Die willfährigen Reaktionen am Dienstag ließen ahnen, dass da bald etwas passieren würde.]
Ich glaube, dass die NATO bei Trump nie »out« war. Für ihn stellt(e) sich immer nur die ökonomische Frage. Er preist den geostrategischen und machtpolitischen Vorteil für die USA nicht so hoch ein, dass er ihn durch die hohen Ausgaben ersetzt sieht. Die Äusserung in einem Interview lautete ja, dass die NATO obsolet »war« und nicht sei. Sie war es ja tatsächlich kurz nach dem Mauerfall und musste danach erst eine neue Zielsetzung finden.
Im Hersh-Text ist erläutert, warum die NATO in Syrien nicht zum Zuge kommt: Dann müsste auch die Türkei dabei sein, die, so Hersh, ihr eigenes strategisches Spielchen u. a. mit Al-Nusra und dem IS spielt. Inzwischen ist Erdoğans Türkei ein veritables Problem für die NATO geworden.
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Kurzer Zwischenruf: Ich habe gerade Die den Sturm ernten von Michael Lüders gelesen. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass er in den letzten Wochen einen Abriss erster Klasse bekommen hat. Wie weit man ihm folgen kann, muss jeder selbst entscheiden. Meine Sicht zumindest deckt sich stark mit Lüders’, obwohl mir trotz intensiver Recherche Einiges neu war. Deprimierend ist es auf jeden Fall, dennoch empfehlenswert.
Danke, ich werde mir das Buch jetzt zulegen.
Danke für die Korrektur. Peinlich.
Menschlich. (Sowas passiert mir auch regelmässig.)
Ich habe ihn auch schon auf der Leseliste, also beide: Ich nehme an, dass das quasi der erste Teil ist, oder?
Der Titel lässt darauf schließen, aber es ist vermutlich eher ein Update (ich habe Wer den Wind sät nicht gelesen). Auch in dem neuen Buch fängt Lüders wieder bei Adam und Eva an. Man merkt aber, dass bei der Anpassung Zeitdruck im Spiel war, da die Übergänge von Historie zu Politik etwas holperig sind.
Man darf nicht vergessen, das Lüders nicht ganz biasfrei ist, auch wenn er sich wohl gerne als deutscher Seymour Hersh sähe (Hersh ist sicher Basis des Buches). Mein Eindruck ist aber, dass da wo Lüders übertreibt und abschwächt, die Mainstreammedien eher weglassen oder tatsächlich lügen. So bitter das ist.
Den Eindruck hatte ich vor einiger Zeit, bei diesem Vortrag von ihm auch (SWR via You Tube). — Dennoch eine gute Zusammenschau.
Ich habe jetzt »Die den Sturm ernten« über Syrien gelesen und den youtube-Vortrag, der auf Lüders’ Buch davor rekurriert auch angeschaut.
Ich beobachte Lüders seit vielen Jahren, habe ihn »erlebt« als Zeit-Korrespondent, wo er sehr viel zurückhaltender war; teilweise bis zur Beliebigkeit. Er ist nun bar jeder redaktioneller Zwänge und das ist eigentlich sehr gut. Seine Ausführungen sind sehr stark bilanzierend und speisen sich aus nachprüfbaren Quellen. Wenn er Kausalitäten aufzeichnet, also das, was er gefunden hat, miteinander verknüpft und in eine Deutung setzt, wird es manchmal etwas konspirativ (das gilt für den Vortrag mehr als für das Buch). Wenn er sagt, dass man den großen Vereinfachern nicht glauben soll (was stimmt), und dann selber zum Vereinfacher wird, in dem al-Qaida und den IS als Produkt der USA bezeichnet, dann widerspricht dies dem, was er vorher ausführte und zusammengetragen hatte.
Die Provokation für die Mainstreammedien liegt in zwei Punkten: Zum einen kritisiert er die israelische Politik (ein Minenfeld; man hört förmlich im Vortrag wie er nach spontanen Worten ringt). Zum anderen stellt er das westliche Narrativ der »Werte« mit Brachialität infrage. Ersteres hätte man nicht weglassen, aber eleganter formulieren können (im Syrien-Buch spielt es kaum eine Rolle). Die Wendung, dass die Werte handfeste Interessen zu Grunde liegen, kann allerdings meines Erachtens nicht stark genug betont werden. Freunde macht man sich damit nicht. Nach dem Auftritt von Lüders in der »Anne-Will«-Talkshow, in der die Moderatorin ihn als interessengeleitet darstellte, hat er sich jetzt das Attribut »umstritten« verdient. Von nun an wird er nicht einmal mehr falsch parken dürfen, ohne dass dies irgendwann gegen ihn verwendet werden dürfte.
Ich habe den Vortrag wie auch das Buch vor allem als Medienkritik gelesen. Allerdings: Nahezu alles das, was Lüders beschreibt, habe ich (durchaus Fernsehjunkie) in irgendeiner Form in Dokumentationen in öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen; sei es arte, zdf-info oder –neo oder Phoenix. Verschwiegen wird es also nicht. Aber die Sendezeiten sind einerseits unterirdisch (meist sehr spät am Abend oder nachts) und, das ist das entscheidende, die Erkenntnisse dieser Dokumentationen haben keinerlei Einfluss auf die alltägliche Nachrichtenberichterstattung der Sender. Dort (und in den unsäglichen Talkshows) pflegt man weiter die gängigen »Erzählungen« (das hatte auch schon Uwe Krüger festgestellt).
Ob sich Lüders als Seymour Hersh sieht, weiß ich nicht (investigativ tätig ist er ja bisher nicht). Das Vorbild scheint mir eher eine Art Peter Scholl-Latour 2.0 zu sein.
Vielleicht sollte ich doch wieder mehr fernsehen.
Wenn ich sage, Lüders liegt mit seinen Einschätzungen richtig, kann ich nicht gleichzeitig behaupten, dass die Tagesschau wahrheitsgemäß berichtet, von objektiv ganz zu schweigen. Man könnte es sich jetzt bequem machen und sich mit Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte in die Büsche schlagen.
Das ist zumindest für mich nicht haltbar. Soll ich jetzt Lügenpresse rufend durch die Stadt marschieren? Wenn wieder ein Politiker von Werten schwadroniert, Volkverräter rufen? Mir ist in dieser Situation sehr unbehaglich. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Sie das Diktum nicht mögen, aber mir fällt dazu immer Es gibt kein richtiges Leben im Falschen ein.
Ich finde es sehr treffend, heute sogar virulenter als je zuvor. Momentan löst eine Krise die andere ab, die den gemeinsamen Nenner haben, dass die Berichterstattung mehr oder minder offensichtlich nur ein Narrativ ist. Die Unruhe der Welt erscheint mir Folge dieser Paradoxa.
Wenn man Talbots »Schachbrett des Teufels« liest, denkt man sich, dass es (zumindest in den USA) »schon immer«, also seit dem zweiten Weltkrieg so war und wenn ich dann an die Zeit vor dem ersten Weltkrieg bei uns denke...Talbots Buch ist detailliert und sehr interessant, es handelt von der Frühgeschichte des CIA unter Allan Dulles (beginnend mit dem ausklingenden Krieg und der geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit ehemaligen Nationalsozialisten), vielleicht manchmal für den europäischen Leser mit dem einen oder anderen nicht unbedingt notwendigen politischen Detail aus den USA.
Ich bemerke, dass ich immer häufiger auf belegbare oder naheliegende »verschwörerische« Vorgehensweisen stoße, gesucht haben ich sie nicht.
Ich erinnere mich noch an eine sehr gute Doku zu Trump und Clinton knapp vor der Wahl im deutschen Fernsehen, zum Glück online verfügbar (ich besitze keinen Fernseher), auf die Gregor verwiesen hat. Auch hier dasselbe: Die Sendezeit war spät abends oder nachts. — Mir genügt es, dass ich via Netz das eine oder andere sehe.
@Joseph Branco
Nein, die »tagesschau« (oder jede andere Nachrichtensendung) kann man als seriöses Medium wenn es um komplexe Sachverhalte geht weitgehend vergessen. Für Sport-Ergebnisse und die Lottozahlen reichts noch, aber schon die Deutung beispielsweise von Wahlergebnissen ist zuweilen hanebüchend. Kritik zu üben an der Tendenzhaftigkeit dieser Sendungen ist m. E. nicht gleichbedeutend mit »Lügenpresse«-Rufern. (Dass man mit einer solchen Gleichsetzung versucht, die diskursive Oberhand zu behalten, ist allzu leicht durchschaubar.)
Ich stimme mit Ihrem Befund überein: In breiten Teilen der Bevölkerung hat sich ein Unbehagen an der Darstellung der Welt in den Medien breitgemacht. Dies wird von einigen nun übersteigert (bis hin zur Paranoia). Aber das, was Lamby neulich als Titel für seine (eher schwache) Dokumentation wählte, ist die Folge davon: Eine nervöse Republik.
@metepsilonema
Späte Sendezeiten sind natürlich nur teilweise eine »Entschuldigung« dafür, bestimmte Sendungen nicht gesehen zu haben. Schon mit Erfindung des Videorekorders war das eigentlich nur eine Schutzbehauptung. Dass interessante Dokus in Nischenkanälen um 22.30 Uhr oder später gesendet werden, zeigt natürlich die wahren Prioritäten der öffentlich-rechtlichen Sender an.
Dass die Tagesschau unterkomplex berichten muss, liegt in der Natur der Sache, dass heißt aber nicht, dass sie falsch berichten muss. Im offiziellen Nachrichtenmedium, dem DLF, hat man alle Zeit der Welt, aber auch dort ist die Berichterstattung meist tendenziös. Suggestivfragen sind eher die Regel, als die Ausnahme, umstittene Fragen werden beliebig als Tatsachen verkauft. Die Dramatik dieser Feststellung ist unabsehbar. Das Fundament zerbricht gerade. Zu spenglerisch? Ich glaube nicht.
Manchmal verschwimmen die Nuancen zwischen »falsch« und »unterkomplex«. Wenn man ZDF-Heute um 19 Uhr mit der Tagesschau um 20.15 Uhr vergleicht fällt auf, dass die Tagesschau, obwohl nominell kürzer (7 bis 8 Minuten) fast immer mehr Tagesinformationen bietet. Bei Heute gibt es sehr oft schon ab Minute 10 ein Boulevard-Thema, etwa wenn irgendwelche Ärzte einen vermeintlich neuen Impfstoff oder eine Heilmethode entdeckt haben (was sich dann im Bericht als hochgradig spekulativ herausstellt). Ab Minute 15 beginnt dann fast immer der Sport. Dort werden entweder Ereignisse bebildert, die gut 20 Stunden alt sind, oder Vorberichte zu irgendwelchen »Derbys« in drei oder vier Tagen abgesondert. Fast immer entbehrlich. Danach gibt es noch eine bunte Meldung à la Katze sprang aus dem 3. Stock und überlebte bevor dann zum Wetter übergeleitet wird. Bei der tagesschau wirkt es straffer und seriöser, aber die Themenauswahl ist auch größer. Leider ist man dort immer sehr befangen zu innenpolitischen Ereignissen Statements von allen möglichen Beteiligten einzuholen, die aber oft genug nur in einem Satz bestehen (man kann sehen, dass sie weitergeredet haben, aber es hilft nichts). Immer alles schön ausgewogen. Am Ende weiß man eigentlich nichts. Essentielles kommt unter die Räder. Weniger Themen wäre mehr (oft genug sagt der jeweilige Sprecher eine Meldung an und im dann folgenden Film wird fast wortgleich der gleiche Inhalt als Intro wiedergegeben.)
Ich glaube, dass die medialen Polarisierungen noch zunehmen werden. Mit damit auch die »Vorverurteilungen« der »Abweichler«. Als Alibi werden sie natürlich weiter in irgendwelchen Talkshows eingeladen, aber dort haben sie mit 5:1 keine Chance. Der Glaubwürdigkeitsverlust bei den öffentlich-rechtlichen Medien bedeutet ja nicht automatisch einen Zuwachs von Glaubwürdigkeit anderen Medien gegenüber. Das wird oft als Gleichung aufgemacht, ist aber falsch.
Ich bleibe dabei: Ein Nachrichtenuser, der einen 40-Stunden-Arbeitstag und womöglich noch eine Familie mit Kindern hat, dürfte wenig Interesse haben, die Hintergründe der Ukraine-Krise oder des syrischen Bürgerkriegs in mehreren Medien miteinander zu vergleichen. Das muss man aber inzwischen, will man nicht Gefahr laufen, die gängigen Parolen nachzuplappern. Auf Dauer werden viele in eine Desinteresse-Spirale stolpern und sich mehr oder weniger entpolitisieren. Die Folge könnte ein umfassender Vertrauensverlust den Institutionen gegenüber sein. Wie gesagt: ein Verlust; keine bloße Skepsis. – Also nicht »zu spenglerisch«.
Mein erster Satz war wohl missverständlich. Ich meinte nicht, dass unterkomplex nicht automatisch falsch heißt, sondern dass tatsächlich Falschmeldungen gesendet werden.
Was heißt das denn jetzt für die Zukunft? Biedermeier, mehr Extremismus oder gibt es vielleicht auch positive Effekte? Wenn die wirtschaftliche Lage stabil bleibt, sehe ich zumindest in Deutschland eher Biedermeier. Die Weltlage macht mir zum ersten mal in meinem Leben tatsächlich ein bisschen Sorge.
Apropos DLF: Das ist schon ein wenig her und wahrscheinlich bekannt, aber dass so etwas Kindern in sogenannten Kindernachrichten vorgesetzt wird, ist eine Ungeheuerlichkeit und nicht zu entschuldigen.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen kaum bis wenig politisch interessiert sind und noch weniger eher vorsichtig abwägen; ich befürchte und sehe auch, dass die Aktivierung der Wähler über Phrasen, Moral, Inszenierungen und Halbwahrheiten zunehmen wird. Es wird immer mehr Geglaubtes oder Nichtbefragtes durch die Gesellschaft diffundieren und all das wird letztendlich für die Durchsetzung und Akzeptanz politischer Beschlüsse entscheidend sein (es ist gleich, ob das die Gendergap betrifft oder unser Bildungssystem).
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass gewisse Selbstverständnisse und das Vertrauen in die Medien schwinden, wie die Breitenwirkung aber tatsächlich aussieht, vermag ich nicht einzuschätzen (ich habe kurz überlegt etwas zu Menasses Rede zu schreiben, aber es ist mir einfach – Verzeihung! – zu blöd; da trifft Handke mit ein paar knappen Sätzen in seinem Interview in der Kleinen Zeitung weit mehr).
@Joseph Branco
Biedermeier – bis dann irgendwann (nach der Bundestagswahl, vielleicht auch erst 2018) die nächste Finanz- und EU-Krise auch Deutschland durchrütteln wird.
@metepsilonema
Menasse nehme ich schon lange nicht mehr ernst. Der Mitschnitt von der DLF-Kindersendung ist sehr interessant. Klingt wie weiland der DDR-Funk.
Ich habe nie viel von Menasse gelesen und ihn seriöser eingeschätzt (warum auch immer). — Ja, DDR-Funk, guter Vergleich.
@metepsilonema
Das hört sich an wie ein Preview auf ZiB/Tagesschau 2021. Ich habe geschaudert.
Hier eine Reaktion auf den DLF-Beitrag, der eine Rechtfertigung des DLF wiedergibt. (Die Seite ist allerdings auch nicht frei von Tendenzen.)
Kernaussage des DLF ist diese: »Ohne Russland könnten beide Kriege so nicht geführt werden und hätten nicht das Ausmaß an Verlusten in der Zivilbevölkerung erreicht.« Das ist ein typisches Beispiel für verzerrende und lückenhafte Darstellung. Das, was man einst die »halbe Wahrheit« nannte.