Während Martin Schulz mit seiner SPD ein wenig verbissen nach treffenden Wahlkampfthemen sucht, hat die Bundeskanzlerin spätestens seit dem letzten Wochenende mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump einen veritablen und höchst prominenten Helfer erhalten. Mit bzw. gegen ihn kann sie sich als Retterin des Westens und seiner »Werte« wunderbar inszenieren.
Merkwürdige Assoziationen kommen mir in den Sinn. 1948 hielt der damalige Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter eine flammende Rede. Sein »Schaut auf diese Stadt« in Zeiten der Berlin-Blockade durch die Sowjets sollte die drei Westmächte und besonders die USA moralisch unter Druck setzen, West-Berlin nicht aufzugeben. Sein Appell zeigte Wirkung. Mit den damaligen Möglichkeiten medialer Darstellung wusste Reuter verblüffend gut umzugehen. Drei Monate später feierte er einen überwältigenden Wahlsieg; in den USA feierte man ihn als Helden. Gleichzeitig war der Mythos Berlin als einsame Insel der Freiheit (vor dem Kommunismus) geboren.
2003 bekannte der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer, dass er von den Argumenten der USA für die Notwenigkeit einer Kriegsführung gegen den Irak nicht überzeugt war. Früh positionierte sich die deutsche Bundesregierung gegen die Pläne von Bush. Assistiert wurden sie von Frankreich und, was in den USA Verwirrung auslöste, Russland. Donald Rumsfeld sprach vom »alten Europa«, das sich notwendigen Maßnahmen verweigerte, während sich die osteuropäischen Länder mehrheitlich mit den Amerikanern engagierten. Jahre später bekannte dieser Feigling, dass er selber Zweifel hatte. Das Verhältnis USA zu Europa (bzw. Deutschland und Frankreich) war zerrüttet. Die Briten hielten (wie so oft) zu den USA. »French fries« wurden umbenannt.
Und jetzt? Alle Auguren sind entsetzt über Trumps Gipfel-Haltung. Kann man sein, muss man vielleicht auch sein. Aber sind es nicht auch diejenigen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Wirkungslosigkeit und Langeweile der Gxy-Beschlüsse beklagen? Und plötzlich gibt es einen Teilnehmer, der dies ostentativ ebenso empfindet.
Egal, Angela Merkel nutzt diese diplomatische Lähmung aufs Beste. Sie ernennt sich – ohne Pathos, aber doch eindringlich – zur Führungsperson. Es ist plötzlich wieder vom »Schicksal« die Rede (nein, natürlich alles ganz anders und harmlos und dennoch ist die Vokabel durchaus bemerkenswert). Die EU müsse es »in die eigene Hand nehmen«, so Merkel fast beschwörend. Die deutschen Medien spenden gerne und ausgiebig Beifall und helfen bei der Inszenierung mit.
Dabei untersucht kaum jemand den Aussagekern des Schicksal-Satzes. Hat denn bisher die USA das »Schicksal« oder, besser, die Geschicke der EU bestimmt? Das wäre nämlich eine ganz neue Erkenntnis. Und was hält die übrigen sechs Staaten davon ab, die Klimaziele, die die USA vermutlich nicht mittragen möchte, für sich umzusetzen? Oder, anders gefragt: Wie sah es eigentlich beim Präsidenten George W. Bush aus, der im Vergleich zu Trump nachträglich fast als Diplomat durchgeht? Die USA hatten nämlich damals die Klimaabkommen gar nicht ratifiziert. Großartig gestört hatte das im erlauchten Kreis niemand. Und wie war es dann bei Obama?
Egal: Jetzt gilt es. Trump ist der Depp, das weiß insbesondere die ARD sehr genau. Sie weiß auch, dass das Verhältnis mit den USA noch nie so zerrüttet war. Dass das ein bekannter Topos ist (von 1961 über 1974 bis 2003), fällt kaum jemandem auf. Es kann jetzt losgehen, die Bundeskanzlerin als Hüterin der wahren Werte zu installieren. Da kann die SPD machen was sie will. Dagegen kommt sie nicht an. Denn wer interessiert sich noch über längere Bezugsdauer von ALG1 oder ALG2, wenn es um die Errettung der Welt geht?
Von einem Amerika wie es momentan von dem erz-Gauner Trump geleitet wird kann muss man sich ja zurückziehen, schon um dem Widerstand gegen Trump hier auszuhelfen. Ich empfehle das lesen der Amerikanischen Presse.
Die Presse, die Bernie Sanders runtergeschrieben hat?
Die Presse, die jahrelang den Wasserträger für Obama gemacht hat?
Die Presse, die jetzt brühwarm und auf dem Silbertablett direkt aus dem Weißen Haus ihre durchgestochenen Geschichten serviert bekommt und dennoch nichts ausrichten kann?
Die Presse, die Clinton mit 88% Wahrscheinlichkeit als Wahlsiegerin gesehen hat?
Undsoweiter...
Hierzulande ist die Presse aber auch nicht besser, eher im Gegenteil. Es ist zum Verzweifeln.