Nein, direkte Nachfragen warum es hier in der letzten Zeit so vergleichsweise ruhig ist, gab es noch nicht. Vielleicht fällt es im Getümmel all der stündlich auffrischenden Feeds auch gar nicht auf, wenn hier weniger los ist. Klagt man doch allgemein eher über zu viel Angebot. Dennoch treibt es mich zur Erklärung, die aber weder Rechenschaft noch Anklage werden soll.
Zunächst einmal schreibe ich an einem weiteren Band zu Peter Handke. Es sind Essays oder, vielleicht besser, Aufsätze, oder, vielleicht noch besser: Begleitschreiben zum Werk Handkes. Sechs Texte sind fertig, der siebente hat es in sich und ich erfahre fast zum ersten Mal was es bedeuten kann eine »Schreibhemmung« zu haben. Wobei es natürlich keine Schreibhemmung ist, sondern eher eine Art Gehemmtheit, die mir bisher vollkommen fremd war. Während des Schreibens an diesem Text stelle ich nämlich fest, wie sich mein Urteil, mit dem ich den Text begonnen habe, ändert. Das ist nicht ganz neu für mich. Aber neu ist, dass ich nicht weiß, in welche Richtung diese Änderung verläuft. So sitze ich fest, obwohl Termine am Horizont stehen. Hinzu kommt, dass ich Mitte Oktober einen Vortrag über Handke im Internet halten soll. Ursprünglich als Ablenkung zum verflixten Text gedacht, entpuppt er sich eher als zusätzliche Belastung.
Aber es wäre nicht aufrichtig, wenn ich meine Fast-Abstinenz alleine damit begründen würde. Es hat sich auch in den letzten Monaten ein gewisser Überdruss eingestellt. Ein Überdruss am Füttern der Blogmaschine mit Besprechungen beispielsweise zu Neuerscheinungen, die keiner kommentieren kann (mangels Kenntnis des Buches) oder kommentieren mag (aus anderen Gründen). Hinzu kommt, dass mich kaum eine der Neuerscheinungen, die einem in den Verlagsprogrammen angepriesen werden angesprochen haben. Es gibt zwei, drei Bücher (die ich auch lesen werde), aber das Bedürfnis, sich auf Neues oder eben das Alte einzulassen, schwindet.
Die Unlust hat natürlich auch damit zu tun, dass vieles oder womöglich alles längst mehrmals gesagt wurde. Die Gefahr der Redundanzen ist gross. So ist beispielsweise in der Rubrik »Literaturkritik in der Kritik« von meiner Seite alles gesagt. Warum den potentiellen Leser mit dem immergleichen langweilen? Am Ende bekommt man damit noch den Stempel des Wadenbeißers. Ähnliches gilt auch für die politischen Themen. Natürlich könnte man – wie alle – sich endlos über Trump lustig machen, sein baldiges Ende als Präsident prognostizieren, herbeischreiben wollen (welche Hybris!), den deutschen Wahlkampf beobachten (welchen Wahlkampf eigentlich?), sich über Schulz, Merkel oder sonstwen lustig machen. Kurz: Man könnte all das machen, was billig ist und derzeit im Trend. Aber wozu?
Ich habe fast immer versucht, nicht im jeweiligen Trend mitzuschwimmen. Außer in den »Apropos«-Texten, die spontan entstanden sind. Verblüffenderweise gab es hier auch meist Kommentare. Aber sonst? So hatte ich mit meiner Besprechung über den Röhricht-Band zum Bachmannpreis-Wettbewerb mit Reaktionen gerechnet. Schließlich hat der Wettbewerb im Netz eine gewisse Aufmerksamkeit; die Ströme der Meinungen ergiessen sich auf Twitter immer aufs Neue. (Ich habe mich dieses Jahr zurückgehalten, auch dessen eher müde geworden.) Aber es gab keinen einzigen Kommentar im Blog. Woher rührt diese Hemmung? Ist es Desinteresse? Es gab Zeiten, da konnte ich vor lauter Schulterklopfen nicht mehr geradeaus gehen. Man schickte mir Mails, antwortete auf Twitter oder Facebook – alleine der Wunsch, diesen Kommentar, die Anregung, den Widerspruch auch auf dem Blog zu artikulieren und damit eine Diskussion zu beginnen blieb zumeist Wunschtraum. Selbst mein Angebot, den Kommentar selber mit Namen oder Pseudonym einzustellen, wurde nahezu immer abgelehnt. Man scheute wohl die Verpflichtung, dem zu folgen.
Ein solches Verhalten mag für die analogen und professionellen Medien durchaus legitim sein. Aber ein solcher Blog wie Begleitschreiben lebt meines Erachtens nicht zuletzt vom Austausch von Meinungen. Das ist zuweilen sehr gut gelungen, aber auch bei den Kommentatoren stelle ich ein gewisses Desinteresse fest. Womöglich haben auch sie das Gefühl, alles gesagt zu haben. Aus dem Dialog wird immer mehr ein Monolog. Aber dafür brauche ich streng genommen keine Webpräsenz.
Noch besteht kein Grund zur Verzweiflung (oder zum Jubel?). Der Blog wird nicht geschlossen. Aber es wird weniger werden, weil es Beiträge über Trödel-Shows auch nicht mehr geben wird. Ich werde mehr Spazierengehen. Die Jahreszeiten genießen. Ich schreibe auch einer (vielleicht längeren) Erzählung. Und ich werde meine Verpflichtungen (siehe oben) erfüllen. Dann wird man, dann werden Sie sehen, lesen, hören.
Lieber Lothar Struck,
einen Trend zum Rückzug stelle ich bei den Menschen in meiner Twitter-Timeline schon längere Zeit fest – ich selbst gehöre auch zu diesen Menschen.
Liegt es nur an dem »Alles schon gesagt«? Ist ja gar nicht schon alles gesagt. Nie. Aber es wird viel gesagt (auf Twitter, Facebook, in Blogs, Zeitungskommentaren, etc.), zu viel. Wie organisiert man sich da durch? Lieber nur noch rumspaßen? Oder wenig schreiben, aber Hochwertiges. Sie haben hier Letzteres geboten. Hervorragend ausgearbeitete Beiträge, gut recherchiert, sprachlich auf hohem Niveau. Wollte ich da angemessen kommentieren, müsste ich hohen Aufwand treiben. Wie oft in der Woche kann man sich das bei verschiedenen Blogs, die man besucht, leisten? Selbst, wenn man im selben Themenboot sitzt, ist nicht sichergestellt, dass Leute am Austausch interessiert sind, weitertreibende Diskussion entsteht. (Sie erinnern sich, was ich über meine Erfahrungen mit der Internet-Lesegruppe zu Clemens Setz’ »Die Stunde zwischen Frau und Gitarre« erzählt habe.) Was aber in jedem Fall möglich ist, wenn man etwas mit Gewinn gelesen hat, ist, eben dies rückzumelden bzw. einfach »Danke« zu sagen.
Mich lähmt beim Bloggen nicht nur die Erfahrung, dass ich fast keine inhaltsbezogene Rückmeldungen bekomme, sondern überhaupt keine. Natürlich kann ich mir nun denken: Alles Mist, was du schreibst. Aber »alles« glaub ich nicht. Es gibt auch durchaus Reaktionen, manchmal direkt per E‑Mail oder Telefon, zeitnah oder sehr viel später, wenn ich schon gar nicht mehr damit gerechnet habe, von Freunden oder entfernten bzw. neuen Bekannten. Und frage ich dann, warum sie ihren Eindruck nicht mal kurz auch im Internet geäußert haben, kommt meistens zurück: Ach, wusste nicht, wie ich das sagen sollte ... Einfach nur sagen, toll, hat mir gefallen, war mir zu banal ... Wenn ich diesen einen Punkt erwähnt hätte, hätt ich am Ende ein Fass aufgemacht, und ich hatte da keine Zeit für längere Diskussionen ... Einfach mal sagen: Danke, hat mir gefallen!, IST NICHT BANAL, sondern ein Ausdruck von Wertschätzung und eine kleine Gegengabe für die Blog-Arbeit.
Wo es alles für lau gibt, verliert das Geleistete mehr und mehr an Wert. Gleichzeitig scheinen die Ansprüche der »Lauschepper« zu steigen: Wer mir besonders gerne nahelegt, ich müsse häufiger bloggen, mindestens einmal die Woche, sonst schaue bald niemand mehr vorbei, sind in der Regel Leute, die sich selbst im Internet nicht zeigen, keine Kommentare schreiben, kein Blog führen, keinen Twitter- bzw. Facebook-Acount haben, aber überall mitlesen. Mir persönlich hülfe, wenn ich mich von den Reaktionen der anderen unabhängig machen könnte und Twittern und Bloggen in erster Linie als etwas begreifen lernte, was ich für mich mache: z.B. Texte oder Rezensionen schreiben, damit ich sie überhaupt schreibe, statt nur Ideen im Kopf spazierenzuführen, also (auch) eine Disziplinierungsübung. Oder interessante Menschen kennenlernen, die ich offline sicher nie kennengelernt hätte und die nun mein Denken und Arbeiten bereichern. Offline hätte ich Sie nie kennengelernt. Das wäre schade gewesen.
Herzliche Grüße
Doris Brockmann
Kann ich alles unterschreiben. Habe selbst hohe Besucherzahlen, aber kaum noch sichtbare Resonanz in diversen Blog-Projekten. Privat und nicht-öffentlich kommt zwar doch die eine oder andere anerkennende Reaktion, aber dass öffentlicher Applaus oder eine sich entspinnende Diskussion die deutlich motivierendere Variante wäre, sehen viele direkt Angesprochene zwar ein, äußern sich aber trotzdem weiterhin nicht per Kommentar. Schade. Aber offenbar ein von der Person des/der Bloggers/Bloggerin unabhängiges Phänomen...
Auch ich hätte Gregor Keuschnig, den ich in persona noch nie getroffen habe (jemand sagt mir, er sei über zwei Meter groß), nicht kennengelernt, und es wäre schade gewesen. Trotzdem habe ich den Verdacht, daß die Internetkultur, sie sog. sozialen Medien, so wie sie sich in den letzten Jahren herausgebildet haben, mit ihrem Kommunikationswahn Kommunikation – wie sie sich im Lauf der Jahrhunderte in Europa herausgebildet hat – letzten Endes und immer mehr blockiert. Viel Lärm um nichts. Und diese Situation verschärft sich rapide, alles wird mehr, mehr, mehr, aber die einzelnen Leistungen verlieren an Wert(schätzung), man hat gar keine Zeit mehr, etwas zu schätzen. Und gleichzeitig gewinnen die Highlights, die gehypten und sich selbst hypenden Auftritte an Zuspruch, mehr, mehr, mehr.
Vielleicht hat Keuschnig recht: Weniger wird mehr sein. Und wenn man das Gefühl hat, daß es besser ist, sich ganz aus dem Staub zu machen...
Das Kommentieren Aufwand beinhaltet ist ja logisch. Aber auch das Posten von Beiträgen verursacht einen gewissen »Aufwand« – selbst vom »Überdruss«-Beitrag. Ich habe sehr lange das Schreiben hier als eine Art Korrektiv gesehen. Ich kann mir Inhalte von Büchern und meine Leseerlebnisse einfach besser merken, wenn ich darüber etwas schreibe. Das mache ich schon seit 25 Jahren. Der Unterschied war, dass es damals immer in der Schublade blieb – und eben seit 2004/2005 öffentlich ist. Das schärft allerdings und ist wichtig: Nichts wäre peinlicher als ein offensichtlicher, nachweisbarer Fehler (ich rede nicht von Schreibfehlern). Also muss man hier genau aufpassen. Und das ist gut.
Ein Problem bleibt allerdings: Auf meine Texte hat niemand gewartet. Und mich anderen andienen um eine gewisse Reichweite zu erreichen – das ist nicht mein Ding. Der Gedanke, dass alleine der Text zählt, ist allerdings naiv. Und er wird immer naiver. Die Parallelen zum »analogen« Leben sind auch hier überdeutlich. Wer nicht in einer bestimmten Peergroup ist, nicht mit den Wölfen heult oder ähnliches kann maximal ein Nischenpublikum bedienen.
Das ist in Ordnung, solange denn das Nischenpublikum dabei bleibt. Mir sind 20 Leser, die sich hier dann auch gelegentlich einbringen lieber als tausende von Klicks nach einer Bildblog-Verlinkung, die wie Heuschrecken über diesen Blog kommen – aber eben nur für diesen, ausgewählten Text.
In den fast 12 Jahren Existenz dieses Blogs gibt es, wenn ich mich recht erinnere, allerdings nur zwei Kommentatoren, die immer dabeigeblieben sind (vielleicht nimmt man noch einen weiteren dazu). Der Rest war und ist volatil. Etliche haben es längst aufgegeben, lesen vielleicht noch hier und da mit, aber die Euphorie mit Blogs eine gewisse Mobilisierung zu erreichen, ist längst verebbt. Das letzte Aufbäumen war die Besprechung des Populismus-Buches im letzten Jahr. Da schöpfte ich noch einmal Hoffnung.
Leopold Federmairs Diagnose teile ich. Es ist einfach zu viel. Das Angebot wird immer mehr; der Rezipient hat aber nicht mehr Zeit. Also muss er aussuchen und irgendwann auch einmal abschalten. Die Reiz-Reaktionsschswelle wird immer weiter ausgedehnt. Ich habe in den letzten Monaten gefühlte einhundert Mal gehört, dass Trumps Präsidentschaft nun bald am Ende sein wird. Inzwischen wird jeder noch so unbedeutende Familienstreit gemeldet und versucht hieraus einen mutmaßlichen Terrorangriff zu konstruieren. Immer wieder ist von neuen Rekorden die Rede. Trotzdem droht ständig der Weltuntergang, wenn nicht bis 2030 so doch mindestens 2050. Lächerlich im Vergleich dazu, aber ebenso im Trend: In den Feuilletons werden Bücher besprochen, die noch gar nicht erschienen sind. Die Wirkung dieser Rezensionen verpufft womöglich schon am planmässigen Erscheinungstag. Der potentielle Leser hat bis dahin schon wieder von drei anderen lobenswerten Werken gelesen oder gehört.
Das ist kein Kulturkritik-Parlando. In zwanzig Jahren wird man vielleicht verklärend auf die heutige Zeit herabsehen. Eines der für mich bewegendsten Lektüreerlebnisse der letzten Jahren waren die Tagebücher des mondänen Literaturkritikers Fritz J. Raddatz. Er war, wesentlich älter ist ich, irgendwann auch der Neuerscheinungs-Hysterie überdrüssig. Fröhlich wandte er sich »seinen« Klassikern zu. Und vertraute dann seinem Tagebuch an, dass die meisten dieser Texte, die (in der Erinnerung) sein Leben derart geformt, seinen Kanon geschärft haben, plötzlich keinen Bestand mehr haben. Wer will kann die Passage auf Glanz und Elend in Auszügen nachlesen (einen Link setze ich nicht; wer will, soll suchen). Da bricht jemandem fast sein gesamtes ästhetisches Fundament zusammen. Erschütternd.
(PS: Nur 1,90 m. Mit Schrumpftendenz.)
Vor einer Weile war mir ein Betrag auf G&E nach einer Recherche aufgefallen. Erstmal weil er gut war und zweitens, weil ich den Namen des Autors irgendwoher kannte. Später fiel mir ein, dass ich diesen meinungsstarken und nicht ganz einfachen Charakter von einer Diskussionsplattform mit Realnamen kannte. Das Begleitschreiben war dann schnell gefunden und hatte sofort mein Interesse.
Ich habe dann im Laufe der Zeit einiges nachgelesen und die Herangehensweise sehr zu schätzen gelernt. Seit dem ist der Moment, wenn ein neuer Beitrag von Begleitschreiben im Feedreader auftaucht, auch der Moment, wenn ich von gelangweilter SPON-Haltung in erhöhte Aufmerksamkeit wechsel. Weil ich weiß, dass der Autor jedes Wort wohl gesetzt hat. Leider ist meine Fähigkeit des Beitrages nur auf die Paraphrasierung von »Gefällt mir [nicht]« oder Küchentischpolitik begrenzt, sauge aber doch meist Nektar aus den Beiträgen.
Da ich selber eine Internetseite betreibe, in die ich jahrelange Arbeit und Herzblut gesteckt habe, aber kaum mal eine Reaktion bekomme, kann ich die Enttäuschung durchaus verstehen. Auf anderen Seiten wird intensiv darüber diskutiert, ob der GT3001 oder GT3001S besser ist. Das interessiert die Leute. Nichts füllt Kommentarspalten neben Gepöbel mehr als GAS (Gear Acquisition Syndrome). Ein Thema in der Tiefe zu durchdringen macht Kopfschmerzen.
Mir ist vor einiger Zeit das Wort »Gerede« untergekommen, für das, was in den Kommentaren oben als achtloses Sprechen, als Überkommunikation beschrieben und als zu viel bezeichnet wurde. Martin Heidegger hat die Neugierde, das Begierig sein auf Neues, als etwas dargestellt, das eine tiefergehende und ausdauernde Beschäftigung verhindere, sie lässt uns gleichsam an der Oberfläche auf und ab springen. Ich mag die Neugierde zwar nicht ganz verwerfen, aber beides – Gerede und Neugierde – beschreiben das Desaster, diesen selbstverstärkenden Kreislauf, eigentlich ganz gut. Man muss (möchte) sich dem entziehen, allerdings bleibt man – zumindest wenn man an Politik und Gemeinwesen interessiert ist – doch bis zu einem gewissen Grad daran hängen, ich erlebe das in der letzten Zeit als eine Art flexible Grenze, die ich mehr oder weniger in die eine oder andere Richtung zu verschieben versuche (gelingen tut es nicht immer). — Und ich meine immer ruhebedürftiger zu werden (und ich denke mir: wenn es nur andere auch täten, um wie viel entspannter wäre dieser Zirkus der sich Gesellschaft nennt).
Ich habe schon bemerkt, dass die Frequenz der Beiträge in der letzten Zeit abgenommen hat und ich habe das mit dem – irgendwo einmal erwähnten – Buch in Verbindung gebracht (nicht ausschließlich zu recht, wie der Ausgangstext zeigt). Wenn ich einmal von der bereits angesprochenen Qualität der Texte absehe, ich habe ihre Frequenz und Regelmäßigkeit immer bewundert, weil ich das überhaupt nicht kann. Etwas verkürzt gesagt: Entweder es stößt mich etwas an oder nicht (und wenn es das nicht tut, gibt es auch keinen Text; ich nehme mir also selten etwas vor). Ich handhabe das auf meinem Blog schon seit längerem so und komme damit gut zurande (dazu passt, dass ich als Gastautor hier ebenfalls diese Freiheit genieße).
Der Gesamtanspruch von »Begleitschreiben«, dem Begleiten öffentlicher Diskussionen, Themen, Belange, von Literatur, usw. liegt einem solchen Verhalten, einer solchen Bequemlichkeit, in gewisser Weise quer. — Auf der anderen Seite meine ich zu beobachten, dass sich bestimmte Kommentatoren zu bestimmten Themen doch recht verlässlich melden, auch wenn es länger mal »nichts« gab (auch wenn es richtig ist, dass sie wechseln).
[Ich habe gestern etwas auf’s Papier gebracht, von dem ich mir dachte, es würde vielleicht hierher passen, dann las ich den »Überdruss«-Titel und war erst mal verunsichert.]
@Joseph Branco
Ich weiß gar nicht was ein GT3001 oder GT3001S ist. Ich weiß natürlich, was mit dem Beispiel gemeint ist: »Meinung« haben ist leicht, das kann jeder und so etwas herausfordern ist einfach und bringt dann Pluspunkte in der Aufmerksamkeitsskala.
Wobei ich schon seit längerer Zeit ernüchtert bin. Wenn einem auf Twitter angezeigt wird, dass man – begünstigt vielleicht durch ein paar »Retweets« – 1000 oder auch einmal mehr »Impressions« hatte, aber dann bei den »Link-Klicks« nur irgend etwas mit 30 oder 40, dann frage ich mich schon, ob diese Präsenz in den sogenannten sozialen Netzwerken nicht doch erheblich überschätzt wird. Auch andere »Verlinker« bleiben fast immer weit unter dem, was »man« sich so gemeinhin vorstellt. Bei Feedly haben mich angeblich 141 Menschen abonniert. Bei einem neuen Beitrag erkenne ich in den Backlinks aber zumeist nur 2 oder 3 Klicks. Was machen die anderen 138? Und mit dem Anklicken eines Beitrags ist ja auch noch nichts über das Lesen gesagt.
@metepsilonema
Die Dynamik hat sich im Laufe der Zeit eingestellt, wobei es dann doch manchmal in Hektik abglitt. Das Schreiben war dabei ein Selbstvergewissern: Wie kann ich meinen Eindruck begründen? Dabei muss er mindestens theoretisch eventuellen Einsprüchen standhalten, denn es ist ja öffentlich.
Ich weiß nicht, was Du posten wolltest – vielleicht etwas über die österreichische Innenpolitik bzw. den Wahlkampf. Einen solchen müsste es in Deutschland auch geben, aber das ist nur theoretisch so. Für die Regierungschefin, die von allen Medien mit Samthandschuhen angefasst wird, wird dann so plakatiert. Wer will dazu noch etwas sagen?
@Lothar Struck
Nein, es ist ein erzählender Text und er ist noch nicht fertig, weil die »Reinschrift« immer eine eigene Dynamik entfaltet. — Ich bin, was die Politik betrifft, derzeit weitgehend kommentarmüde, obwohl die Wahl doch interessant zu werden verspricht (eben, gewisse Dinge will man nicht [mehr] kommentieren).
Ich wusste, dass dieser Autor, auch wenn die Überschrift »Überdruss« lautet, nicht einfach mit Larmoyanz oder pessimistischen »Nachtgedanken« schließen würde. Danke für die immer unbestechlichen Analysen, danke für die Zeit, die ‑auch wenn sie vorüber scheint – doch einige bloggende Zeitgenossen füreinander interessieren konnte und zwar über das Bloggen hinaus – danke dafür, dass vielleicht doch noch nicht endgültig Schluss ist mit den Begleitschreiben!
@alle, aber besonders zu Keuschnigs Kommentar:
1. Die Warnung vor dem quantifizierenden Geist, der Qualitäten außer Acht läßt und langfristig womöglich umbringt, begleitet die Zeitläufte seit der Aufklärung. Erst im 21. Jahrhundert, mit der Digitalisierung, erfaßt die Quantifizierung die gesamte Gesellschaft und durchdringt alle Bereiche. Keuschnig nennt Zahlen – oft mit »Klicks« verbunden -, und er hinterfragt sie, denn begleitschreiben ist nicht zuletzt hinterfragen. Ein Klick an sich hat keine Qualität, die Summierung von Klicks verkörpert nichts anderes als den Geist (oder Ungeist) der Zahl. Die mit dem Klicken verbundene Aufmerksamkeit hat eine starke Tendenz zur Zerstreuung, das sagt mir die Introspektion, die Selbstbeobachtung. In realen Zeitungen lese ich viele Artikel ganz durch, in Onlinezeitungen lese ich sie fast immer nur an und springe weiter, folge irgendwelchen Links oder Klärungsbedürfnissen (Wikipedia...), die meistens keine Aufklärung bringen, sondern die Zerstreuung verstärken. Ich bin zahlender Abonnent einer französischen Onlinezeitung (ohne Papierausgabe), aber auch hier stelle ich an mir dieselbe Tendenz fest, trotz allen Bemühens in die Gegenrichtung. Manchmal lasse ich einen Beitrag in diesem Journal (der frz. Ausdruck ist da passender) stundenlang »geöffnet«, was aber nicht heißt, daß ich ihn lese. Die Tatsache eines Klicks sagt überhaupt nichts über die Qualität einer Lektüre, nichteinmal, wenn die Zeitdauer mitgeliefert wird.
2. Wie Keuschnig schreibt, die Leute – die sog. »Nutzer« – haben heute auch nicht mehr Zeit als früher. Sie haben sogar eher weniger, obwohl es gesamtgesellschaftlich betrachtet überhaupt nicht notwendig wäre, mehr und mehr zu arbeiten. Die Entwicklung könnte techno- und soziologisch betrachtet andersrum verlaufen. Tut sie aber nicht. In Japan, wo ich lebe, merke ich das besonders deutlich. Die Arbeit wird faktisch weniger, und was tun die lieben Leute in den Büros und Firmen? Sie schaffen, sie erfinden sich neue, meist völlig sinnlose Arbeiten, sicher auch aus Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes. Ich fürchte, das ursprünglich als Scherz gemeinte Parkinsonsche Gesetz herrscht tatsächlich so eisern wie ein Naturgesetz. „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“ Einfacher gesagt: Wir leben unter dem Zwang, immer mehr und mehr zu arbeiten.
3. Die sich hier geäußert haben, betreiben anscheinend so ziemlich alle einen eigenen Blog. Das ist ein Indiz für die – gesamt betrachtet – Hyperaktivität, die Hysterie, die im Netz herrscht und die offenbar ebenso zum ständigen Wachstum tendiert wie die Arbeit nach Parkinson. Ein Problem dabei ist, daß unter heutigen Bedingungen jeder alles veröffentlichen kann, sei es in Form von Blogs oder auch nur auf Facebook, in irgendeinem der zahllosen Foren, und daß das unweigerlich entstehende Chaos (gesamt betrachtet) niemand ordnen kann noch will. Von Filtern ist zwar viel die Rede, aber hier gibt es keinen Filter, jeder sondert irgendwas ab – ich auch, und in dem Mist finden sich natürlich mitunter Perlen. Auf Literatur bezogen: Heutzutage wollen alle veröffentlichen, sie wollen alle Autoren sein, aber lesen will niemand mehr, und kann auch bald niemand mehr. Die Kunst des Lesens müßte heute viel mehr beachtet und gepflegt werden als die Kunst des Schreibens. Dieses Phänomen des schrankenlosen Sich-Äußerns (und zwar öffentlich) wird von vielen als Demokratisierung aller Lebensbereiche empfunden – zumindest auf der virtuell-digitalen Ebene, die meisten Schreiber, auch in diesem Forum, verwenden ein Pseudonym. ICH sage, was ICH will, was tatsächlich zumeist heißt: Ich lasse die Sau raus, im Internet kann ich mein Über-Ich getrost ausschalten. Wir leben immer noch in einer Konsumgesellschaft, aber das Konsumieren hat sich, flankiert von der Dauerpräsenz kommerzieller Werbeinhalte, verlagert zum »demokratischen« Produzieren, das heißt zur Selbstdarstellung, mehr und mehr durch Fotos und Filme (steigende Illiterarität, vulgo Analphabetismus), aber immer noch auch durch das Wort, durch die Literaten – an denen sogar Facebook festhält: »Schreibe einen Kommentar zu deinen Fotos!«
Da kommentiere ich auch noch mal, spare mir aber das Lamento und antworte mit einer Perle:
„Ich will überhaupt nichts. Ich will lernen und mein Leben vernünftig leben, wie man das auch in einer guten Erziehung macht: Man lebt seine Ideale in der Hoffnung, dass mal einer hinschaut.“
(Sven Helbig, ein Musiker, TAZ 7.8.2017)
@Marcuccio
Als Abschied war mein Posting nicht gedacht, eher als ein Innehalten und Nachdenken, was und wie es hier weitergehen kann und soll. Aber es soll. Wenn auch vielleicht (vielleicht?) anders. Wobei grundlegende Interessen bleiben (den Handke werde ich nicht aufgeben – auch wenn es als Drohung aufgefasst werden könnte).
@en-passant
Sie sind ja einer derjenigen, der diesen Blog erfrischt und meine Texte mit Ihren Kommentaren erweitert hat. Das war immer belebend und so manches Mal seufzte ich auf: »Ja, dafür machst Du das«.
In einem Punkt stimmen wir nicht überein. Das hat mit dem Zitat des Musikers zu tun (der laut Wikipedia auch noch Regisseur und Produzent ist). Ich glaube diesen Sprüchen, die sich selbst heldenhaft der Ziellosigkeit und gewollten Einsamkeit jenseits allen Publikums bezichtigen, nicht. Es ist ja bekannt, dass Handke auch zuweilen zu solchen fast mönchischen Äußerungen greift. Aber das jemand, der künstlerisch tätig dies ausschließlich für sich selber macht, halte ich für Koketterie. Ab einem gewissen Zeitpunkt wünscht man sich ein Publikum. Die Frage ist nur, ob man sich für das Publikum ästhetisch korrumpieren lässt oder nicht. Äußerungen wie die von Helbig tendieren m. E. in diese Richtung.
Als ich begann im Internet zu publizieren (es war auf einem kollaborativen Forum, dass nicht mehr in dieser Form existiert), war ich überrascht auf die Reaktionen. Es gab sie nämlich recht schnell. In beiden Richtungen. Es gab einen Stamm von vielleicht 25 oder 30 regelmässigen Teilnehmern, die Beiträge zu allen möglichen Themen einstellen konnten. Diese Texte mussten sich aber erst einer Abstimmung stellen. Schafften sie es nicht, konnte man sie in einem Spezialbereich, »Tagebuch« genannt, unterbringen. Das war 2003/2004 ziemlich neu. Die Nachteile waren schnell gefunden: Es handelte sich um ein Echtnamenforum, d. h. man musste seine Identität nachweisen. Und es gab keine Regulierung der Trolle – bzw. diese wurde ausschließlich über Kommentarbewertungen vorgenommen. So wuchs der »Bestand« der regelmässigen Teilnehmer nicht. Seriöse Neulinge wurden schnell vergrault, Trolle durften lange ihr Unwesen treiben, weil man tolerant sein wollte. Als ich dann mit Begleitschreiben einen eigenen Blog gründete, war ich zunächst überrascht, wie wenig Resonanz es gab. Die Zählmodule lieferten ernüchternde Zahlen; Kommentare gab es auch sehr wenig. Ich musste feststellen, dass auf diese Texte niemand gewartet hatte. Es brauchte einen jahrelangen Prozess um dies sozusagen hinzunehmen. Kommerzielle Gadgets (Amazon) und Verlinkungsangebote waren mir zuwider. Da ich ausschließlich auf Bücher und das Schreiben darüber fixiert war, nahm ich auch die wachsende Literaturbloggerszene nicht wahr. Mit dem Feuilleton ging es mir ja ähnlich; nur ab und zu stach mir da etwas ins Auge, was ich kritikwürdig fand. Zuweilen wurden meine Texte dennoch verlinkt und in sozialen Netzwerken besprochen (statt im Blog). Im allgemeinen überschätzt man aber diese Verlinkungen. Wenn überhaupt, erzeugen sie nur einen kurzen Run. Der Bildblog schaffte einmal mehr als 8000 Klicks in zwei, drei Tagen. Andere Linksetzungen liegen bei 50 oder maximal 100. Auch von vermeintlich wichtigen Aggregatoren.
Als die Zeit kam, dass mich das nicht mehr sonderlich interessierte, fühlte ich mich fast am wohlsten. Dennoch kam es mir immer darauf an, ein gewisses Publikum anzusprechen – und wenn es nur 20 oder 30 Leute sind. Aber es ist sehr schwer, dies zu fassen, wenn Reaktionen ausbleiben. Hinzu kommt, dass man sich, sobald man in diesem Betrieb auch nur einmal die Nase in die Tür gehalten hat, mit Meta-Dingen zu beschäftigen hat bzw. glaubt, sich beschäftigen zu müssen. Wer ist wo jetzt Literaturchef? Wer hat wann über Autor X oder Autorin Y etwas gesagt? Was macht Denis Scheck eigentlich gerade nicht? Wann erscheint ein neues Buch von Kehlmann? Und warum soll mich das interessieren? Erwartet man von mir, dass ich das bespreche? Aber woher weiß ich überhaupt, wer mein Zeugs liest? Wenn ich es zuweilen auf Facebook verlinkt hatte, erhielt ich Zustimmung von gestandenen Kritikern; besonders wenn es um den »Betrieb« ging. Einmal wurde ich nach Erlangen zu einer Diskussion über Literaturkritik eingeladen. Die anwesende Kritikern bestritt einfach den Anlass dieser Diskussion. Alles chico sozusagen. Sowas kann man machen. Und gleichzeitig zerbröselt einem da eine Welt, die man einst einigermaßen interessant fand. Die Kritikerin musste früher aufbrechen – um ein Buch eines anderen Kritikers vorzustellen. Was soll man solchen Menschen noch glauben?
Mein Text über diese Diskussion wurde tatsächlich in einem Massenmedium glossiert. Ursula März sei sitzengeblieben, ist er glaube ich überschrieben gewesen. Das hatte ich sinngemäss geschrieben, weil der Diskussionsleiter, Herr Weyh, Frau März angeraten hatte, dass, wenn die Diskussion überflüssig wäre (wie sie behauptete), sie ja gehen könne. Tat sie nicht. Sie blieb sitzen. Und nun wurde ich ein bisschen hämisch betrachtet. Ob meiner Naivität. Kann man machen. Auch das. Jemand wie ich, der latente Feuilletonkritiker. Eine Art Commedia-dell-arte-Figur, der seinen Blog als solitäres Bollwerk gegen....tja, gegen was? betreibt.
@Leopold Federmair und auch alle anderen
Der Begriff der »Demokratisierung« mit dem man gerne die Publikationsmöglichkeiten im Internet euphorisiert ist ja durchaus zutreffend. Denn was ist Demokratie anderes als die quantifizierbar vorgenommene Abbildung politischer Willensbildung? Auch hier zählt das qualitative überhaupt nicht. Ob eine Meinung oder, auf dem Wahlzettel, eine Stimme von einem Universitätsprofessor, einem Richter, einem mittleren Angestellten, einem Trinker oder einem Mörder stammt – das spielt keine Rolle. Sie wird gezählt. Quantität. Gelegentliche Versuche, dieses Prinzip zu befragen, werden sehr schnell als diskriminierend, elitär oder hoffärtig abgekanzelt. Zumeist alles zusammen. Wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass die Masse am Ende – wie auch immer – nicht nur ein repräsentatives, sondern auch ein »richtiges« Ergebnis produzieren wird. Die Vorgänge der letzten Jahre (Brexit, Trump – um nur die beiden zu nennen) lassen zwar Zweifel aufkommen, aber wie soll man das Problem lösen?
So wird also nicht nur in der Publizistik oder in der Ökonomie nach quantitativen Kriterien agiert, sondern auch in der Politik und im gesellschaftlichen Zusammenleben. Stets bestimmt die quantitative Majorität. Die Frage ist nur: War es eigentlich je anders? Bzw.: Als es anders war, war es dann besser?
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Noch etwas zur Zeit bzw. Freizeit. In Deutschland ist die Bereitschaft, über das normale Maß zu arbeiten ab einer gewissen Gehaltsklasse zwar durchaus verbreitet, aber japanische »Verhältnisse« werden wir nie erreichen. Kompensiert wird dies durch eine überbordende Freizeitindustrie, die sowohl monetär als auch zeitlich die solventen Schichten im Griff haben möchte. Irgendetwas macht man immer: Sport (Ausrüstung!), Wandern, Partys/Feiern, Reisen – alles ist möglich und alles kostet Geld. Wenn ich manchmal Leuten sage, ich gehe jetzt lesen schaut man mich verblüfft an. Aber selbst das kostet ja im Normalfall Geld. Vielleicht haben Blogs auch deshalb kein so hohes Ansehen, weil sie kostenlos sind. Wenn sie allerdings aggressiv vorgehen und Geld verlangen – dann will auch niemand bezahlen. Einfach weil es unendlich viel anderes kostenloses gibt. Und man dann irgendwann doch lieber etwas anderes macht.
@Leopold Federmair
Auf die Gefahr hin wieder zu lamentieren, möchte ich die Begriffe Hyperaktivität oder Hysterie als immanentes Kennzeichen des Netzes zurückweisen. Vermutlich waren hier die wenigsten schon in den 90ern im Internet unterwegs und haben den Verlauf der Kommerzialisierung so nicht mitbekommen. Ich möchte dann mal großväterlich auf die goldenen Zeiten verweisen, als die Domains der großen Firmen noch frei waren und die Akteure lediglich aus intrinsischer Motivation handelten. Aus der Zeit stammt übrigens auch meine Seite, die keinerlei Kollaboration der User vorsieht.
Zu der Zeit bestand Surfen aus Staunen über die Vielfalt der Welt und die wunderbaren Menschen (das hört sich jetzt aber sehr nach Trump an), die ihre Interessen dort auslebten, keine Popups, keine Werbung. Der große Wertezerstörer Kapitalismus hatte das Netz noch nicht im Würgegriff. Schnell wurden aber im Usenet auch die negativen Seiten sichtbar. Die ganzen Begriffe Troll, Flame (heute Hasskommentar), Netiquette, Emoticon etc. sind uralt, auch wenn viele zu spät gekommene Soziologen dies erst Facebook etc. angedichtet haben. Textbasierte Kommunikation war von Anfang an mangelhaft.
Die Browser wurden bunt, waren keine Dokumentenanzeigen mehr sondern interaktiv, das Web 2.0 war geboren. Damit kamen die Massen und in der Folge erst der Kommerz. Das sinnlose Tempo ist ein Produkt der Werbestrategen und Marketingmenschen sowie davon, dass die Angebote niederschwellig und damit konsumierbar wurden. Begleitschreiben ist das Gegenteil und das ist gut so. Heute wird Angela Merkel unter anderem von der Modebloggerin Ischtar Isik interviewt.
@Leopold Federmair
Bei mir ist es anders: Ich lese fast alles bis zum Ende, außer ich beginne schon mit der Intention nur den Teaser zu lesen oder aber ich suche eine bestimme Information (z.B. in der Wikipedia). Was mir dafür immer wieder passiert, ist, dass ich zu viel öffne oder mir zu viel vornehme, dabei bleibt dann etliches auf der Strecke, also gänzlich ungelesen. Ich sehe eher die Gefahr des Zuviel und der Verlockung seine Zeit mit Dingen zu verbringen, die zuerst einmal wichtiger aussehen, als sie es tatsächlich (sie drängen sich sozusagen auf). Ich gebe aber zu, dass ich auch von anderen höre, dass sie nur überfliegen oder nicht zu Ende lesen (ich verwende deshalb für lange Texte, die ich nur digital »besitze« einen Ebook-reader). Eine Zäsur sehe ich in jener Generation, in der die digitalen Medien von Anbeginn präsent waren (was bei den meisten der hier Diskutierenden wohl nicht so war). — Hyperaktivität mit dem Netz zu verbinden ist nicht falsch, ich erlebe das aber keineswegs immer so.
Zwei Aspekte zur Arbeit: Ich kenne dieses Erfinden von Arbeit überhaupt nicht, Sie haben aber recht, dass es nicht so sein müsste wie es vielfach ist (die Arbeitsmenge, meine ich). Aber warum ist es so? Da sind zum einen die Ansprüche, die man erfüllen muss oder will (Urlaub, Freizeit, Konsum,...) und zum anderen schlicht die Kosten: Mitarbeiter Mehr- und Überstunden machen zu lassen kommt in Österreich einfach billiger als neue Mitarbeiter einzustellen, mit den sogenannten all-inclusive-Verträgen erst recht.
Pseudonyme sollen Personen schützen, wofür es gute Gründe gibt, ich habe die Erfahrung gemacht, dass unflätige, beleidigende, sogar strafbare Äußerungen oft auch unter Klarnamen getätigt werden. — Das Produzieren, Selbstdarstellen und damit in Zusammenhang stehende Schreiben hängt mit den immer tiefer verinnerlichten Forderungen unserer kapitalistischen Ökonomie zusammen, dort liegt die Ursache (verkürzt gesagt: für denjenigen, der sich verkaufen muss, ist das Schreiben wichtiger).
@Gregor K.
Ich glaube nicht, daß man Demokratie ausschließlich quantitativ definieren und konzipieren soll. Das war auch durchaus nicht immer so, Inhalte spielten eine größere Rolle und müssen m. E. weiterhin eine spielen, wenn Demokratie eine Zukunft haben soll. (Inzwischen ist oft von »Themen« die Rede, die man »positionieren« muß. Die PR-Haltung zur und in der Politik entleert die Inhalte, macht sie zu möglichst leicht quantifizierbaren Spieleinsätzen.) Demokratie ist nicht nur Stimmeabgeben, wenn sich Bürger überhaupt nicht beteiligen und nur auf Politiker schimpfen zwischen den Stimmabgaben, verkommt die Demokratie. Beteiligen heißt auch, an den Inhalten Interesse zeigen, sich informieren, auseinandersetzen. Und natürlich setzt Demokratie eine gewisse Bildung voraus. Man muß Ungebildete nicht von Wahlen ausschließen, aber je niedriger das Bildungsniveau insgesamt ist, desto schwieriger wird es, Demokratie zu praktizieren. Mein Eindruck, vor allem auch beim Lesen von Kommentaren in den zahllosen Internet-Foren, ist, daß sich das Demokratieverständnis heute am Markt und am Marketing orientiert, und daß die meisten Bürger das verinnerlicht haben und einfach normal oder sogar gut finden. Demokratie hat sich schleichend verändert im Lauf der durch die neuen Kommunikationstechnologien geprägten Jahre. Sehr problematisch, lieber Keuschnig, finde ich die Annahme, die Mehrheit habe immer recht. Wenn bei demokratischen Wahlen eine Gruppe unterliegt und zur Minderheit wird (oder zur »Opposition«), hat sie das zunächst einmal zu akzeptieren. Aber deshalb hat sie nicht automatisch unrecht. Die ärgsten, inhumanen und auch demokratiefeindliche Inhalte können eine Mehrheit bekommen. Mit den Jahren, während derer ich diese Entwicklungen beobachte, neige ich immer mehr dazu, mich elitär zu fühlen und das Elitäre zu verteidigen (natürlich auf aussichtslosem Posten, was sonst). Die Arroganz aber, die finde ich bei den marktschreierischen Demokratiefreunden, die sich gelegentlich als Pöbel outen, also bei Leuten, die im Internet lautstark auf ihrer Stimme, ihrem Posting, ihrem Geld, ihrem Steuergeld bestehen.
@en-passant
Ich würde die Äußerung von Sven Helbig im Unterschied zu Keuschnig unterschreiben. Der Künstler, und auch der Schreiber, sofern er literarischen Anspruch hat, ist zunächst ein einsamer Mann, eine einsame Frau, der das, was er tut, auch ohne jede Zustimmung tun würde. Trotzdem schwebt da immer, noch bei den radikalsten Einsamen, irgendwo die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Publikums, eines Adressaten im Raum, denn um überhaupt tätig zu sein, muß der Einsame sich der Sprache oder eines anderen Mediums bedienen, die sozial definiert sind. Dieser Widerspruch wird bei Künstlern und Schriftstellern immer da sein, selbst dann, wenn sie sehr viel Zuspruch bekommen.
@Joseph Branco
Aufschlußreich, Ihr Bericht von den Anfängen des Internets. Es wäre nicht der erste Bereich, den der Kulturkapitalismus gekapert hat. – Einer der aus meiner Sicht bemerkenswerten Aspekte dieses Prozesses ist die Rhetorisierung der Kommunikation, wofür die Emoticons das deutlichste Zeichen sind. Diese Rhetorisierung, d. h. Standardisierung, findet man aber auch auf syntaktischer Ebene, wenn etwa Facebook Statusmeldungen, Anstupser, Freundschaftsanfragen, Geburtstage bis hin zu den Erinnerungen (Was war vor einem Jahr?) verwaltet. Die sprachliche Kommunikation, soweit sie ein intellektuelles oder literarisches Mindestmaß hatte, war im deutschen Sprachraum bis ins 17. Jahrhundert und ein wenig darüber hinaus durch Rhetorik geprägt, dann wurde diese Standardisierung nach und nach »überwunden« und freierer Ausdruck – und jetzt kehrt die Rhetorik massiv zurück, das ist für mich einer der erstaunlichsten Aspekte der kommunikationstechnologischen Umwälzungen.
@Leopold Federmair
Es ist nicht die Frage ob man Demokratie quantitativ ausrichten soll oder nicht. Die Frage ist längst mit »ja« zu Gunsten der Quantität beantwortet. Und natürlich ist nicht gesagt, dass Mehrheitsentscheidungen immer richtig sind. Man weiß genug zu berichten, wo sie sich später als falsch oder gar fatal herausgestellt haben (interessanterweise taugen die üblichen Beispiele hierfür nicht).
Die von uns als demokratisch wahrgenommenen Prozesse können gar nicht anders als am Ende auf einer Mehrheitsentscheidung zu beruhen. Anderenfalls könnte man sich so etwas wie Wahlen sparen. Gut organisierte demokratische Gemeinwesen »wissen« von der Anfälligkeit falscher Mehrheitsentscheidungen und haben daher – wie auch immer – ein System von »checks and balances« eingebaut. So gibt es fast überall Institutionen, die Regierungen kontrollieren und zur Not gegensteuern können. In den letzten Jahren zeigt sich, dass diese Institutionen allerdings auch nur aufgrund bestimmter Übereinkünfte (Verfassungen beispielsweise) agieren können und akzeptiert sind. Denn diese Übereinkünfte sind fragil, können theoretisch jederzeit verändert werden. In Osteuropa werden die Kontrollinstitutionen inzwischen vermehrt unter Regierungskuratel gestellt – mit »legalen«, d. h. demokratisch legitimierten Mitteln vulgo: Mehrheitsentscheidungen.
Diese Dilemmata sind nicht neu. Neu ist nur, dass sie für die breite Bevölkerung plötzlich lukrativ geworden sind und Zustimmung finden. Die Gründe, die man in den 1920er Jahren für Demokratieverdrossenheit beispielsweise in Deutschland hat anführen können, entfallen hier zumeist.
Aber wie will man das quantitative Element aus den demokratischen Entscheidungsprozessen bändigen, ohne in die Autorität dieser Resultate einzugreifen? Ist eine Minderheit alleine dadurch qualifizierter weil sie eine Minderheitsposition vertritt? Ist aufgrund der Tatsache, dass die Mehrheit eben nicht immer recht hat, die Minderheitenposition per se besser? Und was ist Minderheit?
Aber zurück zu diesem Blog. Die Tatsache, dass hier nur eine schwindende Minderheit von Kultur- und Feuilletoninteressierten mitlesen, sagt per se noch nichts über die Qualität meiner Texte aus. Und zwar in beiden Richtungen. Meist deuten Künstler ihr Nischendasein ja dahingehend, dass man ihre Qualitäten einfach nicht erkennt. Bei Publizisten ist das zuweilen ähnlich. Aber es könnte ja sein, dass sie tatsächlich weniger taugen als das, was ein FAZ- oder Zeit-Redakteur sich erdacht hat. Als ich vor einigen Jahren auf Facebook in eine Diskussion um meine Texte geriet, erwähnte ich wahrheitsgemäß, dass ich niemals eine Universität besucht und ein Studium abgeschlossen habe. Ein Kommentator erwiderte daraufhin trocken: »Das merkt man.« Wie soll man eine solche Aussage verstehen? Als Kompliment bestimmt nicht.
Wie alles ist auch der Kulturbetrieb institutionalisiert und organisiert. Man benötigt Formalqualifikationen um an ihnen teilhaben zu können. Dieser Blog hier genießt ein Außenseiterdasein und fällt zuweilen einigen Menschen, die die notwendigen Formalqualifikationen besitzen, auf. Das ist alles, was ich erreichen kann und solange in Ordnung, solange es eine gewisse Rückkopplung mit den Verstreuten, den »Idioten« (Handke) gibt. Wenn ein Hinweis auf einen meiner Beiträge mit rund 500 »Impressions« bedacht wird, hiervon aber nur 22 Klicks auf den Beitrag selber erfolgen – unbekannt bleibt, wie intensiv gelesen wird – muss ich mich fragen, warum ich das mache, wenn nicht (siehe oben) für mich selber.
@Lothar Struck,
den ich mit Keuschnig identifiziere, er möge das entschuldigen, es lag überhaupt nicht in meiner Absicht. Ihre Detaillierungen in Bezug auf Politik und besonders Politikgeschichte sind für mich immer sehr aufschlußreich, ich lerne da was und manchmal ruft es mir Vergessenes oder Verdrängtes zurück. Es ist aber, wenn man zum Grundsätzlichen zurückkehrt, beunruhigend, für mich zumindest, daß die Selbstverständlichkeit, mit der man Demokratie erfuhr und als das relativ Beste fürs Gemeinwesen beurteilte, flöten gegangen ist. Ein Indiz für das Zerbröckeln – ein Wort, das Sie, Lothar Struck, hier zwei- oder dreimal gebraucht haben und das mir angebracht scheint – ein Indiz für das Zerbröckeln der Grundlagen der demokratischen Diskurse ist die Marginalität vernünftiger Blogs wie diesem hier, die Marginalisierung um Aufklärung bemühter Kommunikation durch den marktkonformen Mainstream, der sich am deutlichsten im Internet zu erkennen gibt. Grundwerte, Minimalkonsens, Regeln des Gesprächs, auch Höflichkeit, bestimmte Umgangsformen spielen kaum noch eine Rolle, auch wenn sie immer noch auf geduldigem Papier (nicht zuletzt der Verfassungen) stehen. Werte und Regeln, die nicht ein für alle Mal gelten müssen, sondern immer wieder neu zu durchdenken und anzupassen sind. Auf diesem Boden würde eine Demokratie gedeihen, die ich für »echt« halten könnte. Mittlerweile ist sie zu einem PR-Oberbau geworden, bei dem alle nach der größten Zahl (Stimmenzahl) gieren: Populismus statt Demokratie. Sie hatten einmal geschrieben, jede Demokratie müsse eine Dosis Populismus enthalten – auch das ist wohl richtig. (Geht man der Etymologie der beiden Wörter nach, ist da ohnehin wenig Unterschied. Aber die gegenwärtige Bedeutung eines Worts wird jeweils durch den Gebrauch bestimmt.)
Bin ich jetzt zu weit vom Ausgangsthema, Blog und Überdruß, abgekommen?
Nein, nicht abgekommen. Eher angekommen. Denn der Überdruss zeigt sich bei mir ja auch in der Beobachtung dessen, was man politisches Interesse nennt. Das ist nicht zulertzt aufgrund der medialen Skandalisierung eines jeden Phänomens, dass man für skandalisierungswürdig erachtet. Endgültig aufgehört habe ich mich dafür zu interessieren als Trump Präsident wurde. Es besteht natürlich kein Zweifel daran, dass Trump ein politischer Trottel ist (der allerdings sehr geschickt die sozialen Verwerfungen in den USA diagnostiziert und für sich ruchbar gemacht hat – man kann das ja alles im Packer nachlesen). Aber das jetzt praktisch jeden Tag das Ende der Präsidentschaft ausgerufen und alle möglichen Kommentatoren dies auch noch erklären – da schalte ich ab. Neulich lief in der Halbzeit eines Fußballspiels wieder einmal eine solche Nachrichtensendung. Mit Inbrunst erklärte der Anchorman des ZDF, dass jetzt wirklich wieder einmal eine neue Phase in den politischen Verwerfungen in den USA eingetreten sei. Ich kann es nicht mehr hören.
Der »marktkonforme« (kapitalistische) Mainstream ist ja nur ein Teil dieses Aushöhlungsprozesses. Daneben gibt es ja noch den politisch-korrekten Mainstream, der ebenfalls zu beachten ist und heftig verteidigt wird, sobald nur ein Gran Abweichung festgestellt wird. Dabei wird jedes abweichende Urteil pfeilschnell als »Populismus« bezeichnet. Dabei bleiben dann die eigentlichen populistischen Gefahren auf der Strecke, weil der Begriff trivialisiert wird (sieht selbst jemand wie Müller ein, schon in seinem Buch). Populisten – das sind immer die anderen. Jemand wie Merkel als Populistin aufgrund ihrer Heile-Welt-Plakate zu beschimpfen kommt niemand in den Sinn.
Man kann interessanterweise an der Literaturkritik feststellen. Ich habe von Steffen Ille, dem Verleger meines Handke-Jugoslawien-Buches vor einigen Wochen ein rororo-Bändchen von 1985 mit Literaturkritiken von Kurt Tucholsky geschenkt bekommen. Das Buch ist eine Fundgrube, wie Literaturkritik sein könnte, aber nicht mehr ist. Tucholsky umgibt sich gar nicht erst mit der Aura des unbestechlichen Literaturkritikers. Er, der politische Mensch, trennt das Literarische vom Politischen. (Das kann er nur, weil er sich in beidem auskennt.) Unverbrämt attestiert er Fallada und Heinrich Mann eher bescheidene literarische Qualitäten, lobt aber überschwänglich deren politische und gesellschaftliche Darstellungen. Ein heute als Trivialautor angesehener B. Traven ist bei Tucholsky ein »Epiker«. So etwas ist heute nicht mehr möglich, weil die jeweilige Gesinnung eines Schriftstellers immer auch in das literarische Urteil einfließt. Die Kritiker sind gar nicht mehr in der Lage – oder nicht mehr willens – die beiden Felder zu trennen. Wer die vermeintlich »richtige« Anschauung hat und diese in einem Buch ausbreitet, wird automatisch als guter Literat gefeiert. Das illustriert sehr schön, was ich meine: Die für eine Demokratie notwendige Streitkultur ist aufgrund von vorher abgesteckten Handlungsimperativen nicht mehr möglich. Dieses Tabuisierungsstrategie des »Bösen« macht die Populisten und Demagogen erst attraktiv.
Der Zeitgeistfalle könnte man entgehen, wenn man sich mit Büchern beschäftigt, die diesen Anspruch hinter sich haben und nur noch literarisch historisch wirken. Ich habe dieses Jahr z.B. Der scharlachrote Buchstabe von Nathaniel Hawthorne, Unter dem Vulkan von Malcolm Lowry und Die Belagerung von Krishnapur von James Gordon Farrell gelesen. Bücher, bei denen mir wieder deutlich klar geworden ist, warum ich lese. Das neue Buch von Ingo Schulze oder Sven Regener locken mich da kaum. Das Feuilleton ist aber auch nicht mein Steckenpferd.
Das Demokratiefass möchte ich jetzt nicht aufmachen, kann mir aber den Einwurf nicht verkneifen, dass man zwischen Demokatie, Parteiendemokratie und repräsentativer Demokratie unterscheiden muss. Sonst redet wahrscheinlich jeder von etwas anderem. Bei der Bundestagswahl werde ich mein demokratisches Recht aufgrund der Parteiendemokratie nicht wahrnehmen können, da ich nicht mal mehr das kleinere Übel finde. Eine gesteuerte Demokratie haben natürlich nur die anderen.
@Leopold Federmair
Stimmt: Das bleibt der Widerspruch. Aber er kann ja auch ein produktiver sein. Lange hatte ich mich gefragt: Ist jemand, bei dem der größte Teil seines Interesses und Handelns auf seine schreiberische Ambition gerichtet ist, ein Schriftsteller? Oder ist er es erst, wenn er auf eine mindeste Weise auch das gesellschaftliche Dispositiv bedient?
Ein Kunstwerk – hatte ich immer gedacht – ist ganz klar eines, wenn der Markt (eher noch als die Kritik) es als solches bestimmt. Aber es gibt ja auch Henry Darger oder Miroslov Tichy oder die art brut usw.. Stimmt also nicht. Und wäre der Clown ohne Arena auch noch ein Clown? Aber der ist ja immer traurig. Oder ist das omni animal, das Publikum (der Wunsch nach einem) überhaupt das Problem jeglicher Kunst?
Einerseits hat sich das für mich lange als unentschieden herausgestellt. Andererseits entlässt es mich nun eben daraus, insofern ich mich als eh Ignorierter auch wieder ‘emanzipieren’ kann (oder daraus Selbstbestimmtheit gewinnen – und wäre es nur eine illusorische, also anderswie produktive, Scheinsouveränität). Denn eh ungesellig, hatte ich an das ganze »Social« noch nie so recht geglaubt. Ich sehe es heute als selbstunternehmerisches Geschäftsmodell jüngerer Leute, und weil ich schon ein Leben hatte, brauche ich diese Spielart nicht dazu. Das Schreiben aber brauche ich für mein kleines, letztlich auch wieder gesellschaftliches Glück. Und das kann ich auch verschweigen.
(In der NZZ schreibte heute Lilla über das olle »Das Persönliche ist politisch« und vv. Ich hönnte mir durchaus vorstellen, dass neue vernünftige Politik irgendwann eben nicht mehr in Teilhabe, sondern in der Zurückhaltung liegt, in – jenseits allen modischen Distinktiongehabes – in Verzicht. Ich meine es nicht mal [kultur-]pessimistisch. Simpel gesagt: Auch die neuen Menschenmilliarden auf dem Planeten alle in Elektroautos fahren zu lassen ist Unsinn.)
Vielleicht als Nenner: Kunst als »Plausibilisierung der individuellen Abweichung.« (Luhmann) Dann wäre auch die Öffentlichkeit als Funktion nur eine Variante davon und Kunst käme zuletzt gut ohne sie aus. Und man könnte sie irgendwann anderswie ... primärer ... unbesprochen, unvermittelt ... ungeteilter »teilen«.
@Lothar Struck
Sie sind ja ‘Journalist’ – oder operieren doch wie einer, im besten Sinne, auch wenn Sie Ihre ureigenen Interessensgebiete behandeln. Da sucht man natürlich nach Reichweite und Relevanz (und Resonanz). Aber wenn alle senden, laufen schlicht die Kanäle über. Dann kann man entweder lauter werden oder in Nischenmärkten sein Alleinstellungsmerkmal pflegen/die Qualität steigern. (Oder eben verstummen.)
Ansonsten bleibt das Fazit, das Sie selber (auch schon vor Längerem einmal, erinnere ich mich) gezogen haben: Es gibt einfach zuviel von allem! Zuviel Bücher, zuviel Musik Kunst Web Gerede ... zuviel Gedichte sowieso und Mitdiskutanten und Mediengewese ... zuviel. Und die nächste Stufe nach dem Überdruss ist ja schon der Ekel. Und der ist dann eben eine schlüssige, ab und zu fällige Reaktion.
Ich verweise aber auch auch noch mal ausdrücklich auf den – auf diesen Seiten ja ausführlich behandelten – »Idioten«. Und zwar nicht nur auf den von Handke oder den von Strauß, sondern auch auf den Hans-Christan Dany, den – im weitesten Sinne noch/wieder – irgendwie – subversiven. Es gäbe dann auch in der Abwesenheit wieder starke Positionen. navigare necesse est vivere non est necesse.
Eine Bemerkung noch zu Bildung und Demokratie: Das ist einerseits richtig, andererseits gibt es auch andere Kriterien, etwa jene, die die eigene Existenz offenlegt: Wer ein fröhliches, unkritisches Lied über internationale Organisationen singt, die alles zum Besseren wenden, darf sich nicht wundern, wenn die davon zuallererst Betroffenen, nämlich jene auf denen die Gesellschaft steht, zu den Rechtspopulisten überlaufen – warum sollte sich ein Bauarbeiter darüber freuen, dass ihm qua Entsenderichtlinie unter den kollektivvertraglichen Regelungen Konkurrenz gemacht werden darf? Politik hat auch eine Interessensausgleichende Funktion und ich meine auch diese hat mit der Mehrheitsentscheidung zu tun.
@en-passant
Kunst kann ohne Publikum gar nicht existieren, weil das Publikum am Ende aus dem Kunstwerk ein Kunstwerk macht. Und nicht der »Markt« oder die »Kritik« – die sind natürlich auch »Publikum«, aber durch ihre Intentionen sozusagen korrumpiert. Der »Markt« erkennt in allem ein Kunstwerk, was es ihm erlaubt, eine Masse anzusprechen. Das kann, muß aber nicht Kunst sein. Das Missverständnis besteht darin, dass Marktschreier und (Kultur-)Kritiker die Entdecker und Multiplikatoren der Kunstwerke sind. Das ist aber nach meiner Meinung nach falsch. Der »Markt« taugt dazu nicht, weil seine Interessen allzu offensichtlich sind. Und auch der Kritiker ist auch nur ein Teil des Publikums – freilich einer, der sich zum Sprachrohr macht.
Es ist ein Unterschied ob sich ein Schreiber (»Journalist« oder Kritiker) an so etwas wie Relevanz oder Reichweite orientiert und es darauf anlegt. Das sind dann eher die Schreihälse, die auf Quoten‑, Klick- oder sonstigem Fang aus sind. Sie bestimmen den Diskurs alleine schon von der Lautstärke her; niemand will sie überhören. Oder ob man versucht als »Nebeneffekt« ein gewisses Publikum bei der Stange zu halten, zu interessieren. Denn als Hieronymus im Gehäus genügt mir nicht die Gesellschaft der Utensilien und des Löwen. Ich werde nicht verstehen, was am Ansinnen einer gewissen Resonanz ehrenrührig sein wird. Eine Abwesenheit kann hier (hier!) nie eine starke Position sein, weil sie von niemandem wahrgenommen wird.
je weniger leute rezipieren, desto mehr freiheit.
die grösste freiheit findet ohne konsum statt -
die freiheit des schaffens.
sie findet in aller einsamkeit & stille statt und duldet weder freunde noch die freundinnen im »bett im zimmer« nebenan.
einflussnahme muss grenzen haben.
es geht ja nicht nur um sogenannte todsünden, es geht um gerechtigkeitsgefühle und derer verteidigungen.
es geht um motivationen ( extrinsisch ) und womöglich um überzeugungsarbeit.
von apellativ ( damned ! ) bis persuasiv ( gediegene textkörper, epische syntax vielleicht )
inhalte sind stets korrupt.
menschen einer produktionsreihe über die jahrtausende hinweg austauschbar.
@Lothar Struck
Daß Populisten immer die anderen sind, trifft nicht ganz zu. Siehe die Diskussionen um einen angeblich notwendigen Linkspopulismus, um den Rechten nicht das Terrain zu überlassen. Mir scheint ein ganz pragmatischer, nicht in erster Linie ideologischer Aspekt der gemeinsame Nenner der derzeit gängigen Populismen zu sein: Sie tun alles, versprechen alles, um eine möglichst große Zahl (!) von Stimmen zu bekommen. Werte, längerfristige Projekte sind Lippenbekenntnis. Dieser ganz schlichte Aspekt kommt im Buch von Müller viel zu kurz, wird unterschätzt. Ich habe seit 1986 den rasanten Aufstieg eines der ersten Populisten unserer Epoche mitbekommen, Jörg Haider, damals kannte man ihn kaum außerhalb von Österreichs Grenzen. Ein hochintelligenter, aber geradezu machtgeiler, narzißtischer Mensch, der seine Partei und alles um ihn herum instrumentalisierte. Das ist für mich der Prototyp des heutigen Populismus, D. Trump gehört eindeutig dazu. (Aber auch H. Chávez, den ich ebenfalls schon früh, in den neunziger Jahren in Lateinamerika mitbekommen habe, hatte solche Züge. Wer Spanisch verstand, konnte das bei Fernsehauftritten merken.)
@metepsilonema
Politik, jedenfalls demokratische Politik als Interessenausgleich, diesen Aspekt in Erinnerung zu rufen, finde ich sehr angebracht. Die heute unter Wählern/Bürgern dominierende Haltung ist egoistisch, narzißtisch, selbstbezogen (wie der populistische Politiker auch). Das hat mit einem Wertewandel zu tun, und mit dem ganzen neoliberal-kulturkapitalistischen Kontext. Interssenausgleich setzt voraus, daß die diversen Gruppen und Einzelpersonen bereit sind, Abstriche zu machen. Auch andere haben Interessen, und die sind meistens legitim, also muß man sehen, wie man sich zusammenrauft. Was heute dominiert, ist das Miesmachen der anderen, nicht nur der Schwächsten, nicht nur der Ausländer, sondern aller Berufszweige, wie sie gerade kommen: nicht nur Politiker, sondern Lehrer, Beamte, Politiker, Ärzte usw. usf. Mit einem Schlagwort: Entsolidarisierung. Aber unter den Bedingungen solcher Entsolidarisierung kann Demokratie im humanistisch-aufklärerischen Sinn – und da liegen ihre Wurzen – nicht gedeihen.
Was hat das mit Lothar Strucks Problem zu tun? Vielleicht, daß in diesem Zusammenhang auch das, was es an Diskussionskultur gab, verkommen muß.
@Leopold Federmair
Ein Populist ist ein Politiker, der wohlfeile Versprechungen abgibt, von denen er weiß, dass er sie nicht wird halten können, sobald er an der Macht ist. Das schlimmste, was Populisten passieren kann ist, dass sie dann tatsächlich an die Macht kommen und »liefern« müssen. Passiert dies, dann versuchen sie die kritische Masse, die sich gegen sie formiert, niederzuhalten. Das kann man in Polen, Ungarn, aber auch Venezuela beobachten. Manchmal gelingt dies, manchmal nicht. Die USA steht auf der Kippe; ich habe Zuversicht, dass Trump die Institutionen nicht dauerhaft wird beschädigen können.
Die Diagnose, wer nun Populist ist oder nicht, hilft aber bei der Lösung der Probleme nicht weiter. Dass Wähler ihren eigenen Interessen folgen, halte ich für normal. Schließlich ist ihnen jahrzehntelang so etwas wie Gemeinsinn als negativ eingetrichtert worden bzw., im Falle von osteuropäischen Ländern, im Kommunismus oktroyiert worden. Sie atmen auf, weil sie nun an sich selber denken sollen und können. Dass dies auf Dauer eine Gesellschaft zerreissen ist, sehen sie meist zu spät.
Von einem Wähler bei der Stimmabgabe zu verlangen, dass er die Belange des Landes zu berücksichtigen hat, halte ich für eine Herkulesaufgabe. Zumal jeder darunter etwas anderes verstehen kann. Sie erwähnen selber die FPÖ, die ja – wenn ich das richtig mitbekommen habe – immer mit dem Wohl des Landes geworben hat. Und auch die Linke appelliert immer an die Solidarität.
Was Sie Entsolidarisierung nennen möchte ich als Respektlosigkeit bezeichnen. Jeder fühlt sich dazu berufen von Einzelfällen pars pro toto zu schließen. Irgendwas bleibt immer hängen. Und am Ende...gibt es: Überdruss.
@Leopold Federmair
Ich gebe Ihnen, was die verbreiteten Haltungen betrifft recht, meine aber, dass es auch ohne diese üblich war, dass gesellschaftliche Gruppen versucht haben ihre Interessen einseitig durchzusetzen: Ein politisches System wie die Demokratie sollte daher gewährleisten, dass dieser Ausgleich stattfinden kann, selbst dann, wenn nicht jeder von seinen Interessen und seiner Situation abstrahieren und diese auf allgemeine Prinzipien hin wenden kann. Damit wären wir dann bei der Solidarität, die nichts anderes bedeutet, als in gemeinsamem Interesse zusammenzustehen, Polizisten mit Polizisten, Lehrer mit Lehrern, Arbeiter mit Arbeitern, Demonstranten mit Demonstranten und Gegendemonstranten mit Gegendemonstranten, das ist nichts Anrüchiges, aber auch keine Tugend. Mir ist der Begriff des allgemeinen Wohls, u.ä., lieber, weil er mir vereinnahmungsresistenter erscheint.
Ich bin – jetzt sind wir wieder beim Überdruss (oder Verdruss?) – die gängigen Populismusdiskussionen leid, und zwar insofern, weil mir scheint, dass dabei immer nur eine Seite beleuchtet wird: Können Populisten erfolgreich sein, wenn das auf was sie referenzieren, nichts mit der faktischen Realität zu tun hat oder ist da doch immer auch etwas faktisch Wahres dabei, das die »andere Seite« gerne übersieht? Wäre Haiders Erfolg ohne z.B. die verkrusteten österreichischen Strukturen möglich gewesen? Oder Straches Erfolge, der sicherlich weit weniger talentiert ist, ohne die Unfähigkeiten und Unwilligkeiten der großen Koalitionen? Mir ist das Dummheits- oder Unbildungsargument zu wenig und zu selbstgefällig.
Interessant ist in dieser Hinsicht, dass Peter Pilz, Gründungsmitglied der österreichischen Grünen, nun mit einer eigenen Liste und einem – nach seinen eigenen Worten – linken Populismus’ bei der Nationalratswahl antritt (eine Art Mischung von »rechten« und »linken« Positionen). Ob man das mag oder nicht, ob es dann doch grüner wird als man vielleicht will, man wird sehen, aber es ist interessant, wenn Pilz feststellt, dass er jene Leute zurückholen will, die zur FPÖ gegangen oder Nichtwähler geworden sind und dass kaum jemand in seiner Partei bereit sei, sich um diese zu bemühen; und dass er anführt, dass es bei den Grünen Themen gibt, die weitgehend tabuisiert oder regelmentiert werden (eine Einschätzung, die ich teile).
Weil es gut passt, zum Abschluss noch ein paar Plakate der hiesigen Sozialdemokratie zur Wahl, sogenannte Nichtpopulisten: Variante 1, Variante 2, Variante 3.
Die Tatsache, dass es keine Reaktion auf den »Starter«-Kommentar gab – es sei denn, man möchte die darauffolgenden Kommentare in toto als als Referenz auf ihn deuten – dokumentiert im Kleinen nocheinmal das Problem, um das es geht.
@Lothar Struck
Nein, Kunst braucht primär kein Publikum, weder das Werk noch die Praxis. Publikum/Multiplikatoren machen daraus per Definition etwas anderes – von mir aus »soziale Plastik«, und Widerspruch kann Kunst sogar stärken: Für Viele ist sogar allein diese Gegenrede interessant. Der Betrachter ist sehr wohl sehr mächtig – aber eben nicht entscheidend.
Und auch Kritiker/Marktschreier ... und sonstige Promotoren können wichtig sein dann innerhalb der Bandbreite der sozialen Funktionen, gerade für die von Ihnen als legitim angesehenen Wünsche nach Resonanz. »Ehrenrühriges« sehe ich an einem Willen zum Wirken auch nichts. Aber auch dieses Soziale ist eben mittlerweile viel zu sehr etwas anderes, als Ambition per se, als Vermittlung, als Marktzwang usw in den Vordergrund gerückt und schwächt oft: Die Texte, die Bilder, die Werke schwingen gar nicht aus. Und eben daraus, im Wahrnehmen eines immer wirkungsvolleren Sekundären, im Rattern der Kulturumschlagmaschine, entsteht neuer Überdruss. Das Zweite will sich an die Stelle des Ersten setzen, und in dieser Unablässigkeit wird das Erstere immer dünner.
Und Abwesenheit muss eben gar nicht wahrgenommen werden – sie kann sich eben in sich finden, und sich reinigen von Zwang zu und Gefangensein in den ewig selben (mittlerweile selbst allzu reichhaltigen) Bezügen. Für mich liegt der Misston oft darin, wer gleich alles wieder kommt und sein Referenzgerede darüber gießt. Geht wohl in einer Mediengesellschaft wohl nicht anders. Aber davor zurückweichen darf man schon.
@Doris Brockmann
Dass auf Ihren Kommentar keine direkte Reaktion erfolgte dürfte m. E. auch darin begründet sein, das er wie ein persönliches Schreiben wirkt. (Was in einigen Blogs durchaus üblich ist.)
Ich habe übrigens unmittelbar darauf reagiert, indem ich ihr Wort von Aufwand des Kommentierens aufgenommen und darauf hingewiesen hatte, dass das Verfassen der Beiträge eben auch Aufwand erfordert. Meine Idee (mein Ideal? meine Anmaßung?) besteht nun darin, dass man diesen Aufwand sozusagen durch einen Gegenaufwand »honoriert«; nicht immer, aber eben dort, wo es einem selber möglich ist.
Ehrlich gesagt reicht es mir nicht, wenn man, wie Sie schreiben, einmal gesagt bekommt, wie toll das ist, was man da schreibt. Lobe habe ich – ich habe es im Text erwähnt – reichlich erhalten, meist abseits des Blogs; in Mails oder auch persönlich. Aber auch ein öffentlicher Kommentar à la »toll« oder »danke« ist mir eher peinlich. Es ging mir nie darum. Es ging und geht mir um Substanz, und, um diesen Thread hier als Beispiel zu nehmen, auch um ein sinnvolles Abschweifen jenseits des Herumschwafelns. Ich muss zugeben, dass das hier häufig gut funktioniert hat. Aber ich nehme eben wahr, dass die Neigung, sich auf so etwas wie einen seriösen Diskurs einzulassen abnimmt. Das hat vielerlei Gründe – darum geht es eben in den nachfolgenden Kommentaren auch. Insofern halte ich die Diskussion hier für sehr gelungen.
Nicht eingegangen bin ich auf die Passage, in der Sie vom Kennenlernen sprechen. Ich glaube nämlich, dass hier ein Irrtum vorliegt: Kennenlernen kann man sich hier nicht. Man kann dafür den Grundstein legen (das ist häufig passiert), man kann einen Eindruck von der Person erhalten, die hier schreibt bzw. kommentiert. Aber als Kennenlernen würde ich das nicht sehen.
@en-passant
In den 1990er Jahren besuchte ich in Mönchengladbach Philosophiekurse der VHS. Es hatte sich mit der Zeit (es waren fünf oder sechs Halbjahre) ein gewisser Kreis gebildet, der ohne Geselligkeitsgetue seriös diskutierte. Mit dem Dozenten bin ich heute noch befreundet. Zuweilen kam ein Herr in die Runde (er war beruflich sehr beschäftigt und tauchte zuweilen erst ab Mitte der Doppelstunde auf), der ernsthaft und mit dennoch mit einem gewissen Schalk erklärte, dass, wenn es auf der Erde keinen Menschen mehr geben würde, diese nicht mehr existent sei. Ich habe vergessen, wie man diese philosophische Richtung nannte. Alle argumentierten dagegen – denn die Erde, die Natur, das Universum würden doch auch ohne Menschen existieren. Aber der Herr war sehr eloquent und dabei überhaupt nicht verbissen: Für ihn galt es als feststehend, dass alles das, was wir sehen und deshalb existiert, weil es in unserem (= dem menschlichen) Wahrnehmungsapparat so gesehen wird. Gäbe es keinen Menschen mehr würde es die Erde nicht mehr geben, weil kein Mensch »Zeugnis« (meine Formulierung) abgeben könnte.
Heute leuchtet mir das mehr ein als damals, ohne dass ich die These annehmen würde. Zumindest geht es mir mit »Kunst« so. Kunst existiert war auch in den Schubladen und Ateliers der Künstler, aber eben nur als Gegenstand, als Möglichkeit. Sie wird zur Kunst erst durch die Anderen, die Betrachter – seien sie auch noch so laienhaft, marktschreierisch, dilettantisch oder selber künstlerisch.
Das Missverständnis in dieser Debatte ist, dass meine Texte hier nichts mit Kunst zu tun haben. Sie werden erst »lebendig«, wenn sie öffentlich sind. Ansonsten lägen sie in der Schublade (oder im Ordner), in dem heute noch alle meine Texte ab Mitte der 1990er Jahre liegen.
Ein kurzer Einwurf zur Kunstdiskussion: Eine Bekannte hat vor einiger Zeit festgestellt, dass Kunst nichts anderes als Kommunikation sei und ich war, weil ich es von ihr nicht erwartete hatte, darüber so baff, dass mir kaum ein Gegenargument einfiel, obwohl ich diese These eigentlich ablehne.
Einerseits kann man nicht abstreiten, dass es diese Diskussion ohne ein Werk (Fragmente eingeschlossen) gar nicht geben kann, was für lange verschollene oder nicht öffentlich bekannte, genauso gilt. Andererseits: Ohne eine wahrnehmende und urteilende »Instanz« geht es auch nicht, es stellt sich dann allerdings die Frage wer maßgeblich ist oder wie – im Sinne eines »Mechanismus« – entschieden wird (es ist ja nicht so, dass das immer eindeutig ist). Darüber hinaus kann man ein Gedankenexperiment machen: Könnte eine außerirdische Kultur menschliche Kunstwerke als ebensolche erkennen und zwar so wie wir das auch tun? Sollte man diese Frage mit einem »Nein« beantworten, dann ist der Bedeutungshorizont doch eher ein kulturell-sozialer.
@Lothar Struck: Die philosophische Position, die Sie skizzieren, könnte man vielleicht bei George Berkeley finden – (objektiver) Idealismus? [Klicke ich auf den Wikipedia-Artikel sehe ich, dass Dieter Wandschneider, bei dem ich damals gerne Vorlesungen gehört hätte, dieser Position zuzurechnen sei.]
@metepsilonema: Kommt etwas auf den Kommunikationsbegriff an. Glaube es geht nicht darum, irgendeine Mitteilung an den Empfänger zu übermitteln. Würde eher sagen, dass sich Kunst in dem Echoraum von Diskurs und Tradierung entfaltet. Das schließt dann ein, dass da oft Label draufgeklebt werden, die Inhalte oder deren Rezeption stark verzerren oder die Kanonisierung ermöglichen. Da könnten dann, wenn sie wiedergelesen werden, Werke auf einmal ganz anders interpretiert werden, als der damalige Zeitgeist sie rubrizierte, usw. usf. – Kann man immer noch als Kommunikation bezeichnen: wir heutigen mit den Werken unsrer Ahnen und auch noch der ihnen anhaftenden Rezeptionsgeschichte, von der sie manchmal befreit werden müssten...
Nun, richtig ist an dieser Position die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Ding: Man kann Dinge auf viele verschiedene Arten wahrnehmen und unsere menschlichen Sinne, sind längst nicht alle. Wahrnehmen können nur Lebewesen, durch Gehirne und Sinnesorgane, ohne Lebewesen klingt nichts, ohne sie gibt es keine Form und keine Farbe, keine Freude und keinen Schmerz (zugegeben: über die Form kann man streiten).
Ich bin da vielleicht ein bisschen strikt, aber Kommunikation impliziert eine Absicht, jedenfalls dann, wenn wir vom Menschen sprechen. Und die steht bei einem Kunstwerk nicht an erster Stelle, weder dem Grund nach, der meist wohl eher im Dunkeln bleibt, noch darin, dass der Künstler ja viel eher etwas ausdrückt, als sagt. Ästhetik, als sinnliche Wahrnehmung, ist mehr als nur Kommunikation, eine Plastik kommuniziert nicht, sie wird von einem Betrachter wahrgenommen, selbst ein literarischer Text stellt etwas dar und vermittelt keine Botschaft, jedenfalls nicht direkt oder vordergründig.
@metepsilonema und @Phorkyas
Entscheidend ist der Einwurf vom Unterschied zwischen Ding und Wahrnehmung. Die von mir skizzierte philosophische Richtung (danke für den Hinweis, Phorkyas) geht wohl davon aus, dass ein Ding erst durch Wahrnehmung zu etwas wird. Ob es ein Kunstwerk oder einfach nur ein Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs – das wird dann sozusagen später entschieden. Die Dinge der Natur wären demnach allerdings auch von der Wahrnehmung abhängig. Wir vergessen im Trubel leicht, dass die menschliche Wahrnehmung konditioniert ist, d. h. das, was wir vielleicht als bedrohlich empfinden oder als wohltuend wird von anderen Lebewesen ganz anders »interpretiert«. Der Mensch kann nicht aus seiner Wahrnehmung heraus (das ist das, was Kant mit dem»Ding an sich« meint – es bleibt unhintergehbar). Wenn er aber nicht mehr existiert, ist das, was und wie er es wahrnehmen kann, ebenfalls nicht mehr existent. Das leuchtet mir immer mehr ein, ohne dass ich es akzeptieren kann.
Ein Gemälde, dass ein Mensch geschaffen und danach in seiner Schublade abgelegt hat, bleibt zwar ein Gemälde. Aber zur Kunst wird es erst durch die Betrachtung (und Bewertung) der Anderen. Ich bestehe auf so etwas wie einem kollektiven Kunstbegriff, der allerdings nichts mit Mehrheitsentscheid oder Feuilleton zu tun hat. (Mir kommt da dunkel Martin Buber und sein Text über das Ich und das Du in den Sinn.)
@Lothar
Ein Kunstwerk referenziert auf kollektiv Geteiltes, tut es das nicht, wird es einem Rätsel immer ähnlicher (etwas, das für Inhalt und Form gilt). Nun könnte man auch umgekehrt fragen: Ist nicht diese Referenzierung entscheidender (korrekt bleibt natürlich, dass ein Kunstwerk, das in der Schublade liegt nicht wahrgenommen und folglich auch nicht befragt werden kann)?
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