Zu Beginn seines als »Portrait« ausgewiesenen Buches berichtet Michael Angele, dass er nur zwei E‑Mails von Frank Schirrmacher erhalten hatte. Beide habe er gelöscht. Den Vorwurf der Nähe zu seinem portraitierten Subjekt kann man ihm also schwerlich machen. Im weiteren Verlauf des Buches wird diese Annahme bestätigt. Ich hingegen habe nur zwei Tweets von Schirrmacher erhalten. Einer als Reaktion auf diesen Text dessen Link ich ihm geschickt hatte. Er zeigt an, dass Thilo Sarrazin in seinem eurokritischen Buch zu einem großen Teil aus FAS und FAZ zitiert. Er fand das »sehr interessant« (mehr nicht). Von »Nähe« also auch bei mir keine Spur.
Es drohen zwei Szenarien mit einem Buch, dass sich »Schirrmacher« nennt: Zum einen könnte es eine Hagiographie werden. Oder jemand möchte Schirrmacher demontieren, dem arglosen Leser dunkle Seiten des Medienmenschen und Feuilletonisten enthüllen. Nach der Rezension in der SZ schien es sich um Letzteres zu handeln. Wobei Andrian Kreye wohl ein anderes Buch gelesen haben muss, denn um eine »Biografie« handelt es sich bei Angele nun wirklich nicht. Und ob Schirrmacher wirklich ein »brillanter Denker« war? Zweifel sind da erlaubt.
Aber was macht Angele? Er befragt Weggefährten, Kollegen, Mitleidende, Geschasste, Freunde, Kumpel. Am Ende, in einem sehr lesenswerten Epilog, auch noch Schirrmachers Mutter. Viele der Zeugen wollten anonym bleiben, was Angele akzeptiert aber nicht davon abhält, sie zu zitieren. Die Endnoten, die er setzt, geben das Datum des Gesprächs oder der Nachricht an, nicht deren Urheber. Angele lässt zuweilen auch divergierende Aussagen zu, was nur oberflächlich betrachtet beliebig genannt werden kann. Er weiss natürlich wie unzuverlässig Zeugen sind. Aber er zeigt damit, wie Schirrmacher längst in der Branche zum Mythos geworden ist. Da wird dann sogar der Vogelschiss »auf die Schulter des Herausgebers« bei einem Ausflug zum Niederwalddenkmal zum berichtens- und deutungswürdigen Detail.
Nein, es gibt nicht nur Schlüssellochanekdoten. Wobei es – sieht man von zwei kecken, gut versteckten Nebensätzen ab – nur Büro- bzw. Redaktionstüren sind, durch die gespäht wird (das Privatleben bleubt weitgehend unangestastet). Es bleibt auch nicht dabei, Schirrmachers Flunkereien, seine zuweilen skurrile Scherzlust (bis hin zur Einrichtung einer Fake-Webseite) oder seine Neigung, Artikel nicht immer zu Ende zu schreiben, herauszustellen. Angele geht tiefer, taucht ein in Schirrmachers Welt, »in der Wahrheit und Lüge, Schein und Sein, Suggestion und Wirkungswille« bestimmend wird, entwickelt überzeugend seine »Furcht vor dem Unbedeutenden« (für Angele das Stilprinzip Schirrmachers – ex negativo) und die Angst vor dem Absturz. »Verzauberer, Getriebener, Treibender, maßlos im Streit und in der Versöhnung, Übertreiber, Fabulierer« und bei alldem ein begnadeter Netzwerker, der »seine exzellenten Kontakte zu den meisten anderen Medienmächtigen schamlos für eigene Zwecke ausnutzte.«
Also das, was alle machten und immer noch machen, die in Positionen wie Schirrmacher kommen wollen oder gekommen sind – so möchte man entgegnen. Obwohl man dann natürlich schnell als Zyniker gilt (eine Zuschreibung die weder für Schirrmacher gilt noch für dessen Portraitschreiber). Aber ernsthaft: Wer glaubt denn noch, dass die führenden Publizisten, Herausgeber und Meinungsmacher ausschließlich aufgrund ihrer guten Texte, der ausgefeilten Essayistik und/oder kommunikativen Altruismus in ihre Positionen gekommen sind? Dennoch wirkt Schirrmacher im Vergleich mit anderen Publizisten (wie man sie zum Beispiel aus den Tagebüchern von Fritz J. Raddatz beschrieben bekommt) nahezu brav.
Angele ist kein Idealist, aber in Spuren ein Romantiker. Er klagt Schirrmacher nicht an; er berichtet, wenn auch nicht immer frei von Spitzen. Natürlich bietet sich in Schirrmachers George-Verehrung genügend Stoff. Später dann Jünger. Selbstverständlich wird Joachim Fest umgarnt, denn Schirrmacher will was werden. Das geht bis zur Imitation Fests. Dann die Promotion – wenn auch mit einem gewissen Hautgout (Gumbrecht bleibt ein Freund bzw. Buddy [s. u.]). Alles läuft. Beispielsweise ein Empfang bei Helmut Kohl, dessen »komplementären Züge – den beeindruckenden Willen, der Vergänglichkeit zu trotzen, und eine enervierende Gemütlichkeit« Schirrmacher faszinieren, den er aber Jahre später fallen lässt, als Schröder wichtiger wird. Antichambrieren und Verstoßen – ja nach Lage. Im Umgang mit Marcel Reich-Ranicki zeigt sich dies. Schirrmacher macht, als er es bei der FAZ geschafft hatte, keine Ausnahme, schickt ihn in Rente und von nun an wird er abgewimmelt, erreicht den Herausgeber nicht einmal mehr telefonisch. Nach außen hingegen vermittelt Schirrmacher das Gefühl, Reich-Ranicki zu verehren, gibt vor ihn durch den Nichtabdruck von »Tod eines Kritikers« vor dem Antisemitismus Martin Walsers beschützen zu wollen. Er will sogar am Sterbebett gewesen sein. Angele kommentiert dieses Verhältnis mit einem bemerkenswerten Satz: Die Festreden und Belobigungen zu Reich-Ranicki seien »nie ganz frei vom Gestus der Vereinnahmung eines Schicksals« gewesen. Diese Feststellung ist furchteinflössend, vor allem weil sie wahr sein könnte (und gilt nicht nur für Schirrmacher).
Und nein, ein reiner »Machtmensch« war »Schi« nicht, eher ein »Rauschmensch«, wie einer ihn charakterisiert. Jemand, der gefallen und beeindrucken wollte. »Wallungswerte« waren die Folge: Alle und alles war groß oder größer, das allergrößte, ob Menschen oder Probleme oder einfach nur ein Film, ein Buch, eine Geschichte. Die Superlative schlugen Salto. Als Fest Zweifel kamen, war es schon zu spät. »Schirrmacher ist ein Fremder an der Spitze der Organisation, voller Machtwillen, voller Verachtung für das Mittelmaß, das ihn umgibt. Dann lieber die Schwierigen!«, so resümiert Angele an einer Stelle. Den Prozess vom antichambrierenden Kandidaten über den knallharten Herausgeber, der Revirements von Redakteuren en passant geschehen lässt, in dem er bei Wettbewerbern wildert und neue anwirbt bis hin zum Nerdversteher – in der Beschreibung dieser einzelnen Phasen liegt eine der Stärken dieses Buches.
Natürlich wird auf die gängigen Aufgeregtheiten zurückgegriffen, beispielsweise den Walser-Rausschmiss oder Grass’ Waffen-SS-Geständnis (sein Redakteur hatte einfach das Rezensionsexemplar gelesen und Schirrmacher die Brisanz erkannt). Aber hier blieb man noch weitgehend im Feuilletonbereich. Schirrmacher wollte, so suggeriert Angele, heraus aus dieser Nische. Daher die von ihm initiierten »Setzungen«, vom »Methusalem-Komplott« (der These der drohenden Überalterung einer Gesellschaft) oder »Payback« (der Klage der Reiz- und Informationsüberflutung im Internet und die dräuenden Auswirkungen auf eine Gesellschaft – irgendwie in der Tradition zu Neil Postman) und »Ego – Das Spiel des Lebens« (der Beherrschung der Finanzströme durch vom Menschen erfundene, am Ende jedoch sich verselbständigende Algorithmen). Bücher, die bis hinein in die öffentlich-rechtlichen Medien (bei »Beckmann« ist er fast so etwas wie ein Stammgast) Aufmerksamkeit finden. Es gibt Vorabdrucke ausgerechnet in der Bild. Es werden Bestseller. Immerhin: Den Erfolg vom Methusalem-Komplott erreichen die anderen Bücher nicht. Lag dies daran, dass Schirrmachers Alarmismus entlarvt wurde? Oder dass die Rentenfrage alle betrifft und nicht nur ein paar Nerds?
Nachträglich zeigen sich bei Schirrmacher fast hysterische Befürchtungen was das Eindringen digitaler Medien in die Alltagswelt hinein angeht. Selbst wer sich nicht in dieser Welt bewegt, sei davon betroffen. Der Mensch liefere sich unentrinnbar einer Technik aus. In der Fatalität der Diagnose erinnert dies verblüffend an die dystopischen Szenarien eines Michel Houellebecq. Er holte Technikkritiker ins Blatt, um diese seine These zu belegen, wie unter anderem Steven Pinker, David Gelernter, Shoshana Zuboff, Gerd Gigerenzer oder Jaron Lanier. Übrigens alles Autoren, die von dem Literaturagenten John Brockman betreut werden, den Schirrmacher 2000 kennenlernte.
Aber auch die Setzungen befriedigten Schirrmacher nicht dauerhaft. Er möchte vierte Gewalt spielen (tatsächlich mehr als Spiel denn als Machtmittel). Erste Indizien dafür macht Angele in der Rückkehr der FAZ zur alten Rechtschreibung 2004 aus – als konzertierte Aktion mit Spiegel und Springer. »Sie wollen, kraft ihrer wirtschaftlichen und publizistischen Macht, bestimmen, wie die deutschen Schüler schreiben«. Zwei Jahre später kehrte man kleinlaut zu den meisten neuen Rechtschreiberegeln zurück. Wie so häufig hatte Schirrmacher die Lust verloren; das Pulver der Provokation war nass geworden.
Aber dann blitzt der Spieltrieb erneut auf: Es ist die Anti-Wulff-Kampagne, jene Konspiration zwischen Bild/Springer, Spiegel und FAZ. Nein, es sei keine Verschwörung gewesen, beschwichtigt Angele. Mindestens nicht von Anfang an. Aber dann doch irgend so etwas Ähnliches. Rudeljournalismus? Angele meidet diese Zuschreibungen. Er trifft sich mit Kai Diekmann. Schirrmacher verhalf Bild nicht zuletzt durch die Vorabdrucke seiner Bücher »zu Seriosität.« Längst saßen in den Polittalkshows wie selbstverständlich Bild-Journalisten neben Kollegen von Spiegel, FAZ oder SZ.
Und dann Wulff und sein Anruf auf Diekmanns Mailbox. Ein gefundenes Fressen. Diekmann schickte Abschriften des Telefonats an Schirrmacher und Di Lorenzo. Soll man darüber berichten? Di Lorenzo ist dagegen, Schirrmacher dafür. Nils Minkmar setzt subkutan in einem Artikel kurz vor Weihnachten 2011 eine Andeutung. Sie wird überlesen. Am Neujahrstag berichtet ein Politikjournalist der FAZ dann ausführlich darüber und einen Tag später fällt Minkmar, seit zwei Tagen Feuilletonchef, sein jakobinisches Urteil über Wulff. Schirrmacher lässt schreiben. Die Öffentlichkeit wird über den ganzen Text der Mailbox-Nachricht nicht informiert (dies geschah erst im Februar 2014). Stattdessen kursieren Auszüge, Sätze, die, derart aus dem Zusammenhang gerissen, Wulffs Verständnis von Unabhängigkeit und Pressefreiheit in ein schlechtes Licht setzen. Nein, eine Verschwörung ist das nicht, aber eine Kampagne. Eine, die meinungstrunken nur das zuließ, was in das Weltbild der Journalisten passte. Am 13.06.2014, einen Tag nach Schirrmachers Tod, wird Christian Wulff von allen Vorwürfen freigesprochen.
Woher diese Lust an der Demontage Wulffs? Angele zitiert Lutz Hachmeister: Schirrmacher sei fasziniert gewesen, dass Wulffs Frau Bettina im Rotlichtmilieu gearbeitet haben soll. So lauteten die Gerüchte, die 2011 immer mehr kursierten. Als Indiz galt ihm die kleine Tätowierung der Frau, die kulturgeschichtlich in einem Artikel aufgeladen wurde. Zu gut passte dies für Schirrmacher in die Hannover-Connection-Geschichten und deren halbseidenen Kontakte. Seine Recherchen dürften nichts ergeben haben, aber das ficht ihn nicht an. Diese Obsession klingt absurd – vielleicht zu absurd, als das sie erfunden sein könnte. Und noch etwas: »Wie kann es sein, dass das Staatsoberhaupt […] kein Wort über die große Finanz- und Schuldenkrise verliert? Darin sah der FAZ-Herausgeber das Skandalon dieser Präsidentschaft.« Wenn das stimmt, war Schirrmacher sehr schlecht informiert, denn Wulff hatte in seiner »Lindauer Rede« 2011 ausführlich zur Finanz- und Schuldenkrise geredet.Das hätte er in seinem eigenen Blatt nachlesen können.
Und wo war sie denn, diese bis heute idealisierte »Debattenkultur«? Als Redakteure 1995 das schlechte Arbeitsklima in einem Brief ansprechen, reagiert Schirrmacher wütend. Als Jörg Magenau 2002 eine eigene Interpretation von Walsers »Tod eines Kritikers« äußert, die der von Schirrmacher widerspricht, wird er aus der Riege der freien Mitarbeiter verbannt. Seine weiteren Bücher in FAZ und FAS ignoriert. Schirrmachers scheinbare Offenheit, seine Multiperspektivität, hatte Grenzen. Wer in Ungnade fällt verschwindet einfach aus dem Blatt. Beispielsweise Gert Ueding, der Schirrmacher nicht den von ihm gewünschten Nebenjob an der Universität anbietet. Oder Henning Ritter (er passt ihm überhaupt nicht). »In einem Berufsfeld, in dem ‘Erwähnung’ (oder Zitierung) das entscheidende Kriterium für Prestige und somit Erfolg ist, ist Missachtung das schärfste Mittel der Sanktion, schärfer als jede noch so scharfe Kritik«, so Angele. Und wenn sich Schirrmacher persönlich getroffen fühlt, scheut er auch nicht die Kampagnen gegen Kollegen, wie die »Steinfeld-Affäre« belegt. Der damalige Feuilletonchef der Süddeutschen Zeitung hatte sich tatsächlich erdreistet zusammen mit einem Co-Autor einen Krimi unter Pseudonym zu schreiben, in dem ein Protagonist als Schirrmacher-Typus interpretiert werden könnte. Und der sich so konziliant gebende »Betrieb« unter der strategischen Führung Schirrmachers schlug zurück. Aber auch solche Vorgehensweisen, so möchte man dem Autor zurufen (der es allerdings weiß), ist nicht ein Alleinstellungsmerkmal Schirrmachers gewesen.
Hatte Schirrmacher Freunde? »In unserer Branche gibt es kaum tiefe Freundschaften«, so Angele. »Was es gibt, sind Buddys, und das ist ja auch gar nicht schlimm. […] Buddys müssen Privates und Geschäftliches nicht trennen, sie sagen ‘Mein Lieber’ und machen Witze über andere Buddys.« Einblicke jenseits eines Portraits. Man dachte es sich schon so ähnlich.
Schirrmachers Feuilleton als letztes Lagerfeuer, in dem auch der Bild-Leser mitmachen kann? Oder war dieses Lagerfeuer nur ein Strohfeuer und die von Schirrmacher abgeschossenen Bengalos nur harmlose Wunderkerzen, die nach kurzer Zeit verglühen? Wer heute Schirrmachers letzte Tweets liest (der Account existiert noch immer) kann Links zu Artikeln lesen, die Zukunftsszenarien entwerfen, die längst überholt sind. Nach vier Jahren. Wer begibt sich irgendwann einmal an eine Überprüfung der Thesen Schirrmachers? Und wen interessiert all das überhaupt? Schirrmacher, der führende Feuilletonist Deutschlands der 2000er und beginnenden 2010er Jahre hatte auf Twitter rund 42.000 Follower (Angele irrt hier, schreibt von 34.800 und nimmt dabei eine aktuellere Zahl). Zum Vergleich: Der Zuschauerschnitt der Heimspiele des Fußballerstligisten Hannover 96 für die Saison 2017/18 betrug ebenfalls rund 42.000.
Gezeigt wird auch bisher weitgehend Unbekanntes, wie Schirrmachers teilweise enger Kontakt zu Egon Krenz oder sein nicht ganz uneigennütziges Engagement in Sachen Teilausbau der Unteren Havel-Wasserstraße. Von Vorteil ist, dass sich Angele weitgehend mit Urteilen zu einzelnen Aktionen Schirrmachers zurückhält. Zu Beginn attestiert er ihm immerhin als Literaturkritiker Format. Seine Sprunghaftigkeit wird in der Zusammenballung der Ereignisse deutlich sichtbar. Ist es das, was von Kritikern als mangelnde Authentizität ausgemacht wird? Wenn man sich heute fragt, was er wohl zu diesem oder jenem Thema sagen würde, ist dies vielleicht damit begründbar: Man weiß es schlichtweg nicht, weil in Schirrmachers Denken keine Linie erkennbar ist. Er verwechselte ideologische Unvoreingenommenheit mit Beliebigkeit. Niemand konnte wissen, wohin sein Daumen ging. Oft genug hatte man das Gefühl, er geht dorthin, wo es am meisten Aufmerksamkeit gibt. In diesem Sinn ist Schirrmachers Erbe erfolgreich. Es geht heutzutage immer mehr um das Erregenwollen einer kritischen Masse um nahezu jeden Preis.
Angele konstatiert, »dass sich das Charisma einer Führungsperson nach deren Tod auf die Institution überträgt und gleichsam ‘veralltäglicht’ «. Es gibt gute Gründe, dies inzwischen anzuzweifeln. In Frankfurt emanzipiert man sich gerade auch personell von Schirrmachers Erbe. Da kommt ein weitgehend unaufgeregtes Buch wie dieses gerade recht.
Lieber Lothar Struck,
ich habe soeben Angelika Klüssendorfs »Jahre später« – der zum Roman verarbeitete Blick auf ihre über zehnjährige Ehe mit Frank Schirrmacher (auch hier unter Vermeidung der Schlüssellochperspektive!) – mit wachsender Begeisterung gelesen und mich gleich an die Lektüre von Michael Angeles Schirrmacher-Portrait gemacht. Zwei unaufgeregte Beschreibungen einer aufgeregten wie aufregenden Person. Als Parallellektüre sehr empfehlenswert.
Empfehlenswert finde ich auch Ihre breit aufgestellte und angenehm zu lesende Rezension. Danke. Nicht ganz teile ich Ihre Ansicht, Schirrmachers Vorgehensweise sei im Vergleich zu Raddatz’ als »brav« zu bezeichnen. In summa erscheinen mir die Ränkespiele und Verdikte, das Networking und »Wegkegeln« von Gegnern/Konkurrenten, etc. doch schon auf ziemlich »high level« (nebenbei glaube ich, dass bei Raddatz’ Positionierungen Aspekte wie Treue und der Eigenwert des Ästhetischen eine große Rolle gespielt haben, die mir bei Schirrmacher ganz dem Macht- und Sensationserleben untergeordnet zu sein scheinen).
Was Andrian Kreye zu seiner Kritik an Angeles Portrait getrieben haben könnte, wird mir immer schleierhafter.
Beste Grüße
Doris Brockmann
Liebe Doris Brockmann,
Angelika Klüssmann, die erste Ehefrau von Schirrmacher, kommt natürlich auch bei Angele vor.
Bezüglich Raddatz habe ich mich vielleicht unklar ausgedrückt. Ich habe nicht Raddatz mit Schirrmacher verglichen, sondern die Verleger und Feuilletonisten, die Raddatz beschreibt (allen voran natürlich Augstein, der bei ihm sehr schlecht wegkommt). Erinnerlich ist mir da noch die Episode aus den Tagebüchern, als Raddatz von Schirrmacher umgarnt wird, dieser seine Tagebuchmanuskripte liest und herausbringen will – und dann »verschwindet«. Schirrmacher meldet sich nach der Euphorie nie mehr wieder bei Raddatz. Als die Tagebücher dann erscheinen (übrigens durch Joachim Fests Sohn) lobte Schirrmacher diese dann immerhin über den grünen Klee.
Kreyes Kritik ist nicht zuletzt aufgrund des Ausplauderns von »Betriebsgeheimnissen« motiviert. Solche Leute mögen das nicht.
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Habe Michael Angeles Schirrmacher Bio nicht gelesen. Bei Andrian Kreyes leserbriefhafter, künstlich gestreckter Rezension fällt die Widersprüchlichkeit im Vorwurf von »geschwätzig« und »boshaft« auf, unter der Prämisse, Schirrmachers Wirkens sei durchweg seriös, und nicht nur zwanghaft oberflächlich, macht- und quotenbezogen, sondern projektorientiert gewesen. Dabei scheinen ja die Inszenierungsmechanismen des neu aufgestellten Feuilletons von FAZ bis BILD als Kampflinie Print gegen Digital bis zur Wulff-Jagd aus heutiger Sicht ein Eldorado der Vergangenheit zu sein. Die Debatten Kultur ab 2000 war ein schwacher Abglanz der 1980er und 90er.
Ich kann mir vorstellen, was Sie unter »schwachen Abglanz« verstehen: In den 80er/90ern ging es polemisch aber eben auch argumentativ zu, ein Wettstreit der Begründungen. Erstaunlich, dass dies so viele mitbekommen haben sollen: Wer las denn damals FAZ, SZ, Zeit, Spiegel, FR – um all diese divergierenden Argumentationsströme mitzunehmen? Bzw.: Wer hatte die Zeit dazu? Ich habe dies zum Teil in der Stadtbibliothek versucht, wenn ich wusste, dass es wieder einmal eine Feuilletondebatte gab (das Internet existierte damals noch nicht).
Heutzutage sind es fast nur noch Gesinnungsdebatten, die auf Außenwirkung hin geführt werden. Dabei sind die Rollen verteilt: Es gibt Provokateure und diejenigen, die das »richtige« vertreten. Die Ergebnisse stehen fest. Gadamers Verdikt, dass auch der Andere recht haben könnte, existiert nicht mehr.
Aber: War wirklich früher alles besser? Wieviel idealisiert man nachträglich?
»Aber: War wirklich früher alles besser? Wieviel idealisiert man nachträglich?«
Ich frage mich das auch immer wieder: Unstrittig ist, dass sich Dinge, Einstellungen und Gegebenheiten verändern, die Auswirkungen sehen wir nicht sofort (und auch später nicht immer klar und eindeutig). Dass Kinder mit digitalen Geräten aufwachsen, ist z.B. relativ neu, über die Auswirkungen, Befürchtungen und Vorteile, diskutieren wir, eine abschließende Antwort gibt es (noch) nicht. Beim Journalismus schwanke ich: Eine machtkonforme Berichterstattung oder Einflussnahme, u.ä., gab es schon immer (andere Phänomene, wie das sich nicht Einlassenkönnen wohl eher nicht). — Wichtiger als eine Entscheidung der Frage, ob es früher besser war, ist eine Kritik der Veränderungen, um diese zu korrigieren, wo das notwendig ist.
Ich war teilweise dabei und kann mich nur wundern, über vieles, was hier steht. Zwei ganz schwere Schnitzer:
Reich-Ranicki sei zu Schirrmacher nicht durchgedrungen? Schirrmacher hat mich zu Reich-Ranicki mitgenommen, in seinem Büro bei der FAZ, das war eine Stunde lang beste Unterhaltung zwischen zwei Menschen, die sich phantastisch verstanden. Wenn MRR anrief, war Schirrmacher immer da.
Schirrmacher sei von den Sexgerüchten um Frau Wulff fasziniert gewesen? Es gab eine schriftliche Ansage vom 19. Dezembeer 2011, als das Gerücht im Netz aufkam, das auf keinen Fall irgendwie zu verwenden oder zu erwähnen. Danach war das überhaupt kein Thema mehr.
Und generell Wulff: Der Text, der den Deckel zu machte, kam nicht aus dem Feuilleton, sondern von Kohler aus der Politik mit dem »Lummerland«-Gedicht.
Danke für die Darstellung.
Die Aussage, dass MRR zu Schirrmacher nicht mehr durchkommt (» ‘Die Ruppel lässt mich nicht durch’, beklagte sich Reich-Ranicki über Schirrmachers Sekretärin bitterlich – notabene bei einer anderen Sekretärin«) bezieht sich auf die Zeit nachdem MRR das Büro nicht mehr hatte.
Die Faszination zu den Sex-Gerüchten basiert in Angeles Buch auf Hachmeisters Aussagen.