Manche Verlagsankündigungen haben eher abschreckende Wirkung. So bewirbt der Suhrkamp-Verlag die Neuauflage des 1949 bzw. 1950 erschienenen Romans »Die Galeere« von Bruno E. Werner damit, dass 70 Jahre nach dessen Erscheinen der heutige Leser bereit sei, dieses Buch wie seinen »eigenen Roman« zu lesen. Ohne Antwort bleibt die Frage nach dem Urheber des Zitats. Die Ankündigung bezieht sich nämlich eher auf die im Roman angesprochenen Generationen, d. h. die Jahrgänge der zwischen 1880 und 1920 geborenen. Babyboomer und Spätgeborene dürften mit gewisser Distanz auf die Schilderungen im Buch blicken. Und sind nicht beispielsweise die Geschichten von den Bombennächten ausführlich von den Eltern oder Großeltern rekapituliert worden? Wollte man das eigentlich hören? Führte dies nicht subkutan zu einer Täter-/Opferumkehr?
1997 entfachte W. G. Sebald eine Debatte über »Luftkrieg und Literatur«. Sebald konstatierte eine Leerstelle in der historischen wie literarischen Aufarbeitung des Luftkriegs gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich: »Die in der Geschichte bis dahin einzigartige Vernichtungsaktion ist in die Annalen der sich neu konstituierende Nation nur in der Form vager Verallgemeinerungen eingegangen, scheint kaum eine Schmerzensspur hinterlassen zu haben im kollektiven Bewußtsein, ist aber aus der retrospektiven Selbsterfahrung der Betroffenen weitgehend ausgeschlossen geblieben, hat in den sich entwickelnden Diskussionen um die innere Verfassung unseres Landes nie eine nennenswerte Rolle gespielt […]«.
Bei genauerer Lektüre zeigte sich, dass Sebald die literarische Qualität der Romane, die sich dem Thema dann doch widmeten, nicht auf einem entsprechend hohen Niveau verortete. Hier werden zumeist die Schriftsteller Hans-Erich Nossack (»Der Untergang«) und Gert Ledig (insbesondere »Stalinorgel« und »Vergeltung«) genannt (und etliche andere Autoren, die sich der Thematik widmeten, sind tatsächlich in Vergessenheit geraten).
Es bleibt unklar, ob Sebald tatsächlich an der literarischen Qualität eines Gert Ledig zweifelte. Dies wäre in höchstem Maße töricht gewesen. Es ging ihm vielleicht um eine populär-literarische, publikumswirksam-eingängige Aufarbeitung des Themas. Ledigs expressionistisches Meisterwerk ist keine Kaminprosa, die man nach dem Abendessen beim Digestif einfach konsumieren kann. Hinzu kommt, dass der Titel »Vergeltung« eine halbwegs legitimierte Racheaktion der Kriegsführung der Alliierten gegen die Deutschen suggeriert. Die expressive, teilweise splatterhafte Bildsprache und die mindestens unterschwellig eingebundene politische Komponente schreckten ab. Man las lieber Literatur, in der der Opferduktus mitschwang: Entweder der Wehrmachtssoldat als braver, aber von den bösen Nazis missbrauchter Landser und/oder die hilflosen Ausgebombten in der »Heimat«. Dass es gerade das Verdienst Nossacks und vor allem Ledigs war, diese Opferhaltung mindestens zu befragen, ging in der Debatte weitgehend unter. Und das man beim genauen Lesen auch bei anderen Autoren wie beispielsweise Hermann Lenz und vor allem Walter Kempowski (»Deutsche Chronik«) auf entsprechend nüchterne Aufarbeitungen der Luftkriegsthematik treffen kann, auch.
Das Tabu der intellektuellen Kreise
Sebalds Einwand betraf vor allem die tonangebende literarische Elite der Gruppe 47 mit ihrem (Nach)Kriegs-Neorealismus. Dort wären Texte über deutsche Luftkriegsopfer sofort als revanchistisch eingestuft worden. Es war ja auch nicht so, dass in den Familien nicht über die Bombardements in den 1940er Jahren gesprochen wurde. Die »Tabuisierung« galt im Wesentlichen nur in den intellektuellen Kreisen, in der veröffentlichten Meinung. Selbst Ende der 1990er Jahre, mit Erscheinen von Sebalds Aufsatz, waren es nicht zuletzt Befürchtungen von Publizisten und Historikern, (neu)rechten politischen Strömungen mit dieser Diskussion Auftrieb zu geben, die zu einer raschen Beendigung des Diskurses rieten. (Eine ähnliche Beschweigung erfuhr jahrzehntelang das Thema der Flucht und Vertreibung Deutscher aus Mittel- und Osteuropa. Wie so oft, führte das freiwillig praktizierte Sprechverbot genau zu dem, was man eigentlich verhindern wollte.)
Der Exkurs musste sein, da manchmal auch Bruno E. Werners Buch »Die Galeere« genannt wird, wenn es darum geht, der Luftkriegthese Sebalds zu widersprechen, denn auch hier gibt es ausgiebige Schilderungen der Bombardements Alliierter – zunächst auf Berlin und dann, kaum noch für möglich gehalten, Dresden. Werner verwendet allerdings bis auf wenige Ausnahmen die eher beschreibende, ja fast journalistische Form. Expressionismus ist ihm genau so fremd wie Pathos. Nur einmal wird es surreal – bei einer skurrilen Silvesterfeier 1944, die der Leser nicht so schnell vergessen wird.
Der ganze Beitrag hier bei »Glanz und Elend«
Schöne, aufschlussreiche Besprechung. Ich bin durchaus neugierig geworden.
Vielleicht geht es mehr um eine gewisse Redlichkeit sich selbst gegenüber, als um das gute Leben, das letztere ist ohne die erstere auch kaum möglich. Aus den Bedingungen seiner Zeit und Welt kann keiner heraus, die Redlichkeit bliebe, auch gegen sie (schmerzhaft wäre das, sicherlich). Das mag nicht viel sein, aber vielleicht etwas wie Hoffnung. Ganz gegenteilig der moralische Rigorismus, er lässt sich auf Ambivalenzen gar nicht ein und macht es sich auch noch bequem darin.