Pe­ter Hand­kes An­ti­fa­schis­mus

Im Ju­li 1989 schrieb Pe­ter Hand­ke ei­ne »Epo­pöe«, ei­ne ganz kur­ze Er­zäh­lung, die am Bahn­hof Per­rache in Ly­on spielt. So wie Hand­ke es ge­braucht, be­deu­tet das ur­sprüng­lich grie­chi­sche Wort »klei­nes Epos« (ob­wohl dies nicht den Aus­künf­ten der Wör­ter­bü­cher ent­spricht). Wir be­geg­nen hier dem Er­zäh­ler in ei­nem Ho­tel­zim­mer und er­fah­ren, was er beim Blick aus dem Fen­ster sieht: ein gro­ßes Gleis­feld, die blas­se Mond­schei­be, Schwal­ben, ei­nen Wohn­block, zu­letzt ei­nen blau­en Fal­ter. We­ni­ge Men­schen, al­le­samt Ei­sen­bah­ner mit Ak­ten­ta­sche auf dem Heim­weg. Nach ei­ner Wei­le fällt dem Er­zäh­ler ein, daß es das Ho­tel Ter­mi­nus ist, in dem er sich ein­ge­mie­tet hat, und er er­in­nert sich, daß Klaus Bar­bie sei­ner­zeit hier sein Un­we­sen ge­trie­ben hat­te. Es war noch nicht so lan­ge her, daß in Ly­on ein Pro­zeß ge­gen den deut­schen Fol­ter­herrn statt­ge­fun­den hat­te, bei dem er we­gen Ver­bre­chen ge­gen die Mensch­lich­keit an­ge­klagt war. Hand­ke hat­te die Un­ta­ten, über die 1987 viel be­rich­tet wor­den war, zwei­fel­los noch frisch im Sinn.

Pe­ter Hand­ke, in Grif­fen ge­bo­ren, Sohn ei­nes deut­schen Wehr­machts­sol­da­ten, ver­brach­te als Klein­kind ei­ni­ge Zeit in Ber­lin und er­leb­te Bom­ben­an­grif­fe auf die Stadt so­wie die Trüm­mer­land­schaft nach dem Krieg. Ei­gent­lich hat­te er so­gar zwei deut­sche Vä­ter; über den Zieh­va­ter, mit dem er in Kärn­ten auf­wuchs, kann man in Wunsch­lo­ses Un­glück ei­ni­ges nach­le­sen (das nicht voll­stän­dig der bio­gra­phi­schen Wirk­lich­keit ent­spricht, wie Mal­te Her­wig in sei­ner Hand­ke-Bio­gra­phie zei­gen konn­te). In sei­ner Ju­gend stell­te sich Hand­ke ge­gen die­sen Va­ter, er war ihm schon früh gei­stig über­le­gen und ver­ach­te­te ihn. Die spä­te­re Be­geg­nung mit dem er­sten, dem leib­li­chen Va­ter, im Ver­such über die Juke­box ge­schil­dert, ver­lief an­ge­spannt, die bei­den konn­ten nichts mit­ein­an­der an­fan­gen. Als Pe­ter dann be­rühmt wur­de – »weltbe­rühmt«, wie er es vor­hat­te, wur­de er et­was spä­ter –, ging er aus Öster­reich nach Deutsch­land, doch schon da­mals lieb­äu­gel­te er mit Pa­ris als Wohn­ort. Erst nach sei­ner sprach­ex­pe­ri­men­tel­len und pop­li­te­ra­ri­schen Pha­se be­gann Hand­ke, sich mit sei­ner slo­we­ni­schen Fa­mi­li­en­ge­schich­te aus­ein­an­der­set­zen. Die­se Wen­dung oder Rück­wen­dung zum Slo­we­ni­schen ist nicht zu­letzt be­dingt durch sein schwie­ri­ges und küh­les Ver­hält­nis, das er zu Deutsch­land hat­te, auch und be­son­ders zur na­hen deut­schen Ver­gan­gen­heit, zum so­ge­nann­ten Drit­ten Reich. Die pro­non­cier­te Ab­leh­nung des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und die ih­rer­seits iden­ti­täts­bil­den­de Fra­ge nach der Ver­ant­wor­tung der Vä­ter für die Ver­bre­chen teil­te Hand­ke frei­lich mit den mei­sten jun­gen Leu­ten sei­ner Ge­ne­ra­ti­on, sie spielt bei vie­len deut­schen und öster­rei­chi­schen Schrift­stel­lern ei­ne wich­ti­ge Rol­le; bei Hand­ke je­doch auf ei­ne ei­gen­tüm­li­che Wei­se, we­ni­ger in po­li­ti­schen State­ments als in ei­ner tief­grei­fen­den li­te­ra­ri­schen Re­ak­ti­on auf die krie­ge­ri­sche Ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts.

Als Hand­ke im Zug sei­ner Wen­de zum Klas­si­schen, zu Goe­the, Cé­zan­ne und Stif­ter, zur ge­las­se­nen Er­for­schung der For­men und schließ­lich zu dem fand, was Scho­pen­hau­er als »rei­ne An­schau­ung« be­zeich­ne­te, stell­te das »Neun­te Land« aus dem slo­we­ni­schen Mär­chen für ihn ei­ne kon­kre­te Uto­pie dar, und es zog ihn wie selbst­ver­ständ­lich nach Sü­den, über die Gren­ze, nach Slo­we­ni­en, das zu Ju­go­sla­wi­en ge­hör­te, ein po­li­ti­sches Ge­bil­de, für das Hand­kes Groß­va­ter bei der Kärnt­ner Ab­stim­mung 1920 op­tiert hat­te. Noch in dem In­ter­view, das Ul­rich Grei­ner un­längst für die ZEIT ge­führt hat, be­tont Hand­ke die­se slo­we­ni­sche Her­kunft: »Ich bin Ju­go­sla­we von mei­ner Mut­ter her und vom Bru­der mei­ner Mut­ter, der in Ma­ri­bor stu­diert hat­te«, und er er­in­nert an die Hal­tung des Groß­va­ters nach dem er­sten Welt­krieg, als das Kö­nig­reich Ju­go­sla­wi­en ge­grün­det wor­den war. Der Weg des jun­gen Filip Ko­bal im Ro­man Die Wie­der­ho­lung (1986), der ihn auf den Spu­ren sei­nes äl­te­ren Bru­ders (der On­kel in Hand­kes Bio­gra­phie) in den slo­we­ni­schen Karst und nach Ma­ri­bor führt, hat in­so­fern sinn­bild­li­che, sinn­stif­ten­de Be­deu­tung. Die ju­go­sla­wi­sche Tra­di­ti­on in der Fa­mi­lie Hand­ke bzw. Si­utz bzw. Sivec reicht al­so weit zu­rück, bis zu den An­fän­gen des in­zwi­schen ver­flos­se­nen Staa­ten­bun­des. Beim jun­gen Schrift­stel­ler Hand­ke ver­bin­det sie sich dann mit ei­ner en­er­gi­schen Kri­tik am Deutsch­tum der er­sten Jahr­hun­dert­hälf­te. Die Deut­schen hat­ten Ju­go­sla­wi­en er­obert, aus Sa­lo­ni­ki hat­ten sie quer durch den Bal­kan Ju­den nach Ausch­witz trans­por­tiert; Hand­kes Be­kennt­nis zu Ju­go­sla­wi­en, das in spä­te­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Tei­len des deut­schen und fran­zö­si­schen Jour­na­lis­mus in ei­nem Kampf wie von Da­vid ge­gen Go­li­ath auf ei­ne kaum zu mei­stern­de Pro­be ge­stellt wur­de, die­ses Be­kennt­nis ist zu­gleich Aus­druck sei­nes An­ti­fa­schis­mus. Als er 2006 zum Be­gräb­nis von Slo­bo­dan Mi­lo­se­vic ging und dort ei­ne kur­ze, zu­rück­hal­ten­de, de­zi­diert »schwa­che« Re­de hielt, war das für ihn we­ni­ger das Be­gräb­nis ei­ner Per­son als das ei­ner Ära, ei­ner Idee, ei­nes nun­mehr ver­flos­se­nen Ide­als. Aus­ge­hend von der Kriegs­er­fah­rung, die die Ab­leh­nung je­des Mi­li­ta­ris­mus und be­son­ders der Deut­schen Wehr­macht be­wirkt hat­te, die sei­nen idea­li­sier­ten, im Feld ge­fal­le­nen On­kel Gre­gor in den Krieg gewun­gen hat­te, ent­wickel­te er im Zug sei­ner klas­si­schen Wen­de das Kon­zept ei­ner Frie­dens­epik, die, auch wenn sich die Fi­gu­ren, oft­mals Rei­sen­de, weit von der deut­schen Ge­schich­te ent­fer­nen, an­ti­fa­schi­stisch grun­diert bleibt und so et­was wie ei­nen äs­the­ti­schen »Bal­kan« – mit al­len Am­bi­va­len­zen, die die­sem Wort durch die Ge­schich­te sei­nes Ge­brauchs an­haf­ten – zu er­rich­ten trach­te­te.

Die klei­ne Epo­pöe vom Ho­tel Ter­mi­nus ver­fährt im Prin­zip ge­nau so wie die gro­ßen Epen, je­ne »Mär­chen aus den neu­en Zei­ten« (Hand­ke ver­mei­det das Wort »Ro­man«) vom Jahr in der Nie­mands­bucht über die Mo­ra­wi­sche Nacht bis zur Obst­die­bin. Im hier an­ge­spro­che­nen Text wird das Ver­fah­ren im Ti­tel be­nannt: Ver­such des Ex­or­zis­mus der ei­nen Ge­schich­te durch ei­ne an­de­re. Die ei­ne Ge­schich­te, das ist die Hi­sto­rie, »l’Hi­stoire avec un grand h(ache)«, wie die Fran­zo­sen gern sa­gen. Die li­te­ra­ri­sche An­stren­gung setzt der ge­walt­tä­ti­gen Ge­schich­te ih­re äs­the­ti­sche Er­kennt­nis ent­ge­gen, die sich in der klei­nen, der all­täg­li­chen Ge­schich­te ab­spielt. Sie wen­det sich ge­gen die Hi­sto­rie und wen­det de­ren Ge­walt ab – so zu­min­dest die Hoff­nung des Au­tors und sei­ner ge­neig­ten Le­ser. In der Ho­tel-Ter­mi­nus-Epo­pöe schaut der Er­zäh­ler den We­gen der Ei­sen­bah­ner nach, er be­trach­tet »les chem­ins des che­mi­nots«, und die­ses Schau­en wirkt be­sänf­ti­gend, sen­si­bi­li­sie­rend, wäh­rend es zu­gleich die Hi­sto­rie wach­hält. In ge­wis­ser Wei­se ist es ein Weg­schau­en, ein Ab­wen­den des Blicks von den Fol­te­run­gen und De­por­ta­tio­nen und vom gro­ßen Mor­den, aber kein Ver­ges­sen, wie die Epo­pöe mit ih­rem letz­ten Satz be­tont: »Die Kin­der von Izieu schrien zum Him­mel, fast ein hal­bes Jahr­hun­dert nach ih­rem Ab­trans­port, jetzt erst recht.« Im Ge­schau­ten und Ge­schrie­be­nen – in der sonn­täg­li­chen Stil­le von Ly­on – blei­ben die Schreie der Op­fer hör­bar.

Hand­kes Lob der »an­ders­gel­ben Nu­del­ne­ster«, das 1996 ei­ni­ge Kul­tur­jour­na­li­sten aus­ge­forscht und ins Lä­cher­li­che ge­zo­gen ha­ben, als Hand­kes ju­go­sla­wi­sche Rei­se­be­rich­te er­schie­nen, wird in die­sem Licht nach­voll­zieh­bar, so­gar zwin­gend. Das ver­dop­pel­te und ver­stärk­te Ei­gen­schafts­wort ver­weist auf das, wor­um es dem Au­tor seit lan­gem geht: den Blick vom Kriegs­ge­sche­hen bzw. dem spät­ka­pi­ta­li­sti­schen Ge­tö­se ab­zu­wen­den und ihn dem fried­li­chen Trei­ben zu schen­ken. Die­ses Kunst­stück mag nicht im­mer ge­glückt sein, aber auch von li­te­ra­risch un­be­darf­ten Per­so­nen, zu de­nen die an­läß­lich der Li­te­ra­tur­no­bel­preis­ver­lei­hung sich em­pö­ren­den Po­li­tik­jour­na­li­sten ge­hö­ren, kann man ver­lan­gen, li­te­ra­tur­spe­zi­fi­sche Merk­ma­le die­ser Art we­nig­stens zur Kennt­nis zu neh­men. Ge­wiß, die Frie­dens­epik idea­li­siert; in­so­fern lä­ge sie in der von Al­fred No­bel in sei­nem Te­sta­ment ge­mein­ten »idea­len Rich­tung«, und Hand­ke wä­re ein »wür­di­ger« Preis­trä­ger. Die­se Epik ist aber nur das, was sie ist, und funk­tio­niert auch nur dann, wenn sie die Kriegs- und Ge­walt­er­fah­run­gen nicht ein­fach aus­blen­det, son­dern, sei es auch un­ter­grün­dig, prä­sent hält. Die­se Funk­ti­on er­fül­len zum Bei­spiel die Bom­ben­trich­ter, die Hand­ke über sein Ge­samt­werk ver­streut hat, von den Hor­nis­sen bis zur Obst­die­bin.

Die Epo­pöe von den Ei­sen­bah­nern en­det mit ei­ner bild­kräf­ti­gen Er­wäh­nung der Kin­der von Izieu. Die Re­de ist von je­nen 44 jü­di­schen Kin­dern, die Klaus Bar­bie 1944 aus ei­ner Fe­ri­en­ko­lo­nie nach Ausch­witz hat de­por­tie­ren las­sen; ei­ne Be­ge­ben­heit, die beim Lyo­ner Pro­zeß 1987 ei­ne zen­tra­le Rol­le spiel­te. »Die Kin­der von Izieu schrien zum Him­mel, fast ein hal­bes Jahr­hun­dert nach ih­rem Ab­trans­port, jetzt erst recht.« Hand­kes Frie­dens­epik ver­sucht an di­ver­sen Stel­len – im­mer wie­der und jetzt erst recht – im Auf­spü­ren von Schön­heit die Schrecken zu ver­ge­gen­wär­ti­gen. Ei­nen Satz wie den Schluß­satz der klei­nen Epo­pöe wird man in Hand­kes Schrif­ten und Rei­se­be­rich­ten aus der Zeit der Ju­go­sla­wi­en­krie­ge nicht fin­den, da­für aber vor­sich­ti­ge An­nä­he­run­gen, Zwei­fel und Selbst­zwei­fel, Hin­ter­fra­gun­gen der oft ideo­lo­gisch be­ding­ten und in pa­ro­len­haf­te Spra­che ge­gos­se­nen Ge­wiß­hei­ten, wie sie ein Groß­teil der Mas­sen­me­di­en und heu­te vor al­lem die »so­zia­len Me­di­en« ver­brei­ten. Mög­lich, daß er Sprach­kämp­fe und me­di­en­kri­ti­sche Im­pul­se nicht im­mer im ge­bo­te­nen Maß von sei­ner sich ab­wen­den­den, nach ge­schütz­ten Räu­men su­chen­den und dort viel­leicht die Ver­hält­nis­se um­wen­den­den Frie­dens­epik fern­zu­hal­ten wuß­te. Es be­steht aber auch, will man die bei­den Er­eig­nis­se bzw. Epo­chen ver­glei­chen, ein Un­ter­schied der zeit­li­chen Be­zug­nah­me, denn die Ju­go­sla­wi­en­krie­ge wa­ren, als Hand­ke schrieb, vor­gän­gig oder kaum erst be­en­det, wäh­rend das Halb­jahr­hun­dert, das seit dem Na­zi­ter­ror ver­gan­gen war, ei­nen aus­rei­chen­den Zwi­schen­raum bot, um sich ein Bild von der Hi­sto­rie zu ma­chen, das den ge­si­cher­ten Tat­sa­chen nicht wi­der­sprach.

Bei al­ler Be­wußt­heit der in der Ge­schich­te fort­wäh­ren­den Ge­walt faßt die äs­the­ti­sche Wen­de des Blicks aber vor al­lem die all­täg­li­chen Din­ge ins Au­ge, die oft­mals klei­nen Din­ge und Ver­hält­nis­se, im länd­li­chen eben­so wie im ur­ba­nen Raum, vor al­lem aber in den Zwi­schen- und Rand­ge­bie­ten der Nie­mands­bucht, der mo­ra­wi­schen En­kla­ve, wie auch im­mer die phan­ta­sier­ten Na­men lau­ten mö­gen. Die klei­nen Din­ge und Le­be­we­sen, aber auch die klei­nen Leu­te, zu de­nen Hand­ke selbst ge­hört: sei­ne Vor­fah­ren wa­ren Zim­me­rer und Bau­ern, so­ge­nann­te Klein­häus­ler. Daß sich Hand­ke aus die­sen fer­nen Ver­hält­nis­sen in ei­ner ent­le­ge­nen, teil­wei­se slo­we­nisch­spra­chi­gen Pro­vinz Öster­reichs mit sol­cher Ra­sanz ins Estab­lish­ment von Ver­la­gen wie Suhr­kamp und be­deu­ten­den Thea­tern auf­schwin­gen konn­te, muß im Rück­blick er­stau­nen, und daß ei­ner wie er, die­ser selbst­be­wuß­te, aber im­mer noch »klei­ne« Sprach­ge­ber ei­ner stum­men Welt, den No­bel­preis er­hält (was im­mer man von sol­chen Prei­sen hal­ten mag), ist nur ge­recht: ein wohl­tu­en­der An­blick, der Epo­pö­i­ker in der Rie­ge von Groß­schrift­stel­lern wie Grass oder Var­gas Llosa oder wei­land Tho­mas Mann. Wahr­schein­lich steht er im zeit­lo­sen Grup­pen­bild auf dem schwe­disch-uni­ver­sa­len Par­naß ne­ben sei­nem Freund Pa­trick Mo­dia­no, von dem er Ei­ne Ju­gend über­setzt hat. Bei­de stot­tern als Red­ner oft her­um, ehe sie das pas­sen­de Wort fin­den, und manch­mal fin­den sie es gar nicht. In ih­rer Li­te­ra­tur­spra­che ma­chen sie die Un­zu­läng­lich­kei­ten, die sie seit je­her ver­kör­pern, mehr als wett.

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Leo­pold Fe­der­mair, öster­rei­chi­scher Schrift­stel­ler in Hi­ro­shi­ma, zahl­rei­che Buch­ver­öf­fent­li­chun­gen, dar­un­ter »Die Ap­fel­bäu­me von Cha­ville. An­nä­he­run­gen an Pe­ter Hand­ke« (Ver­lag Jung und Jung, 2012) und zu­letzt »To­kyo Frag­men­te« (Ot­to Mül­ler, 2018) so­wie die Di­ver­ti­men­ti »Schön­heit und Schmerz« (Palm­Art­Press, 2019).

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© Leo­pold Fe­der­mair – Mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Au­tors. Der Es­say er­scheint in der ak­tu­el­len Aus­ga­be des Nach­rich­ten­ma­ga­zins »pro­fil«.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ei­ne frucht­ba­re Per­spek­ti­ve. Hab’s nur von fern ver­nom­men, aber es schien, die deut­sche Jour­nail­le hat an­läss­lich des No­bel­prei­ses er­neut auf das Ju­go­sla­wi­en-The­ma ein­ge­dro­schen. Reiz-Re­ak­ti­ons­sche­ma oder schon Neu­ro­se? Mit dem Au­tor oder des­sen Werk hat’s nicht viel ge­mein. Ich be­fürcht’, es reicht schon dass da ei­ner an­ders denkt oder schreibt, ein biss­chen aus­schert aus dem Kon­sens, ein klei­nes hin­ge­tupf­tes Fra­ge­zei­chen muss so­fort er­stickt wer­den in ei­nem Meer von Aus­ru­fe­zei­chen. Niederschrei(b)en je­den An­flug von künst­le­ri­scher Sen­si­bi­li­tät.

  2. Der Chef­re­dak­teur der Wie­ner Wo­chen­zei­tung Fal­ter hat es auf den Punkt ge­bracht: Der »Fall« Hand­ke zeigt, wie ei­nem mit­ge­spielt wird, der nicht mit­spielt. In Hand­kes Thea­ter­stuecken gibt es die Fi­gur des Spiel­ver­der­bes. Das will er nicht sein, im wirk­li­chen Le­ben, wird aber in die­se Rol­le ge­draengt.

    (Wenn ich noch ei­nen Hin­weis ge­ben darf: https://www.derstandard.at/story/2000111692189/der-schwarze-peterwas-uns-die-causa-handke-lehrt-oder-lehren)

  3. Ein schö­ner, ein­fühl­sa­mer, Er­kennt­nis stif­ten­der Es­say!

    Was Sie, Herr Fe­der­mair, im Stan­dard schrei­ben, deckt sich mit mei­nen Ein­drücken. Die Mo­ral, schrei­ben Sie, sie­ge über die Äs­the­tik. Ist das aber über­haupt noch Mo­ral? Ist mo­ra­li­sche Em­pö­rung über­haupt mo­ra­lisch?

  4. Ich glau­be, un­se­re Zeit wird durch­zo­gen von neu­en Wi­der­sprü­chen und Pa­ra­do­xa, oder auch von al­ten, aber neu aus­ge­form­ten, und die Auf­ga­be der In­tel­lek­tu­el­len, Schrift­stel­ler, Den­ker ist es, die­se zu ent­zif­fern. Ei­ner die­ser selt­sa­men Wi­der­sprü­che ist die Mo­ra­li­sie­rung (po­li­ti­sche Kor­rekt­heit, Re­ge­lung des Wort­ge­brauchs, kei­ne se­xu­ell kon­no­tier­ba­ren An­nä­he­run­gen mehr, neu­ar­ti­ge Dis­zi­pli­nie­rung durch Ar­beit­ge­ber, stän­di­ges Er­reich­bar­sein die­ser Ab­hän­gi­gen, dann auch Phä­no­me­ne wie Me#too und schließ­lich, daß Li­te­ra­tur mit mo­ra­li­schen Kri­te­ri­en be­mes­sen wird) – und, auf der an­de­ren Sei­te, Shits­torms, Ver­ro­hung der De­bat­ten, Haß ge­gen al­les mög­li­che, nicht nur Aus­län­der, über­bor­den­de Por­no­gra­phie durchs In­ter­net, Ent­wer­tung von Bil­dung, zu­letzt auch: von ernst­haf­ter Li­te­ra­tur (die man nicht ge­le­sen hat, wenn man in der Öf­fent­lich­keit über sie spricht). Das Schar­nier ist das, was ich gern als Bi­got­te­rie be­zeich­ne. Heu­che­lei, mit et­was ein­fa­che­rer Se­man­tik. Ich weiß nicht war­um, aber ich den­ke, Bi­got­te­rie trifft es ge­nau­er.

  5. Ich ha­be im Sep­tem­ber 2019 ge­mein­sam mit Va­len­tin Hau­ser den Fried­hof in Grif­fen be­sucht. Die Grä­ber der Hand­ke und Si­utz Fa­mi­lie lie­gen ne­ben­ein­an­der.

    Im Rah­men der Salz­bur­ger Fest­spie­le wird das noch un­ver­öf­fent­li­che Schau­spiel Zdeněk Ada­mec auf­ge­führt. Die Kar­ten da­zu wer­den von den Salz­bur­ger Fest­spie­len ver­lost, ich war­te noch auf ei­ne Nach­richt ob mein in No­vem­ber ge­tä­tig­ter Kauf er­folg­reich ge­we­sen ist.

  6. Dan­ke für den Hin­weis. Ich bin wie so oft nicht up to date. Scha­de, im Au­gust wä­re ich in Öster­reich.

  7. @Leopold Fe­der­mair
    Wenn wir Ro­bert Pfal­lers The­se von der aus­ge­fran­sten bzw. un­ab­ge­grenz­ten post­mo­der­nen Psy­che her- und als Nor­mal­zu­stand an­neh­men, dann kön­nen wir die­sen Wi­der­spruch auf­lö­sen: Mo­ra­li­siert wird des­halb all­über­all, weil das Mo­ra­li­sie­ren kla­re Gren­zen setzt, die Psy­che ein- und die­sen an­stren­gen­den Zu­stand be­grenzt, da­hin­ter steht ein un­be­wuss­tes Be­dürf­nis.