A.d.L.e.R: Aus dem Leben einer Rikschafahrerin – Nr. 14
Neulich, am Neptunbrunnen, unter schweren Wolken, steigt ein junger Mann bei mir ein. Er trägt frisch gewichste Schuhe, dunkelblaue Jeans und der blütenweiße Hemdkragen steht so lässig offen, wie ihm das Jacket von den schmalen Schultern fällt. Seine Haut ist wie frischer Rahm, die Augen wasserblau. Er möchte in die Staatsbibliothek Unter den Linden, wir fahren los. Sogleich tut er kund, dass er sich ganz bewusst für das umweltverträgliche Fahrradtaxi entschieden habe. Ich lobe ihn dafür. Er sagt, die Energiepolitik sei das Schwerpunktthema seines Engagements in der Jungen Union. Dann wirft er mit einer ruckartigen Kopfbewegung den Schopf aus der Stirn, holt Luft und setzt an zu einem Vortrag über sein Schwerpunktthema, den ich bequem auf meinem Fahrradsattel aussitze. Ich fahre fast kraftlos, der Jungunionist ist ein Fliegengewicht. Er hat einen Arm auf die Lehne und ein Bein halb auf die Sitzbank hochgelegt. Am Schiffsanleger schaue ich hinüber zur Kuppel der Neuen Synagoge. Ein paar Sonnenstrahlen lassen vor dem verdunkelten Himmel durch Wolkenlöcher hindurch ihr Gold ins geradezu Unwirkliche erglänzen. Während ich überlege, wie ich das Thema wechseln könnte, höre ich den Jungunionisten fragen: »Oder wollen Sie etwa so ein Windrad in Ihrem Vorgarten stehen haben?« – »Gott bewahre, nein, ein Atommüllendlager wäre mir viel lieber.« – »Das ist vernünftig. Atomare Strahlung können wir sicher abschirmen, aber welche gesundheitlichen Gefahren von Windrädern ausgehen, ist noch nicht einmal richtig erforscht.«
Ein paar Pedalumdrehungen später wendet sich das Rahmgesicht mir zu, sieht mich wasserblau an und offenbart sich mit einem doppelten schopfwerfenden Kopfrucken auch noch als kritischer Jungunionist. Die Einberufung der Ethikkommission sei es gewesen, die ihn wirklich empört habe. Denn wenn die Regierung es nötig habe, den sogenannten gesellschaftlichen Konsens in Stellung zu bringen, so sei das gegenüber den Energiekonzernen, von denen ja einer bereits gegen das Moratorium geklagt habe, so gut wie eine Kapitulationserklärung: »Machen wir uns nichts vor, das ist die blanke Führungsschwäche.« Wir fahren am Zeughaus vorbei. Vor uns, im Zentrum unseres Panoramas, sitzt Friedrich der Große auf dem hohen Ross. »Ja, die Führungsschwäche ist ein Problem«, antworte ich, »aber mal kurz was ganz anderes, kennen Sie eigentlich unser heiteres Zitate-Raten? Nein? Wissen Sie, wir bieten ja außer dem Taxi-Service, den Sie gerade in Anspruch nehmen, vor allem Stadtführungen an, und man begegnet in der Geschichte dieser Stadt vielen klugen Leuten, die Interessantes gesagt haben. Also, passen Sie auf: Wer wars, und welche Variante ist richtig?
»Das wertvollste Gut, das den Fürsten anvertraut ist, ist a) das Militär, b) der Thron, c) die Staatskasse.« Er muss gar nicht überlegen, er wirft nicht einmal den Schopf aus der Stirn: »Keine Ahnung wers war, auf jeden Fall Monarchie, also vor 1918, und logischerweise kann es nur die Thronvariante sein, sie bedingt die anderen.« Wir sind da, ich halte an und mache die Bremsen fest. »Vor 1918 ist richtig, die Thronvariante ist falsch. Ich habe Sie auf den Holzweg geschickt, keine der drei Varianten ist korrekt. Hier noch ein Suchtipp, falls Sie die richtige finden wollen: In derselben Quelle heißt es an anderer Stelle: ‘Es ist die Aufgabe der Regierung, das Volk glücklich zu machen.’ Vielen Dank, gerne, bitte, Tschüß, schönen Tag noch.«
So viel Selbstgefälligkeit hatte ich noch nicht in der Kutsche zu sitzen. Aber irgendwie scheinst Du ja die skurrilen Typen zu suchen.
na klar, sonst hätt ich ja hier nichts zu erzählen ;)
»Ich fahre fast kraftlos, der Jungunionist ist ein Fliegengewicht.«
viele Dank dafür
freut mich