A.d.L.e.R: Aus dem Leben einer Rikschafahrerin – Nr. 12
Mein Kollege ist auf eins, und ich bin auf zwei, als von hinten ein unauffällig gekleideter Mann herankommt und meinen Kollegen erst nach dem Weg fragt und dann, wie das so mit der Rikscha gehe. Mein Kollege erteilt Auskunft, legt ihm unsere Dienste zu Füßen, macht ein sehr gutes Angebot, roter Teppich, Silbertablett, alle Register. Aber irgendwie hat der Mann immer noch eine weitere Frage parat: »Was für eine Geschwindigkeit fahren Sie eigentlich so im Durchschnitt?« Dann interessiert er sich dafür, ob die Rikscha eine Gangschaltung habe und mit wie vielen Gängen? Mein Kollege muss sich dauernd wiederholen, der Mann will das meiste doppelt, manches dreifach erklärt haben. Die Antworten meines Kollegen werden immer kürzer. Ich denke: Diesen Dialog muss ich mir wortwörtlich auswendig merken, den setz ich mal in einer Geschichte ein, und dann werden alle glauben, ich hätte eine blühende Fantasie. Da zeigt der Mann mit dem nackten Finger auf mich, sieht meinen Kollegen herausfordernd an und ruft: »Aber das ist ja eine Frau!« Der Kollege nickt. »Ja aber kann die das denn?« Der Kollege schüttelt den Kopf: »Um Himmels Willen, wo denken Sie hin! Wenn die Kollegin jetzt eine Tour kriegt, dann fährt natürlich einer von uns und sie läuft nebenher.« – »Kommen Sie«, sage ich mit einer einladenden Geste zu meinem Fahrzeug hin, »steigen Sie ein, ich fahr Sie hier eine Runde um den Reichstag, dann können Sie das Ganze mal unverbindlich und kostenlos testen.« Der Mann kommt her, besieht sich meine Rikscha und will vor dem Einsteigen noch wissen, was es mit diesem Hebel am Lenker auf sich habe. Die Feststellbremse, Auflage des TÜV, TÜV-Bescheinigung erforderlich, der Mann steigt ein.
Bei mir sitzen die Gäste vorne, und diese Tour wird die Vorteile des sogenannten Vorder- oder Frontladers wieder einmal voll zur Geltung bringen. Ich fahre hart und schnell, wir holpern über die fürchterliche Pflasterung des Platzes der Republik, der Fahrgast muss sich an der Armlehne festhalten, weil es so ruckelt. »Sind Sie sich eigentlich im Klaren darüber«, frage ich, »wie feindselig und aggressiv langweilig, wie dumm, blödsinnig, niederträchtig und bösartig Ihre Vorstellungen von den Geschlechterrollen wirklich sind?« Und ich warne: »Täuschen Sie sich bloß nicht darüber hinweg, dass Sie hier das Falsche, das Schlechte und das Hässliche vertreten.« An der Nordseite des Reichstags ist glatteres Pflaster verlegt, das Ruckeln hört auf. Der Fahrgast sagt, er habe nichts gegen Frauen. Ich fahre schnurstracks die Rampe hinunter, die auf die geländerlose Uferpromenade führt. Das Gefälle macht Tempo, wir rasen im spitzen Winkel auf die Spree zu, ich lenke vom Wasser weg, nutze den Schwung und trete mit Schmackes in die Pedale. Die weißen Kreuze für die auf der Flucht ertrunkenen DDR-Bürger lasse ich hinter mir liegen. Zu denen darf es keine Verbindung geben, denn der Fahrgast ist nicht auf der Flucht. Kurz vor dem Abgeordnetenkindergarten fahre ich in einer schön ausholenden Kurve senkrecht aufs Wasser zu, bringe das Fahrzeug mit einer Vollbremsung unmittelbar an der Kante zum Stehen und lege noch während des Bremsens mit dem Daumen den Eject-Hebel um, von dem der Fahrgast glaubt, es sei die TÜV-geprüfte Feststellbremse. Und mit dem alten preußischen Schlachtruf: »Ins Wasser mit allen Feinden Brandenburgs!« wird die Sitzbank meiner Rikscha in einer ruckartigen Bewegung nach vorne und oben geschleudert und auf dem Höhepunkt ihrer Bahn wie eine Baggerschaufel ausgekippt. Pflatsch.
Wo kann man denn so eine Eject-Vorrichtung kaufen?
Wie man sieht, sind nicht alle Fahrzeuge mit einer Eject-Vorrichtung ausgestattet. Fahrgäste sollten sich vor Fahrtantritt über das Vorhandensein einer Eject-Vorrichtung vergewissern.
... und so einen eject-hebel will ich auch. für diverse situationen passen...
liebe grüße!
marion
Als Halter einer kleinen Armada von Liegerädern kenne ich sowohl die kuriosen (»Fällt man da nicht runter?«) als auch die bescheuerten Fragen (»Kann man das auch als Fahrrad benutzen?«), mit denen schlichtere Gemüter ihr beim Anblick ungewöhnlicher HPVs wankendes Weltbild wieder zu stabilisieren suchen. Für die gern gestellte und oft gehörte Frage nach der Zulassung meiner Velozipede habe ich mir mittlerweile eine durchschlagende Antwort zurechtgelegt, die ihre maulstopfende Wirkung noch nie verfehlt hat...