Wie Journalisten ein neues Amt erfinden, um den Fall eines Politikers zu dramatisieren
Es mag ja ein gewisser Genuß darin liegen, der Demontage Guido Westerwelles in Scheibchen beizuwohnen. Die Hauptstadtjournaille setzt dabei auf einen Dreisprung. Der Sturz als FDP-Vorsitzender seit gestern abgehakt. Über die Diskussion um die Fortführung des Außenministers haben die Medien nun einen Zwischenschritt eingefügt: Die Aufgabe des »Amtes« des Vizekanzlers.
»tagesschau.de« titelt soeben: »Westerwelle gibt auch Amt des Vizekanzlers auf.« Im weiteren Text ist dann zwar nur noch von dem »Posten des Vizekanzlers« die Rede, aber tagesschau.de ist nicht das einzige Medium, dass sich da ein neues Amt erfunden hat. Bei »»heute.de heißt es: »Westerwelle gibt auch Amt als Vize-Kanzler ab«. »Spiegel Online« titelt fast wortgleich (»Westerwelle gibt Amt des Vizekanzlers ab«). Übertroffen wird das noch von der »Berliner Morgenpost«, wo es heißt: »Westerwelle tritt auch als Vizekanzler zurück«. Die »Rheinische Post« spricht sogar von einem »Vizekanzleramt«. Dort weiß man mehr als alle anderen und titelt »Westerwelle macht Platz für Rösler«. Der schweizer »Tagesanzeiger« macht es auch nicht besser: »Westerwelle gibt auch Posten des Vizekanzlers ab«.
Man fragt sich, welche Kompetenz man solchen Hauptstadtjournalisten noch zuweisen soll. Ein Blick ins Grundgesetz hätte ihnen gezeigt, dass es (1.) kein Vizekanzleramt gibt und (2.) der Bundeskanzler einen Minister zu seinem (ihrem) Stellvertreter ernennt (GG Art. 69, Abs. 1). Westerwelle kann also nicht »zurücktreten«, sondern höchstens der Bundeskanzlerin einen Verzicht anzeigen – das melden auch einige Medien richtig. Und ein »Amt« ist es schon gar nicht, sondern höchstens eine Funktion. Leute, die nicht einmal diese simplen Tatsachen darstellen können oder einfach nur einer hysterisierten Überspitzung hinterherhecheln – was soll man von diesen Journalisten halten, wenn es um komplexe Themen geht?
Genau das habe ich mir heute Vormittag auch gedacht (bei Spiegel-Online). Ich gehe schon davon aus, daß die zuständigen Journalisten zumindest in der Mehrheit wissen, was es mit dem »Amt« des Vizekanzlers auf sich hat. Aber ob das ein Trost ist? Eher nicht, denn Nachrichten werden »sensationalisiert«, ruhig erklärt und eingeordnet wird, wenn überhaupt weiter hinten im Artikel. Hauptsache man findet nochmal eine Keule, mit der man den Guido dreschen kann.
Das ist keine Berichterstattung – das ist die Dramatisierung (und damit absichtsvolle Fiktionalisierung) von Politik.
Wenn sie es wüßten, wär’s ja tatsächlich noch schlimmer. ich befürchte, sie wissen es nicht und/oder sind zu faul, es nachzuschlagen. Für eine Schlagzeile verkaufen die vermutlich wirklich die sprichwörtliche Großmutter. Viele sind ja in typischem FDP-designierten-Parteivorsitzenden-Alter. Oh’ Graus...
Ja, das ist wohl eine Dramatisierung, auf die man denn auch ein wenig anspringt, wie ich zugeben muss. Allerdings kann ich dankenswerter Weise bei der Arbeit Radio hören. Der Deutschlandfunk verarbeitet Nachrichten so lange, bis man ein einigermaßen rundes Bild von der Sache hat. Dabei wiesen sie schon mit der ersten Nachricht über Westerwelles Rückzug als Kanzlerinnenvertreter darauf hin, dass dieses Amt keines sei.
Ich muss sagen, dass mich die Dramatisierung auch zunehmend ärgert. Kann es sein, dass den Medien die Schnelligkeit des Netzes nicht bekommt? Anstatt sich auf eine angemessene Zeit der Recherche ein zu lassen, stellt sich dort der beschleunigte Empörungsreflex des Netzes ein.
auch Zippert zappt:
Die Schnelligkeit des Netzes bekommt den Medien dahingehend nicht, weil sie glauben, sich anbiedern zu müssen und Schnelligkeit mit Qualität verwechseln. Es gilt, die Aufmerksamkeit des Benutzers um jeden Preis zu erringen – ob die Nachricht nachher stimmt, halbgar ist oder gar komplett falsch, spielt immer weniger eine Rolle.
Besonders gelungen: Als Vizekanzler war Westerwelle berechtigt, in Flugzeugen und auf Almhütten Ehen zu schließen und Schriftstücke zu beglaubigen.
Leider hat das Internet eine neue Fasson der medialen Berichterstattung hervorgebracht, eine Art Vuvuzela-Journalismus: einer trompetet drauflos, und reflexartig stimmen alle übrigen in der gleichen Tonart ein. Und blasen alle auf dem gleichen Loch. Konzertierte Verlautbarungsmonotonie verdrängt Informativen Journalismus.
»Vuvuzela-Journalismus« finde ich sehr schön: Man bekommt ständig dieses Summen vorgesetzt, welches etwas Besonderes und Sensationelles zum Ausdruck bringen soll. Dabei machen es sich die Journalisten sehr leicht. Im Fall des FDP-Vorsitzenden konnte man das wieder sehr schön sehen. Westerwelle sagte am Sonntag, dass er nicht mehr als Vorsitzender antreten werde. Am Montag vertagte man sich bei der FDP. Prompt hieß es von den Medien: ‘Die FDP reagiert zu langsam; sie bekommt die Nachfiolgefrage nicht in den Griff.’ Hätte man Am Montag bereits einen designierten Nachfolger präsentiert, hätte es gehißen: ‘Das ist schon von langer Hand vorbereitet...’
So ist es!
Ich muss meinen Kindern, die langsam beginnen der Welt zu folgen, immer wieder sagen, dass manche Dinge bedacht werden müssen, bevor sie gesagt werden können, Prozesse keine Ereignisse sind, etc. Meine Sohn, gerade mal 11 Jahre empört sich am laufenden Band über die Politik in den Nachrichten und die Nachrichten selbst. Gut – ich tue das auch. Aber hier muss ich nun immer wieder zurück rudern und ihm erklären, was uns die Informationsmedien zu erklären hätten: Zusammenhänge, Hintergründe, Absichten, Notwendigkeiten. Kann man natürlich nicht Twittern. Muss man vermitteln. Ent-Schlagworten sozusagen.
Mal sehen wie weit Erziehung greifen kann. Ich fürchte er leidet an einer aktuellen genetischen Deformation: Mein Sohn ist ein Wutbürger!
Das süße Gift, welches der politische (Fernseh-)Journalismus immer mehr verbreitetet: »Wir fassen für Sie, den Bürger, nach.« In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Sie verschlagworten und hysterisieren Sachverhalte, die eigentlich ganz normal ablaufen. Damit machen sie sich zu Akteuren und verlassen ihre Beobachterrolle. Sie erzeugen einen Handlungsdruck, der dann, wenn er falsch ausgeübt wird, prompt als Aktionismus ausgelegt wird. Die Situation ist komfortabel: Man stellt einfach das, was nicht geschehen ist, als Ideal dar.
Als sehr gutes Beispiel zeigt sich das bei der Atomwende der Kanzlerin. Ihr wurde ein »Schlingerkurs« vorgeworfen und Wahlkampftaktieren unterstellt. Aber was hätten die Journalisten geschrieben, wenn Merkel gesagt hätte: »Wir, die Regierung, ändern nichts. Die deutschen AKW sind sicher und basta!« – Es hätte einen Sturm der Entrüstung ob dieses Starrsinns in Anbetracht der neuen Risikolage gegeben!
Ich vertrete seit geraumer Zeit die These, dass der flottierende Politikstil der Regierungen der letzten Jahre (das begann schon bei Schröder) direkt ein Produkt der medialen Behandlung ist. Ich bin weit entfernt, für Politiker so etwas wie Mitleid zu empfinden, aber wenn Entscheidungen immer wieder mit auch nur angenommenen Schwächen und Fehlern oder Manövern assoziiert werden, vergeht einem irgendwann die Lust. In dem Politiker glauben, Medien über enstprechende Auftritte steuern zu können, unterliegen sie einem Irrtum. Bei zu Guttenberg konnte man den medialen Opportunismus deutlich erkennen: Die, die ihn noch vor wenigen Monaten feierten, verdammten ihn nun. Dieser ganze Politzirkus bekommt immer Züge des Fußball-Bundesliga-Theaters: Auch dort wechseln die Trainer, die einst als Erlöser angesehen wurden, nach kurzer Zeit und wegen zwei, drei verlorener Spiele nicht nur den Verein, sondern werden hinweggejagt wie weiland Aussätze aus den Städten.
So wird man zum Wutbürger und zum Wutmedienkonsumenten.
Ganz absurd klang es am Sonntag im „Presseclub“. Mehrfach wurde vom „Amt des Vizekanzlers“ geredet im Zusammenhang mit Westerwelles Rücktritt, bis dann jemand einwarf, wer, weiß ich nicht mehr, dass es dieses „Amt“ ja eigentlich nicht gäbe. Lachende Zustimmung bei allen Diskutanten, aber wenige Minuten später trat Westerwelle schon wieder von diesem “Amt“ zurück.