Die Frage nach der Wahrheit kennzeichnet die Wissenschaft, die nach der Richtigkeit die Politik. Eine neue Steuergesetzgebung ist ebenso wenig wahr, wie Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit. Sie sind Vorhaben oder Ergebnis bestimmter Organisationsformen menschlicher Gemeinschaft und durch diese begründet. Ohne diese, wären sie nicht und sie könnten in diesen auch anders sein. Sie erfüllen ihren Sinn und Zweck, sind einem Ziel oder einer Sache angemessen, zutreffend, richtig eben. Und natürlich auch moralisch wie rechtlich zu bewerten und in praktischer Hinsicht folgenreich. Naturgesetzlichkeit ist der Politik fremd und wer diese in sie hineinträgt, beginnt ein autoritäres Spiel. Das bedeutet nicht, dass die Politik sich nicht um die Ergebnisse der Wissenschaft zu kümmern hätte, aber sehr wohl, dass erstere die Verantwortung trägt, Abwägungen und Entscheidungen trifft, nicht letztere. Die mediale Überpräsenz von Wissenschaftlern in einer Krise ist ein Zeichen für die Entscheidungsschwäche der Politik. Die Aufgabe der Politik aber ist es, zu führen, zu formulieren wie wir ein Problem lösen wollen und ihre diesbezüglichen Versprechen auf die nahe oder ferne Zukunft hin, werden gewiss plausibler, wenn Erkanntes in deren Bedingungen und damit: die ihres Handelns, eingeht.
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Die Wahrheit gebietet nicht, sie ist zu suchen, ist liebenswert, aber sie übt keinen Zwang aus. Der Zwang im Namen der Wahrheit ist ein Missverständnis im besten und eine Tyrannei im schlechtesten Fall. — Sie kann, im Übrigen, auch nicht verordnet werden.
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In der Krise sind Führungskräfte von Nöten, die tragen und verantworten, was Entscheidungen in ihr zu tragen und zu verantworten, erforderlich machen. Krisen sind unausweichlich darin, dass sie selbige sind. Aber nicht alles was eine Krise genannt wird, ist auch eine. Rechtseinschränkungen hingegen, bleiben was sie sind, in der tatsächlichen wie in der eingebildeten Krise.
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Die Uneinschätzbarkeit und Allgegenwart des Gegners treibt zum Äußersten. Aber warum? Weil der eigene Anspruch eine Kriegserklärung ist? Wie also lautet der politische Anspruch?
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Kann die politische Vernunft auf Wissen und Nichtwissen bauen? Und welches begründet welche Entscheidung? Oder trifft sie am Ende die Psyche? Jedenfalls lässt eine Orientierung am Unsicheren den Verstand verzweifeln.
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Entschlossenheit sollte nicht mit Alternativlosigkeit verwechselt werden.
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Entschlossenheit kann auch bedeuten, das Notwendige oder Hinreichende, zu tun.
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Die Auswirkungen der medialen Zustände fließen unwillkürlich in das politische Handeln und Entscheiden mit ein. Darauf muss sich die Kritik richten.
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Autorität offenbart sich im Wie der Sprache, sie kann schmeicheln, in Aussicht stellen, drohen, an der Stange halten und sogar flüstern; zur Kritik gehört daher ein feines Gehör, das ist ihre ästhetische Dimension, aber auch ein Gespür für den Gebrauch der Begriffe und den Umgang mit Zahlen. Worüber sprechen wir? Wie sehen dessen Dimensionen aus? Worauf beziehen wir uns? Halten wir auseinander, was auseinanderzuhalten ist? Können wir hier und dort unterscheiden? Werden Standards verletzt? Wird beschönigt und umbenannt? Ist wichtiger wer spricht oder sind es dessen Argumente?
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Eine politische Vernunft, die den Versprechenscharakter des Politischen auszulöschen versucht, indem sie sich wissenschaftlich immunisiert, delegitimiert den öffentlichen Diskurs und die Kritik.
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Mir kommt das Wort »Linientreue« in den Sinn. Ich kann mich nicht erinnern, es jemals benutzt zu haben.
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Die dienende Rolle der Ökonomie könnte durch den Ausnahmezustand wieder begreifbar werden, weil ihr Fehlen den Dienst offenbart, den sie leistet und die Tändeleien, die sie auch leistet, niemandem abgehen. Allerdings: Letzteres ist nicht gewiss.
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Darüber hinaus könnte, sogar in einer eingebildeten Krise, das Gemeinwohl und das Eintreten dafür in einer erneuerten Bedeutsamkeit erscheinen. Mag man das beklagen?
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Die öffentliche Kritik an politischen Maßnahmen wird entscheidend von jenen getragen, die sich zurückhalten und die entsprechenden Zusammenhänge zu verstehen versuchen. Der mediale Raum gehört zunächst einmal den Hysterikern, das ist nicht zu ändern. Genauso wenig ist, gottseidank, zu ändern, dass sich gerade in einer anhaltenden Hysterie die vernünftigen Stimmen über die Zeit gesehen, mehren. Die Hysterie bringt sie auf, nötigt sie. Man kann nicht sagen, dass die Vernunft sich durchsetzen wird, aber sie wird hörbarer und das bedeutet hörbarer für diejenigen, die sie zu suchen bereit sind.
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Kritik, das muss man sich vor Augen halten, ist kein Vermögen, das man einfach einsetzt oder besitzt, psychische wie emotionale Zustände entfesseln oder hemmen es. Der Kritiker sollte sich auch mit ihnen und das bedeutet: mit sich selbst, auseinandersetzen.
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Unsere Intuition ruht auf dem Wie der Erscheinungen, dem Ton mit dem wir jemanden sprechen hören, auf Gesten, Gestalten, Farben, Spannungen und Schattierungen: Sie kann sich keine Gründe für ihr Handeln geben, ist sinnlich bedingt und wird dem Denken begreifbar erst im Nachhinein. Nähe ist ihre notwendige Bedingung.
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Auf Intuition als Ausgangspunkt seiner Kritik, sollte – oder kann – ein Kritiker nicht verzichten.
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Zum Anspruch den Bürger zu schützen, kommt auch noch der Anspruch diese vor einander zu schützen. Der Staat ist nicht bloß Lebensschützer, er hegt und pflegt wie ein Gärtner: Auf dass der Mensch wachse, gedeihe und vergehe! Ein Optimum an Schutz und Sicherheit bedingen Überwachung und führen zur Beherrschung. In anderen Worten: An der Naturnähe des Gartens, erweist sich die Zurückhaltung der politischen Vernunft.
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Die mediale Überpräsenz von Wissenschaftlern in einer Krise ist ein Zeichen für die Entscheidungsschwäche der Politik. Die Aufgabe der Politik aber ist es, zu führen, zu formulieren wie wir ein Problem lösen wollen...
Politiker sind im Grunde Verwaltungsbeamte, die ihre politischen Ideale in Gesetzesform überführen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass dies im luftleeren Raum geschieht. Gute Politik zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass sie vorher Expertise heranholt. Schlechte Politik, die man auch Lobbyismus nennt, übernimmt die Expertise ungeprüft. Letzteres findet sich en masse in der »Gesetzgebung« bspw. der EU. Aber nicht nur dort.
In der Regel finden Gesetzgebungsverfahren kaum eine interessierte Öffentlichkeit. Das ändert sich, wenn die Konsequenzen aus den Gesetzen eine möglichst breite Gruppe von Menschen treffen. Wenn sie, wie im vorliegenden Fall (den Du geschickt umschiffst und versuchst, ins Allgemeine zu wenden), alle Menschen treffen – wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise -, mehren sich die skeptischen Töne, die vor einer Expertokratie warnen.
Das »Führen« einer Regierung kann in bestimmten Fällen auf Expertisen angewiesen sein. Wenn, wie in Australien Anfang des Jahres, große Waldbrände wüten, wird man die entscheidenden Maßnahmen wohl kaum in politische Prozesse einbinden wollen. Die Crux ist, dass am die Politik immer die Verantwortung trägt, auch wenn sie sich kaum bewusst war, was sie gemacht hat. Ich prognostiziere schon jetzt, dass, sollte die Pandemie in D und A einen milden Verlauf nehmen, die Kritiker der Maßnahmen sofort aufstehen und den Ruin der Wirtschaft beklagen werden.
Alles Wortgeklingel bspw. vom Staat als Gärtner helfen nicht, wenn in einem konkreten Fall gehandelt werden muss. Im übrigen: Gärtner sind oft unerbittlich. Ein umfassender Befall ihrer Nutzbäume verlangt von ihnen bisweilen radikale Maßnahmen. Und Schrebergärtner sind, was den Einsatz von Herbiziden und Fungiziden angeht, auch meist recht großzügig.
Ich kann da gar nicht widersprechen: Die Politik soll sich ja auf Expertise stützen, aber nicht Maßnahmen oder Gesetze durch diese legitimieren. So wie Du schreibst, wenn da ein Ideal ist, dann wird sich dieses auch auf die Formulierung oder die Absicht eines Gesetzes oder einer Maßnahme auswirken.
Ein Gärtner ist schon viel früher unerbittlich: Er jätet, mäht, bindet, schneidet, richtet aus, lichtet...wenn man durch Gartenanlagen geht, kann man die Psyche der Menschen studieren, es gibt welche die künstlich wirken, gemacht oder kitschige, sozusagen falsche, andere sind Monokulturen, in den außer Gras nichts wächst (ich frage mich dann immer mit welcher Unerbitterlichkeit da alles was sonst hoch kommt, verfolgt und bekämpft werden muss); dann gibt es Gärten in denen alles Lebendige beinahe verschwunden ist, der Großteil der Fläche ist zugepflastert oder mit Kies zugeschüttet, dann gibt es gepflegte, kultivierte Gärten und zuletzt welche, die eine beinahe unheimliche Lebendigkeit in sich tragen, etwas urwüchsiges, die Pflanzen quellen hervor, im Überschuss, es gibt Verwachsungen und Ungelenkiges, sie sind aber (noch) nicht verwahrlost, noch keine Natur, aber ihr eben nahe.
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