Der Wil­le zum Nicht­wis­sen, Post­skrip­tum

Vor zwei Jah­ren ha­be ich in die­sem Blog un­ter dem Ti­tel Der Wil­le zum Nicht­wis­sen An­mer­kun­gen zu ei­ner Rei­he von mehr oder we­ni­ger be­rühm­ten Sät­zen zum The­ma »Wahr­heit«, oder zu­min­dest in Zu­sam­men­hang mit die­sem Be­griff, ver­öf­fent­licht. Es liegt auf der Hand, daß sich die­se Rei­he fort­set­zen lie­ße, sie ist wohl un­ab­schließ­bar, die Will­kür setzt ei­nen Schluß­punkt. Trotz­dem, si­cher auch be­dingt durch ei­ni­ge Ein­wän­de ge­gen das von mir Vor­ge­brach­te, die ich dort und da las oder hör­te, ha­be ich mich wei­ter da­mit aus­ein­an­der­ge­setzt. Be­son­ders die oft ver­gnüg­li­che, vom »epi­ste­mi­schen« Stand­punkt na­tür­lich nicht im­mer be­frie­di­gen­de Lek­tü­re von Bü­chern Ri­chard Ror­tys hat mich da­zu be­wo­gen, der Se­rie noch ein Stück hin­zu­zu­fü­gen.

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Truth is what one’s peers, ce­te­ris pa­ri­bus, let one get away wi­th say­ing.

Ich zi­tie­re Ri­chard Ror­ty hier auf eng­lisch, weil ich mit der deut­schen Über­set­zung die­ses Sat­zes in sei­nem Buch Der Spie­gel der Na­tur mei­ne Schwie­rig­kei­ten ha­be. Wie so oft ist ei­ne wich­ti­ge Äu­ße­rung Ror­tys in Dis­kus­si­on und Kri­tik, d. h. in ein ver­wickel­tes Hin und Her ver­packt. In­di­rekt ver­steht man im dort ge­ge­be­nen Kon­text, daß Ror­ty die Auf­fas­sung ver­tritt, Wahr­heit sei nicht mehr als »ge­recht­fer­tig­te Be­haupt­bar­keit« (ein Aus­druck, den er von John Dew­ey über­nimmt). Der Satz in Der Spie­gel der Na­tur lau­tet so: »Wahr­heit ist nicht mehr als der Um­stand, daß un­se­re Mit­men­schen ei­ne Aus­sa­ge – ce­te­ris pa­ri­bus – gel­ten las­sen wer­den.« Ich wür­de ihn lie­ber so über­set­zen, auch auf die Ge­fahr hin, daß ich den sprach­li­chen Aus­druck da­bei ver­bes­se­re: »Wahr sind sol­che Aus­sa­gen, die dei­ne Ge­sprächs­part­ner als wahr gel­ten las­sen.« Peers sind na­tür­lich die Fach­kol­le­gen, aber da Ror­ty in die­sem Buch und auch sonst gro­ßen Wert auf das nicht ab­rei­ßen­de Ge­spräch un­ter ver­nünf­ti­gen, gleich­be­rech­tig­ten Ge­sprächs­part­ner legt und sei­ne Aus­sa­gen ge­wöhn­lich nicht nur auf den aka­de­mi­schen Kon­text be­schränkt wis­sen will, scheint mir die­ses Wort für die Über­set­zung bes­ser zu pas­sen. Ver­stün­de man un­ter »peers« al­le Mit­men­schen oder die Mit­bür­ger ei­nes Lan­des, so wä­re Wahr­heit in je­dem ein­zel­nen Fall das Er­geb­nis ei­nes Ple­bis­zits, oder heut­zu­ta­ge: ei­ner di­gi­ta­len Er­mitt­lung, sie wür­de durch ein Ran­king ge­kürt. Wahr ist, was po­pu­lär ist.

Was Ror­ty mit dem Ein­schub »ce­te­ris pa­ri­bus« meint, weiß ich al­ler­dings nicht ge­nau. Ei­ne Va­ria­ble un­ter In­va­ria­blen, ver­mut­lich soll da­mit ge­sagt sein, daß die Ge­sprächs­part­ner, ob­wohl sie ei­ne Mei­nung tei­len, die vor­ge­brach­te, even­tu­ell ab­wei­chen­de Mei­nung to­le­rie­ren und zu­min­dest für in­ter­es­sant be­fin­den. Sie las­sen sie gel­ten, und das ge­nügt Ror­ty, um sie als »wahr« zu be­zeich­nen. Ähn­lich hat­te sich üb­ri­gens Hen­ry Ja­mes ge­äu­ßert, auf den sich Ror­ty häu­fig be­zieht, um sei­nen ei­ge­nen skep­ti­schen Prag­ma­tis­mus zu ent­wickeln.

In ei­ner sol­chen Kon­zep­ti­on er­hält die Dar­stel­lung der wah­ren Sät­ze, ge­wis­ser­ma­ßen ihr Framing, um ein Mo­de­wort zu ge­brau­chen, gro­ße Be­deu­tung. Es kommt dar­auf an, sei­ne ei­ge­ne Stim­me und – mög­li­cher­wei­se ab­wei­chen­de oder neue – Sicht der Din­ge durch­zu­set­zen, nicht un­be­dingt laut­stark, denn Ror­ty zieht die ver­nünf­ti­ge, freie, fein­sin­ni­ge, re­spekt­vol­le Dis­kus­si­on grob­schläch­ti­ger Pro­pa­gan­da vor, aber fra­gen muß man sich doch, ob sich un­ter sol­chen Be­din­gun­gen nicht ein­fach der Stär­ke­re oder Ge­wief­te­re durch­set­zen wird. Ror­ty ver­wirft sämt­li­che Kor­re­spon­denz­theo­rien der Wahr­heit, und letzt­lich ten­diert er da­zu, auf die­sen Be­griff über­haupt ver­zich­ten zu wol­len – wo­bei Wahr­heit für ihn nicht nur theo­re­ti­sche, son­dern auch Tat­sa­chen­wahr­heit um­faßt, al­so die An­nah­me, daß es Ge­ge­ben­hei­ten »dort drau­ßen« gibt, die wir nicht aus­schließ­lich nach un­se­rer Will­kür wahr­neh­men, son­dern auf­grund be­stimm­ter all­ge­mein­mensch­li­cher, zu­min­dest trans­hi­sto­ri­scher, al­so lang­zei­tig wirk­sa­mer, an­ge­bo­re­ner und durch Er­zie­hung ent­fal­te­ter Fä­hig­kei­ten. Wenn es kei­ne Mög­lich­keit gibt, sich über die Tat­säch­lich­keit ei­ner Tat­sa­che un­ab­hän­gig von den Be­wer­tun­gen, die ihr ver­schie­de­ne Sei­ten an­ge­dei­hen las­sen, zu ei­ni­gen bzw. zu ent­schei­den, wes­sen Dar­stel­lung der Tat­sa­che eher ent­spricht (z. B. bei Zeu­gen­aus­sa­gen vor Ge­richt), dann wird auch das freie­ste und fein­sin­nig­ste Ge­spräch voll­kom­men be­lie­big, ei­ne schön­gei­sti­ge Übung oh­ne hand­fe­ste Wir­kun­gen in der Pra­xis. Tat­säch­lich ver­lau­fen Dis­kus­sio­nen oh­ne­hin meist so, daß auf Tat­sa­chen ver­wie­sen und Grün­de an­ge­führt, Er­klä­run­gen bzw. Theo­rien an­ge­bo­ten wer­den. Oh­ne jeg­li­che Kor­re­spon­denz mit der Wirk­lich­keit, mit »dem, was da drau­ßen ist« (in Ror­tys Dik­ti­on), so un­si­cher und um­strit­ten sie auch sein mag, wird lang­fri­stig ge­se­hen auch die Kon­ver­sa­ti­on un­mög­lich, an der Ror­ty so viel lag (er ist 2007 ver­stor­ben).

Ei­ni­ge sei­ner peers ha­ben sich un­ter dem Ein­druck von Brexit, Do­nald Trump und po­li­ti­schen Ma­ni­pu­la­tio­nen durch So­cial Me­dia ge­fragt, ob Ror­ty mit sei­nem Re­la­ti­vis­mus sol­chen Be­we­gun­gen, die sich ge­wis­ser Me­tho­den der Wer­bung be­die­nen und be­wuß­te Falsch­dar­stel­lun­gen nüt­zen oder zu­min­dest to­le­rie­ren, nicht vor­ge­ar­bei­tet ha­be. Kurz, daß sich in sei­nem über aka­de­mi­sche Krei­se hin­aus ein­fluß­rei­chen Den­ken das so­ge­nann­te post­fak­ti­sche Zeit­al­ter, die post-truth-era, an­ge­kün­digt ha­be. Ror­ty selbst mach­te sich Sor­gen über Be­dro­hun­gen des frei­en Dis­kur­ses, die er her­auf­kom­men sah, über das Schwin­den von Frei­heit, wie wir es pa­ra­do­xer­wei­se heu­te er­le­ben. Nach der Wahl Do­nald Trumps zum US-Prä­si­den­ten im Jahr 2016, hin­ter der sich ei­ne tief­grei­fen­de, vor al­lem kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gisch be­ding­te Trans­for­ma­ti­on von Po­li­tik jen­seits her­kömm­li­cher Ein­tei­lun­gen (links-rechts, re­pu­bli­ka­nisch-de­mo­kra­tisch…) ver­birgt, wur­de nicht nur die Pop­grup­pe R. E. M. oft­mals zi­tiert (»it’s the end of the world…«), son­dern auch, et­was we­ni­ger oft, je­ne War­nung, die Ror­ty 1998 aus­sprach. In sei­nem Buch Achie­ving Our Coun­try be­schrieb er ziem­lich ge­nau, was in den näch­sten Jah­ren vor sich ge­hen und sich 2016 voll­enden soll­te. Scha­ren von Ar­bei­tern, schrieb er, wür­den sich ge­gen­über den Bes­ser­ge­stell­ten be­nach­tei­ligt se­hen, die Mit­tel­klas­se ih­rer­seits von Ab­stiegs­äng­sten er­faßt. Durch die De­mo­kra­ti­sche Par­tei se­hen sie sich nicht ver­tre­ten, weil die­se mit­samt ih­ren Ex­per­ten und Rechts­an­wäl­ten, Bü­ro­kra­ten und »post­mo­der­nen Pro­fes­so­ren« (Ror­ty nahm sich selbst mit ins Bild) sich um al­le mög­li­chen Min­der­hei­ten küm­mern, nur nicht um das Gros der Wäh­ler, d. h. um je­ne Leu­te und ih­re Fa­mi­li­en, die nach tra­di­tio­nel­lem Ver­ständ­nis das Land in Schwung hal­ten (oder zu­min­dest bis vor kur­zem hiel­ten). »At that point so­me­thing will crack«: sie wer­den sich hin­ter ei­nen star­ken Mann stel­len, die Min­der­hei­ten wer­den ih­ren Schutz ein­bü­ßen, Frau­en­feind­lich­keit und Ras­sis­mus wer­den wie­der sa­lon­fä­hig.

Ge­wiß wünsch­te Ror­ty, die­se Ent­wick­lung kön­ne doch noch ver­mie­den wer­den. Daß ge­nau sei­ne »post­mo­der­ne« Art, Dis­kur­se nur noch »span­nend« und »in­ter­es­sant« zu fin­den, aber kei­nes­falls rich­tig oder falsch, zu­tref­fend oder nicht, sich in den so­ge­nann­ten So­zia­len Me­di­en fest­set­zen und ei­gent­lich in­dis­ku­ta­ble In­hal­te (»con­tents«) wie Falsch­mel­dun­gen und Ver­schwö­rungs­theo­rien vi­ral ver­stär­ken wür­de, lag au­ßer­halb des Be­reichs sei­ner Ah­nun­gen. Wür­de er Er­fah­rungs­tat­sa­chen und der Su­che nach Wahr­heit heu­te doch wie­der ei­nen hö­he­ren Stel­len­wert ein­räu­men? Schwer zu sa­gen. Ver­zwei­feln darf ein Iro­ni­ker, der wie Ul­rich im Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten Hy­po­the­sen im­mer nur aus­pro­biert, sich im rea­len Le­ben aber un­gern für ei­ne ent­schei­det – ver­zwei­feln darf ein sol­cher Ty­pus nicht.

© Leo­pold Fe­der­mair

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  1. Un­ter ce­te­ris pa­ri­bus wür­de ich Um­stän­de ver­ste­hen wol­len, die die Glaub­wür­dig­keit oder das Ernst­ge­nom­men­wer­den be­ein­träch­ti­gen kön­nen. Wenn die Aus­sa­gen münd­lich vor­ge­tra­gen wer­den, hie­ße es et­wa, dass der Aus­sa­gen­de im­mer gleich aus­ge­ruht, gleich an­spre­chend ge­klei­det, ra­siert usw. er­schei­nen soll­te, da­mit aus Ak­zep­tanz auf an­ders un­er­kenn­ba­re Wahr­heit ge­schlos­sen wer­den kann, oh­ne dass gute/schlechte Per­for­manz oder Ta­ges­form den Rei­hen­test ver­zerrt.

  2. Ror­ty hat ge­wiss ge­ahnt, dass sein sanf­ter Li­be­ra­lis­mus kei­ne Epo­che be­schreibt, son­dern nur ein Rand­ide­al in ge­mä­ßig­ten Zei­ten dar­stellt. Er irrt sich je­den­falls nicht dar­in, dass der Li­be­ra­lis­mus mal ge­mäch­lich da­her­kommt, mal kämp­fe­risch auf­tre­ten muss, je nach­dem was die an­de­ren bei­den Fun­da­men­tal­kräf­te (Kon­ser­va­tis­mus, »So­zia­lis­mus«) so trei­ben.
    Das Wahr­heits­mo­dell der ge­recht­fer­tig­ten Be­haup­tung er­scheint zu­nächst un­ter­kom­plex, bzw. nur ein­ge­schränkt gül­tig. Die da­ma­li­ge Eng­füh­rung von Po­li­ti­scher Phi­lo­so­phie und Er­kennt­nis­theo­rie wür­de man ja ins­be­son­de­re heu­te wie­der ge­nau­er auf­schlüs­seln. Aber der Prag­ma­tis­mus kann das lei­sten, wenn man die Dis­kur­se des Wis­sens, der ge­teil­ten Er­fah­rung und der po­li­ti­schen Mei­nung un­ter­schei­det.

    Die Vor­her­sa­ge in »Achie­ving your Coun­try« ist be­mer­kens­wert. Ror­ty hat die Re­gres­si­on der Lin­ken be­ob­ach­tet, und pro­gno­sti­ziert die re­ak­tio­nä­re Ant­wort nach so­zio­lo­gi­schen Kri­te­ri­en. Aber die Dys­funk­tio­na­li­tät (des par­la­men­ta­ri­schen Sy­stems, der Öf­fent­lich­keit) be­schreibt er nicht be­son­ders ge­nau, wenn ich mich recht ent­sin­ne. Dann kann man na­tür­lich nicht ent­schei­den, ob es sich nur um ei­nen ÜBERFALL oder ei­ne Vor­hut ei­nes künf­ti­gen Au­to­ri­ta­ris­mus han­delt. »So­me­thing will break!«, ist ein biss­chen viel Kas­san­dra. Klingt nach Spal­tung oh­ne Orts­an­ga­be, eben wie wir es schon all­zu oft ge­hört ha­ben.

  3. Für je­mand, der die Auf­klä­rung für ge­schei­tert an­sieht, sin­nen Sie doch ganz er­heb­lich über ih­re Pro­ble­me nach, Gre­gor Keu­sch­nig. – Wol­len sie das schei­tern bes­ser ver­ste­hen – oder doch noch ei­nen weg aus der Kri­se su­chen?

    Nun.

    Ich mei­ne es sei wich­tig zu ver­ste­hen, dass die Poin­te Ror­tys die ist, dass er den hoch- und hei­li­gen auf­klä­re­ri­schen Wahr­heits­be­griff auf dem Al­tar der Post­mo­der­ne dem Zeit­geist zum Fraß dar­bringt. –

    - Nach Ror­ty gibt es nicht mehr d i e Wahr­heit, son­dern nur noch Din­ge, auf die man sich eben ei­nigt oder nicht. – So­zu­sa­gen so­zia­le (!) Wahr­hei­ten (Plu­ral). Li­be­ral im klas­si­schen Sinn ist die­se Ein­stel­lung, weil sie ein­räumt, dass sie nie das letz­te Wort be­hal­ten kann. In die­sem Punkt sind sich die al­ten Freun­de Ror­ty und Ha­ber­mas üb­ri­gens wie­der kom­plett ei­nig – vie­le Ha­ber­mas-Deu­ter igno­rie­ren die­se Über­ein­stim­mung be­son­ders mit Blick auf Ha­ber­mas, weil sie den irr­tüm­lich für ei­nen Dog­ma­ti­ker hal­ten. Die­se Über­ein­stim­mung ist aber auch aus phi­lo­so­phi­scher Sicht über­ra­schend – und die Her­lei­tung die­ser Über­einstm­mung der bei­den aus­g­rech­net im Licht von Rorty’s post­mo­der­ner phi­lo­so­phi­scher Wen­de ist wahr­schein­lich nur noch ab Haupt­se­mi­nar­stu­fe zu packen – das ist ein kniff­li­ches Pro­blem. Ich mei­ne üb­ri­gens, dass Ha­ber­mas aus sei­ner Sicht u_n_d Ror­tys Sicht in die­sem Pukt ganz zu recht zu­stimmt, ob­wohl er ihn zu­vor in Bausch und Bo­gen verurteilt...wie ge­sagt, kniff­lich.

    Die Über­ra­schungs-Poin­te von »Achie­ving our Coun­try« ist im Rück­blick zwei­fel­los die, dass er den Irr­weg der Iden­ti­täts­lin­ken kri­ti­siert hat – und ih­nen vor Trump qua­si ins Stamm­buch ge­schrie­ben hat, dass ei­ner wie Trump kom­men und die Leer­stel­le be­set­zen könn­te, die sie durch ih­re Aus­rich­tug auf gen­der-Fra­gen und mi­cro-agres­si­ons und race-bi­as­ses usw. of­fen­ge­las­sen ha­ben. Als Trump 2016 ge­wählt war, wur­de »Achie­ving Our Coun­try« ge­nau des­halb für ei­ne kur­ze Zeit zum Ver­kaufs­hit. Mit Ror­tys Wahr­heits­sbe­griff hat die­ser Aspekt frei­lich gar nichts zu tun. Das war ein­fach ei­ne gu­te so­zio­lo­gi­sche Pro­phe­tie.

    Als gu­ter Pro­phet sitzt Ri­chard Ror­ty nun in ei­nem Boot mit z. B. Da­vid Good­hart und des­sen Buch The Road to So­me­whe­re oder mit dem US-Blog­ger Ste­ve Sai­ler. Denn wie Good­hart und Ste­ve Sai­ler sah Ri­chard Ror­ty, dass die Iden­tit­äs­lin­ke sich ab­kop­pelt von den eher sess­haf­ten (=den so­me­whe­res bei Good­hart), al­so von den nor­ma­len Leu­ten (re­gu­lars) und lie­ber im glo­ba­len über­all der NGOs und mit­ten im Strom der Mas­sen­mi­gra­ti­on ih­re Zel­te auf­schlägt.

    Ähn­li­ches hat auch En­zens­ber­ger be­merkt in »Ver­su­che über den Un­frie­den« – und – vor Jahr­zehn­ten schon, HP Pi­witt (cf. Boc­che­ri­ni und an­de­re Bür­ger­pflich­ten) so­wie Pe­ter Schnei­der (Re­bel­li­on und Wahn). Aber auch – hor­ri­bli­le dic­tu – Thi­lo Sar­ra­zin.

    Der Kern­satz bei En­zens­ber­ger lau­te­te, es wür­de sich die Ten­denz ab­zeich­nen, dass man die Nor­ma­los dis­kri­mi­nie­ren wür­de. –

    Das zielt al­les un­ge­fähr in die­sel­be Rich­tung.

    Ir­re war, dass Jür­gen Ha­ber­mas »Achie­ving Our Coun­try« in den höch­sten Tö­nen lob­te, aber die Kri­tik der Iden­ti­täts­lin­ken dann bald ein­mal kom­plett ein­stell­te. Hil­la­ry Clin­ton dürf­te nicht zu­letzt die voll­kom­men ent­hemm­te Fei­er der Iden­tit­äs­lin­ken die Wahl ge­ko­stet ha­ben. Sie woll­te aber nicht hö­ren – ge­nau­so wie Ha­ber­mas. Zwei der pro­mi­nen­ten US-Lin­ken, die Hillary’s »Bas­ket of De­plo­rables« im Nach­hin­ein im­mer­hin als sä­ku­la­res Ei­gen­tor an­er­kannt ha­ben, sind der Rol­ling Stone Po­lit­schrei­ber Matt Taib­bi und der Po­dacst-Ma­cher Joe Ro­gan.

    Ha­ber­mas lehn­te Rorty’s Preis­ga­be des phi­lo­so­phi­schen Wahr­heits­be­griffs je­den­falls ab. Hier zog er den dicken Tren­nungs­strich zu Ror­ty. –

    PS wg. ce­te­ris pa­ri­bus
    Ce­te­ris pa­ri­bus heißt ein­fach – wenn das Üb­ri­ge gleich bleibt, ho­lio. Al­so Ror­tys ce­te­ris pa­ri­bus Be­mer­kung be­deu­tet, wenn die Um­stän­de sich än­dern, kann man auch wie­der ge­trenn­ter Mei­nung sein in ei­nem Punkt, auch wenn man sich über den zu­vor ge­ei­nigt hat­te. Die Wahr­heit war dem­nach nicht nur so­zi­al ver­flüs­sigt wor­den von Ror­ty, son­dern so­zu­sa­gen auch noch zeit­lich (oder si­tua­tiv).

  4. Ah, ok. Dann ist mei­ne Be­mer­kung über Ih­re Ver­ab­schie­dung der Auf­klä­rung hier na­tür­lich fehl am Plat­ze.

  5. Po­li­tisch ge­se­hen, hat die Lin­ke sich in wei­ten Tei­len als Iden­ti­täts­lin­ke mit dem Li­be­ra­lis­mus aus­ge­söhnt, ge­nau­er: sich ihm als glo­ba­lem Ord­nungs­sy­stem an­ge­schlos­sen, sie be­kam da­für ei­ne Spiel­wie­se und lei­stet ih­ren An­teil am Er­halt des Ka­pi­ta­lis­mus’ (di­vi­de et im­pe­ra). Die Auf­ga­be des Wahr­heits­be­griffs spie­gelt sich auf der Ebe­ne des In­di­vi­du­ums: Es ist frei durch ei­nen Be­zug auf Ge­setz, auf Wahr­heit und Ver­bind­lich­keit, nicht durch das, was heu­te als Fle­xi­bi­li­tät an­ge­prie­sen wird. Wo nichts mehr ist, das Halt gibt, irrt man her­um, in der Nacht, im Sumpf, im Treib­sand. Ich den­ke, dass die­se Bo­den­lo­sig­keit im Li­be­ra­lis­mus schon an­ge­legt ist und dass die­se mit sei­nem Er­folg und sei­ner Ver­brei­tung ge­wach­sen ist, dass sie ein Herr­schafts­mo­ment be­deu­tet und letzt­lich auf Sy­stem­dienst und ‑er­hal­tung hin­aus­läuft, auf ei­ne ra­tio­na­le Er­fül­lungs­lo­gik, die, weil ein­sei­tig ra­tio­nal, auch be­lie­big ist (dass der Wahr­heits­be­griff ero­diert und sich Ka­pi­ta­lis­mus wie Li­be­ra­lis­mus welt­weit ver­brei­tet ha­ben, ist kein Zu­fall; da­zu kommt noch, dass die Vir­tua­li­tät des Net­zes und die Bild­schirm­welt dem Vor­schub lei­sten). Trump, der nicht im­mer Re­pu­bli­ka­ner war, ist da­von in vie­ler­lei Hin­sicht ge­prägt, was Auf­tre­ten, Cha­rak­ter, Um­gang mit Tat­sa­chen, usw., be­trifft, er be­treibt et­was wie ei­ne sy­stem­ima­n­ann­te Op­po­si­ti­on.

    Man kann re­ak­tio­när am Ver­bind­li­chen und dem Wahr­heits­be­griff fest­hal­ten, aber in­wie­weit das vor ir­gend­wel­chen Aus­wir­kun­gen schützt und nicht die Ver­zweif­lung noch ver­stärkt, sei da­hin ge­stellt...

  6. @ me­tep­si­lo­n­e­ma
    Daß Bo­den­lo­sig­keit, Halt­lo­sig­keit etc. im Li­be­ra­lis­mus an­ge­legt sind, den­ke ich auch, und daß der Er­folg das ver­stärkt. Nur: Von Er­folg kann heu­te nicht mehr so oh­ne wei­te­res die Re­de sein, der Li­be­ra­lis­mus ist in ei­ne sy­ste­mi­sche, viel­leicht exi­sten­ti­el­le Kri­se ge­ra­ten, so­zi­al und wirt­schaft­lich, aber auch die so­ge­nann­te Li­be­ra­le De­mo­kra­tie, sie ist in­zwi­schen ein Trüm­mer­hau­fen, wenn man nach USA sieht, oder in an­de­re Staa­ten wie – ich wür­de nicht nur Bra­si­li­en nen­nen, son­dern auch Ita­li­en, z. B. Ob der Li­be­ra­lis­mus die­se Kri­se über­win­den kann – ich wa­ge es zu be­zwei­feln und fürch­te, daß nichts Bes­se­res nach­kommt, son­dern Schlech­te­res, Rechts­extre­mis­mus etc., ist eh al­les kein Ge­heim­nis. Und an die­sem Punkt fra­gen durch die Auf­klä­rung ge­präg­te Men­schen wie ich: Was tun? Kann man die­ser Dy­na­mik ir­gend­et­was ent­ge­gen­hal­ten? So­phie, die Kal­te, meint nein, Auf­klä­rung ade. Ich ver­su­che, dar­an fest­zu­hal­ten und auf­klä­re­ri­sche Wer­te den ge­gen­wär­ti­gen Be­din­gun­gen (Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gien etc.) an­zu­pas­sen, auf Bil­dung zu be­stehen (wie üb­ri­gens auch Ror­ty, Bil­dung war sein Zau­ber­wort) usw. Nimmt man die Prak­ti­ken der Rechts­spre­chung, so wird bis heu­te nir­gend­wo auf »Kor­re­spon­denz« zwi­schen sprach­li­chem Aus­druck und Tat­sa­chen ver­zich­tet. Je­der ein­zel­ne Be­richt von ei­ner Ge­richts­ver­hand­lung wird das be­stä­ti­gen. Das ist auch der Grund, wes­halb sich Rechts­po­pu­li­sten oft ge­gen nor­ma­le Rechts­spre­chung sträu­ben bzw. sie zu um­ge­hen su­chen.

  7. Es ist ganz rich­tig, dass wir uns oft dar­auf ver­las­sen, dass die Spra­che funk­tio­niert und wirk­li­che Din­ge kor­rekt be­nennt. Ihr Ge­richts­bei­spiel, lie­ber Leo­pold Fe­der­mair, ist aber tricky, weil die Men­schen ge­ra­de vor Ge­richt un­ter­schied­li­cher An­sicht dar­über sind, wer nun die Si­tua­ti­on rich­tig be­schreibt. Die So­zi­al­psy­cho­lo­gie hat da­zu ei­ni­ges In­ter­es­san­te zu sa­gen. Nicht zu­lettzt über den (nicht sel­te­nen) Fall der Selbst­täu­schung von Spre­chern vor Ge­richt dar­über, was nun wirk­lich ge­sche­hen ist, und was nicht. (Kleist hat das vor­weg­ge­nom­men, na­tür­lich; so ist das manch­mal mit ge­nia­len Leu­ten).

    Bis hier­hin dre­hen Sie sich zu­dem im Kreis, weil Ri­chard Ror­ty Ih­rem Ge­richts­bei­spiel zu­stim­men wür­de, wie ich ver­mu­te. – Un­be­scha­det sei­ner pp­hi­lo­so­phi­schen Po­si­ti­on, dass sich der Be­griff der Wahr­heit er­le­digt ha­be. – Frap­pie­rend ist na­tür­lich, dass Trump auch in die­ser Hin­sicht sehr na­he bei Ror­ty ist – in­dem er näm­lich die Wahr­heit als das be­han­delt, wo­mit er bei sei­nen Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern durch­kommt.

    PS
    Ha­ber­mas hät­te et­was der Art iro­nisch (oder sar­ka­stisch) ge­gen Ror­tys Po­si­ti­on ein­wen­den kön­nen, hat er aber mei­nes Wis­sens nie ge­tan.

  8. Dank Ralph Sten­zel, der ge­stern Nacht noch die Un­bil­len der Word­Press-Up­dates kor­ri­giert hat, kann man wie­der kom­men­tie­ren und die an­de­ren Kom­men­ta­re se­hen. Erst ein­mal Dank an ihn.

    Zum The­ma: Ror­tys Über­le­gun­gen er­in­nern mich an John Stuart Mill aus dem 19. Jahr­hun­dert. Der hat­te in sei­ner Schrift »On Li­ber­ty« (»Über die Frei­heit«) ge­schrie­ben:

    »Wenn die gan­ze Mensch­heit ei­ne über­ein­stim­men­de Mei­nung ver­trä­te, und nur ei­ne Per­son wä­re vom Ge­gen­teil über­zeugt, so hät­te die Mensch­heit nicht mehr Recht, den Ei­nen zum Schwei­gen zu brin­gen, als er, wenn ihm die Macht da­zu zu­stän­de, das Recht hät­te, der gan­zen Mensch­heit den Mund zu ver­bie­ten.«

    Wei­ter heißt es (auch in­ter­es­sant um die Dis­kus­si­on der so­ge­nann­ten »Can­cel Cul­tu­re«):

    »Aber das ei­gent­li­che Übel, wenn man ei­ne Mei­nung zum Schwei­gen bringt, be­steht dar­in, daß es ein Raub an der Mensch­heit ist, an der künf­ti­gen und an der, die jetzt lebt, und zwar noch mehr an den Men­schen, die von der Mei­nung ab­wei­chen, als an de­nen, die sich zu ihr be­ken­nen. Wenn die Mei­nung, um die es sich han­delt, rich­tig ist, so sind sie um die Ge­le­gen­heit ge­bracht, ei­nen Irr­tum für die Wahr­heit ein­zu­tau­schen; war sie aber falsch, so kom­men die Men­schen um das, was ei­ne fast eben­so gro­ße Wohl­tat ist, um den leb­haf­ten Ein­druck von der Wahr­heit, der aus der Kol­li­si­on von Wahr­heit und Irr­tum ent­springt.«

    Und:

    »Wir kön­nen nie­mals si­cher sein, daß die Mei­nung, die wir zu un­ter­drücken su­chen, falsch ist; aber selbst, wenn wir die­se Si­cher­heit hät­ten, dann wä­re Un­ter­drückung noch im­mer ein Übel.«

    Ich in­ter­pre­tie­re das der­art, dass, so­bald es nur ei­nen Men­schen gibt, der ei­ne ge­gen­tei­li­ge Mei­nung zu ei­nem Vor­gang hat, die­ser Sach­ver­halt nicht mehr ein­deu­tig, d. h. »die Wahr­heit« ist.

    »Wahr­heit« wä­re so­mit ei­ne so­zia­le Über­ein­kunft; ei­ne Art Mehr­heits­ent­schei­dung (et­was, was Mill im üb­ri­gen ab­lehnt; be­rühmt ist ja sein Spruch von der »Ty­ran­nei der Mehr­heit«, der sich auch in der zi­tier­ten Schrift fin­det). Selbst in der Na­tur­wis­sen­schaft weiß man seit Pop­per, dass sie in man­chen Dis­zi­pli­nen nur vor­läu­fig ist. Aber 2 + 2 bleibt ei­gent­lich im­mer 4. Die Fra­ge ist al­so, wel­che »Wahr­hei­ten« ab­so­lut sind und wel­che nicht.

    Wir er­le­ben der­zeit – und nicht nur aus den rechts­po­pu­li­sti­schen Krei­sen, son­dern auch in­ner­halb ei­ner sich links ge­ge­ben­den Iden­ti­täts­po­li­tik ei­ne Ero­die­rung des­sen, was man einst »Wahr­heit«, heu­te »Fak­ten« nennt. Trumps Re­de von den »al­ter­na­ti­ven Fak­ten« ist nicht be­schränkt auf Fi­gu­ren wie ihn. Längst er­hal­ten wir Im­pe­ra­ti­ve, bei­spiels­wei­se wie Kunst­wer­ke zu be­wer­ten und Phi­lo­so­phen oder Schrift­stel­ler neu ein­zu­ord­nen sind.

    Im­mer­hin scheint es so, dass man von der zwi­schen­zeit­lich über­all zu hö­ren­den Leug­nung, dass es über­haupt ei­ne Wahr­heit ge­be, ab­ge­rückt ist. Fast scheint das Ge­gen­teil zu stim­men: Es gibt meh­re­re Wahr­hei­ten, die in ei­nem ideo­lo­gi­schen Kul­tur­kampf ge­gen­ein­an­der ste­hen. Da­bei ist nicht klar, wie das aus­geht.

  9. Man müss­te ei­nen An­kreuz-Zet­tel her­um­rei­chen, wo je­der sei­ne Po­si­ti­on zum ge­gen­wär­ti­gen Stand der Auf­klä­rung ein­tra­gen kann.
    Die Auf­klä­rung ist (x) am En­de, (x) ein un­end­li­cher Pro­zess, (x) ein wirk­sa­mer Fak­tor in der eu­ro­päi­schen Ge­schich­te, (x) ein Stecken­pferd von In­tel­lek­tu­el­len, (x) die ein­zi­ge Me­tho­de für ge­sell­schaft­li­chen Fort­schritt, sprich neu­tra­le Po­li­tik, etc.

    @ me­te Dass der Li­be­ra­lis­mus den Wahr­heits­be­griff ero­diert, fin­de ich sehr ver­wir­rend. Wie das denn?! Es gibt Gel­tungs­an­sprü­che ei­ner sub­jek­ti­ven Ge­wiss­heit, die man sehr wohl äu­ßern darf, aber nicht ob­jek­tiv dar­le­gen kann (Ha­ber­mas). Das ist ja ge­ra­de der wun­der­bar sub­ver­si­ve Trick der Wo­ke-Ak­ti­vi­sten: You will never know, how it feels, be­ing black! You have to shut up and li­sten! – Da kann man im Prin­zip nichts dar­auf ant­wor­ten, weil die sub­jek­ti­ve Ge­wiss­heit zum Spre­cher-Pri­vi­leg um­ge­münzt wird, ganz un­de­mo­kra­tisch...
    Über­haupt, sagt uns doch die west­li­che Ver­fas­sungs­leh­re et­was über die Zie­le und gün­sti­gen Le­bens­be­din­gun­gen des Men­schen (an­thro­pos), und be­haup­tet kei­ne Re­gie­rung mit Mit­teln der »Wahr­heit« zu sein.
    Ror­ty zielt in dem Bei­spiel mit den Peers ja nicht auf ei­nen um­fas­sen­den Wahr­heits­be­griff, der min­de­stens vier Ka­te­go­rien um­fasst, son­dern nur auf je­ne selt­sa­me Äqui­va­lenz zwi­schen dem aka­de­mi­schen Wahr-Spre­chen und dem de­mo­kra­ti­schen Dis­kurs un­ter Gleich­ge­sinn­ten. Die­se Ähn­lich­keit hat sich mitt­ler­wei­le ins bit­te­re Ge­gen­teil von Iro­nie ver­kehrt, wenn in Echo­kam­mern prak­tisch je­de Nie­der­tracht An­er­ken­nung fin­det so­fern sie nur den ge­mein­sa­men Zie­len un­ter­ge­ord­net ist. Aus den Peers wur­den Gang­ster...
    Aber ist das Ror­tys Schuld, wenn die Gro­ben und Ge­mei­nen Po­li­tik ma­chen, bzw. hät­te er den Un­ter­schied zwi­schen Hoch und Nied­rig noch bes­ser her­aus­strei­chen müs­sen?!

  10. Dan­ke für die Kom­men­tar­funk­ti­ons­re­pa­ra­tur an Gre­gor Keu­sch­nig und Ralph Sten­zel!

    die_kalte_Sophie

    Es führt kein Weg dar­an vor­bei, Ri­chard Ror­ty hat dem post­mo­der­nen Re­la­ti­vis­mus das Wort ge­re­det. – Ei­ne von Ror­tys Poin­ten ist aber, dass er sagt: Be­denkt, was ihr im iden­ti­täts­po­li­ti­schen Mo­dus für welt­frem­de Leu­te ge­wor­den seid – Und dann droht er gleich­sam mit ei­nem zu­künf­ti­gen »Trump«. – Er sagt da­mit auch, man kann sich zu To­de sie­gen auf dem iden­tit­äs­po­li­ti­schen Feld, aber wenn die an­de­re Sei­te be­reit ist ernst zu ma­chen, hat man aus­ge­lacht.

    Gre­gor Keu­sch­nig, was Sie über Mill sa­gen stimmt ja, er ver­tei­digt die Mei­nungs­frei­heit. Aber dann ma­chen Sie ei­ne Mill-Deu­tung und schlie­ßen, dass rich­tig ver­stan­de Mei­nungs­frei­heit d_i_e Wahr­heit zum ver­schwin­den brin­gen müss­te oder halt gut post­mo­der­ni­stisch auf­lö­sen in ein Mul­ti­ver­sum der Wahr­hei­ten. Die­ser Schluss ist in der Tat schon oft vor­geg­tra­gen wor­den. Aber zwin­gend ist er nicht. Und not­wen­dig ist er auch nicht.

    An der Stel­le kommt es auf die Be­grün­dung an. – Mit Mill muss man da­her nicht die Wahr­heit preis­ge­ben, aber man soll über die rich­ti­gen Grün­de für ei­ne erkannte/oder be­haup­te­te Wahr­heit strei­ten dür­fen! – Das ist im Üb­ri­gen Ur-auf­klä­re­risch. – Und das ist der Grund, wes­halb ein ziem­lich be­deu­ten­der So­zi­alp­scho­lo­ge und Zeit­deu­ter wie Jo­na­than Haidt sich auf Mill be­ruft für sei­ne He­te­ro­dox-Aca­de­my. Al­so für sei­ne nun­mehr über 1500 Mitl­gie­der um­fas­sen­de Aka­de­mi­ker­ver­ei­ni­gung, die sich die­se Frei­heit der De­bat­te und (!) die Ver­pflich­tung auf die Wahr­heit – wie ich fin­de: Völ­lig zu recht – auf die Fah­nen ge­schrie­ben hat.

    Das glei­che gilt – im klei­ne­ren Maß­stab – für den Bri­ten To­by Young und sei­ne Free Speech Uni­on.

    Das sind wirk­li­che Auf­klä­rer, nicht an­ge­krän­kelt von des Ge­dan­kens Bläs­se und des El­fen­bein­turms ein­engen­der Ku­sche­lig­keit.

  11. Na­ja, »Mei­nungs­frei­heit« hat nichts mit Fak­ten oder, hoch­ge­sto­chen, »Wahr­heit« zu tun. Ich kann durch­aus der Mei­nung sein, der Re­gen fällt von un­ten nach oben und nicht von oben nach un­ten. Aber was sagt das über den Re­gen aus?

    Ich glau­be, es geht Mill um mehr als Mei­nungs­frei­heit – es geht dar­um, dass Mei­nun­gen oder Ur­tei­le im­mer gleich­be­rech­tigt ste­hen sol­len, un­ab­hän­gig von evtl. fak­ti­scher Über­prü­fung. Dass da­mit »die« Wahr­heit so­zu­sa­gen nicht mehr re­le­vant ist, sagt er – so­fern ich es rich­tig ver­stan­den ha­be – auch nicht. Er tritt eben nur da­für ein, dass je­de »Mei­nung« stets die glei­che Re­le­vanz ha­ben soll.

    Man kommt dann schnell zum Ho­lo­caust-Leug­ner (um das größ­te Ge­schütz auf­zu­fah­ren). Nach Mill wä­re da­mit der rei­ne Sach­ver­halt min­de­stens frag­lich, weil es im­mer ein paar (Dep­pen) gibt, die da­ge­gen sind. Das kann man für li­be­ral oder post­mo­dern oder sonst­wie hal­ten. Aber es ver­un­mög­licht eben jeg­li­chen Dis­kurs. Wenn man, um Pop­pers Bild mit dem schwar­zen Schwan auf­zu­neh­men, je­den Tag aufs Neue be­wei­sen muss, dass es schwar­ze Schwä­ne gibt, wird es ir­gend­wann nicht nur er­mü­dend, son­dern ab­surd.

  12. Zu Mill: Nur das letz­te Zi­tat ist ein biss­chen er­klä­rungs­be­dürf­tig, al­les an­de­re spricht für sich.
    Der Be­griff der Un­ter­drückung be­rührt na­tür­lich die Macht­ver­hält­nis­se, al­so die Fra­ge, was darf ge­sagt wer­den und was nicht; was wird ge­lobt und ge­för­dert, was nicht. Als Er­satz für die al­ten pein­sa­men Stra­fen der Züch­ti­gung ent­deckt un­ser Zeit­al­ter ja ge­ra­de die kör­per­lo­sen Me­tho­den, die auch ein Nacht­schat­ten-Li­be­ra­ler wie Ha­ber­mas durch­aus im Schil­de mit­zu­füh­ren wuss­te: Üb­le Nach­re­de, Po­le­mik, so­zia­ler Ru­in bei den Peers, etc.
    Aber im Ernst: es gibt so vie­le Mei­nun­gen, die in der Schwe­be blei­ben kön­nen, et­wa un­se­re Vor­ur­tei­le über an­de­re Na­tio­nen, das an­de­re Ge­schlecht, den Lauf der Son­ne und die Her­kunft der Kon­dens­strei­fen, etc. Aber ei­ni­ge Mei­nun­gen sind sy­stem­re­le­vant, an­ge­fan­gen vom Ho­lo­caust, über Sinn und Un­fug von Zen­sur, bis zum Kli­ma­wan­del und der Seu­chen­schutz­po­li­tik. Da kann man nur noch die Äu­ße­rung er­lau­ben (Ho­lo­caust in Deutsch­land aus­ge­nom­men), aber nicht mehr die Gleich­be­rech­ti­gung in ei­nem Kos­mos der re­la­ti­ven Wahr­hei­ten, als Ba­sis für ei­ne noch un­kla­re aber dann hof­fent­lich »kon­sen­su­el­le künf­ti­ge Po­li­tik«...
    Pin­ker, Haidt und all die neu­en Auf­klä­rer ma­chen sich ja über die Re­la­ti­vi­sten lu­stig, die au­ßer­halb der Se­mi­nars­ver­an­stal­tung »nicht ei­ne Se­kun­de lang« an ih­re ei­ge­ne Epi­ste­mo­lo­gie glau­ben, so­bald sie am Stra­ßen­ver­kehr, an den Wah­len, oder an Ge­halts­ver­hand­lun­gen teil­neh­men. Licht­schal­ter, Lie­fer­ser­vice, Da­ten-Back­up, Al­ko­hol und der Ka­ter da­nach..., wird al­les ak­zep­tiert. Das sind kom­plett nor­ma­le Leu­te, au­ßer man fragt sie nach ih­rer »Mei­nung«...

  13. die_kalte_Sophie

    Da kann man nur noch die Äu­ße­rung er­lau­ben (Ho­lo­caust in Deutsch­land aus­ge­nom­men), aber nicht mehr die Gleich­be­rech­ti­gung in ei­nem Kos­mos der re­la­ti­ven Wahr­hei­ten, als Ba­sis für ei­ne noch un­kla­re aber dann hof­fent­lich »kon­sen­su­el­le künf­ti­ge Po­li­tik«...

    Das ist ge­nau der Punkt. Was, wenn sich die Pa­ra­me­ter der »Gleich­be­rech­ti­gung« ver­schie­ben? Was, wenn plötz­lich »be­stimmt« wird, dass man sch als Wei­ßer nicht zu »Ras­sen­the­men« äu­ßern darf? Wer be­stimmt das? Mills An­satz ist schön und gut, aber wie man da­mit 160 Jah­re spä­ter ei­ne Dis­kus­si­on mit so­zia­len Me­di­en führt – das sagt er nicht.

  14. @Leopold Fe­der­mair
    Ich se­he die­se Kri­se nicht, je­den­falls nicht der­ge­stalt, dass ir­gend­wo ei­ne Al­ter­na­ti­ve sicht­bar wird, im Ge­gen­teil die li­be­ra­le Welt­ord­nung ist un­aus­ge­spro­che­ner Kon­sens, un­be­merkt Ge­teil­tes, auch bei den al­ler­mei­sten, die sich als de­ren Geg­ner be­zeich­nen. Tref­fen wir ein­mal die Un­ter­schei­dung in ge­sell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Li­be­ra­lis­mus, dann wird das au­gen­fäl­lig: Wel­che po­li­ti­sche Kräf­te ge­hen denn glaub­haft ge­gen bei­de Spiel­ar­ten vor? Wel­chen dis­kur­si­ven oder vor­po­li­ti­schen Raum ha­ben sie er­obert? Wel­che Al­ter­na­ti­ven ver­wirk­licht?

    Die Kri­se der po­li­ti­sche Sy­ste­me Ita­li­ens oder der USA ist kei­nes­wegs neu; re­prä­sen­ta­ti­ve De­mo­kra­tien sind im­mer Ein­falls­to­re von In­ter­es­sen, die von (Macht)eliten kom­men, bos­haft ge­spro­chen: Sie ist de­ren Lieb­lings­sy­stem.

    Bil­dung ist hoch im Kurs, rea­li­ter und in­sti­tu­tio­nell längst kor­rum­piert (Stich­wort: »Kom­pe­tenz«). Bil­dung kann es nur als tra­dier­tes, ideel­les Ethos ge­ben. Die­se Ver­bind­lich­keit ist da­hin und da­mit lässt sich fest­stel­len, dass Li­be­ra­lis­mus nur sinn­voll mög­lich ist, wenn im Un­ter­grund Ver­bind­lich­kei­ten wei­ter exi­stie­ren, qua­si my­thisch wirk­sam blei­ben.

    @Gregor
    Ge­gen Mill möch­te ich ein­wen­den, dass das Mensch­heits­ar­gu­ment ob­so­let ist, bzw. es da­zu ver­führt, dass man rasch in ei­nen mo­ra­li­schen Ab­strak­tis­mus ver­fällt, heu­te über­all zu be­mer­ken (Stich­wort: »Men­schen­feind­lich­keit«). Wenn man Mei­nung als von der Emo­ti­on be­stimm­ten Sach­ver­halt ver­steht, sie über die­se al­so dem sich äu­ßern­dem In­di­vi­du­um ver­bun­den ist, dann liegt na­he, dass sie ge­schützt wer­den muss, wenn das In­di­vi­du­um schüt­zens­wert ist, ei­ne Mei­nung ha­ben zu kön­nen, be­deu­tet als In­di­vi­du­um kennt­lich wer­den zu kön­nen. Dar­aus er­gibt sich auch der Kon­flikt­fall. Was Mill zu Wohl­tat und Kol­li­si­on sagt, gilt na­tür­lich.

    @die_kalte_Sophie
    Spe­zi­fi­zie­ren wir ein­mal: Es geht uns hier um ei­nen Wahr­heits­be­griff der dis­kurs­lei­tend ist, um ei­ne Art ob­jek­ti­ven Ori­en­tie­rungs­punkt jen­seits der Sub­jek­te (nicht um Na­tur­wis­sen­schaft, nicht um Tech­nik, nicht um Me­di­zin, aber um »Sprach­räu­me«, wo­bei auch die ge­nann­ten Dis­zi­pli­nen hin­sicht­lich ih­rer Wahr­heits­be­grif­fe in Fra­ge ge­stellt wur­den). Und die­se ori­en­tie­ren­de Ver­bind­lich­keit kann sich auf­lö­sen, dass un­se­re Sät­ze über die Welt wahr sein kön­nen, ist ei­ne An­nah­me, die man nicht tei­len muss (Spra­che ist da, um miss­ver­stan­den zu wer­den, ist ein Bon­mont, das in ei­ne ver­gleich­ba­re Rich­tung zielt). Schal­tet man die­sen Wahr­heits­be­griff aus, dann las­sen sich po­li­ti­sche Dis­kur­se mo­ra­lisch ord­nen und un­aus­ge­spro­che­ne Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten fin­den leich­ter ih­re Adres­sa­ten. Es wird – sie­he Mill – das Mei­nen an­de­rer be­schränkt. Das ist po­li­tisch. Es geht so­gar um et­was, das da­vor liegt, näm­lich um den Raum in dem sich Dis­kur­se auf­span­nen kön­nen, um das was ge­sagt wer­den kann bzw. darf (vgl. G.K.).

  15. @ Gre­gor Keu­sch­nig – Mills An­satz ist je­den­falls höchst prak­ti­ka­bel. Das be­wei­sen Jo­na­than Haidt und des­sen in ziem­lich feind­se­li­ger Um­ge­bung flo­rie­ren­de He­te­ro­dox Aca­de­my und To­by Youngs Free speech Uni­on und Clai­re Leh­mann mit Quil­let­te etc. pp.

    Ich sa­ge es noch­mal: Der Nach­teil der auf­klä­re­ri­schen Ver­ve ist, dass sie die Ecken­ste­her und ewi­gen La­men­tie­rer ein we­nig alt aus­se­hen lässt.  – Mit dem von der kalten_Sophie an­ge­spro­che­nen Ste­ven Pin­ker zu re­den: »En­ligh­ten­ment Now!« 

    Ich könn­te auch Jo­hann Ben­ja­min Er­hard, ei­nen mei­ner Lieb­lings-Phi­lo­so­phen, zi­tie­ren: »Auf­k­läung ist das Ziel der Mensch­heit, das sie er­rei­chen kann und (...) er­rei­chen wird.« Am wich­ti­sten sei, dass man sei­ne Er­kennt­nis­s­se klar und deut­lich vor­tra­ge, oh­ne künst­li­che Be­schei­den­heit und – so­fern kon­sti­tu­tio­nell mög­lich, he­he, – oh­ne »trot­zi­ge Ver­mes­sen­heit«.

    Er­hard war üb­ri­gens ein Geg­ner der Fich­te­schen Ich-leh­re. Er sah so­gar, dass Fich­tes Top-Checker-Ich ins – aus­drück­lich: »In­di­sche« (!)  so Er­hard – spe­ku­la­ti­ve Ab­seits füh­ren müss­te.  –  – - Es im­mer die glei­che Ge­schich­te: Selbst­be­züg­lich­keit, Idea­lis­mus, Ich-Zen­triert­heit, fal­scher Exo­tis­mus – vs. Er­fa­hurngs­ba­siert­heit, Ver­nunft, Ra­tio­na­li­tät, Rea­li­tät, Mei­nungs­frei­heit, Feh­ler­to­le­ranz (man müss­te mal gucken, was Pop­per ei­gent­lich so ge­le­sen hat)  und Di­stanz. – Das ist heu­te der ex-Preis­bo­xer Joe Ro­gan, der sich mit Ji­mi Hen­drix als Haus­hei­li­gem aus­drück­lich für die Er­fah­rung stark macht, und der The­ra­peut Jor­dan Pe­ter­son und der So­zi­al­psy­cho­lo­ge Jo­na­than Haidt ge­gen ‑BLM, S(outhern) P(overty)L(aw)C(enter), die NYT und die WaPo und ih­re deut­schen und öster­rei­chi­schen und schwei­ze­ri­schen usw. Ab­le­ge­rin­nen und Ab­le­ger. So­wie ge­gen die al­lent­hal­ben aufschie0ßenden klei­nen Zen­su­rie­rer auch hier­zu­lan­de.

    PS

    Die_kalte_Sopie – was ist denn nun mit dem phi­lo­so­phi­schen Pro­blem der Wahr­heit? – Wie es aus­sieht wol­len Sie es nicht der Herr­schafts­kri­tik op­fern. Was aber dann? – Ich fin­de, Sie sind oben ein biss­chen va­ge, was das be­trifft. Me­tep­si­lo­n­e­ma, Sie ha­ben so­viel als wahr­he­ts­fä­hig er­ko­ren, dass mir ein we­nig der Blick ver­schwimmt.

  16. @Dieter Kief
    Mills An­satz ist m. E. über­haupt nicht prak­ti­ka­bel und die bei­den Her­ren, die Sie auf­füh­ren, ken­ne ich nicht. Statt Ih­res wie­der ein­mal ex­zes­si­ven »Na­me­drop­pings« wür­de ich es eher be­grü­ssen, mir zu er­klä­ren wor­in die Prak­ti­ka­bi­li­tät in der all­täg­li­chen Pra­xis be­stehen soll. Es sei denn, man hält bspw. Twit­ter für ein ir­gend­wie prak­ti­ka­bles Me­di­um.

  17. John Ste­wart Mills enor­me Prak­ti­ka­bi­li­tät hat in Jo­na­than Haidt ei­nen ge­lehr­ten und weit­her­um an­ge­se­hen so­zi­al­psy­cho­lo­gi­schen Für­spre­cher ge­fun­den, Gre­gor Keu­sch­nig. Des­halb hier ein Vor­trag von Jo­na­than Haidt, der die ak­tu­el­le La­ge der Mei­nungs- und Wis­sen­schafts­frei­heit im Al­ten We­sten ab 9:40 min. zu­sam­men­fasst.

    http://newpaltz.mediasite.suny.edu/Mediasite/Play/2f4aad7b42e14e429566b21abdfc1f6c1d

    Haidts Haupt­punkt ist die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Nicht-Über­ein­stim­mung – al­so das, was man wis­sen­schaft­li­che Frei­heit (zum Wi­der­spruch = zur Kri­tik (Kant)) nennt. Es hält das für die wich­tig­ste Vor­aus­set­zung, um John Ste­wart Mills Wahr­heits­ide­al er­fül­len zu kön­nen.

    Ein Grund ist (ab Mi­nu­te 30:00 im ver­link­ten Vi­deo), dass Men­schen – so­zi­al­psy­cho­lo­gisch gut be­legt, – die Ten­denz ha­ben, an ih­rer Sicht der Din­ge fest­zu­hal­ten und im­mer mehr Grün­de da­für zu fin­den, egal ob sie sach­lich recht ha­ben oder nicht. Das gilt laut Haidt in noch stär­ke­rem Ma­ße dann, wenn ge­lehr­te Köp­fe Po­si­tio­nen ver­tre­ten, die (po­li­tisch) op­por­tun sind. Der Kern ist aber: Men­schen (und Wiss­sen­schaft­ler un­ter­schei­den sich da eben nicht von Hinz und Kunz, so­zu­sa­gen) nei­gen da­zu, ei­ne Po­si­ti­on um­so mehr zu ver­tei­di­gen, je mehr sie dar­über wis­sen. Die Ge­lehr­sam­keit kann al­so ir­ren, auch auf höch­stem Ni­veau, und da­ge­gen gibt es nur ein pro­ba­tes und prak­ti­ka­bles Mitt­tel, so Haidt, und das ist es eben, den uni­ver­si­tä­ren Wi­der­spruch zu pfle­gen. Des­we­gen ist der Le­bens­nerv der Uni­ver­si­tät die Li­zenz zur Kri­tik (in­sti­tu­tio­na­li­sed dis­com­for­ma­ti­on nennt Haidt das).
    Die Vor­tei­le der Mei­nungs- und Wis­sen­schafts­frei­heit be­stehen al­so dar­in, dass sie die ein­zi­ge Ver­si­che­rung da­ge­gen sind, dass sich un­se­re Öf­fent­lich­keit – u. a. an­ge­führt von den an­ge­se­hen­sten For­schern, über wis­sen­schat­f­li­che Sach­ver­hal­te täuscht. Dies ist, das zeigt Haidt in sei­nem Buch »The Righ­teous Mind«, kei­ne theo­re­ti­sche, son­dern ei­ne enorm prak­ti­sche Ein­sicht. Er gibt in der Tat Bei­spie­le zu­hauf da­für, wie sehr sich die Wis­sen­schaft auch in un­se­ren Ta­gen ge­irrt hat, weil sie sich der kri­ti­schen Prü­fung nicht hin­rei­chend un­ter­zog. Haidts For­schungs­an­satz ist des­we­gen so wich­tig, weil er sehr gu­te Bei­spie­le da­für hat, dass selbst die höch­ste wis­sen­schaftl­li­che Ex­per­ti­se nicht da­vor schützt, sich zu ir­ren. Auch der höch­ste wwis­sen­schaft­li­che Sta­tus schütz nicht vor wis­sen­schaftlchem Irr­tum. Al­so da­vor, der Wahr­heit ei­nen Tort zu tun und das  Fal­sche zu pro­pa­gie­ren. Die ein­zi­ge Ver­si­che­rung da­ge­gen ist, dass man den so­zia­len Raum (ge­ra­de auch an Uni­ver­si­tä­ten) frei hält für den Wi­der­spruch und so die Vor­aus­set­zung da­für schafft, dass sich Wi­der­spruch zu ei­ner The­se x for­miert und sich durch (wis­sen­schaft­lich) ge­recht­fer­ti­ges, me­tho­disch kor­rek­tes Vor­ge­hen Ge­hör ver­schaf­fen kann. Das aber ist kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit, son­dern ein kom­ple­xes und schüt­zens­wer­tes so­zia­les Gut (frü­her hät­te man viel­leicht ge­sagt: ei­ne zi­vi­li­sa­to­ris­sche Er­run­gen­schaft). Die­ses so­zia­le Gut  ist zu­dem emp­find­dlich. D. h., im Grun­de muss sich je­de Ge­ne­ra­ti­on die­ses so­zia­le Gut neu an­eig­nen, da es sonst nicht über­lebt.

    Das ist klas­si­sche Li­be­ra­li­tät ge­paart mit in­sti­tu­tio­na­li­sier­ter Be­reit­schaft zum (qua­li­fi­zier­ten) Wi­der­spruch. Haidts sehr grif­fi­ge For­mel ist die da: Funk­tio­nie­ren­de Wis­sen­schaft ist dar­auf an­ge­wie­sen, dass die Frei­heit zum Wi­der­spruch in­sti­tu­tio­nell ge­schützt (ge­pflegt wird) – denn der ist das ei­gent­li­che wis­sen­schaft­li­che Or­ga­non der Wahr­heit. 

    PS

    Ich mei­ne, die ein­fach­ste Fas­sung die­ses Pro­blems stam­me von Goe­the und sei in sei­ner Schrift »Über den Gra­nit« zu fin­den. Apro­pos – nur noch zwei Wo­chen bis zu des­sen 271. Ge­burts­tag.
    Ei­ne Lang­fas­sung die­ses Ge­dan­kens fin­det sich bei Karl Pop­per, ei­ne an­de­re wie ge­sagt bei Jo­na­than Haidt in sei­nem Buch »The Righ­teous Mind« – mei­ne Über­set­zung wä­re üb­ri­gens: Die Selbst­ge­wis­sen. bei ama­zon fin­den sich ei­ni­ge sehr ein­läss­li­che Re­zen­sio­nen die­ses Bu­ches:

    https://www.amazon.de/Righteous-Mind-Divided-Politics-Religion/dp/0141039167/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=Jonathan+haidt&qid=1597391079&sr=8–1  

    Ste­ve Sai­ler hat eben­falls In­ter­es­san­tes zu sa­gen über Haidts »Selbst­ge­wis­se« – nicht zu­letzt mit Blick auf die In­kon­si­stenz des lin­ken Dis­kur­ses in der Ang­lo­s­phe­re:

     https://www.takimag.com/article/the_self_righteous_hive_mind_steve_sailer/

    Scha­de, dass ich kei­nen deut­schen Ver­lag ha­be, he­he – man »kann nicht im­mer al­les ha­ben« (Jagger/Richards).

  18. Dan­ke für Ih­re Er­läu­te­run­gen. »Prak­ti­bel« mag ei­ne sol­che ge­ne­rö­se Zu­las­sung in den gei­stes­wis­sen­schaft­li­chen Fä­chern im uni­ver­si­tä­ren Feld durch­aus sein. Aber schon in dem, was man ge­schicht­li­che For­schung nennt, wird es schwie­rig. Da­her frag­te ich von der Prak­ti­ka­bi­li­tät im All­tag. Und kom­me dann so­fort mit dem ul­ti­ma­ti­ven Ele­fan­ten der Ho­lo­caust-Leug­nung. Se­hen wir ein­mal von der Straf­be­währt­heit in Deutsch­land ab (die es mei­nes Wis­sens in den USA nicht gibt): Nach Mill müss­te die Mei­nung der Ho­lo­caust-Leug­nung gleich­be­rech­tigt mit der hi­sto­ri­schen For­schung dar­über ste­hen.

    Ich se­he ein, dass das ein Ex­trem­bei­spiel ist und das ge­ra­de die Ge­schich­te, die zu­meist von »Sie­gern« ge­schrie­ben wird, bis­wei­len ir­gend­wann er­staun­li­che Re­vi­sio­nen er­fährt. Aber die Fra­ge ist, ob die Ab­so­lut­heit, die Mill da po­stu­liert, ei­ner ver­gan­ge­nen Zeit an­ge­hört (wie @metepsilonema das an­deu­tet).

  19. »Die Vor­tei­le der Mei­nungs- und Wis­sen­schafts­frei­heit be­stehen al­so dar­in, dass sie die ein­zi­ge Ver­si­che­rung da­ge­gen sind, dass sich un­se­re Öf­fent­lich­keit – u. a. an­ge­führt von den an­ge­se­hen­sten For­schern, über wis­sen­schaft­li­che Sach­ver­hal­te täuscht.«
    Wie wahr!
    Die Mei­nungs- und For­schungs­frei­heit ha­ben ei­ne Kor­rek­tur­funk­ti­on ge­gen die Irr­tü­mer von al­len, die sich auf das Er­kennt­nis­ver­mö­gen al­ler Teil­neh­mer stützt. Das Kri­tik­ver­mö­gen da­bei ist nicht die »best ver­teil­te Sa­che der Welt«, aber sie ist qua­li­täts­treu. Heißt: die Kri­tik wird sich je nach Gü­te der Be­grün­dung be­haup­ten und lang­fri­stig durch­set­zen. Dia­lek­tik und Per­spek­ti­ven­wech­sel (Eben kein Re­la­ti­vis­mus!!) sind er­wünscht, und ganz oh­ne me­tho­di­sche Em­pi­rie geht es nicht. Dass sich aus­ge­rech­net me­tho­disch schwach auf­ge­stell­te Fä­cher ger­ne mit Herr­schafts­mit­teln aus­stat­ten, um na­tür­li­che Le­gi­ti­ma­ti­ons­de­fi­zi­te aus­zu­glei­chen, ist in­zwi­schen ein Trep­pen­witz.
    Der wis­sen­schaft­li­che Fort­schritt ist ar­beits­in­ten­siv und vor­aus­set­zungs­reich. Pin­ker, Haidt, Sa­pol­sky ha­ben be­gon­nen, das de­fi­zi­tä­re (be­treu­ungs­be­dürf­ti­ge) Men­schen­bild in der Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie und So­zi­al­py­cho­lo­gie aus­zu­räu­men. Sie ma­chen in ih­ren Fach­be­rei­chen den »Job von Phi­lo­so­phen«. Frei nach Jor­dan Pe­ter­son: Räum’ erst mal Dein Zim­mer auf! – Über­trägt man die­se Haus­mei­ster-Auf­ga­be di­rekt auf die Phi­lo­so­phie, er­kennt man wie­der ein­mal die Rand-Stel­lung die­ser Dis­zi­plin. Ich ge­hö­re nicht zur Zunft, al­so las­se ich die Ant­wort hier of­fen. Ei­ne Kon­troll­funk­ti­on der »Un­te­ren Fa­kul­tä­ten« (Kant) über die an­de­ren (weit­aus bes­ser ge­si­cher­ten) Dis­zi­pli­nen scheint je­den­falls schon auf den er­sten Blick ver­kehrt.

  20. @ me­tep­si­lo­n­e­ma
    Ei­ne gang­ba­re Al­ter­na­ti­ve se­he ich auch nicht, wohl aber ei­ne tie­fe Kri­se, die in al­len Län­dern zum Tra­gen kommt. De­mo­kra­tie hat aus­ge­dient, wenn sie sich nicht mehr auf ver­nunft­ge­lei­te­te Ge­sprä­che (inkl. Streit­ge­sprä­che, ver­steht sich), auf Er­kennt­nis­wil­len und ernst­haf­te Pro­blem­lö­sungs­ab­sicht stützt. Wahl­kam­pa­gnen sind Wer­be­kam­pa­gnen, die wich­tig­sten Me­di­en di­gi­tal, so­ge­nann­te So­zia­le Me­di­en, Jour­na­lis­mus im her­kömm­li­chen spielt ei­ne im­mer klei­ne­re Rol­le, ist zu Tei­len eben­falls her­un­ter­ge­kom­men. Nur un­ter sol­chen Be­din­gun­gen kom­men Leu­te wie Trump ans Steu­er: je­mand, der er­klär­ter­ma­ßen kein Pro­blem mit Lü­gen hat, wenn sie ihm nüt­zen (so ähn­lich wür­de ich üb­ri­gens »Po­pu­lis­mus« de­fi­nie­ren, ein Be­griff, über den in die­sem Blog ein­mal viel dis­ku­tiert wur­de, Sie wer­den sich er­in­nern).
    »Theo­rie der Un­bil­dung« ist der Ti­tel ei­nes Buchs von Kon­rad Paul Liess­mann, schon vor 10 oder 15 Jah­ren er­schie­nen. Mit Bil­dung mei­ne ich (wie Liess­mann) nicht die sog. Kom­pe­ten­zen. Und wie Liess­mann den­ke ich, daß die PI­SA-Testhy­ste­rie über­haupt nichts zur Ver­bes­se­rung der Si­tua­ti­on bei­trägt. Die Lip­pen­be­kennt­nis­se von »Bil­dungs­po­li­ti­kern« mei­nen in der Re­gel nicht Bil­dung (wie­der­um: im her­kömm­li­chen, hu­ma­ni­sti­schen Sinn), son­dern An­wen­dungs­tech­ni­ken von Wis­sen oh­ne Be­wußt­seins­bil­dung. Die lücken­lo­se Ver­brei­tung des In­ter­nets und, ins­be­son­de­re, von Smart­phones trägt de fac­to we­nig zur Bil­dung bei; wenn jun­ge Leu­te auf ir­gend­ein Wis­sens­ge­biet zu spre­chen kom­men, zücken sie ihr All­zweck­ge­rät und »goo­geln« – Er­kennt­nis be­deu­tet für sie nichts an­de­res als goo­geln. Sie ha­ben die ent­spre­chen­de Kom­pe­tenz und fin­den ir­gend­ei­ne In­for­ma­ti­on, de­ren Qua­li­tät sie in der Re­gel nicht be­wer­ten kön­nen. Ei­gent­lich kön­nen sie nicht ein­mal rich­tig goo­geln, es ist ih­nen nicht be­wußt, daß hier Such­ma­schi­nen am Werk sind und was das be­deu­tet. Na­tür­lich ver­ges­sen sie das an­ge­klick­te Wis­sen so­fort wie­der. Ich ha­be tag­täg­lich mit Stu­den­ten zu tun. Da­her weiß ich, daß Stu­den­ten kei­ne Bü­cher le­sen. Wer sonst in den jün­ge­ren Ge­ne­ra­tio­nen soll­te Bü­cher le­sen?
    Wie aber soll Bil­dung oh­ne Bü­cher mög­lich sein?
    Und wie De­mo­kra­tie oh­ne Bil­dung?

  21. Ei­gent­lich geht De­mo­kra­tie da­von aus, dass sich auf­grund der schie­ren Mas­se, die über po­li­ti­sche Vor­gän­ge ab­stimmt, die Ex­tre­me nicht durch­set­zen wer­den. Die An­nah­me ist, dass, je mehr Leu­te wäh­len oder ab­stim­men, die Ex­tre­mis­mus­brei­te prak­tisch kei­ne Rol­le spielt. Das Pro­blem vor al­len Din­gen von prä­si­dia­len De­mo­kra­tie­mo­del­len ist die Fo­kus­sie­rung auf zwei Kan­di­da­ten. 2016 gab es Trump oder Clin­ton, 2020 heißt die Wahl Trump oder Bi­den. Was, wenn bei­spiels­wei­se 20 oder 25% der Wäh­ler we­der den ei­nen noch den an­de­ren Kan­di­da­ten wol­len? Theo­re­tisch ha­ben sie noch an­de­re Wahl­mög­lich­kei­ten (in den USA), aber die Stim­men sind prak­tisch weg­ge­wor­fen. Sie blei­ben al­so meist zu Hau­se (was in den USA leicht mög­lich ist, weil das Wäh­len an sich Auf­wand be­deu­tet), was am En­de dem Sie­ger he­fen dürf­te. Ver­hält­nis­wahl-ge­stütz­te De­mo­kra­tien sind durch ih­ren Hang, Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen, sta­bi­ler, ob­wohl das zu­nächst pa­ra­dox klingt. Die Po­la­ri­sie­rung fin­det nicht statt.

    Wo­bei Po­la­ri­sie­rung per se nicht schlecht ist. Aber wenn es kei­ne Kom­pro­miss­li­ni­en mehr gibt, wird ei­ne Sei­te im­mer ver­lie­ren, und die­se Ver­lie­rer­sei­te kön­nen dann 49% sein.

    Das Pro­blem ist we­ni­ger der Po­pu­lis­mus, als die in­sti­tu­tio­nel­le Bän­di­gung po­pu­li­sti­scher »Al­lein­herr­scher«, die mit 51% re­gie­ren kön­nen. Das gilt für die USA, aber auch Bra­si­li­en, GB, in Gren­zen auch Ita­li­en. Ich war frü­her ein Ver­fech­ter des Mehr­heits­wahl­rechts, aber ich be­gin­ne, zu zwei­feln. Lang­fri­stig sind Ver­hält­nis­wal­sy­ste­me bes­ser. In Deutsch­land gibt es al­ler­dings in­zwi­schen das Pro­blem, dass die rechts-na­tio­na­li­sti­sche AfD in man­chen Bun­des­län­dern der­art stark ist, dass nur Ko­ali­tio­nen von drei (auf Re­gio­nal­ebe­ne manch­mal auch vier) welt­an­schau­lich dif­fe­ren­ten Par­tei­en die Macht­teil­nah­me der AfD ver­hin­dern. Das ist lang­fri­stig kon­tra­pro­duk­tiv, da ein Op­fer­n­ar­ra­tiv be­dient wird und der Wäh­ler am En­de aus Trotz oder Wut »die fal­sche Par­tei« wählt.

    Ich glau­be, dass »Bil­dung«, al­so gei­stes­wis­sen­schaft­li­che Bil­dung bei­spiels­wei­se, stark über­schätzt wird. Die Na­zis wur­den auch von In­tel­lek­tu­el­len un­ter­stützt, sei es, weil man glaub­te, Vor­tei­le er­rei­chen zu kön­nen, sei es, weil die Idee war, die­se Grup­pie­rung bän­di­gen zu kön­nen (was ab­surd war). Rich­tig ist, dass »Bil­dung« heu­te nur noch be­deu­tet, sich in öko­no­mi­schen Ver­hält­nis­sen zu­recht zu fin­den. Der Rest ist Spaß oder Hob­by.

  22. @ Gre­gor K.

    Ich glau­be nicht, daß sich De­mo­kra­tie al­lein auf das Prin­zip »one man, one vo­te« stüt­zen kann, in der Hoff­nung, die Mas­se mö­ge die di­ver­sen Strö­mun­gen aus­ba­lan­cie­ren (was de fac­to nicht im­mer der Fall ist). Ich den­ke, es braucht kon­ti­nu­ier­li­che Ar­beit am (Selbst-)Verständnis der Be­tei­lig­ten, d. h. al­ler. Aus die­sem Grund ist Bil­dung auch we­der Spaß noch Lu­xus noch Hob­by. Gei­stes­wis­sen­schaft­lich wür­de ich Bil­dung nicht nen­nen, auch nicht na­tur­wis­sen­schaft­lich, na­tür­lich. Eher: quer durch den Ge­mü­se­gar­ten des Den­kens. Ein De­si­de­rat ist m. E. die Er­kun­dung und Dis­kus­si­on von Rech­nern, di­gi­ta­ler Ver­net­zung, Glo­ba­li­sie­rung, künst­li­cher In­tel­li­genz, neu­en Me­di­en in ih­ren Vor­aus­set­zun­gen und Wir­kun­gen. Mein Ein­druck ist, daß das an den Schu­len nicht statt­fin­det, die Re­de ist im­mer nur von tech­ni­scher Aus­stat­tung und »Kom­pe­ten­zen«. Das wä­re m. E. heu­te Bil­dung. Na­tür­lich nicht wie im 16. oder 18. oder 20. Jh.

    In den USA gibt es aus den von Ih­nen ge­nann­ten Grün­den nie Ko­ali­tio­nen, al­ler­dings soll­te es in­sti­tu­tio­nel­le Ge­gen­ge­wich­te ge­gen die Re­gie­rung ge­ben und gibt es sie auch nach wie vor. Ko­ali­ti­ons­re­gie­run­gen mö­gen schwer­fäl­li­ger sein, sie sind je­den­falls ge­zwun­gen, di­ver­se und manch­mal kon­trä­re Ge­sichts­punk­te, auch mi­no­ri­tä­re, zu be­rück­sich­ti­gen. Mög­lich, daß das ein Vor­teil ist.

  23. Na­ja, es ist ei­ner Er­run­gen­schaf­ten von so et­was wie Auf­klä­rung, dass es das Prin­zip »one man, one vo­te« gibt. An­son­sten müss­te man zum Klas­sen­wahl­recht zu­rück­keh­ren oder Eig­nungs­tests durch­füh­ren. Letz­te­res ist un­durch­führ­bar. In Deutsch­land wird ja so­gar die Her­ab­set­zung des Wahl­al­ters auf 16 Jah­re für Bun­des­tags­wah­len dis­ku­tiert (in di­ver­sen Län­dern und auf re­gio­na­ler Ebe­ne ist das schon der Fall). Das Si­gnal ist na­tür­lich fa­tal und wird vor al­lem von Par­tei­en ge­trie­ben, die sich Vor­tei­le für die­se Re­ge­lung ver­spre­chen.

    Bil­dung ist nicht Spaß oder Hob­by, son­dern wird da­zu ge­macht. Es geht fast nur noch um Ma­schi­nen­fer­tig­kei­ten, d. h. wie man Ma­schi­nen (Such­ma­schi­nen in­klu­si­ve) mög­lichst op­ti­mal be­dient. Neu­lich hat­te ich mal ein Buch von An­drzej Sta­si­uk ver­lie­hen. Ich be­kam es nach ei­ni­gen Mo­na­ten zu­rück. Man hat­te nur 100 Sei­ten ge­schafft; es gab kei­nen »Nut­zen«.

  24. Am Prin­zip »One man, one vo­te« soll­te man auch nicht rüt­teln. Die­se Säu­le al­lein ist aber nicht aus­rei­chend, das kön­nen wir der­zeit be­ob­ach­ten.

  25. Ich bin bei @Gregor. Prä­si­di­al­sy­ste­me bil­den Schein­mehr­hei­ten ab, es sind nicht mal 40% der Bür­ger, die den am­tie­ren­den Prä­si­den­ten ins Amt he­ben möch­ten. Ver­hält­nis­sy­ste­me re­prä­sen­tie­ren (bis auf die Nicht-Wäh­ler) al­le Frak­tio­nen und ver­deut­li­chen die ele­men­ta­re Not­wen­dig­keit des Dis­kur­ses. Po­li­ti­sche Kom­pro­mis­se sind al­ler­dings in fast al­len Fäl­len Schein-Lö­sun­gen, und stel­len sel­ten Ver­bes­se­run­gen dar.
    In den letz­ten Jah­ren ha­be ich ein eher sel­ten zur Spra­che ge­brach­tes Prin­zip der De­mo­kra­tie zu schät­zen ge­lernt, die »Neu­tra­li­sie­rung des Ehr­gei­zes«. In den U.S.A. ist das be­kannt: man muss die be­son­ders Re­gie­rungs­wil­li­gen per­ma­nent ge­gen­ein­an­der an­tre­ten las­sen. Sie müs­sen sich an­ein­an­der ab­ar­bei­ten, was die Ge­fahr von »über­schie­ßen­den Schä­den« für das Land ver­rin­gert , wä­re das Han­deln auch mehr­heit­lich le­gi­ti­miert (self-con­fir­ma­ti­on bi­as). Das er­in­nert an Mon­tesquieu, ist aber we­ni­ger sy­ste­misch ge­meint. Ich wür­de von ei­ner Zäh­mung der Be­stie in­ner­halb des Sy­stems spre­chen.
    Von den drei Ge­wal­ten ist die Exe­ku­ti­ve prin­zi­pi­ell die Ge­fähr­lich­ste (sie­he Be­la­rus). Da­ge­gen hilft der Rechts­staat. Dann kommt die Le­gis­la­ti­ve. Da­ge­gen hilft das Kon­ter-Prin­zip (Op­po­si­tio­nen) und die po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit. Das steht im we­sent­li­chen hier zur De­bat­te. Und dann kommt die Ju­di­ka­ti­ve. Sie steht der Ver­nunft ty­pi­scher­wei­se am näch­sten. Ih­re Schwä­chen tre­ten zu­meist als In­kom­pe­tenz in Er­schei­nung. In Eu­ro­pa ha­ben wir aber den sel­te­nen Fall der Kom­pe­tenz-An­eig­nung via Ver­trags­recht (sie­he Eu­GH). Das ist nicht tra­gisch, darf aber in ei­ner Be­trach­tung der ge­gen­wär­ti­gen »Un­zu­frie­den­heit« nicht feh­len.

  26. Die Ju­di­ka­ti­ve ist ja nicht ganz »frei«. Bol­ton schreibt in sei­nem Buch über sei­ne 519 Ta­ge als Na­tio­na­ler Si­cher­heits­be­ra­ter un­ter Trump, dass des­sen gröss­tes Ver­dienst in den (not­wen­dig ge­wor­de­nen) Rich­ter­no­mi­nie­run­gen für den Ober­sten Ge­richts­hof liegt/lag. Da­mit wird sein Ge­dan­ken­gut noch Jah­re nach sei­ner mög­li­chen Ab­wahl vor­herr­schen. (Oh­ne­hin ist das Wort der »Ge­wal­ten­tei­lung« Au­gen­wi­sche­rei; sie be­din­gen sich wech­sel­sei­tig und sind mit­ein­an­der ver­floch­ten. Al­les an­de­re wä­re auch nicht wün­schens­wert.)

  27. Bil­dung ist Hal­tung. Aber kei­ne ideo­lo­gi­sche, son­dern in­ne­re Hal­tung. Noch ei­ne Stu­fe dar­über: Weis­heit (hat auch nichts mit Wis­sen zu tun).

  28. Es ist doch klar, dass De­mo­kra­tien auf Zi­vi­li­sie­rung an­ge­wie­sen sind. Die Schweiz funk­tio­niert so. Und ganz gut. Mög­lich ist das. Da braucht man nicht ver­za­gen. An­son­stenn muss man Ross und Rei­ter nen­nen, wie ich fin­de.

    PS

    Was, wie ich fin­de, nicht geht, ist zu glau­ben, die Po­li­tik müs­se den ei­ge­nen höch­sten Idea­len ent­spre­chen. Das kann sie nicht. Po­li­tik kann nur sehr un­voll­kom­men von­stat­ten ge­hen. Das ist kein Grund zur Kla­ge, son­dern soll­te als An­sporn ver­stan­den wer­den.

  29. Das da ist ein ak­tu­el­les Bei­spiel für die (west­li­che, by and lar­ge) Auf­klä­rungs­feind­schaft im Na­men der Iden­ti­täts­po­li­tik.

    https://quillette.com/2020/08/13/the-floridian-inquisition/

    Der in­kri­mi­nier­te Taki’s Ma­ga­zi­ne-Ar­ti­kel in dem pöna­li­sier­ten Tweet ist von et­wel­chem Witz (wirk­lich ein­sichts­reich), noch da­zu.

    Es ist nun so, dass so­wohl in der Welt­wo­che als auch in der NZZ der­lei an­stand­los dis­ku­tiert we­ren kann – ent­spre­chend­de Kom­men­ta­re pro Quil­let­te wer­den pro­blem­los ver­öf­fent­licht.

    Aber nicht in der Welt, nicht in ir­gend­ei­ner an­de­ren der gro­ßen Deut­schen Ta­ges­zei­tung, nicht im stern, nicht im Spie­gel oder im Fo­cus usw., und auch nicht in den ÖR. ‑Viel­leicht in der Press­se oder im Stan­dard?

  30. Der »Stan­dard« hat wäh­rend der Handke-»Debatte« lau­fend Kom­men­ta­re zen­siert – un­ter an­de­rem von mir (auch un­ter Klar­na­men). Die wa­ren we­der be­lei­di­gend noch bos­haft. Und dies, ob­wohl ich per­sön­lich dort an­ge­grif­fen wur­de.

    Grund­sätz­lich ist ein Me­di­um frei, das durch­zu­las­sen, was man will. Pres­se­recht­lich sieht es m. E. an­ders aus, wenn man sel­ber de­nun­ziert wird. Es ist aber schwer, so et­was durch­zu­set­zen.

    Wir soll­ten nicht je­den Fall von fehl­ge­lei­te­ter Iden­ti­täts­po­li­tik aus den USA kom­men­tie­ren; das macht kei­nen Sinn, weil man die Hin­ter­grün­de nicht ge­nü­gend kennt.

  31. Der Fall des hoch an­ge­se­he­nen und nun wg. iden­ti­täts­po­li­ti­scher Vor­hal­tun­gen tief zu fal­len dro­hen­den Psy­cho­lo­gie-Pro­fess­sors Charles Negy in Flo­ri­da  ist kei­ne Klei­nig­keit – und fin­det des­halb Re­so­nanz in der ge­sam­ten Ang­lo­s­phe­re.

    »Quil­let­te« ist ein weit­her­um ge­schätz­ter an­ti-iden­ti­täts­po­li­ti­scher  Leucht­turm in die­sem Teil der Welt und in­so­fern ein per­fek­tes Bei­spiel für das, was Ri­chard Ror­ty an­ge­mahnt hat. Clai­re Leh­mann, die au­stra­li­sche Grün­de­rin und Her­aus­ge­be­rin, war die­se Wo­che der »Welt­wo­che« in ih­rem Re­launch-Heft im­mer­hin ein Por­trait wert. Kein Deut­sches Qua­li­täts­me­di­um hat sich da­zu bis­her her­ab­ge­las­sen. – Viel­leicht weil Quil­let­te gra­tis (!) zu­gäng­lich ist. – - – Das ist ja der Alp­traum der Be­zahl­me­di­en, das ver­ste­he ich ganz gut.

    Die­ser Alp­traum ist aber ei­ne wohl­ver­dien­te Pla­ge des gei­stig ein­fach schwa­chen Haupt­stroms – man verl­gei­che nur mal den FAZ-Wis­sen­schafts-Chef Joa­chim Mül­ler-Jung und  – -  – - De­bo­rah Soh (u. a.) bei Qui­let­te zu der fra­ge Bio­lo­gie und Ident­ti­tät.

    Auch der von Ih­nen, Gre­gor Keu­sch­nig, ge­schätz­te Si­mon Strauß schätzt Clai­re Leh­mann und de­ren On­line-Ma­ga­zin Quil­let­te wohl nicht ganz grund­los.

    Je­den­falls geht es bei der Pro­fes­sor-Negy-Kon­tro­ver­se um ei­nen von Negy auf Twit­ter ver­link­ten Ar­ti­kel, der an Witz und Gei­stes­schär­fe und auf­klä­re­ri­scher Ver­ve nichts zu wün­schen üb­rig lässt ei­ner­seits; ein Ar­ti­kel an­de­rer­seits, der von ei­nem Mann ge­schrie­ben wur­de, der auch in Deutsch­land – ger­ne auch von des Eng­li­schen nicht ganz so  kun­di­gen Leu­ten, ganz übel be­leu­mun­det wird, wäh­rend hoch­mö­gen­de Gei­ster wie Cha­rels Mur­ray und Ste­ven Pin­ker ihn aus­drück­lich sc­chät­zen. – Das ist al­so ein Fall wie der von Lind­say She­p­herd, min­de­stens.

    Al­so ei­nes der leid­der zit­geist-ty­pi­schen Bei­spie­le der Ge­gen­auf­klä­rung in der west­lich ge­prägr­ten Welt.

    Der Ar­ti­kel »The Bon­fi­re of the Insanities»zu den Gei­stes­ka­prio­len, zu de­nen der Fall Ge­or­ge Floyd die welt­wei­te Öf­fent­lich­keit an­ge­sta­chelt hat, und auf den Charles Negy of­fen­bar un­er­laub­ter Wei­se ver­linkt hat, kann hier nach­ge­le­sen wer­den – 

    https://www.takimag.com/article/the-bonfire-of-the-insanities/  

    Der Ar­ti­kel vi­briert ge­ra­de­zu vor Gei­ste­ge­gen­wart, ana­ly­ti­scher Treffs­si­cher­heit und Witz. Ihn als An­lasss zu neh­men, ei­nen hoch­ge­schätz­ten Aka­de­mi­ker zu feu­ern, ist bös’.

    Der Ti­tel des Auf­sat­zes von Ste­ve Sai­ler lau­tet »The Bon­fi­re of the In­sa­ni­ties« und ist ei­ne Re­fe­renz an Tom Wol­fe und des­sen (tol­len, by the way) Race-Re­la­ti­ons-Ro­man »The Bon­fi­re of the Va­ni­ties« (dt. Fe­ge­feu­er der Ei­tel­kei­ten) , aber auch ei­ne fer­ne Re­fe­renz an den Tom Wol­fe von Ra­di­cal Chic and Mau-Mau bei der Wohl­fahrts­be­hör­de (Ra­di­cal Chic and Mau-Mau­ing the Flak-Cat­chers) über die schicke Fith Avenue/Leonard Bern­stein als Un­ter­stüt­zer, ja glü­hen­de Cham­pa­gner-Par­ty-Ver­eh­rer der  – - – - – (ter­ro­ri­sti­schen) Black Pan­ther Par­ty. –

    - Die­se Din­ge wie­der­ho­len sich nun – wenn auch, nach ei­nem al­ten Mu­ster, ne, als Far­ce – bis hin zur wei­ßen glä­ser­nen Kut­sche mit gol­de­nen Be­schlä­gen, in der man den Sarg mit dem Leich­nam Ge­or­ge Floyds, im Fern­se­hen di­rekt über­tra­gen, zur letz­ten Ru­he­stät­te ver­brach­te – am US-ame­ri­ka­ni­schen Na­tio­nal­fei­er­tag, wenn ich das rich­tig er­in­ne­re... 

    - – - Der Fall des Pro­fes­sors Negy ist al­so nicht ir­gend ein Fall, das ist ein Fall aus dem hei­ßen Kern je­nes schwir­ren­den Wir­bels, als den wir manch­mal un­se­re von iden­ti­täts­po­li­ti­schen Gra­ben­kämp­fen zer­rüt­te­te Ge­gen­w­wart wahr­zu­nehemn An­lass ha­ben.

    Was Sie über den Stan­dard schrei­ben, Gre­gor Keu­sch­nig, ist be­trüb­lich. Ich könn­te den Per­len­tau­cher aus ei­ge­ner Er­fah­rung hin­zu­fü­gen. – Er pre­digt öf­fent­lich die Milch der li­be­ra­len Den­kungs­art, und trinkt heim­lich den Wein der Zen­sur, lei­der. – Skru­pel gibt es – aber so­zu­sa­gen nur pri­vat, un­ter Aus­schluss der Öf­fent­lich­keit, und oh­ne prak­ti­sche Kon­se­quenz. Skru­pel zum Null­ta­rif, so­zu­sa­gen. – Die Mo­ral als Apercu...Aber das wirk­li­che Le­ben als Rat­ten­ren­nen – an­ony­me Ver­leum­dun­gen in­klu­si­ve, durch­aus mit Bil­li­gung des Per­len­tau­chers.

  32. Rich­tig, @Dieter Kief, der Per­len­tau­cher. Aber sei­en Sie doch ehr­lich: Wer braucht den noch? Und »neu­tral« war das Sam­meln und Pu­bli­zie­ren dort nie. Aber das ist ein an­de­res The­ma.

  33. Blei­be im Land, und är­ge­re Dich red­lich! – So oder so ähn­lich hat stets mei­ne Mut­ter ar­gu­men­tiert.
    Ich he­ge eben­falls ei­ne gro­ße Fas­zi­na­ti­on für die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen den Lef­ties und Cen­ter-Li­be­rals in den U.S.A., den Ver­füh­rern zur kri­tik­lo­sen Com­pa­n­ion­ship und den Er­wach­se­nen-Trai­nern der Frei­heit, aber wir soll­ten das Theo­rem der Reich­wei­te (ei­ner De­mo­kra­tie) nicht ganz aus den Au­gen ver­lie­ren. Be­ob­acht­bar­keit, ist das ei­ne; Ver­net­zung und Par­ti­zi­pa­ti­on das an­de­re.
    Wir »Eu­ro­pä­er«, wie die lan­des­ty­pi­sche Selbst­be­zei­chung neu­deutsch lau­tet, müs­sen uns nicht um Negy küm­mern, wir ha­ben ge­nug Ge­le­gen­hei­ten, sei­en es die Kopf-ver­kehrt-her­um-Tra­gen­den im DLF, die Ber­li­ner Hoch­be­gab­ten von der LGBT, oder die Kri­tik-Ro­bo­ter aus Frank­furt. Das ist ein biss­chen pro­vin­zi­ell, ich weiß. Aber die Ar­beit muss ge­macht wer­den.
    Wo­bei @Dieter na­tür­lich recht hat: die Ma­ga­zi­ne und die Pod­casts las­sen zu wün­schen üb­rig. Das er­for­dert ei­ne er­heb­li­che pu­bli­zi­sti­sche Kom­pe­tenz. Ich wür­de da im­mer­hin Burk­hard Mül­ler-Ul­rich nen­nen, der die Pod­cast-Fol­ge in­du­bio er­fun­den hat. Das kriegt man nicht von heut’ auf mor­gen hin.
    Ich ha­be mei­nen me­dia­len Kul­tur­schock schon hin­ter mir. Stimmt, der #per­len­tau­cher steht ein biss­chen für die Zeit des Über­gangs. Das ek­lek­ti­sche Prin­zip, wo sich je­der sei­ne Lieb­lings­stücke aus dem World-wide-Cesar’s‑Salad zu­sam­men­pickt, ist na­iv. Du musst, wür­de Mar­shall McLu­han sa­gen, die Licht- und die Schat­ten­sei­ten Dei­nes Me­di­ums ken­nen. Wenn Du ger­ne die #Welt­wo­che liest, musst Du wis­sen, wie die Ma­cher drauf sind. Wenn Du we­ni­ger Auf­re­gung be­vor­zugst, dann liest Du halt Quil­let­te oder das Be­gleit­schrei­ben...

  34. Ja, B. Mül­ler-Ul­rich / in­du­bio hat hie und da in­ter­es­san­te Leu­te, die_kalte_Sophie.

    Ich he­ge frei­lich die ein we­nig alt­mo­di­sche Idee, dass die ver­flix­ten Din­ge, wie Fried­rich Wil­helm Jo­seph Schel­ling sag­te, – - – - – - und jetzt kommt halt ein gro­ßes Wort: Al­le – - – - mit­ein­an­der zu­sam­men­hän­gen.

    Da man gleich­wohl über al­les nur schwer de­bat­tie­ren kann, braucht es ent­schie­de­ne Schnit­te, Ak­zen­te, auch das kann ich nach­voll­zie­hen. Ich hab’ Ri­chard Ror­ty ja nicht auf­ge­bracht, das war Leo­pold Fe­der­mair. Aber ich bin gern dar­auf ein­ge­gan­gen. – Ich gib’ zu, dass das da­her kommt, dass Ror­ty mit so­vie­len der­zeit wich­ti­gen Din­gen zu­sam­men­hängt. – Der Per­len­tau­cher woll­te nicht zu­las­sen, dasss ich Ge­or­ge Floyd auf mei­ne Art und Wei­se – sach­lich – the­ma­ti­sie­re. – Das ist mir auch an­ders­wo pas­siert, so um En­de Mai her­um.

    Ich ver­steh das ja auch teil­wei­se. Der jun­ge En­zens­ber­ger hat das schon ge­wusst – und ich glau­be mich fern zu er­in­nern, dass ei­ne der char­man­te­sten Re­fe­ren­zen, die er vor­brach­te, – - – - – drei El­stern wa­ren. – Al­so: Schwarz und weiß? – Ge­or­ge Floyd und wir... – ‑Ach, nur weil er so schön ist, nun doch noch ein Satz aus En­zens­ber­gers El­stern – - – Selbst­por­trait: Mich mei­ne Her­ren könnt ihr viel­leicht wi­der­le­gen, aber drei El­stern im Schnee sind ein Be­weis!

    Je­den­falls war es nicht falsch, Ge­or­ge Floyd zu the­ma­ti­sie­ren, und wie es sich her­aus­stell­te, wur­de und wird auch hier­zu­lan­de mit die­sem Ge­or­ge Floyd Po­li­tik ge­macht – von der Ber­li­ner Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den der Grü­nen bis hin­auf ins Kanz­ler­amt und – - – - zum Kon­stan­zer OB_Wahlkampf, der in mei­nem Lan­de, so­zu­sa­gen u. a. von ei­nem Stutt­gar­ter An­ti­fa-Grü­nen be­strit­ten wird, der den Ge­or­ge Floyd-Dis­kurs nun hier fort­zieht, in all sei­ner Un­sin­nig­keit. – Er kennt ver­mut­lich Schel­ling nicht, aber er exe­ku­tiert treu­lich, was der ihm vor­ge­schrie­ben hat.

    In der Welt­wo­che ist die­se Wo­che ein (lan­ges) Ge­spräch mit Pe­ter Thiel, dem Chef des IDW-Grün­ders Eric Wein­stein. Es ist – muss ich sa­gen, sehr in­ter­esssant. (Auch sehr ver­kehrt, in man­chen Text-Fur­chen, die hier wei­ter oben von Leo­pold Fe­der­mair und Gre­gor Keu­sch­nig be­ackert wur­den, der KI auf den Fer­sen...). Aber im­mer in­ter­es­sant. Nicht zu­letzt, weil Thiel es ver­steht, kon­zis zu re­den, bzw. zu schrei­ben. Und Ro­ger Köp­pel ganz auf den Punkt fragt.

    Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on ist na­tür­lich an­ge­sagt, schon al­lein weil die al­ler­mei­sten, wie En­zens­ber­ger das so schön kom­pri­miert hat, vom al­ler­mei­sten über­haupt nichts ver­ste­hen... – Wir al­le al­so ver­gleichs­wei­se we­nig checken.

    Ma­che ich mich mal wie­der sim­pel und for­mu­lie­re die­se The­se – aha – das brau­che ich ja gar nicht, weil Ho­ram Ya­zo­ny sie in Quil­let­te die­se Wo­che be­reits for­mu­liert hat – die­se The­se be­trifft näm­lich auch den Ka­sus des tap­fe­ren Psy­cho­lo­gen Char­ley Negy, und das da­mit di­rekt zu­sam­men­hän­gen­de – an­ti-fra­gi­le – In­tellec­tu­al Dark Web in den Spu­ren von Ri­chard Ror­ty und al­so Eric Wein­steins (re­mem­ber: des Ge­schäfts­füh­rers Pe­ter Thiels...) – kürz­lich er­folg­te Wein­steins voll­kom­men un­di­plo­ma­tisch deut­li­che Ver­ab­schie­dung (!) der New York Times aus dem Kreis der Zu­rech­nungs­fä­hi­gen, no­ta be­ne. Nun – - Yoram Ha­zo­nys Fa­zit sei­nes lan­gen Auf­sat­zes in Quil­let­te geht so:

    »I know that ma­ny li­be­rals are con­fu­sed, and that they still sup­po­se the­re are va­rious al­ter­na­ti­ves be­fo­re them. But it isn’t true. At this point, most of the al­ter­na­ti­ves that exi­sted a few ye­ars ago are go­ne. Li­be­rals will have to choo­se bet­ween two al­ter­na­ti­ves: eit­her they will sub­mit to the Mar­xists, and help them bring de­mo­cra­cy in Ame­ri­ca to an end. Or they will as­sem­ble a pro-de­mo­cra­cy al­li­ance wi­th con­ser­va­ti­ves. The­re aren’t any other choices.«

    (Ich hal­te den von Burk­hard Mül­ler-Ul­rich vor­ge­stell­ten Had­mut Da­nisch für ei­nen pro­duk­ti­ven Wirr­kopf. – Mül­ler-Ul­rich hat dar­über kom­plett hin­weg­ge­se­hen, wie wirr Da­nisch zu­zei­ten ist. Das war schlecht. Das liegt ver­mut­lich dar­an, dass die­se Ra­dio­leu­te eben schon hal­be Kom­pli­zen sind, weil sie ja auf die phy­si­sche Ko­ope­ra­ti­on ih­rer Ge­sprächs­part­ner an­ge­wie­sen sind. Bon .Egal. Wes­halb ich Da­nisch hier an­füh­re ist, weil ich mei­ne, dass er nicht Recht hat mit sei­nen apo­ka­lyp­ti­schen Re­den (ich mei­ne auch, dass die­ser Aspekt sei­ner oft ja fu­rio­sen Pro­duk­ti­on lei­der ver­derb­lich sei. Im Grun­de un­zi­vi­li­siert und ei­ne der ver­derb­li­chen Fol­gen ei­ner un­be­son­ne­nen Sä­ku­la­ri­sie­rung (so­was wie Had­mut Da­nischs fort­ge­setz­te Un­ter­gangs­pro­phe­ti­en wä­re Fried­rich Wil­helm Jo­seph Schel­ling – ah ja, ver­steh, ok, ich schwei­ge an die­ser Stel­le).

    Aber da­mit will ich je­den­falls sa­gen, dass auch ich die La­ge für ernst hal­te. Im­mer­hin für so ernst wie Ha­zo­ny. – U. a. des­we­gen schaue ich eben nicht nur hier her­ein, son­dern auch in Ca­to und die Welt­wo­che, die Jun­ge Frei­heit (sehr – sehr gu­tes Ge­spräch mit Hnas-Ge­org Ma­ßen die­se Wo­che über – die Re­de­frei­heit – und das Recht...) und die NZZ – ich mei­ne, wirk­lich, die freie Re­de sei be­droht und hier – sanc­ta sim­pli­ci­tas – lie­ge der­zeit das wich­tig­ste Hand­lungs­feld. Ich er­ach­te al­le als Ver­bün­de­te, die sich in­ner­halb des le­ga­len Ver­fas­sungs­bo­gens des Grund­ge­set­zes be­we­gen. Al­so ins­be­son­de­re Ge­walt­frei­heit be­für­wor­ten und die freie De­bat­te.

  35. En­zens­ber­ger konn­te viel vor­her­sa­gen, weil er im­mer die Mög­lich­kei­ten da­für hat­te. Er hat auch ne­ben­bei ei­ne Men­ge Un­sinn ge­re­det und ge­schrie­ben – dar­über sieht man heu­te groß­zü­gig hin­weg, wenn man ihn als Re­fe­renz­in­tel­lek­tu­el­len braucht. Ent­schei­dend war, dass er im­mer »Out­put« hat­te. Sei­ne Kri­ti­ker gal­ten da­bei nie als Fein­de, son­dern als Geg­ner. Der Un­ter­schied ist ent­schei­dend. Heu­te wer­den Trump’sche Zäu­ne in Me­di­en er­rich­tet: Wer auch nur den An­schein er­weckt, ei­ne be­stimm­te in­tel­lek­tu­el­le Li­nie zu über­schrei­ten, wird so­fort ver­bannt. Das hat in den USA längt re­li­giö­se Zü­ge be­kom­men. Trumps Wahl­er­folg von 2016 ist nicht zu­letzt dar­auf zu­rück­zu­füh­ren, dass er be­wusst ge­gen die­se Li­ni­en ge­re­det hat. Da braucht es kei­ner­lei po­li­ti­sche Vi­si­on (gut, sein »Make Ame­ri­ca gre­at again« – beim nä­he­ren Hin­se­hen ist »Yes, we can« ähn­lich platt). Was ent­schei­dend ist, dass der Ta­bu­bruch kei­ner mehr ist. Statt sich mit Trumps (in mei­nen Au­gen furcht­ba­ren) Po­li­tik aus­ein­an­der­zu­set­zen, zog man sich an Klei­nig­kei­ten hoch.

    Da die Strö­mun­gen aus den USA auch ir­gend­wann zu uns her­über­schwap­pen, ste­hen wir in D/A/CH erst am An­fang ei­ner Ent­wick­lung. Grob ge­spro­chen könn­te man von ei­nem »Stel­lungs­krieg« spre­chen. Ver­söh­nung un­mög­lich. Kom­pro­mis­se jeg­li­cher Art wer­den ver­teu­felt. In­zwi­schen gilt es schon als de­gou­tant, wenn je­mand wie ich ein Buch von Bol­ton be­spricht – er sei ein »Kriegs­trei­ber« und jeg­li­che »Wer­bung« für die­ses Buch sei un­zu­läs­sig. So wur­de ich an­ge­gan­gen. Die Be­reit­schaft, sich mit dem Geg­ner in­tel­lek­tu­ell aus­ein­an­der­zu­set­zen, ist nicht mehr vor­han­den. Man hat es sich im Wohn­zim­mer der rich­ti­gen Ge­sin­nung ge­müt­lich ge­macht. Kei­ne Stö­run­gen er­wünscht. Will sa­gen: Ein jun­ger En­zens­ber­ger heu­te wür­de ei­nen Sh*tstorm nach dem an­de­ren ern­ten. Und das muss man erst ein­mal aus­hal­ten.

  36. Ja, Gre­gor Keu­sch­nig, ja, ja, ja. Es ist dra­ma­tisch. Und po­li­tisch nicht un­ge­fähr­lich. – Der­zeit wird mit Joe Bi­den ein Mann, der klar auf dem Weg in die De­menz ist, ein­fach wei­ter ins Ren­nen um die Prä­si­dent­schaft ge­schickt. Kein Haupt­strom­me­di­um the­ma­ti­siert de­se äu­ßer­ste Form von Wäh­ler­trug. Hier nicht – und in den USA auch nicht. – Al­le ver­hal­te sich wie Kom­pli­zen. Al­le ma­chen sich so zu Kom­pli­zen. Man fasst es nicht. – Die Welt­po­li­tik als Po­li­tik-Quar­tett­spiel: Oran­ge Man Bad ist der Su­per­jo­ker und schlägt al­les an­de­re aus dem Feld. – Matt taib­bi hat nach dem 2016er US-Wahl­kampf be­reits das Fa­zit ge­so­gen, dass der Jour­na­lis­mus sich so selbst ab­schafft. Aber das Schur­ken­stück um die­se Kan­di­da­tur be­schä­digt ja nicht nur die de­mo­kra­ti­sche Öf­fent­lich­keit, es schä­digt mit der De­mo­kra­ti­schen Par­tei und den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern der USA die Welt­po­li­tik sel­ber.

    Hier le­se ich sehr auf­schluss­s­rei­che Tex­te in Me­di­en, die eben­falls im Haupt­strom nicht vor­kom­men, wie bei­spiels­wei­se An­dre­as Lom­bards auf­schluss­rei­ches Edi­to­ri­al im Juli/August Heft von CATO und sie­ne Übrle­gun­gen zur Aus­höh­lung de staat­li­chen Ge­walt­mo­no­pols – u. a. durch die Ver­staat­li­chung der ge­walt­tä­ti­gen An­ti­fa. – Di­to Frank Böckel­manns Edi­to­ri­al im ak­tu­el­len TUMULT.

    En­zens­ber­ger un­ter­stützt Frank Böckel­mann hie und da, üb­ri­gens. Er hat auch ei­nes sei­ner Bü­cher ver­legt. Das lei­stet er sich ein­fach. – Es pas­siert ihm auch nichts. U. a. weil vie­le Jun­ge die­se Din­ge nicht aus­ein­ader­krie­gen und die sub­ti­le­ren Bot­schaf­ten si­cher nicht rich­tig deu­ten.

    An­son­sten herrscht Angst. Vie­le Feuil­le­to­ni­stin­nen und Feuil­le­to­ni­sten fürch­ten um ih­ren Job im Haupt­strom, der ja wirt­schaft­lich kämpft. Die Feuil­le­tons ver­lie­ren ra­pi­de an Le­sern.

    Ganz an­ders ist es dann wie­der, wenn man in die Schweiz schaut. – Die NZZ un­ter­hält ein sehr neu­gie­ri­ges Ver­hält­nis zum IDW, wie auch zu Dou­glas und Charles Mur­ray und Clai­re Leh­mann und Ste­ven Pin­ker und Ro­bert Plomin et tut­ti quan­ti. Mar­kus Schär dis­ku­tiert die­se Din­ge an der Bas­ler Uni in al­ler See­len­ru­he. Kei­ne Kra­kee­ler und kei­ne ein­ge­schla­ge­nen Schei­ben und kei­ne be­sprüh­ten Bü­ros nir­gends. – Selbst im lin­ken Ta­ges-An­zei­ger im­mer wie­der Stim­men, die Asyl- und Mi­gra­ti­ons­fra­ge zu ent­ideol­gi­sie­ren.

    Ach ja, Do­nald Trump hat, an­ders als al­le füh­ren­den Deut­schen Po­li­ti­ke­rin­nen, aus­drück­lich die Uni­ver­si­tä­ten auf­ge­for­dert, im Sin­ne von John Ste­wart Mill und Jo­na­than Haidt (na­tür­lich, oh­ne die zu zi­tie­ren, ob­wohl sein Re­den­schrei­ber Mil­ler bei­de ganz gut kennt) der frei­en Re­de so­zu­sa­gen freie Bahn zu schaf­fen. Do­nald Trump hat of­fen­bar be­grif­fen, dass die freie Re­de das Le­bens­eli­xier der Uni­ver­si­tä­ten ist.

    PS

    Lt. Ste­ve Sai­ler brauch­te Trump die­se Lek­ti­on gar nicht zu ler­nen, weil sie ihm als kampf­erprob­ter New Yor­ker im Lau­fe der Jahr­zehn­te in Fleisch und Blut über­ge­gan­nen ist. – Ste­ve Sai­ler schrieb das zu Be­ginn von Trumps er­ster Amts­zeit, und Sai­ler, wie nach ihm Jo­na­than Fran­zen, hat bis hier­hin eben­falls in ei­nem wich­ti­gen Punkt sei­ner Trump-Pro­gno­se rich­tig ge­le­gen.

    PPS

    Dass der Luf­ti­kus Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger viel Un­sinn ver­zapft hat im Lauf der Jahr­zehn­te sagt er ja sel­ber. – Er hat­te gar die Gei­stes­ge­gen­wart, selbst über sei­ne Flops noch ein Buch zu ma­chen. Er hat wun­der voll­bracht und ist6 für mei­nen gei­sti­gen Haus­halt un­ver­zicht­bar. Die Zeit des ra­pi­de nach­las­sen­den Un­fugs brach mei­ner An­sicht nach mit dem sä­ku­la­ren Ly­rik-Band »Die Fu­rie des Ver­schwin­dens« (1980) und dem Auf­satz­band »Po­li­ti­sche Bro­sa­men« (1983) an.

  37. (kor­ri­giert) Ja, Gre­gor Keu­sch­nig, ja, ja, ja. Es ist dra­ma­tisch. Und po­li­tisch nicht un­ge­fähr­lich. – Der­zeit wird mit Joe Bi­den ein Mann, der klar auf dem Weg in die De­menz ist, ein­fach wei­ter ins Ren­nen um die Prä­si­dent­schaft ge­schickt. Kein Haupt­strom­me­di­um the­ma­ti­siert de­se äu­ßer­ste Form von Wäh­ler­trug. Hier nicht – und in den USA auch nicht. – Al­le ver­hal­ten sich wie Kom­pli­zen. Al­le ma­chen sich so zu Kom­pli­zen. Man fasst es nicht. – Die Welt­po­li­tik als Po­li­tik-Quar­tett­spiel: Oran­ge Man Bad ist der Su­per­jo­ker und schlägt al­les an­de­re aus dem Feld. – Matt Taib­bi hat nach dem 2016er US-Wahl­kampf be­reits das Fa­zit ge­zo­gen, dass der Jour­na­lis­mus sich so selbst ab­schafft. Aber das Schur­ken­stück um die­se Kan­di­da­tur be­schä­digt ja nicht nur die de­mo­kra­ti­sche Öf­fent­lich­keit, es schä­digt mit der De­mo­kra­ti­schen Par­tei und den Wäh­le­rin­nen und Wäh­lern der USA die Welt­po­li­tik sel­ber.

    Hier le­se ich sehr auf­schluss­s­rei­che Tex­te in Me­di­en, die eben­falls im Haupt­strom nicht vor­kom­men, wie bei­spiels­wei­se An­dre­as Lom­bards Edi­to­ri­al im Juli/August Heft von CATO und sei­ne Über­le­gun­gen zur Aus­höh­lung des staat­li­chen Ge­walt­mo­no­pols – u. a. durch die Ver­staat­li­chung der ge­walt­tä­ti­gen An­ti­fa. – Di­to Frank Böckel­manns Edi­to­ri­al im ak­tu­el­len TUMULT.

    En­zens­ber­ger un­ter­stützt Frank Böckel­mann hie und da, üb­ri­gens. Er hat auch ei­nes sei­ner Bü­cher ver­legt. Das lei­stet er sich ein­fach. – Es pas­siert ihm auch nichts. U. a. weil vie­le Jun­ge die­se Din­ge nicht aus­ein­ader­krie­gen und die sub­ti­le­ren Bot­schaf­ten si­cher nicht rich­tig deu­ten.

    An­son­sten herrscht Angst. Vie­le Feuil­le­to­ni­stin­nen und Feuil­le­to­ni­sten fürch­ten um ih­ren Job im Haupt­strom, der ja wirt­schaft­lich kämpft. Die Feuil­le­tons ver­lie­ren ra­pi­de an Le­sern.

    Ganz an­ders ist es dann wie­der, wenn man in die Schweiz schaut. – Die NZZ un­ter­hält ein sehr neu­gie­ri­ges Ver­hält­nis zum IDW, wie auch zu Dou­glas und Charles Mur­ray und Clai­re Leh­mann und Ste­ven Pin­ker und Ro­bert Plomin et tut­ti quan­ti. Mar­kus Schär be­glei­tet die­se Au­toren jour­na­li­stisch und dis­ku­tiert de­ren The­men an der Bas­ler Uni in al­ler See­len­ru­he. Kei­ne Kra­kee­ler und kei­ne ein­ge­schla­ge­nen Schei­ben und kei­ne be­sprüh­ten Bü­ros nir­gends. – Selbst im lin­ken Ta­ges-An­zei­ger im­mer wie­der Stim­men, die Asyl- und Mi­gra­ti­ons­fra­ge zu ent­ideol­gi­sie­ren.

    Ach ja, Do­nald Trump hat, an­ders als al­le füh­ren­den Deut­schen Po­li­ti­ke­rin­nen, aus­drück­lich die Uni­ver­si­tä­ten auf­ge­for­dert, im Sin­ne von John Ste­wart Mill und Jo­na­than Haidt (na­tür­lich, oh­ne die zu zi­tie­ren, ob­wohl sein Re­den­schrei­ber Mil­ler bei­de ganz gut kennt) der frei­en Re­de so­zu­sa­gen freie Bahn zu schaf­fen. Do­nald Trump hat of­fen­bar be­grif­fen, dass die freie Re­de das Le­bens­eli­xier der Uni­ver­si­tä­ten ist.

    PS
    Lt. Ste­ve Sai­ler brauch­te Trump die­se Lek­ti­on gar nicht zu ler­nen, weil sie ihm als kampf­erprob­ter New Yor­ker im Lau­fe der Jahr­zehn­te in Fleisch und Blut über­ge­gan­nen ist. – Ste­ve Sai­ler schrieb das zu Be­ginn von Trumps er­ster Amts­zeit, und Sai­ler, wie nach ihm Jo­na­than Fran­zen, hat bis hier­hin eben­falls in ei­nem wich­ti­gen Punkt sei­ner Trump-Pro­gno­se rich­tig ge­le­gen.

    PPS
    Dass der Luf­ti­kus Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger viel Un­sinn ver­zapft hat im Lauf der Jahr­zehn­te sagt er ja sel­ber. – Er hat­te gar die Gei­stes­ge­gen­wart, selbst über sei­ne Flops noch ein Buch zu ma­chen. Er hat Wun­der voll­bracht und ist für mei­nen gei­sti­gen Haus­halt un­ver­zicht­bar. Die Zeit des ra­pi­de nach­las­sen­den Un­fugs brach mei­ner An­sicht nach mit dem sä­ku­la­ren Ly­rik-Band »Die Fu­rie des Ver­schwin­dens« (1980) und dem Auf­satz­band »Po­li­ti­sche Bro­sa­men« (1983) an.

  38. @ Die­ter Kief
    Das ho­he Al­ter von Bi­den wird in den Me­di­en häu­fig the­ma­ti­siert. Kri­tik am Me­di­en­main­stream ok, aber das soll­te auch nicht zur Ob­ses­si­on wer­den. In­halt­lich pflich­te ich Ih­nen bei, Bi­den wird wäh­rend sei­ner Prä­si­dent­schaft, falls sie zu­stan­de­kommt, sei­nen Acht­zig­sten fei­ern.

  39. @ Leo­pold Fe­der­mair
    Joe Bi­dens sich klar an­bah­nen­de De­menz wird lei­der nicht the­ma­ti­siert. – Mei­ne ein­zi­ge Er­klä­rung ist: Es ist nicht op­por­tun. – Die Haupt­strom­me­di­en ver­sa­gen, und wer­den – er­neut – zu Kom­pli­zen. Das Mu­ster, das bei Hil­la­ry Clin­ton so schlecht funk­tio­niert hat, wirkt als fort.

    https://www.youtube.com/watch?v=isi8CdzDX_E 

    Ge­stern hat die US-Spe­zia­li­stin Ve­re­na Lue­ken den FAZ Feuil­le­ton-Auf­ma­cher über Joe Bi­den ge­habt – sie schrieb 5000+ Zei­chen wie er Han­nah Are­ndt im Jahr vor de­ren Tod ei­nen Brief ge­schrie­ben hat, von dem sonst nichts be­kannt ist als – eben das: Joe Bi­den hat Han­nah Are­ndt 1976 um ein Vor­trags­ma­nu­skript ge­be­ten. – Al­so: Joe Bi­den gut – ex­trem gut! We­gen die­ses Brie­fes an Han­nah Are­ndt, ist doch klar. – Oran­ge Man da­ge­gen ex­tre­me­ly bad – he just re­a­din’ The Bi­ble...! -

    - Lt. der be­hag­lich vor sich hin­phan­ta­sie­ren­den Ve­re­na Lue­ken hat Han­nah Are­ndt so­gar Trummp kom­men se­hen. – Dann phan­ta­siert sie wei­ter, dass auch Joe Bi­den be­reits 1975 Trump ge­ahnt ha­ben könn­te, wes­halb er ihr die­sen Brief über­haupt schrieb. – Wohl ge­merkt: Der Brief Bi­dens an Han­nah Are­ndt ent­hält nichts wei­ter, als die Bit­te um ein Vor­trags­ma­nu­skript. Aber weil es so na­he­lie­gend ist, phan­ta­siert Ve­re­na Lue­ken ganz of­fen­bar Bi­dens Brief von 1975 ver­wei­se vor auf sei­ne ak­tu­el­len Sor­gen we­gen ei­nes durch und durch »kor­rup­ten« »scham­lo­sen Lüg­ners« und »Kri­mi­nel­len« im Wei­ßen Haus. Das ist kein Jour­na­lis­mus, das ist Spö­ken­kie­ke­rei. In der FAZ – im Na­men des Gu­ten. – Das ist cum gra­no sa­lis das der­zeit im We­sten welt­weit be­dien­te Mu­ster in Sa­chen Joe Bi­den.

    PS
    De­menz ist kein Kin­der­spiel. Sie ver­än­dert die Per­sön­lich­keit, ruft emo­tio­na­le Druch­brü­che her­vor, ver­min­dert die Ur­teils­fä­hig­keit, macht Men­schen ängst­lich, ag­gres­siv, pa­ra­no­id. Auch pro­spek­ti­ve Prä­si­den­ten.

  40. @ Die­ter K.
    De­menz ist kein Kin­der­spiel, rich­tig. Das wis­sen wir in­zwi­schen al­le aus Er­fah­rung, fast je­der hat oder hat­te ei­nen De­men­ten in sei­ner Fa­mi­lie.
    Ich wä­re, hät­te ich ei­ne Stim­me, ge­nau aus die­sem Grund nicht für sei­ne Kan­di­da­tur. Er wur­de von der de­mo­kra­ti­schen »Ba­sis« – kann man’s so sa­gen? Sie wis­sen si­cher bes­ser Be­scheid als ich – ge­wählt. Sein stärk­ster Kon­kur­rent war al­ler­dings noch äl­ter als er.
    Gut, jetzt ha­ben wir die­sen Kan­di­da­ten, Bi­den. Und wir ha­ben Trump, und die Zu­schrei­bun­gen der FAZ-Jour­na­li­stin sind ja nicht voll­kom­men falsch. (Ich per­sön­lich nei­ge da­zu, in Im­mo­bi­li­en­hai­en so­wie­so Kri­mi­nel­le zu se­hen.) Und es wä­re gut, wenn sich die Öf­fent­lich­keit und auch wir mit dem be­schäf­tig­ten, was sie re­prä­sen­tie­ren, wel­che Pro­gram­me sie ha­ben usw. Al­les be­stim­mend ist aber die­ses La­ger­den­ken, rechts und links, re­pu­bli­ka­nisch und de­mo­kra­tisch, dem auch Lue­ken auf­zu­sit­zen scheint. Be­son­ders in den USA, wo das Wahl­sy­stem das be­gün­stigt, aber auch in Eu­ro­pa. So wie die Öf­fent­lich­keit in un­se­rer Epo­che struk­tu­riert ist, se­he ich nicht, wie man das in ab­seh­ba­rer Zeit über­win­den wird.
    Auf ei­nem be­stehe ich trotz­dem noch­mal: Ich ha­be nicht den Ein­druck, daß Bi­dens Al­ter und sei­ne Fra­gi­li­tät über­haupt nicht the­ma­ti­siert wer­den. Hier zum Bei­spiel, in der Wa­shing­ton Post: https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/03/12/its-fair-speculate-whether-biden-is-mentally-fit-be-president/

  41. Für mich war nie klar, war­um die jün­ge­ren Kan­di­da­ten (u. a. auch die jetzt zur Vi­ze­prä­si­den­tin no­mi­nier­te Har­ris) bei den De­mo­kra­ten auf der­art we­nig Rück­halt ge­sto­ssen sind. So wä­re Pe­te Butt­i­gieg (Al­ter 37) ein in­ter­es­san­ter Her­aus­for­de­rer ge­wor­den. In­wie­fern sei­ne Ho­mo­se­xua­li­tät hin­der­lich war, ver­mag ich nicht zu sa­gen.

    Die Grün­de für Bi­den vs San­ders – mit dem Er­geb­nis für Bi­den – dürf­te eher mit den Kun­ge­lei­en in der De­mo­kra­ti­schen Par­tei zu tun ha­ben: das Estab­lish­ment sieht an­son­sten ih­re Fel­le schwim­men. Nicht um­sonst ist Trump bei den Re­pu­bli­ka­nern ähn­lich um­strit­ten. Die bei­ßen nur die Zäh­ne zu­sam­men.

    Was @Dieter Kief zu Lue­ken sagt, ist na­tür­lich rich­tig. Der Text ist wirk­lich rei­ner Un­fug.

    Per­sön­lich glau­be ich, dass Biden/Harris nicht die Wäh­ler in den »Swing­sta­tes« mo­bi­li­sie­ren kann, die man bräuch­te. Das gröss­te Schreckens­sze­na­rio wä­re, dass et­li­che »De­mo­kra­ten­wäh­ler« zu Hau­se blie­ben, wäh­rend Trump sei­ne zu mo­bi­li­sie­ren ver­steht. Im üb­ri­gen emp­feh­le ich die Lek­tü­re des Bol­ton-Bu­ches. Es gibt hier Stel­len, die man, bös­ar­tig in­ter­pre­tie­rend, als De­menz bei Trump deu­ten könn­te (et­wa sein Um­gang mit Kim Jong-un)

  42. @ Leo­pold Fe­der­mair, Gre­or Keu­sch­nig wg. Zwei­fel Joe Bi­dens Zu­stand

    Say now ba­by, I’m the rank out­si­der
    You can be my part­ner in crime
     (Jagger/Richards – Tumb­ling Di­ce / Exi­le On Main­street)

    Die FAZ ge­stern – Joe Bi­den gut, Mi­chel­le Oba­ma gut, Bill Clin­ton gut, Ba­rack Oba­ma su­per. Die west­li­che Welt­pres­se di­to und TV usw. auch.

    Der Haupt­strom hielt dicht, Zwei­fel an Joe Bi­dens Zu­stand kom­men von Au­ßen­sei­tern – Jim­my Do­re (un­ten ver­linkt) – »the guy is FUCKING de­men­ted!« – Matt Taib­bi – yes, Joe Bi­den is in an ear­ly stage of de­men­tia. Joe Ro­gan – »This Joe Bi­den guy is cle­ar­ly de­men­ted. I can’t vo­te for him. If it is Joe Bi­den or Trump, I’ll vo­te for Trump. (...) In a de­ba­te, Trump will eat him ali­ve!«

     –  ’ «Aber er hat ja nichts an!’ sag­te end­lich ein klei­nes Kind.«  – -

    Zu­fall? Al­le drei (be­kann­te) US-Au­ßen­sei­ter sind klar links. Pro Ber­nie San­ders.
    Sind die drei ganz al­lein mit ih­ren Zwei­feln? – Nicht ganz! – Die Mehr­heit der Ame­ri­ka­ner denkt laut ei­ner ak­tu­el­len Be­fra­gung ähn­lich – sie den­ken Joe Bi­den sei in ei­nem Früh­sta­di­um der De­menz.

        https://pjmedia.com/news-and-politics/rick-moran/2020/06/19/oh-my-55-percent-believe-that-biden-in-early-stages-of-dementia-n556379  

    Die WaPo von April, die Sie zi­tiert ha­ben, Leo­pold Fe­der­mair, lässt im­mer­hin die Mög­lich­keit of­fen, dass Joe Bi­den ein­fach al­ters­ge­mäß ko­gni­tiv ein­ge­schränkt wä­re. Sie ver­mei­det den Aus­druck De­menz.
    Ich nei­ge Jim­my Do­re, Joe Ro­gan und Matt Taib­bi zu: Yep, Joe Bi­den ist klar zu­min­dest in ei­nem Früh­sta­di­um der De­menz. 
    Wes­halb be­to­ne ich das? – Weil es, an­ders als der al­ters­ty­pi­sche ko­gni­ti­ve Ab­bau – ein psy­cho­pa­tho­lo­gi­scher Zu­stand ist. Ich mei­ne, Joe Bi­den sei nicht nur ko­gni­tiv nicht in der La­ge, Prä­si­dent der USA zu sein. Ich mei­ne er sei be­reits in sei­nem jet­zi­gen Sta­di­um phy­sisch und psy­chisch nicht ge­eig­net, die­ses Amt aus­zu­üben. Und es sei des­halb ge­fähr­lich, je­man­den in so ei­nem Zu­stand so ein Amt ge­ge­be­nen­falls an­zu­ver­trau­en.

    Un­ter dem Strich steht die üb­li­che Spal­tung zwi­schen der welt­wei­ten west­li­chen Funk­ti­ons­lei­te hie – und der Be­völ­ke­rungs­mehr­heit und ein paar Au­ßen­sei­tern da. (cf. The Road to So­me­whe­re / Da­vid Good­hart et. al. (Thi­lo Sar­ra­zin, Jo­na­than Haidt...)).

    PS – @ Gre­gor Keu­sch­nig

    Dass John Bol­ton in »Der Raum in dem al­les ge­schah« Trump so aus­se­hen lässt, als ob auch der de­ment sein könn­te, passt zu dem, was von An­fang an über Trump ge­sagt wur­de – dass er nicht zu­rech­nungs­sfä­hig sei. Ver­gleicht man aber kühl, so wird man fest­stel­len müs­sen, dass Trump kei­ne au­ßer­ge­wöhn­li­che Mü­he hat mit der Rol­le als Prä­si­dent fer­tig zu wer­den. Die De­mo­kra­ten ha­ben sich of­fen­bar in die Ecke ge­pin­selt, wie das ame­ri­ka­ni­sche Sprich­wort sagt. Und er­neut könn­ten ih­nen vie­le Durch­schnitts­bür­ger des­halb die Ge­folg­schaft ver­wei­gern. 

     
    Die Mi­nu­ten 5 bis 9 in Ka­tie Hal­pers und Matt Taibbi’s Rol­ling Stone Pod­cast- Jim­my Do­res Brand­re­de über die Vor­wah­len mit Fo­cus auf Ber­nie San­ders und Joe Bi­den (its quite Rock’n’Roll though)
    https://www.youtube.com/watch?v=QxIjbulIYDs&t=488s  

    Hier sind ein paar be­denk­li­che Auf­trit­te von Joe Bi­den ge­sam­melt

    https://www.youtube.com/watch?v=aA-GoeFGyIc   

    »Aber er hat ja nichts an!« rief zu­letzt das gan­ze Volk. Das er­griff den Kai­ser, denn es schien ihm, sie hät­ten Recht; aber er dach­te bei sich: »Nun muß ich die Pro­zes­si­on aus­hal­ten.« Und die Kam­mer­her­ren gin­gen noch straf­fer und tru­gen die Schlep­pe, die gar nicht da war. 
    Die Zi­ta­te sind aus: Chri­sti­an An­der­sen – Des Kai­serss neue Klei­der – ei­nem Kunst­mär­chen von 1837 nach al­ten europäisch/nordafrikanischen Mo­ti­ven.

  43. Herr Kief, ich ha­be mit kei­ner Sil­be ge­sagt, dass Bol­ton sug­ge­riert, dass Trump de­ment ist. Ich sprach da­von, dass es Stel­len gibt, »die man, bös­ar­tig in­ter­pre­tie­rend, als De­menz bei Trump deu­ten könn­te (et­wa sein Um­gang mit Kim Jong-un)«. Zu­erst war näm­lich Kom Jong-un der »rocket man«. der not­falls zer­stört wer­den muss­te und dann mu­tiert er bin­nen we­ni­ger Mo­na­te zum Eh­ren­mann (aus Trumps Sicht). Bol­ton stellt das ne­ben­ein­an­der, oh­ne es zu kom­men­tie­ren. Er ver­steht es schlicht­weg nicht.

    Über­haupt soll­te man mit der DIa­gno­se »De­menz« et­was vor­sich­ti­ger um­ge­hen, fin­de ich.

    Be­mer­kens­wert fin­de ich, wie wohl­wol­lend Sie Trumps Prä­si­dent­schaft se­hen. Ich möch­te das aber hier nicht wei­ter dis­ku­tie­ren.

  44. Of­fen ge­stan­den in­ter­es­siert es mich nicht be­son­ders, ob Bi­den nun de­ment oder nur al­ters­schwach ist. So oder so ist er kein gu­ter Kan­di­dat. Des­halb Trump wäh­len? Wenn es mit Bi­den nicht mehr geht, kommt halt die Har­ris ans Ru­der. Das al­les ist un­schön, aber Har­ris wä­re mir lie­ber als Trump, der auch nicht ganz zu­rech­nungs­fä­hig und we­nig jün­ger als Bi­den ist.
    Ein an­de­rer lin­ker US-In­tel­lek­tu­el­ler, Cor­nel West, läßt an Bi­den auch kein gu­tes Haar, für ihn ist er ein »neo­li­be­ra­les De­sa­ster« (und Trump ein »neo­fa­schi­sti­scher Gang­ster«). Pest und Cho­le­ra. https://www.republik.ch/2020/08/22/wir-haben-die-wahl-zwischen-einem-neofaschistischen-gangster-und-einem-neoliberalen-desaster?fbclid=IwAR0YkyF4u70q-_x-PCcGj-Y-MwyUG40uzACUPZ7YsebawqZ3amnN1_dqyWo

  45. Die­ses West-In­ter­view ist na­tür­lich völ­li­ger Blöd­sinn. Sei­ne Zu­schrei­bun­gen sind ad­di­tiv und in­fan­til. Weil »Gang­ster« und »fa­schi­stisch« schon ver­ge­ben war, muss es für Bi­den halt »neo­li­be­ral« sein. Mir scheint, die In­tel­lek­tu­el­len pas­sen sich dem Ni­veau de­rer an, die sie kri­ti­sie­ren.

  46. Was mich stört, ist die­ses Pre­di­ger­haft-Rhe­to­ri­sche, wo Fak­ten und Ein­wän­de kei­ne Rol­le spie­len (z. B. daß 40 Pro­zent der US-Ame­ri­ka­ner in Ar­mut le­ben, ist Blöd­sinn, er be­haup­tet das ein­fach so locker).
    Die Ge­gen­über­stel­lung Neo­fa­schist – Neo­li­be­ra­ler fin­de ich aber nicht ab­we­gig. (Wir ha­ben in die­sem Blog schon viel über die­sen Be­griff, den letz­te­ren, dis­ku­tiert. Ich se­he kei­nen bes­se­ren, um die ge­gen­wär­ti­ge so­zi­al­öko­no­mi­sche Ver­fas­sung knapp zu er­fas­sen, und durch die Ge­schich­te des Be­griffs, al­so durch sei­nen Ge­brauch, weiß man mei­stens recht ge­nau, was ge­meint ist.)

  47. Trotz­dem »Dan­ke« für das In­ter­view von Cor­nel West. Es zeigt ei­gent­lich sehr schön die­se ty­pi­sche Verknappung/Dürftigkeit, die nö­tig ist, um das Be­griffs­sor­ti­ment Fa­schis­mus-Ka­pi­ta­lis­mus-Im­pe­ria­lis­mus-Neo­li­be­ra­lis­mus auf ei­nen Nen­ner zu brin­gen, be­kannt als das »Sy­stem«.
    Wenn man durch die Zeit reist, ist das ein­zig Neue der letz­ten Jah­re, dass der Ras­sis­mus in die­se Ru­bri­zie­rung ein­ge­reiht und be­son­ders her­vor­ge­kehrt wur­de. Ich weiß nicht, ob Bru­der Cor­nel sei­nen Leu­ten da­mit ei­nen gro­ßen Dienst er­weist. Die sog. Spal­tung des Lan­des geht je­den­falls aus ei­nem ZUVIEL an die­sen und ver­gleich­ba­ren mo­ra­li­schen Ur­tei­len her­vor, mög­li­cher­wei­se ver­stärkt durch ein ZUWENIG die­ser Wert­fest­stel­lun­gen in der Pra­xis. Die Fra­ge, was die­se Ral­ley der Schan­de mit Phi­lo­so­phie zu tun hat, über­las­se ich den Ex­per­ten. Har­vard ist wohl auch nicht mehr ganz, das was es mal war...
    Im üb­ri­gen stim­me ich der Skep­sis an­läss­lich der de­mo­kra­ti­schen Kan­di­da­ten zu, und hal­te mich bei Fern­dia­gno­sen be­deckt. Bi­den war ein no­to­ri­scher Stot­te­rer in sei­ner Ju­gend; er wird nie ein Al­lein-Un­ter­hal­ter wie Trump sein (oder bö­ser Clown, je nach Wahr­neh­mung). Ka­me­la Har­ris hat in Ka­li­for­ni­en die Ge­fäng­nis­se bis zum Plat­zen ge­füllt. Schwarz oder Weiß, hat sie da­bei nie in­ter­es­siert. Sie hat üb­ler Nach­re­de zu­fol­ge ein She­riff-Herz: Haupt­sa­che, wir ha­ben ei­nen, der es ge­we­sen sein KÖNNTE... Lock him up! – Cor­nel West wird wei­ter­hin viel Blues-Mu­sik hö­ren müs­sen.

  48. Trumps Steuer»reform« war das größ­te »neo­li­be­ra­le« Ge­schenk an die Rei­chen, was es in den USA je ge­ge­ben hat. Da­ge­gen war Rea­gan fast ein Wai­sen­kna­be. Bi­den als »neo­li­be­ra­les De­sa­ster« zu apo­stro­phie­ren ist wirk­lich dumm.

    Seit Clin­ton (»It’s the eco­no­my, stu­pid...«) sind üb­ri­gens die mei­sten oder so­gar al­le Fi­nanz­mi­ni­ster von der Wall-Street ge­kom­men – die Prä­gung nach wirt­schafs­freund­li­cher Po­li­tik war par­tei­über­grei­fend Kon­sens. Trumps Fi­nanz­mi­ni­ster ist ja ne­ben Vi­ze­prä­si­dent Pence fast der ein­zi­ge Mi­ni­ster, der seit Prä­si­dent­schafts­be­ginn im Amt ist.

    @ die_kalte_Sophie: Die sog. Spal­tung des Lan­des geht je­den­falls aus ei­nem ZUVIEL an die­sen und ver­gleich­ba­ren mo­ra­li­schen Ur­tei­len her­vor, mög­li­cher­wei­se ver­stärkt durch ein ZUWENIG die­ser Wert­fest­stel­lun­gen in der Pra­xis.
    Ein klu­ger Satz.

    Im üb­ri­gen ist Trump nicht auf Wäh­ler aus, die Herrn West zu­stim­men. Die hat er beim letz­ten Mal schon nicht ge­braucht. Und vor­aus­ei­len­de Wäh­ler­be­schimp­fung ist auch – um Frau Mer­kel in an­de­rem Kon­text zu zi­tie­ren – »we­nig hilf­reich«.