Mo­nod und Sar­ra­zin

Ich ha­be Mo­n­ods Buch nach et­li­chen Jah­ren wie­der in die Hand ge­nom­men, weil ich mich an ei­ne Stel­le er­in­ner­te, die an­schei­nend bei Thi­lo Sar­ra­zin wie­der auf­taucht war.

Auf et­wa ein­ein­halb Sei­ten streift Mo­nod in sei­ner knap­pen, tref­fen­den Art ein ge­sell­schafts­po­li­ti­sches The­ma und stellt ei­ne The­se auf, die man als ei­nen der Haupt­punk­te (wenn nicht so­gar den Kern) von Sar­ra­zins Ar­gu­men­ta­ti­on be­zeich­nen kann.

Mo­nod dis­ku­tiert die Be­deu­tung von Spra­che und Kul­tur für die Evo­lu­ti­on un­se­res Ge­hirns und den Zu­sam­men­halt von Grup­pen. Kul­tur war ein be­deu­ten­der Se­lek­ti­ons­fak­tor, al­ler­dings […] nur bis zu dem Au­gen­blick, wo sich we­gen der zu­neh­men­den Ge­schwin­dig­keit der Kul­tur­ent­wick­lung die­se und die ge­ne­ti­sche Evo­lu­ti­on voll­stän­dig von ein­an­der lö­sen soll­ten.


Und ge­nau das pas­sier­te in un­se­ren mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten: Das ge­ne­ti­sche Über­le­ben [des] Tüch­tig­sten gilt nur noch in ei­nem per­sön­li­chen Sinn als Er­folg, aber nicht mehr in Be­zug auf ei­ne grö­ße­re Nach­kom­men­schaft. Zwi­schen In­tel­li­genz­quo­ti­ent (der bei Paa­ren in et­wa gleich ist) und Kin­der­zahl be­stehe ei­ne ne­ga­ti­ve Kor­re­la­ti­on (Mo­nod be­ruft sich auf Sta­ti­sti­ken, die er nicht nennt; ver­mut­lich, weil dies nur ein Rand­the­ma ist): [D]as be­ste Erb­gut [sam­melt] sich nach und nach bei ei­ner Eli­te […], de­ren Um­fang im­mer mehr schrump­fen wird.

Theo­re­tisch könn­te die­se kur­ze Stel­le aus „Zu­fall und Not­wen­dig­keit“ Sar­ra­zin als Quel­le oder In­spi­ra­ti­on ge­dient ha­ben, viel­leicht aber auch ei­ni­ge Be­mer­kun­gen Dar­wins (über­mit­telt von Al­fred Rus­sel Wal­lace: „[…] in our mo­dern ci­vi­lizati­on na­tu­ral sel­ec­tion had no play […] It is no­to­rious that our po­pu­la­ti­on is mo­re lar­ge­ly re­ne­wed in each ge­ne­ra­ti­on from the lower than from the midd­le and up­per clas­ses.“), die Sar­ra­zin zi­tiert oder je­mand ganz an­de­rer. Je­den­falls sind die Be­fürch­tun­gen Mo­n­ods und Sar­ra­zins sehr ähn­lich, auch wenn sich Un­ter­schie­de an­füh­ren las­sen. Sar­ra­zin nennt fol­gen­de Ur­sa­chen:

  • „re­la­ti­ve Zu­nah­me bil­dungs­fer­ner au­to­chtho­ner Schich­ten
  • Zu­nah­me des An­teils bil­dungs­fer­ner Mi­gran­ten
  • star­ke Ab­nah­me der Nach­fah­ren bil­dungs­na­her Schich­ten
  • ho­mo­ga­me Part­ner­wahl der bil­dungs­na­hen Schich­ten“

Sie „be­wir­ken, dass der An­teil wie auch die An­zahl der in­tel­li­gen­te­ren Glie­der in der deut­schen Ge­sell­schaft ab­neh­men wird, wäh­rend der An­teil der nach heu­ti­gen Maß­stä­ben un­ter­durch­schnitt­lich In­tel­li­gen­ten wächst. Das Mu­ster des ge­ne­ra­ti­ven Ver­hal­tens in Deutsch­land seit Mit­te der sech­zi­ger Jah­re ist nicht nur kei­ne Dar­win­sche na­tür­li­che Zucht­wahl im Sin­ne von „sur­vi­val of the fit­test“, son­dern ei­ne kul­tu­rell be­ding­te, vom Men­schen selbst ge­steu­er­te ne­ga­ti­ve Se­lek­ti­on […].“ Sar­ra­zin be­schreibt den zeit­li­chen Ho­ri­zont wie folgt: „In nur drei Ge­ne­ra­tio­nen hat sich der Be­völ­ke­rungs­an­teil der un­te­ren Grup­pe ver­dop­pelt und in vier Ge­ne­ra­tio­nen der An­teil der obe­ren hal­biert.“ Er schließt dar­aus, dass Än­de­run­gen der Ge­bur­ten­ra­ten rasch Aus­wir­kun­gen auf die Be­völ­ke­rungs­struk­tur zei­gen, und setzt die­se mit dem IQ in Be­zie­hung. Dies führt „zwin­gend da­zu, dass sich der An­teil der we­ni­ger Tüch­ti­gen und we­ni­ger In­tel­li­gen­ten von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on er­höht, so­lan­ge die Grup­pen je nach so­zia­ler Stel­lung ei­ne un­ter­schied­li­che Frucht­bar­keit ha­ben.“

Ich möch­te Mo­nod noch ein­mal aus­führ­lich zi­tie­ren, er bleibt am En­de un­ent­schie­den, und the­ma­ti­siert Mi­gra­ti­on, ent­ge­gen Sar­ra­zin, nicht; auch sieht er den zeit­li­chen Ho­ri­zont we­ni­ger drän­gend (ei­ne Ge­fahr auf lan­ge Sicht, auf ei­ni­ge hun­dert Jah­re, 10–15 Ge­ne­ra­tio­nen): In ei­ner noch nicht lan­ge zu­rück­lie­gen­den Zeit wur­den selbst in den re­la­tiv „fort­schritt­li­chen“ Ge­sell­schaf­ten die kör­per­lich und gei­stig we­ni­ger Tüch­ti­gen au­to­ma­tisch und un­er­bitt­lich aus­ge­schie­den. […] Heu­te le­ben vie­le die­ser erb­lich Schwa­chen lan­ge ge­nug, um sich ver­meh­ren zu kön­nen. Ge­gen den Ver­fall, der un­ver­meid­lich wird, wenn die na­tür­li­che Aus­le­se auf­ge­ho­ben ist, schütz­te sich die Art durch ei­nen Me­cha­nis­mus, der heu­te dank der Fort­schrit­te der so­zia­len Ein­sicht und der So­zi­al­ethik höch­stens noch bei den al­ler­schwer­sten Erb­schä­den wirk­sam wird. Und wei­ter: Oft ist auf die Ge­fah­ren hin­ge­wie­sen wor­den, und man hat ih­nen manch­mal die Heil­mit­tel ent­ge­gen­ge­hal­ten die man von den neue­sten Fort­schrit­ten der mo­le­ku­la­ren Ge­ne­tik er­war­te­te. Die­se fal­sche Hoff­nung, die von ei­ni­gen Halb­ge­bil­de­ten ver­brei­tet wird, muß zer­streut wer­den. Zwei­fel­los wird man ei­ni­ge Erb­feh­ler ab­stel­len kön­nen, doch nur bei dem be­trof­fe­nen In­di­vi­du­um, nicht aber aber in sei­ner Nach­kom­men­schaft. Die mo­der­ne Mo­le­ku­lar­ge­ne­tik stellt uns kein Mit­tel zur Ver­fü­gung, mit dem wir auf das Erb­gut ein­wir­ken könn­ten, um es mit neu­en Qua­li­tä­ten an­zu­rei­chern und ei­nen ge­ne­ti­schen Über­men­schen zu schaf­fen […] das ein­zi­ge Mit­tel zur „Ver­bes­se­rung“ der mensch­li­chen Art [be­stün­de] dar­in, ei­ne be­wuss­te und stren­ge Se­lek­ti­on zu tref­fen. Und Mo­nod be­en­det die­ses The­ma mit der Fra­ge [a]ber wer wür­de das wol­len, wer wür­de das wa­gen?

Die von Mo­nod be­schrie­be­ne Si­tua­ti­on hat sich mitt­ler­wei­le grund­le­gend ver­än­dert: Ge­ne­ti­sche Ma­ni­pu­la­tio­nen sind ge­zielt mög­lich, und Or­ga­nis­men kön­nen neue Ei­gen­schaf­ten „ein­ge­pflanzt“ wer­den, al­ler­dings bleibt ei­ne Zucht von Men­schen (im Sin­ne ei­ner Ver­bes­se­rung oder Ver­ed­lung) noch au­ßer­halb des Mög­li­chen; sie er­scheint je­doch rea­li­sti­scher, als die von Mo­nod the­ma­ti­sier­te Idee ei­ner stren­gen Se­lek­ti­on.

* * *

Hei­ner Rin­der­mann und Det­lef Rost in der FAZ zur Schich­tung von In­tel­li­genz in­ner­halb ei­ner Ge­sell­schaft und ih­rem Ab­sin­ken in den fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen.

Zi­ta­te aus „Zu­fall und Not­wen­dig­keit“ sind kur­siv, je­ne aus „Deutsch­land schafft sich ab“ un­ter An­füh­rungs­zei­chen ge­setzt.

Dank an Gre­gor Keu­sch­nig für Aus­tausch und Dis­kus­si­on.

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  1. Der letz­te Link funk­tio­niert nicht, es sind zwei Links hin­ter­ein­an­der ko­piert, der zwei­te ist der FAZ-Ar­ti­kel.

    Der FAZ-Ar­ti­kel ist wirk­lich sehr in­ter­es­sant und frei von Po­le­mik, zu­mal vor al­lem Det­lef Rost als ei­ne an­er­kann­te Ka­pa­zi­tät auf dem Ge­biet der In­tel­li­genz­for­schung gilt.

  2. RR in FAZ be­haup­ten die­sen IQ An­stieg, oh­ne ei­ne Quel­le zu nen­nen.
    Wer trai­niert da­her den IQ bei Men­schen: Fern­se­hen, Zei­tun­gen, In­ter­net?
    Er­hoeht Le­bens­er­fah­rung den IQ? Gibt es ei­nen di­rek­ten oder in­di­rek­ten Lern­ef­fekt bei wie­der­hol­ten IQ Mes­sun­gen?
    Sinkt der IQ bei nicht-Be­rufs­tae­ti­gen? Oder mit dem Al­ter?
    Kom­pen­siert die bes­se­re Aus­bil­dung der Ju­gend denr al­ters­be­ding­ten Ab­stieg des IQ ?

    Den ein­zi­gen Grund war­um der IQ ge­stie­gen sein muess­te, ist der, dass Frau­en seit 50 Jah­ren mehr be­rufs­tae­tig sind und bes­se­re Aus­bil­dung ha­ben.

    Gilt al­so: Mehr Aus­bil­dung -> mehr In­tel­li­genz? Gibt es ei­nen Grenz­wert? Al­les Fra­gen, die in RR nicht an­ge­spro­chen wur­den.
    ‘Mi­gran­ten ha­ben ei­nen ge­rin­ge­ren IQ’: wur­de das nach­ge­wie­sen? (Bei Hu­ge­not­ten a la Sar­ra­zin war das in D nicht der Fall)
    Aber sind nicht Mi­gran­ten viel lern­fae­hi­ger und koen­nen den tie­fe­ren Ein­stieg wett­ma­chen (dh. sind da­her auch fuer den An­stieg des IQ ver­ant­wort­lich). Sind Se­con­dos IQ-kom­pa­ti­bel mit dem Rest der Be­voel­ke­rung?

    So­viel mir be­kannt ist, wur­de ei­ne na­tio­na­le IQ Mes­sung we­nig wis­sen­schaft­lich dis­ku­tiert (i.U. zu ei­ner Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur-Mes­sung in ei­nem Land).
    Die Fra­ge nach In­tel­li­genz und Wirt­schafts­wachs­tum war der Aus­loe­ser der IQ Mes­sung vor 150 Jah­ren. Aber ge­nau die­ser Zu­sam­men­hang bleibt so lan­ge va­ge, weil auch der In­tel­li­genz­be­griff so viel­schich­tig ist.
    Es gibt (noch?) kei­ne be­frie­di­gen­de De­fi­ni­ti­on von In­tel­li­genz.
    Un­ge­klaert ist, wie­weit IQ mit Bil­dungs- und So­zi­al­ka­pi­tal zu­sam­men­haengt.
    Das ist For­schungs­land der Bil­dungs­oeko­no­mie und es ist noch viel zu tun.

  3. RR in FAZ be­haup­ten die­sen IQ An­stieg, oh­ne ei­ne Quel­le zu nen­nen. Wer trai­niert da­her den IQ bei Men­schen: Fern­se­hen, Zei­tun­gen, In­ter­net? Er­hoeht Le­bens­er­fah­rung den IQ? Gibt es ei­nen di­rek­ten oder in­di­rek­ten Lern­ef­fekt bei wie­der­hol­ten IQ Mes­sun­gen? Sinkt der IQ bei nicht-Be­rufs­tae­ti­gen? Oder mit dem Al­ter? Kom­pen­siert die bes­se­re Aus­bil­dung der Ju­gend denr al­ters­be­ding­ten Ab­stieg des IQ ? Den ein­zi­gen Grund war­um der IQ ge­stie­gen sein muess­te, ist der, dass Frau­en seit 50 Jah­ren mehr be­rufs­tae­tig sind und bes­se­re Aus­bil­dung ha­ben.

    Es gibt für die­sen Ef­fekt, der nach sei­nem Ent­decker Flynn-Ef­fekt ge­nannt wird, ei­ne Rei­he bes­se­rer Hy­po­the­sen, als du hier ver­mu­test: Die bei­den plau­si­ble­sten sind er­stens bes­se­re Le­bens­be­din­gun­gen, vor al­lem ei­ne bes­se­re Er­näh­rung, und zwei­tens ei­ne Än­de­rung un­se­rer Le­bens­um­welt. Die ist heu­te mit den zu lö­sen­den Auf­ga­ben dem Cha­rak­ter der Test­auf­ga­ben ähn­li­cher als frü­her. Zum Bei­spiel ar­bei­ten heu­te mehr Men­schen an Bild­schir­men, we­ni­ger in der Land­wirt­schaft. Das schafft ei­nen Se­lek­ti­ons­druck in Rich­tung hö­he­rer In­tel­li­genz. Man kann das al­les nach­le­sen, dar­über gibt es ge­nü­gend Li­te­ra­tur.

    So­viel mir be­kannt ist, wur­de ei­ne na­tio­na­le IQ Mes­sung we­nig wis­sen­schaft­lich dis­ku­tiert (i.U. zu ei­ner Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur-Mes­sung in ei­nem Land).

    Das ist schlicht falsch. Tests müs­sen im­mer für ei­nen Kul­tur­kreis nor­miert wer­den (ver­gleich­ba­res Bil­dungs­ni­veau, glei­che Mut­ter­spra­che). Kul­tur­über­grei­fen­de Ver­glei­che sind ziem­lich sinn­los.

    Die Fra­ge nach In­tel­li­genz und Wirt­schafts­wachs­tum war der Aus­loe­ser der IQ Mes­sung vor 150 Jah­ren.

    Auch das ist sach­lich falsch. Aus­lö­ser der Et­wick­lung der Tests war das Be­stre­ben, die Schul­fä­hig­keit von Kin­dern ob­jek­tiv be­ur­tei­len zu kön­nen. Das zeigt zum Bei­spiel die ur­sprüng­li­che De­fi­ni­ti­on des IQs:

    IQ = 100 * Ent­wick­lungs­al­ter / Le­bens­al­ter

    Erst spä­ter wur­de ei­ne De­fi­ni­ti­on für Er­wach­se­ne er­ar­bei­tet. Un­ter In­tel­li­genz kann gern je­der et­was an­de­res ver­ste­hen, aber der IQ (der In­tel­li­genz­quo­ti­ent) ist ein­deu­tig de­fi­niert: Er ist das Er­geb­nis ei­nes IQ-Tests. Erst über des­sen Aus­sa­ge kann man dann wie­der strei­ten, ob­wohl das häu­fig müh­sam und mei­stens mü­ßig ist.

  4. Bei »na­tio­na­lem IQ« hat­te ich mir so et­was wie Pi­sa­test vor­ge­stellt.
    Ich neh­me an, dass PISA Fra­gen auch Kul­tur-an­ge­passt sind.
    PISA stell­te ei­nen Un­ter­schied ywi­schen Land und Stadt fest. Ähn­li­ches wür­de ich bei IQ ver­mu­ten.

    Mei­ne Stoss­rich­tung byw Idee war ei­ne an­de­re.
    Man könn­te ja ei­ne Volks­zäh­lung mit ei­ner In­tel­li­genz­zäh­lung ein­mal ver­bin­den....
    Gibt es Er­geb­nis­se zu Mi­gran­ten? Kor­re­liert IQ mit PISA?
    Da­mit ha­be ich u.a. auf die Kom­ple­xi­tät die­ser Fra­gen hin­wei­sen wol­len.

    Die De­fi­ni­ti­on: In­tel­li­genz ist, was ein IQ Test misst, ist nicht ge­ra­de ein Bei­spiel ein­deu­ti­ger De­fi­ni­tio­nen.

  5. Die De­fi­ni­ti­on: In­tel­li­genz ist, was ein IQ Test misst, ist nicht ge­ra­de ein Bei­spiel ein­deu­ti­ger De­fi­ni­tio­nen.

    Das hat­te ich auch nicht ge­schrie­ben, son­dern dass der IQ als Er­geb­nis ei­nes IQ-Tests de­fi­niert ist. Über In­tel­li­genz steht dort nichts. Hier liegt die üb­li­che All­tags­wahr­neh­mung nä­her an ei­ner prak­tisch sinn­vol­len De­fi­ni­ti­on. Wir emp­fin­den ei­nen Men­schen als in­tel­li­gent, wenn er schnell lo­gi­sche Schlüs­se zie­hen kann, über ein gro­ßes Wis­sen ver­fügt, gut kom­mu­ni­zie­ren kann und uns zu­dem sei­ne Hand­lun­gen plau­si­bel er­schei­nen. Nur kann die Psy­cho­lo­gie sol­che Per­sön­lich­keits­merk­ma­le schlecht mes­sen und schon gar nicht li­nea­re Ska­len dar­aus ab­lei­ten, die über län­ge­re Zeit­räu­me für ein und die­sel­be Per­son kon­stan­te Wer­te lie­fern.

  6. Das ist üb­ri­gens ei­ne gro­ße Schwä­che des Sar­ra­zin-Bu­ches: Er de­fi­niert nicht, was er mit In­tel­li­genz (bzw. Dumm­heit) ge­nau meint. Ir­gend­wann schließt man aus dem Text, dass er ein­fach den IQ als Maß­stab für In­tel­li­genz her­an­zieht. Das ist aber m. E. voll­kom­men un­zu­rei­chend. Man darf näm­lich zum Bei­spiel an­neh­men, dass das Gros der Bank- und Fonds­ma­na­ger, die die Welt­wirt­schaft 2008f in die Kri­se ge­stürzt hat­ten, ei­nen (min­de­stens leicht) über­durch­schnitt­li­chen IQ aus­wei­sen. Da­mit ist aber rein gar nichts aus­ge­sagt.

  7. Mu­sik ist das Er­geb­nis des Mu­sik­tests.
    Ra­dio­ak­ti­vi­ät ist das Er­geb­nis des Gei­ger­zäh­lers.
    Ge­ne sind Er­geb­nis des Gen­tests.
    Spra­che ist das Er­geb­nis der Sprach­tests.
    Tests sind das Er­geb­nis der Test­tests.

  8. @Gregor
    Zum Be­griff der »In­tel­li­genz« gibt es über­haupt kei­ne all­sei­tig an­er­kann­te De­fi­ni­ti­on.

    Of­fen­sicht­lich selbst­re­fe­ren­zi­ell ist ei­ne auf den IQ be­zo­ge­ne De­fin­ti­on. Hier wird al­les, was nicht so schön mess­bar ist, aus­ge­blen­det.

    Si­cher­lich zu weit­ge­hend ist Ho­ward Gard­ners Theo­rie der mul­ti­plen In­tel­li­gen­zen. Hier wird ein­fach der Be­griff se­man­tisch bis zur Ir­rele­vanz über­dehnt (»Kör­per­in­tel­li­genz«). Gard­ner hat sich auch des­halb an­greif­bar ge­macht, weil vie­le sei­ner The­sen em­pi­risch nicht be­stä­tigt wer­den kön­nen.

    In­ter­es­san­ter fin­de ich da schon den An­satz von Ro­bert Stern­berg. Die­ser hat den Be­griff der Er­folgs­in­tel­li­genz ge­prägt, die min­de­stens drei Kom­po­nen­ten hat:

    • Ei­ne lo­gisch-ana­ly­ti­sche. Die­se wird von den klas­si­schen Tests recht gut ge­mes­sen. (Mit der Ein­schrän­kung, dass durch die Zeit­be­gren­zung der Tests lang­sa­me­res, aber gründ­li­che­res Den­ken sy­ste­ma­tisch un­ter­be­wer­tet wird.)
    • Ei­ne krea­ti­ve Kom­po­nen­te: Das Fin­den neu­ar­ti­ger Lö­sun­gen im Re­sul­tat der Ana­ly­se.
    • Ei­ne prak­ti­sche Kom­po­nen­te: Die Prü­fung der Prak­ti­ka­bi­li­tät der neu­en Ideen.

    Die­ser An­satz ist in­so­fern recht in­ter­es­sant, weil man da­mit die All­tags­wahr­neh­mung von In­tel­li­genz noch nicht ver­lässt, denn man ver­langt von dem Be­tref­fen­den ja nicht, dass er sein Pro­dukt selbst baut, son­dern le­dig­lich, dass er die Prak­ti­ka­bi­li­tät sei­ner krea­ti­ven Ideen durch­denkt.

    Dass an dem her­kömm­li­chen IQ-An­satz et­was nicht stimmt, er­kennt man zum Bei­spiel, wenn man sich die Schät­zun­gen der IQs (bei al­ler Pro­ble­ma­tik die­ses An­sat­zes) für ei­ni­ge Ge­nies der Ver­gan­gen­heit an­sieht: Ein­stein hat­te nur 160, Dar­win gar nur 145. Das sind 0815-Wer­te, ver­gli­chen mit dem ei­ni­ger mei­ner ent­fern­ten Be­kann­ten und Pea­nuts im Ver­gleich zu heu­ti­gen »Be­sten­li­sten«. Trotz­dem wa­ren das Jahr­tau­send­ge­nies. Es stimmt al­so am Maß­stab oder ge­nau­er ge­sagt an des­sen In­ter­pre­ta­ti­on et­was nicht.

  9. Eben weil es kei­ne ein­heit­li­che De­fi­ni­ti­on von in­tel­li­genz gibt wä­re es not­wen­dig ge­we­sen, die­se zu de­fi­nie­ren, wenn man sie zum Dreh- und An­gel­punkt in ei­nem Buch macht. Der Rück­griff auf den IQ hal­te ich aus den von Dir so schön vor­ge­brach­ten Grün­den für sehr pro­ble­ma­tisch.

    Fro­hes Fest.

  10. Aus Wi­ki­pe­dia:
    »So­me re­se­ar­chers cla­im that »in eco­no­mic terms it ap­pears that the IQ score me­a­su­res so­me­thing wi­th de­cre­a­sing mar­gi­nal va­lue. It is im­portant to have en­ough of it, but ha­ving lots and lots does not buy you that much.«

    Of­fen­bar brauch­ten Dar­win und Ein­stein kei­ne Spit­zen IQs um ih­re Hy­po­the­sen zu for­mu­lie­ren. Mehr IQ, bes­se­re Schach­spie­ler, stimmt das we­nig­stens? Ode­re nur bes­se­re Feld­her­ren? Aber es gilt nicht der Um­kehr­schluss. Sonst sind die Com­pu­ter die bes­se­ren Feld­her­ren – oder de­ren de- und of­fen­si­ven Pro­gram­mie­rer.

    Von Sar­ra­zin zu ver­lan­gen In­tel­li­genz zu de­fi­nie­ren ist et­was zu viel ver­langt. Das ist so, als wür­de man von Af­ga­ni­stan ver­lan­gen, Krieg zu de­fi­nie­ren.
    Für Sar­ra­zin-Hy­po­the­sen ge­nügt doch, dass IQ mit In­tel­li­genz kor­re­liert. Und das ist der Fall.
    Sar­ra­zin sagt: Oh­ne IQ Mass­nah­men ver­armt Deutsch­land. Da­her müs­se man et­was tun. Ana­log zu: Oh­ne CO2 Mass­nah­men ver­armt Deutsch­land (und da­mit der Rest der Welt?) und da­her müs­se man et­was tun.

    Füh­ren in­tel­li­gen­te Völ­ker mehr oder we­ni­ger Krieg, sind sie rei­cher oder wer­den durch oder oh­ne Krieg bzw. Ein­wan­de­rung rei­cher?

    Oh­ne Agres­si­on, oh­ne In­te­gra­ti­on, oh­ne (Öko)Religion: kein Reich­tum?

  11. @Gregor
    Rost und ei­ni­ge an­de­re In­tel­li­genz­for­scher ha­ben ja nicht nur Hoch­be­gab­te (al­so die mit IQs>130), son­dern auch Hoch­lei­ster un­ter­sucht. Das zu­nächst pa­ra­do­xe Er­geb­nis war, dass die be­sten Lei­stun­gen von Men­schen er­bracht wer­den, die IQs um die 120 ha­ben. Das ist für Aka­de­mi­ker (mit Aus­nah­me von Ma­the­ma­ti­kern, Phy­si­kern und In­for­ma­ti­kern) je­doch ein Nor­mal­wert und wird von knapp 10% der Be­völ­ke­rung er­reicht. Es ist auch klar, war­um die­se Men­schen zu Hoch­lei­stern wer­den – un­ser nor­ma­les Schul­sy­stem ist auf die För­de­rung die­ser leicht über dem Durch­schnitt lie­gen­den Kin­der op­ti­mal aus­ge­legt. Sie er­rei­chen dort No­ten zwi­schen 1 und 2, wenn sie sich Mü­he ge­ben. Hoch­be­gab­te gibt es viel we­ni­ger, per De­fi­ni­ti­on et­wa 2% der Be­völ­ke­rung, sie wer­den in der ge­wöhn­li­chen Schu­le zu Be­ginn un­ter­for­dert – und ler­nen des­halb viel we­ni­ger sich an­zu­stren­gen.

    Wenn Sar­ra­zin tat­säch­lich auf den Zu­sam­men­hang zwi­schen In­tel­li­genz und Hoch­lei­stung ab­zielt, dann las­sen sich sei­ne For­de­run­gen auf ei­ne Bin­se zu­sam­men strei­chen: »Lie­be Bil­dungs­po­li­ti­ker, sorgt da­für, dass mehr Ju­gend­li­che ein In­ge­nieur­stu­di­um auf­neh­men!« Mehr lässt sich aus dem Zu­sam­men­hang zwi­schen In­tel­li­genz und Lei­stung näm­lich nicht her­aus­ho­len.

    Ech­te Hoch­be­gab­ten­för­de­rung ist na­tür­lich not­wen­dig, weil je­der Mensch An­spruch auf ei­ne glück­li­che Kind­heit und ei­ne op­ti­ma­le För­de­rung in der Ju­gend hat, ist aber viel schwie­ri­ger zu rea­li­sie­ren, weil es ein sehr klei­ner Per­so­nen­kreis ist, es da­für kei­ne Pa­tent­re­zep­te gibt und der Durch­schnitts­päd­ago­ge eher für die Be­dürf­nis­se »nor­ma­ler« Kin­der aus­ge­bil­det ist. Das macht des­halb ei­nen Teil der Exi­stenz­be­rech­ti­gung von Spe­zi­al­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Men­sa oder DGhK aus.

  12. Sind Spit­zen­sport­ler gu­te Wer­ber für ei­nen Brei­ten­sport oder gilt um­ge­kehrt: Der Brei­ten­sport er­mög­lich erst die Er­ken­nung von Spit­zen­sport­lern.
    Wel­ches Sy­stem der För­de­rung ist bes­ser? Oder soll­te es nicht im­mer ei­nen po­li­cy-mix ge­ben.
    Man muss die Ein­wan­de­rung un­sport­li­cher Men­schen nicht ver­hin­dern um wei­ter­hin Spit­zen­sport­ler her­an­zu­zie­hen. Oder soll­te and­rer­seits der Spit­zen­sport nicht in­ter­es­siert sein, Spit­zen­sport­lern die Ein­rei­se zu er­leich­tern? Ist die Kon­zen­tra­ti­on von Spit­zen­sport­lern ei­ne Trieb­fe­der?

    Viel­leicht ist auch ei­ne in­di­rek­te Sport-För­de­rung bes­ser als die di­rek­te.

    Gilt das fuer den IQ auch?

  13. Wenn Sar­ra­zin tat­säch­lich auf den Zu­sam­men­hang zwi­schen In­tel­li­genz und Hoch­lei­stung ab­zielt, dann las­sen sich sei­ne For­de­run­gen auf ei­ne Bin­se zu­sam­men strei­chen: »Lie­be Bil­dungs­po­li­ti­ker, sorgt da­für, dass mehr Ju­gend­li­che ein In­ge­nieur­stu­di­um auf­neh­men!«
    Wenn man sehr re­duk­tio­ni­stisch vor­geht, steht ex­akt die­ser Te­nor im ent­spre­chen­den Ka­pi­tel bei Sar­ra­zin. Wo­bei er die MINT-Fä­cher (Mathe­ma­tik, Infor­ma­tik, Natur­wis­sen­schaft und Tech­nik) ge­ne­rell meint.

    Spä­ter, wenn es um die »Ver­dum­mung« der Ge­sell­schaft geht, be­kommt der In­tel­li­genz-Be­griff ei­ne an­de­re bzw. zu­sätz­li­che Kon­no­ta­ti­on

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