Jacques Monod legt anhand zentraler Erkenntnisse der modernen Biologie eine Angst frei, die uns alle, bewusst oder unbewusst, zeichnet. Sie entspringt dem Versagen unserer subjektiven Deutung der Welt, das wir auch als das Unbehagen an der Moderne kennen — und der Ursprung dieser Angst liegt, was überraschen mag, in der Evolution des Menschen begründet.
Monods Darstellung ist knapp, zugespitzt, lakonisch: Darin ist er ein Meister; doch er hütet sich vor Vereinfachungen, und wo er fürchtet es dennoch zu tun, merkt er es an. Monod zaudert nicht, seine Schlüsse sind messerscharf, und er bleibt nicht stehen, ehe zuletzt eine gesellschaftspolitische Utopie erscheint; aber er weiß auch was Zweifel bedeutet, und wie wenig, trotz aller Logik und Entschlossenheit, am Ende gewonnen ist.
»Zufall und Notwendigkeit« ist das Werk eines Aufklärers, der sich weder als solchen bezeichnet, noch das Wort Aufklärung im Mund führt — man merkt diesem Buch seinen vierzigjährigen Geburtstag kaum an.
Weiterer Text als PDF: Zufall-und-Notwendigkeit (pdf, 240 KB).
Ich weiß nicht ob es sinnvoll ist, diesen Text hier in voller Länge zu veröffentlichen. Wenn es gewünscht ist, und jemand die PDF-Version nicht lesen mag, kann ich es tun (im Moment scheue ich davor zurück, weil ich nicht noch einmal alles neu formatieren möchte).
...war vor Jahren mal ein ganz wichtiges Buch für mich!
Und für mich der passende Anlass, es mal wieder zu lesen! Danke für die Erinnerung daran!
Gerne!
War bei mir übrigens ganz ähnlich: Ich habe es auch vor einigen Jahren bereits gelesen.
Eindringlich
Zunächst einmal herzlichen Dank für diese tolle Besprechung! ich kannte das Buch nicht (shame on me) und es erscheint ja durch die Perspektiven, die Du herausgestellt hast, zeitlos zu sein.
Die Ablehnung des »Animismus« wird für mich sehr eindringlich und schlüssig begründet. Ich kann die Ausführungen zur Zufallhaftigkeit sehr gut nachvollziehen – und verstehe auch die Kränkung des Menschen, die davon nichts wissen will.
Eine ketzerische Frage drängt sich mir jedoch auf: Wird dadurch nicht die Tür für einen ebenso »religiös« besetzten Szientismus geöffnet? Ich sage nicht, dass Monod dies explizit betreibt. Aber vielleicht ist dies eine Auswirkung seiner Ausführungen. Inzwischen usurpieren doch die Naturwissenschaften auch die philosphischen Fragen nach »Selbst« und »freiem Willen« (ich denke da besonders an die Neurowissenschaften, die mit ihren bunten Bildern [ich weiss, dass das polemisch ist – s. hier] die gesamte Philosphiegeschichte umkrempeln wollen.
Man muss nicht über alle Bücher bescheid wissen – Du würdest Dich wundern was ich alles nicht gelesen habe oder nicht kenne (man ist zum Glück nicht nur auf sich selbst angewiesen).
Ein wichtiger Unterschied zwischen Monod und anderen ist, dass sein Ausgangspunkt ein Werturteil, ein Erkenntnisideal ist, dem die Wissenschaft entspringt, aber nicht die Wissenschaft selbst. Entscheidend ist dieses Ideal, dem man sich freiwillig unterwirft; dadurch ist die Religionsgefahr theoretisch gebannt, praktisch hingegen hast Du recht, er könnte durchaus etwas befeuert haben.
Andererseits, wenn man bestimmte Fragestellungen naturwissenschaftlich untersuchen kann, warum nicht (es sein denn es sprächen z.B. ethische Gründe dagegen)? Allerdings ist die wohlfeile Popularisierung und Verkürzung derselben abzulehnen (man darf nicht vergessen: Wissenschaft kostet Geld, und das bekommt man leichter wenn man bekannt ist und einen Namen hat).
Ich bin mir auch nicht sicher ob Monod mit Wissenschaft immer nur Naturwissenschaft meint, und vermute, dass er alle gelten lässt (oder ließe) die ein empirisches Verständnis besitzen, also sich an der Erfahrung, an der Welt messen wollen (es ist in der modernen Religionswissenschaft auch nicht »zulässig« Aussagen über das Gottesbild einer Religion zu fällen, das sich nicht mit den Quellen derselben in Übereinstimmung bringen lässt; in der Philosophie ist das anders, deshalb ist sie m.E. auch keine Wissenschaft).
Ich muss noch einmal darüber nachdenken. Bei Monod ist einiges anders als bei vielen »Wissenschaftsplädoyers«. Einerseits weiß er über Kultur und Philosophie gut bescheid, andererseits ist er nicht naiv (außer vielleicht am Ende, und das hat er selbst vermutet).
Ad Wissenschaftsreligion
Was macht Religion aus? Der Glaube an etwas oder jemanden, der erklärt und gebietet (oder von dem sich das ableiten lässt). Monod insistiert darauf, dass diese Vermengung von Erkenntnis und Werten nicht stattfinden darf (weil sie gefährlich ist), und dass sie durch das Ideal der objektiven Erkenntnis (freiwillig) verhindert werden kann.
Gegen die Menschenrechte (die in ihrer naturrechtlichen Form für Monod ebenfalls einen Animismus darstellen) wird oft eingewandt, dass sie kulturell bedingt seinen (z.B. von chinesischer Seite aus), und daher nicht verbindlich; was aber, wenn es möglich wäre, einen Humanismus aus einer naturwissenschaftlichen Sichtweise zu rechtfertigen (wie man den Absatz Monods interpretieren kann, den ich am Ende zitiert habe), dabei eingedenkt, dass wir nicht den Wert mit der Erkenntnis in eins setzen. Allen die sich auf die Wissenschaft und sich ihre Erkenntnisse stützen (also de facto jeder), fiele es wesentlich schwerer diesen Humanismus zu ignorieren, weil die Art und Weise wie sie selbst die Welt verstehen, dazu führt.
Noch einmal: Mir ist auch nicht wohl dabei, aber in der Theorie kann ich keinen grundsätzlichen Fehler oder keine Schwäche entdecken, im Gegenteil.
Ungeordnete Gedanken
Ich glaube, dass die zunehmende Verwissenschaftlichung der Welt auch eine Gefahr in sich birgt. Monods Theorie mag hier ja fehlerlos sein, aber der populärwissenschaftliche Diskurs suggeriert ja inzwischen durchaus menschliche Allmachtsphantasien, die früher eben nur Gott oder Göttern zugestanden wurden (»ewiges Leben« bspw). Die Neurowissenschaften dekonstruieren gerade das Menschenbild der Philosophen der letzten 2000 Jahre. Hierin bestand ja in der Aufklärung zu einem gerüttelt Maß der Ausweg: Ein Humanismus, der den Menschen als besonderes Wesen herausstellte, aber in autonoer Verantwortung für sich selbst sah. Monod sagt nun – wenn ich das richtig verstanden habe – der Mensch war/ist ein Wesen des Zufalls – und noch nicht einmal wichtig für die Existenz der Welt.
Hieraus entsteht für mich dann das Problem eines »Humanismus«. Woran soll er sich orientieren, wenn alle Zuordnungen, die den Menschen als Unikat einer Evolution herausheben, relativiert werden? Und wenn dann doch zugeschriebene »humane« Eigenschaften wie »freier Wille« als blosse Illusionen dargestellt werden – was bleibt dann noch? Wäre dann das menschliche Zusammenleben nur noch aufgrund des jeweiligen Respekts vor einem Mitglied der gleichen Art möglich? So, wie Amseln einander nicht auffressen (nur ggf. bekämpfen, wenn es um die Erhaltung = Fortpflanzung geht)?
Ich bin durchaus bereit, Monods Kernaussagen zu teilen. Religionen oder ähnliche animinstische Systeme sind/waren nur Krücken, die narzisstische Kränkung der Endlichkeit des menschlichen Lebens auszuhalten. Die Regression auf das biologische kann nun Kräfte freisetzen, die diese Form von »Heilige Einfalt« (Olivier Roy) aufheben. Wir erleben aber derzeit das Gegenteil: Die einfachen Lösungen haben wieder Konjunktur. Und sie haben gerade jetzt Konjunktur, da es immer komplizierter wird (Klimawamdel, Überbevölkerung, Ressourcenkämpfe, Globalkapitalismus, etc). Kann es sein, dass der Mensch für die angestrebte Erkenntnis nicht bzw. nicht nicht geeignet ist? Wäre dies wiederum auch ein Evolutionsprozess, den es einfach nur auszuhalten gilt?
Vielleicht können wir uns darauf einigen: Monod zeigt eine bedeutsame Inkonsequenz innerhalb der modernen (westlichen) Gesellschaften auf, und schlägt vor diese zu beseitigen. Die Frage ist, ob diese Inkonsequenz zu Recht oder zu Unrecht besteht. Dein Unbehagen vor weitgehender Verwissenschaftlichung teile ich, auch und vor allem als Quelle von Werten (andererseits: Monod ist schon sehr »schlüssig«).
Manfred Eigen fasst diese Zweifel im Vorwort der deutschen Ausgabe ganz gut zusammen: So bleibt uns im Augenblick nur die ständige geistige Auseinandersetzung mit den von uns akzeptierten Ideen weltanschaulicher oder religiöser Art anhand der Kriterien objektiver Erkenntnis. Mir schaudert aber bei dem Gedanken einer Dogmatisierung des Objektivitätspostulats, die über die Forderung ständiger geistiger Auseinandersetzung hinausgeht. Bamherzigkeit und Nächstenliebe wären die ersten Opfer.
Der Mensch ist ein Produkt des Zufalls im Sinne der schöpferischen Kraft, aber (und dieses aber ist wichtig) ohne die Naturgesetze und die Selektion, gäbe es keine Entwicklungsrichtung (freilich ohne Ziel), keinen »Test« was sich bewährt, und was nicht. Es wäre falsch, die belebte Welt auf den Zufall oder die Notwendigkeit reduzieren zu wollen. Aber es stimmt, dass wir weder für die Welt noch das Universum notwendig sind.
Den [...] Humanismus, der den Menschen als besonderes Wesen herausstellt[e], aber in autonoer Verantwortung für sich selbst [sieht], kann man, glaube ich schon (und das hat mich etwas für Monods Darstellung »eingenommen«), anders begründen. Der Mensch ist, zumindest in der Summe seiner Fähigkeiten, ein besonderes Lebewesen dieses Planeten; er ist zweifellos ein Wunderwerk, das beginnt spätestens wenn man eine einzelne Zelle betrachtet, mehr noch wenn wir uns und unsere Eigenschaften, unsere Herkunft betrachten, oder das Reich von Kultur und Idee. Es ist schon ein wenig so, wie Monod schreibt: Verzichten wir auf die Illusion, in der Seele eine immaterielle ”Substanz“
zu sehen, dann leugnen wir nicht deren Existenz, sondern wir beginnen im Gegenteil, die Komplexität, den Reichtum und die unergründliche Tiefe des genetischen und kulturellen Erbes, wie auch der bewußten und unbewußten persönlichen Erfahrung zu erkennen, die zusammen das Wesen ausmachen, das sich in uns einmalig zeigt und unwiderleglich selber bezeugt.
Das ist zumindest nicht nichts, und wird in seiner Gesamtheit weniger in Zweifel gezogen als irgendwelche Götter, wirkende Prinzipien, oder was auch immer (und ist daher für alle leichter nachzuvollziehen).
Die Diskussionen um den freien Willen, sind wohl längst nicht abgeschlossen, und Monod hätte dem Determinismus sicherlich widersprochen (und ich glaube auch hier gibt es eine Grenze zwischen dem was man wissenschaftlich sagen kann, und was man aus dieser ableitet). Auch werden viele naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder Arbeiten in den Medien unzulänglich dargestellt. Aber grundsätzlich hast Du recht, ein unfreies Wesen zu sein, wäre für unser Selbstverständnis fatal (wiewohl es nicht die einzige Eigenschaft ist, auf die man sich stützen kann, s.o.).
Der Mensch ist auf Situationen, wie von dir geschildert, wohl schlecht vorbereitet worden – aber wie hätte die Evolution das vollbringen sollen?
Vielleicht ist es doch nur »Evolution« – und alles andere sind zeitweise Hilfskonstrukte?
Die einfachen Lösungen aber haben unter Menschen eigentlich immer Konjunktur.
Dir Irrtümer über die herausgehobene Rolle (auch wenn es diese phänomänologisch geben sollte – oder das einem bei soviel Spielzeug und Glitterwelt so vorkommen kann) führen eben zu den Selbstüberhebungen. (Klimawandel... bis Großkapitalismus.) Andererseits bringt Humanismus, auch wenn er überkommen wird, auch wieder Einsichten, also Fortschritt.
Vielleicht sind die ihrerseits biologistischen Deutungen etwas dumm, die so etwas wie die Überbietungskrankheit, das sinnlose Immer-mehr, die Siegräusche der Adrenalinjunkies als unsere Tiernatur interpretieren, die sozusagen skalar dem Planeten nicht angepasst sind. (Wir suchen ja schon neue!)
Aber die Verblendungen sind ja auch systemisch, das heißt, der Irrtum ist anscheinend eingebaut und muss also mal einen Zweck gehabt haben (hat er heute noch... andauernd – „Religion“ etwa macht nachgewiesenermaßen glücklicher). Und erst wenn das übergeordnete System genug starke Signale zurückfunkt, kann / wird wohl ein Umdenken stattfinden, gegen dann immer noch Widerstände. (Oder nicht: Ebenso evolutionär hilfreich – und das zu denken muss man einzuräumen wagen – ist manchmal Zwang. Etwa „Ökodiktatur“ oder „Enteignungen“. Und ist das sehr viel anders unfrei als die idiotische Verfolgung von Vorteilen für die eigene Wirtschaft, die, statt dem Wohl der Bevölkerung zu dienen, von nicht-immanenten Zielen eigentlich längst abgekoppelt ist?)
Vielleicht liegt es ja an den Ungleichzeitigkeiten heute, von avanciertester (abgedrehtester) Wissenschaft bis zu Neo-Barbareien, die daher kommen als „Unendlicher Spaß“. „Anything goes“ und Selbstverwirklichung um jeden Preis sind vielleicht eben doch nicht nur Freiheit, sondern womöglich ein evolutionärer Haltepunkt für eine Spezies ohne Zwang zu Entwicklungssprüngen in ihrem archaisch bleibenden Programm?
Irgendeinem „Gesetz“ solcher Entwicklung aber näher zu kommen, dem (womöglich nur wieder) Ausleseprozess zwischen „Zufall und Notwendigkeit“, kann erst mal den Hiatus öffnen, in den zu blicken man eigentlich gezwungen wäre – könnte man sich nicht auch einen Guten Tag machen mit den Fernsehnachrichten darüber und Konsum und „Nach mir die Sintflut“.
Es geht da weder um Moral noch um Moralinsauer. Aber Einsichten, die nicht erfolgen, weil ein vorheriges Programm so erfolgreich ist, dass es seine Überholtheit andauernd verdrängen kann, sind ein evolutionärer Nachteil.
***
Außerdem: Wenn es sich als richtig herausstellen sollte, dass das erste Leben in Form von zündenden Aminosäuren oder was immer nur als ein bisschen Kometendreck auf die Erde kam – wären wir immer noch »Sternstaub«. Die eigene Unbedeutenheit einzusehen ist vielleicht die größere Sache, als sich (womöglich nur aus Mangel an Vergleichsmöglichkeit) als »gottgleich« zu feiern?
@Metepsilonema
Deine Erläuterungen überzeugen. Auch das Zitat von Eigen: Hier sehe ich nämlich tatsächlich ein Problem in der konsequenten »Verwendung« des Objektiviätspostulats. Das ist in etwa so wie mit unserem »sanften« kapitalistischen Wirtschaftssystem (die deutsche, soziale Marktwirtschaft) : Das hat einige Zeit ganz gut funktioniert, weil es nicht optimal »eingestellt« war. In dem Moment, als es immer mehr perfektioniert wurde, blieben soziale Aspekte auf der Strecke. Dadurch entstehen Disparitäten in der Gesellschaft.
Der Mensch scheint mir mit den Folgen seiner eigenen, beschleunigten »Evolution« nicht mithalten zu können. Vielleicht liegt hierin sein »Schicksal«.
@en-passant
Was, wenn die Evolution auch nur solch ein »Hilfskonstrukt« ist? Oder die Wissenschaften generell? Nach Popper weiss man ja eigentlich, dass nur etwas so lange stimmt, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Die Radikalität Monods, den Menschen vom religiösen, ja transzendentalen Sockel zu holen, gefällt mir schon. Ihn dann nur noch sozusagen als »technisches Objekt« zu bewundern stta eine imaginäre Seele als Trostpflaster in der Rückhand zu haben. Aber was kommt stattdessen? Meine Befürchtungen hatte ich ja artikuliert: Ein überzogener Szientismus?
Wenn ich sehe, wie viele heutzutage bei so etwas einfachem wie der Nahrungsaufnahme »wissenschaftliche Erkenntnisse« vorschieben (ob die nun verkürzend sind oder nicht sei einmal dahingestellt), so wird mir schon mulmig: Inwieweit müssen wir alles erklären, kategorisieren und gleich bewerten? Zumal sich die Erkenntnisse ja in immer schnellerer Art und Weise auch schon mal widersprechen. (Ich erinnere mich an mindestens vier Zyklen, was man mit angeschimmeltem Brot macht: zunächst hieß es »wegwerfen«, dann »großzügig entfernen«, dann wieder »wegwerfen«, usw.)
Aber führt nicht fast zwangsläufig dieser »Evolutionsglauben« (das ist jetzt sehr polemisch) zu einer noch grösseren Hybris, die Monods Thesen einfach zur Seite schiebt wie einen Vorhang?
»Die Plagen«
@Gregor Keuschnig
Ja, das ist der innewohnende blinde Fleck: dass jegliche Annahme über die Welt zu einem Credo geraten kann. Umso wichtiger könnte szientifisch abgehärtetes Wissen sein. In dieser Argumentationslinie wäre dann der Archaismus womöglich ein Gegengift gegen zuviel Wissenschaft, und wir könnten so etwas wie einem in jedem Fall inhärenten „Glauben“ gar nicht entkommen? Alles bedingte einander und nichts wäre überflüssig? Aber da läuft es dann irgendwann auch leer...
Wichtig scheint mir, durch solche Kränkungen des Humanen zu lernen, die Fallhöhe der jederzeit möglichen eigenen Irrtümer mitzubedenken. (Das ist ja, was wir modernerweise so an den Mullas und anderen Fundamentalisten beklagen: Dass ihnen da etwas fehlt, was sie andererseits so vollständig, so unangreifbar macht.) Die Hybris besteht ja in den unentwegt verkürzenden Haltungen unserer Abgeklärtheit, dem hohen Humanismus, den Selbstüberhebungen... die uns ob dem vermeintlich Erreihten das nicht wahrnehmen lassen. Das Korrektiv wäre also auch gleich mit eingebaut, und wir lebten in der besten aller möglichen Welten?
Dagegen spräche allerdings die entfesselten, schon weitgehend selbstläuferischen Gewalten (von Kapitalismus bis Klimakollaps). Und hier zeigte sich – und zwar ganz mitleidslos – ob das Tier evolutionär sich bewähren kann. Wir stellen uns gewissermaßen längst selber eine solche Aufgabe. Und womöglich ist das der Thrill: Ihre Bewältigung steht noch aus...
@Metepsilonema
In solchen „Appeasements“ à la „sanfter Kapitalismus“ zeigt sich vielleicht der menschliche Relativismus an sich: Das Bewährte immer noch halten zu wollen so lange es geht. Es scheint aber, dass die Systeme ab einem gewissen Punkt die Regie übernehmen – die Disparitäten werden zu Fatalitäten. (Eben etwa der in Gang gesetzten Beschleunigung.)
Allein so eine Nachricht wie neulich, dass nur einer von sieben mit seiner Arbeit einigermaßen zufrieden ist, also dem, was doch als Grundlage auf Erden erkoren wurde, das Über- und Zusammenleben auskömmlich sicher zu stellen. Ist die Mühsal auf Erden also in die Hand der Arbeitgeber übergegangen? Oder ist das System Arbeit und Wettbewerb derart verirrt, dass das Unglück uns wieder einholt. (nach den Phasen etwa des „Rheinischen Kapitalismus“)?
(Ich musste unwillkürlich an die fetten und die mageren Jahre denken – ich glaube, das stammt aus der Bibel.)
Die Fatalität des Lebens an sich (historisch gesehen: Mammute erlegen, Mais anbauen, Mühsal ohne Ende... ), holte uns also nur wieder ein? Es gibt ja wirklich Stimmen, die glauben, Glück sei eigentlich gar nicht vorgesehen...
Dichotomien
Mir ist nicht ganz klar, warum Eigen glaubt, dass Barmherzigkeit und Nächstenliebe die ersten Opfer wären. Ist es nicht eine völlig andere Kategorie, wenn ich als Wissenschaftler möglichst objektivierend (was systemimmanent nicht vollständig gelingen wird) feststelle, wie sich Leben entwickelt hat und wenn ich als evolutionär bedingtes soziales Wesen in meine Umgebung eingebettet bin und auf ganz anderer Ebene funktioniere. Die Dichotomie zwischen Wissenschaft und Menschlichkeit sehe ich eher von interessierter Stelle instrumentalisiert.
Wenn mir die Evolution ein Verhalten verpasst hat, das ein Leben in einer sozialen Gruppe ermöglicht und Barmherzigkeit und Nächstenliebe ein Teil des Repertoires sind, wie und warum sollte ich mich dem entziehen. Pathologische Umstände können zwar das erprobte Verhalten manipulieren, der Kern bleibt aber immer virulent. Selbst der abgebrühteste Chemiker wird in seinem Kind keine Kohlenstoffverbindungen sehen. Aber ist die überbordende Aufladung menschlicher Gefühle mit Bedeutung nicht genauso übertrieben. Gefühle als epistemologische Filter zu sehen, erscheint mir wesentlich überzeugender.
Unser Problem ist, eine Gesellschaftsordnung zu finden, die unseren Kleingruppenhabitus auf höhere Organisationsformen transformieren kann. Man stelle sich einfach die Frage, mit welchen Argumenten der Gesellschaft die Hilfe für Griechenland schmackhaft gemacht werden könnte. Was funktioniert und was nicht? Ist z.B. das schweizer Modell nicht viel näher am Menschen und verhindert die reflexhafte Ablehnung, weil man sich als Teil der Gruppe fühlt, statt durch Repräsentation faktisch entmündigt zu werden? Ich befürchte allerdings auch, dass es unser Schicksal ist, aus dem Paradies der prähistorischen Gruppen vertrieben worden zu sein, für die wir gemacht sind. Ich sehe den Selektionsdruck nicht, der in eine wünschenswerte Richtung zeigt.
@Zufälliger Gast
Was Eigen wohl meinte, ist die Gefahr »wahrer«, »bewiesener«, also absolut verstandener Werte, nach denen man sich richten muss. Die könnten dann tatsächlich sehr schnell Nächstenliebe und Barmherzigkeit beenden, weil sie totalitäre Zügen trügen (oder missbraucht werden könnten um andere Interessen durchzusetzen). Und letztlich sollte allen Wissenschaftlern klar sein, dass sie weder die Realität noch die Wahrheit kennen (oder kennen werden), sondern nur Theorien überprüfen und sie für tauglich befinden oder nicht (Theorie ist ungleich Wahrheit).
Gewalt und Aggression (Egoismus) waren auch evolutionär erfolgreiche Strategien – wenn ich einem Konkurrenten oder benachbarten Stamm zeige wer der Stärkere ist, dann wird er/sie mir künftig keine Konkurrenz mehr machen, um ein simples Beispiel zu nennen; dann darf man nicht vergessen, dass unsere Umgebung längst keine natürliche mehr ist, also gewisse Mechanismen außer Kraft gesetzt sind (Empathie gegenüber Menschen auf anderen Kontinenten oder in anderen Ländern, ist auf Grund der fehlenden Unmittelbarkeit erschwert). Und wenn wir uns als Wesen verstehen, die bis zu einem gewissen Grad über ihre Handlungen bestimmen können, dann ist das Böse damit im Spiel (Unachtsamkeit sowieso).
(Die beiden Sätze mit »Aufladung« und »epistemologischen Filter« verstehe ich nicht ganz – sind damit Gefühle gemeint, die sich aus einer bestimmten conditio humana ergeben können?)
Das Schweizer Modell verlangt auch sehr viel vom Bürger (aber man sollte ihm das zumuten!), und es wäre in der Tat eine stärkere Einbindung von direktdemokratischen Elementen wünschenswert.
Unsere modernen Gesellschaften (Monod thematisiert das kurz) haben Evolution und Selektion sicherlich in vielen Bereichen aufgehoben bzw. begrenzt (und zwar durch die Geschwindigkeit von technischen und anderen Entwicklungen).
@en-passant
Ja, das Einfache hat immer Konjunktur, und ich würde sogar sagen, dass die Wissenschaft auch nichts anderes tut: Sie suchte Gesetze (Monod sagt: die Invarianten) und Prinzipien nach denen sich die Vielfalt der Erscheinungen richtet, auf die sie sich reduzieren oder durch die sie sich erklären lässt: Das hat manchmal schon fast etwas verzweifeltes an sich, wenn man anerkennt, dass fast alles, genau betrachtet, noch komplizierter wird, als es zuvor schon war; wobei einfach hier so einfach wie möglich bedeutet (keine Komplexitätsreduktion).
Ich glaube, dass ein große Verlockung in evolutionären Betrachtungen liegt: Man hat hier Interpretationsmöglichkeiten (und eine Theorie), die es erlauben alle menschlichen Konstrukte unter dem Aspekt biologischer Vorteilhaftigkeit zu betrachten und zu erklären. Dabei kommt dann mitunter seltsames (biologistisches) heraus, weil andere Erklärungen außen vor gelassen werden. Man könnte das Bedürfnis nach Sinn und Deutung, die Monod evolutionär verankert (Religion, Kultur, und Erklärung begründen menschliche Gemeinschaft und Staaten, deshalb hat die Evolution diese Angst in uns angelegt), ja auch wo anders suchen: Warum etwa, sollte es nicht für ein zur Selbstreflexion fähiges Wesen, das sich als Auslöser von Handlungen erkennt, nicht grundsätzlich wichtig sein warum es handelt (also in welchem Auftrag), und woher es kommt? Das hieße, dass es nur auf die Entwicklungsstufe neuronaler Strukturen ankäme.
Wir haben sicher in unseren Gesellschaften Entwicklungen erreicht, die uns sozusagen von gewissen evolutionären Bindungen befreien: Einerseits ermöglichen wir Menschen ein Überleben, die es »in der Natur« nicht geschafft hätten, andererseits widmen wir uns Vergnügungen oder Überlegungen, die aus einer Perspektive des Überlebens völlig abwegig erscheinen. Das begann in dem Moment in dem der Mensch die Kultur »erfand«, die ersten Striche an den Wänden seiner Höhlen zog, oder eine Flöte aus Knochen schnitzte...
Ich habe schon dass Gefühl, dass der Konsum unserer Tage, auch die Aufgabe erfüllt, solche Einsichten zu übersehen (»übermalen« – aber ich glaube es wäre falsch ihn darauf zu reduzieren).
Die eigene Unbedeutenheit einzusehen ist vielleicht die größere Sache, als sich (womöglich nur aus Mangel an Vergleichsmöglichkeit) als »gottgleich« zu feiern?
Ja, zweifellos, aber sie reißt eben »alles« in einen Abgrund, und wir wollten doch glücklich leben!
@Zufälliger Gast
Unser Problem ist, eine Gesellschaftsordnung zu finden, die unseren Kleingruppenhabitus auf höhere Organisationsformen transformieren kann.
Und dies natürlich eingebettet in »vernünftige« Regeln und nicht nur in einer Konvention, die die Kriegsführung halbwegs »human« ermöglicht.
Vielleicht ist die uns mitunter erschlagende Globalisierung tatsächlich eine Überforderung für das kleine Menschlein, dass nur zu Hause seine Familie aufziehen will?
Und wird uns nicht die Griechenland-Hilfe mit dem geschmacklosesten aller Argumente schmackhaft gemacht: Wenn hier nicht eingegriffen wird, droht unser Wohlstand ebenfalls Kratzer anzunehmen. Ist Empathie nicht nur um den Preis der Suggestion der eigenen Wohlfahrt möglich? Statt unsere Bauern nicht so zu subventionieren, dass die Bauern in Afrika mit deren Lebensmitteln überschwemmt und selber in die Armut getrieben werden, zahlen wir »Entwicklungshilfe«. Wir erhalten lieber sinnlose landwirtschaftliche Strukturen, um unsere Bevölkerung zu schützen und geben dafür ein Trinkgeld wieder zurück.
Hoffentlich wird aus dem »Zufälligen Gast« ein Stammgast.
@Gregor
Der Mensch scheint mir mit den Folgen seiner eigenen, beschleunigten »Evolution« nicht mithalten zu können. Vielleicht liegt hierin sein »Schicksal«.
Das könnte durchaus sein; oder er schafft es sich auch hier – wie im Sciencefiction – mittels seiner Technik aus der Affäre zu ziehen.
»Alles« ist ein Hilfskonstrukt (das impliziert auch die im Buch kurz angesprochene Evolution von Ideen): Wir kennen die Wahrheit eben nicht, und wer weiß, vielleicht ist das Evolutionskonzept auch einmal überholt (was es aber über die Hintertüre wieder beweisen würde).
Inwieweit müssen wir alles erklären, kategorisieren und gleich bewerten? Das ist m.E. tatsächlich eines der ganz großen Probleme modernen (und wissenschaftlichen) Denkens. Ein eigenes Thema; und ich meine auch, dass sich Kunst und Kreativität genau dagegen wehren (im Sinne von nicht leiden können) – vielleicht mit ein Grund warum wir sie so schätzen.
@en-passant
Vielleicht kann man die geschilderten systemischen Probleme, als eine andere evolutionäre Ebene betrachten: Das Individuum ist nur mehr in einem übergeordneten, gesellschaftlichen Rahmen Einheit der Selektion.
Das Korrektiv ist schon mit eingebaut, aber dazu gehören auch Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen: Was nützt uns die Fähigkeit das Steuer herumreißen zu können, wenn wir nicht um die Ursachen des Klimawandels wüssten?
Das Bewährte immer noch halten zu wollen so lange es geht. Es zu können, nein, zu müssen, und zu verändern ist Evolution: Eine eingeschlagene Richtung kann verändert, aber nicht rückgängig gemacht werden (es gibt immer eine »verpflichtende« Basis).
Wir sprechen über Glück, das wir aus unserer Erfahrung kennen – wir wissen was es ist. Daher muss es »vorgesehen« sein. Ich würde über meine Arbeit jede halbe Woche anderes urteilen, aber vielleicht bin ich kein Maßstab. Jedenfalls sollte man sein Glück nicht nur dort suchen, der Mammutjäger war vielleicht bei seinem seltenen, abendlichen Flötenspiel mehr Mensch als während der Jagd... (bitte nicht als schönreden von Missständen verstehen)
Die Frage nach dem Glück
@Metepsilonema
Zu Absatz eins: Einverstanden! Man denke nur an die Forschung zu den nun wirklich allerkleinsten Teilchen, an denen alles hängt, die alles erklären sollen – und man hat sie nicht mal gesehen! Wissenschaft befindet sich da immer noch halb in einem spekulativen Feld: Und operiert zu einem großen Teil mittels der Mathematik, die doch als die große Unbestechliche gilt. – Kann es ein schöneres Paradoxon geben?
Und auch zum nächsten Absatz: Ja. Die Verführung hier ist wohl, mit dem großen Blick aufs Ganze selber wiederum eine beruhigende „Weltformel“ zu finden. – Nur das mit den neuronalen Strukturen leuchtet mir nicht unmittelbar ein. Meinen Sie, dass die Struktur selber nach Strukturen sucht (also Selbst-Erklärungen)? Falls ja, stärkte das das „ästhetische Argument“, dass also auch die menschliche Fähigkeit bzw. das Bedürfnis („bildgebende Verfahren“) der Anschauung dessen, was man wie erklären will eine Rolle spielt. (Auch wenn die wiederum als deterministisch anzusehen wäre.)
(Man denke auch an die Verführung durch Analogiebildungen: Diese selber sind dem Hirn „systemisch“ und bestätigen sich also andauernd selber, und das in solcher Eindringlichkeit, dass man sich um blinde Flecke, Zufälle... andere Erklärungen (etwa simple mathematische Formgesetze) fast nicht scheren will. Die Struktur – „Selbstähnlichkeit“ – sieht sich andauernd selbst.)
Bleibt das „Problem“ mit dem Glück. Wieso wird eben das heute oft als so weitegehend abwesend beschrieben – bei „uns“ vielleicht mehr als bei den Unterentwickelten (die es offenbar anders herzustellen wissen)? Es ist selber wiederum höchst widersprüchlich. (Wie anscheinend fast alles beim Menschen.)
Vielleicht hilft es, Glück einerseits als eine menschliche Konstante zu sehen (Menschen suchen auch noch im Elend danach, und finden es sogar in ihren selbsterschaffenen Höllen). Und es andererseits, unter seinen „theoretisch“ erschwerten Bedingungen, eben als Kontingenz, als etwas das wiederum mit anderen Grundwesenheiten zusammenhängt – etwa „Freiheit“. Von daher würde es nämlich immer wieder neu produktiv im Befragen seiner Bedingungen... die es wiederum immer neu finden (erfinden) zu lassen.
(Neulich einen interessanten Aufsatz in einer „Kultur & Gespenster“ gelesen, warum heute Menschen ästhetische Erfahrungen der „Drastik“ suchen, etwa im Horrorfilm, in der Pornographie, im einen an die Grenzen zerrenden Metal-Rock. Die Erklärungen waren höchst verblüffend. Ich will das aber hier nicht ausbreiten, wg. Off-Topic und so.)
Ich selber habe es – im Nachhang von Camus – oft als beglückend erlebt, dass ich alle Erklärungen und (Selbst-)Begründungszusammenhänge auch abwehren kann, dass ich sie zu meinem Glück nicht brauche, dass ich mich ebenso wie aufgehoben in einem angereicherten Kultur als radikalen Zufall ansehen kann innerhalb einer trägen Bewegung von (so zusagen nur biologischem) „Leben“. Ich habe es schon öfter so empfunden, dass mir von dieser Perspektive aus auch wieder Bejahungen von Dingen möglich sind, die ich für mich selber eigentlich ablehne. Das Absurde, der „Schwindel von Seele und Idee“ (Sartre) macht mich nicht unglücklich – vielleicht eher im Gegenteil. Ich bin zu einem annehmbaren Zeitpunkt und Ort auf die Welt gekommen – ich habe immer schon Glück gehabt!
@Gregor Keuschnig
Ich denke, das Überleben (und die Erwägungen über die Zuträglichkeiten für sich selbst und das Überleben der anderen) folgen einem gewissermaßen eigenen, primäreren Regelkreis, einer Logik an sich. (Also wohl dieser „verpflichtenden Basis“, die ja in sich auch vernünftig ist). Womöglich ist das noch tiefer eingeprägt, unmittelbarer, als etwa der Drang nach Welterkenntnis. Und unsere heutige Politik steht – gegen alle bessere Einsicht – immer noch da. Ironischerweise scheinen viele Menschen da viel weiter – und deshalb kommt ihnen Politik auch so mickrig bzw. zurückgeblieben vor. (Etwa zu Griechenland.) – Andererseits: Ist das, als tiefenimplementierte Menschenbedingung dann ein wesentliches „Humanum“ nicht auch?
Da wäre ich wieder bei meinen Ungleichzeitigkeiten. Es längst besser zu wissen, aber, weil viele noch so handeln, sich zum alten Handeln gezwungen zu sehen. (Oder sich das einzubilden und Großmut nicht leisten zu können.)
Und was das Glück anbelangt... siehe den Teil an Metepsilonema. Vielleicht ist auch das ein wesentliches Teil des Glücks: Es eben auch satt haben zu können, um es jede halbe Woche neu zu sehen (es neu zu versuchen)?
@en-passant
Ich meinte, ob ein System wie unser Gehirn, nicht die Frage nach unserer Herkunft stellen »muss«, wenn es fähig ist die Selbstrepräsentation eines freien und handelnden Wesens zu schaffen, das mit ebensolchen zusammenlebt, die es als weitgehend ähnlich erkennt. Dadurch, dass das System über sich selbst hinaus sehen kann, nach Ursachen forscht, plant, etc. beginnt es auch zu grübeln – wenn ich Sie richtig verstanden habe meinen wir etwa dasselbe.
Zum Glück: Ihren letzten Absatz kann ich ganz gut nachvollziehen; ich würde es ähnlich sehen, aber das Nagende dieser unnotwendigen Existenz gehört da auch irgendwie dazu, als ein Widerstand, der das Glück mitbedingt (der immer wieder mal aufbricht) – selbst wenn es nur in der Erfahrung der Welt liegt, oder auf einem emotional befriedigenden Tätigsein ohne Richtung beruht.
PS: Gibt es diesen Aufsatz irgendwo im Netz?
Ich bin barmherzig, also bin ich
Kann ich mir denn befehlen ein Gefühl wie Barmherzigkeit zu unterdrücken? Ich würde das für das Nahfeld verneinen, aber nicht ganz für die Menschen, die so weit weg sind, dass sie evolutionär nur als zumindest potentielle Feinde klassifiziert werden können. Wenn die Gruppengrößen steigen fehlt der Maßstab ganz oder wie De Gaulle sagte: Staaten haben keine Freunde, sondern nur Interessen.
Die Frage ist also, ob es es denkbar ist, dass ich gegenüber Griechenland barmherzig fühle, weil ich weiß, dass sie uns belogen und betrogen haben und verzeihe. Einem Freund gegenüber ist das sicher möglich. Aber gegenüber Staaten? Wahrscheinlich bleibt dies die Stunde der kalten Technokraten, um gar nicht erst in die Gefahr zu kommen die Kategoriengrenzen zu überschreiten. Das Menschlein ist damit nur zu Hause wirklich Mensch und betritt außerhalb die Theaterbühne, um eine prächtige Rolle zu spielen.
@Metepsilonema
Zum Vergnügen an drastischen Gegenständen (als PDF)
@Heute nicht zufälliger Gast
Unterdrückung meinte ich nicht: Barmherzigkeit entsteht im Nahfeld leichter (oder ausschließlich); außerhalb sind es eher Pflicht oder Gewissen, die uns z.B. zu Spenden »bewegen«. Ansonsten Zustimmung.
@en-passant
Danke!
Mensch und Notwendigkeit
Die Tatsache, dass der Mensch nicht notwendig ist: Ließe sich dies auch nicht biologisch erklären: Kein anderes Lebewesen ist auf den Menschen als potentielles Nahrungsobjekt angewiesen. Also ist er »entbehrlich«. (Von seiner destruktiven Wirkung auf die Natur erst gar nicht reden.) Und welche Auswirkungen hätte dies: Das »tollste« Produkt der Evolution ist eigentlich – überflüssig.
Ich erkenne zwischen diesem Zitat
Monod hingegen erwartet von einer universellen wissenschaftlichen Theorie, dass sie den Menschen, die Biosphäre, Elementarteilchen oder Kieselsteine erklären, aber nicht voraussagen kann. Sie sind möglich aber nicht notwendig: Das genügt uns, wenn es um den Kieselstein geht, nicht aber für uns selbst. Wir möchten, dass wir notwendig sind, daß unsere Existenz unvermeidbar und seit allen Zeiten beschlossen ist. Alle Religionen, fast alle Philosophien und zum Teil sogar die Wissenschaft zeugen von der unermüdlichen, heroischen Anstrengung der Menschheit, verzweifelt ihre eigene Zufälligkeit zu verleugnen.
und diesem kurz danach im folgenden Abschnitt
Lebewesen ähneln Maschinen, sie lassen sich mit ihnen vergleichen, aber sie entstehen nicht durch äußere Kräfte; und sie tragen die Information für ihre Entwicklung, ihren Aufbau und ihre Struktur in sich selbst. [Sie] kann sich daher autonom und spontan verwirklichen — ohne äußeren Eingriff, ohne Eingabe neuer Information. Die Information war – jedoch unausgedrückt – in den Bestandteilen schon vorhanden. Und dann wieder einer dieser Sätze: Der epigenetische Aufbau ist nicht eine Schöpfung, er ist eine Offenbarung. Und diese Bestimmung erübrigt jede weitere Diskussion über die genetische Determiniertheit unserer selbst.
einen Widerspruch: Wenn die Information schon immer vorhanden war, dann ist die Existenz des Menschen in gewissem Sinn notwendig. Man (»das Universum«) musste nur einfach genügend lange auf die richtigen Bedingungen warten, und er entwickelt sich. Wenn die Information nicht schon immer vorhanden war, dann muss sie entstanden sein und das Problem verlagert sich darauf, wie man den (informationellen) Prozess erklärt, der zu ihrer Entstehung geführt hat.
Das ist aber nicht die einzige gedankliche Schwierigkeit. Natürlich kann man die Definition des Menschen so eng fassen, dass er als reines Zufallsprodukt erscheint, weil seine konkrete Form ja so unwahrscheinlich ist. Wenn man aber von vielen Details abstrahiert und nur das (sich) Bewusst-Sein als das Wesentliche sieht, dann sieht es vielleicht anders aus.
Und noch ein weiterer Widerspruch: Betrachten wir uns als zufällig, dann wären wir in dieser unserer Zufälligkeit ja wieder einzigartig – und die Religion käme über das Hintertürchen wieder herein. Betrachten wir unser Erscheinen hingegen als klar gesetzmäßig, dann lohnt es sich, ins All zu schauen, wo denn die anderen sind, die nach denselben Gesetzmäßigkeiten überall entstehen könnten.
Der Zufall ist die einzige schöpferische Kraft...
Genau hier liegt das Problem. Man kann den Zufall nicht von der nachfolgenden Selektion trennen und man muss auch die Höherentwicklungsmechanismen in der unbelebten Natur einbeziehen. Lebewesen entwickelten sich ja nicht aus einer Zusammenballung von einfachen Wasserstoffatomen, sondern es sind zuvor noch einige Steigerungsstufen in der unbelebten Natur notwendig, bis eine ausreichende Komplexität für Lebensformen vorhanden war.
Der Mensch ist nicht notwendig: Wenn er diese Botschaft in ihrer Bedeutung aufnimmt, dann muß der Mensch endlich aus seinem tausendjährigen Traum erwachen und seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiß nun, daß er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen. Aber wer bestimmt was ein Verbrechen ist? Wer benennt das Gute und das Böse? Niemals zuvor waren wir die Herren unserer Werte, und jetzt wo wir es sind lösen sie sich in der gleichgültigen Leere des Universums auf.
Diese »gleichgültige Leere« des Universums löst sich sofort auf, wenn man sich klar macht, dass wir selbst Teile des Universums sind, die über uns selbst und über den Rest des Universums nachdenken können. Warum sollten wir uns selbst gleichgültig gegenüberstehen?
Zu Deinem ersten Widerspruch (wenn ich Dich richtig verstehe): Gemeint ist, dass die für die Individualentwicklung (Ontogenese) eines Lebewesens notwendige Information in ihm selbst steckt. Das heißt, dass z.B. die befruchtete Eizelle alle Informationen in sich trägt, um sich zu einem Menschen zu entwickeln (natürlich funktioniert das nur in einer Umgebung deren Bedingungen das zulassen). Genauso verhält es sich mit einem Bakterium wenn es sich teilt. Wenn wir realen Zufall annehmen, und das Vorhandensein einiger Bausteine, dann kann eine einfache Version eines sich selbst reproduzierenden Systems entstehen, oder auch nicht. Erst wenn das System einmal vorhanden ist, trägt es die Information in sich, und erst dann gilt das über die Individualentwicklung Gesagte.
Monod sieht den Menschen nicht als reines Zufallsprodukt (und ich auch nicht); vielleicht habe ich da seine Position zu stark gezeichnet (Manfred Eigen meint im Vorwort, dass Monod den Zufall stärker heraushebt, weil Gesetzmäßigkeiten ohnehin allgemein akzeptiert würden – ich habe das beim Lesen aber nicht so empfunden).
Mich würde interessieren wo Du eine Gesetzmäßigkeit unseres Erscheinen ausmachen kannst. Ich sehe da nichts, außer der prinzipiellen Möglichkeit.
Der Zufall ist die einzige schöpferische Kraft (bezogen auf die Entstehung von Lebewesen), weil er verändert, und Neuheiten in das bestehende System einbringt – die Selektion entscheidet nur darüber ob diese Neuheiten Bestand haben, ob sie sich bewähren.
Ich bin mir doch nicht gleichgültig, daraus entsteht ja das ganze Drama, denn ich sehe und fühle wider Willen, dass ich es dennoch bin.
Warum schöpferische Kraft?
Man kann die Frage mal bewusst in einen determinierten Kontext bringen.
Eine quadratische Gleichung kann keine, eine oder zwei reelle Lösungen haben. Das ist die Natur ihrer selbst. Welche Lösungen im Einzelfall zutreffen, wird mittels der Koeffizienten bestimmt. Ein überschaubares Konstrukt.
Die Stringtheorie ist praktisch nicht viel anders, nur, dass das System mathematisch komplexer und die Anzahl der Lösungen exorbitant höher ist. Durch Rand- und Symmetriebedingungen etc. kann man die Anzahl der Lösungen limitieren, aber kaum zähmen.
Wenn man die belebte Natur als ein solch extrem komplexes System sehen würde und die entstandenen Arten als mögliche Lösungen durch Parametrisierung der Umwelt, hat man viel von dem sprachlichen Ballast abgeworfen, der die Beschreibung häufig so erschwert. Wenn dann eine Lösung mit dem Selbstbewusstsein eine bisher unbekannte Eingeschaft hat, zeichnet sich diese nicht mehr aus, als die Erweiterung bei der quadratischen Gleichung auf imaginäre Zahlen, die ebenfalls eine neue Dimension aufspannen.
Der Kosmos selbst gibt also die Natur der Lösung vor und die Randbedingungen (Gravitation, vorhandene Elemente etc.) definieren die tatsächlichen Lösungen. Die Frage aller Fragen wird dadurch arg auf die Natur des Kosmos fokussiert und man kann auf Teleologie getrost verzichten, muss es aber nicht.
Warum nicht?
»Jede« zufällige Änderung in der DNS wird sich in der ausgelesenen Aminosäuresequenz abbilden, die die dreidimensionale Struktur und damit die Funktionalität eines Proteins bestimmt. Eine Änderung der Sequenz kann funktionale Auswirkungen haben, die sich verbreiten werden, wenn sie sich bewähren. Der Zufall bewirkt Neuheit (Veränderungen), und ist in diesem Sinne die schöpferische Kraft der Evolution.
Diese Zufälle auf der Mikroebene sind (meines Wissens) nicht (ausschließlich) durch Umwelteinflüsse bedingt, sie passieren einfach, z.B. bei der Duplizierung der Einzelstränge der DNS (die dafür zuständigen Enzyme haben eine bestimmte Fehlerquote). Da sich aber nicht voraussagen lässt, wann sie Fehler machen, ist es sinnlos sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Es ist möglich, dass es passiert, aber nicht determiniert, auch nicht wenn sie alle Parameter kennen (Wie beim radioaktiven Zerfall: Man weiß nur über die Menge der Teilchen bescheid, die zerfallen wird, kann aber nicht vorhersagen, welche das tun werden).
@Köppnick
Wenn die Information schon immer vorhanden war, dann ist die Existenz des Menschen in gewissem Sinn notwendig.
»Notwendig« oder einfach nur »zwangsläufig«?
Und ist es nicht eigentlich ein unding, den »Zufall« sofort wieder definieren bzw. einordnen zu wollen?
@Metepsilonema
Wenn der Mensch nicht als »reines Zufallsprodukt« zu sehen ist, dann wäre es jedoch immer noch immanent, dass es keine zielgerichtete »Entwicklung« gab, die ihn hervorbrachte. Oder sehe ich das falsch?
Im übrigen wäre doch der Faktor »Zufall« das reine Gegenteil einer Determiniertheit. Oder?
@Gregor
Genau: Der Mensch ist als Produkt der Evolution möglich, aber nicht mehr, es gab kein Ziel ihn zu »schaffen«, er hat sich ergeben. Was man aber sagen kann, ist, dass Evolutionsprozesse auf unserem Planeten zu Strukturen höherer Komplexität geführt haben (da sich aber ein Evolutionsprozess darüber definiert, und sich im Laufe der Evolution auch immer wieder Vereinfachungen als Anpassungen ergeben haben, kann man nicht sagen, dass das sein Ziel wäre, eher eine Tendenz).
Ja, Zufall ist das Gegenteil von Determiniertheit.
Den Widerspruch sehe ich, auf zwei Kernsätze reduziert, zwischen den beiden Aussagen
Wir möchten, dass wir notwendig sind, daß unsere Existenz unvermeidbar und seit allen Zeiten beschlossen ist.
und
Die Information war – jedoch unausgedrückt – in den Bestandteilen schon vorhanden.
Im ersten Satz bestreitet er die Notwendigkeit oder meinetwegen die Zwangsläufigkeit unserer Entstehung (@Gregor: hier ist das synonym), im zweiten Satz behauptet er sie. Meiner Meinung nach ist die Entstehung bewusster Lebewesen (natürlich nicht des Menschen in genau unserer Form) zwangsläufig, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
Und diese beiden Komponenten selbst sind ja offensichtlich vorhanden. Demzufolge ist unser Erscheinen tatsächlich gesetzmäßig / zwangsläufig.
Die Naturwissenschaft kann über die mögliche Teleologie dieser Prozesse nichts aussagen, weil sie ja in der Erzeugung der Komponenten begründet ist, die selbst außerhalb des Untersuchungesbereichs der Wissenschaft liegt. Aber diese Teleologie schleicht sich über Hintertürchen immer wieder ein, siehe die Diskussion anthropischer Prinzipien in der Kosmologie. Manche Wissenschaftler lehnen das – zu Recht – als wissenschaftliches Konzept ab, aber es bedeutet dann automatisch die Anerkennung, dass bestimmte Aspekte der Realität einer wissenschaftlichen Untersuchung eben nicht zugänglich sind.
Man untersucht verschiedene Einzelkomponenten der Realität, wie die Entstehung der Elementarteilchen, der groß- und kleinräumigen Verteilungen im Universum, selbstorganisierende Prozesse in der Physik und in der Chemie, dann Leben, dann Bewusstsein. Man stellt auf jeder Ebene verblüfft fest, dass man das »Wie« recht einfach beschreiben kann, das auf eine wundersame Weise zu immer komplexeren Strukturen geführt hat.
Die Zufälligkeit einzelner Prozesse wird übrigens nur dann beobachtet, wenn man Beschreibungsebenen (Wissenschaftsgebiete) voneinander trennt. Ein Beispiel: Die zufälligen Prozesse, die zum Beispiel zur Modifikation der DNA führen, sind auf molekularer Ebene gesetzmäßig zu beschreiben: Schlägt in ein Atom ein energiereiches Photon ein, kickt es dieses aus dem Molekül heraus, und zwar immer, und nicht zufällig. Genauso ist es auf jeder beliebigen Beschreibungsebene. Was uns als eine zufällige Entscheidung eines Individuums erscheint (sein freier Wille), ist auf der Ebene des neuronalen Netzwerks das Ergebnis eines determinierten elektrischen Rechenprozesses.
Einzig und allein auf der Quantenebene gibt es noch einen reinen Zufall, für den wir keine Ursachen gefunden haben – aber das könnte auch daran liegen, dass wir die darunterliegende Beschreibungsebene noch nicht gefunden haben.
Wenn wir den Zufall so vollständig auf determinierte Prozesse zurückführen können, dann ist das Fazit, dass das Entstehen immer komplexerer Strukturen, aktuell an der Spitze des Menschen, ein gesetzmäßiger Prozess ist.
@Köppnick
Leider nicht früher Zeit gefunden.
Entweder verstehe ich Dich falsch, wir reden an einander vorbei, oder es handelt sich um ein semantisches Problem: Monod geht es in diesem Zusammenhang nicht um die Phylo- sondern die Ontogenese, also nicht um die Evolution aller, sondern die Entwicklung eines Lebewesen, d.h. seiner individuellen Entwicklung. Er meint damit, dass z.B. in der befruchteten Eizelle sämtliche Informationen für den sich nach und nach entwickelnden Organismus enthalten sind (Klar: Die Anfangsbedingungen müssen auch stimmen). Ich denke dran kann kaum Zweifel bestehen, Entwicklungsvorgänge sind relativ stark determiniert, und werden nur durch drastische äußere Einflüsse unterbrochen (extremes Beispiel: eine Abtreibung). Das Kapitel aus dem das Zitat stammt heißt molekulare Ontogenese, seine Formulierung ist in diesem Kontext zu verstehen, und nicht in einem evolutiven Sinn (es hätte gar keine Evolution geben können, wenn alle Information schon immer dagewesen wäre). Ich sehe da keinen Widerspruch, nur eine zugespitzte Formulierung, die in ihrem Kontext aber kaum falsch verstanden werden kann. Im Lauf der Evolution sind Systeme entstanden, die den Aufbau ihrer eigenen Struktur stark determinieren.
Ich möchte Gregor schon beipflichten, und den Unterschied zwischen Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit aufrechterhalten: Erstens weil die Zwangsläufigkeit bewussten Lebens nicht gleichbedeutend mit unserer Notwendigkeit in der Form wie wir heute existieren ist, und zweitens, unsere Zwangsläufigkeit nicht bedeutet, dass wir für jemand/etwas anderen/anderes notwendig wären (z.B. das Universum).
Hinsichtlich des Evolutionsprozesses sind wir nicht allzu weit von einander entfernt: Ein solcher Prozess führt zur Entstehung von Strukturen höherer Komplexität (ich würde nicht so weit gehen, und ihr bestimmte Eigenschaften zuschreiben, aber darüber zu streiten lohnt wohl nicht), es hängt aber von den Anfangsbedingungen ab wieviel der Zufall ausprobieren kann. Wenn der Zufall tatsächlich alles ausprobieren kann (da bin ich mir nicht 100%ig sicher), dann entstehen solche Wesen zwingend zu einem im Unendlichen liegenden Zeitpunkt (die Zahl der möglichen Kombinationen ist ja sehr hoch, fast unendlich).
Dein Teleologie-Argument habe ich noch nicht ganz verstanden: Wenn ein System immer wieder Systeme erzeugt (und diese wiederum), die ihm äußerst ähnlich sind, warum sollte man das nicht als Ziel verstehen können? Ich kann doch prüfen (und beobachten) ob dem so ist oder nicht (es muss sich ja nicht um ein bewusstes Ziel handeln).
Folgen wir der Kopenhagener Deutung, ist der Zufall Realität, und Vorgänge auf der Quantenebene werden sich, auch im molekularen Bereich bemerkbar machen (wenn der Ort eines Teilchens nicht festgelegt ist, dann ist auch der Einschlag nicht festgelegt – es ist nur festgelegt was passiert, wenn er tatsächlich zustande kommt).
Entweder verstehe ich Dich falsch, wir reden an einander vorbei, oder es handelt sich um ein semantisches Problem: Monod geht es in diesem Zusammenhang nicht um die Phylo- sondern die Ontogenese, also nicht um die Evolution aller, sondern die Entwicklung eines Lebewesen, d.h. seiner individuellen Entwicklung. Er meint damit, dass z.B. in der befruchteten Eizelle sämtliche Informationen für den sich nach und nach entwickelnden Organismus enthalten sind (Klar: Die Anfangsbedingungen müssen auch stimmen).
Das hatte ich tatsächlich falsch verstanden – aber noch anders, als du es jetzt vermutest hast. Der Unterschied zwischen der Art und dem Individuum erscheint mir vom Gesichtspunkt der Information eher vernachlässigbar, da sich das Genom der Individuen einer Art ja kaum voneinander unterscheidet. Ich hatte zwei andere Gedanken:
Man kann das gerade am Menschen zeigen. Praktisch hat sich unser Erbgut seit 200.000 Jahren nicht geändert, wir leben aber in einer vollkommen anderen Umwelt. Man könnte nun einen prähistorischen Menschen in der heutigen Zeit aufwachsen lassen oder einen modernen Menschen in der Prähistorie. Beide würden zurechtkommen, ihr Erbgut erklärt den Unterschied zwischen den beiden Epochen also nicht. Er steckt in ihrer Umwelt. Die Umwelt hat sich (haben wir) verändert. Wir selbst sind vom Standpunkt unseres Erbguts gleich geblieben.
Beide Antworten ziehen die Rolle der Physik als grundlegende Naturwissenschaft in Zweifel.
Wenn der Zufall tatsächlich alles ausprobieren kann (da bin ich mir nicht 100%ig sicher), dann entstehen solche Wesen zwingend zu einem im Unendlichen liegenden Zeitpunkt (die Zahl der möglichen Kombinationen ist ja sehr hoch, fast unendlich).
Die beiden Parameter sind Raum und Zeit. Die Zeit ist nach derzeitiger Meinung endlich, beim Raum weiß man es nicht, das Universum könnte auch unendlich groß sein.
Ich möchte Gregor schon beipflichten, und den Unterschied zwischen Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit aufrechterhalten: Erstens weil die Zwangsläufigkeit bewussten Lebens nicht gleichbedeutend mit unserer Notwendigkeit in der Form wie wir heute existieren ist, und zweitens, unsere Zwangsläufigkeit nicht bedeutet, dass wir für jemand/etwas anderen/anderes notwendig wären (z.B. das Universum).
Ok, so hatte ich das bis jetzt nicht gesehen. Mit eigenen Worten: Zwangsläufig ist gewissermaßen die Blickrichtung von der Vergangenheit in die Zukunft, notwendig ist der Blick zurück. Aber damit wären wir auch schon bei der Teleologie:
Dein Teleologie-Argument habe ich noch nicht ganz verstanden: Wenn ein System immer wieder Systeme erzeugt (und diese wiederum), die ihm äußerst ähnlich sind, warum sollte man das nicht als Ziel verstehen können? Ich kann doch prüfen (und beobachten) ob dem so ist oder nicht (es muss sich ja nicht um ein bewusstes Ziel handeln).
Das Teleologieargument wird in der Wissenschaft einhellig abgelehnt, weil man die quasireligiöse Auslegung fürchtet. Siehe auch die weiter oben gestellte Frage, woher die Information stammt, die heute in den Lebewesen steckt. Die Evolutionstheorie wird heute von der Kirche akzeptiert, weil sie die Schöpfung auf den Urknall zurückdatiert. Gott hat das Universum so geschaffen, dass der Mensch entstehen würde / musste. – Gott hat in der Materie die Information versteckt, die sich über evolutionäre Prozesse zum Menschen kondensierte. Im Universum wurde also von Anfang an das Ziel verfolgt, bewusste Wesen zu erzeugen. Hier liegt dann auch der minimale semantische Unterschied zwischen »notwendig« und »zwangsläufig«, denn in der religiösen Interpretation von Teleologie ist der Mensch notwendig, in einer eher atheistischen Interpretation ist er (oder andere bewusste Wesen) lediglich zwangsläufig aufgrund der im Universum herschenden Bedingungen. Um damit gar nicht erst in Konflikt zu geraten, möchte sich die Wissenschaft erst gar nicht mit der »Warum gibt es den Menschen?« befassen, sondern untersucht in allen ihren Teildisziplinen immer nur das »Wie?«: Wie entstehen aus unbelebten belebte Systeme? Wie entstehen aus dummen Tieren kluge und aus diesen der Mensch? etc.
Folgen wir der Kopenhagener Deutung, ist der Zufall Realität, und Vorgänge auf der Quantenebene werden sich, auch im molekularen Bereich bemerkbar machen (wenn der Ort eines Teilchens nicht festgelegt ist, dann ist auch der Einschlag nicht festgelegt – es ist nur festgelegt was passiert, wenn er tatsächlich zustande kommt).
Eben wegen dieser Verwendung des Begriffs des Zufalls hatte ich auf die anderen Wissenschaftsgebiete verwiesen, in denen es ebenfalls den Zufall als Eingangsgröße gibt, in denen aber dieser Zufall bei genauerer Betrachtung auf einen determinierten Prozess auf einer nächstniederen Beschreibungsebene zurückführbar ist – nur eben nicht so vollständig wegen einer emergentistischen Erklärungslücke. Als Beispiel das Bewusstsein mit seinem freien Willen, der uns eine Zufallskomponente suggeriert, aber auf der Arbeit eines vollständig determinierten neuronalen Netzwerks beruht. Für die Quantenwelt kennen wir derzeit keine nächstniedrigere Beschreibungsebene. Es gibt aber kein logisches Argument, das diese ausschließt. Der Zufall muss also kein ontologischer sein, es kann sich um einen lediglich epistemischen handeln.
@Köppnick
Zu Deinem ersten Punkt: Das ist das, was ich mit den Anfangsbedingungen meinte, die müssen natürlich gegeben sein bzw. können sie innerhalb eines bestimmten Rahmens schwanken (Lebewesen sind soweit offene Systeme, dass sie in einem von ihnen kontrollierten Austausch mit der Umwelt stehen [wieder innerhalb bestimmter Grenzen, irgendwann kann diese Kontrolle »entgleiten«]). Ich sehe da keine Differenzen zwischen uns (und dem was Monod schrieb – er meinte nicht, dass alles im Sinne vollständiger Information in Lebewesen enthalten ist, das wird auch bei seinen Ausführungen zum genetischen Code klar).
Deinen Punkt zwei verstehe ich noch nicht ganz: Warum soll Information nicht geschaffen (erschaffen) werden? Wenn Strukturen Information repräsentieren, dann kann durch eine Änderung von Strukturen Information hinzutreten oder wegfallen (womöglich nicht in einem physikalischen Sinn). Nehmen wir an, dass während der Evolution der ersten Zellen das Genom zunächst klein war, und sich nach und nach vergrößert hat – warum sollte ich in diesem Fall nicht von einem Informationszuwachs im Hinblick auf das System sprechen? Und was das immer schon vorhanden sein betrifft: Monod spricht hier eben nicht in einem evolutionären Sinn, sondern meint (bei der Betrachtung heute existierender Lebewesen und den Unterschieden zu nicht lebender Materie) damit, dass die individuelle Entwicklung (der strukturelle Aufbau) durch in – z.B. einer Einzelle befindliche Informationen – gesteuert wird (die Information war »schon immer« in der Zelle enthalten).
Teleologie: Monods Buch versucht philosophische Fragen, die die Wissenschaft aufwirft, zu behandeln (siehe Untertitel) – natürlich kann man aus streng wissenschaftlicher Sicht dagegen halten, aber ob das bei dem Anspruch des Buchs sinnvoll ist (und wie gesagt, ich kann verstehen, dass sich dieser Gedanke aufdrängt)? Monod meint sicherlich kein steuerndes Prinzip, vielleicht kann man entschärft auch von einer Systemeigenschaft sprechen (oder von einer Beschreibung). Jedenfalls kann man kaum leugnen, dass Lebewesen Systeme sind, die immer wieder Systeme desselben Typs hervorbringen und somit sein Überleben sicherstellen. Das tun sie, das ist es was er meint (sie verfolgen diesen »Zweck«). Ich habe das Gefühl, dass das mehr eine Diskussion über Worte ist.
Zufall: Ja kann, das will ich auch gar nicht in Abrede stellen, aber wir wissen es nicht. Persönlich habe ich Zweifel am Determinismus (aber das ist wieder eine andere Diskussion).
Deinen Punkt zwei verstehe ich noch nicht ganz: Warum soll Information nicht geschaffen (erschaffen) werden?
Wenn wir der Physik zugestehen, dass sie die grundlegende Naturwissenschaft ist und prinzipiell alle anderen Wissenschaften auf sie zurückgeführt werden können, dann kann Information genausowenig erschaffen werden wie Materie. Unterstützt wird dieses Postulat durch die Beobachtung, dass es keine Information ohne Materie gibt, von einem physikalischen Standpunkt sind beide Begriffe sogar synonym. Die Zunahme der Entropie bedeutet nicht, dass Information erschaffen wird, sondern dass Ordnung an einer Stelle (in den Lebewesen) mit einer noch stärkeren Unordnung an anderer Stelle erkauft wird.
(Eine Diskussion, die unlängst zwischen Süßkind und Hawkings stattfand, drehte sich um die Frage, ob nicht in Schwarzen Löchern mit der Materie auch die mit ihr verbundene Information für immer verschwindet. Entschieden wurde diese Frage zugunsten Süßkinds, weil beim Verdampfen von Schwarzen Löchern die in den Quanten enthaltene Information wieder in unser Universum freigesetzt wird. – Alles vom Standpunkt der Physik aus betrachtet.)
Das ist nicht meine Meinung. Ich bin der Meinung, dass a) in emergenten Prozessen tatsächlich Neues erschaffen wird und b) die Physik nicht die grundlegende Naturwissenschaft ist, sondern eine von vielen verschiedenen Zugängen zur Realität – die Biologie ist ein eigenständiger, die Neurowissenschaften sind es ebenfalls und natürlich auch die Mathematik.
Defacto ist der Zweifel am Determinismus fast dasselbe wir der Emergentismus. Denn die Annahme eines »echten« Zufalls in der Physik kann man so interpretieren, dass es Naturvorgänge gibt, die mit physikalischen Methoden nicht erklärbar sind – sehr wohl aber zum Beispiel auf anderen Ebenen in der Biologie, oder eben auch der Mathematik als einer Nichtnatur-Wissenschaft.
Es ist schon eine Weile her, da habe ich mit einem Bekannten eine ähnliche Diskussion geführt: Er meinte, dass andere Wissenschaften, wie z.B. die Biologie, der Physik widersprechen müssten, ansonsten wären sie auf diese reduzierbar, und hätten keine »Daseinsberechtigung«. Ich hielt dagegen, und verwies auf die Möglichkeit von Emergenz – woran ich aber nicht gedacht habe war, die Physik nicht zwingend als Basis verstehen zu müssen (eigentlich ein schöner Zugang).
Widersprüche sollten sich aber trotzdem nicht zeigen, da der methodische Zugang der einzelnen Disziplinen ja sehr ähnlich ist (und ob die Mathematik eine Wissenschaft ist, darüber lässt sich trefflich streiten).
Dieses physikalische Informationsverständnis finde ich etwas unfruchtbar, denn das Erschaffen von Information bedeutet ja nicht, dass sie nicht durch Umstrukturierung erfolgen kann. Ich stelle mir das wie beim Schreiben vor: Wir haben einen Grundbestand an Wörtern oder Zeichen, und aus diesem können wir immer wieder neue Anordnungen schaffen (einem Leser Informationen vermitteln).
Kannst Du zu Deinem letzten Absatz vielleicht ein Beispiel anführen?
Nicht ganz passend, aber dennoch interessant:
Podcast – »Der Glaube an die Wissenschaft« – Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. Von Markus Metz und Georg Seeßlen – ca. 30 Minuten.
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