Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jacques Monod: Zufall und Notwendigkeit

Jac­ques Mo­nod: Zu­fall und Not­wen­dig­keit

Jac­ques Mo­nod legt an­hand zen­tra­ler Er­kennt­nis­se der mo­der­nen Bio­lo­gie ei­ne Angst frei, die uns al­le, be­wusst oder un­be­wusst, zeich­net. Sie ent­springt dem Ver­sa­gen un­se­rer sub­jek­ti­ven Deu­tung der Welt, das wir auch als das Un­be­ha­gen an der Mo­der­ne ken­nen — und der Ur­sprung die­ser Angst liegt, was über­ra­schen mag, in der Evo­lu­ti­on des Men­schen be­grün­det.

Mo­n­ods Dar­stel­lung ist knapp, zu­ge­spitzt, la­ko­nisch: Dar­in ist er ein Mei­ster; doch er hü­tet sich vor Ver­ein­fa­chun­gen, und wo er fürch­tet es den­noch zu tun, merkt er es an. Mo­nod zau­dert nicht, sei­ne Schlüs­se sind mes­ser­scharf, und er bleibt nicht ste­hen, ehe zu­letzt ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Uto­pie er­scheint; aber er weiß auch was Zwei­fel be­deu­tet, und wie we­nig, trotz al­ler Lo­gik und Ent­schlos­sen­heit, am En­de ge­won­nen ist.

»Zu­fall und Not­wen­dig­keit« ist das Werk ei­nes Auf­klä­rers, der sich we­der als sol­chen be­zeich­net, noch das Wort Auf­klä­rung im Mund führt — man merkt die­sem Buch sei­nen vier­zig­jäh­ri­gen Ge­burts­tag kaum an.

Wei­te­rer Text als PDF: Zu­fall-und-Not­wen­dig­keit (pdf, 240 KB).

37 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich weiß nicht ob es sinn­voll ist, die­sen Text hier in vol­ler Län­ge zu ver­öf­fent­li­chen. Wenn es ge­wünscht ist, und je­mand die PDF-Ver­si­on nicht le­sen mag, kann ich es tun (im Mo­ment scheue ich da­vor zu­rück, weil ich nicht noch ein­mal al­les neu for­ma­tie­ren möch­te).

  2. ...war vor Jah­ren mal ein ganz wich­ti­ges Buch für mich!
    Und für mich der pas­sen­de An­lass, es mal wie­der zu le­sen! Dan­ke für die Er­in­ne­rung dar­an!

     

  3. Ein­dring­lich
    Zu­nächst ein­mal herz­li­chen Dank für die­se tol­le Be­spre­chung! ich kann­te das Buch nicht (shame on me) und es er­scheint ja durch die Per­spek­ti­ven, die Du her­aus­ge­stellt hast, zeit­los zu sein.

    Die Ab­leh­nung des »Ani­mis­mus« wird für mich sehr ein­dring­lich und schlüs­sig be­grün­det. Ich kann die Aus­füh­run­gen zur Zu­fallhaf­tig­keit sehr gut nach­voll­zie­hen – und ver­ste­he auch die Krän­kung des Men­schen, die da­von nichts wis­sen will.

    Ei­ne ket­ze­ri­sche Fra­ge drängt sich mir je­doch auf: Wird da­durch nicht die Tür für ei­nen eben­so »re­li­gi­ös« be­setz­ten Szi­en­tis­mus ge­öff­net? Ich sa­ge nicht, dass Mo­nod dies ex­pli­zit be­treibt. Aber viel­leicht ist dies ei­ne Aus­wir­kung sei­ner Aus­füh­run­gen. In­zwi­schen usur­pie­ren doch die Na­tur­wis­sen­schaf­ten auch die phi­los­phi­schen Fra­gen nach »Selbst« und »frei­em Wil­len« (ich den­ke da be­son­ders an die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, die mit ih­ren bun­ten Bil­dern [ich weiss, dass das po­le­misch ist – s. hier] die ge­sam­te Phi­los­phie­ge­schich­te um­krem­peln wol­len.

  4. Man muss nicht über al­le Bü­cher be­scheid wis­sen – Du wür­dest Dich wun­dern was ich al­les nicht ge­le­sen ha­be oder nicht ken­ne (man ist zum Glück nicht nur auf sich selbst an­ge­wie­sen).

    Ein wich­ti­ger Un­ter­schied zwi­schen Mo­nod und an­de­ren ist, dass sein Aus­gangs­punkt ein Wert­ur­teil, ein Er­kennt­nis­ide­al ist, dem die Wis­sen­schaft ent­springt, aber nicht die Wis­sen­schaft selbst. Ent­schei­dend ist die­ses Ide­al, dem man sich frei­wil­lig un­ter­wirft; da­durch ist die Re­li­gi­ons­ge­fahr theo­re­tisch ge­bannt, prak­tisch hin­ge­gen hast Du recht, er könn­te durch­aus et­was be­feu­ert ha­ben.

    An­de­rer­seits, wenn man be­stimm­te Fra­ge­stel­lun­gen na­tur­wis­sen­schaft­lich un­ter­su­chen kann, war­um nicht (es sein denn es sprä­chen z.B. ethi­sche Grün­de da­ge­gen)? Al­ler­dings ist die wohl­fei­le Po­pu­la­ri­sie­rung und Ver­kür­zung der­sel­ben ab­zu­leh­nen (man darf nicht ver­ges­sen: Wis­sen­schaft ko­stet Geld, und das be­kommt man leich­ter wenn man be­kannt ist und ei­nen Na­men hat).

    Ich bin mir auch nicht si­cher ob Mo­nod mit Wis­sen­schaft im­mer nur Na­tur­wis­sen­schaft meint, und ver­mu­te, dass er al­le gel­ten lässt (oder lie­ße) die ein em­pi­ri­sches Ver­ständ­nis be­sit­zen, al­so sich an der Er­fah­rung, an der Welt mes­sen wol­len (es ist in der mo­der­nen Re­li­gi­ons­wis­sen­schaft auch nicht »zu­läs­sig« Aus­sa­gen über das Got­tes­bild ei­ner Re­li­gi­on zu fäl­len, das sich nicht mit den Quel­len der­sel­ben in Über­ein­stim­mung brin­gen lässt; in der Phi­lo­so­phie ist das an­ders, des­halb ist sie m.E. auch kei­ne Wis­sen­schaft).

    Ich muss noch ein­mal dar­über nach­den­ken. Bei Mo­nod ist ei­ni­ges an­ders als bei vie­len »Wis­sen­schafts­plä­doy­ers«. Ei­ner­seits weiß er über Kul­tur und Phi­lo­so­phie gut be­scheid, an­de­rer­seits ist er nicht na­iv (au­ßer viel­leicht am En­de, und das hat er selbst ver­mu­tet).

  5. Ad Wis­sen­schafts­re­li­gi­on
    Was macht Re­li­gi­on aus? Der Glau­be an et­was oder je­man­den, der er­klärt und ge­bie­tet (oder von dem sich das ab­lei­ten lässt). Mo­nod in­si­stiert dar­auf, dass die­se Ver­men­gung von Er­kennt­nis und Wer­ten nicht statt­fin­den darf (weil sie ge­fähr­lich ist), und dass sie durch das Ide­al der ob­jek­ti­ven Er­kennt­nis (frei­wil­lig) ver­hin­dert wer­den kann.

    Ge­gen die Men­schen­rech­te (die in ih­rer na­tur­recht­li­chen Form für Mo­nod eben­falls ei­nen Ani­mis­mus dar­stel­len) wird oft ein­ge­wandt, dass sie kul­tu­rell be­dingt sei­nen (z.B. von chi­ne­si­scher Sei­te aus), und da­her nicht ver­bind­lich; was aber, wenn es mög­lich wä­re, ei­nen Hu­ma­nis­mus aus ei­ner na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Sicht­wei­se zu recht­fer­ti­gen (wie man den Ab­satz Mo­n­ods in­ter­pre­tie­ren kann, den ich am En­de zi­tiert ha­be), da­bei ein­ge­denkt, dass wir nicht den Wert mit der Er­kennt­nis in eins set­zen. Al­len die sich auf die Wis­sen­schaft und sich ih­re Er­kennt­nis­se stüt­zen (al­so de fac­to je­der), fie­le es we­sent­lich schwe­rer die­sen Hu­ma­nis­mus zu igno­rie­ren, weil die Art und Wei­se wie sie selbst die Welt ver­ste­hen, da­zu führt.

    Noch ein­mal: Mir ist auch nicht wohl da­bei, aber in der Theo­rie kann ich kei­nen grund­sätz­li­chen Feh­ler oder kei­ne Schwä­che ent­decken, im Ge­gen­teil.

  6. Un­ge­ord­ne­te Ge­dan­ken
    Ich glau­be, dass die zu­neh­men­de Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Welt auch ei­ne Ge­fahr in sich birgt. Mo­n­ods Theo­rie mag hier ja feh­ler­los sein, aber der po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs sug­ge­riert ja in­zwi­schen durch­aus mensch­li­che All­machts­phan­ta­sien, die frü­her eben nur Gott oder Göt­tern zu­ge­stan­den wur­den (»ewi­ges Le­ben« bspw). Die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten de­kon­stru­ie­ren ge­ra­de das Men­schen­bild der Phi­lo­so­phen der letz­ten 2000 Jah­re. Hier­in be­stand ja in der Auf­klä­rung zu ei­nem ge­rüt­telt Maß der Aus­weg: Ein Hu­ma­nis­mus, der den Men­schen als be­son­de­res We­sen her­aus­stell­te, aber in au­to­no­er Ver­ant­wor­tung für sich selbst sah. Mo­nod sagt nun – wenn ich das rich­tig ver­stan­den ha­be – der Mensch war/ist ein We­sen des Zu­falls – und noch nicht ein­mal wich­tig für die Exi­stenz der Welt.

    Hier­aus ent­steht für mich dann das Pro­blem ei­nes »Hu­ma­nis­mus«. Wor­an soll er sich ori­en­tie­ren, wenn al­le Zu­ord­nun­gen, die den Men­schen als Uni­kat ei­ner Evo­lu­ti­on her­aus­he­ben, re­la­ti­viert wer­den? Und wenn dann doch zu­ge­schrie­be­ne »hu­ma­ne« Ei­gen­schaf­ten wie »frei­er Wil­le« als blo­sse Il­lu­sio­nen dar­ge­stellt wer­den – was bleibt dann noch? Wä­re dann das mensch­li­che Zu­sam­men­le­ben nur noch auf­grund des je­wei­li­gen Re­spekts vor ei­nem Mit­glied der glei­chen Art mög­lich? So, wie Am­seln ein­an­der nicht auf­fres­sen (nur ggf. be­kämp­fen, wenn es um die Er­hal­tung = Fort­pflan­zung geht)?

    Ich bin durch­aus be­reit, Mo­n­ods Kern­aus­sa­gen zu tei­len. Re­li­gio­nen oder ähn­li­che anim­in­sti­sche Sy­ste­me sind/waren nur Krücken, die nar­ziss­ti­sche Krän­kung der End­lich­keit des mensch­li­chen Le­bens aus­zu­hal­ten. Die Re­gres­si­on auf das bio­lo­gi­sche kann nun Kräf­te frei­set­zen, die die­se Form von »Hei­li­ge Ein­falt« (Oli­vi­er Roy) auf­he­ben. Wir er­le­ben aber der­zeit das Ge­gen­teil: Die ein­fa­chen Lö­sun­gen ha­ben wie­der Kon­junk­tur. Und sie ha­ben ge­ra­de jetzt Kon­junk­tur, da es im­mer kom­pli­zier­ter wird (Kli­ma­wam­del, Über­be­völ­ke­rung, Res­sour­cen­kämp­fe, Glo­bal­ka­pi­ta­lis­mus, etc). Kann es sein, dass der Mensch für die an­ge­streb­te Er­kennt­nis nicht bzw. nicht nicht ge­eig­net ist? Wä­re dies wie­der­um auch ein Evo­lu­ti­ons­pro­zess, den es ein­fach nur aus­zu­hal­ten gilt?

  7. Viel­leicht kön­nen wir uns dar­auf ei­ni­gen: Mo­nod zeigt ei­ne be­deut­sa­me In­kon­se­quenz in­ner­halb der mo­der­nen (west­li­chen) Ge­sell­schaf­ten auf, und schlägt vor die­se zu be­sei­ti­gen. Die Fra­ge ist, ob die­se In­kon­se­quenz zu Recht oder zu Un­recht be­steht. Dein Un­be­ha­gen vor weit­ge­hen­der Ver­wis­sen­schaft­li­chung tei­le ich, auch und vor al­lem als Quel­le von Wer­ten (an­de­rer­seits: Mo­nod ist schon sehr »schlüs­sig«).

    Man­fred Ei­gen fasst die­se Zwei­fel im Vor­wort der deut­schen Aus­ga­be ganz gut zu­sam­men: So bleibt uns im Au­gen­blick nur die stän­di­ge gei­sti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit den von uns ak­zep­tier­ten Ideen welt­an­schau­li­cher oder re­li­giö­ser Art an­hand der Kri­te­ri­en ob­jek­ti­ver Er­kennt­nis. Mir schau­dert aber bei dem Ge­dan­ken ei­ner Dog­ma­ti­sie­rung des Ob­jek­ti­vi­täts­po­stu­lats, die über die For­de­rung stän­di­ger gei­sti­ger Aus­ein­an­der­set­zung hin­aus­geht. Bam­her­zig­keit und Näch­sten­lie­be wä­ren die er­sten Op­fer.

    Der Mensch ist ein Pro­dukt des Zu­falls im Sin­ne der schöp­fe­ri­schen Kraft, aber (und die­ses aber ist wich­tig) oh­ne die Na­tur­ge­set­ze und die Se­lek­ti­on, gä­be es kei­ne Ent­wick­lungs­rich­tung (frei­lich oh­ne Ziel), kei­nen »Test« was sich be­währt, und was nicht. Es wä­re falsch, die be­leb­te Welt auf den Zu­fall oder die Not­wen­dig­keit re­du­zie­ren zu wol­len. Aber es stimmt, dass wir we­der für die Welt noch das Uni­ver­sum not­wen­dig sind.

    Den [...] Hu­ma­nis­mus, der den Men­schen als be­son­de­res We­sen herausstellt[e], aber in au­to­no­er Ver­ant­wor­tung für sich selbst [sieht], kann man, glau­be ich schon (und das hat mich et­was für Mo­n­ods Dar­stel­lung »ein­ge­nom­men«), an­ders be­grün­den. Der Mensch ist, zu­min­dest in der Sum­me sei­ner Fä­hig­kei­ten, ein be­son­de­res Le­be­we­sen die­ses Pla­ne­ten; er ist zwei­fel­los ein Wun­der­werk, das be­ginnt spä­te­stens wenn man ei­ne ein­zel­ne Zel­le be­trach­tet, mehr noch wenn wir uns und un­se­re Ei­gen­schaf­ten, un­se­re Her­kunft be­trach­ten, oder das Reich von Kul­tur und Idee. Es ist schon ein we­nig so, wie Mo­nod schreibt: Ver­zich­ten wir auf die Il­lu­si­on, in der See­le ei­ne im­ma­te­ri­el­le ”Sub­stanz“
    zu se­hen, dann leug­nen wir nicht de­ren Exi­stenz, son­dern wir be­gin­nen im Ge­gen­teil, die Kom­ple­xi­tät, den Reich­tum und die un­er­gründ­li­che Tie­fe des ge­ne­ti­schen und kul­tu­rel­len Er­bes, wie auch der be­wuß­ten und un­be­wuß­ten per­sön­li­chen Er­fah­rung zu er­ken­nen, die zu­sam­men das We­sen aus­ma­chen, das sich in uns ein­ma­lig zeigt und un­wi­der­leg­lich sel­ber be­zeugt.

    Das ist zu­min­dest nicht nichts, und wird in sei­ner Ge­samt­heit we­ni­ger in Zwei­fel ge­zo­gen als ir­gend­wel­che Göt­ter, wir­ken­de Prin­zi­pi­en, oder was auch im­mer (und ist da­her für al­le leich­ter nach­zu­voll­zie­hen).

    Die Dis­kus­sio­nen um den frei­en Wil­len, sind wohl längst nicht ab­ge­schlos­sen, und Mo­nod hät­te dem De­ter­mi­nis­mus si­cher­lich wi­der­spro­chen (und ich glau­be auch hier gibt es ei­ne Gren­ze zwi­schen dem was man wis­sen­schaft­lich sa­gen kann, und was man aus die­ser ab­lei­tet). Auch wer­den vie­le na­tur­wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se oder Ar­bei­ten in den Me­di­en un­zu­läng­lich dar­ge­stellt. Aber grund­sätz­lich hast Du recht, ein un­frei­es We­sen zu sein, wä­re für un­ser Selbst­ver­ständ­nis fa­tal (wie­wohl es nicht die ein­zi­ge Ei­gen­schaft ist, auf die man sich stüt­zen kann, s.o.).

    Der Mensch ist auf Si­tua­tio­nen, wie von dir ge­schil­dert, wohl schlecht vor­be­rei­tet wor­den – aber wie hät­te die Evo­lu­ti­on das voll­brin­gen sol­len?

  8. Viel­leicht ist es doch nur »Evo­lu­ti­on« – und al­les an­de­re sind zeit­wei­se Hilfs­kon­struk­te?
    Die ein­fa­chen Lö­sun­gen aber ha­ben un­ter Men­schen ei­gent­lich im­mer Kon­junk­tur.

    Dir Irr­tü­mer über die her­aus­ge­ho­be­ne Rol­le (auch wenn es die­se phä­no­mä­no­lo­gisch ge­ben soll­te – oder das ei­nem bei so­viel Spiel­zeug und Glit­ter­welt so vor­kom­men kann) füh­ren eben zu den Selbst­über­he­bun­gen. (Kli­ma­wan­del... bis Groß­ka­pi­ta­lis­mus.) An­de­rer­seits bringt Hu­ma­nis­mus, auch wenn er über­kom­men wird, auch wie­der Ein­sich­ten, al­so Fort­schritt.

    Viel­leicht sind die ih­rer­seits bio­lo­gi­sti­schen Deu­tun­gen et­was dumm, die so et­was wie die Über­bie­tungs­krank­heit, das sinn­lo­se Im­mer-mehr, die Sie­gräu­sche der Ad­re­na­lin­jun­kies als un­se­re Tier­na­tur in­ter­pre­tie­ren, die so­zu­sa­gen ska­lar dem Pla­ne­ten nicht an­ge­passt sind. (Wir su­chen ja schon neue!)

    Aber die Ver­blen­dun­gen sind ja auch sy­ste­misch, das heißt, der Irr­tum ist an­schei­nend ein­ge­baut und muss al­so mal ei­nen Zweck ge­habt ha­ben (hat er heu­te noch... an­dau­ernd – „Re­li­gi­on“ et­wa macht nach­ge­wie­se­ner­ma­ßen glück­li­cher). Und erst wenn das über­ge­ord­ne­te Sy­stem ge­nug star­ke Si­gna­le zu­rück­funkt, kann / wird wohl ein Um­den­ken statt­fin­den, ge­gen dann im­mer noch Wi­der­stän­de. (Oder nicht: Eben­so evo­lu­tio­när hilf­reich – und das zu den­ken muss man ein­zu­räu­men wa­gen – ist manch­mal Zwang. Et­wa „Öko­dik­ta­tur“ oder „Ent­eig­nun­gen“. Und ist das sehr viel an­ders un­frei als die idio­ti­sche Ver­fol­gung von Vor­tei­len für die ei­ge­ne Wirt­schaft, die, statt dem Wohl der Be­völ­ke­rung zu die­nen, von nicht-im­ma­nen­ten Zie­len ei­gent­lich längst ab­ge­kop­pelt ist?)

    Viel­leicht liegt es ja an den Un­gleich­zei­tig­kei­ten heu­te, von avan­cier­te­ster (ab­ge­dreh­te­ster) Wis­sen­schaft bis zu Neo-Bar­ba­rei­en, die da­her kom­men als „Un­end­li­cher Spaß“. „Anything goes“ und Selbst­ver­wirk­li­chung um je­den Preis sind viel­leicht eben doch nicht nur Frei­heit, son­dern wo­mög­lich ein evo­lu­tio­nä­rer Hal­te­punkt für ei­ne Spe­zi­es oh­ne Zwang zu Ent­wick­lungs­sprün­gen in ih­rem ar­cha­isch blei­ben­den Pro­gramm?

    Ir­gend­ei­nem „Ge­setz“ sol­cher Ent­wick­lung aber nä­her zu kom­men, dem (wo­mög­lich nur wie­der) Aus­le­se­pro­zess zwi­schen „Zu­fall und Not­wen­dig­keit“, kann erst mal den Hia­tus öff­nen, in den zu blicken man ei­gent­lich ge­zwun­gen wä­re – könn­te man sich nicht auch ei­nen Gu­ten Tag ma­chen mit den Fern­seh­nach­rich­ten dar­über und Kon­sum und „Nach mir die Sint­flut“.

    Es geht da we­der um Mo­ral noch um Mo­ra­lin­sauer. Aber Ein­sich­ten, die nicht er­fol­gen, weil ein vor­he­ri­ges Pro­gramm so er­folg­reich ist, dass es sei­ne Über­holt­heit an­dau­ernd ver­drän­gen kann, sind ein evo­lu­tio­nä­rer Nach­teil.

    ***

    Au­ßer­dem: Wenn es sich als rich­tig her­aus­stel­len soll­te, dass das er­ste Le­ben in Form von zün­den­den Ami­no­säu­ren oder was im­mer nur als ein biss­chen Ko­me­ten­dreck auf die Er­de kam – wä­ren wir im­mer noch »Stern­staub«. Die ei­ge­ne Un­be­deu­ten­heit ein­zu­se­hen ist viel­leicht die grö­ße­re Sa­che, als sich (wo­mög­lich nur aus Man­gel an Ver­gleichs­mög­lich­keit) als »gott­gleich« zu fei­ern?

     

  9. @Metepsilonema
    Dei­ne Er­läu­te­run­gen über­zeu­gen. Auch das Zi­tat von Ei­gen: Hier se­he ich näm­lich tat­säch­lich ein Pro­blem in der kon­se­quen­ten »Ver­wen­dung« des Ob­jek­ti­vi­ät­s­po­stu­lats. Das ist in et­wa so wie mit un­se­rem »sanf­ten« ka­pi­ta­li­sti­schen Wirt­schafts­sy­stem (die deut­sche, so­zia­le Markt­wirt­schaft) : Das hat ei­ni­ge Zeit ganz gut funk­tio­niert, weil es nicht op­ti­mal »ein­ge­stellt« war. In dem Mo­ment, als es im­mer mehr per­fek­tio­niert wur­de, blie­ben so­zia­le Aspek­te auf der Strecke. Da­durch ent­ste­hen Dis­pa­ri­tä­ten in der Ge­sell­schaft.

    Der Mensch scheint mir mit den Fol­gen sei­ner ei­ge­nen, be­schleu­nig­ten »Evo­lu­ti­on« nicht mit­hal­ten zu kön­nen. Viel­leicht liegt hier­in sein »Schick­sal«.

  10. @en-passant
    Was, wenn die Evo­lu­ti­on auch nur solch ein »Hilfs­kon­strukt« ist? Oder die Wis­sen­schaf­ten ge­ne­rell? Nach Pop­per weiss man ja ei­gent­lich, dass nur et­was so lan­ge stimmt, bis das Ge­gen­teil be­wie­sen ist.

    Die Ra­di­ka­li­tät Mo­n­ods, den Men­schen vom re­li­giö­sen, ja tran­szen­den­ta­len Sockel zu ho­len, ge­fällt mir schon. Ihn dann nur noch so­zu­sa­gen als »tech­ni­sches Ob­jekt« zu be­wun­dern st­ta ei­ne ima­gi­nä­re See­le als Trost­pfla­ster in der Rück­hand zu ha­ben. Aber was kommt statt­des­sen? Mei­ne Be­fürch­tun­gen hat­te ich ja ar­ti­ku­liert: Ein über­zo­ge­ner Szi­en­tis­mus?

    Wenn ich se­he, wie vie­le heut­zu­ta­ge bei so et­was ein­fa­chem wie der Nah­rungs­auf­nah­me »wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se« vor­schie­ben (ob die nun ver­kür­zend sind oder nicht sei ein­mal da­hin­ge­stellt), so wird mir schon mul­mig: In­wie­weit müs­sen wir al­les er­klä­ren, ka­te­go­ri­sie­ren und gleich be­wer­ten? Zu­mal sich die Er­kennt­nis­se ja in im­mer schnel­le­rer Art und Wei­se auch schon mal wi­der­spre­chen. (Ich er­in­ne­re mich an min­de­stens vier Zy­klen, was man mit an­ge­schim­mel­tem Brot macht: zu­nächst hieß es »weg­wer­fen«, dann »groß­zü­gig ent­fer­nen«, dann wie­der »weg­wer­fen«, usw.)

    Aber führt nicht fast zwangs­läu­fig die­ser »Evo­lu­ti­ons­glau­ben« (das ist jetzt sehr po­le­misch) zu ei­ner noch grö­sse­ren Hy­bris, die Mo­n­ods The­sen ein­fach zur Sei­te schiebt wie ei­nen Vor­hang?

  11. »Die Pla­gen«
    @Gregor Keu­sch­nig
    Ja, das ist der in­ne­woh­nen­de blin­de Fleck: dass jeg­li­che An­nah­me über die Welt zu ei­nem Cre­do ge­ra­ten kann. Um­so wich­ti­ger könn­te szi­en­ti­fisch ab­ge­här­te­tes Wis­sen sein. In die­ser Ar­gu­men­ta­ti­ons­li­nie wä­re dann der Ar­chais­mus wo­mög­lich ein Ge­gen­gift ge­gen zu­viel Wis­sen­schaft, und wir könn­ten so et­was wie ei­nem in je­dem Fall in­hä­ren­ten „Glau­ben“ gar nicht ent­kom­men? Al­les be­ding­te ein­an­der und nichts wä­re über­flüs­sig? Aber da läuft es dann ir­gend­wann auch leer...

    Wich­tig scheint mir, durch sol­che Krän­kun­gen des Hu­ma­nen zu ler­nen, die Fall­hö­he der je­der­zeit mög­li­chen ei­ge­nen Irr­tü­mer mit­zu­be­den­ken. (Das ist ja, was wir mo­derner­wei­se so an den Mul­las und an­de­ren Fun­da­men­ta­li­sten be­kla­gen: Dass ih­nen da et­was fehlt, was sie an­de­rer­seits so voll­stän­dig, so un­an­greif­bar macht.) Die Hy­bris be­steht ja in den un­ent­wegt ver­kür­zen­den Hal­tun­gen un­se­rer Ab­ge­klärt­heit, dem ho­hen Hu­ma­nis­mus, den Selbst­über­he­bun­gen... die uns ob dem ver­meint­lich Er­reih­ten das nicht wahr­neh­men las­sen. Das Kor­rek­tiv wä­re al­so auch gleich mit ein­ge­baut, und wir leb­ten in der be­sten al­ler mög­li­chen Wel­ten?

    Da­ge­gen sprä­che al­ler­dings die ent­fes­sel­ten, schon weit­ge­hend selbst­läu­fe­ri­schen Ge­wal­ten (von Ka­pi­ta­lis­mus bis Kli­ma­kol­laps). Und hier zeig­te sich – und zwar ganz mit­leids­los – ob das Tier evo­lu­tio­när sich be­wäh­ren kann. Wir stel­len uns ge­wis­ser­ma­ßen längst sel­ber ei­ne sol­che Auf­ga­be. Und wo­mög­lich ist das der Thrill: Ih­re Be­wäl­ti­gung steht noch aus...

    @Metepsilonema
    In sol­chen „Ap­pease­ments“ à la „sanf­ter Ka­pi­ta­lis­mus“ zeigt sich viel­leicht der mensch­li­che Re­la­ti­vis­mus an sich: Das Be­währ­te im­mer noch hal­ten zu wol­len so lan­ge es geht. Es scheint aber, dass die Sy­ste­me ab ei­nem ge­wis­sen Punkt die Re­gie über­neh­men – die Dis­pa­ri­tä­ten wer­den zu Fa­ta­li­tä­ten. (Eben et­wa der in Gang ge­setz­ten Be­schleu­ni­gung.)

    Al­lein so ei­ne Nach­richt wie neu­lich, dass nur ei­ner von sie­ben mit sei­ner Ar­beit ei­ni­ger­ma­ßen zu­frie­den ist, al­so dem, was doch als Grund­la­ge auf Er­den er­ko­ren wur­de, das Über- und Zu­sam­men­le­ben aus­kömm­lich si­cher zu stel­len. Ist die Müh­sal auf Er­den al­so in die Hand der Ar­beit­ge­ber über­ge­gan­gen? Oder ist das Sy­stem Ar­beit und Wett­be­werb der­art ver­irrt, dass das Un­glück uns wie­der ein­holt. (nach den Pha­sen et­wa des „Rhei­ni­schen Ka­pi­ta­lis­mus“)?
    (Ich muss­te un­will­kür­lich an die fet­ten und die ma­ge­ren Jah­re den­ken – ich glau­be, das stammt aus der Bi­bel.)

    Die Fa­ta­li­tät des Le­bens an sich (hi­sto­risch ge­se­hen: Mam­mute er­le­gen, Mais an­bau­en, Müh­sal oh­ne En­de... ), hol­te uns al­so nur wie­der ein? Es gibt ja wirk­lich Stim­men, die glau­ben, Glück sei ei­gent­lich gar nicht vor­ge­se­hen...

     

  12. Di­cho­to­mien
    Mir ist nicht ganz klar, war­um Ei­gen glaubt, dass Barm­her­zig­keit und Näch­sten­lie­be die er­sten Op­fer wä­ren. Ist es nicht ei­ne völ­lig an­de­re Ka­te­go­rie, wenn ich als Wis­sen­schaft­ler mög­lichst ob­jek­ti­vie­rend (was sy­stem­im­ma­nent nicht voll­stän­dig ge­lin­gen wird) fest­stel­le, wie sich Le­ben ent­wickelt hat und wenn ich als evo­lu­tio­när be­ding­tes so­zia­les We­sen in mei­ne Um­ge­bung ein­ge­bet­tet bin und auf ganz an­de­rer Ebe­ne funk­tio­nie­re. Die Di­cho­to­mie zwi­schen Wis­sen­schaft und Mensch­lich­keit se­he ich eher von in­ter­es­sier­ter Stel­le in­stru­men­ta­li­siert.

    Wenn mir die Evo­lu­ti­on ein Ver­hal­ten ver­passt hat, das ein Le­ben in ei­ner so­zia­len Grup­pe er­mög­licht und Barm­her­zig­keit und Näch­sten­lie­be ein Teil des Re­per­toires sind, wie und war­um soll­te ich mich dem ent­zie­hen. Pa­tho­lo­gi­sche Um­stän­de kön­nen zwar das er­prob­te Ver­hal­ten ma­ni­pu­lie­ren, der Kern bleibt aber im­mer vi­ru­lent. Selbst der ab­ge­brüh­te­ste Che­mi­ker wird in sei­nem Kind kei­ne Koh­len­stoff­ver­bin­dun­gen se­hen. Aber ist die über­bor­den­de Auf­la­dung mensch­li­cher Ge­füh­le mit Be­deu­tung nicht ge­nau­so über­trie­ben. Ge­füh­le als epi­ste­mo­lo­gi­sche Fil­ter zu se­hen, er­scheint mir we­sent­lich über­zeu­gen­der.

    Un­ser Pro­blem ist, ei­ne Ge­sell­schafts­ord­nung zu fin­den, die un­se­ren Klein­grup­pen­ha­bi­tus auf hö­he­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men trans­for­mie­ren kann. Man stel­le sich ein­fach die Fra­ge, mit wel­chen Ar­gu­men­ten der Ge­sell­schaft die Hil­fe für Grie­chen­land schmack­haft ge­macht wer­den könn­te. Was funk­tio­niert und was nicht? Ist z.B. das schwei­zer Mo­dell nicht viel nä­her am Men­schen und ver­hin­dert die re­flex­haf­te Ab­leh­nung, weil man sich als Teil der Grup­pe fühlt, statt durch Re­prä­sen­ta­ti­on fak­tisch ent­mün­digt zu wer­den? Ich be­fürch­te al­ler­dings auch, dass es un­ser Schick­sal ist, aus dem Pa­ra­dies der prä­hi­sto­ri­schen Grup­pen ver­trie­ben wor­den zu sein, für die wir ge­macht sind. Ich se­he den Se­lek­ti­ons­druck nicht, der in ei­ne wün­schens­wer­te Rich­tung zeigt.

  13. @Zufälliger Gast
    Was Ei­gen wohl mein­te, ist die Ge­fahr »wah­rer«, »be­wie­se­ner«, al­so ab­so­lut ver­stan­de­ner Wer­te, nach de­nen man sich rich­ten muss. Die könn­ten dann tat­säch­lich sehr schnell Näch­sten­lie­be und Barm­her­zig­keit be­en­den, weil sie to­ta­li­tä­re Zü­gen trü­gen (oder miss­braucht wer­den könn­ten um an­de­re In­ter­es­sen durch­zu­set­zen). Und letzt­lich soll­te al­len Wis­sen­schaft­lern klar sein, dass sie we­der die Rea­li­tät noch die Wahr­heit ken­nen (oder ken­nen wer­den), son­dern nur Theo­rien über­prü­fen und sie für taug­lich be­fin­den oder nicht (Theo­rie ist un­gleich Wahr­heit).

    Ge­walt und Ag­gres­si­on (Ego­is­mus) wa­ren auch evo­lu­tio­när er­folg­rei­che Stra­te­gien – wenn ich ei­nem Kon­kur­ren­ten oder be­nach­bar­ten Stamm zei­ge wer der Stär­ke­re ist, dann wird er/sie mir künf­tig kei­ne Kon­kur­renz mehr ma­chen, um ein simp­les Bei­spiel zu nen­nen; dann darf man nicht ver­ges­sen, dass un­se­re Um­ge­bung längst kei­ne na­tür­li­che mehr ist, al­so ge­wis­se Me­cha­nis­men au­ßer Kraft ge­setzt sind (Em­pa­thie ge­gen­über Men­schen auf an­de­ren Kon­ti­nen­ten oder in an­de­ren Län­dern, ist auf Grund der feh­len­den Un­mit­tel­bar­keit er­schwert). Und wenn wir uns als We­sen ver­ste­hen, die bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad über ih­re Hand­lun­gen be­stim­men kön­nen, dann ist das Bö­se da­mit im Spiel (Un­acht­sam­keit so­wie­so).

    (Die bei­den Sät­ze mit »Auf­la­dung« und »epi­ste­mo­lo­gi­schen Fil­ter« ver­ste­he ich nicht ganz – sind da­mit Ge­füh­le ge­meint, die sich aus ei­ner be­stimm­ten con­di­tio hu­ma­na er­ge­ben kön­nen?)

    Das Schwei­zer Mo­dell ver­langt auch sehr viel vom Bür­ger (aber man soll­te ihm das zu­mu­ten!), und es wä­re in der Tat ei­ne stär­ke­re Ein­bin­dung von di­rekt­de­mo­kra­ti­schen Ele­men­ten wün­schens­wert.

    Un­se­re mo­der­nen Ge­sell­schaf­ten (Mo­nod the­ma­ti­siert das kurz) ha­ben Evo­lu­ti­on und Se­lek­ti­on si­cher­lich in vie­len Be­rei­chen auf­ge­ho­ben bzw. be­grenzt (und zwar durch die Ge­schwin­dig­keit von tech­ni­schen und an­de­ren Ent­wick­lun­gen).

  14. @en-passant
    Ja, das Ein­fa­che hat im­mer Kon­junk­tur, und ich wür­de so­gar sa­gen, dass die Wis­sen­schaft auch nichts an­de­res tut: Sie such­te Ge­set­ze (Mo­nod sagt: die In­va­ri­an­ten) und Prin­zi­pi­en nach de­nen sich die Viel­falt der Er­schei­nun­gen rich­tet, auf die sie sich re­du­zie­ren oder durch die sie sich er­klä­ren lässt: Das hat manch­mal schon fast et­was ver­zwei­fel­tes an sich, wenn man an­er­kennt, dass fast al­les, ge­nau be­trach­tet, noch kom­pli­zier­ter wird, als es zu­vor schon war; wo­bei ein­fach hier so ein­fach wie mög­lich be­deu­tet (kei­ne Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on).

    Ich glau­be, dass ein gro­ße Ver­lockung in evo­lu­tio­nä­ren Be­trach­tun­gen liegt: Man hat hier In­ter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten (und ei­ne Theo­rie), die es er­lau­ben al­le mensch­li­chen Kon­struk­te un­ter dem Aspekt bio­lo­gi­scher Vor­teil­haf­tig­keit zu be­trach­ten und zu er­klä­ren. Da­bei kommt dann mit­un­ter selt­sa­mes (bio­lo­gi­sti­sches) her­aus, weil an­de­re Er­klä­run­gen au­ßen vor ge­las­sen wer­den. Man könn­te das Be­dürf­nis nach Sinn und Deu­tung, die Mo­nod evo­lu­tio­när ver­an­kert (Re­li­gi­on, Kul­tur, und Er­klä­rung be­grün­den mensch­li­che Ge­mein­schaft und Staa­ten, des­halb hat die Evo­lu­ti­on die­se Angst in uns an­ge­legt), ja auch wo an­ders su­chen: War­um et­wa, soll­te es nicht für ein zur Selbst­re­fle­xi­on fä­hi­ges We­sen, das sich als Aus­lö­ser von Hand­lun­gen er­kennt, nicht grund­sätz­lich wich­tig sein war­um es han­delt (al­so in wel­chem Auf­trag), und wo­her es kommt? Das hie­ße, dass es nur auf die Ent­wick­lungs­stu­fe neu­ro­na­ler Struk­tu­ren an­kä­me.

    Wir ha­ben si­cher in un­se­ren Ge­sell­schaf­ten Ent­wick­lun­gen er­reicht, die uns so­zu­sa­gen von ge­wis­sen evo­lu­tio­nä­ren Bin­dun­gen be­frei­en: Ei­ner­seits er­mög­li­chen wir Men­schen ein Über­le­ben, die es »in der Na­tur« nicht ge­schafft hät­ten, an­de­rer­seits wid­men wir uns Ver­gnü­gun­gen oder Über­le­gun­gen, die aus ei­ner Per­spek­ti­ve des Über­le­bens völ­lig ab­we­gig er­schei­nen. Das be­gann in dem Mo­ment in dem der Mensch die Kul­tur »er­fand«, die er­sten Stri­che an den Wän­den sei­ner Höh­len zog, oder ei­ne Flö­te aus Kno­chen schnitz­te...

    Ich ha­be schon dass Ge­fühl, dass der Kon­sum un­se­rer Ta­ge, auch die Auf­ga­be er­füllt, sol­che Ein­sich­ten zu über­se­hen (»über­ma­len« – aber ich glau­be es wä­re falsch ihn dar­auf zu re­du­zie­ren).

    Die ei­ge­ne Un­be­deu­ten­heit ein­zu­se­hen ist viel­leicht die grö­ße­re Sa­che, als sich (wo­mög­lich nur aus Man­gel an Ver­gleichs­mög­lich­keit) als »gott­gleich« zu fei­ern?

    Ja, zwei­fel­los, aber sie reißt eben »al­les« in ei­nen Ab­grund, und wir woll­ten doch glück­lich le­ben!

  15. @Zufälliger Gast
    Un­ser Pro­blem ist, ei­ne Ge­sell­schafts­ord­nung zu fin­den, die un­se­ren Klein­grup­pen­ha­bi­tus auf hö­he­re Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men trans­for­mie­ren kann.
    Und dies na­tür­lich ein­ge­bet­tet in »ver­nünf­ti­ge« Re­geln und nicht nur in ei­ner Kon­ven­ti­on, die die Kriegs­füh­rung halb­wegs »hu­man« er­mög­licht.

    Viel­leicht ist die uns mit­un­ter er­schla­gen­de Glo­ba­li­sie­rung tat­säch­lich ei­ne Über­for­de­rung für das klei­ne Mensch­lein, dass nur zu Hau­se sei­ne Fa­mi­lie auf­zie­hen will?

    Und wird uns nicht die Grie­chen­land-Hil­fe mit dem ge­schmack­lo­se­sten al­ler Ar­gu­men­te schmack­haft ge­macht: Wenn hier nicht ein­ge­grif­fen wird, droht un­ser Wohl­stand eben­falls Krat­zer an­zu­neh­men. Ist Em­pa­thie nicht nur um den Preis der Sug­ge­sti­on der ei­ge­nen Wohl­fahrt mög­lich? Statt un­se­re Bau­ern nicht so zu sub­ven­tio­nie­ren, dass die Bau­ern in Afri­ka mit de­ren Le­bens­mit­teln über­schwemmt und sel­ber in die Ar­mut ge­trie­ben wer­den, zah­len wir »Ent­wick­lungs­hil­fe«. Wir er­hal­ten lie­ber sinn­lo­se land­wirt­schaft­li­che Struk­tu­ren, um un­se­re Be­völ­ke­rung zu schüt­zen und ge­ben da­für ein Trink­geld wie­der zu­rück.

    Hof­fent­lich wird aus dem »Zu­fäl­li­gen Gast« ein Stamm­gast.

  16. @Gregor
    Der Mensch scheint mir mit den Fol­gen sei­ner ei­ge­nen, be­schleu­nig­ten »Evo­lu­ti­on« nicht mit­hal­ten zu kön­nen. Viel­leicht liegt hier­in sein »Schick­sal«.

    Das könn­te durch­aus sein; oder er schafft es sich auch hier – wie im Sci­ence­fic­tion – mit­tels sei­ner Tech­nik aus der Af­fä­re zu zie­hen.

    »Al­les« ist ein Hilfs­kon­strukt (das im­pli­ziert auch die im Buch kurz an­ge­spro­che­ne Evo­lu­ti­on von Ideen): Wir ken­nen die Wahr­heit eben nicht, und wer weiß, viel­leicht ist das Evo­lu­ti­ons­kon­zept auch ein­mal über­holt (was es aber über die Hin­ter­tü­re wie­der be­wei­sen wür­de).

    In­wie­weit müs­sen wir al­les er­klä­ren, ka­te­go­ri­sie­ren und gleich be­wer­ten? Das ist m.E. tat­säch­lich ei­nes der ganz gro­ßen Pro­ble­me mo­der­nen (und wis­sen­schaft­li­chen) Den­kens. Ein ei­ge­nes The­ma; und ich mei­ne auch, dass sich Kunst und Krea­ti­vi­tät ge­nau da­ge­gen weh­ren (im Sin­ne von nicht lei­den kön­nen) – viel­leicht mit ein Grund war­um wir sie so schät­zen.

    @en-passant
    Viel­leicht kann man die ge­schil­der­ten sy­ste­mi­schen Pro­ble­me, als ei­ne an­de­re evo­lu­tio­nä­re Ebe­ne be­trach­ten: Das In­di­vi­du­um ist nur mehr in ei­nem über­ge­ord­ne­ten, ge­sell­schaft­li­chen Rah­men Ein­heit der Se­lek­ti­on.

    Das Kor­rek­tiv ist schon mit ein­ge­baut, aber da­zu ge­hö­ren auch Er­ken­nen und Ver­ste­hen von Zu­sam­men­hän­gen: Was nützt uns die Fä­hig­keit das Steu­er her­um­rei­ßen zu kön­nen, wenn wir nicht um die Ur­sa­chen des Kli­ma­wan­dels wüss­ten?

    Das Be­währ­te im­mer noch hal­ten zu wol­len so lan­ge es geht. Es zu kön­nen, nein, zu müs­sen, und zu ver­än­dern ist Evo­lu­ti­on: Ei­ne ein­ge­schla­ge­ne Rich­tung kann ver­än­dert, aber nicht rück­gän­gig ge­macht wer­den (es gibt im­mer ei­ne »ver­pflich­ten­de« Ba­sis).

    Wir spre­chen über Glück, das wir aus un­se­rer Er­fah­rung ken­nen – wir wis­sen was es ist. Da­her muss es »vor­ge­se­hen« sein. Ich wür­de über mei­ne Ar­beit je­de hal­be Wo­che an­de­res ur­tei­len, aber viel­leicht bin ich kein Maß­stab. Je­den­falls soll­te man sein Glück nicht nur dort su­chen, der Mam­mut­jä­ger war viel­leicht bei sei­nem sel­te­nen, abend­li­chen Flö­ten­spiel mehr Mensch als wäh­rend der Jagd... (bit­te nicht als schön­re­den von Miss­stän­den ver­ste­hen)

  17. Die Fra­ge nach dem Glück
    @Metepsilonema

    Zu Ab­satz eins: Ein­ver­stan­den! Man den­ke nur an die For­schung zu den nun wirk­lich al­ler­klein­sten Teil­chen, an de­nen al­les hängt, die al­les er­klä­ren sol­len – und man hat sie nicht mal ge­se­hen! Wis­sen­schaft be­fin­det sich da im­mer noch halb in ei­nem spe­ku­la­ti­ven Feld: Und ope­riert zu ei­nem gro­ßen Teil mit­tels der Ma­the­ma­tik, die doch als die gro­ße Un­be­stech­li­che gilt. – Kann es ein schö­ne­res Pa­ra­do­xon ge­ben?

    Und auch zum näch­sten Ab­satz: Ja. Die Ver­füh­rung hier ist wohl, mit dem gro­ßen Blick aufs Gan­ze sel­ber wie­der­um ei­ne be­ru­hi­gen­de „Welt­for­mel“ zu fin­den. – Nur das mit den neu­ro­na­len Struk­tu­ren leuch­tet mir nicht un­mit­tel­bar ein. Mei­nen Sie, dass die Struk­tur sel­ber nach Struk­tu­ren sucht (al­so Selbst-Er­klä­run­gen)? Falls ja, stärk­te das das „äs­the­ti­sche Ar­gu­ment“, dass al­so auch die mensch­li­che Fä­hig­keit bzw. das Be­dürf­nis („bild­ge­ben­de Ver­fah­ren“) der An­schau­ung des­sen, was man wie er­klä­ren will ei­ne Rol­le spielt. (Auch wenn die wie­der­um als de­ter­mi­ni­stisch an­zu­se­hen wä­re.)
    (Man den­ke auch an die Ver­füh­rung durch Ana­lo­gie­bil­dun­gen: Die­se sel­ber sind dem Hirn „sy­ste­misch“ und be­stä­ti­gen sich al­so an­dau­ernd sel­ber, und das in sol­cher Ein­dring­lich­keit, dass man sich um blin­de Flecke, Zu­fäl­le... an­de­re Er­klä­run­gen (et­wa simp­le ma­the­ma­ti­sche Form­ge­set­ze) fast nicht sche­ren will. Die Struk­tur – „Selbst­ähn­lich­keit“ – sieht sich an­dau­ernd selbst.)

    Bleibt das „Pro­blem“ mit dem Glück. Wie­so wird eben das heu­te oft als so wei­te­ge­hend ab­we­send be­schrie­ben – bei „uns“ viel­leicht mehr als bei den Un­ter­ent­wickel­ten (die es of­fen­bar an­ders her­zu­stel­len wis­sen)? Es ist sel­ber wie­der­um höchst wi­der­sprüch­lich. (Wie an­schei­nend fast al­les beim Men­schen.)

    Viel­leicht hilft es, Glück ei­ner­seits als ei­ne mensch­li­che Kon­stan­te zu se­hen (Men­schen su­chen auch noch im Elend da­nach, und fin­den es so­gar in ih­ren selbst­er­schaf­fe­nen Höl­len). Und es an­de­rer­seits, un­ter sei­nen „theo­re­tisch“ er­schwer­ten Be­din­gun­gen, eben als Kon­tin­genz, als et­was das wie­der­um mit an­de­ren Grund­we­sen­hei­ten zu­sam­men­hängt – et­wa „Frei­heit“. Von da­her wür­de es näm­lich im­mer wie­der neu pro­duk­tiv im Be­fra­gen sei­ner Be­din­gun­gen... die es wie­der­um im­mer neu fin­den (er­fin­den) zu las­sen.

    (Neu­lich ei­nen in­ter­es­san­ten Auf­satz in ei­ner „Kul­tur & Ge­spen­ster“ ge­le­sen, war­um heu­te Men­schen äs­the­ti­sche Er­fah­run­gen der „Dra­stik“ su­chen, et­wa im Hor­ror­film, in der Por­no­gra­phie, im ei­nen an die Gren­zen zer­ren­den Me­tal-Rock. Die Er­klä­run­gen wa­ren höchst ver­blüf­fend. Ich will das aber hier nicht aus­brei­ten, wg. Off-To­pic und so.)

    Ich sel­ber ha­be es – im Nach­hang von Ca­mus – oft als be­glückend er­lebt, dass ich al­le Er­klä­run­gen und (Selbst-)Begründungszusammenhänge auch ab­weh­ren kann, dass ich sie zu mei­nem Glück nicht brau­che, dass ich mich eben­so wie auf­ge­ho­ben in ei­nem an­ge­rei­cher­ten Kul­tur als ra­di­ka­len Zu­fall an­se­hen kann in­ner­halb ei­ner trä­gen Be­we­gung von (so zu­sa­gen nur bio­lo­gi­schem) „Le­ben“. Ich ha­be es schon öf­ter so emp­fun­den, dass mir von die­ser Per­spek­ti­ve aus auch wie­der Be­ja­hun­gen von Din­gen mög­lich sind, die ich für mich sel­ber ei­gent­lich ab­leh­ne. Das Ab­sur­de, der „Schwin­del von See­le und Idee“ (Sart­re) macht mich nicht un­glück­lich – viel­leicht eher im Ge­gen­teil. Ich bin zu ei­nem an­nehm­ba­ren Zeit­punkt und Ort auf die Welt ge­kom­men – ich ha­be im­mer schon Glück ge­habt!

     

    @Gregor Keu­sch­nig

    Ich den­ke, das Über­le­ben (und die Er­wä­gun­gen über die Zu­träg­lich­kei­ten für sich selbst und das Über­le­ben der an­de­ren) fol­gen ei­nem ge­wis­ser­ma­ßen ei­ge­nen, pri­mä­re­ren Re­gel­kreis, ei­ner Lo­gik an sich. (Al­so wohl die­ser „ver­pflich­ten­den Ba­sis“, die ja in sich auch ver­nünf­tig ist). Wo­mög­lich ist das noch tie­fer ein­ge­prägt, un­mit­tel­ba­rer, als et­wa der Drang nach Welt­erkennt­nis. Und un­se­re heu­ti­ge Po­li­tik steht – ge­gen al­le bes­se­re Ein­sicht – im­mer noch da. Iro­ni­scher­wei­se schei­nen vie­le Men­schen da viel wei­ter – und des­halb kommt ih­nen Po­li­tik auch so mick­rig bzw. zu­rück­ge­blie­ben vor. (Et­wa zu Grie­chen­land.) – An­de­rer­seits: Ist das, als tie­fen­im­ple­men­tier­te Men­schen­be­din­gung dann ein we­sent­li­ches „Hu­ma­num“ nicht auch?

    Da wä­re ich wie­der bei mei­nen Un­gleich­zei­tig­kei­ten. Es längst bes­ser zu wis­sen, aber, weil vie­le noch so han­deln, sich zum al­ten Han­deln ge­zwun­gen zu se­hen. (Oder sich das ein­zu­bil­den und Groß­mut nicht lei­sten zu kön­nen.)

    Und was das Glück an­be­langt... sie­he den Teil an Me­tep­si­lo­n­e­ma. Viel­leicht ist auch das ein we­sent­li­ches Teil des Glücks: Es eben auch satt ha­ben zu kön­nen, um es je­de hal­be Wo­che neu zu se­hen (es neu zu ver­su­chen)?

     

  18. @en-passant
    Ich mein­te, ob ein Sy­stem wie un­ser Ge­hirn, nicht die Fra­ge nach un­se­rer Her­kunft stel­len »muss«, wenn es fä­hig ist die Selbst­re­prä­sen­ta­ti­on ei­nes frei­en und han­deln­den We­sens zu schaf­fen, das mit eben­sol­chen zu­sam­men­lebt, die es als weit­ge­hend ähn­lich er­kennt. Da­durch, dass das Sy­stem über sich selbst hin­aus se­hen kann, nach Ur­sa­chen forscht, plant, etc. be­ginnt es auch zu grü­beln – wenn ich Sie rich­tig ver­stan­den ha­be mei­nen wir et­wa das­sel­be.

    Zum Glück: Ih­ren letz­ten Ab­satz kann ich ganz gut nach­voll­zie­hen; ich wür­de es ähn­lich se­hen, aber das Na­gen­de die­ser un­not­wen­di­gen Exi­stenz ge­hört da auch ir­gend­wie da­zu, als ein Wi­der­stand, der das Glück mit­be­dingt (der im­mer wie­der mal auf­bricht) – selbst wenn es nur in der Er­fah­rung der Welt liegt, oder auf ei­nem emo­tio­nal be­frie­di­gen­den Tä­tig­sein oh­ne Rich­tung be­ruht.

    PS: Gibt es die­sen Auf­satz ir­gend­wo im Netz?

  19. Ich bin barm­her­zig, al­so bin ich
    Kann ich mir denn be­feh­len ein Ge­fühl wie Barm­her­zig­keit zu un­ter­drücken? Ich wür­de das für das Nah­feld ver­nei­nen, aber nicht ganz für die Men­schen, die so weit weg sind, dass sie evo­lu­tio­när nur als zu­min­dest po­ten­ti­el­le Fein­de klas­si­fi­ziert wer­den kön­nen. Wenn die Grup­pen­grö­ßen stei­gen fehlt der Maß­stab ganz oder wie De Gaul­le sag­te: Staa­ten ha­ben kei­ne Freun­de, son­dern nur In­ter­es­sen.

    Die Fra­ge ist al­so, ob es es denk­bar ist, dass ich ge­gen­über Grie­chen­land barm­her­zig füh­le, weil ich weiß, dass sie uns be­lo­gen und be­tro­gen ha­ben und ver­zei­he. Ei­nem Freund ge­gen­über ist das si­cher mög­lich. Aber ge­gen­über Staa­ten? Wahr­schein­lich bleibt dies die Stun­de der kal­ten Tech­no­kra­ten, um gar nicht erst in die Ge­fahr zu kom­men die Ka­te­go­rien­gren­zen zu über­schrei­ten. Das Mensch­lein ist da­mit nur zu Hau­se wirk­lich Mensch und be­tritt au­ßer­halb die Thea­ter­büh­ne, um ei­ne präch­ti­ge Rol­le zu spie­len.

  20. @Heute nicht zu­fäl­li­ger Gast
    Un­ter­drückung mein­te ich nicht: Barm­her­zig­keit ent­steht im Nah­feld leich­ter (oder aus­schließ­lich); au­ßer­halb sind es eher Pflicht oder Ge­wis­sen, die uns z.B. zu Spen­den »be­we­gen«. An­son­sten Zu­stim­mung.

    @en-passant
    Dan­ke!

  21. Mensch und Not­wen­dig­keit
    Die Tat­sa­che, dass der Mensch nicht not­wen­dig ist: Lie­ße sich dies auch nicht bio­lo­gisch er­klä­ren: Kein an­de­res Le­be­we­sen ist auf den Men­schen als po­ten­ti­el­les Nah­rungs­ob­jekt an­ge­wie­sen. Al­so ist er »ent­behr­lich«. (Von sei­ner de­struk­ti­ven Wir­kung auf die Na­tur erst gar nicht re­den.) Und wel­che Aus­wir­kun­gen hät­te dies: Das »toll­ste« Pro­dukt der Evo­lu­ti­on ist ei­gent­lich – über­flüs­sig.

  22. Ich er­ken­ne zwi­schen die­sem Zi­tat

    Mo­nod hin­ge­gen er­war­tet von ei­ner uni­ver­sel­len wis­sen­schaft­li­chen Theo­rie, dass sie den Men­schen, die Bio­sphä­re, Ele­men­tar­teil­chen oder Kie­sel­stei­ne er­klä­ren, aber nicht vor­aus­sa­gen kann. Sie sind mög­lich aber nicht not­wen­dig: Das ge­nügt uns, wenn es um den Kie­sel­stein geht, nicht aber für uns selbst. Wir möch­ten, dass wir not­wen­dig sind, daß un­se­re Exi­stenz un­ver­meid­bar und seit al­len Zei­ten be­schlos­sen ist. Al­le Re­li­gio­nen, fast al­le Phi­lo­so­phien und zum Teil so­gar die Wis­sen­schaft zeu­gen von der un­er­müd­li­chen, he­roi­schen An­stren­gung der Mensch­heit, ver­zwei­felt ih­re ei­ge­ne Zu­fäl­lig­keit zu ver­leug­nen.

    und die­sem kurz da­nach im fol­gen­den Ab­schnitt

    Le­be­we­sen äh­neln Ma­schi­nen, sie las­sen sich mit ih­nen ver­glei­chen, aber sie ent­ste­hen nicht durch äu­ße­re Kräf­te; und sie tra­gen die In­for­ma­ti­on für ih­re Ent­wick­lung, ih­ren Auf­bau und ih­re Struk­tur in sich selbst. [Sie] kann sich da­her au­to­nom und spon­tan ver­wirk­li­chen — oh­ne äu­ße­ren Ein­griff, oh­ne Ein­ga­be neu­er In­for­ma­ti­on. Die In­for­ma­ti­on war – je­doch un­aus­ge­drückt – in den Be­stand­tei­len schon vor­han­den. Und dann wie­der ei­ner die­ser Sät­ze: Der epi­ge­ne­ti­sche Auf­bau ist nicht ei­ne Schöp­fung, er ist ei­ne Of­fen­ba­rung. Und die­se Be­stim­mung er­üb­rigt je­de wei­te­re Dis­kus­si­on über die ge­ne­ti­sche De­ter­mi­niert­heit un­se­rer selbst.

    ei­nen Wi­der­spruch: Wenn die In­for­ma­ti­on schon im­mer vor­han­den war, dann ist die Exi­stenz des Men­schen in ge­wis­sem Sinn not­wen­dig. Man (»das Uni­ver­sum«) muss­te nur ein­fach ge­nü­gend lan­ge auf die rich­ti­gen Be­din­gun­gen war­ten, und er ent­wickelt sich. Wenn die In­for­ma­ti­on nicht schon im­mer vor­han­den war, dann muss sie ent­stan­den sein und das Pro­blem ver­la­gert sich dar­auf, wie man den (in­for­ma­tio­nel­len) Pro­zess er­klärt, der zu ih­rer Ent­ste­hung ge­führt hat.

    Das ist aber nicht die ein­zi­ge ge­dank­li­che Schwie­rig­keit. Na­tür­lich kann man die De­fi­ni­ti­on des Men­schen so eng fas­sen, dass er als rei­nes Zu­falls­pro­dukt er­scheint, weil sei­ne kon­kre­te Form ja so un­wahr­schein­lich ist. Wenn man aber von vie­len De­tails ab­stra­hiert und nur das (sich) Be­wusst-Sein als das We­sent­li­che sieht, dann sieht es viel­leicht an­ders aus.

    Und noch ein wei­te­rer Wi­der­spruch: Be­trach­ten wir uns als zu­fäl­lig, dann wä­ren wir in die­ser un­se­rer Zu­fäl­lig­keit ja wie­der ein­zig­ar­tig – und die Re­li­gi­on kä­me über das Hin­ter­tür­chen wie­der her­ein. Be­trach­ten wir un­ser Er­schei­nen hin­ge­gen als klar ge­setz­mä­ßig, dann lohnt es sich, ins All zu schau­en, wo denn die an­de­ren sind, die nach den­sel­ben Ge­setz­mä­ßig­kei­ten über­all ent­ste­hen könn­ten.

    Der Zu­fall ist die ein­zi­ge schöp­fe­ri­sche Kraft...

    Ge­nau hier liegt das Pro­blem. Man kann den Zu­fall nicht von der nach­fol­gen­den Se­lek­ti­on tren­nen und man muss auch die Hö­her­ent­wick­lungs­me­cha­nis­men in der un­be­leb­ten Na­tur ein­be­zie­hen. Le­be­we­sen ent­wickel­ten sich ja nicht aus ei­ner Zu­sam­men­bal­lung von ein­fa­chen Was­ser­stoff­ato­men, son­dern es sind zu­vor noch ei­ni­ge Stei­ge­rungs­stu­fen in der un­be­leb­ten Na­tur not­wen­dig, bis ei­ne aus­rei­chen­de Kom­ple­xi­tät für Le­bens­for­men vor­han­den war.

    Der Mensch ist nicht not­wen­dig: Wenn er die­se Bot­schaft in ih­rer Be­deu­tung auf­nimmt, dann muß der Mensch end­lich aus sei­nem tau­send­jäh­ri­gen Traum er­wa­chen und sei­ne to­ta­le Ver­las­sen­heit, sei­ne ra­di­ka­le Fremd­heit er­ken­nen. Er weiß nun, daß er sei­nen Platz wie ein Zi­geu­ner am Ran­de des Uni­ver­sums hat, das für sei­ne Mu­sik taub ist und gleich­gül­tig ge­gen sei­ne Hoff­nun­gen, Lei­den oder Ver­bre­chen. Aber wer be­stimmt was ein Ver­bre­chen ist? Wer be­nennt das Gu­te und das Bö­se? Nie­mals zu­vor wa­ren wir die Her­ren un­se­rer Wer­te, und jetzt wo wir es sind lö­sen sie sich in der gleich­gül­ti­gen Lee­re des Uni­ver­sums auf.

    Die­se »gleich­gül­ti­ge Lee­re« des Uni­ver­sums löst sich so­fort auf, wenn man sich klar macht, dass wir selbst Tei­le des Uni­ver­sums sind, die über uns selbst und über den Rest des Uni­ver­sums nach­den­ken kön­nen. War­um soll­ten wir uns selbst gleich­gül­tig ge­gen­über­ste­hen?

  23. Zu Dei­nem er­sten Wi­der­spruch (wenn ich Dich rich­tig ver­ste­he): Ge­meint ist, dass die für die In­di­vi­du­al­ent­wick­lung (On­to­ge­ne­se) ei­nes Le­be­we­sens not­wen­di­ge In­for­ma­ti­on in ihm selbst steckt. Das heißt, dass z.B. die be­fruch­te­te Ei­zel­le al­le In­for­ma­tio­nen in sich trägt, um sich zu ei­nem Men­schen zu ent­wickeln (na­tür­lich funk­tio­niert das nur in ei­ner Um­ge­bung de­ren Be­din­gun­gen das zu­las­sen). Ge­nau­so ver­hält es sich mit ei­nem Bak­te­ri­um wenn es sich teilt. Wenn wir rea­len Zu­fall an­neh­men, und das Vor­han­den­sein ei­ni­ger Bau­stei­ne, dann kann ei­ne ein­fa­che Ver­si­on ei­nes sich selbst re­pro­du­zie­ren­den Sy­stems ent­ste­hen, oder auch nicht. Erst wenn das Sy­stem ein­mal vor­han­den ist, trägt es die In­for­ma­ti­on in sich, und erst dann gilt das über die In­di­vi­du­al­ent­wick­lung Ge­sag­te.

    Mo­nod sieht den Men­schen nicht als rei­nes Zu­falls­pro­dukt (und ich auch nicht); viel­leicht ha­be ich da sei­ne Po­si­ti­on zu stark ge­zeich­net (Man­fred Ei­gen meint im Vor­wort, dass Mo­nod den Zu­fall stär­ker her­aus­hebt, weil Ge­setz­mä­ßig­kei­ten oh­ne­hin all­ge­mein ak­zep­tiert wür­den – ich ha­be das beim Le­sen aber nicht so emp­fun­den).

    Mich wür­de in­ter­es­sie­ren wo Du ei­ne Ge­setz­mä­ßig­keit un­se­res Er­schei­nen aus­ma­chen kannst. Ich se­he da nichts, au­ßer der prin­zi­pi­el­len Mög­lich­keit.

    Der Zu­fall ist die ein­zi­ge schöp­fe­ri­sche Kraft (be­zo­gen auf die Ent­ste­hung von Le­be­we­sen), weil er ver­än­dert, und Neu­hei­ten in das be­stehen­de Sy­stem ein­bringt – die Se­lek­ti­on ent­schei­det nur dar­über ob die­se Neu­hei­ten Be­stand ha­ben, ob sie sich be­wäh­ren.

    Ich bin mir doch nicht gleich­gül­tig, dar­aus ent­steht ja das gan­ze Dra­ma, denn ich se­he und füh­le wi­der Wil­len, dass ich es den­noch bin.

  24. War­um schöp­fe­ri­sche Kraft?
    Man kann die Fra­ge mal be­wusst in ei­nen de­ter­mi­nier­ten Kon­text brin­gen.

    Ei­ne qua­dra­ti­sche Glei­chung kann kei­ne, ei­ne oder zwei re­el­le Lö­sun­gen ha­ben. Das ist die Na­tur ih­rer selbst. Wel­che Lö­sun­gen im Ein­zel­fall zu­tref­fen, wird mit­tels der Ko­ef­fi­zi­en­ten be­stimmt. Ein über­schau­ba­res Kon­strukt.

    Die String­theo­rie ist prak­tisch nicht viel an­ders, nur, dass das Sy­stem ma­the­ma­tisch kom­ple­xer und die An­zahl der Lö­sun­gen ex­or­bi­tant hö­her ist. Durch Rand- und Sym­me­trie­be­din­gun­gen etc. kann man die An­zahl der Lö­sun­gen li­mi­tie­ren, aber kaum zäh­men.

    Wenn man die be­leb­te Na­tur als ein solch ex­trem kom­ple­xes Sy­stem se­hen wür­de und die ent­stan­de­nen Ar­ten als mög­li­che Lö­sun­gen durch Pa­ra­me­tri­sie­rung der Um­welt, hat man viel von dem sprach­li­chen Bal­last ab­ge­wor­fen, der die Be­schrei­bung häu­fig so er­schwert. Wenn dann ei­ne Lö­sung mit dem Selbst­be­wusst­sein ei­ne bis­her un­be­kann­te Ein­ge­schaft hat, zeich­net sich die­se nicht mehr aus, als die Er­wei­te­rung bei der qua­dra­ti­schen Glei­chung auf ima­gi­nä­re Zah­len, die eben­falls ei­ne neue Di­men­si­on auf­span­nen.

    Der Kos­mos selbst gibt al­so die Na­tur der Lö­sung vor und die Rand­be­din­gun­gen (Gra­vi­ta­ti­on, vor­han­de­ne Ele­men­te etc.) de­fi­nie­ren die tat­säch­li­chen Lö­sun­gen. Die Fra­ge al­ler Fra­gen wird da­durch arg auf die Na­tur des Kos­mos fo­kus­siert und man kann auf Te­leo­lo­gie ge­trost ver­zich­ten, muss es aber nicht.

  25. War­um nicht?
    »Je­de« zu­fäl­li­ge Än­de­rung in der DNS wird sich in der aus­ge­le­se­nen Ami­no­säu­re­se­quenz ab­bil­den, die die drei­di­men­sio­na­le Struk­tur und da­mit die Funk­tio­na­li­tät ei­nes Pro­te­ins be­stimmt. Ei­ne Än­de­rung der Se­quenz kann funk­tio­na­le Aus­wir­kun­gen ha­ben, die sich ver­brei­ten wer­den, wenn sie sich be­wäh­ren. Der Zu­fall be­wirkt Neu­heit (Ver­än­de­run­gen), und ist in die­sem Sin­ne die schöp­fe­ri­sche Kraft der Evo­lu­ti­on.

    Die­se Zu­fäl­le auf der Mi­kroebe­ne sind (mei­nes Wis­sens) nicht (aus­schließ­lich) durch Um­welt­ein­flüs­se be­dingt, sie pas­sie­ren ein­fach, z.B. bei der Du­pli­zie­rung der Ein­zel­strän­ge der DNS (die da­für zu­stän­di­gen En­zy­me ha­ben ei­ne be­stimm­te Feh­ler­quo­te). Da sich aber nicht vor­aus­sa­gen lässt, wann sie Feh­ler ma­chen, ist es sinn­los sich den Kopf dar­über zu zer­bre­chen. Es ist mög­lich, dass es pas­siert, aber nicht de­ter­mi­niert, auch nicht wenn sie al­le Pa­ra­me­ter ken­nen (Wie beim ra­dio­ak­ti­ven Zer­fall: Man weiß nur über die Men­ge der Teil­chen be­scheid, die zer­fal­len wird, kann aber nicht vor­her­sa­gen, wel­che das tun wer­den).

  26. @Köppnick
    Wenn die In­for­ma­ti­on schon im­mer vor­han­den war, dann ist die Exi­stenz des Men­schen in ge­wis­sem Sinn not­wen­dig.
    »Not­wen­dig« oder ein­fach nur »zwangs­läu­fig«?

    Und ist es nicht ei­gent­lich ein un­ding, den »Zu­fall« so­fort wie­der de­fi­nie­ren bzw. ein­ord­nen zu wol­len?

    @Metepsilonema
    Wenn der Mensch nicht als »rei­nes Zu­falls­pro­dukt« zu se­hen ist, dann wä­re es je­doch im­mer noch im­ma­nent, dass es kei­ne ziel­ge­rich­te­te »Ent­wick­lung« gab, die ihn her­vor­brach­te. Oder se­he ich das falsch?

    Im üb­ri­gen wä­re doch der Fak­tor »Zu­fall« das rei­ne Ge­gen­teil ei­ner De­ter­mi­niert­heit. Oder?

  27. @Gregor
    Ge­nau: Der Mensch ist als Pro­dukt der Evo­lu­ti­on mög­lich, aber nicht mehr, es gab kein Ziel ihn zu »schaf­fen«, er hat sich er­ge­ben. Was man aber sa­gen kann, ist, dass Evo­lu­ti­ons­pro­zes­se auf un­se­rem Pla­ne­ten zu Struk­tu­ren hö­he­rer Kom­ple­xi­tät ge­führt ha­ben (da sich aber ein Evo­lu­ti­ons­pro­zess dar­über de­fi­niert, und sich im Lau­fe der Evo­lu­ti­on auch im­mer wie­der Ver­ein­fa­chun­gen als An­pas­sun­gen er­ge­ben ha­ben, kann man nicht sa­gen, dass das sein Ziel wä­re, eher ei­ne Ten­denz).

    Ja, Zu­fall ist das Ge­gen­teil von De­ter­mi­niert­heit.

  28. Den Wi­der­spruch se­he ich, auf zwei Kern­sät­ze re­du­ziert, zwi­schen den bei­den Aus­sa­gen

    Wir möch­ten, dass wir not­wen­dig sind, daß un­se­re Exi­stenz un­ver­meid­bar und seit al­len Zei­ten be­schlos­sen ist.

    und

    Die In­for­ma­ti­on war – je­doch un­aus­ge­drückt – in den Be­stand­tei­len schon vor­han­den.

    Im er­sten Satz be­strei­tet er die Not­wen­dig­keit oder mei­net­we­gen die Zwangs­läu­fig­keit un­se­rer Ent­ste­hung (@Gregor: hier ist das syn­onym), im zwei­ten Satz be­haup­tet er sie. Mei­ner Mei­nung nach ist die Ent­ste­hung be­wuss­ter Le­be­we­sen (na­tür­lich nicht des Men­schen in ge­nau un­se­rer Form) zwangs­läu­fig, wenn fol­gen­de Be­din­gun­gen er­füllt sind:

    1. Die Mög­lich­keit de­ren Wei­ter­exi­stenz, wenn sie ent­stan­den sind, ist ge­ge­ben. Das ist die se­lek­ti­ve Kom­po­nen­te.
    2. Es gibt ei­nen Pro­zess, der al­le Mög­lich­kei­ten aus­pro­biert. Das ist die Zu­falls­kom­po­nen­te.

    Und die­se bei­den Kom­po­nen­ten selbst sind ja of­fen­sicht­lich vor­han­den. Dem­zu­fol­ge ist un­ser Er­schei­nen tat­säch­lich ge­setz­mä­ßig / zwangs­läu­fig.

    Die Na­tur­wis­sen­schaft kann über die mög­li­che Te­leo­lo­gie die­ser Pro­zes­se nichts aus­sa­gen, weil sie ja in der Er­zeu­gung der Kom­po­nen­ten be­grün­det ist, die selbst au­ßer­halb des Un­ter­su­chun­ges­be­reichs der Wis­sen­schaft liegt. Aber die­se Te­leo­lo­gie schleicht sich über Hin­ter­tür­chen im­mer wie­der ein, sie­he die Dis­kus­si­on an­thro­pi­scher Prin­zi­pi­en in der Kos­mo­lo­gie. Man­che Wis­sen­schaft­ler leh­nen das – zu Recht – als wis­sen­schaft­li­ches Kon­zept ab, aber es be­deu­tet dann au­to­ma­tisch die An­er­ken­nung, dass be­stimm­te Aspek­te der Rea­li­tät ei­ner wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­su­chung eben nicht zu­gäng­lich sind.

    Man un­ter­sucht ver­schie­de­ne Ein­zel­kom­po­nen­ten der Rea­li­tät, wie die Ent­ste­hung der Ele­men­tar­teil­chen, der groß- und klein­räu­mi­gen Ver­tei­lun­gen im Uni­ver­sum, selbst­or­ga­ni­sie­ren­de Pro­zes­se in der Phy­sik und in der Che­mie, dann Le­ben, dann Be­wusst­sein. Man stellt auf je­der Ebe­ne ver­blüfft fest, dass man das »Wie« recht ein­fach be­schrei­ben kann, das auf ei­ne wun­der­sa­me Wei­se zu im­mer kom­ple­xe­ren Struk­tu­ren ge­führt hat.

    Die Zu­fäl­lig­keit ein­zel­ner Pro­zes­se wird üb­ri­gens nur dann be­ob­ach­tet, wenn man Be­schrei­bungs­ebe­nen (Wis­sen­schafts­ge­bie­te) von­ein­an­der trennt. Ein Bei­spiel: Die zu­fäl­li­gen Pro­zes­se, die zum Bei­spiel zur Mo­di­fi­ka­ti­on der DNA füh­ren, sind auf mo­le­ku­la­rer Ebe­ne ge­setz­mä­ßig zu be­schrei­ben: Schlägt in ein Atom ein en­er­gie­rei­ches Pho­ton ein, kickt es die­ses aus dem Mo­le­kül her­aus, und zwar im­mer, und nicht zu­fäl­lig. Ge­nau­so ist es auf je­der be­lie­bi­gen Be­schrei­bungs­ebe­ne. Was uns als ei­ne zu­fäl­li­ge Ent­schei­dung ei­nes In­di­vi­du­ums er­scheint (sein frei­er Wil­le), ist auf der Ebe­ne des neu­ro­na­len Netz­werks das Er­geb­nis ei­nes de­ter­mi­nier­ten elek­tri­schen Re­chen­pro­zes­ses.

    Ein­zig und al­lein auf der Quan­ten­ebe­ne gibt es noch ei­nen rei­nen Zu­fall, für den wir kei­ne Ur­sa­chen ge­fun­den ha­ben – aber das könn­te auch dar­an lie­gen, dass wir die dar­un­ter­lie­gen­de Be­schrei­bungs­ebe­ne noch nicht ge­fun­den ha­ben.

    Wenn wir den Zu­fall so voll­stän­dig auf de­ter­mi­nier­te Pro­zes­se zu­rück­füh­ren kön­nen, dann ist das Fa­zit, dass das Ent­ste­hen im­mer kom­ple­xe­rer Struk­tu­ren, ak­tu­ell an der Spit­ze des Men­schen, ein ge­setz­mä­ßi­ger Pro­zess ist.

  29. @Köppnick
    Lei­der nicht frü­her Zeit ge­fun­den.

    Ent­we­der ver­ste­he ich Dich falsch, wir re­den an ein­an­der vor­bei, oder es han­delt sich um ein se­man­ti­sches Pro­blem: Mo­nod geht es in die­sem Zu­sam­men­hang nicht um die Phy­lo- son­dern die On­to­ge­ne­se, al­so nicht um die Evo­lu­ti­on al­ler, son­dern die Ent­wick­lung ei­nes Le­be­we­sen, d.h. sei­ner in­di­vi­du­el­len Ent­wick­lung. Er meint da­mit, dass z.B. in der be­fruch­te­ten Ei­zel­le sämt­li­che In­for­ma­tio­nen für den sich nach und nach ent­wickeln­den Or­ga­nis­mus ent­hal­ten sind (Klar: Die An­fangs­be­din­gun­gen müs­sen auch stim­men). Ich den­ke dran kann kaum Zwei­fel be­stehen, Ent­wick­lungs­vor­gän­ge sind re­la­tiv stark de­ter­mi­niert, und wer­den nur durch dra­sti­sche äu­ße­re Ein­flüs­se un­ter­bro­chen (ex­tre­mes Bei­spiel: ei­ne Ab­trei­bung). Das Ka­pi­tel aus dem das Zi­tat stammt heißt mo­le­ku­la­re On­to­ge­ne­se, sei­ne For­mu­lie­rung ist in die­sem Kon­text zu ver­ste­hen, und nicht in ei­nem evo­lu­ti­ven Sinn (es hät­te gar kei­ne Evo­lu­ti­on ge­ben kön­nen, wenn al­le In­for­ma­ti­on schon im­mer da­ge­we­sen wä­re). Ich se­he da kei­nen Wi­der­spruch, nur ei­ne zu­ge­spitz­te For­mu­lie­rung, die in ih­rem Kon­text aber kaum falsch ver­stan­den wer­den kann. Im Lauf der Evo­lu­ti­on sind Sy­ste­me ent­stan­den, die den Auf­bau ih­rer ei­ge­nen Struk­tur stark de­ter­mi­nie­ren.

    Ich möch­te Gre­gor schon bei­pflich­ten, und den Un­ter­schied zwi­schen Not­wen­dig­keit und Zwangs­läu­fig­keit auf­recht­erhal­ten: Er­stens weil die Zwangs­läu­fig­keit be­wuss­ten Le­bens nicht gleich­be­deu­tend mit un­se­rer Not­wen­dig­keit in der Form wie wir heu­te exi­stie­ren ist, und zwei­tens, un­se­re Zwangs­läu­fig­keit nicht be­deu­tet, dass wir für jemand/etwas anderen/anderes not­wen­dig wä­ren (z.B. das Uni­ver­sum).

    Hin­sicht­lich des Evo­lu­ti­ons­pro­zes­ses sind wir nicht all­zu weit von ein­an­der ent­fernt: Ein sol­cher Pro­zess führt zur Ent­ste­hung von Struk­tu­ren hö­he­rer Kom­ple­xi­tät (ich wür­de nicht so weit ge­hen, und ihr be­stimm­te Ei­gen­schaf­ten zu­schrei­ben, aber dar­über zu strei­ten lohnt wohl nicht), es hängt aber von den An­fangs­be­din­gun­gen ab wie­viel der Zu­fall aus­pro­bie­ren kann. Wenn der Zu­fall tat­säch­lich al­les aus­pro­bie­ren kann (da bin ich mir nicht 100%ig si­cher), dann ent­ste­hen sol­che We­sen zwin­gend zu ei­nem im Un­end­li­chen lie­gen­den Zeit­punkt (die Zahl der mög­li­chen Kom­bi­na­tio­nen ist ja sehr hoch, fast un­end­lich).

    Dein Te­leo­lo­gie-Ar­gu­ment ha­be ich noch nicht ganz ver­stan­den: Wenn ein Sy­stem im­mer wie­der Sy­ste­me er­zeugt (und die­se wie­der­um), die ihm äu­ßerst ähn­lich sind, war­um soll­te man das nicht als Ziel ver­ste­hen kön­nen? Ich kann doch prü­fen (und be­ob­ach­ten) ob dem so ist oder nicht (es muss sich ja nicht um ein be­wuss­tes Ziel han­deln).

    Fol­gen wir der Ko­pen­ha­ge­ner Deu­tung, ist der Zu­fall Rea­li­tät, und Vor­gän­ge auf der Quan­ten­ebe­ne wer­den sich, auch im mo­le­ku­la­ren Be­reich be­merk­bar ma­chen (wenn der Ort ei­nes Teil­chens nicht fest­ge­legt ist, dann ist auch der Ein­schlag nicht fest­ge­legt – es ist nur fest­ge­legt was pas­siert, wenn er tat­säch­lich zu­stan­de kommt).

  30. Ent­we­der ver­ste­he ich Dich falsch, wir re­den an ein­an­der vor­bei, oder es han­delt sich um ein se­man­ti­sches Pro­blem: Mo­nod geht es in die­sem Zu­sam­men­hang nicht um die Phy­lo- son­dern die On­to­ge­ne­se, al­so nicht um die Evo­lu­ti­on al­ler, son­dern die Ent­wick­lung ei­nes Le­be­we­sen, d.h. sei­ner in­di­vi­du­el­len Ent­wick­lung. Er meint da­mit, dass z.B. in der be­fruch­te­ten Ei­zel­le sämt­li­che In­for­ma­tio­nen für den sich nach und nach ent­wickeln­den Or­ga­nis­mus ent­hal­ten sind (Klar: Die An­fangs­be­din­gun­gen müs­sen auch stim­men).

    Das hat­te ich tat­säch­lich falsch ver­stan­den – aber noch an­ders, als du es jetzt ver­mu­test hast. Der Un­ter­schied zwi­schen der Art und dem In­di­vi­du­um er­scheint mir vom Ge­sichts­punkt der In­for­ma­ti­on eher ver­nach­läs­sig­bar, da sich das Ge­nom der In­di­vi­du­en ei­ner Art ja kaum von­ein­an­der un­ter­schei­det. Ich hat­te zwei an­de­re Ge­dan­ken:

    • Das Ge­nom ei­ner Art bzw. ei­nes In­di­vi­du­ums ent­hält nur die In­for­ma­ti­on, die in der Um­welt für die Re­kon­struk­ti­on von Ver­tre­tern die­ser Art fehlt. Le­be­we­sen sind ja, sy­stem­theo­re­tisch be­trach­tet, of­fe­ne Sy­ste­me, die in stän­di­gem Stoff- und da­mit In­for­ma­ti­ons­aus­tausch mit ih­rer Um­welt ste­hen. Da­mit das Ge­nom ex­pri­miert wer­den kann, muss man ihm sei­ne voll­stän­di­ge Um­welt bie­ten, die In­for­ma­ti­on dar­über ent­hält sein Ge­nom nicht. Und sie kann so­gar in ge­wis­sen Gren­zen va­ria­bel sein.

      Man kann das ge­ra­de am Men­schen zei­gen. Prak­tisch hat sich un­ser Erb­gut seit 200.000 Jah­ren nicht ge­än­dert, wir le­ben aber in ei­ner voll­kom­men an­de­ren Um­welt. Man könn­te nun ei­nen prä­hi­sto­ri­schen Men­schen in der heu­ti­gen Zeit auf­wach­sen las­sen oder ei­nen mo­der­nen Men­schen in der Prä­hi­sto­rie. Bei­de wür­den zu­recht­kom­men, ihr Erb­gut er­klärt den Un­ter­schied zwi­schen den bei­den Epo­chen al­so nicht. Er steckt in ih­rer Um­welt. Die Um­welt hat sich (ha­ben wir) ver­än­dert. Wir selbst sind vom Stand­punkt un­se­res Erb­guts gleich ge­blie­ben.

    • Der zwei­te Ge­dan­ke ist in der Fra­ge ver­bor­gen, wo sich die In­for­ma­ti­on be­fun­den hat, die jetzt uns de­fi­niert. Hier gibt es zwei Ant­wor­ten, die auf un­ter­schied­li­che Wei­se bei­de merk­wür­dig sind.
      1. Die In­for­ma­ti­on war schon im­mer vor­han­den.
      2. Die In­for­ma­ti­on wur­de neu er­schaf­fen.

      Bei­de Ant­wor­ten zie­hen die Rol­le der Phy­sik als grund­le­gen­de Na­tur­wis­sen­schaft in Zwei­fel.

    Wenn der Zu­fall tat­säch­lich al­les aus­pro­bie­ren kann (da bin ich mir nicht 100%ig si­cher), dann ent­ste­hen sol­che We­sen zwin­gend zu ei­nem im Un­end­li­chen lie­gen­den Zeit­punkt (die Zahl der mög­li­chen Kom­bi­na­tio­nen ist ja sehr hoch, fast un­end­lich).

    Die bei­den Pa­ra­me­ter sind Raum und Zeit. Die Zeit ist nach der­zei­ti­ger Mei­nung end­lich, beim Raum weiß man es nicht, das Uni­ver­sum könn­te auch un­end­lich groß sein.

    Ich möch­te Gre­gor schon bei­pflich­ten, und den Un­ter­schied zwi­schen Not­wen­dig­keit und Zwangs­läu­fig­keit auf­recht­erhal­ten: Er­stens weil die Zwangs­läu­fig­keit be­wuss­ten Le­bens nicht gleich­be­deu­tend mit un­se­rer Not­wen­dig­keit in der Form wie wir heu­te exi­stie­ren ist, und zwei­tens, un­se­re Zwangs­läu­fig­keit nicht be­deu­tet, dass wir für jemand/etwas anderen/anderes not­wen­dig wä­ren (z.B. das Uni­ver­sum).

    Ok, so hat­te ich das bis jetzt nicht ge­se­hen. Mit ei­ge­nen Wor­ten: Zwangs­läu­fig ist ge­wis­ser­ma­ßen die Blick­rich­tung von der Ver­gan­gen­heit in die Zu­kunft, not­wen­dig ist der Blick zu­rück. Aber da­mit wä­ren wir auch schon bei der Te­leo­lo­gie:

    Dein Te­leo­lo­gie-Ar­gu­ment ha­be ich noch nicht ganz ver­stan­den: Wenn ein Sy­stem im­mer wie­der Sy­ste­me er­zeugt (und die­se wie­der­um), die ihm äu­ßerst ähn­lich sind, war­um soll­te man das nicht als Ziel ver­ste­hen kön­nen? Ich kann doch prü­fen (und be­ob­ach­ten) ob dem so ist oder nicht (es muss sich ja nicht um ein be­wuss­tes Ziel han­deln).

    Das Te­leo­lo­gie­ar­gu­ment wird in der Wis­sen­schaft ein­hel­lig ab­ge­lehnt, weil man die qua­si­re­li­giö­se Aus­le­gung fürch­tet. Sie­he auch die wei­ter oben ge­stell­te Fra­ge, wo­her die In­for­ma­ti­on stammt, die heu­te in den Le­be­we­sen steckt. Die Evo­lu­ti­ons­theo­rie wird heu­te von der Kir­che ak­zep­tiert, weil sie die Schöp­fung auf den Ur­knall zu­rück­da­tiert. Gott hat das Uni­ver­sum so ge­schaf­fen, dass der Mensch ent­ste­hen wür­de / muss­te. – Gott hat in der Ma­te­rie die In­for­ma­ti­on ver­steckt, die sich über evo­lu­tio­nä­re Pro­zes­se zum Men­schen kon­den­sier­te. Im Uni­ver­sum wur­de al­so von An­fang an das Ziel ver­folgt, be­wuss­te We­sen zu er­zeu­gen. Hier liegt dann auch der mi­ni­ma­le se­man­ti­sche Un­ter­schied zwi­schen »not­wen­dig« und »zwangs­läu­fig«, denn in der re­li­giö­sen In­ter­pre­ta­ti­on von Te­leo­lo­gie ist der Mensch not­wen­dig, in ei­ner eher athe­isti­schen In­ter­pre­ta­ti­on ist er (oder an­de­re be­wuss­te We­sen) le­dig­lich zwangs­läu­fig auf­grund der im Uni­ver­sum her­schen­den Be­din­gun­gen. Um da­mit gar nicht erst in Kon­flikt zu ge­ra­ten, möch­te sich die Wis­sen­schaft erst gar nicht mit der »War­um gibt es den Men­schen?« be­fas­sen, son­dern un­ter­sucht in al­len ih­ren Teil­dis­zi­pli­nen im­mer nur das »Wie?«: Wie ent­ste­hen aus un­be­leb­ten be­leb­te Sy­ste­me? Wie ent­ste­hen aus dum­men Tie­ren klu­ge und aus die­sen der Mensch? etc.

    Fol­gen wir der Ko­pen­ha­ge­ner Deu­tung, ist der Zu­fall Rea­li­tät, und Vor­gän­ge auf der Quan­ten­ebe­ne wer­den sich, auch im mo­le­ku­la­ren Be­reich be­merk­bar ma­chen (wenn der Ort ei­nes Teil­chens nicht fest­ge­legt ist, dann ist auch der Ein­schlag nicht fest­ge­legt – es ist nur fest­ge­legt was pas­siert, wenn er tat­säch­lich zu­stan­de kommt).

    Eben we­gen die­ser Ver­wen­dung des Be­griffs des Zu­falls hat­te ich auf die an­de­ren Wis­sen­schafts­ge­bie­te ver­wie­sen, in de­nen es eben­falls den Zu­fall als Ein­gangs­grö­ße gibt, in de­nen aber die­ser Zu­fall bei ge­naue­rer Be­trach­tung auf ei­nen de­ter­mi­nier­ten Pro­zess auf ei­ner nächst­nie­de­ren Be­schrei­bungs­ebe­ne zu­rück­führ­bar ist – nur eben nicht so voll­stän­dig we­gen ei­ner emer­gen­ti­sti­schen Er­klä­rungs­lücke. Als Bei­spiel das Be­wusst­sein mit sei­nem frei­en Wil­len, der uns ei­ne Zu­falls­kom­po­nen­te sug­ge­riert, aber auf der Ar­beit ei­nes voll­stän­dig de­ter­mi­nier­ten neu­ro­na­len Netz­werks be­ruht. Für die Quan­ten­welt ken­nen wir der­zeit kei­ne nächst­nied­ri­ge­re Be­schrei­bungs­ebe­ne. Es gibt aber kein lo­gi­sches Ar­gu­ment, das die­se aus­schließt. Der Zu­fall muss al­so kein on­to­lo­gi­scher sein, es kann sich um ei­nen le­dig­lich epi­ste­mi­schen han­deln.

  31. @Köppnick
    Zu Dei­nem er­sten Punkt: Das ist das, was ich mit den An­fangs­be­din­gun­gen mein­te, die müs­sen na­tür­lich ge­ge­ben sein bzw. kön­nen sie in­ner­halb ei­nes be­stimm­ten Rah­mens schwan­ken (Le­be­we­sen sind so­weit of­fe­ne Sy­ste­me, dass sie in ei­nem von ih­nen kon­trol­lier­ten Aus­tausch mit der Um­welt ste­hen [wie­der in­ner­halb be­stimm­ter Gren­zen, ir­gend­wann kann die­se Kon­trol­le »ent­glei­ten«]). Ich se­he da kei­ne Dif­fe­ren­zen zwi­schen uns (und dem was Mo­nod schrieb – er mein­te nicht, dass al­les im Sin­ne voll­stän­di­ger In­for­ma­ti­on in Le­be­we­sen ent­hal­ten ist, das wird auch bei sei­nen Aus­füh­run­gen zum ge­ne­ti­schen Code klar).

    Dei­nen Punkt zwei ver­ste­he ich noch nicht ganz: War­um soll In­for­ma­ti­on nicht ge­schaf­fen (er­schaf­fen) wer­den? Wenn Struk­tu­ren In­for­ma­ti­on re­prä­sen­tie­ren, dann kann durch ei­ne Än­de­rung von Struk­tu­ren In­for­ma­ti­on hin­zu­tre­ten oder weg­fal­len (wo­mög­lich nicht in ei­nem phy­si­ka­li­schen Sinn). Neh­men wir an, dass wäh­rend der Evo­lu­ti­on der er­sten Zel­len das Ge­nom zu­nächst klein war, und sich nach und nach ver­grö­ßert hat – war­um soll­te ich in die­sem Fall nicht von ei­nem In­for­ma­ti­ons­zu­wachs im Hin­blick auf das Sy­stem spre­chen? Und was das im­mer schon vor­han­den sein be­trifft: Mo­nod spricht hier eben nicht in ei­nem evo­lu­tio­nä­ren Sinn, son­dern meint (bei der Be­trach­tung heu­te exi­stie­ren­der Le­be­we­sen und den Un­ter­schie­den zu nicht le­ben­der Ma­te­rie) da­mit, dass die in­di­vi­du­el­le Ent­wick­lung (der struk­tu­rel­le Auf­bau) durch in – z.B. ei­ner Ein­zel­le be­find­li­che In­for­ma­tio­nen – ge­steu­ert wird (die In­for­ma­ti­on war »schon im­mer« in der Zel­le ent­hal­ten).

    Te­leo­lo­gie: Mo­n­ods Buch ver­sucht phi­lo­so­phi­sche Fra­gen, die die Wis­sen­schaft auf­wirft, zu be­han­deln (sie­he Un­ter­ti­tel) – na­tür­lich kann man aus streng wis­sen­schaft­li­cher Sicht da­ge­gen hal­ten, aber ob das bei dem An­spruch des Buchs sinn­voll ist (und wie ge­sagt, ich kann ver­ste­hen, dass sich die­ser Ge­dan­ke auf­drängt)? Mo­nod meint si­cher­lich kein steu­ern­des Prin­zip, viel­leicht kann man ent­schärft auch von ei­ner Sy­stem­ei­gen­schaft spre­chen (oder von ei­ner Be­schrei­bung). Je­den­falls kann man kaum leug­nen, dass Le­be­we­sen Sy­ste­me sind, die im­mer wie­der Sy­ste­me des­sel­ben Typs her­vor­brin­gen und so­mit sein Über­le­ben si­cher­stel­len. Das tun sie, das ist es was er meint (sie ver­fol­gen die­sen »Zweck«). Ich ha­be das Ge­fühl, dass das mehr ei­ne Dis­kus­si­on über Wor­te ist.

    Zu­fall: Ja kann, das will ich auch gar nicht in Ab­re­de stel­len, aber wir wis­sen es nicht. Per­sön­lich ha­be ich Zwei­fel am De­ter­mi­nis­mus (aber das ist wie­der ei­ne an­de­re Dis­kus­si­on).

  32. Dei­nen Punkt zwei ver­ste­he ich noch nicht ganz: War­um soll In­for­ma­ti­on nicht ge­schaf­fen (er­schaf­fen) wer­den?

    Wenn wir der Phy­sik zu­ge­ste­hen, dass sie die grund­le­gen­de Na­tur­wis­sen­schaft ist und prin­zi­pi­ell al­le an­de­ren Wis­sen­schaf­ten auf sie zu­rück­ge­führt wer­den kön­nen, dann kann In­for­ma­ti­on ge­nau­so­we­nig er­schaf­fen wer­den wie Ma­te­rie. Un­ter­stützt wird die­ses Po­stu­lat durch die Be­ob­ach­tung, dass es kei­ne In­for­ma­ti­on oh­ne Ma­te­rie gibt, von ei­nem phy­si­ka­li­schen Stand­punkt sind bei­de Be­grif­fe so­gar syn­onym. Die Zu­nah­me der En­tro­pie be­deu­tet nicht, dass In­for­ma­ti­on er­schaf­fen wird, son­dern dass Ord­nung an ei­ner Stel­le (in den Le­be­we­sen) mit ei­ner noch stär­ke­ren Un­ord­nung an an­de­rer Stel­le er­kauft wird.

    (Ei­ne Dis­kus­si­on, die un­längst zwi­schen Süß­kind und Haw­kings statt­fand, dreh­te sich um die Fra­ge, ob nicht in Schwar­zen Lö­chern mit der Ma­te­rie auch die mit ihr ver­bun­de­ne In­for­ma­ti­on für im­mer ver­schwin­det. Ent­schie­den wur­de die­se Fra­ge zu­gun­sten Süß­kinds, weil beim Ver­damp­fen von Schwar­zen Lö­chern die in den Quan­ten ent­hal­te­ne In­for­ma­ti­on wie­der in un­ser Uni­ver­sum frei­ge­setzt wird. – Al­les vom Stand­punkt der Phy­sik aus be­trach­tet.)

    Das ist nicht mei­ne Mei­nung. Ich bin der Mei­nung, dass a) in emer­gen­ten Pro­zes­sen tat­säch­lich Neu­es er­schaf­fen wird und b) die Phy­sik nicht die grund­le­gen­de Na­tur­wis­sen­schaft ist, son­dern ei­ne von vie­len ver­schie­de­nen Zu­gän­gen zur Rea­li­tät – die Bio­lo­gie ist ein ei­gen­stän­di­ger, die Neu­ro­wis­sen­schaf­ten sind es eben­falls und na­tür­lich auch die Ma­the­ma­tik.

    De­fac­to ist der Zwei­fel am De­ter­mi­nis­mus fast das­sel­be wir der Emer­gen­tis­mus. Denn die An­nah­me ei­nes »ech­ten« Zu­falls in der Phy­sik kann man so in­ter­pre­tie­ren, dass es Na­tur­vor­gän­ge gibt, die mit phy­si­ka­li­schen Me­tho­den nicht er­klär­bar sind – sehr wohl aber zum Bei­spiel auf an­de­ren Ebe­nen in der Bio­lo­gie, oder eben auch der Ma­the­ma­tik als ei­ner Nicht­na­tur-Wis­sen­schaft.

  33. Es ist schon ei­ne Wei­le her, da ha­be ich mit ei­nem Be­kann­ten ei­ne ähn­li­che Dis­kus­si­on ge­führt: Er mein­te, dass an­de­re Wis­sen­schaf­ten, wie z.B. die Bio­lo­gie, der Phy­sik wi­der­spre­chen müss­ten, an­son­sten wä­ren sie auf die­se re­du­zier­bar, und hät­ten kei­ne »Da­seins­be­rech­ti­gung«. Ich hielt da­ge­gen, und ver­wies auf die Mög­lich­keit von Emer­genz – wor­an ich aber nicht ge­dacht ha­be war, die Phy­sik nicht zwin­gend als Ba­sis ver­ste­hen zu müs­sen (ei­gent­lich ein schö­ner Zu­gang).
    Wi­der­sprü­che soll­ten sich aber trotz­dem nicht zei­gen, da der me­tho­di­sche Zu­gang der ein­zel­nen Dis­zi­pli­nen ja sehr ähn­lich ist (und ob die Ma­the­ma­tik ei­ne Wis­sen­schaft ist, dar­über lässt sich treff­lich strei­ten).

    Die­ses phy­si­ka­li­sche In­for­ma­ti­ons­ver­ständ­nis fin­de ich et­was un­frucht­bar, denn das Er­schaf­fen von In­for­ma­ti­on be­deu­tet ja nicht, dass sie nicht durch Um­struk­tu­rie­rung er­fol­gen kann. Ich stel­le mir das wie beim Schrei­ben vor: Wir ha­ben ei­nen Grund­be­stand an Wör­tern oder Zei­chen, und aus die­sem kön­nen wir im­mer wie­der neue An­ord­nun­gen schaf­fen (ei­nem Le­ser In­for­ma­tio­nen ver­mit­teln).

    Kannst Du zu Dei­nem letz­ten Ab­satz viel­leicht ein Bei­spiel an­füh­ren?

  34. Nicht ganz pas­send, aber den­noch in­ter­es­sant:
    Pod­cast – »Der Glau­be an die Wis­sen­schaft« – Von der Wahr­heit zur Wahr­schein­lich­keit. Von Mar­kus Metz und Ge­org Seeß­len – ca. 30 Mi­nu­ten.

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