Ich gestehe, dass ich nach der Pressemitteilung des Verlags vom Dezember letzten Jahres, in der angekündigt wurde, dass Christian Kracht mit »Eurotrash« eine Fortsetzung von »Faserland« geschrieben habe und die einige Feuilleton-Redakteure praktisch eins-zu-eins übernommen hatten, »Faserland« noch einmal lesen musste. Ich hatte von der Lektüre nichts mehr behalten, was, wie viele glauben, an mir liegen dürfte.
In »Faserland« erzählte 1995 endlich einmal kein Zukurzgekommener, hier gab es vordergründig keine gesellschaftlichen Probleme. Der namenlose Ich-Erzähler, Mitte/Ende Zwanzig, war ohne Geldsorgen, stammte aus wohlhabendem Haus und definierte sich über einen veritablen Markenfetischismus, der zur Referenzgröße für seinen Zugang zur Welt und zur Kategorisierung der Mitmenschen wurde und im Buch inflationär ausgedrückt wurde. Olaf Grabienski hatte über 70 Marken- und Produktbezeichnungen gefunden. Man nahm Drogen, feierte Partys und blieb streng unter Seinesgleichen. Alles nur, um die Welt herum abzuwehren. Dabei wurde ununterbrochen gekotzt, was nicht an den Proleten oder Rentnern lag, die man so hasste. »Faserland« war angelegt als Roadnovel, beginnend auf Sylt und endend in Zürich. Von nahezu jeder Station nahm der Erzähler eine Art Souvenir mit: Mal ein Mantel von einem Freund, ein andermal gleich das Auto.
»Faserland« gilt inzwischen längst als Kultbuch, weil es die Erinnerung der Babyboomer an die Zeiten, als es »Prinz«, »Wiener« und »Tempo« gab, man im Interregio durch Deutschland fahren konnte und das Autotelefon ein Statussymbol darstellte, befördert. Literarisch entdeckte man verblüffende Anleihen bei Bret Easton Ellis’ »Unter Null«, wobei Ellis allerdings die Feierbiester der Jeunesse dorée noch eine Stufe asozialer schilderte als Kracht. Andere fragten, ob es nicht eher eine Tradition der Romantiker war, die da beschworen wurde, vom Taugenichts à la Eichendorff? Oder ist der Erzähler gar ein Wiedergänger von Hans Castorp? Wem das zu weit ging, fand den »wohlstandsverwahrloster« Autisten oder Narzissten. Im neuen Roman »Eurotrash« macht sich der Ich-Erzähler Christian Kracht über diese Form der Rezeption lustig und weist dezent darauf hin, dass er zwar der Autor von »Faserland« war, aber nicht so einfach identisch mit dem Ich-Erzähler ist. Eigentlich eine Banalität, aber was tut man nicht alles.
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Schade, hatte schon gehofft, der Kracht trifft mal die Ebene zwischen ironischem Realismus und bissiger Verdammung der Gegenwart.
Es ist ein Elend: die Gekränkten kommen nicht aus dem Quark, und die Begünstigten haben nichts zu sagen.
Wenigstens taucht die Gier in Form des Konsumismus auf; offenbar reicht das für die politische Anstößigkeit. Todeslangweilig, denn schon seit ‘Anti-Oedipe’ wissen wir, dass die bürgerliche Kunst den Genuss verurteilt bzw. verdrängt, um ihre anomischen Erfahrungen effektvoll auszubreiten... [Oder so ähnlich]
Ich habe mich immer gefragt, ob die Sehnsucht nach einer Pop-Literatur mit der totalen Umstellung des Individuums durch »Produktion und Konsum« zu tun hat, oder aber mit dem Defätismus einer Generation, die im Laufe ihres bewussten Lebens im Spätkapitalismus das Lesen verlernt hat, und nach etwas »leichter Sprache« oder doch wenigstens Absolution für das Versagen sucht. Etwa so, als wenn man in einer Serien-Episode von Dr.-House oder Big-Bang-Theory einen Hauch von Shakespeare meint zu spüren, und darüber zu sich selbst sagt, das sei der Beweis, dass man doch kein verwahrloster Wohlstandstrottel ist, weil man ja immer noch den Unterschied zwischen High und Low erkennt... Obwohl offensichtlich das Gegenteil der Fall ist!
Um diese dekadente Vanitas zu umkreisen, wäre ein frisch gedrucktes Stück Pop-Literatur von Rowohlt angenehm, zusammen mit einem seltenen Franciacorta ( Ja, natürlich einem Roten. Wer trinkt denn bitteschön Sekt zum Runterkommen?!).
»Pop-Literatur« war für mich immer nur so eine Art Sammelbezeichnung für den Abschied des literarischen hohen Tons zu Gunsten einer vordergründig eher oberflächlichen Alltagssprache aus dem eher jugendlichen Milieu. Garniert wird dies in einigen Fällen mit Produkt- bzw. Markennamen (womit dann schon die Parallelen zu amerikanischen Autoren sichtbar werden).
Das Problem mit der »Pop-Literatur«: Wer als Autor einmal diesen Stempel verpasst bekommen hat, wird ihn nicht mehr los. Kracht ist über 50, hat nach »Faserland« etliche andere (und bessere) Bücher geschrieben, aber er wird immer wieder zurückgeführt auf seinen Erstling. Daher hat er aus der Not eine Tugend gemacht und »Eurotrash« geschrieben. Seine Generation dankt es ihm mit Lob, weil sie endlich mal etwas unterhaltsames lesen dürfen statt immer nur »schwere« Kost.