Sahra Wagenknecht gehört in Deutschland zwar zu den bekanntesten Politikern der Partei Die Linke (hier im weiteren »Linkspartei« genannt, um diese von der allgemeinpolitischen Richtung »Linke« abzugrenzen), aber ist auch ein Beispiel dafür, dass Bekanntheit, überparteiliche Beliebtheit und Respekt nicht automatisch mit Einfluss in der jeweiligen Partei verbunden ist. Man spricht dann schnell von jemanden, der »in der falschen Partei« sei.
Man kann Wagenknecht vieles vorwerfen, aber Angst vor Konflikten gehört nicht dazu. Trotz ihrer Entmachtung nebst Ablösung als Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag 2019 und dem mehr oder weniger sichtbaren Scheitern einer außerparlamentarischen, linken Sammlungsbewegung »aufstehen« wagt sie sich immer wieder ins Getümmel. So wurde sie unlängst zur Spitzenkandidatin der Linkspartei in NRW gewählt, was dahingehend interessant ist, weil Wagenknecht eigentlich nichts mit diesem Bundesland zu tun hat. Was sie nicht davon abhält, im Wahlkreis Düsseldorf II anzutreten.
Zum innerparteilichen Streitfall wurde die Kandidatur unter anderem durch die Publikation ihres neuesten Buches »Die Selbstgerechten«, in dem Wagenknecht furios mit dem sogenannten »Linksliberalismus« ins Gericht geht, für den sie bisweilen den leicht despektierlichen, aber griffigen Begriff »Lifestyle-Linke« verwendet.
Allen Bekenntnissen zum Trotz ist »Die Selbstgerechten« bisweilen durchaus auch eine Abrechnung. Dabei ist es kein Zufall, dass es starke Übereinstimmungen mit Bernd Stegemanns »Die Öffentlichkeit und ihre Feinde« gibt – war doch Stegemann Mitgründer und im Vorstand von »aufstehen«. Wagenknechts Vorhaben geht aber weiter. Zwar kritisiert sie zunächst auf rund 200 Seiten die sogenannte »linke« Identitätspolitik, aber anschließend folgen auf rund 140 Seiten Positionierungen für eine neue, zeitgemässe »linke« Politik, die diesen Namen verdienen soll.
Entfremdete Lifestyle-Linke
Im Fokus von Wagenknechts Kritik steht der »Linksliberalismus«. Damit meint sie ausdrücklich nicht die sozialliberale Politikrichtung der Regierungen zwischen 1969 und 1982: »Wenn in diesem Buch von Linksliberalismus die Rede ist, ist der Begriff immer im modernen Verständnis als Bezeichnung für die Weltsicht der Lifestyle-Linken gemeint und nie in dem früheren Wortsinn.« Diese Unterscheidung sei wichtig weil beide Denkrichtungen nichts miteinander zu tun hätten. Den Begriff verwende sie trotzdem, weil er sich etabliert habe. Damit verfährt sie ähnlich wie in ihrem Buch »Freiheit statt Kapitalismus« von 2011, in dem »Neoliberalismus« ebenfalls in der zeitgenössischen Konnotation (vulgo: dereguliertes Wirtschaftssystem) verwendet wird und nicht im Sinne der ordo-liberalen Entwürfe von Eucken und Müller-Armack (obwohl sie diese erwähnt).
Die vorgebrachte Diagnose ist beileibe nicht neu: Sich links wähnende Aktivisten, mehrheitlich akademisch ausgebildet, solide Mittel- bis Oberschicht, großstädtisch, »weltoffen und selbstverständlich für Europa, auch wenn jeder unter diesen Schlagworten etwas anderes verstehen mag«, besorgt ums Klima, setzt sich für »Emanzipation, Zuwanderung und sexuelle Minderheiten ein«. Sie usurpieren den Diskurs innerhalb der politischen Linken. Der Nationalstaat ist diesen »Lifestyle-Linken« ein Auslaufmodell: Man schätzt »Autonomie und Selbstverwirklichung mehr als Tradition und Gemeinschaft. Überkommene Werte wie Leistung, Fleiß und Anstrengung findet [man] uncool.«
Wagenknecht konstatiert eine Entfremdung der Linken mit ihren potentiellen Wählern: »Früher gehörte es zum linken Selbstverständnis, sich in erster Linie für die weniger Begünstigten einzusetzen, für Menschen ohne hohe Bildungsabschlüsse und ohne ressourcenstarkes familiäres Hinterland. Heute steht das Label links meist für eine Politik, die sich für die Belange der akademischen Mittelschicht engagiert und die von dieser Schicht gestaltet und getragen wird.«
Gemeint ist der bisweilen verbitterte, in Universitäten aber auch sozialen Netzwerken bis hinein in die Publizistik geführte Kampf für Sprach- und Sprechge- bzw. verbote, vor allem jedoch gegen vermeintlichen Rassismus und Diskriminierungen von Minderheiten. Er will allerdings, so Wagenknecht, keine rechtliche Gleichheit, sondern ufert aus in »Quoten und Diversity, also für die ungleiche Behandlung unterschiedlicher Gruppen.« Die Folge: »Der identitätspolitische Linksliberalismus, der die Menschen dazu anhält, ihre Identität anhand von Abstammung, Hautfarbe, Geschlecht oder sexuellen Neigungen zu definieren, […] spaltet […] da, wo Zusammenhalt dringend notwendig wäre. Er tut das, indem er angebliche Minderheiteninteressen fortlaufend in Gegensatz zu denen der Mehrheit bringt und Angehörige von Minderheiten dazu anhält, sich von der Mehrheit zu separieren und unter sich zu bleiben. Nachvollziehbarerweise führt das bei der Mehrheit irgendwann zu dem Gefühl, die eigenen Interessen ihrerseits gegen die der Minderheiten behaupten zu müssen.« (Hervorhebungen S. W.)
Jeder, der dies kritisiert, wird sofort diffamiert. Dabei entdeckt Wagenknecht feinsinnig die Doppelmoral: Dort wo Diversity und Frauenquoten sozusagen übererfüllt sind, also eine »Reinigungskolonne ihre Putzkräfte rekrutiert oder ein Lieferdienst seine Pizza-Austräger, fragt niemand nach Diversity, die dürfte in diesem Bereich ohnehin übererfüllt sein.« Dort werde dann auch nicht nach adäquaten Löhnen und tarifvertraglich gesicherten Arbeitsbedingungen geschaut; die eventuell auftretenden Schieflagen gar nicht erst bemerkt. »Ging es der traditionellen Linken darum, die Menschen zu ermutigen, ihre Identität vor allem über ihre soziale Stellung zu definieren, also etwa als Arbeiter, sieht die Identitätstheorie die wichtigste identitätsstiftende Bestimmung des Menschen in Merkmalen, die außerhalb und unabhängig von seinem sozialen und gesellschaftlichen Leben existieren.«
Verwechslung von Ursache und Wirkung
Mit anderen Worten: Die überzogenen links-identitären Volten erzeugen erst die Hinwendung von bestimmten Bevölkerungsschichten zu rechtspopulistischen Parteien. Bestes Beispiel dafür der Wahlkampf Hillary Clintons 2016, in dem sie »die möglichen Trump-Wähler als Basket of deplorables beschimpfte, was frei übersetzt Ansammlung von Erbärmlichen« bedeutet. Daraus folgert: »Eine Linke, die einen realistischen Umgang mit Problemen als rechts ächtet, spielt der Rechten die Bälle zu.« (Hervorhebungen S. W.) Fast ein bisschen süffisant erläutert Wagenknecht dann noch, wie beispielsweise die rechtspopulistische und in gesellschaftlichen Themen reaktionäre PiS in Polen mit ihrer »couragierten Sozialpolitik« ein eigentlich urlinkes Programm umgesetzt habe – mit dem Erfolg, Wahlen zu gewinnen.
Dass die »Bewegung der Bessergestellten«, wie Wagenknecht die Nachfahren der »wohlhabenden Bürgerkinder« nennt, ihre Daseinsberechtigung in dieser Identitätspolitik suchen, könnte damit zusammenhängen, dass sie traditionell-linke Utopien längst verworfen und sich seinerseits im globalen Kapitalismus mit Apple, Amazon und Google nicht nur abgefunden, sondern eingerichtet hat. Insofern ist der Gedanke, der auch bei Stegemann auftaucht, dass die Identitätspolitik und »Neoliberalismus« zwei Phänomene der gleichen Medaille sind, vermutlich richtig. Wenn Wagenknecht davon spricht, dass sich diese Linken nicht mehr für die »Unterprivilegierten« einsetzen, so konstatiert sie dort eine apolitische Haltung, die sich dahingehend erschöpft, dass Minderheiten nicht gleichgestellt werden (was sie rechtlich längst sind), sondern dauerhaft einseitig privilegiert werden sollen.
Indem Wagenknecht die übliche Identitätspolitik-Beschimpfung nicht endlos forciert, sondern ins Verhältnis zu den linken Traditionen setzt, entlarvt sie die Lifestyle-Linke als desinteressiert an den aktuellen gesellschaftsökonomischen Fragen. Wagenknecht tritt vehement für eine Re-Fokussierung der Linken auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen ein. Der Kampf gegen diskriminierende Begriffe wie Zigeunersoße oder der Aktivismus gegenüber eines holperigen Statements von Joanne K. Rowling, welches angeblich Transmenschen beleidigen soll, sind, so die These im Buch, für Lifestyle-Linke wichtiger als um die Erhöhung von Mindestlöhnen, die Durchsetzung von Tarifverträgen oder die Abschaffung von Zeitverträgen zu kämpfen. Wagenknecht nennt diese Protagonisten »Moralisten ohne Moral«. Bei aller Schärfe vermeidet sie einen endgültigen Bruch dahingehend, weil sie das Ansinnen an sich noch als »links« weiter definiert beibehält. Hierin liegt eine nicht unerhebliche Schwäche der Argumentation.
Im übrigen verwirft Wagenknecht die allseits kolportierte These vom »rechten Zeitgeist« schlüssig: »Wer die Erfolge der Rechten durch einen angeblich rechten Zeitgeist erklärt, liefert eine bequeme Erklärung, keine richtige. Denn er verwechselt Ursache und Wirkung. Rechte Parteien werden nicht deshalb gewählt, weil es mehr Rassisten, mehr Homophobe oder schlicht mehr Reaktionäre gibt. Umgekehrt gilt aber: Der wachsende Einfluss der politischen Rechten in der öffentlichen Debatte und in den Sozialen Medien verändert das politische Klima und auch das Denken vieler Menschen in eine Richtung, die am Ende zu mehr Ressentiments, mehr Vorurteilen und mehr Feindseligkeit führen wird. Aber das wäre dann das Ergebnis, es ist nicht die Voraussetzung rechter Wahlerfolge.«
De-Globalisierung auf allen Feldern – inklusive Migration
Die Reaktionen aus dem Juste Milieu zeigen, dass Wagenknecht mit ihren Ausführungen Volltreffer gelandet hat. Manche scheinen dann gar nicht mehr weitergelesen zu haben. Denn das, was programmatisch entworfen wird, ist traditionelle linke Sozialpolitik. Das ist aber genau das, woran die Lifestyle-Linken so ihre Thesen, kein Interesse mehr haben.
Einiges davon konnte man bereits in »Freiheit statt Kapitalismus« lesen. Da sind beispielsweise die globalisierungskritischen Töne Wagenknechts. Nach wie vor sieht sie in der Globalisierung Vorteile für Konzerne und Mittel- und Oberschichten im Westen; Stichwort: Billiglöhne. Freihandelsabkommen würden, so die ernsthaft formulierte These, das Elend in der Welt nur weiter befördern. Ähnlich ablehnend steht sie beispielsweise dem Patentrecht gegenüber. Dass in Ländern wie China und auch Indien Millionen Menschen durch Globalisierung einen besseren Lebensstandard erreichen konnten und dass das, was beispielsweise die EU als »Freihandel« definiert, gar keiner ist (sondern durchaus erpresserische Züge zu Gunsten der EU-Länder trägt), kommt ihr nicht in den Sinn.
Mit ihren Vorbehalten gegen eine unbegrenzte Einwanderung – ein Kernstück linksidentitären Denkens – hatte Wagenknecht schon 2015 während der Flüchtlingskrise angeeckt. Ihre Vorbehalte erneuert sie, und zwar vor allem deshalb, weil (1.) die Zielländer so weiterhin an Billigarbeitskräfte kommen würde (daher befürworte ebenso die Wirtschaft Migration), (2.) Fachkräfte wie z. B. Ärzte oder auch Ingenieure aus Ländern abgeworben würden, die dort dringender gebraucht würden und (3.) eine Gesellschaft nicht in der Lage sei, Millionen von Menschen adäquat zu integrieren. Die Zahlen, die sie vorlegt, sind schlüssig. Davon unbenommen stellt sie übrigens klar, dass an Leib und Leben bedrohte aus Kriegsgebieten weiterhin Asyl beanspruchen sollen.
Besonders verwundert auf den ersten Blick Wagenknechts Fixierung auf »nationale Identität«, die als »Zivilisationsgewinn« gesehen wird. Der Nationalstatt garantiert, so die These, einen frei einzurichtenden Sozialstaat, losgelöst von den neoliberalen Einflüssen einer supranationalen EU, die auf das Niveau einer Konföderation souveräner Demokratien, die multilateraler Übereinkünfte miteinander treffen könnten, zusammengedampft werden soll. Eine europäische Identität sei nicht von oben zu verordnen. Der Weg der vertieften Integration der EU sei ein »Irrweg« und gescheitert. Bevor die EU dann in ihrem Sinn reformiert werden soll, will Wagenknecht die Staatsanleihen, die die EZB in Höhe von 3 Billionen Euro hält, noch annullieren. Ob der Euro beigehalten werden soll, ist nicht ersichtlich.
Die Wirtschaft sollte »regionaler« werden. Ziel ist die Re-Regionalisierung bzw. die »De-Globalisierung«. Der Nationalstaat, der das uneingeschränkte Vertrauen von Sahra Wagenknecht genießt, trifft je nach seiner ökonomischen und sozialen Lage autark Entscheidungen, z. B. bei der Festsetzung von Zöllen zum Schutz der Inlandsindustrie vor Billigprodukten und ausbeuterisch bezahlten Arbeitskräften sowie die Ausgestaltung von Mindestlöhnen und Arbeitsstandards. Protektionismus ist kein Schimpfwort mehr, sondern angemessene Politik. Wie sie die dann zu erwartende Arbeitseinwanderung reglementieren möchte, erfährt der Leser nicht.
Nicht nur öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Infrastrukturunternehmen sollen wieder in kommunales Eigentum überführt werden, sondern es wird auch aktiv in Eigentumsverhältnisse von Unternehmen eingegriffen. Begründet wird dies mit dem sogenannten »Leistungseigentum«, welches beispielsweise Erbschaften praktisch einkassieren möchte, da diesen keine Leistung zugrunde liege. Stattdessen sollen vererbte Firmenanteile in einem Modell ähnlich den Stiftungen in eine Art Fonds überführt werden, in dem die Arbeitnehmer über Gelder entscheiden. Der Traum: Eine »Marktwirtschaft ohne Konzerne«, denn diese verhinderten sowieso die Demokratie. Sie beruft sich dabei auf ordo-liberalen Marktwirtschaftler.
Zwar bekennt sich Wagenknecht ausdrücklich zu wirtschaftlichem Wachstum, aber dies müsse auf Langlebigkeit ausgerichtet sein und zum Wohle aller. So müssten Unternehmen mit längeren Garantiefristen gezwungen werden, längerlebige Produkte herzustellen (gemeint ist wohl Gewährleistung). Industriezweige müssten wieder aufgebaut werden, um Abhängigkeiten von weltumspannenden Lieferketten abzubauen.
Bei der recht plastischen Beschreibung der globalen Finanzmärkte müsste Wagenknecht eigentlich klar geworden sein, dass nationale Inseln in dieser Form keine einfachen Lösungen bieten. Entgangen ist ihr wohl auch, dass die nationale Fokussierung beispielsweise in der Umwelt- und Energiepolitik exakt das ist, was die von ihr skeptisch beäugten Mittel- und Oberschichtsaktivisten von »Friday for Future« ebenfalls plakativ fordern. Beide sind gefangen in nationalstaatlichem Denken – beide glauben, dass von deutschem Wesen die Welt genesen könne.
My home is my castle
Beide wollen nicht nur gesellschaftliche und ökonomische Verbesserungen, sondern einen grundlegenden Systemwechsel. Daher ist es nicht passend, wenn Wagenknecht für einzelne Punkte ihres Modells immer wieder reale Referenzen heranzieht. So lobt sie, dass in China viele Unternehmen nach wie vor in staatlicher Hand sind (ohne auf deren Innovationsfähigkeit näher einzugehen). Dänemarks »Sozialisten« (die in Wahrheit Sozialdemokraten sind) werden für ihre Flüchtlingspolitik gelobt. Und Corbyn von der Labour-Partei in Großbritannien für sein Sozialstaatsprogramm, womit er 2017 »erfolgreich« gewesen sei. Dass Labour zwei Jahre später bei den Unterhauswahlen eine krachende Niederlage kassierte, wird dann nicht mehr erwähnt. Wenn sie vom »Arbeiter« schreibt, dessen Interessen nur noch ungenügend wahrgenommen würden, dann schwebt einem immer noch ein bisschen das Bild vom Industriearbeiter der 1950er Jahre vor.
Interessant ihre Äußerungen zur Bildung. Natürlich hängt sie der These an, dass die Herkunft über die Bildungschancen weitgehend entscheide, was natürlich unterkomplex ist. Tatsächlich definiert die Herkunft leider eben auch allzu häufig den Stellenwert von Bildung. Hierfür die Schulen alleine verantwortlich zu machen, ist absurd. Längst stehen sogenannten bildungsfernen Nachkommen Gymnasien und Universitäten zur Verfügung. Indirekt bestätigt Wagenknecht dies, wenn sie sich einerseits darüber beklagt, dass man in Deutschland heutzutage kaum noch Chancen auf einen später gut dotierten Arbeitsplatz hat, wenn man kein Abitur vorweisen kann. Kurze Zeit später konzediert sie dann, dass selbst das Abitur und ein anschließendes Studium keine Gewähr mehr für eine zukünftig gutes Auskommen seien. Dies bringt sie dann in Zusammenhang mit den hohen Abitur- und Studienquoten, die mit der Nivellierung der Qualität des Abschlusses erklärbar sind. Der Clou: Kinder aus privilegierten Haushalten erlernen »Fähigkeiten und Qualifikationen…die man auf dem staatlichen Bildungsweg schlicht nicht erwerben kann« und die demzufolge die ärmeren Kinder benachteiligen. Wie das genau zu verstehen ist, bleibt im Dunkeln.
Demokratiepolitisch bekennt sich Wagenknecht zum Modell von Volksbefragungen und legt detaillierte Pläne vor, u. a. für ein Oberhaus, dass mittels Losverfahren besetzt werden soll.
Außenpolitisch tritt sie für eine Verteidigungsallianz ohne US-Dominanz ein, »defensiv und nicht interventionistisch ausgerichtet«, was schlichtweg der Austritt aus der NATO bedeuten müsste (was sie so nicht sagt). Russland sollte allerdings sehr wohl Bestandteil dieser Allianz sein. Wie sie dann die expansionistische russische Außenpolitik eindämmen möchte, hätte man gerne noch erfahren.
Es sind Passagen, die verwundern und bisweilen sogar amüsieren. Nicht, weil man sich nicht vielleicht doch manchmal eine Rückkehr in die seligen Zeiten der provinziellen Übersichtlichkeit zurücksehnt. Deutschland, Frankreich, Italien – allesamt sollen sie wieder wie früher zu Inseln der Seligkeit werden. Während draußen der globale Wettbewerb tobt, verrammelt Wagenknecht die Haustüre, schließt die Gardinen, pflanzt ein paar Tomaten im Blumentöpfchen, staubt den CD-Spieler für Franz Josef Degenhardt ab und macht es sich in My-Home-Is-My-Castle-Manier gemütlich. Man muss nicht die perversen Auswüchse und Allüren des exzessiven globalen Kapitalismus gut finden, um bei dieser Vorstellung eher an Geschichten aus dem Land Kanaan als an ein realistisches Zukunftsprojekt zu denken.
Wenn aus Erzählungen Märchen werden
Neben der Decouvrierung einer neoliberal infiltrierten Lifestyle-Linken und der unangenehmen Tatsache der gescheiterten Flüchtlingsintegration nach 2015 ist die Betonung von Gemeinsinn bzw. Gemeinwohl wohl die nächste Überraschung. Es sind Begriffe, die den buchstäblichen grenzenlosen Individualismus einer Generation, die, »von allen Loyalitäten befreit«, geradezu dressiert wurde, sich selbst und ihre Bedürfnisse zum Mittelpunkt der Welt zu machen, frontal angreift. Von Ferne erinnert es an Robert Habecks Versuch von 2010 einen linken Patriotismus zu formulieren, der einen Zusammenhalt schaffen könnte jenseits von Religionen und Ideologien. Die Reaktionen seinerzeit haben gezeigt, wie weit die Linke, die einst die »Internationale« beschwor, bereits damals davon entfernt war. Dass sich daran nichts geändert ist, wird an der Rezeption dieses Buches deutlich. Eine Auseinandersetzung damit endet bereits im Verwerfen der unangenehmen Diagnose. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Thesen werden erst gar nicht erörtert.
»Die Selbstgerechten« ist bei aller Kritik an den »Lifestyle-Linken« dennoch in einem wohl bewusst ausgleichenden Ton geschrieben. Gängige Phrasen werden vermieden, auch und gerade bei der Auseinandersetzung mit den »Linksliberalen«. Wagenknecht ringt um eine eigene Sprache, was bisweilen anstrengend ist. Da wird mit der Schöpfung »Linksilliberalismus« experimentiert, was noch als Wortspiel durchgeht. Verwirrender ist die Ausmachung einer Randgruppe, die dem Label »nicht-wirtschaftsliberaler Linksliberalismus« zugeteilt wird. Insgesamt meint man zu lesen, dass die verlorenen Schäfchen eingesammelt werden und nicht unbotmäßig verprellt werden sollen.
Am Ende erinnert man sich an das Kapitel über die sogenannten Narrative bzw. die »großen Erzählungen«, die verheißungsvoll dem Leben beigegeben werden. Beispielsweise die Tellerwäscher-Millionär-Erzählung, die natürlich nur ein Mythos ist. Oder die Erzählung vom Frieden in Europa, der durch die Europäische Union und/oder der NATO ausgehe. Erzählungen seien, so Wagenknecht auch »deshalb erfolgreich, weil sie ihre Botschaften in positiv besetzte Worte kleiden.« Sie warnt davor, sich in falschen Hoffnungen zu wiegen.
Aber am Ende könnte man sie dann auf ihre Erzählung vom innovativen, allregulierenden Staat ansprechen. Oder auf die Verheissungen einer mehr oder weniger autarken, regionalen Wirtschaft, die je nach Marktlage Zölle erhebt und mal Arbeitskräfte anwirbt, mal nicht. Vielleicht auch auf eine neue Friedensordnung zusammen mit Russland ohne die empfundene Hegemonie der USA. Aber das wären eben auch nur Erzählungen. Oder, um es deutlicher zu formulieren: Märchen.
Dennoch sollte man dieses Buch lesen, auch wenn man diesem furiosen, neosozialistischen »Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt« (so der Untertitel) nichts abgewinnen kann. Ein paar erhellende Momente wird es bereithalten – auch dort, wo man überhaupt nicht zuzustimmen vermag. Und nein, Sahra Wagenknecht ist nicht in der »falschen« Partei.
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Ein Postskriptum, ein bisschen abseitig: Warum musste es auf dem Cover den Button »Spiegel Bestseller-Autorin« geben? Welches Kriterium soll damit erfüllt werden? Oder, anders gefragt: Warum glaubt man, das nötig zu haben?
Die tapfere Sarah... Im wesentlichen hat sie die gesellschaftliche Diagonale zwischen Links-Oben und Recht-unten abgetastet, wobei die immatierielle Orientierung schon die Vertikale definiert: Oben ist, wer die Gesellschaft analysieren kann und den Öffentlichen Diskurs bestreitet. Das Eigentum am Kapital kommt gar nicht mehr vor.
Ich finde die Vokabel Live-Style-Linke gegenstandslos. Soll Sarah doch gleich sagen, dass es um die »schreibende Klasse« geht. Der Journalismus hat den Linksliberalismus erfunden, und nicht umgekehrt. Eine geordnete Weltanschauung ist das nie gewesen.
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Die essenzialistische Linke macht per se alles richtig. Sie vereinfacht. Den Investitionen und Kapitalverschiebungen kommt sie international nicht mehr hinterher. Eine Solidarität zwischen den Ethnien ist weltfremd, also setzt man auf Kontrolle. Die Wirtschaft wird bis zum Exitus reguliert (als Reaktion auf den Mythos der anfänglich ungebremsten Konzern-Frechheit?!), und die antisozialen Spannungen werden nach dem Schema Geschlecht-Abstammung-Religion geprüft, und weigstens in der Theorie liberalistisch aufgelöst. Vorschriften für die Fabriken, Rohrstock für die Zurückgebliebenen.
Den Nationalstaat braucht man nicht für dieses moral-politische Programm. Er ist ein altes Werkzeug, aber irgendwie immer verfügbar. Neue Mächte (EU) sind willkommen, solange sie dieselben Prioritäten haben. Die Linke ist ganz wild auf die EU, solange es nicht um Freihandel geht. Und Freihandel ist auch so ein Mythos inzwischen...
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Genug, ich bin ein schlechter Fürsprecher. Die Linke ist im Moment auf jeden Fall der Ort einer Entscheidung. Will man den Weg des »depravierten akademischen Proletariats« weitergehen... Solidarität mit »Kevin Kühnert«?! Dann kriegt man noch mehr von diesen »positiven Spaltungen«, diesem ganzen Absurdistan (Anerkennung durch Differenz, Gleichheit durch Andersartigkeit, Demokratie ohne Kompromiss, Mehrwert durch Diskussion, etc.). Oder will man die Begrenztheit des Diskurses im nationalen Sprachraum akzeptieren, und den Fokus wieder auf die nutzenorientierte Arbeit legen, wo das normale Leben leider nun mal stattfindet?!
Ich finde den Begriff »Lifestyle-Linke« ganz treffend. Denn es sind in der Mehrheit Leute, die vom industriellen Arbeitsleben weitgehend abgekoppelt sind, also Künstler, Journalisten, »politische Jugend« à la Kühnert (die also dann durchstarten zum Bundestagsmandat). In Wahrheit verachten sie die Malocher, die »Arbeiter«, die Solo-Selbständigen, die Handwerker.
Wagenknecht gehört mit DDR-Sozialisation nicht direkt in diese Kaste, aber auch sie hat in ihrem Leben stets »nur« politische Karriere gemacht. Dennoch macht sie sich zur Fürsprecherin der sogenannten Unter- aber auch Mittelschichtler. Ich halte ihr zu Gute, dass sie nicht mit Maximalforderungen auftrumpft wie die Klimakinder, sondern sehr wohl strukturierten Klassenkampf betreibt. Das ist in diesen Zeiten schon anspruchsvoll.
Das linksidentitäre Milieu ist natürlich nicht überzeugt, weil man sich weit von der Lebenswirtlichkeit abgekoppelt hat. Der zu erwartende Wahlsieg Baerbocks (mit einer auf dem Boden kriechenden Union als Koalitionspartner) wird die Spaltung noch deutlicher machen. Der Nationalstaat wird auf andere Art wiederbelebt werden: Als Experimentierfeld, an dem die ganze Welt genesen soll – Stichwort: Klimakrise. Andere Nationen können danach immerhin sehen, wie sie es nicht machen sollten.
Die Vokabel »Livestyle-Linke« ist mir zu ironisch. Denn in dieser spätmodernen Sozialisation verbirgt sich meines Erachtens ein riesiges Problem. Wie werden Leute wichtig, die zum Dritten oder Vierten Sektor gehören?! Ganz klar: sie hauen moralisch auf den Putz von morgens bis abends, weil sie damit ihre Prekarität (»volkswirtschaftlicher Nachrang«) kompensieren können.
Sie nennen zurecht die Künstler: die Frustration über die jüngst erlebte Verzichtbarkeit sitzt noch in den Knochen. Aber sie reicht imgrunde tiefer: man möchte seit Jahr und Tag die Relevanz erzwingen, weil die Welt des Dramas (ästhetische Kategorie) immer politische Implikationen hat. Unterhaltung ist Comedy, aber der bedeutende Künstler ist politisch.
»Und bin ich schon politisch, so muss ich doch bezahlt werden!«
Stegemann ist da mutiger, weil er Unternehmer ist! – In diesem Kontext wäre der Livestyle, den seine Anhänger »ästhetisch abbilden« oder argumentativ herbeireden, ein durch und durch langweiliges und schreckliches Leben. Das geht mir auf den Senkel!
Richtig, Stegemann ist mutiger. Nach einem Artikel von ihm in der FAZ über einen tatsächlichen oder angeblich Rassismusskandal (leider nicht frei verfügbar), gab es eine Unterschriftensammlung gegen Stegemann nebst »Gegenartikel« ebenfalls in der FAZ. Danach hat Stegemann seinen Twitter-Account stummgeschaltet. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, die Sache anzuschauen; es ist vermutlich sehr deprimierend.
Man möchte heutzutage in keinem Theater-Ensemble Mitglied sein; man möchte an keiner Uni angestellt sein; man möchte in keiner Partei sein; man möchte auf gar keine Fall für den Öffentlichen Rundfunk arbeiten...
Sarah Wagenknecht war jedenfalls noch freundlich. So viel Menschenliebe hätte ich nicht. Mir ist aufgefallen, dass alle drei linken Parteien von der Narzisstischen Querfront erobert wurden, aber die GRÜNEN halten ihre Konflikte verdeckt. Least to say, die GRÜNEN merken wohl gar nichts davon. Auch hier das Original?!
Es gibt keine erpresserische Weltanschauung, die von den GRÜNEN abgelehnt wird. Daher blühen im Moment die Phantasien über eine künftige Diktatur. Mir reicht eigentlich schon das Vorspiel. Politisches Denken ist nicht rational, wie sich am Ende des Tages herausstellt. Es wird als Simulacrum zwar am Schreibtisch von politischen Philosophen idealtypisch vorgeführt, aber das täuscht wohl inzwischen niemanden mehr über die wahre Natur dieser kooperativen Fehlleistung. Es ist ein Wunder, dass nicht mehr passiert.
Naja, wer im öffentlich-rechtlichen Rundfunk angestellt ist (die Betonung liegt auf »angestellt«; nicht »frei schaffend«), hat ausgesorgt, sofern er keine falschen Wörter zur falschen Zeit verwendet. Er/sie muss nur auf die jeweilige Zeitgeistwelle surfen, dann ist alles gut.
Die Grünen brauchen im Moment ebenfalls nichts zu tun. Es gilt: Fehler vermeiden, alles andere ergibt sich. Am besten wäre es, Baerbock et. al. würden bis zur Wahl nur noch Interviews für Zeitungen geben (die natürlich immer gegelesen und nachkorrigiert und ergänzt werden). Ansonsten: Schweigen.
Frei nach Camus: man muss sich den politischen Journalisten als einen jämmerlichen Menschen vorstellen. Nur ein halbiertes Verständnis dessen, was irgendjemand irgendwo unlängst gesagt hat, im Spannungsverhältnis dazu, was besser der Fall wäre (normative Zielsetzung), kann überhaupt so etwas wie Journalismus erzeugen.
Baerbock ist der neue Trump. Es gibt so viel zu schreiben. Schreiben gegen oder für die Unbedarftheit der Macht; der Unterschied liegt allenfalls in der Motivation.
In Zukunft wird es nur noch fröhliche Wahlen geben. Oder paradoxe Wahlen, ähnlich wie Sex! Man weiß, die Enthaltsamkeit steht einem tugendhaften Leben näher, aber man will einfach nicht darauf verzichten. Cosi fan tutte!
Naja, »Baerbock ist der neue Trump« – das trifft nicht mal als Analogie. Sicherlich bedient sie ihre Klientel, aber doch auf eine fast schüchterne Art und Weise eher passiv. Sie braucht gar nichts zu machen, während sich die politischen Gegner zerfleischen. Die Kunst besteht darin, diesen Status bis im September zu konservieren. Jede Bewegung aus dem Kokon heraus, jede Verwandlung würde sofort negative Folgen haben.
War gewagt, der Vergleich, stimmt. Aber ist die Methode »Sphynx« nicht inzwischen internalisiert?! Merkel hat in 15 Jahren nur das gesagt, was die engsten 100 Funkstationen vorher gesagt haben. Die Volkstribunalisierung der Bundesrepublik gelingt nur durch äußerste Zurückhaltung der Repräsentanten. Die Tribun*in spricht zuletzt. Beide Methoden, Sphynx und Zwitscherspatz, funktionieren über eine Öffentlichkeit, die in hohem Maße selbst-rückgekoppelt ist. Mainstream ist ja keine Meinungsselektion, sondern eine Rezeptionsprogramm: Journalisten lesen ausschließlich Journalismus, und schreiben über Einlassungen von Journalisten. Auto-Referenzialität als Systemrelevanz!
Gut, Merkel war kein Genie des Bösen; sie hat einfach intuitiv alles richtig gemacht... Aber methodisch geht Baerbock denselben Weg. Wiederhole einfach nur das, was 100 einflussreiche Sender vor Dir gesagt haben. Laschet muss das noch lernen.
Ich bin kein Theoretiker, aber diese Praxis scheint mir nicht mehr auf eine eigene Meinung (politisches Subjekt) abzuzielen, sondern auf die guten Chancen des »unbestreitbar Sagbaren«. Die Ergebnisse sind nicht mehr die Momentaufnahmen in einer fortwährenden Kontroverse, sondern eine Anzahl von Faltsätzen, die unprüfbare (sic!) Bedingungen zur Voraussetzung haben und keinerlei praktische Relevanz aufweisen. Sie entziehen sich der lebensweltlichen Rationalität.
»Aus Meinungen werden Gerüchte«, sagte unser Gott-hab-ihn-selig Heiner Müller über die westdeutsche Medienlandschaft. Allmählich erst kapier’ ich den Satz.
Dass Merkel alles richtig gemacht hat, ist ja ein Märchen. Vor allem hat sie – was überraschend ist – sehr vieles, vor allem Grundsätzliches praktisch im Alleingang entschieden. Schröder gilt heute noch als »Basta«-Kanzler, war aber neben Merkel gestellt geradezu ein Vorbild von Teamgeist.
Laschet wäre vor 4 Jahren noch als Kanzlerkandidat gegangen. Inzwischen wirkt er mit seinem Anbiedern an den Zeitgeist (Klimakrise, Pandemie) nur noch peinlich. Hinzu kommt sein Duktus. Die Nach-Merkel-CDU ist programmatisch und auch ideologisch entkernt; praktisch nicht mehr existent. Meines Wissens hat die Union vier Monate vor der Wahl noch nicht einmal ein Wahlprogramm. Zugegeben, es ist auch schwierig: Wenn man 16 Jahre regiert hat – was soll man da hineinschreiben, ohne dass sofort der Vorwurf kommt, die Problem während der letzten Regierungen nicht gelöst zu haben. Es ist ein gravierender Unterschied, ob die den Kanzler stellende Partei mit einem neuen Kandidaten antritt (das ist einmalig in D) oder nicht.
Merkel hat nicht gesagt, was die Funkstationen wollten, sondern die Medien haben das gesagt, was Merkel hören wollte. Eine sachliche Auseinandersetzung hab es, wenn überhaupt, nur in der Presse. Die öffentlich-rechtlichen Medien waren tatsächlich all die Zeit auf Merkel-Kurs.
Merkels Kommunikation ist vorbildlich. Mehr wollte ich nicht behaupten. Zweifel an der großen Staatsratsvorsitzenden kamen meines Wissens nie auf. Ja, es gab Einwände, Bedenken, Hinweise, »Nachbetrachtungen« zu den wichtigen Entscheidungen, aber die Nibelungentreue stand nie in Frage. Die Deutschen lieben ihre Kanzlerin.
In all den 15 Jahren hat die Dame einen Bock nach dem anderen geschossen, und wurde stets höflich kommentiert. Für mich war das eine höchst sonderbare Erfahrung. Es gibt offenbar eine starke »Meinungsflexibilität« bei den Deutschen. Man orientiert sich nicht an Richtig oder Falsch (stellt sich manchmal erst im Nachhinein raus, ist aber keineswegs unfair, zeitlich später den Regierungserfolg zu beurteilen...), sondern folgt einem Karawanen-Motto: Haben wir falsch gemacht, macht aber nichts. War ja im Prinzip richtig!
Im Kollektiv-Plural des politischen Denkens geht so manche Verantwortlichkeit unter. Naja, vielleicht ist es ja überall so. Dann gibt es Frau Merkel wohl gar nicht, von einem meta-politischen Standpunkt aus. Dann gibt es nur die Karawane.
Man braucht nur auf Twitter oder Facebook zu schauen, um zu sehen, wie die Person (bzw. die Politk) Merkel das Land gespalten hat. Von einer vorbildlichen Kommunikation kann keine Rede sein. In Leitmedien blieb sie tatsächlich fast immer unangetastet – von FAZ bis taz; auch der Spiegel. Die öffentlich-rechtlichen Medien lagen ihr weitgehend zu Füßen.
Die Union macht jetzt den Fehler, die Schonung, die Merkel dort erfahren hat, auf ihren Kandidaten transformieren zu wollen. Sie spricht vom »Erbe Merkels«, obwohl sie (1.) nicht tot ist und (2.) 16 Jahre nahezu vollkommen ohne jegliche Programmatik Politik gemacht hat. Das wurde / wird ja immer noch als »ideologiefrei« wohlwollend hervorgehoben. Dieses Denken wird die Union (die bezeichnenderweise vier Monate vor der Wahl noch ihne Wahlprogramm ist) auf die Füße fallen. Vermutlich droht ihr langfristig das Schicksal der SPD – solide 18%, vielleicht einmal 20%.