Der sich im Wind wiegende Grashalm, dunkles, kräftiges Grün,
daneben der gelbe Löwenzahn, klimpernde Autoschlüssel.
In den Betonritzen des Kopfsteinpflasters schlafende
Zigarettenstummel; kleine Mumien, dunkelgelb zwischen grau; wüstenokka;
ein Kamel lugt von einer weggeworfenen Zigarettenpackung hervor.
Der auch hier schwer tragende Bauarbeiter, der Mann mit Zange und
blauer Hose und dazwischen immer wieder Kinder an den Händen von
Müttern, die Kinderwagen schieben.
Von überall herabhängende Taschen mit Lauch; Petersilie und Gurken.
Die Dominanz der Farbe Grün bei den in den Plastiktüten
transportierten Waren.
Der vor einem Klingelschild stehende Mann mit einer schwarzen
Trainingstasche in der rechten Hand. Sein den Namensdschungel
durchkämmender Blick; endlich das erlösende Surren, das Aufdrücken
der Tür, ich habe etwas für dich und das will ich dir geben.
Das mit einer Abdeckung versehene Motorrad, grau; oh schlaft ihr
Motoren, schlaft ein. Der daraus hervorschauende Spiegel, als Auge,
als Hinweis: Mich wird es immer geben und: Ich sehe dich.
Das Ertönen des Geräusches einer Ratsche, »oh, oh, da musst du
vorsichtig sein. Die sind fest. Da kannst du nicht runterfallen«.
Ein Hund bellt, etwas fiept, sich zuziehende Dinge, Rohre,
Wasserleitungen; immer noch Justierungsgeräusche.
Der Paketbote und sein Paketturm; ein Balanceakt, eine artistische
Darbietung. Die auch ihn erlösenden Surrgeräusche des Türöffners,
der Widerhall des Sirrens seines Paketscanners im Eingangsflur, sein
schneller Schritt beim Abgang.
Ein Stuhl, ein Tisch, ein Rabe, ein klar gestalteter Balkon; darunter auf
dem Bürgersteig ein Junge mit seinem Vater, aus dessen Tasche die
Geräusche eines Schafs kommen; »Ich glaube, wir haben hier ein
Schaf«.
Die Variationen der Menschen beim Gehen, ein Schleichen, ein
Schleifen, ein stöhnendes Gehen, ein Tapsen, ein Trippeln;
Vogelgezwitscher, das sich jetzt in die Geräusche der Ratsche mischt.
Ebenso das Bemerken der Menschen an ihrem Gang, ob sie Zeit haben
oder nicht; ob sie ein Ziel haben, oder nicht, »Guten Tag!«, »Assalamu
Aleikum«, اَلسَّلامُ عَلَيْكُم, der vorbeifahrende Bus und seine aus ihm
schauenden Augenpaare, TECHNIK VON MORGEN FÜR DIE LUFTVERBESSERUNG VON HEUTE.
Das lange, schwarze, sich über den Bürgersteig ziehende Kabel, der
Strom, die Energie, die Zeit; immer noch Ratschengeräusche.
Der aus dem Loch steigende Mann, der sichere Griff zu seiner Zange,
seinem Werkzeug, seiner Welt. Ein brauner, kastenförmiger LKW
zieht vorbei, WIR SYNCHRONISIEREN DIE WELT.
Braungrauer Staub in den Fugen des Kopfsteinpflasters und das
daraus hervorstechende Grün eines Bonbonpapiers, auf dem ein Kreuz
und ein Streifen abgebildet ist. Der sich wohltuend ausbreitende
Geruch von Menthol, der immer auf der Zunge zergehende flüssige
Kern.
Eine Mutter mit vier Kindern passiert, eins im Wagen, eins im
Werden, zwei an der Hand, dazwischen eine Zigarette und eine weiße
Plastiktüte mit Backwaren; aufsteigender Rauch, der sich in die
Abgase eines am Straßenrand haltenden LKWs mischt.
Auf den Straßenschildern ein großer schwarzer Pfeil; ZENTRUM,
HAUPTBAHNHOF, DIENSTLEISTUNGSZENTRUM, ZENTRUM,
Mitte; aufsteigender Erdgeruch.
Aus dem Baustellenloch fliegende Kabel; grau-fahle, vom Staub
durchfärbte Hände, die nach einer Gasflasche greifen. Die
herausbrechende Flamme, der passierende Bus, HYBRID FÜR
MEHR KLIMASCHUTZ.
Gas, Wasser, Strom; das Ordnen von Leitungen, von Zuflüssen, von
Abflüssen; die immer noch aus der Gasflasche stoßende Flamme;
Fingernägel, die auf Metall stoßen; der Austausch von Ventilen, von
Kappen und Verschlüssen.
Auf dem grauen Gehsteig aufscheinende Asphaltsonnen; weiße, platt
getretene Kaugummis und darauf die Menschen mit ihren
Mobiltelefonen; mit ihren Sprechmaschinen, mit ihren
Allesverbindern.
Ein aus dem Baustellenloch herausragender Zollstock, der Ausruf von
Zentimeterangaben; Tiefe in Zahlen, in Nummern; Zeit in Abständen.
71 S W, 71 SW, weiß auf grau, eine Parkschildrückwandbeschriftung;
ein runder Kreis auf einem Quadrat, gehalten vom Rückgrat einer
Metallstange; das aufziehende Gewitter – gleich wird der Regen
kommen.
Lila Frühlingsblumen nur auf der weggeworfenen Plastikfolie einer
Slipeinlage; hell- und dunkelviolettes Blütenblätter-Wechselspiel, sie
liebt mich, er liebt mich nicht.
Der verwaiste Spachtel am Fuße des Parken-Verboten-Schildes;
Spuren der verlassenen Baustelle; der immer noch aufgerissene
Boden, aus dem die blanken Rohre ragen.
TO LIVE AND TO LET LIVE – STREETART AGAINST HATE; in
der Mitte des Aufklebers ein grüner Oktopus, auf den Jemand mit
schwarzem Stift ein Lachgesicht gemalt hat.
»Auf der anderen Seite … , ihn juckt es ja gar nicht«, ein aufgebracht-
vorbeiziehendes Frauenpaar, wild gestikulierend, ihre Sätze mit rot
lackierten Fingernägeln in die Luft zeichnend.
Zwei passierende Männer mit Lederjacken in schwarz, das glänzend-
schöne Haar mit Pomade bearbeitet, »immer geht es nur ums Geld«,
»herşey parayla ilgili«.
Das Silberglitzer einer weggeworfenen Batterie, die in die Fugenmitte
zweier Steine gerollt ist; ihr Metall-Korpus zu groß, um in der
Vertiefung zu versinken.
Gehetzte Fahrradfahrer, vorbeischießende Raketen, hitzige Laute im
Fahren von sich ausstoßend; rotwangige Gesichter, auf denen sich die
Eile abzeichnet.
Die Trinität der Fernsehschüsseln auf dem gegenüberliegenden Dach,
hellgrau, dunkelgrau, okka; wenn die eine keinen Empfang hat, dann
die andere und so weiter.
Der aus dem orangenen Baustellenauto steigende Mann mit freundlich
arbeitswilligem Blick und silberblitzenden Ohrringen; fest verschnürte
Maschinen im Laderaum mit sich führend; eine Schubkarre, ein
Wasserkanister, ein Stampfer.
Ein viel zu großes im Kinderwagen liegendes Kind, mit dem
schwarzhaarigen Kopf zuerst aussteigen wollend, geschoben von einer
dürren Mutter mit nervösem Blick.
Der kühne eine bestimmte Stiel einer Löwenzahnpflanze, die sich
zwischen Bauzaun und Straßenschild angesiedelt hat und sich weit
nach oben streckt. Ihre Blüte bereits geschlossen haltend, heimlich
Samen hinter der zarten Pflanzenhaut bildend.
KIA, Kunst irgendwann anders, MPU, Mut plus Urvertrauen. SW,
schwarz-weiß. BKS, Baum küsst Schaf; das Spiel mit den
Abkürzungen; wenn ich dürfte, würde ich nur Bälle werfen.
Der die graue Haustür aufschließende Mann mit zwei Coffee-To-Go-
Bechern in der Hand; ein Blick, ein Augenpaar, ein stiller Gruß.
Menschen und ihre Hintergründe, ihre Häuser, ihre Fenster, ihre
Gardinen. Die pflegende Frau mit Maske und nettem freundlichen
Blick. Ihr Einstieg ins Palliativ-Care-Auto verrät ihren Weg, ihren
Auftrag.
T‑Shirt-Aufdrucke mit Namen, die in fremde Welten führen; SANTA
CRUZ, aufkommende Wellen, der nasse Blick der Surfer und ihre
immer zu langen Haare, immer ausgeblichen von dem Salz und der
Sonne und und.
Der silbrig blitzende Türknauf eines zu emsig geputzten schwarzen
Autos und der jetzt aussteigende Mann mit bordeauxfarbener
Daunenjacke, metallig glänzend, schwerelos.
STRAßEN- UND TIEFBAU GMBH – ein kleiner blauer Pfeil, der
nach unten zeigt und darunter der mit einem Zollstock das Loch
ausmessende Bauarbeiter, sein Zentimetermaß in den Boden führend,
die Tiefe prüfend.
Die Variationen der Auftritte der Menschen, ob sie auf Stein oder auf
Holz treten, ob ihr Untergrund fest oder hohl ist. Holz oder Leben.
Baum oder Regenwald. Sauerstoff oder Abholzung.
Vorbeiziehende Wolken vor maiblauem Himmel, der neben mir
stehende Plastikbecher; vorbeiziehende Busse und die darauf höflich
formulierten Imperative, EINSTIEG BITTE VORN.
Das nicht endende Mittagsgehupe vorbeifahrender Menschen; Geduld
und Ruhe nur bei den Alten; bei denen, die etwas vor sich
herschieben.
Die vier großen, rot gedruckten Buchstaben, dahinter das
Ausrufezeichen, die Aufforderung zum Bleiben; Ja, bitte! Ibqa!
!اِبْقَى, STAY!
»Nein, der hat 8000 Euro gemacht«, ein vorbeigehend telefonierender
Mann; dichtgefolgt von einem Frauenduo, »Waschmaschine,
Spülmaschine«, wenn ich könnte, würde ich andere Geschichten
erzählen.
Ein vorbeirauschender LKW bedruckt mit einer grünen Wiese und
glücklich umherpickenden Hühnern; ein den Kopf hebender Hahn mit
bunten Federn, seine Hennen zählend.
Ein auf dem Handy tippender Fahrradfahrer, hin- und herschwankend;
die an seinem kleinen Finger baumelnde weiß-rote Plastiktüte einer
Apotheke.
Die Feuerwehrzufahrten und ihre mit Pfeilen markierten Tafeln, bis da
und dahin, Rettungswege bitte freihalten und so weiter.
Der aus einer Nachbarstadt stammende zurücksetzende LKW und der
daraus aussteigende, immer noch wartende Bauarbeiter; Hände, die
sich in Hüften stemmen, »scheiße«.
Die schöne Frau mit seidig-langem Haar und ihr zaghafter Aufstieg
auf das Rad. Die an ihrem Lenker baumelnde grüne Stofftasche und
ihr wackeliges Anfahren, ein Versuch bei ungleicher Verteilung der
Last.
Das sich mit aller Macht in eine der Fugen setzen wollende fedrige
Samenkorn eines Löwenzahns; sich an den Fugeninnenwänden der
Kopfsteinpflasterritze festhaltend, »ich will Wurzeln schlagen«.
»Hast du mehr Sand?«, fragt der Bauarbeiter, immer noch das Loch
untersuchend; ein Taschentuch weht durch die Luft, ein Mann hustet,
ein Hund zieht vorbei.
Die Immernoch-Zitterpartie des Löwenzahnsamenkorns in der Spalte
Wurzeln zu schlagen, der sich bemühende Bauarbeiter, den Bauzaun
zu verschieben; dünner Stahl, zittrig in der Luft vibrierend.
Der Abstieg des Bauarbeiters in das Loch, in die Leitungen, in die
Welt der Verbindungen, der Zusammenschlüsse unbestimmter Art,
bald wird alles wieder heile sein.
Die Ankunft eines neuen LKWs mit Bagger auf der Ladefläche, der
seine Greifarme schon gen Boden gerichtet hat; kurz darauf der ins
Loch regnende Sand.
Die sich unter dem T‑Shirt des Bauarbeiters abzeichnenden Muskeln,
SANTA CRUZ, der heimliche Surfer und das nie endende Märchen
vom Meer der Stadt.
Der Stampfer, der Benzingeruch, die auf- und abhüpfende Maschine
und ihre unbändige Freude am Pressen der aufeinander liegenden
Erdschichten.
»So etwas wie Straßenschreiberin.« – »Was?« – »Ach so. So was mit
Kunst. Ach so.«
Herausragende Plastikflaschen aus Seitentaschen von Rucksäcken, das
nicht endende Auf- und Abgehüpfe der Maschine und ihre Bedienung
unter festem Griff.
Die Ankunft des Dritten im Baustellenbunde; aufsteigender Rauch von
drei Seiten; ins Loch rieselnde Zigarettenasche; Asche zu Sand, zu
Staub, zu Asphalt; bald wird alles wieder glatt sein.
Der auf dem leeren Balkon stehende Mann mit seinem
Kakteenquartett im Fenster, SANTA CRUZ, Arizona, zwei
langstielige Stachelgewächse neben zwei dicken
Schwiegermuttersitzen, Echinocactus grusonii.
Rent-a-car und der daraus aussteigende Mann in grün; immer noch
Sand, der geschippt wird; SANTA CRUZ; da wo Asche war, ist jetzt
nur noch Strand.
Ein Hund, der seiner Besitzerin verweigert, über das mit einem
Holzstück überdeckte Baustellenloch zu gehen; das Erklingen eines
harschen Befehlstons, ein Ziehen, ein Aufjaulen, ein Kompromiss,
»komm schon, Dummchen!«
Der zum Abend gewordene Tag und der zur Nacht gewordene Abend,
Nacht ohne Dunkelheit, überall Licht.
Vorbei schlurfende, piepsend-blinkende Jugendliche; die Mini-
Bildschirme wohlverstaut in ihren Hosentaschen, immer wieder
aufleuchtende Oberschenkel, das Schwarz der Trainingshosen für
einen kurzen Moment erhellend.
Ein vorbeischießendes schwarzes Auto, die Straße als Rennbahn
nutzend; ein Vater mit Sohn an der Hand, Schnalzgeräusche mit den
Lippen machend, ferne Lieder anstimmend.
Hinter der weißen Spitzengardine tanzende Fernsehbilder, Szenen
eines Kampfes aufmarschierender Ritter und ihrer Schwerter und
Schilder; es war einmal in einem Land vor unserer Zeit.
Die in der Mitte schwebende Straßenlaternenlampe, befestigt an
einem über die Straße gespanntem Stahlseil, die Fahrbahn zum Flur
machend, zum Raum zwischen den Häusern.
Klimpernde Rucksäcke, raschelnde Trainingsjacken, ein Schlüssel
steckt sich ins Schloss; eine Tür wird aufgedrückt. »Klar, das ist
Chaos«, sagt der auf den Bürgersteig tretende Mann, unter seinem
Arm klemmen zwei Pizzakartons.
Eine in der Ferne wütend aufschreiende Frauenstimme, der
Kakteengarten gegenüber nun verschwunden hinter einer Jalousie aus
luftig-grauen Lamellen; engumschlungene Schattentänze, gedimmtes
Licht.
Ein auf dem Haltestellenplakat aufblitzend roter Mund, glänzend
poliert; das Aufstöhnen des Busses beim Anfahren, ein Atemholen tief
aus dem Inneren des Motorbauchs.
Ein auf den Radweg gekippter E‑Roller, der von einem Eis
weggeworfene Holzstiel, daneben das plattgetretene Blatt einer
Buche, hellgrüne Rippen, auflachende Stimmen aus unbestimmbarer
Richtung.
Ein Schleim aushustend passierender Mann, immer wieder sein
Inneres nach außen herauf beschwörend, rasselnde Speiseröhre, auf
den Boden klatschende Klumpen, Bläschen auf dem Boden schlagend,
mit ihrem neuen Untergrund sanft in Kontakt tretend.
Die einäugigen E‑Roller als die Einziglichter auf dem Radweg; sich
leise anpirschend, beim Vorbeischießen Zischlaute von sich
ausstoßend, kleine Radwegraketen, flink zu ihrem Ziel schnellend.
Eine vorbei joggende, nach Shampoo duftende Frau mit auf der Haut
klebender dünner Trainingsjacke; ein sich neu einschaltender
Fernseher vom zweiten Stock; bunt-zackiges Flimmerlicht von links
gegenüber.
»Das ist der Platz, das ist der Platz«, »hada howa lmakan, hada howa
lmakan«,هَذا هُوَ الْمَكَان، هَذا هُوَ الْمَكَان. Ein zornig ins Telefon schreiender
Mann, der jetzt in das Auto eines Pizzataxis steigt.
»Ey, ich war ja in Solarium, ey ich wollte gerade in den Bus
einsteigen«, die vorbeiziehende Horde Jugendlicher und ihre Düfte,
After-Shave, Before-Shave; »ey, ich sagte Kurzstrecke«.
Aufquietschende Reifen, ein zur Disko gewordenes Auto, alles
vibriert; daraus lauthals singende Stimmen, das sich jetzt löschende
Licht hinter den Lamellen des Kakteengartens.
Ein Rahmen knackt, ein Fenster wird geöffnet, eine Frau hängt sich
heraus; ein Stöhnen, »nicht schon wieder«. Das hellerleuchtete Gesicht
eines auf dem Boden sitzenden Mannes; Schneidersitz mit Handy und
Zigarette, Yoga für Fortgeschrittene.
Orange aufblinkendes Warnlicht eines plötzlich auf der Straße stehen
gebliebenen Autos, zuckende Farbblitze in das Stadthelldunkel
zaubernd; ein auf den Balkon getretenes schwarz gekleidetes
Männerpaar; der eine mit Kapuze, der andere ohne, kleine glühende
Minisonnen mit ihren Zigaretten in die Luft malend; Asche, die noch
im Fallen zu Staub wird.
BABY BELL, IHR PARTNER IN KINDERBETREUUNG, das
klingende Glöckchen, die lieblich ertönende Stimme der sich
verabschiedenden Mutter; EINFAHRT TAG UND NACHT
FREIHALTEN.
Ein auf die Fahrbahn großformatig gezeichnetes Dreieck, weiß mit
roter Umrandung, darauf ein Männchen mit beschwingt-gehendem
Schritt – Vorsicht: Fußgänger.
Ein Kronkorken, der nicht ganz in die Fugenritze passt, feingewellter
Metall-Verschluss, gelb-golden, der andere Sonnenaufgang der Stadt.
Das quietschgrüne Auto der Fahrschule – Vorsicht: Hier komme ich
und ich bin giftig. 721 D‑Flughafen, Terminal A/B/C, vorbeiziehendes
Fernweh in Omnibusform; steig ein und ich flieg dich, wohin du
willst.
Die vorangehende Frau und der hinter ihr schlurfende mit Stofftaschen
beladene Mann, das Gewicht der Welt tragend, Lauchzwiebeln,
Gurken, Möhren, einen Wasserkocher.
Die drei grün-weißen Regenschirme auf dem Balkon rechts über
MPU, Geschichten vom Sommer erzählend, »so Gott will«, »Inshalla«,
إن شاء الله.
PIZZA MANN … SCHMECKT EINFACH GENIAL; T‑Shirt-
Aufdrucke und ihre Versprechen und ihr Brechen; »He´s coming, he´s
coming«, ein laut vor sich her singender Mann, den Schritt angepasst
auf die Rhythmik seiner Melodie.
Das immer wieder die rauschende Ruhe durchschneidende
Martinshorn, zuckendes Blau von überall, aufquietschende Reifen.
Ein rotbunt angezogenes Kind mit Hosenträgern, geschoben von einer
parfümierten Mutter mit Mickey-Mouse-Tasche; als das Kind Kind
war, war ihm ein jeder Blick ein Wort.
Zeitungsaustragende Jungen mit orangenem Anhänger, wasserdicht,
Wochenspiegel, Reklameblättchen, Trainingshosen, E‑Roller,
Turnschuhe.
Eine Frau mit perfekt gezogenem Lidstrich kämmt sich durchs lange
Haar, Farbe auf Zeit, auf Auge, auf Haut. Ihr jetzt beginnender Sprint
aus dem Stand zu dem an der Haltestelle eingefahrenen Bus.
Eine mit Rollator passierende Frau, Schritt für Schritt, Minute für
Minute; Zeit auf Raten, auf Rezepten, auf Arztbesuchen; die Hüfte,
ein längst schon überfälliges Thema, endlich die Operation in zwei
Monaten, »es muss ja irgendwie weitergehen«.
Sich aus den Fenstern lehnende Unterarme aus den vor der Ampel
stehenden Autos; aderdurchzogene Muskelhaut;
Sonnenbrillengesichter, den Takt der Beats mit ihren Fingern auf die
Gummilippen ihrer geöffneten Fenster klopfend.
Kirchstraße 1–32, das erste Lebensdrittel ohne Irrwege, ohne
Hindernisse, immer geradeaus. Der reisgemusterte Kellerdeckel,
braun-rostig an den Rändern, eingerahmt von dem aufgesprungenen
Grau des Asphalts.
Der Blick in den Innenraum des bis zum Rand gefüllten
Möbeltransporters; Pflanze auf Karton auf Stuhl auf Schrank auf Zeit.
Zwei auf dem Bürgersteig liegende, weiße Altkleidermüllbeutel,
überquellend vor Inhalt, vor Stoff.
Die sich im leichten Stadtwind neigenden Halme unterhalb des
Baums, Ähren ohne Sinn, prall gefüllt mit Korn. MAI THAI
MASSAGE; die ferne Erinnerung an Berührung und dunklen Rum
gemischt mit Limetten und Orange, süß und sauer zugleich.
Ein Mann mit Kind, das auf dem Fahrradweg läuft; die Frau ein wenig
dahinter mit Lederjacke und Maske, ihr Blick starr nach vorne
gerichtet.
GRATIS LIEFERUNG & MONTAGE, die Ständigangebote der Stadt,
MÖBEL UND KÜCHEN ZUM SONDERPREIS.
»Kalt hier, kalt hier«, ruft das fröhlich lachende Kind, das sich von der
Hand des Mannes befreit hat; die unterschiedlichen Klingeltöne der
Fahrräder als andere Melodie der Stadt nachsummend,
Kindersymphonie ohne Urheber, ohne Namen.
Ein Bus; darin ein Mann, der die Innenseite seines hellblauen Hemdes
untersucht, aus dem einparkenden Auto tönen die Klänge einer Oper,
Ouvertüre »Zum fliegenden Holländer«; Mary Poppins auch hier in
der Stadt.
Der rote in der Ferne wuchernde Mohn, sich im Überfluss
ausschenkend, das Versprechen von Weite und Feld in seiner Farbe
tragend.
Ein Mann, der sich mit vorgehaltenem Gehstock über die Straße tastet;
schütteres-weißes Haar; ein aus Richtung der Kirche kommender Herr
mit grauem Hemd und Weste; eine grau-gehende Eminenz, die Augen
gerahmt hinter einer mit Goldrand gefassten Brille, ein stiller Diener.
Das Rattern der Speichen vorbeibrausender Räder; Rücken, die
entzücken, die verrücken. Verhüllte und Enthüllte, großzügig
geschnittene Kleider, wehende Stoffe neben knapp-engen
Jeansröcken.
TO LIVE AND TO LET LIVE, sich die Aufkleberaufschriften zur
Tagesweisheit machen, zur Religion der Zwischenräume. Die in die
Fugenritze gewehte Feder, Träume in Nischen gebettet, Nacht auf
Asphalt.
Der konzentriert auf das Klingelschild gerichtete Blick des
Paketlieferanten; seinen kleinen schwarzen Scanner locker in der
Tasche stecken habend; eine Mensch-Maschinen-Kollaboration, die
Wünsche der Anderen erfüllend.
Eine sich nähernde Dreier-Mädelskinderbande, mit Lollis im Mund,
wie Orgelpfeifen nebeneinander her spazierend, fröhliche Lieder
anstimmend; sich in die Luft schwingende Arme, die fest mit den
Händen der anderen verbunden sind, immer wieder auflachend.
Die Ausgewaschenheit der Jeanshosen an den
Oberschenkelunterseiten, die Blicke tief ins Gewebe; Zeit ohne
Geheimnisse, ohne Schutz.
Die im Asphalt steckende Schraube mit zarten Drahthaaren am
Kopfende; der vorbeirauschende Bus; MENSCHLICHKEIT IST
KÄUFLICH, die Klackergeräusche einer schönen Mutter, die einen
Kinderwagen schiebt.
Die Frauen, die Kleider und ihr Sommer. Haut und Farbe im
wehenden Wechselspiel; die Variation der
Muster, der Linien, der Ausgangspunkte – von hier geht es immer
weiter.
Das Glitzern eines kleinen, mit Diamanten besetzten Traumfängers am
Autoinnenspiegel eines PKWs ohne Kennzeichen, am Steuer ein
Mann mit Sonnenbrille und Goldkette, die Haare streng aus dem
Gesicht gegelt.
Das tätowierte Auge auf der Unterseite des Oberarms einer
passierenden Frau, dazu eine schwarze Tasche mit Glitzersteinen über
der Schulter hängend, diamonds are a girl´s best friend.
Sich von den Bäumen herabstürzende Tauben, gen Kirchturm
flatternd, den Frieden durch die Luft tragend, Inshalla, إن شاء الله. Auf
dem Dach vor der Kirche vieldrahtige Antennen mit der gleichen Hoffnung
auf Empfang.
Der immer noch nicht-besetzte Stuhl auf dem jetzt sonnenüberfluteten
Balkon, das rustikale Holz ländlich-schimmernd, einladend,
Waldromantik ohne Wald; und dazwischen die Männer und ihre Roller
und ihre in der Sonne glänzenden Oberarme, Brems-Blink-
Muskelspiele ohne Pause.
Morgenland, Nachmittagsland, Abendland; gegen die Geschlossenheit
anschreiben; für mehr Durchlässigkeit im Blick, für mehr Licht in den
Fenstern und Gesichtern.
Das Sehen der Blütenblätter des Baums auf dem Asphalt als weiße
Stadtschneeflocken; eingefrorener Frühling; dazu das Abendrot des
Mohns; so soll es immer bleiben.
Die Großblumenfamilie im gegenüberliegenden Fenster; alle sechs im
gleichen Abstand zueinander; Mutter und Mutter und vier Kinder mit
knallpinken Haaren, die Mütter mit blond-gelben Blütenlocken.
Der aus einem schwarzen Mercedes steigende Mann mit weißem
Poloshirt, sein sicherer Griff zur Beifahrertür; eine Frau, ein Baby; der
stille Abgang des Mannes, das einhändige Kramen der Frau nach dem
Schlüssel ihrer Wohnung.
Ein roter, vorfahrender Sportwagen, blitzende Felgen im Schein der
Straßenlaternen; ein den Kofferraum öffnender Mann, der eine
Leinwand hervorholt.
Die Dauerbeleuchtung der Klingelschilder im Haus gegenüber; die
Fähigkeit des Lichtes, der Dunkelheit die Namen entgegenzusetzen:
ich weiß, wie du heißt und deshalb weiß ich, wo du wohnst.
Die sich sanft im Nachtwind wiegenden Äste, Jungsprösslinge,
ständig winkend; mit ihren Schattentänzen auf sich aufmerksam
machend.
DIENSTFAHRT. BLEIBT GESUND! Die guten Wünsche auf
Anzeigetafeln von Bussen, DAUERHAFTE HAARENTFERNUNG
99 EURO; ein aufhupendes Auto.
Weggeworfene Zigaretten, Einkaufsbons, feine Glitzerglassplitter und
darüber ein aufgeregt sirrendes Nachtfalterpaar, sich ständig um die
eigene Achse in der Luft drehend, sich trennend und doch immer
wieder zusammen findend; wilde Flattertänze mit zaghaften
Berührungen an den Flügelaußenspitzen.
Eine sehr laut sprechende, immer näher kommende Frauenstimme, die
Teil einer Gruppe ist, »und dann stelle ich das noch kälter, weil ich es
doch schon kalt habe.«
Ein Windstoß, der jetzt fortwehende Teil eines weggeworfenen
Pappkartons; über den Asphalt ratschendes Papier, klimpernde
Schlüssel, eine aufsummende Frauenstimme, »ich bin da«.
RETTUNGSDIENST 112. Wasser: Boda: Вода; Hund: Gutsche:
Куче; Baby: Dete: бебе; Flasche: Schische: шише; Salami: Salam:
Салам; Bulgarisch-Lektionen für Anfängerinnen.
Das über das ganze Gesicht gehende Lächeln des Sprachlehrers beim
Herausholen seiner Trommel aus dem Rucksack. Die vor ihm
stehende Colaflasche mit schon geöffnetem Deckel; für einen Moment
ist Sommer.
Der Sprachlehrer jetzt auch ein Trommler jetzt auch ein Maler, der
Tanz seiner Pinselstriche über das weiße Papier, ein schwarzes
Quadrat und eine daraus aufsteigende Rauchwolke und die
Straßenlaternen sind die Sonnen der Nacht.
Der sich sanft über das Blatt ziehende Pinsel, kleine Kratzgeräusche
auf dem rauen Papier des Skizzenblocks machend; dabei immer
wieder ein Auflachen, ein Lob, »superbravo«.
Die Gewissheit, dass bei Hunden nach Bisswunden die Haare in der
entgegengesetzten Richtung nachwachsen; Nachtwahrheiten unter
aufsteigendem Zigarettenrauch.
Die nächtliche Verkehrung der Farben in ihr Gegenteil, aus grau wird
blau; die silber-graue Motorradabdeckung jetzt ein ozeanblaues
Schimmermeer; summer in the city.
Die umherwandernde Zigarettenpackung, die gemeinsame Suche nach
Feuerzeugen; Daumen, die vergeblich entlang von Metallrädchen
ratschen, »wenn´s alle ist isse´s alle«.
Die Straße, mein Feld; das Rauschen der Autos, mein Spiel der Ähren
mit dem Wind. Das auf der Mitte des Gehsteigs geparkte Fahrrad,
NEXT BIKE, noch einen Grashalm in den Speichen hängen habend,
mitgenommener Sommer, bald ist alles reif.
In der Luft tanzender Sommerschnee unbekannten Ursprungs, keine
Weide in Sicht. Die einander nun nähergerückten Menschen, Hand in
Hand, Rock an Rock und daneben das Silberauto mit einer
ausgebeulten Tür – Spuren der Berührung, auch bei den PKWs.
Ein auf die Straße gespuckter Kirschkern, der nicht ganz in die
Einbuchtung zwischen den Asphaltsteinen passt, Geschichten vom
Kirschkernweitspucken erzählend, aufziehendes Kinderlachen.
Das satte Sommergrün der Baumkronen, das Spiel der Kleinstblätter
mit dem Stadtwind, bewegte Schattenbilder auf das Asphaltgrau
zeichnend.
Ein vorbeifahrendes cremeweißes Taxi mit kleinen, an den
Seitenspiegeln angebrachten Flatterfahnen; der Mut der Menschen,
Flagge zu zeigen, für den Sport, für ihre Mannschaft.
EMS – Sanitär und Heizung, Elmar mag Sahnetorte, das nie endende
Spiel mit den Abkürzungen.
Die Stadt und ihre Liebe, vieles auf kleiner Fläche darzubieten, das
ratschige Geflatter des Taubenpaars in der Baumkrone, ihre Federn bei
jedem Anflug , bei jedem Sturzflug aneinander reibend, immer wieder
aufeinander zu- und voneinander wegfliegend.
Der den Kofferraum öffnende Mann, die aus dem Fenster schauende
Frau; blitzendes Lackschwarz, eine weiß wehende Bluse im
Fensterwind.
Der Start des Motors, das geduldige Warten auf die Möglichkeit, sich
in den dichten Autoverkehr der Straße einzuschleusen.
Eine mit den Fingern schnipsend und fröhlich-pfeifend passierende
Frau, die Stofftaschen leer und leicht um ihre Schulter gehängt,
beschwingt mit jedem Schritt immer ein Stück weiter vom Boden
abhebend.
Der jetzt einparkende Jeep, das Stadtdschungelauto mit zwei runden
Katzenaugen, 4 WD, four Wirklichkeitsdrang, für mehr Einfachheit im
Durchdringen des wilden Dickichts der Stadt.
»Ich weiß nicht, ob ich das nur Steffi erzählt habe … mit dem
Pulver« …; vorbeiziehende Dialoge zum Weiterträumen, die Immer-
Möglichkeit, sich eine Geschichte auf die eigene Weise weiterzuerzählen.
Die Klack-Klack-Geräusche von Absätzen feiner Herrenschuhe, dazu
klimpernde Schlüsselgeräusche, der hin – und her hüpfende
Schlüsselbund – befestigt an einer Außenseitertasche der braun-glatt-
gebügelten Stoffhose.
Die geöffnet weggeworfene leere Zigarettenschachtel, Davidoff Gold,
RAUCHEN VERURSACHT 9 VON 10 LUNGENKARZINOMEN,
EXCELLENCE IN EVERY DETAIL, die Widersprüchlichkeit der
Welt, GENEVE 1926. Der übergroß auf der Schachtel blank-nackte
Rücken eines Menschen mit einer den Hinterkörper durchtrennenden
roten Narbe, das Einstichgeschick des Operateurs in vollem Detail
zeigend; Abschreckung vs. Genuss; kein Genuss ohne Risiko; wer
genießt, lebt immer am Abgrund.
Das dringend in den Gulli fallen wollende Blatt einer Linde, zu groß
um klein beizugeben, um sich eindrücken zu lassen, von der
vorgegebenen Form des Untergrundes.
Ein im Fenster stehender Nikolaus mit Seitenblick zur Straße, die
Zeitrechnung der Anderen, der Rauschebart im gleichen gelblichen
Weiß wie die dahinter liegende Gardine.
Die klingelnde Frau, die wartende Frau, die noch einmal klingelnde
Frau, die sich mit dem ganzen Arm schon an der Tür abstützende
Frau; endlich das Erleichterung versprechende Aufsurren der Tür, der
Endlich-Einlass ins kühlende Dunkel des Flures.
Die Menschen und ihre vornehmlich runden Brillen mit Gold- oder
Silberfassung, »Arabia Germanwings«, عَرَبِيَّة جيرمان فينجس, ein
vorbeigehend telefonierender Mann mit wild in der Luft
gestikulierenden Händen.
Das Versprechen von Sonne und Strand der Automobilhersteller, SEAT IBIZA,
party in the city, daraus aussteigend ein schlaff-schöner
Jüngling mit schlurfendem, die Straße überquerendem Schritt.
Der grün-offene Schlund des übergroß grünen Mülleimers, füttere
mich und meine Seele wird gesund.
Der Schaukel-Sommerschritt vieler Schlappen und Sandalen tragender
Menschen, das Wiegende in ihrem Gang habend, in der Art und Weise
ihrer Bewegung.
EXPRESS-REINIGUNG, aufheulendes Martinshorn, Express-Hilfe,
über alle roten Ampeln fahrende Rettungswagen, express, express,
schnell, schnell!
721 – D‑TANNENHOF, GOTHAER WEG, das Versprechen der
Busse, gen Osten zu fahren, hin zu den so viel höheren Bäumen, keine
Tannen, nur Buchen dort.
Dicke Reifen, ein vorfahrender braun-glänzender Koloss an Auto mit
einer Riesenladefläche, T‑ROC, T‑Rex, Urwald in der Stadt, der
Rückfall ins Jura, Trias, Karbon, der sich sichern müssende Mensch,
die Gefahren des immerneuen Erdzeitalters auf sich nehmend.
Der Aufprall der Schlappen auf den Fußballen, Sommer-Klapp-Klapp-
Geräusche, luftig wehende Hosen, offen wehende Haare, Taschen
ohne Inhalt, Sommer ohne Gepäck.
Das nicht-ausgepackte Kaugummi; das weggeworfene Pflaster ohne
Blutspuren am Innen-Fleece-Stoff, die immergleiche Postfrau mit dem
prallgefüllten Wagen, Briefe, Pakete vor sich herschiebend, nie müde
werdend, immer freundlich.
EXTRA FÜR STUDENTEN. SICHERE DIR DIE GÜNSTIGEN TARIFE,
die imperativ-treue Stadt und das schlürfend-
vorbeischlurfende Kind mit Trinkpäckchen in der Hand, die feste
Stimme der Mutter, »Muss das sein?«
Ein vorbeiziehend plauderndes Frauenpaar, die Taschen des gleichen
Geschäftes in ihren Händen hin- und herschwingend, die
Sonnenbrillen locker auf ihre Kopfbedeckungen gesteckt.
Löwenzahn und der Zahn der Zeit, das sich in die graue
Motorradabdeckung hineingefressene Loch, die Spuren von Tauben
auf sich habend.
Ein vorbeitapsender, weißer sowie schwarzer Hund, geführt von einer
Frau mit festem Griff, zwei Leinen, zwei Hunde, »Schluss jetzt!«
Die auf dem Bürgersteig umherkrabbelnde Fliege, immer wieder kurz
aufsteigend und dann wieder gen Boden absinkend.
Ein Mann mit Hut, ein Huster, eine Frau mit Bierflasche in der Hand
und laut aus ihrer geöffneten Tasche tönender Musik, Sambarhythmen,
Trommelgeräusche, ihr Gehen: mehr ein Tanz als ein Schritt.
»Rufste mich an, wie lange es dauert« und dazu die wieder-
wiederholten Sommerschlappengeräusche.
In die Luft sprechende Menschen mit ihren irgendwo sitzenden
Freunden; Gespräche mit unsichtbaren Adressatinnen, »Fande ich das
jetzt nicht so unbedingt gut«.
Kinderarme, die locker aus den Fenstern vorbeifahrender Autos
hängen, die Offenheit des Sommers – gezeichnet in allen Ritzen, in
allen Fenstern, in allen Menschen.
Die mit Blütenstaub zugewehten Fugen des Kopfsteinpflasters, weiß-
gelb-braunes Füllmaterial auf Zeit. IHRE WERBUNG OFFLINE &
DIGITAL, aufsteigender Essensgeruch, Braten, Zwiebeln, irgendetwas
mit Fleisch.
Der Mann mit Hut und Husky, jetzt an einem Straßenpoller lehnend,
seinen Blick auf die Straße gerichtet, sein Mund die Bewegung von
Kaugummikauen machend.
Das Pink-weiß-violett eines Hubba-Bubba-Papiers auf dem
Bürgersteig als Hinweis der angebrochenen Kirschenzeit; der jetzt das
Haus betretende Installateur mit einem Strauß Abdichtungsrohren in
der Hand.
Die tief herunterhängende Flagge, der begrünte Balkon, der dünne
Fahnenstoff, schwebend über den drei grün-weißen Sonnenschirmen
des darunterliegenden Balkons, eine Fast-Berührung.
Die Vermischung aller Farben: grün, rot, weiß, schwarz, gelb, colours
of the world, united colours, der nie verschwindende Regenbogen;
schöne, wild-bunte Welt.
Ein Mann mit Strohhalm im Mund, Kaffee in der einen und Maske
und Zigarette in der anderen Hand, kurz darauf eine sich öffnende
Haustür; Sohlen, die über Schwellen schreiten.
Die Schraube, die eine bestimmte, bereits tief auf den
Fugenritzenboden gesunken; ein weiches Bett zwischen den
vertrockneten Buchenblättern und dem weiß-weichen Blütenschnee
der Weide gefunden habend.
Frauen und ihre Fahrradanhänger und ihre Last. Das Zerfließen der
Zeit unter Händen, die ständig etwas tragen – Kinder, Einkäufe, Essen,
Plastiktüten, Turnbeutel, Schultornister.
Die stehenbleibende, auf dem Handy tippende Frau, viele schnelle
Züge von ihrer Zigarette nehmend, als sei sie in Eile – überraschend
ihr jetzt wieder-beginnender Schritt – langsam, gemächlich.
Die Fahrradständer und ihre Aufgabe, Halt zu geben; eng an eng
gestelltes Blech, Dominanz der Farbe grau.
ERCIYES KULTURVEREIN und der im Eingang stehende,
freundlich lächelnde Herr. Das erwiderte Lächeln und das darauf
umgehend folgende Servieren eines köstlich-schwarzen Tees mit einer
Überanzahl an Zuckerwürfeln, »trinken Sie, trinken Sie.«
Ein im violetten Hemd passierender Mann, maskiert, zwei orangene
Plastiktüten in der Hand tragend und das ihm entgegenkommende
blaue Lastauto mit einem auf der Ladefläche stehendem
neongelben Kran, kein Blick zurück.
Das Weiterträumen des Gesehenen durch das Nicht-Gesehene, durch
das Nur-Erspürte und dazu die Fähigkeit der eigenen Straßenbelag-
Verlegung; heute: Mut zu den Lücken, Kopfstein; morgen wieder:
Asphalt.
Das Nachdenken über die Variation der Untergründe, jäh
durchbrochen durch plötzliches Aufhupen, ein zornig aus dem offenen
Fenster des Autos gestoßener Fluch Richtung Fußgänger; bis zum
Ende der Straße nachhallende Verwünschungen; »Du bist ja wohl
verrückt!«
Ein Mann, der ein Rad mit einem halb zerrissenen Anhänger neben
sich herschiebt, dazu eine schlaff aus dem Mundwinkel hängende
Zigarette. Ertönende Musik aus vorbeifahrenden Autofenstern, »tell
me what you want, what you really really want.«
Eine auf der gegenüberliegenden Seite beschwingt vorbeigehende,
laut-lachend-telefonierende Frau, Quietschgeräusche zwischen den
Lachern ausstoßend, glücklich dabei strahlend; Straßenglanz ohne
Gold.
Ein einparkender Silberkombi, daraus aussteigend ein ebenfalls
silbriger Mann, schnell noch einen Zug von seiner Zigarette nehmend
und diese dann wegwerfend.
Der nicht in den Gulli fallen wollende Glimmstängel, beharrlich
ruhend auf dem dunkelbraunen Rost des Gullis, einsam in die Luft
aufsteigender Qualm, Rauchzeichen ohne Empfangende.
8387, 722, vorbeiziehende Zahlen wie Menschen, wie Autos; ein sich
schon beim Einparken aufklappendes Auto, daraus aufsteigend ein
rasanter Rap; Wörter, wie Zahlen wie Menschen, »hier draußen ist es
kalt, so voller Gewalt«.
Mutter und Tochter, flanierend, die Mutter mit brauner Jacke und
schwarzem T‑Shirt; die Tochter eingehüllt in ein zartes Rosa.
Die Felgen des eingeparkten Sportwagens, weißgrau glitzernd,
Sommereiskristalle, aufklimpernde Schlüssel unter dem sich ständig
wiederholende Rap-Refrain, »hier draußen ist es kalt, so voller
Gewalt«.
Ein vor dem Sportwagen stehenbleibender Passant mit grau-weißem
Achsel-Shirt, auf dem eine Freiheitsstatue abgebildet ist, sein Kopf im
Takt des Raps auf- und abwippend, DESTINATION AMERICA.
Ein schwarzgekleidet vorbeizischender Mann, kerzengerade auf dem
E‑Roller stehend, sich schnell in der Ferne verlierend, auflösend am
Straßenhorizont.
Der Sommer und seine Schlapp-Schlapp-Geräusche, Sandalen
unterschiedlichster Couleur, »hallo Anne, na wie isset?« … »Hört sich
ja gar nicht gut an, wenn du so sagst, so lala.«
Eine weggeworfene Caprisonne, eine braune Calippo-Eishülle, eine
Großraumplastikverpackung; daneben ein abgebrochener Ast mit
Schneckenschleimspuren; ein Stadt-Müll-Stillleben ohne Natur, ohne
Tier.
Speichenklackergeräusche, ein geschobenes Fahrrad und daneben
zwei Rucksackmänner, fröhlich miteinander plaudernd, die schwarzen
Stoffbehältnisse derselben Marke in gleicher Höhe auf dem Rücken
tragend.
Ein freundlich-freudiges Tagesmuttertrio mit einer fröhlich, in
Großwagen sitzenden Kinderschar; das plötzliche Angeschaut-Werden
von zwölf großen Augenpaaren, »was macht die da?«
Die Erteilung des eigenen Namens durch andere; erzähl mir was und
ich sag dir, wer du bist; »bist du Friederike?« – »Friederike
Mayröcker?« – »Ja, genau.«
Ein Bibliophiler, ein Gongmeister, ein Kind und das Sich-Verlieren in
Sprache und Schrift. Das wachsende Vertrauen in die Fremden und in
die Immer-Möglichkeit von Begegnungen mit Tiefe, mit Untergrund.
Hier stehe ich und habe festen Boden.
Zwei sich nähernde Frauen mit drei gelben Pizzakartons und das
albanische Sprichwort, das den Kosovo mit Albanien verbindet:
»Xamadani vija vija është Kosova është Shqipëria SD.«
Ein mitten auf dem Fahrradweg stehenbleibender Musiklehrer und das
Versprechen auf baldigen Bossa Nova, »vielen Dank«, »muito
obrigado.«
Die auf dem Gehsteig trippelnde Taube und der Kontrast ihrer roten
Krallen auf dem grauen Asphalt. Die Ankunft zweier weiterer Tauben
und ihr flattriger Landeflug; sich in Fugenritzen bohrende Schnäbel,
Mittagszeit.
Zwei auf dem Fahrradweg liegende Kabelbinder, wie zwei
Kleinstschlangen zu Kreisen zusammengerollt und die dahinter
liegende Kaffeeoase mit blinkenden Lichtern und rot ausgezogener
Markise, CANDELA – CAFÉ – BAR – LOUNGE.
BIST DU BEREIT? TICKET YOUNG PLUS. Ein vorbeiziehender
Bus, dicht gefolgt von einem LKW mit dem Abbild einer in der
Badewanne liegenden Frau, ELEMENTS: DER WEG ZU DEINEM
NEUEN BAD.
Das vertrocknete Buchenblatt auf dem Asphalt und das farblich
passend vorbeiziehende Lastauto, STARCAR, gelbe Schrift auf grau-
weißem Untergrund.
VERKAUF VON GEBRAUCHTWAREN, ANNAHME VON
MÖBELSPENDEN, HAUSHALTSAUFLÖSUNGEN; auch: Die
langsame Auflösung des Ahorn-Samenkorns, seinen Flügel gen
Himmel gestreckt, hoffnungslose Bodensuche.
»Im oberen Rückenbereich, das finde ich nicht so schlimm«,
vorbeiziehend-fachsimpelnde Männer über Körperbau, Knochen und
den allgemeinen Zusammenhang von allem.
Ein Mann mit langen, zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren
und fünf Plastiktüten Müll. Aufklappernde Tonnen; Säcke, die auf
andere Säcke treffen.
Frauen und ihre nach unten gerichteten Blicke; vor allem dann, wenn
sie als solche erkannt werden.
Eine Frau mit Hut und darüber ein Fenster voller Pflanzen; kurz
darauf ein Mann voller Last; sein Körper, verborgen inmitten des
Geschleppten, ein Ventilator, eine Klopapierpackung, zwei Sitzkissen
und vier bunt-raschelnde Plastiktüten.
Der Antrieb der Menschen, wenn sie Radfahren; geschäftig-
energisches Treten, klimpernde Speichen, immer wieder durchbrochen
vom Rauschen der Autos.
Die Jugend und ihre Zerrissenheit an den Knien, heraushängende
Bänder und Fetzen von überall, tanzend im Wind der Gehschritte;
aufklaffende Löcher, vornehmlich im Kniebereich.
Klimpernde Schlüssel und Uhren, die über Handys streifen, Metall auf
Glas; Frauen, die Kinderwagen schieben und Parfümwolken hinter
sich herziehen, paradise now.
Zwei sich putzende, im gegenüber liegenden Fenster sitzende Katzen,
Zunge an Fell, an Kopf, an Haut und darunter auf dem Gehsteig der
sich freundlich bückende Mann; der, der aufhebt, was anderen hinfällt.
WHAT IS PASSION, IF YOU CAN´T SHARE IT?, das Spiel der
Werbung mit den Leidenschaften, den Echtzeitgefühlen; das
Versprechen von Intensität durch den Kauf dieses einen bestimmten
Produktes.
Ein Mann, ein Stock, ein paar Tauben, dicht gefolgt von einem
Kinderwagen, geschoben von einer Mutter mit wehend-schwarzem
Haar.
Die auf dem Stromkasten abgelegte und vergessene, blau gefüllte
Plastiktüte mit Kleidung; die aus der Tasche aufsteigende Geschichte;
überquellend vor Material, vor Stoff.
Drei Frauen und ein sich im Fahrradfahren übendes Kind;
Mütterengelhände, die den Kinderrücken stützen, die den Fall
verhindern wollen, den Sturz, den Schrei.
Die sich öffnende, in der Sonne glänzende Balkontür, für einen
Moment die Straße in ein Bewegt-Bild verwandelnd, sich ständig
öffnend und dann wieder verschließend.
Ein maskierter Mann, zwei EDEKA-Taschen tragend, die Ware
wohlverteilt, Gleichgewicht trotz Gewicht.
Ein rot gezogener Kreis aus Metall als Schild, mit blauer Farbe gefüllt
und von einem roten Strich in der Mitte durchkreuzt, PARKEN
VERBOTEN, AUF DEM SEITENSTREIFEN, MO-FR, 8–18:00
UHR.
Ein leise einfahrender E‑Roller, darauf ein Mann mit Hawaihemd und
schwarzem Rucksack. Der fliegende Abstieg mit einer Direkt-
Landung vor der gewünschten Tür; das darauf folgende Studium des
Klingelschildes und die Hoffnung auf das Finden des richtigen
Namens, Erlösung nur durch das Surren, endlich.
Das grellgrüne Neonlicht des am Straßenrand geparkten E‑Rollers;
Blinkzeichen von sich gebend, zur Fahrt einladend; steig auf, steig
auf!
Die auf dem Asphalt liegende Schale eines Sonnenblumenkerns und
eine darüber krabbelnde Ameise, weiß-schwarze Höhen und Tiefen
erklimmend, mutig sich dem Tal der Fugenritze stellend.
Ein Mann, eine Krücke und seine Kunst, mit ihr auf ein Fahrrad zu
steigen und dieses zu fahren. Sichere Handgriffe und das Vertrauen
auf den eigenen Antrieb, das Geschick, die Mühe.
Die hellrot aufglühenden Zigarettenenden der vor ERCIYES
KULTURVEREIN stehenden Männer, Schulter an Schulter, fast
einander berührend, mit auf die Straße gerichtetem Blick.
Ein mitten auf der Fahrbahn stehenbleibendes Taxi mit orange-
zuckendem Warnblinklicht und ein sich nähernder Bus. Zwei über die
Straße huschende Fußgänger; Unsichtbare, eingetaucht ins
Abenddunkel.
Die Fahrradtretquietschgeräusche einer vorbeifahrenden Frau mit
langem blonden Haar und dunkelgelb-weißem Kleid und ihr viel zu
grell, rot-aufleuchtendes Rücklicht; für einen Moment die Welt in eine
Warnung verwandelnd, vorsicht!
Ein schwarzgekleideter, aus einem Ladenlokal tretender Mann,
gähnend ins Abendlicht torkelnd, in seiner Hosentasche klimpernde
Schlüssel; sein Gesicht, zielgerichtet, geradeaus Richtung Feierabend.
Das zarte Abendzwitschern der vom Tag übrig gebliebenen Vögel,
immer wieder jäh durchbrochen durch das Aufrauschen eines neu
vorbeifahrenden Autos.
Aufläutende Kirchenglocken mit einer überschaubaren Frequenz an
Anschlägen und das sich in das zum Gebet aufrufende Geläut
hineinmischende Martinshorn.
Zwei Vorbeiradelnde, ein Mann, dichtgefolgt von einer Frau, »ganz
komisch«, sagt die Frau, »wenn du nur rollst und nicht trittst, dann ist
Ruhe, oder?«, fragt der Mann.
»Ich habe gesagt, lutsch meine … und nicht meinen … ‚« die hin und
her wackelnde Frau mit einer Zimmerpflanze im Arm; daneben der
schwer mit Einkaufstaschen behängte Mann, mit dem Kopf nickend,
die Schultern zuckend.
Ein Mann, ein Wort, »Nabend,« und der Einmalblick von oben nach
unten, vom Scheitel bis zu den Füßen und umgekehrt, »schönen
Abend noch«.
Die Zunahme händchenhaltender Paare bei fortschreitender
Dunkelheit, zwei passierende Männer, »let´s do it now, now!«
Ein auf den Gehsteig tretender Herr mit grauem Haar und braunem T-
Shirt, eine Taschenlampe in der Hand haltend, auf- und abgehend, die
Straße nach etwas absuchend, tanzende Lichtkegel auf dunklem
Asphalt.
N20, MEDIKA und das von den groß-grünen Bussen ausgehende
Versprechen von Ferne, von Ausbruch; FLIXBUS, steig ein und ich
zeig dir die Welt.
Hellerleuchtet-vorbeischlurfende Bildschirmjugendliche und das
Sichtbarmachen von Allem für den Moment der absoluten Helligkeit
in den Gesichtern, kein Weg zurück.
»Brauchst du Hilfe?« – »Nein, danke, ich schreibe.« – »Oh, gut, ciao.«
Ein verlassener Stapel Zeitungen auf der Schwelle eines
Mehrfamilienhauses, 75 JAHRE NRZ – WIR FEIERN DAS LESEN!
Darauf abgebildet: Drei lesende Frauen in einem Strandkorb und ein
von der Seite hineinschauender Mann, Hahn ohne Korb.
Ein Türspalt, ein hellerleuchteter Raum und darin sitzend ein Mann;
das Gesicht, ledrig-braun, sonnengegerbt, in der Hand Spielkarten.
Zischelgeräusche Flüsternder von irgendwo, die Nacht und ihre
Geheimnisse, noch immer zartes Vogelzwitschern.
Ein vorbeischlenderndes Frauenpaar, beide mit bauchfreien Tops,
»Katharina hat geschrieben, Kerstin ist zu Hause.« – »Nice«, summer
on the bodies of the city.
VERKEHRSAUFSICHT, ein grau-passierender Van, mit Blaulicht,
aber nicht blinkend; vorsicht, ich kann euch einfärben, wenn ich will.
Ein orange Plastikuniformierter mit dickem Rucksack und Helm,
vorbeiflitzend auf einem schwarzen Mountainbike und sein fataler
Blick zurück und der Laternenpfahl, ein Fast-Zusammenstoß.
Die Flimmerfernsehbilder in den Fenstern und die auffallende
Wiederkehr der Farbe Hellgrün, überall Fieber, überall
Europameisterschaft.
Sommer-Schlapp-Schlapp-Geräusche und weiße, im Nachtwind
wehende Kleider; dazu Masken, die vermehrt in Armbeugen
klemmen, Flugobjekte bestimmbarer Art.
Das Geheimnisvolle von Lamellenrollos in der Nacht und ihre
eingeschränkte, durch viele kleine Streifen durchbrochene Sicht; die
Verlockung der schmalen Lichtschlitze und der aufsteigende Wunsch
der Ergründung des Dahinter.
Einer, der den Tod überlebt hat, und der Bericht von der Errichtung
einer Gebetstätte zur Ehrung des Retters, des ihm heilig Gewordenen;
»kommen Sie einfach vorbei, alle sind willkommen!«
Ein Motorroller, darauf ein Mann mit Helm und Fliegerbrille. Fest
zusammengepresste Lippen und ein starr nach vorne gerichteter Blick,
ZENTRUM, HAUPTBAHNHOF.
Ein rauchender Mann mit Bart, langsam über den Gehsteig
schlendernd, an der einen Seite viele Papiertaschen und ein Kind, in
der anderen Hand eine rot-weiße COCA-COLA-Dose.
Eine mitten auf dem Asphalt liegende Schraube neben einem platt
getretenen Zigarettenstummel, ein ungleiches Paar, sie: Hart und fest,
er: Weich und aufgelöst.
Der feine Kieselsand an der Seite des Gehsteigs, über die Fugen
Mini-Geröll und die zarten Klack-Klack-Töne eines
vorbeistacksenden Stöckelschuhpaars.
Die Quietsch-Quietsch-Geräusche eines zwei Wasser-Sixpacks
tragenden Mannes; die feine Reibung des harten Flaschenplastiks
an seiner weichen Umhüllung.
Ein Mann, eine Frau, händchenhaltend und ein ihnen dicht folgender
Mann mit schnellem Schritt und weiß-wehendem Haar, Freund und
Liebhaber in einer Person – sein Schritt bleibt unsicher.
Die abgeändert geformte Natur, das Blatt als Form, als
Ausgangspunkt, als Schreibunterlage.
SONNENSCHEIN und das in dem Namen vielversprechend
Liegende, ein Transporter ist kein Transporter, ein Transporter ist
SONNENSCHEIN.
Ein Mann, ein Schirm und das Hin- und Herschwingen des Stiels von
vorne nach hinten, ein Zusatzarm, bei Niederschlag ausklappbar.
Gelbe Schuhe, gelbe Jacke und ein mit dem Henkel zum Boden
gedrehter Schirm; die herrschende allgemeine Erwartung von Regen,
von Regung – noch ist der Himmel blau.
DHL, das heißt Leben, das immer wiederkehrende Spiel mit den
Abkürzungen; ein energisch Vorbeiradelnder mit kurz-blondem Haar,
»ich zieh das jetzt ab nächste Woche durch«.
AK, alles komisch, HAUSMEISTERSERVICE, BODENLEGER,
ABBRUCHARBEITEN. Ein E‑Roller, der ein Rad überholen will, ein
Drängler mit Sonnenbrille, ein Geduldiger mit Drahtesel, ein
glückliches Ende.
Ein Mann mit rosa Kapuze, sein Gesicht im zarten Pastell
verschwindend, darüber eine Militärjacke. Stilbrüche nicht nur bei den
Pflanzen, abgemähte Ähren neben Plastiktüten, keine Stadt ohne Müll.
Eine den Mann beim Einparken helfende Frau, winkende Hände, »Es
gibt genug Platz, genug, genug!«, Fimassafa, bes bes!«,
في مسافة بس بس und eine kurz darauf aussteigende Kinderschar.
Ein vorbeischlendernd-maskiertes Mädchen-Trio, alle schwarz
gekleidet, alle schwarz-lang-wehendes Haar, »Bruder, nur weil du den
Parkplatz nicht gekriegt hast.« – »Ich habe einmal gesehen, wie der
eingeparkt hat.« – »Ey, Bruder, hör auf mit dem Gehupe.«
Ein in die Luft sprechender, vorbeisausender Mann auf einem E-
Roller, mit dem Himmel sprechend, dem unsichtbaren
Gesprächspartner seinen Ort und seine Ankunftszeit mitteilend, »in
zwei Minuten bin ich da.«
Die vor Papier überquellende blaue Tonne und das am Laternenpfahl
lehnende Fahrrad, wartend auf Abfuhr, auf Abfahrt.
722, D‑ELLER, VENNHAUSER ALLEE, die Busse und ihr
Versprechen von Ankunft an einem Ziel, das einen Namen hat.
»Schneller, schneller«, »bystree, bystree«, Быстрее, быстрее; ein
Mädchen, das sich die pinke Jacke zuzieht und eine stehengebliebene
Mutter, die den Bewegungsablauf überprüft.
Der zum Abend gewordene Himmel, darin aufsteigend ein Schwarm
grüner Papageien, schimmernde Smaragdfedern, tropische Schreie
ausstoßend, paradise now.
Drei streitende Männer, wild gestikulierend, jung gegen alt, einer
gegen zwei; wer am lautesten schreit, gewinnt; Finger, die
Wanderschaft eines Zeigefingers Richtung Gesicht.
Ein Mann mit Plastiktüte, darin drei Joghurtbecher, rot-lila-weiß; und
der wiederauftauchende Papageienschwarm; der Stadt das fehlende
Grün zurückschenkend.
Der unbesetzte Holzstuhl auf dem Balkon vis à vis in der zweiten
Etage und der auf dem Nebenbalkon sitzende, in die Straßenferne
schauende Porzellanrabe.
Die flattrige Landung der Taube im knisternden Blätterwerk des
meterhohen Baums, GLS, ganz leise suchend, das Spiel mit den
Abkürzungen, immer wieder aufs Neue.
Der sich jetzt herunterlassende Rolladen, grau-weiß, die
hausgemachte Dunkelheit, hinter den Gardinen zucken die
Flimmerbilder.
Der mit einem grellgrünen T‑Shirt und Hut passierende Mann, die
gelbe NETTO-Tüte mit den Klimperflaschen fest im Griff – dicht
gefolgt von einer schönen Großen mit langem Haar und wehendem
Rock.
Eine Frau, ein Auto, ein roter Hut und der kurze Blick zurück,
nachdem das Auto abgeschlossen wurde, klack-klack-Geräusche
hinter sich herziehend.
NIE MEHR RADLOS, sich vorbeitrampelnde Reklame, NEXT BIKE
und darauf sitzend eine auf dem Handy tippende Frau.
Zwei Frauen, drei Taschen, glitzernde Steinchen auf schwarzen Acryl-
Shirts, »mein Bruder, Alter, der hatte das geschrieben«, – »ey, ich geb
gar keinem mehr meine Nummer«, und kurz darauf zwei
vorbeistrauchelnde in schwarz Gekleidete, keine Taschen tragend.
Ein vom Himmel gefallener Kurdisch-Lehrer; »hallo« heißt »rojbaş”,
»wie gehts dir” heißt »tu çawa ye” und »gut« heißt »delal”.
Der Immer-Tee-Ausschenkende aus ERCIYES KULTURVEREIN,
freundlich winkend; »ich habe dir ein extra großes Glas Tee
eingeschenkt«. »Sehr schön, sehr schön – cok güzel, cok güzel,
»dankeschön« – tesekür ederim, »tesekür ederim, tesekür ederim.«
Ein zukünftiges Liebespaar und ihre gemeinsame Liebe zu Hunden;
darauf folgende Gespräche über Kinder, die Kunst und das Leben; im
Zweifel für den Zweifel.
Die Diskussion über die Frage nach dem besseren Ertragen der
eigenen Kinderlosigkeit oder dem Kontaktabbruch zu den
existierenden Kindern, »du hast die Kraft zweier Herzen!«
Die Nacht und ihre mit der Dunkelheit aufsteigende Müdigkeit, die
nie endende Arbeit; die Straße – nie still, sich ständig neu erzählend.
WIE JEMANDEM DEINE LIEBE GESTEHEN? GOOGLE: JEDE
SUCHE BRINGT DICH WEITER, die Vielfalt in der Einfalt der
Werbebotschaften, diversity everywhere.
Ein Herr mit rotem Poloshirt, goldgerahmter Brille, Zigarette und
Schlappen; mehr Rauch als Geräusche machend.
Die neue Müllansammlung vor dem abgedeckten Motorrad: Eine
Maske, ein durchsichtiger Plastikbecher mit unten eingetrockneter
Flüssigkeit, ein orangenes Feuerzeug, eine weiße Eisverpackung mit
roten Herzen, eine Handvoll grüner Kronkorken und dazwischen der
Wille des Löwenzahns, sich in all dem Plastik Platz zu verschaffen.
Ein anhaltender gelber Großraumtransporter, orange blinkendes
Warnlicht, der schwer mit Paketen beladene Mann, DHL, das heißt
Leben.
Eine Frau, zwei Krücken und eine mit dem Schuh ausgetretene
Zigarette; glühende, auf den grauen Asphalt fallende Glimmerpartikel,
Glut ohne Feuer.
Ein wartendes Fahrrad mit der Nummer 31878 und sein leicht zum
Radweg gedrehter Lenker, die Einladung zum Aufstieg, BARCODE-
SCAN HIER.
Ein Mann, ein Rennrad, ein galanter Abstieg mit nach hinten
durchgestrecktem Bein; kaugummiblasenzerplatzende Klack-Klack-
Geräusche machend, nach seinen Schlüsseln im Turnbeutel kramend,
eine Ewig-Suche.
Ein seinen Schleim durch den Rachen Befördernder mit neongelber
Warnweste und das umgehende Klatsch!-Geräusch des übergroßen
weiß-schaumigen Speichelklumpens auf dem grauen Asphalt.
POLIZEI, ORDNUNGSAMT, eine Reihe an weiß-blau-neongelb
passierenden Autos, nach geradeaus gerichtete Einheitsblicke, von
uniformierten Körpern ausgehend.
Eine über die Straße wehende Plastikverpackung, sich vom Wind der
Fahrzeuge hin- und hertreiben lassend, ewiges Spiel mit der heißen
Luft der Rasenden.
Der wieder vorfahrende, neugrau-glänzende Audi des Besitzers vom
Ladenlokal nebenan; eine Überanzahl schwarz herausragender Rohre
aus dem Hinterteil des Autos; dazu schwarze, feingliedrige Felgen,
fingerzart.
Eine blaue, plattgetretene Plastikschale zum Erdbeertransport und die
vielen passierenden Firmenautos, DIE KOMPETENTE
OBJEKTBETREUUNG, REINHARDT-DIENSTLEISTUNGEN.
Das nie versiegende Tee-Angebot von ERCIYES KULTURVEREIN,
die süß-braune Flüssigkeit und die nicht-erzählte Geschichte von
Heimat und Erinnerung.
»Ist noch alles sauber, desinfiziert«, ein Mann, eine Frau und zwei
Einkaufstaschen und das Ewigthema um die Hygiene; nach der Welle
ist vor der Welle, nach delta ist vor epsilon und so weiter.
»Ok, Schatz, bis gleisch, Tschö«, eine passierende Frau mit zur Seite
geknicktem Kopf, das Handy zwischen hochgezogener Schulter und
Ohr eingeklemmt, kleine Schlurf-Taps-Taps-Schritte machend; langes,
zu einem Zopf zusammengebundenes, schwarzes Haar.
722, MESSE, STADTHALLE, die immerfahrenden Busse und ihre
Insassen mit stets nach unten geneigtem Blick zum Bildschirm, ein
Einzelherausschauender, träumend; sein Blick leer.
Die zum Abholen bereit stehende Mutter vor dem BABY BELL-
Kinderbetreuungsfenster, das schnell noch Hin- und Hersenden von
Nachrichten vor der Rückgabe des Zöglings, letzte Ruhe vor dem
Sturm.
Der sich immer weiter nach unten neigende Winkel des Kellerrostes
auf dem Gehsteig, eine Fast-Falle, ein falscher Tritt und der sich jetzt
seinem baldigen Absturz nähernde Mann.
Eine Frau mit langen, pinken Haaren, lila T‑Shirt und rosa Schlappen,
viele Fußkettchen um das Gelenk herum baumeln habend; Herzchen,
Sterne, Kreise; heile, schöne, ihr zu Füßen liegende Welt.
»Letzte Woche ist sie wiedergekommen«, zwei über den Urlaub
plaudernde Freundinnen mit runden, dünn-goldenen Brillengestellen
und Einkaufstüten des gleichen Modehauses, sich einander fröhlich
mit Nickgesten bestätigend, immer wieder auflachend.
Der Beginn des zarten Geläuts der Kirche, übertönt vom
Vorbeirauschen eines Busses, Sonntagmorgen, acht Uhr.
Die vielen, klein gelben Blätter, nass und plattgedrückt auf dem
Gehsteig liegend, ebenso die Taubenfeder mit grauem Kiel, zur Spitze
hin immer dunkler werdend.
Drei, tief über die Straße fliegende, grün-schimmernde Papageien, ein
die Luft durchschneidendes Trio, alle Jetzt-noch-Schlafenden mit
ihren grellen Schreien weckend.
Der umgekippte Kaffeebecher und das Herauslaufen der
dunkelbraunen Flüssigkeit auf den Gehsteig, die sommertrockenen
Fugenritzenbette mit Koffein durchspülend, den harten Stein von
innen weich werden lassend.
Der Wechsel der Tinte und das Herauspressen des letzten Rots, black
swans in roses; das dankende Einsaugen der Farbe seitens des grauen
Asphaltsteins.
Das Aufdröhnen des sich annähernden Busses, dunkelgetönte
Scheiben, darin Halbschlafende, mit an der Scheibe auf- und
abgelegten Köpfen.
APOLLONIA, ZAHNKLINLIK FÜR ZAHNHEILKUNDE und das
lange noch nachscheinende Weiß der Buswerbung. Die alle mit
offenen Mündern lächelnden Mitarbeitenden der Zahnklinik; der
Horizont jetzt allweiß, IHR WEG ZU EINEM SCHÖNEN
LÄCHELN.
Die Tauben und ihre jetzt hörbaren Gurr-Gurr-Geräusche, im nassen
Grün der feuchten Baumkronen turnend; sich aneinanderreibende
Federn, Astlandeanflüge und beginnendes Gezanke ohne Grund.
Eine Frau, ein schneller Schritt, ein sich hin- und herschwingender To-
Go-Becher und lange, braune Haare, die zu einem strengen Zopf nach
hinten zusammengebunden sind.
Autos und die Unterschiedlichkeit ihrer Geräusche, der weiße Große:
laut aufbrausend; der schlanke Schwarze: leise gleitend; mit Reifen,
die fast nicht die Fahrbahn berühren.
Der sich von der Zigarette abgesonderte Filter; weiß vom Regen
aufgequollene Watte, neben einem Blattskelett liegend und in der
Fugenritze einen Platz finden wollend, nie endende Suche nach
Ankunft.
Die anfahrende Bahn in der Ferne und das erste ausgestoßene
Anfangssirren der Stromleitungen zu Kopf, einen Hauch von
Aufbruch, von Aufbrechen auf alle Hörenden übertragend.
Die grellrot aufleuchtende Ampel in der linken Ferne, davor das
Kioskrot und die Telefonnummer vom Pizzamann und die all dieser
Farbe innewohnenden Imperative: Vorsicht! Halt! Ruf mich an!
Komm rein!
Ein passierender Fußgänger mit dunkelblauer Strickjacke, tiefe
Summtöne ausstoßend. Die eine von ihm in einen Plastikhandschuh
gehüllte Hand und die jetzt um die Straßenecke knickende Joggerin,
blank-gebräunte Beine, ihr T‑Shirt in einem hellen Sommergelb.
Eine in der Kirchstraße etwas auswürgend und ausspeiende Frau,
mehrere aufhustende Versuche unternehmend, das Mageninnerste
nach draußen auf die Straße zu befördern.
Die nie endende Aufnahmebereitschaft des Steins und der auf ihn
einprasselnden Flüssigkeiten, zäher Spuckschleim, Kaffee, Regen,
Tinte.
Das Unwetter der letzten Nacht und die Jetzt-Regung der vielen Vögel
in den Baumkronen, sich einander Botschaften übermittelnd, nie
endende Kommunikationsbereitschaft, ein Immer-Tschilpen.
Die weißen Sprenkel des Acrylstifts auf dem Rostbraun des
Gullideckels und die sich mit mir verändernde Umgebung; der Würfel
ist gefallen, alea iacta est, ich schreibe.
Das Klimpern der Schlüssel der Jetzt-Passierenden und das Klackern
der harten Sohlen auf dem Asphalt; das Haar in der gleichen Farbe wie
das in der Hand gehaltene Portemonnaie.
Osman, عثمان, Youssef, يوسف, Fayz, فايز, Dhahir, ظــاهــر und all die sie
umgebenden Geschichten, die ganze Bücher füllen könnten;
wunderbare Menschen, immer freundlich, immer hilfsbereit.
Der singende Fahrradfahrer und seine zu einem grauen Zopf
zusammengebundenen Haare, langsam strampelnd, eine dunkelgraue
Plastikbox auf seinem Sattel transportierend.
Der mit einem Mal grau gewordene Himmel, die Straße in eine
allheitliche Trübung getaucht, mein Wechselsommer in Oberbilk, bunt
und grau zugleich.
Die Integration aller Witterungsverhältnisse der Straße und der
Versuch, das Immervorbeiziehende für einen Augenblick zu halten,
aufzubewahren; kleine Wunderkammer der Momente, der Ewigkeiten;
hier stelle ich sie Euch zur Verfügung, hier sitze ich noch immer
schreibend und schauend.
© Bilder 1, 3 und 4 und Texte Vera Vorneweg – Bild 2 © Marina.Kiga
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Der Text ist ein Versuch, einen bestimmten Punkt in der Stadt durch die Aneinanderreihung von Momentaufnahmen zu porträtieren. Alles Beschriebene hat sich an einem Ort ereignet und ist im Zeitraum von sechs Wochen entstanden (Juni/Juli 2021). Der Text wurde genau an dem Ort, den er beschreibt, veröffentlicht und auf den Rolladenkasten einer stillgelegten Kneipe aufgetragen. Die Autorin dankt dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit sowie Sliman Abbouchi für die Hilfestellung bei der Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche und Dr. Jochen Lechner für das gewissenhafte Lektorat. -
V. V.