Da ist es also wieder: Dieses Entsetzen der literarischen Welt, dass sich ihnen etwas anderes zeigt, als sie es in ihrer Villa Kunterbunt für möglich gehalten hätte. Der Schriftsteller Oskar Pastior war von 1961 bis 1968 Mitarbeiter des rumänischen Geheimdienstes Securitate. Noch weiss niemand genau, was er dort getan hat. Es steht aber zu befürchten, dass diese sogenannte Aufarbeitung noch hunderten von Bäumen das Leben kosten wird. Keine Nuance wird nicht ausgebreitet werden. Schon jetzt bekunden alle ihre »Betroffenheit«. Wer das nicht bei Drei pflichtschuldigst abgeliefert hat, droht Amelie-Fried-mässig boykottiert zu werden (wobei das ja eher Ehre als Pein ist). Besonders »betroffen« ist natürlich Herta Nobelpreisträgerin Müller, die mit Pastior an ihrem Buch »Atemschaukel« bis zu dessen Tod gearbeitet hatte. Da war der Securitate-Dienst schon mehr als 40 Jahre vorbei.
Pastior war 1968 im Westen geblieben. Als reiche dies nicht. Als genüge dieses selbstgewählte Exil nicht als Beleg für die Verzweiflung. Als würde diese von Pastior vermutlich aus Scham verschwiegene Mitarbeit irgendetwas fundamental ändern.
Ändern wird sich nur bei denjenigen etwas, die Intellektuelle im allgemeinen und Schriftsteller im besonderen für per se besonders hehre Menschen halten. Oft ist das Gegenteil der Fall und hieraus erst entsteht so etwas wie Literatur. Für jemand der Autor und Werk nicht trennen kann bzw. den Lebenslauf des Autors erst benötigt um dessen Werk lesen (und einordnen) zu können, bedeutet eine solche Verschwiegenheit natürlich ein Sakrileg. Im »Fall« Pastior fragen sie sich, was ihre Elogen jetzt wert sind. (Vermutlich nichts, aber das hat nichts mit der neuen Erkenntnis zu tun.) Sie fühlen sich betrogen. Ihre ekelhafte Betroffenheitsgymnastik ist in Wirklichkeit nur gekränkte Eitelkeit. Es geht ihnen zumeist nicht um die Sache, sondern nur um ihre eigene Wahrnehmung. Statt Pastiors Werk hieraus besser oder einfach nur anders verstehen zu wollen, schauen sie nur auf sich und die Ergebnisse des Aktenstudiums. Statt ihre literaturkritischen Kriterien zu überprüfen, lassen sie lieber ihre Wut und ihren Zorn am Objekt ihres Scheiterns aus.
Hinzu kommt, dass der Diskurs weitgehend von Leuten geführt werden wird, die Pastiors Situation nie auch nur annäherungsweise am eigenen Leib haben miterleben müssen. Er wird geführt von Wohlstandskindern, die nie mit existentiellen Fragen ihres Lebens konfrontiert wurden. Stattdessen bestimmte die Frage »Beatles oder Stones?« mehr oder weniger ihre Jugend. Sie sind die heutigen »Richter« und maßen sich ein Urteil über Vorgänge an, die ihren Erlebnishorizont überfordern. Sie, die eine 17jährige mit ihren Häppchen aus Abgeschriebenem und Aufgeschnapptem als literarische Sensation feiern. Sie, die den sterilen und sauberen Autor haben wollen und damit das Risiko potenzieren, eine ebenso sterile Literatur zu erhalten.
Der Gipfel der Heuchelei ist der Satz: »Gut, dass er tot ist und seine Enttarnung nicht mehr erleben musste«. Er ist in seiner Erbärmlichkeit Beispiel für einen von Hybris zerfressenen Betrieb. Alleine schon für das Wort »Enttarnung« müssten ihre Urheber mit lebenslänglicher Ignoranz bestraft werden.
Ja.
Der »freie« Westen hat keine besseren Journalisten aus seinen Wohlstandskindern gemacht, sondern heuchlerische, käufliche, arrogante Wiederkäuer der immergleichen Kotzbrockensuppe.
Ja.
Der Unterschied
Es bleibt trotzdem ein Unterschied. Es bleibt die Fallhöhe zum „wesentlichen“ Verrat (um Maurice Blanchot zu paraphrasieren, der wohl selber seit seiner „dunklen“ Vergangenheit viel darüber wusste).
Und es bleibt der Unterschied zu denjenigen, die sich gegen alle Angst und fälligen Schmerz nicht zur Unterschrift haben pressen lassen. (Ja, etwa Herta Müller, aus deren Texten sich das Erlittene unentwegt artikulieren muss und doch nicht weggeht, und der man das unentwegt zu verarbeiten wohl auch gestatten muss, obwohl wenn Unwillige das eben schon als zuviel Unentwegtheit empfinden.)
Der nicht aufzugebende Unterschied bleibt in diesem Verschwiegen selbst, er steckt (er bleibt stecken) in den meisten anderen, die es eben nicht über sich bringen, sich damit hinzustellen. (Aber warum auch vor zugegebenermaßen 95% Ignoranten, denen man sämtliche Griffel aus der Hand schlagen müsste, damit sie besser schwiegen – es muss, es wird ja doch weitergeredet werden.)
Tatsächlich ändert sich mit und auch gegenüber Pastior (und seinem Werk) wohl gar nichts. Aber mit dieser Fallhöhe – und eben auch heraus dem langen Respekt gegenüber einem wie Pastior – wird vielleicht ein paar anderen mehr trotzdem klarer, wie erpressbar sie selber gewesen wären. (Und wie sie es anderswie heute, in dem ernsthaft trotzdem nicht vergleichbaren „Betrieb“, eben eigentlich sind. Ein bisschen so sah es etwa Heiner Müller.)
Dass die eigene Rechtschaffenheit ungeprüft wenig taugt, müsste eigentlich jeder wohl schon mal begriffen haben. Aber auch das einzugestehen – würde es was nützen?
Fallhöhe
Ja und nein. Ich habe Ihren Unterschied bemerkt. Und auch das Problem der Fallhöhe. Aber was hat das mit Literatur zu tun? Herta Müller konnte mit Pastior nur zusammenarbeiten, weil sie in ihm einen Leidensgenossen sah, der – wie sie [wirklich? wer weiß das?] – die Unterschrift verweigert hatte? Ich finde das merkwürdig, zumal dies in einer anderen Zeit und vor anderem biografischen Hintergrund geschah. Und ich fände es schwach, eine »Schicksalsgemeinschaft« derart zu begründen.
Anders gesagt: Wozu brauche ich diese »Fallhöhe«? Um ein besserer Mensch zu sein? Um als besserer Mensch zu gelten? Mir kam der Fall Robert Havemann in den Sinn, der ja auch Stasi-Mann gewesen sein soll – und Verfolgter. Welche Kategorien werden hier aufgebaut?
Respekt vor Pastior kann ich doch jetzt auch noch haben. Und trauern oder wütend sein kann Herta Müller doch auch. Aber wieso öffentlich? Um sich wieder einmal zu erhöhen? ich frage mich, ob die Frau es nötig hat, ihr »Heldentum« in jeder Silbe so wie eine Monstranz vor sich hinzutragen. Daher kann ich ihr fast nicht mehr zuhören. (Das ist mein Problem, zugegeben.)
Also bei Müllers (Herta + Heiner!) gehörte das ja wohl doch zu deren Literatur dazu (bei Havemann aber wohl auch). Mit den jeweiligen Beweggründen ist auch die Öffentlichkeit gerechtfertigt.
Außerdem geht es eben das viele an, nicht nur die, die Ähnliches erlebten – es ist beispielhaft, bzw. ein Weg zu Verarbeitung, zu Aufklärung, und noch viel mehr – es sind ja „moderne“ Schicksale.
(Und die Öffentlichkeit den anderen überlassen kann man ja auch nicht; Herta Müller zeigt ja konkret, wie weitgehend ungestraft gebliebene Terrororganisation heute noch Politik machen – das gehört auch „aufgeklärt“: Die sind jetzt alle in der EU und zahlen ihre gepanzerten Limousinen von „unseren“ Steuergeldern. Usw. )
Ich teile mehr oder minder den Ekel – aber ihn sich ersparen kann man auf die Dauer auch nicht.
(Darüber, was eine Schicksalsgemeinschaft ästhetisch hervor bringt, kann man wohl unterschiedlicher Meinung sein – aber unwesentlich zu erwähnen in einer Zeit der Künstler als symptomatisch neoliberale Einzelkämpfer ist so was auch nicht!)
Und ja, zuhören fällt auch mir heute zunehmend schwer.
Ab und an gibt es immer wieder Publikationen, die auf die wichtige Funktion des Vergessens hinweisen. So wie unlängst der Historiker Chirstian Meier, der dieses Thema sehr subtil angeht (Diskussion dazu mit ihm hier). Der Drang, alles »aufzuarbeiten« ist erst nach 1945 in Bezug auf die Shoah aufgekommen. Die Gründe hierfür sind nachvollziehbar. Aber ich stimme Meier im Tenor zu, dass es nicht immer sinnvoll ist jede Diktatur, jeden Krieg in dieser Form aufzuarbeiten. Natürlich hat das heutzutage etwas fast Rührendes zu glauben, dass man aus Gründen des besseren Miteinanderlebens bestimmte Ereignisse wenn nicht vergessen, so doch verdrängen sollte.
Die Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs ist inzwischen m. E. erstarrt in krude, politisch-korrekte Selbstbezichtigungen, ritualisierte Floskeln und lächerliche Gegenrechnungsversuche. Der letzte wesentliche Beitrag war die Rede Richard von Weizsäckers zum 8. Mai. Alles was danach kam war überflüssig und unsinnig. Die »Aufarbeitung« findet in Form von Guido Knopp statt und erzeugt (zu recht) entweder Überdruss oder wird bloss konsumiert wie die Dokumentation über den Pyramidenbau. Die Diskussion um diese Vertreibungs-Stiftung ist absolut lächerlich. Niemand braucht so etwas 65 Jahre nach Beendigung des Krieges. Ich muss auch nicht wissen, ob Dieter Wellershoff vielleicht doch als 17jähriger Mitglied der NSDAP war. Und ob Christa Wolf vor 50 Jahren kurze Zeit IM der Stasi war, ist weniger aufregend als ihre immer noch anhaltende DDR-Nostalgie.
Und ehrlich: Ich weiss nicht, ob ich Herta Müller brauche um festzustellen, dass in Rumänien die alte Nomenklatura immer noch ganz gut »im Geschäft« ist. Und was die EU angeht: Nun, die nimmt vermutlich bald einen vom organistierten Verbrechen durchsetzten Staat wie Kroatien auf.
Offen gestanden, bin ich auch für’s Vergessen – und sowieso gegen all das schon lange entleerte Gefeiere der Jahrestage, diesen vielleicht mittlerweile mehr und mehr nur umgekehrten „Stolz ein Deutscher zu sein“.
Allerdings halte ich die meisten Sachen von Herta Müller auch für Literatur. Dass ausgerechnet Sie die immerhin bei ihr erreichte Genauigkeit und die Unentwegtheit dabei geringschätzen, verwundert ein bisschen – ich sehe H.M. durchaus in einer Bewegung, poetisch wie politisch wie insistierend gegen die faulen Übereinkünfte, wie Peter Handke.
Und dann wäre da noch die (unsere) spezifische Geschichtslosigkeit bzw. der (komplex entlastende) Wunsch dahin, entsprechend der Beschleunigung und der Verflüchtigung heutzutage von allem und jedem, die längst ihrerseits Einflüsterungen sind. Nicht nur zu unserem „Unterhaltungsleben“ (N. Postman).
Natürlich ist auch das vor allem eine Einflüsterung, aber irgendwo verstehe ich auch, dass „die Befragung der letzten Augenzeugen“ vielleicht etwas Wesentlicheres hervorbringt, etwas „Nachhaltigeres“, als die immer kurzfristigeren Einfälle der Zeitgenossen. Es geht da vielleicht weniger um eine Balance an Bedeutsamkeiten selber (die kann man bei aller Informiertheit letztlich nicht überblicken, außerdem spielen da die persönlichen Bezüge eine wichtige Rolle) bzw. also der Unterscheidungen, die man ihnen gibt. Das relativiert zumindest die Urteile darüber. (Und auch die Vehemenz von „endlich mal sagt’s einer“ Polemiken.)
(Und, persönlich gewendet, sind es vielleicht bei Ihnen wie bei mir wie bei allen anderen immer mehr ja doch nur idiosynkratisch gewordene Elemente, die dann zu argumentativ leicht so oder so abhandelbaren Urteilen führen und damit selber zu Teilen der Nivellierung und Indifferenz werden, unter der wir gleichzeitig leiden.)
Natürlich erschafft Herta Müller Literatur. Dies in Abrede zu stellen wäre genau so absurd wie das, was ich an ihren öffentlichen Äußerungen kritisiere. Ich schätze sie auch nicht gering. Wie käme ich dazu? Ich bemerke nur – und bin dabei vielleicht wirklich zu empfindlich? – wie sie ihre »Position« als »Nobelpreisträgerin« instrumentalisiert, nein, besser: wie sie sich instrumentalisieren lässt zu einer Bekenntnis-Figur und dabei die Dichterin nur als Hülle noch spürbar ist. Längst ist sie in die Feuilleton-Maschine eingebunden und redet von »Betroffenheit« oder »Trauer«. Lauter Allerweltsworte, die nichts bedeuten außer dem Boulevard Futter zu geben.
Das ist auch das, was mich gelegentlich bei Handke zornig machte – dieses bewusste Füttern in Interviews; diese unmotivierten Schimpfkaskaden ohne Not. Nicht die in den Büchern, sondern die im medialen Zirkus. (Mein Eindruck ist, dass das seit 2008 glücklicherweise auf dem Rückzug ist.)
Aber: Einerseits ist das ja nun mal ihr Thema – und andererseits, wenn man’s erlitten hat und man sieht, wie es eigentlich weiterbesteht und nicht aus der Welt geht, drängt es einen dann wohl auch stark genug, es weiter zu »bearbeiten«. Für eine anders fokussierte oder längst an ihrer zunehmend eingeschränkten Verarbeitungskapazität leidende Öffentlichkeit kann sie nichts.
Und dazu kommt, dass sie eben mit dem Preis und der (sicher auch von ihr längst oft mal so empfundenden) unseligen Zuständigkeit Teil dieser Öffentlichkeit ist und also befragt wird; dass sie sich damit aufdrängte (oder etwas eitel zu allem und jedem was zu sagen hätte wie Grass) kann man, glaube ich, ihr nicht vorwerfen.
Aber noch mal zu meinem Post von gestern: Vielleicht verwechseln wir unter der »Öffentlichkeit« Leidenden (deren Absehbarkeiten und Zwängen und Idiotismen etc.) manchmal unsere »Kritik« mit unserer eigenen Unleidlichkeit oder unserem Widerwillen, für den die sich Äußernden nichts können?
Bei mir ist das jedenfalls oft so. Ja, ich mag gewisse Dinge einfach nicht mehr hören. Aber die Sache oder »das Anliegen« geht damit nicht aus der Welt. Insofern wären sie eine Zumutung und hielten sich ihrerseits damit lebendig und relevant. Und ich glaube, so funktioniert Öffentlichkeit auch (zumindest zum Teil).
Ja, es ist »ihr« Thema, »ihre« Zuständigkeit. Es ist »Ihr« Leben. Das sehe ich ein. Und meine Unleidlichkeit mag damit korrespondieren, das immergleiche bis zum Überdruss zu hören und mir nicht rechtzeitig die Ohren mit Wachs zuzustopfen. Und klar, ich muss einfach die Artikel wegklicken und beschweigen.
Andererseits: Warum muss das alles heruntergebrochen werden auf das geringste, kleinste, billigste Niveau? Es ist doch nur noch eine Frage der Zeit, wann der Facebook »Gefällt mir«-Daumen in die Feuilleton-Artikel als »Betroffen«-Zeichen hineingesetzt werden. Funktioniert so inzwischen Öffentlichkeit? Und: Wäre es da nicht logisch, dass sich diejenigen, die etwas zu sagen haben, immer mehr hieraus verabschieden und der »Diskurs« dann nur noch zum Gesinnungstheater wird?
Wenn Sie auch konzedieren, dass Pastiors Werk mit dieser »Enttarnung« (welch verräterisches Wort der Zunft!) nicht Schaden nimmt: Warum erfolgt dann dieser Hype (der ohne Sarrazin, zu Guttenberg und Schwarzer noch grösser wäre) zu dieser Zeit? Ich sehe ein: Wenn Müller nur drei Sätze zu Pastior schreiben oder sagen würde, käme von dort die Lawine der Fragen – warum sagt sie so wenig? Und die Unterstellungen könnten dann auch gemutmaßt werden – wie stark ist H. M. involviert?
Unsere Heiligen bröckeln doch längst wie Sandburgen. Und die Entrüstung hierüber ist doch nur Schmierentheater. DAS brauch ich doch nicht.
(Solange man sich aufregt, lebt man noch.)
Niveau? Da wirds noch komplizierter...
Aber die Frage nach dem Niveau kann ich auch in der Kürze nicht beantworten. Das Niveau wird immer auch bestimmt von den Fragen von außen, dem Vermögen des Fragenden, das liegt an den Konventionen zu dem Thema überhaupt, das liegt an dem „Format“ wie so etwas dann medienmäßig aufbereitet werden kann.
Was aber sicher mit darein spielt, ist das Thema des Verrats – und das ist eines, das immer interessiert und mit dem auch Auflage gemacht wird. Das war es auch seinerzeit, als die IMs aufflogen, die Enttarnung der Lebenslüge – die vielleicht immer vage mit der der sorgfältig verdeckten eigenen korrespondiert. Jedenfalls ist das sicher ein Thrill für das Publikum.
(Über das Persönliche zwischen Pastior und H.M. mag ich nicht spekulieren.)
Tatsächlich: Es geht wohl (auch? zuvördest?) um den Thrill. Damit ist eigentlich gesagt, wie diese Diskussion verlaufen wird.
Und damit ist alles erledigt:
Tatsächlich ändert sich mit und auch gegenüber Pastior (und seinem Werk) wohl gar nichts.
Nach zwei Wochen auf einem kleinen sibirischen Bauernhof freute ich mich mal wieder eine Tageszeitung zu kaufen. Und was war da im Feuilleton der Samstags-FAZ? Thilo Sarrazin (ich hatte doch gehofft, das sei endlich vorbei, wenn ich wiederkaeme) und Oskar Pastiors Enttarnung gross als Aufmacher. Im ganzen sogar drei Artikel dazu. Einfach widerlich.
(Zum Glueck habe ich mir spontan »Die Leinwand« gekauft und es hatte so einen Sog, dass ich es beinahe in zwei Tagen ausgelesen habe.. und mich auch schon darauf freue nach der Lektuere Ihre Rezension endlich genauer zu lesen.. – Im Roman wird ja auch das ganze widerlich-moralinsaure Getue um die »Minsky«-Enthuellung kurz beschrieben.. – zwar hab ich keinen der Artikel gelesen, aber die Ueberschriften haben mir schon gereicht und der Platz, dem man dem ganzen einraeumt. Also, ich versteh’ ja das Erregungspotential, nach »Atemschaukel« usw., aber.. ist mir doch egal, genauso wie wenn man jetzt einen unehelichen Sohn von Diana entdecken wuerde.. – ach, diese ganzen »unwuerdigen Themen«, bei denen man sich schon darueber aergert, dass man selbst noch Worte dazu verliert; dabei reicht doch obiger Satz.)
Mensch und Werk
Man muss Mensch und Werk trennen, das ist schon richtig.
Goethe war offenbar ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, Thomas Mann hat seine Vaterrolle zweifellos in nicht besonders nachahmenswerter Weise ausgefüllt, Wittgenstein hat als Lehrer Kinder geschlagen, Hamsun war von Hitler begeistert – aber das Werk dieser Männer verdient Hochachtung.
Auf einer vom Schaffen (zumindest vordergründig) unabhängigen, also biographisch-menschlichen Ebene ist – wie bereits richtig angesprochen – die Fallhöhe von entscheidender Bedeutung: Wer sich so wie etwa Grass als unfehlbare moralische Autorität inszeniert, braucht sich über die Häme und den Spott ob seiner lange verschwiegenen Waffen-SS-Vergangenheit nicht zu wundern. (Abgesehen davon halte ich Grass’ Werk für maßlos überschätzt.)
Der Fehler liegt darin, dass man Künstlern auch dann zuhört, wenn sie von Dingen sprechen, von denen sie nichts verstehen (wie z.B. Politik), und ihnen dabei eine größere Einsicht zutraut als dem gemeinen Ahnungslosen. Und – ja: Warum müssen Schriftsteller ethische Vorbilder sein, während man von (Rock-)Musikern und Schauspielern durchaus eine gewisse – wie soll ich es formulieren – Transgressivität erwartet?
[EDIT: 2010-09-18]
Und – ja: Warum müssen Schriftsteller ethische Vorbilder sein, während man von (Rock-)Musikern und Schauspielern durchaus eine gewisse – wie soll ich es formulieren – Transgressivität erwartet?
Idealisierungen gibt es bei anderen Künstlern auch – Beethoven und Schubert wären zwei Beispiele aus der Musik.
Viele Künstler verstanden es, sich zu positionieren, zu stilisieren, zu verkaufen oder haben bestimmte Attitüden gelebt. Hinzu kommt die Vermittlung durch Biographen, die nicht selten für bestimmte Künstlerbilder verantwortlich sind. Und das wahrscheinlich Wichtigste, etwas pathetisch zugespitzt: Wenn uns ein Kunstwerk (oder ein Künstler) über viele Jahre, ja vielleicht ein Leben lang, begleitet, oder einen Wendepunkt markiert, dann kann es schon passieren, dass man das Ideal des Werkes und seiner Wirkung auf den Schöpfer ausweitet (wer das geschaffen hat, muss ein besonderer, ein ausgezeichneter Mensch sein). Das ist – irgendwie – auch menschlich.
[EDIT: 2010-09-19 00:18]
Die Seuche beginn sich ja auch in der tagespolitischen Berichterstattung fortzusetzen: Inzwischen übernehmen auch hier immer mehr Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, Sportler die Rolle von Mitdiskutanten, als sei ihre Meinung relevanter als die von Betroffenen oder denen, die vielleicht tatsächlich Ahnung von der Thematik haben.
Das hat natürlich mit der ihnen von weiten Teilen der Bevölkerung zugestandenen Kompetenz zu tun. Problematisch wird es, wo das Künstlersein als alleinige Rechtfertigung dient. Man sieht das in den Polit-Talkshows, wenn dort »Promis« sitzen, die dann nach zwei, drei Wortmeldungen ihr Pulver verschossen haben und nur noch wie Statisten herumsitzen.
Ich glaube auch nicht, dass man Künstler und Werk vollkommen trennen muss. Ich vertrete nur die Position, dass zunächst das Werk in den Mittelpunkt gerückt werden sollte – und dann irgendwann die Biografie. Das hat sich gewandelt: Zuerst schaut man auf die (saubere) Biografie – dann leitet man hieraus das ästhetische Urteil des Werkes ab.
[EDIT: 2010-09-19 10:23]
Des Menschen Los
Gedicht
Fräulein Falf aber meinte man solle
einfach drauf los man könne ganz
einfach das machen was los geht man
wäre gut beraten alles einfach zu
tun das heißt einfach alles zu tun
was drauf ist und los geht sie mein-
te auch das ginge ganz gut man müsse
nur einfach freundlich den finger
heben und es anständig machen und
vor allem niemandem weh tun meinte
sie los machen los machen los machen
(Copyright: Oskar Pastior, »…sage, du habest es rauschen gehört« Werkausg. Bd 1;
hrsg. von Ernest Wichner; © C. Hanser Verlag, München 2006)
Ich bin bin sowas von d’accord mit dem Tenor Ihres Beitrags, werter Greg!
Dankeschön für das Gedicht (und das D’accord-Sein).