Eine Bemerkungen zum Film »Kevin Kühnert und die SPD« von Katharina Schiele und Lucas Stratmann
Irgendwann 2019 trifft sich Kevin Kühnert im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung mit Philipp Amthor, dem vier Jahre jüngeren Nachwuchsstar der CDU. Die Lebensläufe ähneln sich. Beide haben ihr ganzes bisheriges Berufsleben in Gremien von politischen Parteien verbracht und dort reüssiert. Amthor hat immerhin die »Erste Juristische Prüfung« absolviert, Kühnert ist Studienabbrecher. Der aufmerksame Zuschauer erinnert sich an eine Szene im Film, dass ein Bild des Kopfes von Amthor an irgendeiner Pinnwand im Willy-Brandt-Haus im Hintergrund sehen war als sich Kühnert und seine Entourage Hochrechnungen anschauten – vermutlich als Scherzmittel. Amthor erkundigt sich, warum ein Filmteam dabei ist und Kühnert klärt ihn auf, dass dies für eine Langzeit-Dokumentation sei; geplant bis zur Bundestagswahl 2021. Er habe das auch schon mal überlegt, so Amthor, der sich vermutlich sorgen würde, dass die Privatheit zu kurz kommt. Kein Problem, klärt ihn Kühnert auf, »wenn ich sage ‘ist nicht’ – dann ist nicht«.
Genau dies muss man in den mehr als drei Stunden, den der Film »Kevin Kühnert und die SPD« dauert (ordentlich portioniert auf sechs Folgen), immer im Auge haben: Es ist die sterile Authentizität eines »Best of«, welches Katharina Schiele und Lucas Stratmann von Kevin Kühnert zwischen 2018 und 2021 mit dessen Erlaubnis zeigen. Es ist eine Simulation von Realität, ein bestimmtes Image transportierend. Gezeigt wird jemand, der permanent Medien konsumiert und sich in den Medien Präsenz verschafft, eben weil er in einer Position als Juso-Vorsitzender (bis Ende 2020) genau diese Präsenz erhält. Kühnert, der ständig unter Strom zu sein scheint, ist Akteur in einer selbstreferentiellen Kommunikationsspirale einer Politbubble, die nur einen Fixpunkt hat: Kevin Kühnert.
Er macht es den Medien leicht, ist ein dankbarer Interviewpartner, (fast) ständig verfügbar und reaktionsschnell, wenn es darum geht, Aussagen seiner Genossen und/oder des politischen Gegners schlagzeilenträchtig zu kommentieren. Wenn er den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer als »Sprechautomat« bezeichnet, so ist dies durchaus als Distanz zu den Phrasen des Politbetriebs gemeint, die Kühnert immer versucht ist, zu umgehen um eigene Punkte zu setzen.
Bei aller Inszenierung – es gibt sie eben doch, die ehrlichen Momente. Als Kühnert im Europawahlkampf in der oberbergischen Provinz vorfährt und für ein paar Stunden das Basisparfüm in einer Gaststätte einatmet, bricht er sich noch vor dem Buffet auf. Man verabschiedet ihn herzlich; er ist wirklich eine Art von Hoffnungsträger. Als die Autotür zuschlägt entfleucht ihm ein Seufzer: »Meine Güte«. Und da blitzt die Verachtung des Funktionärs dem Kleinbürger gegenüber auf.
Als er in einem ZEIT-Interview 2019 die Kollektivierung von Unternehmen als langfristiges Ziel ausgibt, um den Kapitalismus zu überwinden, kontert er den Widerspruch auch in den eigenen Reihen mit einem trotzigen »das musste mal gesagt werden« und moniert, dass der Beitrag im Netz immer noch hinter einer Bezahlschranke verborgen ist. Wenn hierzu die Interviewanfragen anderer Medien explodieren, kontert Kühnert dies mit »Aasgeierei«, weil die zu erwartenden Fragestellungen nicht nach seinem Geschmack ausfallen dürften. Wenn er könnte, würde er auch noch die Fragen an sich selber formulieren wollen. Immerhin wird der »Volksverpetzer« gelobt, der als Sidekick zu Kühnerts Pressesprecher die Interview-Passage entsprechend deutet.
Bei DWDL steht zu lesen, was Kühnert zur Dokumentation sagte: »Viele leiten ihr Verständnis von politischen Prozessen und Parlamentarismus von dem ab, was sie in Filmen und Serien sehen, während das konkrete Verständnis des eigenen nationalen oder regionalen Parlaments sehr gering ausgeprägt ist.« Weiter steht dort, er, also Kühnert, »habe zeigen wollen, ‘wie Politik aussehen kann, wenn sie nicht aus dem parlamentarischen Zusammenhang heraus kommt’ «.
Diese Aussagen sind – kein Wortspiel! – kühn. Denn die Darstellungen, die in diesem Film gezeigt werden – KK im Aufzug, KK beim Rauchen, KK mit Pressesprecher, KK am Smartphone, KK mit ausgewählten Bildern aus dem Urlaub – haben mit Politik wenig bis nichts zu tun, aber viel mit politisch-medialen Vermarktungen. Hier ist Kühnert ein Vollprofi, der Oskar Matzerath der SPD; seine Trommel ist seine Eloquenz.
Dabei bleibt man von realpolitischen Entwürfen Kühnerts verschont, es sei denn, man nimmt die immer gleichen Schlagworte bereits als relevant. Erst in der 5. Folge, als die SPD mit sich um den Abschied von Hartz IV in einem neuen Sozialkonzept ringt und Kühnert mit dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verhandelt, wird ein realpolitischer Punkt und dessen Umsetzung in eine Parteiprogrammatik gezeigt. Bisweilen sieht man Kühnert ohne Ton in Gesprächen, einmal die schüchterne Frage »Verkabelt?«. Am Ende geht, wie immer, am Ende um einzelne Wörter. Der Konsens gelingt und Kühnert kostet dies als Triumph aus.
Die interessante Folge ist die mit dem fast schon programmatischen Titel »Außenseiter« (Folge 4). Hier wird die Kandidatenkür um den Parteivorsitz in der SPD gerafft dargestellt. (Zwei Miniausschnitte zeigen Karl Lauterbach, der sich als Kandidat zusammen mit Nina Scheer lautstark an die Jusos anbiederte, weil er die Große Koalition beenden wollte; Pech für ihn, das Kühnert da schon längst andere Pläne hatte.) Zunächst schlägt Kühnert geschickt vor, ob es die SPD nicht einmal mit einer Doppelspitze versuchen sollte, was erstaunlicherweise nach anfänglichem Zögern akzeptiert wird. Gerüchte um eine eigene Kandidatur dementiert er nicht. Stattdessen fuhr er erst einmal in den Urlaub, um danach, wenige Tage vor Ablauf der Bewerbungsfrist, ein Statement abzugeben, welches er dann auch noch inszenieren lässt, als sei er die maßgebliche Instanz. Nein, er stehe nicht zur Verfügung. Aber inzwischen habe sich mit Norbert Walter-Bojans (Nowabo) jemand gemeldet, den er sich gut vorstellen könnte. Wie es zu Saskia Esken als »Tandempartnerin« kam, erklärt der Film nicht, kann aber in Robin Alexanders »Machtverfall« nachgelesen werden.
Sieben Pärchen stellen sich dem Mitgliedervotum. In die Stichwahl kommen Walter-Bojans/Esken und Scholz/Gleywitz. Nowabo/Esken sind über ihren Erfolg überrascht, sitzen zusammen, beratschlagen, wie sie in den Medien auftreten. Saskia Esken möchte von Nowabo mehr gelobt werden. Schließlich wird gezeigt, wie Kühnert sein Favoritenpärchen coacht. Brav schreiben sie mit, welche Formulierungen zu verwenden sind und welche nicht. Das geht soweit, das er Esken ersucht, doch auch einmal die Mundwinkel nach oben zu nehmen und zu lächeln. Für Kühnert ist ein Vorsitzender Scholz politisch das Ende.
Die Ambitionen Kühnerts sind in diesem Film drückend präsent. Schon in einer Szene einige Monate zuvor mit der damaligen Parteivorsitzenden Andrea Nahles wurde der Anspruch Kühnerts deutlich, der Statthalter der wahren Lehre der SPD zu sein. Wenn man Nahles und den damaligen Juso-Vorsitzenden im Smalltalk vor einem Kongress sieht, ist nicht deutlich, wer die Parteivorsitzende ist und wer der Chef der Jugendorganisation.
Am Tag der Entscheidung der Stichwahl durchläuft Kühnert ein Wechselbad. Es gibt eine Meldung, dass Scholz/Gleywitz gewonnen haben. Kühnert ist schockiert. Kurz darauf entpuppt es sich als Falschmeldung. Als Nowabo/Esken schließlich dann gewinnen, ist er auf Wolke Sieben; sein Team feiert, als hätten sie die Bundestagswahl gewonnen.
Die Corona-Pandemie bremst auch Kühnerts Arbeitseifer. Immerhin kommt es irgendwann 2020 zu einer Teambesprechung von vier Personen in einem Büro. Kein Abstand und Masken werden nur im Aufzug getragen und wenn Journalisten sie sehen könnten. Irgendwann bestellt Kühnert ein Frühstück mit Scholz. Er möchte wissen, was dieser denkt. Was er nicht weiß: Die Parteispitze hatte sich längst auf Scholz als Kanzlerkandidat geeinigt. Als die Nominierung dann publik wird, ist Kühnert sichtbar angegriffen. Er ringt um Fassung, zumal Scholz der Presse stolz erzählt, dass seine Nominierung bereits länger eine ausgemachte Sache war und nur wenige davon wussten. Niemand hatte Kühnert informiert. Dem »Kontrollfreak« (Selbstbezeichnung im Film), entgleitet die Regie. Der Königsmacher ist erstaunt, dass die Könige nun ohne ihn regieren.
Kühnert macht jetzt Ernst, demissioniert als Juso-Chef, stellt sich zur Wahl als Vize-Parteichef und bewirbt sich als Direktkandidat der SPD in Berlin-Tempelhof. Ein Hörsturz hält ihn nicht auf. Die entsprechenden Bewerbungsreden meistert er problemlos. In der letzten Folge wird ein Wahlkämpfer KK gezeigt, der am Ende verkündet mit 55.000 »geklingelten Türen« einen Rekord aufgestellt zu haben. Schließlich Wahltag mit den Hochrechnungen. Die SPD ist stärkste Partei mit 26%. Kühnert leitet daraus einen Regierungsauftrag ab. Er wird das Direktmandat erringen (mit 27,1%). Man feiert im Team; Corona-Regeln sind auch hier scheinbar ausgesetzt, keine Masken in Innenräumen, Umarmungen, keine Abstände. Scheint alles nur was für das niedere Volk zu sein.
Der Film, der ein bisschen in Lamby-Ästhetik gedreht ist, macht aus den Möglichkeiten, die ein solches Format bilden, das bestmögliche. Auch wo es keine direkten Decouvrierungen gibt, zeigt sich das Bild dessen, was heutzutage als »Politik« gilt – Medienperformance, Gremientagungen, Postengeschacher. Und ein bisschen Parteiromantik. Dass der NDR die Doku im Dritten Programm nach Mitternacht beginnen lässt und ansonsten auf die Mediathek verweist, hat vermutlich mit der abschreckenden Wirkung zu tun, die im Konsum dieses politischen Theaters liegen könnte.
Unmittelbar nach der Bundestagswahl ließ ein Journalisten auf »Phoenix« verlauten, er besitze gesicherte Informationen, dass Kevin Kühnert versprochen habe, die 48 ehemaligen Jusos, die er geschickt über Listenplätze in den Bundestag gebracht hat, im Zaum zu halten, damit Olaf Scholz zum Kanzler gewählt wird. Die Aussage wäre, wenn sie stimmt, fatal. Denn wer über rd. 25% der Fraktion eine derartige Macht hat, wird sie irgendwann auch einsetzen. Die Rechnung wird kommen. Der Eindruck, den dieser Film hinterlässt, gibt der Aussage durchaus Nahrung. Kühnert ist ein gewiefter Stratege, der im Moment lieber in der zweiten Reihe die Strippen zieht, statt sich im Zentrum eines unklaren Machtgefüges voreilig zu verbrauchen. Die Karriere, so der Eindruck, beginnt gerade erst.
Die Bezeichnung »Staffel 1« zu den Filmen zeigt an, dass es eine zweite Staffel geben wird. Man ist gespannt.