Fragen zu Miriam Meckels »Brief an mein Leben«
Ein »Burnout« ist eine Art Erschöpfung, ein physisches und psychisches Ausgebranntsein eines Menschen. Wo einst eine Hyperaktivität und fast pausenloses Engagement war, macht sich plötzlich lähmende Antriebsschwäche bis hin zu Depressionen breit. Der Begriff ist durchaus umstritten; eine einheitliche Definition gibt es nicht. Zweifellos hat Miriam Meckel mit ihrem Buch »Brief an mein Leben« einen enormen Publizitätsschub für die Problematik des »Burnout« erzeugt. Als bekannte Professorin und Publizistin bekommt ihr Buch einen Prominenten-Bonus in den Medien. Zudem passt es in einer wahren Serie von Krankheitsgeschichten Prominenter, wie etwa Leinemann und Schlingensief, die ihre Krebserkrankungen geschildert haben (was Iris Radisch zur flapsigen Bemerkung einer »Metaphysik des Tumors« veranlasste) bis zum Buch des an Depressionen erkrankten ehemaligen Fußballspielers Sebastian Deisler.
Das Buch scheint also häufig Teil einer Therapie zu sein. »Brief an mein Leben« wurde, so die Erzählerin, während eines vierwöchigen Klinikaufenthalts begonnen; genauer: während 48 Stunden »Inaktivitätszeit«, in der es sozusagen »verschärfte« Bedingungen gab: kein Handy, keine Zeitung, kein Laptop. Ansonsten gab es im Klinikalltag durchaus Fernsehen, auch Zeitungen. Sie konstatiert die Merkwürdigkeit, dass sich der Terminkalender auch in der Klinik mehr und mehr zu füllen beginnt; also auch hier: Termine – wenn auch nur für die unterschiedlichen Therapien und die Aufnahme der Mahlzeiten. Sie schreibt, dass sie gegen 22 Uhr immer sehr müde war und die meiste freie Zeit in ihrem Zimmer verbracht habe. Es gab zwar ein öffentliches Internet-Terminal, welches sie jedoch nicht benutzte, zumal es ständig besetzt war (so wird es im Buch vermerkt).
Meckel stellt Reflexionen über Thomas Manns »Zauberberg«, Sloterdijks »Du sollst Dein Leben ändern«, Wilhelm Genazino, Linus mit der Schmusedecke und diverse amerikanische Studien über diverse Themen an. Ein bisschen Obama und Politik gibt es auch. Ausladend die Ausführungen zur Mutter und deren Tod. Dazwischen immer episodische Einstreuungen über den Klinikalltag. Sie macht Therapien mit, die sie früher belächelt oder als »esoterisch« eingestuft und abgelehnt hätte. Erstaunlich, wie diese Frau in ihrer »Inaktivitätszeit« über die Briefe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan nachdenkt – so, als hätte sie diese vor sich liegen (was jedoch nicht sein darf; siehe oben).
Irgendwann beschleicht einen bei der Lektüre jedoch ein merkwürdiges Gefühl. Ich gebe zu, es hat mit dem großen medialen Aufwand zu tun, mit dem dieses Buch im Frühjahr dieses Jahres in allen möglichen Talkshows und Zeitungen gehypt wurde. Es war fast unmöglich, Frau Meckel und ihrem Buch zu entkommen. Die Wirkung blieb nicht aus – das Buch wurde ein Bestseller.
Von Müdigkeit bis Tuberkulose
Parallel gab es eine Flut von Artikeln und Aufsätzen zum Thema Burnout. Da ist von der »Müdigkeit der Rastlosen« die Rede. Und obwohl der Begriff bereits in den 1970er Jahren geprägt wurde, lassen sich einige Beobachter zu Antonomasien wie »Tuberkulose des Internetzeitalters« hinreißen. Und es gab sogar Checklisten für »Ihre Work-Life-Balance«. Zwischenzeitlich schien es, als gehöre ein Burnout fast zum guten Ton.
Ohne Zweifel »lebt« Meckels Buch von dem Authentizitätsversprechen (dem neuen Gott der literarischen Rezeption). Die Autorin ist prominent, eloquent, attraktiv und intelligent. Das Buch ist in einer anspruchsvollen, aber nicht wissenschaftlichen oder gar professoralen Sprache geschrieben und spricht breite Schichten an, ohne sich als Lebenshilfe anzubiedern oder in übermäßigem Betroffenheitsparlando zu verfallen. Manchmal wirken die Bilder ein bisschen arg hausbacken (beispielsweise die Baumwurzel als Symbol für die Wurzellosigkeit im Leben). Das Identifikationspotential für durchschnittlich gestresste Menschen, insbesondere Frauen, die einzelne Symptome bei sich selber erkennen, ist hoch, weil die Autorin keinen Zweifel daran lässt, dass das »Ich« identisch mit Miriam Meckel ist.
Es gab dabei nur vereinzelte Kritik (wie beispielsweise in der »Süddeutschen Zeitung«: »Frau Nimmersatt und ihr Burn-Out« oder in der »taz«: »Mein Haus, mein Auto, mein Burn-out«). Meistens wurde das Buch wohlwollend, gelegentlich sogar euphorisch besprochen, und zwar sowohl im Feuilleton als auch im Internet. Ein Blogger, der normalerweise für sein nüchternes und rationales Urteil bekannt ist, lobte das Buch ebenfalls und entdeckte in Miriam Meckel gar »eine Schwester im Geiste«.
Ich fand es erstaunlich, dass ein Mensch, der bis vor kurzer Zeit an Burnout litt (Meckel selber verwendet diesen Begriff ungern und spricht lieber von »Erschöpfungszuständen«) mit einer fast gnadenlosen Präzision einen Termin nach dem anderen abarbeitete – und damit exakt dem widersprach, was doch dieser »Brief« an ihr Leben sein sollte: Sammlung und Konzentration; der sprichwörtliche Mut zur Lücke.
Wer schreibt in ihrem Blog?
Irgendwann entdeckte ich Miriam Meckels Blog. Und das Archiv. Es gibt manchmal bis zu zehn Beiträge pro Monat. Ich begann im Buch zu blättern um festzustellen, wann Meckel in der Klinik gewesen sein soll. Es gibt keine konkreten Angaben dazu. In der »F.A.Z.« lese ich von »Anfang vorigen Jahres« (d. h. 2009), andere sprechen nebulös von einem Zusammenbruch Meckels im September 2008, der dann zum Klinkaufenthalt führte. Den Vogel schießt eindeutig die »Rheinische Post« ab: sie terminiert Meckels Klinikaufenthalt zehn Jahre zurück – was alleine durch die politischen und gesellschaftlichen Situationen, die sie im Buch schildert, gar nicht sein kann.
Ich erinnere mich, etwas über Robert Enkes Freitod gelesen zu haben. Der war im November 2009. Aber es gab schon im Dezember eine weidlich verbreitete Vorankündigung über das Buch (Spiegel online war natürlich einer der ersten, der hier Vorab-Promotion betrieb). Auf Seite 168 wird dann die »Tatort«-Folge »Kassensturz« erwähnt, die die Autorin während ihres Klinikaufenthalts gesehen hat. Der wurde am 1. Februar 2009 erstmals in der ARD ausgestrahlt. In diesen Zeitraum passt auch die Erwähnung der permanenten Berichterstattung über die Spitzel-Affäre(n) der Deutschen Bahn, die sie aus der Zeitung verfolgt. Die Erwähnung (und Verarbeitung) von Enkes Freitod muss also zu dem nachträglich eingefügten Drittel des Buches gehören (dem »Tagesspiegel« sagte sie, zwei Drittel des Buches sei in der Klinik entstanden).
Aber wie war das mit der Ruhe? Auf Miriam Meckels Blog gibt es aus dem Januar 2009 neun Beiträge; im Februar 2009 deren vier. Kommentare waren offen (was sie aktuell nicht sind, weil Frau Meckel derzeit in den USA weilt). Wenn sie jedoch – wie sie schreibt – in der Klinik war und dort noch nicht einmal Zeit (und Lust) hatte, ihre Mails zu überprüfen – wer hat die Blogbeiträge geschrieben? Diese werden eindeutig als »von Miriam Meckel« gekennzeichnet. Fast alle Beiträge sind auch durchaus komplex, d. h. nicht in wenigen Minuten hastig eingestellt.
Es gibt mehrere Erklärungen. Es kann sein, dass sie die Beiträge vorbereitet hatte und jemand anders mit der Aufsicht und Pflege des Blogs beauftragt war. Dies wäre überraschend, weil sie eigentlich – wenn man ihrem Buch Glauben schenkt – andere Sorgen hatte. Einmal schreibt sie auch, dass sie alle Schreibaufträge für die Dauer des Aufenthalts abgelehnt hatte. Eine weitere Variante wäre, dass der Autor der Blog-Beiträge nicht Miriam Meckel ist.
Fiktion oder Dokumentation?
Die dritte Möglichkeit schließlich besteht darin, dass die Ich-Erzählerin, die im Buch »Miriam« genannt wird, nicht Miriam Meckel ist. Dies würde bedeuten, dass dieses Buch Fiktion ist. Eine Erzählung mit wahren Elementen, aber eben auch fiktionalen, erfundenen Passagen. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Klappentext, der zunächst »von eine[r] erfolgreiche[n] Frau« spricht, die zusammengeklappt sei. Ihr, der »Kommunikationsexpertin, die Vorträge hält, Unternehmen berät und deren Meinung bei den führenden Medien gefragt« sei, wäre genau das passiert, »wovor Miriam Meckel selbst immer gewarnt hat.« Die Betonung liegt auf dem schnell überlesbaren »selbst«.
In der Werbung allerdings wird wie selbstverständlich Meckel mit der Erzählerin gleichgesetzt und ein dokumentarischer Charakter suggeriert. In den zahlreichen Interviews bestärkt die Autorin diesen Eindruck. Es bleibt also kein Zweifel: Verlag und Autorin sagen, dass Miriam Meckel und die Ich-Erzählerin identisch ist. Aber wer hat dann die Blog-Beiträge geschrieben? Betreibt Meckel vielleicht eine Inszenierung oder ist ihr gar nicht (mehr) bewusst, dass sie eine Fiktion geschrieben hat (einschlägige Beispiele für solche Phänomene gibt es durchaus)?
Wohl gemerkt: Gegen die Erzählung einer Figur »Miriam«, die sich mit einem »Burnout« in eine Klinik einliefert und dort beginnt, über ihr Leben zu reflektieren, ist gar nichts einzuwenden. Auch nicht gegen eine ehrliche, ungeschönte, teilweise sogar durchaus intime Lebensschrift von Miriam Meckel in einer persönlichen Krisensituation. Problematisch wird es nur, wenn die Kategorien zwischen Fiktion und Realität vermischt werden und Realität vorgetäuscht wird, wo es Fiktion ist. Meckel würde in einem solchen Fall ihre eigene Person ausbeuten. Und dem Leser eine Originalität vorspielen, die keine wäre. Insofern ist diese Frage nicht nebensächlich, sondern tangiert das Wesen des Buches. Wäre es als reine Erzählung mit autobiografischen Elementen angeboten worden, hätte es niemals diese Publizität erlangt.
Am 10.6. und am 15.6. hatte ich Frau Meckel per Mail gefragt, wie sich Blog und Abgeschiedenheit erklären lassen. Sie hat nicht geantwortet. Am Netzzugang liegt’s nicht (immerhin twittert sie sporadisch). Sie ist halt eine Kommunikationsexpertin. Vielleicht sprechen die ja nicht mit gewöhnlichen Bloggern.
Ergänzung 22.10.2010: In einem Spiegel-TV-Video erzählt Meckel die Geschichte Ihres Zusammenbruchs im September/Oktober (2008) nach einem gemeinsamen Urlaub mit Anne Will. Dies korrespondiert weitgehend mit ihrer Beschreibung im Buch. Im Video heißt es dann, dass sie danach in einer Klinik im Allgäu 5 Wochen verbracht hat.
Dies kann so nicht stimmen, da Meckel in ihrem Buch auf die bereits genannten »Tatort«-Folge hinweist, die am 01.02.2009 Erstausstrahlung in der ARD hatte.
Danke für den Hinweis an Köppnick.
Eine interessante Recherche. Ich hatte Ähnliches begonnen, aber schnell wieder aufgegeben. Mir war seinerzeit nur aufgefallen, dass sie selbst an einem 24.12. vormittags noch einen Eintrag verfasst hatte.
Ich habe das Buch gerade nicht zur Hand, aber da sie bei einigen ihrer Schilderungen aus dem Fenster schaut, vielleicht kann man daraus die Jahreszeit entnehmen?
Ich habe jetzt nochmal den Kalender in ihrem Blog durchgeklickt, am 21.6.2007 gibt es einen Eintrag, dann kommt einer vom 3.8.2007, in dem sie sich aus dem Urlaub zurückmeldet, dann wird am 5.9.2007 ein Video verlinkt. Das war die »dünnste« Zeit nach der Wiedereröffnung des Blogs Ende 2006.
Wie gesagt: Sie spricht im Buch über eine »Tatort«-Folge, die am 1.2.2009 ihre Erstausstrahlung hatte. Also muss der Klinikaufenthalt Januar/Februar 2009 gewesen sein (die FAZ liegt richtig).
Vielleicht könnte jene Geschichte von Bert Brecht des Rätsels Lösung sein, die Miriam Meckel in den Kopf ihres Blogs gestellt hat:
»Was tun Sie«, wurde Herr K. gefragt, »wenn Sie einen Menschen lieben?« »Ich mache einen Entwurf von ihm«, sagte Herr K., »und sorge, daß er ihm ähnlich wird.« »Wer? Der Entwurf?« »Nein«, sagte Herr K., »der Mensch.«
Oder aber ganz einfach: Frau Meckel hat während ihres (für ein Erschöpfungssyndrom) recht kurzen Klinikaufenthalts (irgendwann im Jahr 2009, das sie in einem Interview selbst erwähnt hat) gebloggt. Das ist nicht verboten. Und auch etwas anderes als sich mit E‑Mails herumzuschlagen.
Natürlich ist es nicht verboten, zu bloggen. Es ist Unsinn, so etwas aus meinem Text herauszulesen. Es passt nur nicht in die Geschichte, die in dem Buch ausgebreitet wird. Fragen wird man doch dürfen, oder nicht?
Dass jemand Post von Lesern nicht beantwortet, ist ja auch tatsächlich die Regel. Da macht dann auch die »Kommunikationsexpertin« keine Ausnahme. Wie auch.
„Kommentare waren offen (was sie aktuell nicht sind, weil Frau Meckel derzeit in den USA weilt)“
Mag sein, dass es auch mit ihrem Aufenthalt in den USA zu tun hat. Allerdings begründet Miriam Meckel ihre Blogabstinenz und das Abschalten der Kommentarfunktion mit einer „digitalen Diät“(siehe Posting vom 26.03.2010„My Digital Diet“ http://www.miriammeckel.de/2010/03/26/my-digital-diet/)
Tja, und da könnte man wieder Fragen stellen: Eine „digitale Diät“ passend zur Veröffentlichung des Buches? Warum nicht auf dem Höhepunkt der Krankheit?
Hübscher Nebeneffekt: die Diskussion der Kommentatoren über das Buch, die Interviews und Talkshowauftritte, die in Miriam Meckels Blog schon voll im Gange war, wurde mit der Schließung der Kommentarfunktion auch gleich unterbunden.
Ihr Einwand hinsichtlich der »digitalen Diät« ist korrekt. Was natürlich – böse von mir formuliert – bedeuten kann, dass es während ihres Klinikaufenthaltes keine entsprechende Diät gab.
Es bleibt also ein schaler Geschmack.
habt ihr die kommentare auf diesem blog denn mal gelesen? da tummelten sich überwiegend stalker und sonstige borderliner, die hätte ich schon viel früher abgeklemmt.