Nils Minkmars Kommentar in der FAZ »Der Fahnenflüchtling« und die hohen emotionalen Wellen, die er erzeugt. Sieben Fragen per Mail und die Antworten:
G.K.: Ihr Artikel hat zu einer wahren Leserkommentarflut geführt. Sogar die ultimativste Waffe des Lesers, der Abo-Entzug wurde dreimal angedroht. Waren Sie über die Anzahl der doch teilweise gravierenden Ablehnungen überrascht?
Nils Minkmar: Es gibt gewisse Themen, die immer sehr an den Nerv unserer Leser rühren. Dazu zählt unser Verhältnis zum Islam, Bildungsdebatten und der Bundespräsident. Ich hatte also damit rechnen dürfen. Die Heftigkeit ist dann immer so eine Aufwallung. Meistens antworte ich schnell oder rufe an, dann entspinnt sich eigentlich eine sehr ertragreiche Kommunikation.
Gab es vorher oder nachher Probleme in der Redaktion ob des scharfen, polemischen Tons des Artikels?
Nils Minkmar: Nein, es gab viel Lob von den KollegInnen.
Wie erklären Sie sich die Beliebtheit bzw. das Verständnis für Köhlers Schritt? Liegt es nicht auch darin, dass Köhler als Stellverterter für die von ihnen angespriochenen Bürger gesehen wird, die eben nicht aus ihrer Situation ausbrechen können? So etwa nach dem Motto: Wenn ich schon nicht abhauen kann, dann wenigstens er?
Nils Minkmar: Unsere Leser sind, wie die Deutschen überhaupt, einfach nett. Sie möchten einem sympathischen Mann wie Köhler nicht böse sein. Und sie haben mit den Gedanken in ihrer Frage recht: Nicht umsonst war Kerkelings Buch ein solcher Erfolg. Der Wunsch »mal was ganz anderes zu machen« oder sich zurückzuziehen trifft immer auf großes Verständnis.
In der heutigen Bundesrepublik ist der, der sagt, »nun stresse ich mich mal nicht mehr so!« eben beliebter als der, der lauthals seinen Ehrgeiz und seine Strebsamkeit verkündet!
Wie erklären Sie sich die objektive Empfindung, dass Köhler bei Bloggern deutlich unbeliebter war als im übrigen Teil der Bevölkerung?
Nils Minkmar: Der Begriff objektive Empfindung – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Davon abgesehen: Blogger sind wache, am öffentlichen Leben interessierte Menschen, die schauen vielleicht schärfer hin und denken kritischer als andere.
Ich glaube, Köhler war als Präsident ein Mißverständnis. Merkel wollte einen möglichst harmlosen, politisch unerfahrenen Beamten-Präsidenten. Warum haben viele Journalisten Köhler so lange geschont?
Nils Minkmar: Der Bundespräsident wird immer geschont. Aber Journalisten schonen generell ganz gerne, weil Kritik und Mißmut und Krach auch den Lesern oder Zuschauern leicht die Laune verhagelt, die mögen sowas nicht.
In Anbetracht der zahlreichen Köhler-Parodien des deutschen Kabaretts: Wer will sich eigentlich so etwas wie Bundespräsident in Zukunft noch antun?
Nils Minkmar: Schlimm ist es ja, wenn man nicht parodiert wird. Es gibt bedauernswertere Menschen als amtierende Staatsoberhäupter.
Wer wird’s werden?
Nils Minkmar: Ursula von der Leyen. In ihr ist Merkel eine Rivalin im eigenen Lager erwachsen, die sowohl von der Kern-CDU akzeptiert wird als auch von der SPD. Sie wäre in einer Neuauflage der Großen Koalition eine ideale Besetzung als Bundeskanzlerin gewesen. Im Schloss Bellevue ist sie gut untergebracht, Merkel ist vor ihr sicher.
Mir wäre das auch recht, ich mag Frau von der Leyen.
Zensursula – Nicht meine Präsidentin
Vielen Dank für das Interview. Es bleibt zu hoffen, daß es Frau von der Leyen nicht wird. Viele, wirklich gute Gründe, diese Frau abzulehnen, findet man beispielsweise hier.
Sie ist schlicht eine intrigante Demagogin und Lügnerin, die sich nicht zu schade ist, mißbrauchte Kinder ein weiteres mal für ihren angestrebten Verfassungsbruch zu mißbrauchen.
Pfui!
(M)ein klares Bekenntnis:
Naja, das ist starker Tobak; »Heise«-Artikel lese ich schon lange nicht mehr ob ihrer Indoktrination. Ob sie eine »Lügnerin« ist, ist fraglich. Wenn man diesen Artikel gelesen hat, gibt es natürlich einige Zweifel.
Ich weiss auch nicht, was mit dem Partywort »Zensursula« ausgedrückt werden soll; ich halte es für lächerlich.
Entgegen aller Bekundungen glaube ich nicht, dass sie es wird. Sie wäre auch nicht meine Präsident/in, aber das war Köhler auch nicht.
Lächerlich finden dürfen Sie das natürlich, nur was es ausdrücken soll, ist doch nun wirklich klar: Zensur hat ein Gesicht.
Nämlich ihres, ein (nach gesellschaftlichen Maßstäben) schönes, damit verführerisches.
Sehr schöne Wortschöpfung.
Natürlich kann man angesichts sich stets wiederholender Hysterisierungswellen der stets durch’s Dorf getriebenen neuen und doch gleichen Sau überdrüssig werden.
Doch ist sie auch die selbe?
Und die Erschöpfung mag ein gewollter Effekt sein: Im entscheidenden Moment bleibt man in seinem Sessel sitzen, man hat sein mildes Licht und liest ein gutes Buch, während es draußen dunkelt.
Wie gesagt, ich halte den Begriff für lächerlich. Er desavouiert jeden Diskutanten als eine Art Wirtshausstammtischler, der es ernsthaft verwendet. Die Aktion von vdL gegen Kinderpornografie war unbeholfen und teilweise auch lächerlich inszeniert, aber Zensur ist etwas anderes.
Ich verstehe ja, dass man ständig neue Hysterierungsebenen entdecken muss, um eine gewisse Aufmerksamkeit zu erzeugen, aber diese Form halte ich für kontraproduktiv.
Sagen Sie doch einfach mal zur Abwechslung für welche Person sie sind.
Da es wohl ein Konservativer sein muß: Hans-Jürgen Papier
Er gehört zu den wenigen politisch relevanten Konservativen, denen ich nicht nur zutraue, einen durch die Bundesregierung angestrebten potentiellen oder realen Verfassungsbruch zu erkennen, sondern im Gegensatz zum nun abgetretenen Köhler auch durch Unterschriftsverweigerung abzuwehren. Wie es die Pflicht eines Bundespräsidenten ist! Bei Köhler leider: Gewesen wäre.
Damit treffen Sie bei mir ins Schwarze. Genau das wäre der Richtige.
Aber der ist zu »rebellisch«. Merkel will jetzt endlich eine richtige Marionette.
Noch ein Nachtrag
Ich meinte aber nicht Ungeschicklichkeit oder Unbeholfenheit oder Irrtum.
Sondern Lüge, Demagogie und Verfassungsbruch.
http://ak-zensur.de/gruende/
Von dort aus finden Sie weiteres, zuverlässiges und glaubwürdiges Material, falls es Sie interessiert.
Eine Lügnerin und Demagogin sowie eine, die sich einen Dreck um das Grundgesetz zu scheren scheint, wäre nun definitiv die falsche Frau im Bundespräsidentenamt. Schließlich ist dieses Amt immer häufiger die vorerst letzte Hürde vor einem gesetzlich sanktionierten, daß heißt einem von der Legislative beschlossenen Verfassungsbruch.
Ich weiß, wovon ich da schreibe. Meine Worte sind wohlüberlegt und kein »Schnellschuß«.
Eine Teil-Liste mit Leyens bewußten und mitunter verleumderischen Falschaussagen finden Sie auch bei Jörg Tauss, falls Sie sich überwinden können, bei ihm zu lesen:
http://www.tauss-gezwitscher.de/?p=980
»Zensursula« ist als Bezeichnung allenfalls noch viel zu harmlos.
Ihr »Wirtshausstammtischler«
Ja, Herr Viehrig, mit dieser Rubrizierung damit müssen Sie eben auch leben. Und machen Sie jetzt nicht den Köhler! Ich finde es im übrigens höchst zweifelhaft hier Links zu Herrn Tauss’ Blog zu setzen.
Je mehr den Begriff der »Zensur« trivialisiert, umso weniger werden die Leute irgendwann merken, falls es wirklich eine geben sollte.
Ich habe gestern »hart aber fair« mehr erlitten als gesehen: Oppermann, Söder, Trittin: Kasperletheater wie bei Vorschulkindern. Da sollte »das Netz« mehr zu bieten haben als »Zensursula« und Tauss.
Grundsätzliches:
Ich ersuche, zukünftig entweder den Begriff der »Lügnerin« detailliert zu erläutern oder ihn zu unterlassen. Wenn Sie das nicht können, sind Sie übrigens selber einer. Sie wissen vielleicht, ein solcher Vorwurf ist justitiabel. Unterbleibt dies, werde ich solche Kommentare in Zukunft ankündigungslos löschen. Ich beteilige mich gerne an Diskussionen, aber nicht an Denunziationen. Ein Mindestmaß ein Diskussionskultur sollte man schon einhalten.
Ob seiner ziemlichen politischen Inkorrektheit habe ich mir das Ergebnis einer Untersuchung gemerkt, die wohl von einem Journalistikprofessor in Leipzig durchgeführt worden ist. Er hat festgestellt, dass ein Beruf umso mehr an Renomee einbüßt und umso stärker die Gehälter sinken, je höher die Frauenquote wird. Für den Journalismus ist das offensichtlich, es gilt aber wohl auch für den Arzt- und den Lehrerberuf, Sekretäre, etc.
Ein Bekannter von mir hat, bevor Leyen ins Gespräch gebracht worden ist, angemerkt, dass bisher Frauen immer nur aufgestellt worden sind, wenn ziemlich sicher war, dass die eigene Kandidatin nicht gewählt wird.
Es gibt jetzt also zwei völlig unterschiedliche Interpretationen: Die Gleichstellung der Frauen hat zwei große politische Talente (Merkel und Leyen) ganz nach oben gebracht. Oder die Ämter der Bundeskanzlerin und der Bundespräsidentin (ich über schon mal die feminine Variante) haben tendenziell im Vergleich zu früher an Bedeutung verloren.
Es gibt auch Meinungen, die sagen, dass Frauen in Machtpositionen männliche Attribute übernehmen bzw. nachahmen. Ich halte solche Rubrizierungen und Zuordnungen für wenig hilfreich. Das ist m. E. 70er Jahre Gender-Gerede und bringt uns nicht weiter.
Merkel hat sich sehr machtbewusst gezeigt und sich im entscheidenden Moment (der Spendenaffäre um Kohl) gegen die ganze Männerriege gestellt. Dann hat sie auch noch Schäuble weggebissen (was nicht schwer war, weil er ja den Bundestag wissentlich angelogen hatte). Dann begann in Kohl-Manier der sukzessive Ausbau der Macht. Kohl hatte wenigstens am Anfang noch Seiteneinsteiger reingeholt (sie durften ihm freilich nicht zu gefährlich werden, siehe Süßmuth). Merkel hat ihre Machtposition ausgebaut, in dem sie Gegner systematisch herausgetrieben hat.
Köhler sollte ein schwacher Präsident werden, der Merkel/Westerwelle im Präsidialamt den Rücken frei hält. Völlig überraschend reichte es dann 2005 für schwarz-gelb nicht (man dachte ja ursprünglich, die Wahl finde 2006 statt). Köhler sah sich aber nicht als Politiker, was entgegen der immer wieder kolportierten Meinung so gar nicht stimmt. Schließlich war er Staatssekretär bei Waigel. Er wusste auch, wie in großen Administrationen zu arbeiten ist. Aber er war es nicht gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen und seine Meinung offensiv zu vertreten. Daher beschränkte er sich auf wohlfeiles Stammtischgerede, schwadronierte (Prantl) von »Monstern« (Banker) und ähnliches. Das ist aber eines Bundespräsidenten nicht würdig. Visionen und Ideen kamen von ihm nicht; er orientierte sich an mahnende Präsidenten wie bspw. Herzog, ohne jedoch dessen Charisma zu haben (im übrigen blieb Herzog auch ziemlich erfolglos).
Mit von der Leyen schlägt Merkel nun einen weiteren Pflock ihrer Macht ein: Die wird sicherlich keine Probleme bei der Unterschrift von Gesetzen machen. Moralische Instanz kann sie gar nicht sein – und das ist auch durchaus gewollt. vdL wird eine Präsidentin von Merkels Gnaden; eine Marionette. Das Amt wird ausgehöhlt, trivialisiert. Es ist eine Schande.
Vielleicht wird sie es ja nicht, aber sie würde schon wieder zu sehr beschädigt, wenn man jetzt jemand anderes benennen würde. Trotz einer Mehrheit von ca. 22–24 Stimmen in der Bundesversammlung wird sie es m. E. im ersten Wahlgang nicht schaffen. Wenn die SPD klug beraten ist, versucht sie einen überparteilichen, honorigen Kandidaten dagegen zu setzen, der für Teile der FDP/CDU auch wählbar ist.
[EDIT: 10:58]
Einige Gedanken zum Bundespräsidentenamt
Die auf bewusster Fehlinterpretation von Köhlers Äußerungen beruhende Empörungswelle, dessen ziemlich trotzig wirkender Rücktritt und die wohl leider nicht satirisch gemeinten Kandidatenvorschläge à la von der Leyen, Käßmann oder Gysi zeigen doch nur zu deutlich, dass sich das Ansehen des Bundespräsidentenamtes in einer Krise befindet.
Dies mag zum Teil auch mit der eher zurückhaltenden Kompetenzausübung zu tun haben, zu der sich die meisten bisherigen Präsidenten wohl auch im Hinblick auf den Willen des historischen Grundgesetzgebers verpflichtet gefühlt haben. (Die entsprechende öffentliche Aufmerksamkeit bei der Ausübung bestimmter Kompetenzen zeugt ja gerade von der Seltenheit des entsprechenden Vorgangs.) Insofern irrt Herr Minkmar, wenn er das Bundespräsidentenamt als das »Amt Friedrich Eberts« bezeichnet. Der Bundespräsident soll nicht die Stellung Eberts haben, weil er auch nicht die Stellung Hindenburgs haben soll.
Die bisweilen vorgebrachte These, dass das Amt des Bundespräsidenten überflüssig ist, kann man meines Erachtens nicht so einfach von der Hand weisen. Es wäre nicht besonders schwierig, seine Aufgaben auf andere Verfassungsorgane (Bundestags- und/oder Bundesratspräsident, Bundeskanzler, Bundesverfassungsgericht) zu übertragen.
Wie dem auch sei: Ein Bundespräsident, der alle ihm von der Verfassung gegebenen Mittel ausschöpft, über eine doch nicht unerhebliche Machtfülle verfügen. Wenn man dann noch einige strittige Punkte entsprechend interpretiert (und zum Beispiel ein umfassendes materielles Gesetzesbeschlussprüfungsrecht des Bundespräsidenten bejaht), ist man doch ziemlich weit von der Rolle des Staatsnotars entfernt. Eine derart offensive Interpretation des Amtes würde diesem zwar sicherlich zu größerem Respekt verhelfen, wäre meines Erachtens hinsichtlich des Demokratie- und des Rechtsstaatsprinzip aber nur dann unangreifbar, wenn der Bundespräsident vom Volk gewählt würde und nicht von den Gesetzgebungsorganen (bzw. deren Vertretern), zu deren Kontrolle er dann ja etwa durch das (unter den gegebenen Umständen zu Recht umstrittene) umfassende materielle Gesetzesbeschlussprüfungsrecht auch berufen wäre.
Eine Volkswahl des Bundespräsidenten (und eine damit verbundene Legitimation der Ausübung bestimmter strittiger Kompetenzen) hätte möglicherweise auch den positiven Effekt, dass nicht mehr absolut unpräsidenziable Personen wie von der Leyen, Käßmann oder Gysi für dieses Amt in Erwägung gezogen würden. Oder aber vielleicht gerade deswegen doch?
Eine Volkswahl des Bundespräsidenten (Günther Jauch als Präsident?) wäre ein Schritt mehr zu einer präsidialen Demokratie. Er (sie) hätte dann eine größere Legitimation wie der Bundeskanzler. Damit lebt zwar Österreich auch, aber ich halte das mindestens für problematisch.
Ehrlich gesagt halte ich diese Wünsche nach mehr Partizipation des Volkes an der Demokratie für ziemlich heuchlerisch. In NRW wurden schon einige Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene zur Abstimmung gestellt – mit teilweise niederschmetternden Ergebnissen. Die Wahlbeteiligung lag oftmals unter 20%. Kommunalwahlen weisen eine erschreckende Beteiligung aus; etwas besser sieht es bei Landtagswahlen und Bundestagswahlen aus. Der Drang vieler Bürger, sich an Politik zu beteiligen, die sie selber gar nicht direkt betrifft, scheint enorm groß zu sein. Wenn es jedoch darum geht, ob ein Stadtviertel neu gestaltet wird, interessiert es sie nicht.
Was sie zur Ambivalenz des BP sagen, ist durchaus richtig. Ihn mit wenig offizieller Macht auszustatten beruht darauf, dass man keinen mächtigen Präsidenten haben wollte, der alleine Entscheidungen treffen kann. Ich persönlich mag auch keine Präsidialdemokratien. Spätestens seit Richard von Weizsäcker, der das Amt als moralisch-politische Instanz verstand und es auch sehr gut dahingehend ausführte, glauben nun alle Nachfolger sich derart in Szene setzen zu müssen. Die wirken dabei meist hilflos, manchmal – Köhler – peinlich. Ihr Anspruch ist ein anderer als ihr Charisma. Es reicht nicht, Ruck-Reden zu halten oder in Afrika Kindern den Kopf zu tätscheln. Dafür brauchen wir wirklich keinen Bundespräsidenten. Aber es zeigt sich, dass das Amt mit der Person steht und fällt. Heinemann und von Weizsäcker waren herausragend. Davor und danach hat zu oft Parteienproporz oder Rentnerversorgung eine Rolle gespielt. Der beste Mann/die beste Frau wurde es schon lange nicht mehr (z. B. Hildegard Hamm-Brücher 1994).
Sie haben durchaus Recht: Mehr Volksbeteiligung ist keine per se gute Sache. Eine Direktwahl des Bundespräsidenten dürfte aber unumgänglich sein, falls man seine Rolle stärken möchte, sei es auch nur dadurch, dass man bestimmte umstrittene Kompetenzbereiche extensiv interpretiert (weil man dadurch – wie erwähnt – in Konflikt mit den Grundprinzipien der Verfassung gerät).
Ich persönlich könnte mich übrigens problemlos mit der Abschaffung des Bundespräsidentenamtes und der Übertragung der entsprechenden Kompetenzen auf andere Verfassungsorgane anfreunden.
Was von Weizsäcker betrifft, so bin ich anderer Ansicht als Sie. Ich fand seine Amtsführung durchwachsen und zum Beispiel seine Äußerungen zur Machtvergessenheit und Machtversessenheit der Politik schlichtweg deplatziert. (Ich möchte nicht so weit gehen, von Populismus oder Anbiederung zu sprechen.) Von Weizsäcker hat das paradoxe Vorbild einer beliebten moralischen Instanz geschaffen. Viele – nicht nur seine Nachfolger, sondern zum Beispiel auch Kirchenvertreter – haben ihm nachgeeifert und sich dabei mehr und mehr auf stereotype, den consensus bonorum wiederkäuende, ethisch unangreifbare, aber letztlich jegliche konstruktive Debatte lähmende und irgendwie auch unauthentisch-unglaubwürdige Gemeinplätze verlegt. Diesen Vorwurf muss man beispielsweise auch Käßmann machen, bei der ich wirklich nicht sehe, was sie zur Bundespräsidentin qualifizieren würde.
Ich denke, dass von Weizsäcker sehr viel Schaden angerichtet hat: Deutschland würde – wenn überhaupt – moralische Autoritäten benötigen, die nicht auf die Gunst des Publikums schielen.
Auch wenn einzelne Vokabeln drastisch gewählt waren: Letztlich hatte von Weizsäcker recht, was die Machtversessenheit der Parteien angeht. Die Beispiele lassen sich mühelos weiterspinnen bis in die heutige Zeit. Parteien arbeiten lt. GG an der politischen Meinungsbildung mit. Aber sie betreiben es nicht ausschließlich. Ich finde nicht, dass er dem and geschadet, eher im Gegenteil. Dass er keine Alternativen aufgelegt hat, lag/liegt auch darin, dass die Selbstreinigungskraft der politischen Klasse naturgemäß sehr begrenzt ist. Daher kritisieren auch fast immer Politiker, die am Ende ihrer Karriere sind das System – sie haben entweder alles erreicht oder brauchen es nicht mehr.
Ich glaube auch nicht, dass von Weizsäcker auf die Akklamation durch das Publikum geschielt hat – Beispiel: Rede zum 8. Mai 1985. Die Kernaussage dieser Rede – der 8. Mai als Tag der Befreiung – war damals bei sehr vielen Parteifreunden höchst umstritten.
Dass insbesondere Roman Herzog und jetzt Köhler auf den Zug des »Bürgerpräsidenten« aufgesprungen sind, darf man von Weizsäcker nicht anlasten. Es gibt es Unterschied zwischen opportunistischem Reden und Reden aus einer gewissen Überzeugung heraus. Da war es eben eher unglaubwürdig, wenn ein ehemaliger IWF-Boss den Kapitalismus zähmen will, ohne beispielsweise auch die Fehler der Vergangenheit aktiv einzubeziehen in seine Betrachtungen. Und Herzogs »Ruck-Rede« war so geschickt gehalten, dass jeder mit dem Finger auf andere zeigen konnte.
Im Verhältnis zu Lübke, Scheel und Carstens (allesamt mehr oder weniger überforderte Amtsträger) war Köhler allerdings noch einigermaßen passabel.
Sorry, Herr Viehrig...
das, was Sie da auflisten sind keine Lügen (ich empfehle Ihnen dazu die einschlägigen Definitionen), sondern Frau vdL stellt Behauptungen auf, die Ihrer Meinung nach nicht zutreffen. Wenn Sie diesen kleinen, aber feinen Unterschied nicht kennen sollten, spricht das Bände.
Um Ihrer Darstellung des Schverhalts eine höhere Wirkung zu verschaffen, müssen Sie die Meinung der Politikerin (die ja durchaus falsch sein kann) heruntermachen. Nochmals sorry, aber das ist demagogisch. Da wundern Sie sich, dass man Blogger nicht ernst nimmt?
Wenn ich beispielsweise sage, der EInsatz in Afghanistan ist notwendig, um den Terrorismus in der Welt zu begrenzen, ist dies auch keine Lüge, sondern eine Behauptung. Dieser kann man zustimmen oder man kann sie widerlegen. Man darf sie aber nicht denunzieren, nur weil sie einem nicht passt.
Sie verrennen und verbeißen sich da auf eine Person, die Ihnen sehr unsympathisch sein muß. Emotionen sind allerdings nie gute Ratgeber (ich weiß, wovon ich rede), sollten aber in öffentlichen Auseinandersetzungen unterbleiben. Die Tatsache, dass die damals beschlossenen (und nie umgesetzten) Maßnahmen von vdL und dem damaligen Kabinett unzureichend waren, lässt nicht per se den Schluß zu, dass sie falsch sind. Und Sie verschließen vermutlich Ihre Haustür, obwohl Sie wissen, dass man da mit entsprechendem Material einbrechen kann.
Die Initiativen der damaligen Bundesregierung war auf den Effekt konzipiert – keine Frage. Aber statt sich argumentativ einzubringen, werden die rhetorischen Keulen geschwungen. Darin spiegelt sich das Gefühl der Ohnmacht, welches man jedoch selber erzeugt, in dem man sich so verhält. Als ich zur Schule ging, gab es einen Mitschüler, der jegliche verbale Auseinandersetzung mit einem gezielten Tritt in die Weichteile beantwortete. Das Ergebnis war, dass irgendwann niemand mehr mit ihm sprach.
Ich frage mich, was passiert wäre, wenn irgend jemand mit diesen maßnahmen statt gegen Kinderpornografie gegen Nazis im Netz vorgegangen wäre – das volle Programm: Stop-Schild, Provider-Vertrag, usw. Wie wäre da die Reaktion der sich so progressiv gebenden »Netzgemeinde« gewesen?
Hinweis: Diesen Kommentar lasse ich stehen. Weitere Kommentare mit der Vokabel Lüge oder Lügnerin in Bezug auf irgendeine eine Person, werden sofort gelöscht.
[EDIT: 2010-06-04 08:30]
Von Weizsäcker
Vieles von dem, was v.W. über die Parteien äußerte, war inhaltlich richtig oder zumindest diskussionswürdig. Aber auch Stammtischparolen über »die Politiker« treffen bisweilen ins Schwarze. Ebenso unglaubwürdig wie Köhler als Kapitalismuskritiker war der ehemalige Parteipolitiker v.W. als Parteienkritiker. Zumindest hätte man eine differenzierte Betrachtung der eigenen Rolle in den entsprechenden Machtstrukturen erwarten können. V.W.s Schelte war – mit Verlaub – selbstgerecht, unredlich und wohlfeil. Sie geschah meines Erachtens nicht aus Überzeugung, wie Sie vermuten, sondern in dem Bewusstsein, in der öffentlichen oder zumindest der veröffentlichten Meinung damit punkten zu können (letztlich also aus Eitelkeit).
V.W.s Reflexionen zum 8.5.85 bildeten sicher die Sternstunde seiner Amtszeit. Zweifellos war die Auffassung der deutschen Kriegsniederlage als Befreiung damals noch nicht Allgemeingut, somit aktivierte das Wort des Bundespräsidenten den öffentlichen Diskurs in Richtung eines angemesseneren Geschichtsbildes. Gleichwohl bin ich auch in diesem Zusammenhang der Meinung, dass v.W. sehr genau antizipierte, welche (zustimmenden) Reaktionen seine Äußerungen in den Medien auslösen würden. Dafür nahm er die Ablehnung aus den Reihen der Union in Kauf.
Lassen Sie es mich so sagen: V.W. war ein Medienpräsident, der ziemlich genau wusste, wie er die Akklamation des Journalistenstandes erlangen konnte. Dadurch und durch die infolge seiner Bemerkungen rasant um sich greifende und bis heute anhaltende Disqualifizierung der classe politique hat er den Kommunikationsstil nicht nur seiner Nachfolger wesentlich geprägt: Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt eine Bundeskanzlerin haben, die zwar eine der abgeklärtesten Machtpolitikerinnen ist, die die Bundesrepublik je hatte, die sich aber vor den Kameras als eine Art fürsorglich-schlichtende Mutter der Nation verkauft.
Einwurf
Mit dem Ergebnis, dass wir jetzt eine Bundeskanzlerin haben, die zwar eine der abgeklärtesten Machtpolitikerinnen ist, die die Bundesrepublik je hatte, die sich aber vor den Kameras als eine Art fürsorglich-schlichtende Mutter der Nation verkauft.
Aber irgendwie doch auch Aufgabe aller Politiker: Mehrheiten und Macht zu organisieren, letztere auch auszuüben
@Metepsilonema
Ja, klar, aber es darf nicht nur um der Macht willen Macht existieren. Sie muss auch – sozusagen – ausgeführt werden. Und das geschieht viel zu selten – allerdings mehr, als man gemeinhin von Merkel denkt. Das »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«, die Hilfen für Griechenland (bzw. den Banken, denen Griechenland Geld schuldet), der Euro-Fonds – das alles sind ja Entscheidungen. Für die meisten aber die falschen.
@Zehner / über von Weizsäcker
Dass mit dem »Medienpräsidenten« ist mir zu hart. Vielleicht begriff er sich aber tatsächlich als Gegengewicht zum immer präsidentialer (und arroganter) werdenden Kohl. Und die Rede zum 8.5. war damals durchaus ein Risiko.
Vielleicht sollte man besser von Machtmenschen, als von Machtpolitikern sprechen, das scheint mir angemessener und sauberer, weil es sich bei dem Kritisierten ja um einen persönlichen Zug handelt, und Politiker dagegen eine Berufsbezeichnung ist.
Wobei: Ein Machtmensch, der ein Politiker ist, ist auch meistens ein Machtpolitiker. Wobei Macht an sich natürlich immanent ist. Man sollte daher tatsächlich von einem »machtversessenen« Politiker sprechen. Das ist Merkel zweifellos.
Ja, irgendwie auf diese Art und Weise, jedenfalls gehören Macht und Politik(er) zusammen. Es fällt dann auf, wenn Entscheidungen die von Macht(positionen) aus getroffen werden, nicht der Sache und dem Positionserhalt dienen, sondern ausschließlich letzterem. Wolfgang Schüssel wäre eine Beispiel aus Österreich. Wobei Merkel das gut kaschiert, mir ist das bislang kaum aufgefallen.
@ GK:
Gut, dass Sie Kohl erwähnen. Ein Teil des Weizsäcker’schen Fluidums beruhte wohl auch auf dem Kontrast zu dem in der Medienkommunikation ziemlich ungeschickten Regierungschef.
@ Met.:
Natürlich soll und darf die Kanzlerin Macht ausüben. Aber eine gewisse Publizität, die ich bei Merkel vermisse, wäre dabei durchaus wünschenswert. Undenkbar, dass Merkel – so wie etwa Schröder – die Richtlinienkompetenz des Kanzlers ins Feld führt; undenkbar, dass Merkel einen umstrittenen Gesetzentwurf vehement verteidigt und nicht den (für die Erarbeitung des Entwurfs freilich zuständigen) Fachminister als Prellbock vorschickt; undenkbar, dass Merkel partei- oder koalitionsinterne Streitigkeiten nicht nach Art eines Schiedsrichters entscheidet, sondern sich klar und deutlich auf einer Seite positioniert.
Diese Unsichtbarkeit der Machtausübung steht in krassem und irgendwie beängstigenden Widerspruch zu der Sinnfälligkeit ihres Erfolgs: Das »Mädchen« (O‑Ton Kohl) aus dem Osten hat es geschafft, sämtliche CDU-Platzhirsche um ihr Geweih zu bringen. Jetzt hat auch Koch das Handtuch geworfen (vielleicht kehrt er zurück, wenn Merkel mal so untragbar wird wie Kohl in den letzten Jahren seiner Amtszeit bzw. wenn diese Untragbarkeit auch in der Union wahrgenommen wird), und Wulff wird ins Schloss Bellevue weggelobt, wodurch er für die alltägliche Machtpolitik gleichsam verbrannt ist.
—-
Zu Gaucks Kandidatur möchte ich mich eigentlich auch noch äußern. (Das können Sie jetzt als Drohung oder als Versprechen betrachten.) Aber nicht heute, dafür bin ich schon zu müde.
@Zehner
Möglich dass ich da jetzt in eine gender-Grube stolpere, aber kann es nicht auch sein, dass Merkel als Frau Macht anders, also subtiler und verdeckter ausübt, als wir es von Männern (die meist die bedeutenden politischen Rollen besetzen) gewohnt sind?
@Metepsilonema
Zehner hat mit der Charakterisierung von Merkels Politiksimulation vollkommen recht. Dabei ist das Zögern und Abwarten vielleicht noch nicht einmal das Schlimmste. Noch schlimmer ist, dass sie tatsächlich für ihre so zögerlich getroffenenen Entscheidungen kaum eintritt und Rückgrat zeigt. Wir werden dies sehen, wenn die Kritiken auf das sogenannte Sparprogramm niederprasseln. Noch ist sie ja standhaft und kürzt bei Bildung und Forschung nicht. Aber was, wenn die zahlreichen Luftbuchungen des Programms sich als solche entpuppen? Dann haben wir ganz schnell die Wendungen.
Schröder wurde ja – m. E. zu Unrecht – als »Basta«-Kanzler gebranntmarkt. Das war er nur am Ende. Zu Beginn hat er durchaus versucht mit runden Tischen und Gesprächen Gedanken zus ammeln und sich selbst darin zu überprüfen. Er hat nur festgestellt, dass man es irgendwann niemandem recht machen kann und dann kam das berühmt-berüchtigte »Basta«. Dies einem Bundeskanzler vorzuwerfen, war natürlich Unsinn – schließlich hat er Richtlinienkompetenz und auch durchaus Grenzen, die er nicht bereit ist, zu verlassen. Eben diese Grenzen erkennt man bei Merkel nicht.
Ich weiß nicht, ob man mit der Geschlechterfrage da wirklich weiterkommt. Weil Merkel ja in punkto Machtinstinkt durchaus »männlich« agiert, vermag ich das zögerliche Regieren nicht als weiblich zu charakterisieren. Sie hat innerhalb ihrer Partei tatsächlich in zehn Jahren CDU-Vorsitz das geschafft, wozu Kohl viel länger brauchte: Sie hat keinen Rivalen mehr, der ihr »gefährlich« werden könnte. Das hat aber auch den Nachteil, dass es keinen Kronprinzen (oder Kronprinzessin) gibt – außer schwache Figuren.
@Gregor
Ich wollte seiner Charakterisierung gar nicht widersprechen, es ging mir eher um eine Ursache.
Auch der Instinkt widerspricht da nicht unbedingt, sondern es geht um die Art der Ausübung, und da hält sich Merkel schon sehr bedeckt bzw. verdeckt. Das Zögerlich, da hast Du recht, kommt »woanders« her.
@Metepsilonema
Ja, das Zögerliche wird aufgrund ihrer DDR-Sozialisation angenommen. Ich kenne das aber auch von Menschen, die mit der DDR rein gar nichts zu tun hatten.
Das Zögerliche unterscheidet sie dann eben doch von Kohl, der wenigstens eine Vision hatte (Europa). Merkel hat nichts.
Das Merkel im Moment nichts hat, ist kaum zu übersehen, aber hatte sie nicht mal etwas? Zumindest meine ich mich an eine andere Merkel zu erinnern (Klima-Engagement, Europa usw.). Oder haben sich jetzt nur bestimmte Eigenschaften verstärkt, die ohnehin da waren?
@Metepsilonema
Gute Frage. Meine subjektive Antwort: Sie hatte nur ganz am Anfang »etwas«. Das war der Leipziger Parteitag, als Friedrich Merz die markt-liberale CDU formulierte und Merkel dies mittrug. Dieser Artikel trifft die Stimmung damals ja sehr gut. Die sogenannte »Kopfpauschale« im Gesundheitswesen war ja sehr wohl einmal CDU-Programmatik. Spätestens 2005, als sie mit Kirchhof als Gallionsfigur bei der Bundestagswahl fast gescheitert wäre, hat sie sich von allen Projekten verabschiedet.
Die von Dir angesprochenen Felder bearbeitet sie rein nach Aganda – ohne Leidenschaft. eigentlich handelt sie wie ein besserer Beamter, der Problemfelder erkennt und notwdürftig flickt. Der Beamte kann natürlich nichts verändern, sondern ist nur ausführendes Organ. Merkel führt letztlich nur das aus, was kleinster gemeinsamer Konsens in der jeweiligen Koalition ist. Das ging in der großen Koalition gut, weil sie geschickt die schlechten Nachrichten der SPD überließ. Jetzt, als sie selber Akzente setzen muss, versagt sie (ich wähle dieses Wort sehr bewußt). Das begann schon bei den Koalitionsverhandlungen, als die CDU als einzige Partei praktisch keine Programmatik einbrachte (im Gegensatz zur CSU und natürlich der FDP – man mag dazu je stehen, wie man will).
Zu Merkel: Ich bin sicherlich gänzlich unverdächtig, ihre Partei oder ihre politischen Überzeugungen zu mögen. Aber ich glaube, ihr größtes Pfund ist, dass sie ständig unterschätzt wird. Das ist bei ihrem Aufstieg zur CDU-Chefin und zur Bundeskanzlerin ihren Konkurrenten so gegangen und das passiert hier in der Diskussion wieder. Ich halte sie hingegen für eines der größten politischen Talente, man bemerkt ihre Intelligenz an ihrer Sprache. Bei Kohl hatte ich diesen Eindruck nie, allenfalls Schäuble kann es heute mit ihr aufnehmen.
Ich weiß nicht genau, ob man dafür (m)eine ostdeutsche Sozialisation braucht, um ihre Sprache zu dekodieren, aber ich kenne keinen anderen Politiker (außer Gysi natürlich, und der hat sein Handwerk auch in der DDR gelernt), der so genau Fragen versteht und beantwortet. Sie beantwortet sie tatsächlich, auch wenn viele das nicht so sehen. Bei den meisten anderen Politikern habe ich hingegen den Eindruck, dass sie die an sie gestellten Fragen nicht verstehen und stattdessen vorgefertigte Textblöcke aus dem Gedächtnis rezitieren.
@Gregor/Köppnick
Danke für den Link. Merkel wurde mit Sicherheit einige Zeit lang unterschätzt, aber ich habe (als Beobachter am Rande) schon den Eindruck, dass sich etwas an ihr bzw. ihrem Auftreten verändert hat – immer weiter zu dem was Gregor und Zehner oben beschrieben haben (auch wenn ich nicht in jeder Hinsicht zustimme).
Kohl war doch – auch das ist jetzt mehr Ratespiel – eher »Instinktpolitiker«, oder? Ich glaube aber, dass Intelligenz nicht unbedingt ein Widerspruch zu dem diagnostizierten Fehlen von Visionen, zu Zögerlichkeit etc. stehen muss.
@Köppnick
Was genau macht für Dich politisches Talent noch aus? Intelligenz alleine ist ja nicht alles.
Politisches Talent: Zunächst mal ist das Tempo, mit dem sie es von einer Unbekannten zur Bundeskanzlerin geschafft hat, Beleg dafür. Und dann genau das, was viele an ihr kritisieren: Dass sie nicht mit eigenen Vorschlägen vorprescht, sondern dass sie andere machen lässt und sich später dem anschließt, was sich bewährt (was sich durchgesetzt) hat. Sie ist gleichzeitig Chefin und Teamspielerin. Ein Bundeskanzler ist eben kein Monarch und Autisten an der Spitze irgendwelcher Organisationen hat es schon genug.
Alles andere, das man ihr vorwirft, nämlich dass sie viele Probleme nicht entschlossen anpackt und löst, ist gar nicht ihr Fehler, sondern eine Eigenschaft dieser Probleme. Es gibt überhaupt keine Lösungen dieser Probleme, die nicht von einer der betroffenen Gruppen torpediert würden. So muss man auf eine weitere Verschärfung warten, bis der Leidensdruck noch größer geworden ist und auch die größten Blockierer als solche dastehen und für ihnen unangenehmenen Lösungen zustimmen.
@Köppnick
Natürlich der Bundeskanzler kein Monarch. Aber er (sie) ist jemand, der – das steht tatsächlich im Grundgesetz – die Richtlinienkompetenz wahrzunehmen hat. Eine gewisse Festigkeit und Stimmigkeit in der Politik ist dafür Voraussetzung. Wenn man sich jedoch danach orientiert, was mehrheitsfähig ist, kommt natürlich keine Stringenz auf.
Ich widerspreche auch der These, dass die Probleme Entscheidungen nicht zulassen. Das Gegenteil ist richtig. Meine Erfahrung mit entscheidungsschwachen Personen (in der Wirtschaft): Man dämonisiert die Probleme und hat dann eine Ausflucht für seine Indifferenz. Ein Kanzler/Kanzlerin, der sich nicht mit den Lobbygruppen anlegen kann und will, soll es besser gleich lassen.
Ein schönes Beispiel für diese Indifferenz dieser Tage: Der FDP-Wirtschaftsminister lehnt Finanzgarantieren für Opel/GM ab. Merkel hatte sich vorher schon positioniert und immer wieder betont, sie setze sich für Opel ein. Warum implementiert sie dann ein gremium, dass dem Eirtschaftsminister die Entscheidungskompetenz zukommen lässt – einem Minister, von dem sie weiss, dass er sich gegen ihre Zusagen stellt?
Inzwischen haben wir mehrere Regierungen in einer Regierung. Eine nimmt Rücksicht auf die FDP, die schon in zwei Politikfeldern desavouiert wurde (Steuersenkungen und Gesundheitspolitik). Die andere geriert sich als Sozialdemokratie in der Union. Zwischen diesen Flügeln laviert Merkel. Die laviert, aber sie führt nicht. Genau das müsste sie.
Dass das mit ihr alles schnell ging: geschenkt. Niemand hat sie gezwungen, derartige Positionen anzunehmen und anzustreben. Wenn man diesen nicht gewachsen ist, sollte man gehen. Sie hat in den letzten Wochen gesehen, wie man das machen kann (Koch) oder auch nicht macht (Köhler). Aber sie wird ihrem großen Vorbil Kohl nach das alles aussitzen. Zum Schaden des Landes.
Zentrale Lügen der von der Leyen
Auf Wunsch eines einzelnen Herren hier nochmal eine Übersicht zentraler Lügen von der Leyens (unvollständige Aufzählung):
Lüge 1:
Richtig ist:
Das Internet ist kein »rechtsfreier Raum«, schon gar überhaupt nicht diesbezüglich.
Lüge 2:
Richtig ist:
Es gibt keinen Massenmarkt und auch keinen kommerziellen Vertrieb, es gibt des weiteren auch keine Millionenumsätze. Es handelt sich fast ausschließlich um Einzeltäter, die in geschlossenen Zirkeln tauschen, zumeist auch gänzlich außerhalb des Internets (Post, Handy). Es gibt keine kommerziell gehostete Kinderpornographie im WWW.
Lüge 3:
Richtig ist:
Der Hauptteil der geschlossenen Zirkel wird in Deutschland gehostet.
Lüge 4:
Richtig ist:
Benutzt man die Sperrlisten anderer Länder, bei denen Deutschland auf Platz 4 des globalen Hostings von blockierten Seiten steht und sucht sich mal wirklich illegales Material (was dort selten genug ist) heraus, so erfolgt die Löschung nach Hinweis an den Provider umgehend. Diese Listen sind den deutschen Ermittlungsbehörden bekannt, jedoch blieben die Server mehr als ein Jahr weiter online.
Lüge 5:
(Umkehrung Lüge 4)
Richtig ist:
Es gibt offenbar keinen gegenseitigen Informationaustausch der jeweiligen Staaten.
Das folgende stimmt (!) :Lüge 6Richtig ist:
Das ist einer wesentlichen Gründe, warum die Täter nur in geschlossenen Zirkeln agieren.
Nun aber: Lüge 6:
Richtig ist:
In einem Versuch des AK-Zensur anhand der bekanntgewordenen Sperrlisten anderer Länder haben alle Hoster zeitnah reagiert. Innerhalb von 12 Stunden wurden 60 Webauftritte gelöscht.
a) Die ersten Reaktionen bzw. Löschungen erfolgten bereits nach wenigen Minuten und kamen unter anderem aus den USA, Holland, Dänemark, Russland sowie Deutschland.
b) Drei der jetzt vom Netz genommenen Webauftritte befanden sich auf Servern in Deutschland.
c) Insgesamt wurden automatisiert 348 verschiedene Provider in 46 Ländern angeschrieben und über rund 1943 gesperrte, vorgeblich illegale Webseiten informiert. Eine manuelle inhaltliche Analyse der Webseiten hat vorher nicht stattgefunden. (Da dies in Deutschland illegal ist!)
d) 250 Provider haben auf die Anfrage geantwortet, haben aber hauptsächlich legale Inhalte gefunden; mit Stichproben konnten diese Angaben bestätigt werden.
e) Zehn Provider gaben an, ingesamt 61 illegale Inhalte entfernt zu haben. Mit einer einfachen E‑Mail erreicht man also zumeist schon viel.
f) Bei der überwiegenden Mehrheit der Webseiten, darunter einigen aus Deutschland, zeigte sich bei der Überprüfung durch den Provider, dass die Webseiten kein kinderpornographisches, teils überhaupt kein irgendwie beanstandbares Material enthielten – die Webauftritte waren folglich fälschlich gesperrt. In Finnland werden zudem auch mehrere inländische Webseiten blockiert, die sich kritisch mit den dortigen Internet-Sperren auseinandersetzen.
g) Die Provider wurden bislang nicht darüber informiert, dass die bei ihnen gehosteten Webauftritte auf einschlägigen Sperrlisten geführt wurden.
h) Wenn sie darauf hingewiesen werden, sind die Provider zur Kooperation bereit und entfernen illegale Inhalte umgehend.
i) Teilweise handelte es sich bei dem gesperrten Material um »gecrackte« Webauftritte, also solche, die durch Ausnutzen von Sicherheitslücken zur Verbreitung fremden Materials mißbraucht wurden. Auch hier zeigten sich die Provider sehr dankbar für die Hinweise.
Die Abschaltung von Webauftritten mit kinderpornographischen Inhalten dauert nicht länger als die Übermittlung einer Sperrliste. Dies führt die Argumentation der Befürworter des bloßen Sperrens ad absurdum – es gibt keinen sachlichen Grund, strafbare Inhalte im Netz zu belassen und sie für alle einschlägig Interessierten mit minimalem Aufwand weiterhin zugänglich zu halten.
Lüge 7 (Variation von Lüge 2):
Richtig ist:
Derartige Seiten sind nicht bekannt. Sie tauchen in keiner der Blockadelisten irgendwelcher Staaten auf. Die Ermittler und in dem Feld tätige Anwälte wissen nichts von derartigen Seiten.
Lüge 8:
Richtig ist:
Es kann sich nur um eine Lüge handeln, andernfalls würde es bedeuten, daß das BKA genaues über schwere organisierte Kriminalität weiß, die betroffenen Staaten aber nicht informiert hat.
Lüge 9:
Richtig ist:
Der Anteil der Länder, in denen die Rechtslage nicht ausreicht und trotzdem für das Thema Hosting im Internet überhaupt in Frage kommen, ist deutlich kleiner als 1%.
Lüge 10:
(Wiederholung Lüge 5)
Richtig ist:
Eine derartige gegenseitige Information, die zur Ergreifung der Täter führen könnte, wird offenbar aktiv unterlassen.
Lüge 11:
Richtig ist:
Die Gleichsetzung von Kindesmißhandlung mit sexuellem Hintergrund mit den Verbreitungsdelikten bis hin zur Jugendanscheinspornographie ist eine unzulässige Vermischung von Straftatbeständen unterschiedlicher Schwere, die in keinem Fall einen derartigen Grundrechtseingriff rechtfertigt, denn die vorgeblich rechtfertigende Straftat wird durch den Grundrechtseingriff nicht verhindert oder auch nur beeinträchtigt, sondern sogar vor Strafverfolgung geschützt. Andererseits dient der Grundrechtseingriff dazu, die sowieso schon nicht öffentlich ausgeführten, leichteren Tatbestände der Verbreitungsdelikte besser vor Ermittlungen zu schützen.
Lüge 12:
Richtig ist:
Die Tatsache, daß ein Land sperrt, ist nur dann als Argument zulässig, wenn diese Sperre in diesem Land für den vorliegenden Fall ein Erfolg wäre. Ist es aber nicht. Keines der Länder bezeichnet die Sperre als Erfolg, im Gegenteil, es behindert die Ermittlungen und beeinträchtigt die Straftaten gar nicht.
Lüge 13:
Wiederholung Lüge 12
Richtig ist:
Bekanntermaßen enthalten die Sperrlisten der anderen Länder weniger als 1% der hier geplant betroffenen Seiten, der Rest sind legale Seiten, die oft nichts mit Pornographie in jeder Form zu tun haben, sondern kritische politische Inhalte verbreiten. Die Gesamtzahl der geblockten Zugriffe ist also nicht die Anzahl der Zugriffe auf illegales Material.
Es werden hier also Phanatasiezahlen generiert, die beeindrucken sollen. Sie haben nichts mit der Realität zu tun. Man könnte es eher so rechnen: Die Bundesregierung möchte 400000 Zugriffe täglich auf politisch kritische Inhalte unterbinden, also im großen Maßstab Zensur ausüben.
Lüge 14:
Richtig ist:
Genau das ist entscheidend. Kriminelle Padophile (also Kranke, die ihre Krankheit nicht beherrschen können – Süchtige) sind entsprechend »motiviert«, eine leicht und anonym zu umgehende Sperre auch tatsächlich zu umgehen. Eine Anleitung, wie man eine Umgehung bewerkstelligt, findet sich überall im Internet.
Lüge 15:
Richtig ist:
Siehe 2, 6 und 14.
Lüge 16:
Die anderen Länder haben die Erfahrung gemacht, daß Sperren eben kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung der Kinderpornographie darstellen, da sie die Täterermittlung und ‑verfolgung erschweren.
Lüge 17:
Richtig ist:
Die Bundesregierung kürzt seit Jahren die Mittel für Prävention, Strafverfolgung und Opferbetreuung. Stattdessen betreibt sie untaugliche Symbolpolitik, die das Wegschauen fördert. So werden Lehrer, die sich an Kindern vergreifen, einfach an andere Schulen versetzt, anstatt zu ermittlen und ggf. zu bestrafen. Selbes gilt beispielsweise für die katholische Kirche.
Lüge 18:
Richtig ist:
Der sexuelle Mißbrauch von Kindern erfolgt fast immer im nahen sozialen Umfeld der Kinder, meistens sogar innerhalb der Familien und nicht im Internet. Eine Bundesfamilienministerin sollte das wissen.
Lüge 19:
Richtig ist:
Mit der Ausnahme Vodafone waren die Provider gegen die Sperren, von Einigung kann keine Rede sein.
Richtig ist:
Der Kampf gegen schwere Kindesmißhandlung ist kein internationaler Wettbewerb, in dem man für die größten Fallzahlen oder höchsten Klickraten oder welche anderer perverser Indikator ihnen da noch einfällt, gelobt wird … Die entscheidende Kenngröße ist die Anzahl der Taten, die dennoch geschehen. Auch wenn keiner hinschaut.
Frau von der Leyen ist eine Lügnerin, Demagogin und aktive Vorbereiterin eines vorsätzlichen Verfassungsbruchs!
Quellen: netzpolitik.org, AK-Zensur sowie Jörg Tauss.
[EDIT: 2010-06-04 03:44]
Fein. Meinen Dank. Einen Nachschlag halte ich derzeit auch nicht für erforderlich, da sie absehbar nun doch nicht Bundespräsidentin werden soll.
Es scheint mir auch ausreichend »detailliert« zu sein. Weiteres zu ihr also vorerst nur auf Nachfrage und bei Freigabe des Wortes »Lxxxxxin«.
[EDIT: 2010-06-04 08:47]
Statt Nachschlag könnte man argumentieren. Aber – wie gesagt – wenn man (damit meine ich nicht ausschließlich Sie) sich verrannt hat, dann mangelt dazu die Bereitschaft. Und noch einmal: Ich weiß, wovon ich rede.
[EDIT: 2010-06-04 08:50]
Diese Frau löst in der Tat heftige Aversionen in mir aus, die habe ich gefressen, richtig.
»Die Maßnahmen«, also das Zugangserschwerungsgesetz, sind in Kraft! Sie werden lediglich in Teilen nicht angewandt, was auch einen einmaligen Vorgang in der bundesrepublikanischen Geschichte darstellt, wahrscheinlich ist schon das ein Verfassungsbruch. (Dieser Verfassungsbruch verhindert allerdings derzeit eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Gesetz, da keine »Beschwernis« vorliegt. Liegt sie aber erst nach einem Jahr vor, greift der Fristablauf und eine Beschwerde gegen das Gesetz ist nicht mehr ohne weiteres möglich.) Dies zu ändern, bedarf es lediglich einer ministeriellen Anweisung auf dem kleinen Dienstwege.
Außerdem ist das Zugangserschwernisgesetz nicht »unzureichend«, sondern
a) verfassungswidrig, sobald es aus seiner derzeitigen verfassungswidrigen teilweisen Nichtanwendung entlassen wird,
b) in der Bekämpfung von Kinderpornographie unwirksam,
c) kontraproduktiv, da tatbegünstigend und täterschützend,
d) im Verhältnis zur Nichtwirksamkeit, sofern man da überhaupt von Verhältnis sprechen will, massiv in die Grundrechte eingreifend,
e) eine Infrastruktur für weitere Zensur schaffend (Pläne für eine Ausweitung der Anwendungsfälle existieren bereits, die Lobby-Gruppen stehen schon in Schlange),
f) unnötig, da andere, erheblich wirksamere Mittel ohne Grundrechtseingriffe zur Verfügung stehen, die aber nicht genutzt werden.
Wenn man obiges über »Maßnahmen« sagen muß, dann ist dieses Gesetz nicht »unzureichend«, sondern eben doch »falsch«, da völlig fehlgeleitet. Mindestens.
[EDIT: 2010-06-04 12:58]
@P. Viehrig
Die Jahresfrist für Verfassungsbeschwerden gilt nur, wenn ein Gesetz angegriffen werden soll, das den Beschwerdeführer unmittelbar, d.h. ohne Vermittlung durch einen Vollzugasakt, beschwert.
Ansonsten gilt eine einmonatige Frist ab Verkündung/Zustellung des Bescheids bzw. Urteils. Eine solche verwaltungs- oder gerichtsbehördliche Entscheidung (im gegenständlichen Fall z.B.: Verhängung eines Bußgeldes gegen Provider, welche den Zugang schuldhaft nicht erschweren bzw. die entsprechenden Listen schuldhaft nicht gegen Kenntnisnahme durch Dritte sichern) würde (für den Provider) den Weg zu einer Verfassungsbeschwerde öffnen (und das auch noch später als ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes). Und Sie können sicher sein, dass davon Gebrauch gemacht wird bzw. würde, sollten die entsprechenden Vorschriften vollzogen werden.
Ansonsten bin ich – wie Sie – der Meinung, dass das Gesetz verfassungswidrig ist. Dies hier im Einzelnen darzulegen würde zu weit führen. Die meisten zutreffenden Argumente wurden in der medialen Diskussion um das Gesetz bereits genannt.
[EDIT: 2010-06-04 20:54]
Etwas schlampig formuliert:
Natürlich muss in diesem Fall zunächst der Instanzenzug ausgeschöpft werden, bevor das BVerfG befasst werden kann.
[EDIT: 2010-06-04 20:57]
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