Seit mehr als fünf Wochen strömt aus diversen Stellen einer havarierten BP-Bohrinsel ohne Unterlass Öl in den Golf von Mexiko. Die Zahlen über die tägliche Menge Öl, die ungehindert ins Meer fließt, variieren erheblich – man hört von 700 to/Tag bis zu 14.000 to/Tag. Die ökologische Katastrophe wird noch verstärkt durch den Einsatz ölbindender Chemikalien, die als giftig eingeschätzt werden. Sie binden das Öl jedoch so, dass es danach nicht mehr sichtbar ist – der optische Eindruck scheint hier sehr wichtig.
Der Imageschaden von BP ist enorm, zumal die Hilflosigkeit offensichtlich ist. Man hatte früh Foren eingerichtet, in denen Vorschläge für die Abdichtung des Lecks / der Leckagen erbeten wurden. Das ist kein gutes Zeichen.
Neu war mir jedoch, dass es tatsächlich einen »Live Stream« von BP vom Leck (bzw. den Lecks) gibt. Als ich das erste Mal darauf klickte, war die Kamera statisch auf drei Löcher gerichtet, aus denen verhältnismäßig stark eine braun-graue Masse herausquoll. Die Kamera war so eingestellt, dass man nur den unmittelbaren Ausfluss sah. Das ist natürlich schon Teil einer Manipulation: Das Zeigen des unmittelbaren Herausfliessens versteckt seine tatsächliche Gefährlichkeit für die Umwelt. Das ändert sich kaum, wenn sich die Kamera bewegt; der Ausschnitt bleibt immer klein gewählt. Das ist in etwa so, als zeige man Krebszellen unter dem Mikroskop. Dabei sind die Auswirkungen der Krankheit nicht über die Abbildung der Verursacher zu erkennen. Um die Krebskrankheit jedoch in ihrer Dimension zu zeigen, muss man den leidenden Menschen zeigen.
Warum also eine solche Inszenierung der Katastrophe? Aus Gründen einer »Transparenz« der Öffentlichkeit gegenüber? Welche Transparenz wäre das? Oder geschieht dies aus Demütigung gegenüber BP? Letzteres wohl kaum, weil der Film nichts über die Auswirkungen dieses ungezügelten Ausfließens zeigt. Früher wurden von vergleichbaren Katastrophen immer Bilder von ölverschmierten Vögeln gezeigt. Ein Film errang dabei eine gewisse Berühmtheit. Später stellte sich heraus, dass er für unterschiedliche Ölverseuchungen immer wieder eingesetzt wurde: Ein Vogel, schwarz verschmiert, schwamm trotzig auf einer klebrigen Masse. Irgendwann ging er dann unter und versank im Dreck.
Die Emotionen, die solche Bilder bei Zuschauern erzeugen, sind enorm. Das Zeigen des ausfließenden Öls ist da wesentlich »harmloser«. Es entsteht sogar unter Umständen eine Art Verfremdung hin zum Fiktionalen. Oder auf den ersten Blick die Perspektive mit einem vielleicht beschädigten Aquariumschlauch verwechseln. Der Zuschauer muss dabei die Folgen dieses Ölaustritts erst selber herbeiphantasieren. Das ist schwierig. Währenddessen kommt das Öl erst mit Verzögerungen an Strände und Küsten, d. h. Bilder von ölverschmierten Tieren sind derzeit noch selten.
Wenn es denn BP irgendwann gelingen sollte, die Lecks abzudichten, würden diese Bilder ebenfalls manipulativ wirken: Der Zuschauer, der nicht unmittelbar vor Ort ist, bekommt suggeriert, dass die Angelegenheit erledigt, der Fall gelöst sei. Die Folgen, die das ökologische System unter Umständen noch Jahre beschäftigen wird, werden schlichtweg unterschlagen. Wer mehr wissen will, muss sich anderweitig informieren. Aber wer will das, wenn ihm vorgemacht wird, es ist alles getan? Die Öffentlichkeit ist schnell vergesslich. War da was?
Das Bild des Austretens dieser Masse ist an Symbolik schwer zu überbieten. Wo die menschengemachten Götter für richtiges Verhalten das Leben in einem Land aus Milch und Honig, dem Paradies, versprachen, da schafft der Mensch auf dem scheinbaren Höhepunkt seiner Zivilisation nur wild herausströmendes Öl. Und der Honig wird auch noch zum Luxusgut, wenn das Bienensterben so weitergeht. Der »Live Stream« von BP ist Dokument der Hybris des Menschen, der in Wirklichkeit schon mit dem simplen Stopfen selbsteingelassener Löcher überfordert ist. Es bleibt nichts anderes mehr als das blosse Dokumentieren eines Untergangs (hier: des Ökosystems des Golfs von Mexiko). Die Live-Schaltung auf den Boden der Katastrophe ist die höchste Form eines inzwischen längst pervertierten Informationsbedürfnisses. »Public Viewing« auf Katastrophen ausgedehnt. Der Live Stream stellt in seiner fast unverschämten Lakonie allerdings auch eine Tröstung für den Zuschauer dar. Denn wo Kameras sind, da kann man bestimmt auch helfen.
Nicht einmal mehr die Grünen nutzen diese Situation zu so etwas altmodischem wie einem Appell. Zögerlich die Ideen eines Boykotts von Aral- und BP-Tankstellen. Da war man bei anderen, weniger relevanten Anlässen, noch aggressiver. Zu sehr scheint man in Restrisikodenken verhaftet zu sein. Wie wäre es, mindestens in den Halbzeitpausen bei den Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaft kommentarlos fünfzehn Minuten vom Live Stream zu senden – unabhängig davon, ob die Löcher dann verschlossen sind oder nicht?
Wir ahnen es: Das Öl, was da fließt, fließt auch für uns. Fließt auch, weil wir so leben, wie wir leben. Man streitet fast mehr darüber, wer den Schaden bezahlt als über das Stopfen der Löcher. Vielleicht sollte man Geld statt Zement mit dem martialischen Namen »Top Kill« dafür nehmen. Möglicherweise lässt sich ja die Physik mit ein paar Milliarden Dollar bestechen.
Ja, Stopfen der Löcher.
In jüngeren Jahren arbeitete ich Sommers als Roughneck auf einem Borplatform, allerdings auf dem Lande.
Meine Frage im Laufe dieses Disasters ist – warum sollte das uns überraschen? Roughnecks werden weder besonders gut bezahlt noch besonders gut ausgebildet.
Und die Besitzer wollen möglichst viel Geld möglichst schnell einbringen.
Ende der Geschichte.
hatten wir alles schon mal:
http://www.msnbc.msn.com/id/26315908/#37368377
Interessant; das wußte ich nicht. Mehr auch hier.
(Man scheint ja seitdem nicht klüger geworden zu sein. Obwohl – ich bleibe bei meiner These: Ein bißchen fließt da auch unser Öl.)