Die norwegische Polit-Serie »Occupied« (deutsche Ergänzung: »Die Besatzung«) von 2015 spielt, wie es zu Beginn heißt, in einer nicht fernen Zukunft. Der wichtigste Punkt dieser hochgelobten Serie wird gleich am Anfang in einem Halbsatz abgehandelt: Die USA ist nicht mehr in der NATO. Das Bündnis spielt daher im weiteren Verlauf keine Rolle mehr. Der norwegische Ministerpräsident Berg will sein Wahlversprechen einlösen, gegen den globalen Klimawandel vorangehen und stoppt alle Gas- und Öllieferungen an die EU. Als Alternative wird die sogenannte »Thorium«-Technik vorgestellt; eine Art grüner Atomstrom (pikanterweise ist hier Bergs Frau involviert). Der Widerstand gegen diese unabgestimmte ad-hoc-Maßnahme ist in Europa verständlicherweise sehr groß. Auch Russland hat kein Interesse an ein sofortiges Ende der fossilen Energie. In einer Allianz zwischen der EU und Russland wird Druck auf Norwegen aufgebaut (nur zur Erinnerung: Norwegen ist nicht Mitglied der EU und ist es auch in der Serie nicht).
Aber Russland geht weiter. Man besetzt norwegische Förderanlagen und Bohrplattformen, um die Weiterversorgung zu betreiben. Es scheint so, als sei dies mit der EU abgestimmt. Berg wird zu Beginn kurz entführt und auf eine Änderung seiner Thorium-Politik eingeschworen. Das lehnt er zunächst ab, beugt sich dann jedoch und fährt die fossilen Ausbeutungen wieder hoch. Russland findet immer neue Details, um ein festes Abzugsdatum hinauszuzögern. Als sich ein Widerstand formiert, tritt man als Schutzmacht auf – für Norwegen und die Energieversorgung der EU. Berg wird fast schlagartig zum Realpolitiker, spielt die russische Intervention offiziell herunter. Minister treten zurück und man legt auch Berg den Rücktritt nahe, aber da die Partei in der Nachfolgefrage zerstritten ist, bleibt er. Zum Gegenpart der Regierung wird die russische Botschafterin Sidorova – andere russische Politiker weigern sich mit Berg zu reden (nur einmal kommt der Außenminister kurz ins Spiel).
Eine weitere Hauptfigur ist der Sicherheitsmann Hans Martin Djupvik, der zu Beginn der russischen Botschafterin das Leben rettet und nun sukzessive innerhalb des norwegischen Inlandsgeheimdienstes PST aufsteigt. Mehr als einmal wird er als Vermittler zwischen Russland und Norwegen eingesetzt – was allerdings mit der Zeit ermüdet. Schließlich wird er von Berg als Doppelagent eingesetzt; diese Szenen überzeugen nicht. Auch der Investigativjournalist Thomas Eriksen wirkt mit seiner ewigen Umhängetasche ein bisschen klischeebeladen.
Interessant ist die Serie, an der unter anderem auch der Beststellerautor Jo Nesbø mitgeschrieben hatte, im Aufzeigen der politischen Eskalationsspirale. Die zunächst eher marginalisierte Unabhängigkeitsbewegung »Fritt Norge« (»Freies Norwegen«), die heimlich von der unheilbar kranken PST-Chefin Arnesen unterstützt wird, erhält immer mehr Zulauf. Gelungen ist die Darstellung des zunächst auf Ausgleich mit Russland bedachten Regierungschefs, der glaubt mit Entgegenkommen die Russen schnell zum Abzug bewegen zu können. Durch gezielten Terror, der auch vor der Ermordung eigener Landsleute nicht zurückschreckt, sabotieren die Russen jedoch jeglichen Ausgleich. Später wird Berg bekennen, dass man seine sozialdemokratische Sicht auf Politik missbraucht hat.
Russland bietet den abtrünnigen Regierungsmitgliedern an, das Thorium-Projekt mit ihnen zusammen zu unterstützen. Gleichzeitig reisen immer mehr russische Staatsbürger illegal ein. Ein Terrorangriff auf Berg und seine Assistentin wird mit einer Polizeiaktion abgewehrt. Die Regierung ist wieder vereint, weil man den Angriff Russland zuordnet (welches wiederum tschetschenische Terroristen verantwortlich macht). Berg begibt sich in die Botschaft der USA und erhält hier Schutz. Nach kurzer Zeit wird der Botschafter allerdings deutlich: Die USA haben kein Interesse an einer Konfrontation mit Russland. Die norwegische Unabhängigkeit spielt für die amerikanische Politik keine politstrategische Rolle. Man will maximal vermitteln und fühlt sich zur Neutralität verpflichtet. Es ist das eingetreten, was die politischen Auguren heutzutage als ein mögliches Zukunftsszenario befürchten (oder, sofern man AfD- oder Linken-Anhänger ist, herbeiwünschen).
Fritt Norge radikalisiert sich. Als die russische Botschafterin von ihr entführt wird, besetzt Russland den Flughafen von Oslo. Das Land steht vor der realen Besetzung. Spätestens jetzt sind die Parallelen zum Zweiten Weltkrieg greifbar. Berg vollzieht abermals eine politische Kurskorrektur, stellt sich jetzt gegen Russland und ruft in einer Rede zum gewaltlosen, aber energischen Widerstand auf. Fritt Norge hingegen führt Sidorova in einem Video vor, erschießt einen Wachmann und verlangt den Abzug aller russischen Truppen binnen 24 Stunden. Auf wundersame (und unglaubhafte) Weise gelingt es Djupvik, die Botschafterin zu befreien.
Die erste Staffel lebt vor allem vom Spiel von Henrik Mestad als Ministerpräsident Jesper Berg, der sich je nach Lage mehrmals verwandelt. Dabei wird das Politsprech fast zweitrangig – manchmal reicht nur das Gesicht von Mestad. Auch die Darstellung von Ragnhild Gudbrandsen als PST-Chefin Arensen ist gelungen. Als sie immer mehr von ihrem Gehirntumor beeinträchtigt ist, stilisiert sie sich in einem Abschiedsfilm als Ikone der Fritt-Norge-Bewegung und arrangiert mit einem Pfarrer heimlich ihren Freitod nebst Verbrennung. So bleibt sie als Widerständlerin noch monatelang lebendig.
Die zweite Staffel (2017 in Norwegen gestartet) spielt 17 Monate nach der russischen Besatzung, also rund neun Monate nach der letzten Folge der ersten Staffel. Der norwegische Widerstand habe schwere Verluste erlitten und die neue Regierung sich arrangiert. Auch der größte Teil der Bevölkerung hat sich mit einsickernden Besatzung (immer mehr russische Einwanderung auch und vor allem in Dienstleistungsberufen) abgefunden. Es gibt allerdings zahlreiche Terrorschläge der Widerstandsbewegung. Berg ist in Stockholm im Exil (und vergnügt sich gleich zu Beginn mit seiner ehemaligen Assistentin und Staatssekretärin Astrid Rygh). Djupvik ist PST-Chef geworden. Die russische Botschafterin Siderova (von Ingeborga Dapkūnaitė mit asketischer Strenge gespielt) ist für alle wesentlichen politischen Schritte der norwegischen Politik relevant.
Bergs ehemalige Assistentin Rygh wird durch einen Schachzug des Parlamentspräsidenten zur Ministerpräsidentin gewählt. Berg traut Rygh zu wenig zu und frohlockt im Exil – zu früh. Sie erweist sich als geschickte Taktikerin. Derweil hat man herausgefunden, dass Arensen seit Monaten tot ist. Rygh erreicht eine Entwaffnung von Fritt Norge und bietet im Gegenzug eine Amnestie. Dies führt zu zaghaften Zugeständnissen Russlands. Siderova spielt das »Good-guy-bad-guy-Spiel«. Immer wieder versichert sie, dass sie Norwegen »Schutz gewähren« und bieten möchte, während man in Moskau eigentlich andere, schlimmere Pläne habe. Alle möglichen politischen Akteure nehmen für je andere Ziele in Anspruch, Schutz zu gewähren. Es ist eine eindeutige Anspielung auf die deutsche Besatzung Norwegens von 1940–45 – auch diese wurde von den Nazis damals mit dem »Schutz« vor einer britischen Invasion begründet.
Die Anpassung an die Besatzung erfolgt zum Teil durch die Besetzten selber. Djupviks Frau, eine Richterin, entwickelt ein Gesetz, in dem vor Gericht mindestens einer von drei Schöffen ein Russe sein soll, sobald russische Angelegenheiten verhandelt werden. Dies führt zu einem drakonischen Urteilsspruch gegenüber einem norwegischen Soldaten und zu Unruhen und zivilem Ungehorsam in der Bevölkerung. Berg wurde zwischenzeitlich für tot erklärt; später wird er wie Phoenix aus der Asche in Paris erneut auftauchen (ein schwacher Punkt in der Dramatik). Zunächst sabotiert er Ryghs Annäherungen, etwa das Projekt einer skandinavisch-russischen »Kooperation« (auch so ein Buzzwort: »Zusammenarbeit«). Zwischenzeitlich stoppt Rygh sogar die Energielieferungen, um die EU davor zu bewahren, in einer Resolution den Abzug Russlands aus Norwegen zu fordern (der Präsident der Europäischen Kommission, der im Film ein Deutscher ist, sorgt sich darauf hin, dass seine Landsleute im Winter frieren könnten). Die »Bremser« innerhalb der EU sind auch in dieser Fiktion Frankreich – und vor allem: Deutschland.
Es bleibt nicht aus, dass es insbesondere in der zweiten Staffel dramaturgisch zuweilen arg rumpelt. Damit sind noch nicht einmal die »menschlichen« Geschichten gemeint, die wohl sein müssen. Einiges wirkt überorchestriert – etwa die Figur Djupvik, der man die Geheimdienstattitüde nicht abnimmt. Bergs Rolle in der zweiten Staffel ist nicht stringent inszeniert. Geopolitische Spieler wie China kommen erst gar nicht vor. Die Sinnhaftigkeit der russischen Besatzung bleibt diffus. Das Bild, das von der EU gezeichnet wird, ist wenig schmeichelhaft. Der Wirtschaftskommissar ist korrupt und politisch desinteressiert.
Einmal heißt es, dass sowohl die USA als auch die EU Norwegen aufgegeben hätten. Für die norwegische Politik stellt sich praktisch täglich die Frage nach der Grenze zwischen realpolitischer Einsicht, Kollaboration mit den Besatzern oder Unterwerfung. Was, wenn Verträge nur Spielbälle sind, die je nach Lage verändert oder aufgekündigt werden? Ist es legitim, sich aufgrund einer russischen Kriegsdrohung zu beugen und den Rechtsstaat dafür teilweise oder ganz aufzugeben? Wann ist physische Gewalt erlaubt und wann ist es Terror? In den besten Momenten der Serie schimmert hervor, was es bedeuten kann, einem militärisch überlegenen Gegner ohne robuste Verbündete ausgeliefert zu sein. Die Norweger, so heißt es einmal von den Russen, »seien nicht mutig«; man begegnet ihnen mit Hochmut. Nicht nur das erinnert – bei allen Unterschieden – an geopolitische Parallelen zwischen dem fiktiven Norwegen und der realen Ukraine.
Das Ende soll hier nicht verraten werden. Die Folgen sind noch bis Dezember in der arte-Mediathek zu sehen. Wann die dritte Staffel ins deutschsprachige Fernsehen kommen wird, ist mir nicht bekannt. Ich würde wieder einschalten.