Chat­bot und Pe­ter Hand­ke

Ir­gend­wie be­kom­me ich ja beim neue­sten Spiel­zeug Chat­botGPT kei­nen Zu­gang. Um­so dank­ba­rer bin ich Wolf­gang Scher­reiks, der ein spon­ta­nes »In­ter­view« mit der Ma­schi­ne zu Pe­ter Hand­ke ge­führt hat­te und mir er­laubt, es hier ab­zu­drucken:

W.S.: »Ei­ne Fra­ge, ChatGPT, was zeich­net das Werk Pe­ter Hand­kes aus?

GPT: »Das Werk von Pe­ter Hand­ke zeich­net sich durch ver­schie­de­ne Merk­ma­le aus, wie z.B.:

Sprach­li­che Ex­pe­ri­men­te: Hand­ke hat in sei­nem Werk ei­ne ei­ge­ne Spra­che und ei­ne ein­zig­ar­ti­ge Li­te­ra­tur­form ent­wickelt, die durch sprach­li­che Ex­pe­ri­men­te und for­ma­li­sti­sche An­sät­ze ge­kenn­zeich­net ist.

The­men­re­le­vanz: Hand­ke be­fasst sich in sei­nem Werk mit The­men wie Iden­ti­tät, Exi­sten­zia­lis­mus, Land­schaft und Land­schafts­er­le­ben, so­wie mit den po­li­ti­schen Er­eig­nis­sen in Ju­go­sla­wi­en in den 1990er Jah­ren.

Kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen: Hand­kes Werk hat oft kon­tro­ver­se Dis­kus­sio­nen aus­ge­löst, ins­be­son­de­re auf­grund sei­ner Hal­tung zu den po­li­ti­schen Er­eig­nis­sen in Ju­go­sla­wi­en.
Sinn­su­che und Phi­lo­so­phie: In sei­nem Werk geht Hand­ke auf die Su­che nach dem Sinn des Le­bens und ver­weist auf Phi­lo­so­phien und li­te­ra­ri­sche Tra­di­tio­nen.

Mi­ni­ma­lis­mus: Hand­kes Pro­sa ist oft mi­ni­ma­li­stisch und re­du­ziert, was ei­ne in­ten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit der Spra­che und ih­ren Mög­lich­kei­ten er­for­dert.

Es ist wich­tig zu be­ach­ten, dass Hand­kes Werk höchst um­strit­ten ist und po­la­ri­sie­ren­de Re­ak­tio­nen her­vor­ruft, und dass nicht al­le sei­ne Wer­ke die glei­chen Merk­ma­le auf­wei­sen.«

W.S.: »Was ist denn ge­nau um­strit­ten in Pe­ter Hand­kes Werk?«

GPT: »Pe­ter Hand­kes Werk ist um­strit­ten auf­grund sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung und Aus­sa­gen, ins­be­son­de­re im Kon­text der po­li­ti­schen Er­eig­nis­se in Ju­go­sla­wi­en in den 1990er Jah­ren. Hand­ke hat öf­fent­lich Kri­tik an den NA­TO-Bom­bar­de­ments in Ju­go­sla­wi­en ge­äu­ßert und ei­ne So­li­da­ri­täts­er­klä­rung mit den Ser­ben un­ter­zeich­net, was bei vie­len als Un­ter­stüt­zung des Re­gimes von Slo­bo­dan Mi­loše­vić in­ter­pre­tiert wur­de. Zu­dem hat er sich in sei­nem Werk und in öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen kon­tro­vers über The­men wie den Krieg in Ju­go­sla­wi­en, die NA­TO-In­ter­ven­ti­on und die ser­bi­schen Ak­teu­re ge­äu­ßert, was zu hef­ti­gen Dis­kus­sio­nen ge­führt hat. Sei­ne Äu­ße­run­gen ha­ben auch Kri­tik und Em­pö­rung in Tei­len der ju­go­sla­wi­schen Exil­ge­mein­schaft her­vor­ge­ru­fen, die sei­ne Aus­sa­gen als Ver­harm­lo­sung der Ge­walt ge­gen die Ko­so­vo-Al­ba­ner und als Ver­leug­nung der Gräu­el­ta­ten des ser­bi­schen Re­gimes wäh­rend des Krie­ges in­ter­pre­tie­ren. Es ist wich­tig zu be­ach­ten, dass Hand­kes Hal­tung und Äu­ße­run­gen um­strit­ten und höchst kon­tro­vers sind, und dass es un­ter­schied­li­che In­ter­pre­ta­tio­nen und Per­spek­ti­ven dar­auf gibt.«

W.S.: »Wo ge­nau in Pe­ter Hand­kes Werk fin­den sich denn die um­strit­te­nen Äu­ße­run­gen?«

GPT: Die um­strit­te­nen Äu­ße­run­gen von Pe­ter Hand­ke fin­den sich in ei­ner Rei­he sei­ner öf­fent­li­chen Auf­trit­te und Äu­ße­run­gen, ins­be­son­de­re in In­ter­views und po­li­ti­schen Re­den. Zu­dem sind ei­ni­ge sei­ner li­te­ra­ri­schen Wer­ke, ins­be­son­de­re sei­ne po­li­ti­schen Es­says, als um­strit­ten be­kannt.

Zum Bei­spiel ist sein Es­say *Die Wie­der­ho­lung’ (1986) ein kon­tro­ver­ses Werk, in dem er ei­ne So­li­da­ri­täts­er­klä­rung mit den Ser­ben un­ter­zeich­net und die NA­TO-Bom­bar­de­ments in Ju­go­sla­wi­en kri­ti­siert. Sein Dra­ma ‘Pu­bli­kums­be­schimp­fung’ (1966) wur­de eben­falls kon­tro­vers dis­ku­tiert, da es als pro­vo­ka­tiv und sub­ver­siv gilt und Hand­kes po­li­ti­sche Hal­tung und Äu­ße­run­gen deut­lich zeigt.

Es ist je­doch wich­tig zu be­ach­ten, dass Hand­kes um­strit­te­ne Äu­ße­run­gen nicht Teil al­ler sei­ner Wer­ke sind und dass er auch Wer­ke ver­fasst hat, die kei­ne po­li­ti­schen The­men oder Äu­ße­run­gen ent­hal­ten. Da­her soll­te je­des Werk ein­zeln be­trach­tet wer­den, um ein Ver­ständ­nis für die um­strit­te­nen Äu­ße­run­gen zu er­lan­gen, die Hand­ke in ei­ni­gen sei­ner Wer­ke ge­macht hat.«

W.S.: »Soll­te man das Werk Pe­ter Hand­kes und sei­ne öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen nicht bes­ser tren­nen?«

GPT: »Ja, es ist üb­lich und an­ge­mes­sen, das li­te­ra­ri­sche Werk ei­nes Au­tors von des­sen öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen und po­li­ti­schen Hal­tun­gen zu tren­nen. Ob­wohl Hand­kes öf­fent­li­che Äu­ße­run­gen und po­li­ti­sche Hal­tun­gen sein li­te­ra­ri­sches Werk be­ein­flusst ha­ben kön­nen, soll­te das li­te­ra­ri­sche Werk an sich auf sei­ne ei­ge­nen Me­ri­ten be­ur­teilt wer­den, un­ab­hän­gig von den öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen des Au­tors.

Es ist wich­tig, die künst­le­ri­sche In­te­gri­tät ei­nes Wer­kes zu re­spek­tie­ren und es auf­grund sei­ner for­ma­len und the­ma­ti­schen Merk­ma­le zu be­ur­tei­len, an­statt es zu ver­ur­tei­len oder zu lo­ben auf­grund der po­li­ti­schen An­sich­ten oder Äu­ße­run­gen des Au­tors.

Es gibt je­doch auch Fäl­le, in de­nen die po­li­ti­sche Hal­tung oder öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen des Au­tors eng mit dem In­halt sei­nes Wer­kes ver­bun­den sind, und in die­sen Fäl­len ist es schwie­ri­ger, das li­te­ra­ri­sche Werk von den öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen des Au­tors zu tren­nen. In je­dem Fall soll­te ei­ne Be­ur­tei­lung des Wer­kes je­doch auf ei­ner sorg­fäl­ti­gen Ana­ly­se und In­ter­pre­ta­ti­on sei­ner for­ma­len und the­ma­ti­schen Merk­ma­le ba­sie­ren.«


So weit die Stel­lung­nah­men des Chat­bots. Man ist zu­nächst ge­neigt, hier ei­ne ge­wis­se Neu­tra­li­tät fest­zu­stel­len, auch wenn die sie­ben Mal ver­wen­de­te Vo­ka­bel »um­strit­ten« die ein­zi­ge Cha­rak­te­ri­sie­rung des Wer­kes dar­stellt. Aber gut, auch Feuil­le­to­ni­sten sind nicht im­mer sehr tief­schür­fend.

Bei nä­he­ren Hin­schau­en aber gibt es Un­ein­deu­tig­kei­ten und auch Feh­ler. Ei­ne »So­li­da­ri­täts­er­klä­rung mit den Ser­ben« gibt es von Hand­ke in die­sem Sinn nicht. Die Ma­schi­ne über­nimmt hier die Wer­tung di­ver­ser Jour­na­li­sten.

Aber auch mit den Fak­ten kennt sich die Ma­schi­ne nicht aus. Als die Fra­ge nach den Stel­len für Hand­kes »um­strit­te­nen« Aus­sa­gen, ver­sagt CPT voll­stän­dig. Ge­nannt wird »Die Wie­der­ho­lung«. Die Jah­res­zahl der Erst­ver­öf­fent­li­chung wird noch kor­rekt mit 1986 an­ge­ge­ben. Aber schon das Gen­re »Es­say« ist falsch, denn es han­delt sich um ei­ne Er­zäh­lung, in der ei­ne Fi­gur er­zählt, die ih­ren ver­schol­le­nen Bru­der in Slo­we­ni­en sucht und die Fa­mi­li­en­ge­schich­te re­ka­pi­tu­liert. Die­se Er­zäh­lung war nie »um­strit­ten« im Sin­ne der po­li­ti­schen Ge­menge­la­ge der ju­go­sla­wi­schen Bür­ger­krie­ge, schon weil sie 1986 ent­stand, die Span­nun­gen aber erst An­fang der 1990er Jah­re be­gan­nen.

Wie CPT dar­auf kommt, bleibt mir ein Rät­sel. Zwar hat­te ich ver­schie­dent­lich »Die Wie­der­ho­lung« als das er­ste »Ju­go­sla­wi­en­buch« Hand­kes be­zeich­net, aber nicht in dem Sin­ne der po­li­tisch-äs­the­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, son­dern eher als den Be­ginn, sich mit Slo­we­ni­en, ei­nem Slo­we­ni­en IN Ju­go­sla­wi­en, Hand­kes ver­klär­tem Ar­ka­di­en, zu be­fas­sen. Au­ßer­dem kann ich mir nicht vor­stel­len, dass aus­ge­rech­net mei­ne Tex­te als Re­fe­ren­zen gel­ten.

Auch die Äu­ße­run­gen zur »Pu­bli­kums­be­schimp­fung« sind un­scharf bis falsch. Das Thea­ter­stück zeigt mit­nich­ten Hand­kes »po­li­ti­sche Hal­tung« an.

Ich weiß nun nicht, ob man dies als Hoff­nungs­schim­mer wer­ten soll – man muss eben doch die Bü­cher ge­le­sen ha­ben. Oder als ei­nen wei­te­ren Ab­sturz. Wo­bei ver­mut­lich die Ma­schi­ne ler­nen wird. Zu den Fra­gen wird man wo­mög­lich in ei­nem Jahr an­de­re Ant­wor­ten er­hal­ten. Da­zu wer­de ich dann viel­leicht Ge­naue­res schrei­ben.

11 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ge­nau­so un­nö­tig wie so vie­le an­de­re Din­ge, die wir dem tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt ver­dan­ken.

    Es gibt ei­ne ein­zi­ge Fra­ge, die ich dem Chat­bot gern stel­len wür­de: Ha­ben Sie ei­gent­lich ei­ne ei­ge­ne Mei­nung?

  2. Na­ja, die Mei­nung zur »Mei­nung« ist ja – auch bei Hand­ke – durch­aus am­bi­va­lent. Mein Ein­druck ist ja, dass die Mei­nung im Jour­na­lis­mus (und auch im Feuil­le­ton) zu sehr do­mi­niert.

    Na­tür­lich plap­pert ei­ne sol­che Ma­schi­ne nur das, was sie fin­det oder was man ihr ein­ge­ge­ben hat. Ins­be­son­de­re der er­ste Teil der Ant­wort ist aber das, was zum Bei­spiel in ei­nem Schü­ler­auf­satz (Gym­na­si­um; Ober­stu­fe) als Re­fe­renz­rah­men aus­reicht. Man muss dann die Bü­cher nicht mehr le­sen. Im Sport­jour­na­lis­mus könn­ten sol­che Bots bald Stan­dard wer­den; die Ma­schi­ne wird mit Re­sul­ta­ten ge­füt­tert und er­stellt dann den fer­ti­gen Text.

    Man kann das na­tür­lich ab­tun, aber da­mit er­kennt man un­ter Um­stän­den nicht die Bri­sanz.

    (»Über­flüs­sig« ist so vie­les. Nur: Wer de­fi­niert das?)

  3. Zwei Din­ge fal­len mir spon­tan ein.

    Vor Jah­ren ha­be ich ein­mal ei­ne Un­ter­hal­tung mit Eli­za ge­führt. Der »Trick« war rasch durch­schaut: Es war das stän­di­ge Rück­fra­gen der Soft­ware zu von mir be­nutz­ten Se­man­te­men, das die (Il­lu­si­on ei­ner) »Un­ter­hal­tung« in Gang hielt. Die In­ter­ak­ti­on aber war da: Das Si­mu­lak­rum ei­nes Ge­gen­übers – und da­mit ei­ne zu­min­dest schwa­che Fas­zi­na­ti­on (weil Men­schen grund­le­gend dia­lo­gi­sche We­sen sind).

    Das bringt mich, zwei­tens, mal wie­der auf Phil­ip K. Dick.

    Ich möch­te das, wo­durch sei­ne Li­te­ra­tur so an­hal­tend fas­zi­niert, hier ver­ein­fa­chend dys­to­pisch nen­nen. (Man den­ke nur ei­nen Mo­ment an Si­ri und Ale­xa... und dann an Dicks spre­chen­de Tür­schlös­ser und Wer­be­droh­nen und ... in men­ta­ler Sta­sis ge­la­ger­te To­te.)

    Und die­ses heut­zu­ta­ge über­all leicht auf­zu­fin­den­de dys­to­pi­sche Mo­ment (al­lein der dys­to­pi­sche Ef­fekt ei­ner Mo­der­ne, die Zu­kunft mit Tech­nik ver­wech­selt, aber be­reits je­dem ein Ta­ma­got­chi un­ter­ge­ju­belt hat, das an­geb­lich ’smart’ sei; ei­ne Dys­to­pie der zu­neh­mend von Maschinen[-Logiken] durch­setz­ten All­tags- und Ar­beits­welt, der Trend ‘von der Per­son zur Funk­ti­on’, über­haupt zu Ab­stra­hie­run­gen; die Dys­to­pie der un­auf­hör­li­chen Zu­nah­me von Kom­ple­xi­tät in der Welt ge­gen die gleich­zei­tig wach­sen­de ‘pro­me­t­hei­sche Scham’: Der Ein­druck vie­ler Men­schen, sich im­mer we­ni­ger aus­zu­ken­nen ...) die­ses Mo­ment al­so scheint mir mit die­ser sa­gen­haf­ten neu­en Tech­nik gleich­zei­tig be­ru­higt, wie ei­ne gro­ße neue Un­si­cher­heit ein­zu­füh­ren – in der bis­lang va­ge blei­ben­den Ah­nung der Ge­fahr. (Und al­le War­nun­gen wer­den na­tür­lich nichts nut­zen.)

    Da ist ein neu­er Welt­geist des ei­gent­lich ab­ge­leb­ten, sta­ti­stisch ge­wor­de­nen Wis­sens, das aber schon als schie­re Mas­se und Ver­füg­bar­keit da­zu ver­führt, we­sent­li­che Din­ge zu ver­wech­seln. Ei­ne neu­er, trotz und samt sei­ner Irr­tü­mer mäch­ti­ger Un­schär­fe-Geist wird zum Ak­teur. Und Un­schär­fe – im Mei­nen, im su­chen­den For­mu­lie­ren, in der Spra­che selbst: in der Ar­gu­men­ta­ti­on (et­wa in die­ser hier) – ist ei­gent­lich ei­ne ge­nu­in mensch­li­che Ei­gen­schaft. Das gibt doch zu den­ken.

    Bin ge­spannt auf die dem­nächst ge­ne­rier­ten Ro­ma­ne und Ge­dich­te.

  4. Ge­ra­de heu­te hat­te ich Be­such von dem Roll­la­den-Mann (Mit­te 50). Er hat­te En­de No­vem­ber fest­ge­stellt, dass der Mo­tor der Roll­la­de ir­repa­ra­bel de­fekt war. Nach zehn Jah­ren. Die Sy­ste­me, die sei­ne Fir­ma ver­ar­bei­te­te, hat­ten an­de­re Mo­to­ren als die­je­ni­gen, die ver­baut wa­ren (wir woh­nen erst seit drei Jah­ren in der Woh­nung). Es muss­te al­so ein Er­satz­mo­tor bei ei­nem an­de­ren An­bie­ter be­stellt wer­den; Lie­fer­zeit un­ge­wiss. Heu­te nun, nach et­was mehr als zwei Mo­na­ten ging es an den Ein­bau. Nach an­dert­halb Stun­den Fen­ster­akro­ba­tik bei ‑4 Grad (er­ster Stock) war es ge­schafft. Wie lan­ge der Mo­tor hält? Na­ja, viel­leicht wie­der zehn Jah­re, mein­te er. Und da­nach? Gibt es die Din­ger dann noch nach­zu­kau­fen? Ja, viel­leicht. Es sei ja kei­ne Smart-Home-Roll­la­de, die mit dem Han­dy be­dient wer­de und in der al­ler­lei tech­nik ver­baut wä­re. Da än­der­ten die Her­stel­ler schon mal rasch Soft- wie Hard­ware; mit Über­ra­schun­gen für den Kun­den. Und dann kam un­ge­fragt wie aus der Pi­sto­le ge­schos­sen: »Bei mir zu Hau­se nur Gur­te«.

    In der Tat ver­wech­seln wir Zu­kunft mit Tech­nik. Und doch tref­fen wir uns hier al­le auf ei­ner vir­tu­el­len Platt­form und kom­mu­ni­zie­ren.

    Es gibt Men­schen, die ich ernst neh­me, die sa­gen, sol­che Chat­bots wür­den noch ein­mal al­les än­dern. Nach dem In­ter­net so­zu­sa­gen. Text­pro­du­zen­ten wür­den über­flüs­sig wer­den. Da kommt bei mir der Ge­dan­ke an das Schach­spiel auf. Die er­sten Com­pu­ter, die ich hat­te, konn­te ich, ein lau­si­ger Spie­ler, noch mit et­was Glück be­sie­gen. Ab »Me­phi­sto« und ei­ner be­stimm­ten Spiel­stär­ke war da­mit Schluß. In­zwi­schen ist kein Mensch mehr in der La­ge, die ent­spre­chen­den Schach­pro­gram­me zu schla­gen. Zwei Men­schen, die sich ge­gen­über sit­zen (oder dies auch nur vir­tu­ell tun), si­mu­lie­ren prak­tisch die Vor-Com­pu­ter-Zeit. Am En­de ei­ner Par­tei be­kom­men sie bin­nen Se­kun­den vom Com­pu­ter er­zählt, was sie wann hät­ten spie­len müs­sen. Pro­fi­sch­ach­spie­ler sa­gen, sie brau­chen kei­ne mensch­li­chen Part­ner mehr – nur noch den Com­pu­ter. Der Se­kun­dant von einst be­rei­tet Va­ri­an­ten mit dem Com­pu­ter vor, will Zü­ge er­fin­den, die der Geg­ner nicht ana­ly­siert hat­te und die dann zu Feh­lern füh­ren.

    Nein, ich bin nicht neu­gie­rig auf com­pu­ter­ge­nerier­te Ge­dich­te, Er­zäh­lun­gen oder Ro­ma­ne. Das ist selt­sam, weil ich im­mer da­für plä­die­re, den Au­tor und sei­ne Bio­gra­phie wenn mög­lich erst ein­mal aus­zu­blen­den und nur den Text sel­ber zu se­hen, zu le­sen, zu ver­ste­hen. Am En­de ist es dann ir­gend­wann doch re­le­vant, wer der Au­tor ist bzw. et­was mehr zu ihm zu er­fah­ren. Ein Com­pu­ter­pro­gramm, das ei­nen Ro­man schreibt, mag den Plot be­herr­schen. Aber kann es auch li­te­ra­risch sein? Es sind doch nur Si­mu­la­tio­nen von Li­te­r­a­ri­zi­tät?

  5. Als ich oben das Wort Mei­nung ge­brauch­te, dach­te ich u. a., daß es bei Leu­ten wie Hand­ke (und seit Pla­ton!) ver­pönt ist. Ich ver­wen­de es trotz­dem, um­gangs­sprach­lich. Ich könn­te den Bot auch fra­gen: Hast du von dir selbst aus was zu sa­gen? Lo­thar Struck hat schon die Ant­wort ge­ge­ben: Nein, ist al­les zu­sam­men­ge­sucht. Men­schen su­chen na­tür­lich auch al­les zu­sam­men, ein biß­chen lang­sa­mer, aber sie ver­bin­den und trans­for­mie­ren es ei­gen­stän­dig – so­fern sie sich ei­ne »Mei­nung« bil­den wol­len.
    Der­zeit ist es ganz in­ter­es­sant, die­sen Dia­log zu se­hen, weil man wis­sen will, ob so ein »Dia­log« denn funk­tio­nie­ren kann. In­halt­lich ist er ab­so­lut un­in­ter­es­sant. Und ich fürch­te, com­pu­ter­ge­nerier­te Ro­ma­ne sind ge­nau so un­in­ter­es­sant.
    Na­tür­lich ist da auch wie­der die Fra­ge: Wer be­stimmt, was in­ter­es­sant ist? Ant­wort: Ich. Und du.

    Ich ha­be lan­ge Deutsch als Fremd­spra­che un­ter­rich­tet. Das wird jetzt – über­flüs­sig, ja. An den Unis ver­wen­den die Stu­den­ten Über­set­zungs­ma­schi­nen für Tex­te und ge­ben sie als »ei­ge­ne« ab. Mensch­li­ches Über­set­zen wird über­flüs­sig. Die (Selbst-)Perfektionierung der Über­set­zungs­soft­ware ist atem­be­rau­bend, atem­be­rau­bend schnell. Da­zu die Sprach­as­si­sten­ten. Fremd­spra­chen­ler­nen kön­nen wir uns in Zu­kunft spa­ren. Au­ßer fürs Über­set­zen von Li­te­ra­tur. Vie­le Tex­te wer­den von Ma­schi­nen ge­schrie­ben wer­den. Schon jetzt wer­den Be­wer­bungs­schrei­ben u. dgl. von Ma­schi­nen ge­le­sen und vor­sor­tiert, d. h. auch: be­wer­tet.

    Schon seit prä­di­gi­ta­len Zei­ten kön­nen wir uns das Rech­nen spa­ren, leicht hand­hab­ba­re, trag­ba­re Re­chen­ma­schi­nen gibt es längst. Trotz­dem ler­nen Kin­der in der Grund­schu­le im­mer noch Rech­nen. Fin­de ich gut, ob­wohl über­flüs­sig: bald wird man sa­gen dür­fen: WEIL über­flüs­sig. Noch frü­her wur­de dis­ku­tiert, ob es denn not­wen­dig und sinn­voll sei, La­tein zu ler­nen, das brau­che man doch nicht. Mitt­ler­wei­le kann man bei fast al­lem fra­gen, ob das denn not­wen­dig sei.

  6. Wo­bei man na­tür­lich auch fra­gen könn­te, ob Kom­mu­ni­ka­ti­on nicht sel­ber ei­ne un­auf­hör­li­che Rei­he von Ver­such, Irr­tum und An­nä­he­rung ist – ein al­go­rith­mi­scher Pro­zess.

    Es ist ja ge­ra­de die­ses Black-Box-Ding der Ober­flä­chen, die man gar nicht mehr durch­drin­gen muss, die zu­neh­mend al­les be­din­gen­de Tech­nik, die dann zu­letzt auch un­ser unzureichendes/unterkomplexes Welt­ver­ständ­nis be­dingt; Vir­tua­li­tät ist ja ein pro­mi­nen­ter Teil des gro­ßen Als-ob. Sie­he auch den al­ten Kampf um die Be­triebs­sy­ste­me, ‘Gur­te’ (DOS/Windows) ge­gen ‘ad­van­ced elec­tro­nics’ (Ap­ple): Mit ei­nem ru­di­men­tä­ren Zu­gang zur Ma­schi­nen­raum­ebe­ne konn­te ich mir frü­her noch oft hel­fen, um ei­ne zer­schos­se­ne Da­tei zu ret­ten. Bei APPLE schon meist nicht mehr, weil ich nicht dran kam oder we­gen dem ver­hin­der­ten Zu­gang gar nicht erst ler­nen konn­te, er­fin­de­risch zu wer­den: Die freund­li­che Be­nut­zer­ober­flä­che als ‘Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang’.

    Und noch apro­pos Zu­kunft: Ge­dich­te aus dem Com­pu­ter sind ja ei­gent­lich auch ein al­ter Hut.

    Aber wenn nun auch Li­te­r­a­ri­zi­tät ein ‘Pro­gramm’ ist? Ein pa­ra­me­tri­sches, die-und-die wie­der­erkenn­ba­re Ef­fek­te pro­du­zie­ren­des Sprach­spiel, auf des­sen Re­geln (plus der je­weils als ’neu’ und äs­the­tisch reiz­voll ge­schätz­ten Ab­wei­chun­gen) wir uns ge­ei­nigt ha­ben ... das sich aus eben die­sen Grün­den dann auch wie­der si­mu­lie­ren lässt? Sie­he al­lein die von Baß­ler her­aus­ge­ar­bei­te­ten Zu­ta­ten­li­ste zum mid-cult.

    (Oder sie­he die Dis­kus­si­on ge­ra­de um Ju­dith Zan­der: ‘Das Grund­le­gen­de / Die Grund­le­gen­de’. Könn­te man für ei­nen mü­ßi­gen Ein­fall der Dich­te­rin han­deln, an dem die et­was Wa­che­ren dann auf­mer­ken: Ah ja, Ly­rik ... wie cra­zy! Schon die Klein­schrei­bung macht es viel­leicht als Pseu­do-Sinn­ge­winn flüch­tig pro­duk­tiv. Aber müss­te so was nicht längst als läp­pisch gel­ten? Wel­che Lit-Prei­se könn­te ein trai­nier­ter Al­go­rith­mus mit so was ge­win­nen?)

    Soll sa­gen: Bei all den Pro­gram­men und Me­men, den mäch­ti­gen Ver­all­ge­mei­ne­run­gen, die uns le­ben, gibt es an der Ei­gen­stän­dig­keit mensch­li­cher Ver­bin­dun­gen doch auch Zwei­fel.

    Wenn aber al­les Pro­gram­me sind, auch die äs­the­ti­schen Un­ter­schei­dun­gen, müss­te es wie­der auf et­was An­de­res an­kom­men. Aber auf was? Et­was ‘Ob­jek­ti­ve­res’ (bei dem die Ab­strak­tio­nen selbst mit­ein­an­der kom­mu­ni­zie­ren)? Oder doch wie­der auf et­was ge­nu­in Mensch­li­ches? Oder gibt es das viel­leicht gar nicht? Ist schon un­ser al­ter Hoch­mut als ‘Tie­re mit ei­nem Ta­schen­tuch’ (Shake­speare) die il­lu­sio­nä­re Ver­ken­nung? Os­wald Wie­ner hielt auch ‘Krea­ti­vi­tät’ (nur) für ei­nen ‘Me­cha­nis­mus’.

    Da bin ich wie­der bei der Un­schär­fe (die der Spra­che [‘Gren­zen mei­ner Welt’] wie die der Pa­ra­me­ter, die die Be­ob­ach­tung be­stimmt, die die­se Welt kon­sti­tu­ie­ren). Könn­te ei­ne KI die ei­ge­nen Un­schär­fen er­ken­nen? Wür­de sie das, so­zu­sa­gen, in Po­tenz set­zen und ei­ne neue Chan­ce auf ein tat­säch­lich dia­lo­gi­sches Mo­ment hin öff­nen? Oder bleibt uns nur, die Feh­ler der KI-Er­geb­nis­se ge­gen sie zu wen­den? Oder wer­den wir, nach und nach durch die Pra­xis mit ChatGPT am nied­ri­ge­ren Ni­veau neu ge­eicht, sie schlicht ir­gend­wann nicht mehr er­ken­nen?

    Wenn ich manch­mal Goog­le-Trans­la­te be­nut­ze, um ein her­ein­ko­pier­tes Wort­ma­te­ri­al zur Wei­ter­ver­ar­bei­tung auf dem Schirm zu ha­ben, bin ich oft über­rascht, wie schlecht die Über­set­zung zum Teil im­mer noch ist. Mit mei­ner Art des Le­sens mei­ne ich oft, im Er­geb­nis das Un­ge­len­ke oder eben Star­re der Ma­schi­ne als ei­ne Art Schi­zo-Ef­fekt wahr­zu­neh­men: So re­det doch kein Mensch! Da­bei ‘macht’ es un­scharf trotz­dem Sinn und zwingt ei­nen manch­mal so­gar zu ei­nem po­ly-kon­tex­tu­el­len, al­so letzt­lich dich­te­risch in­spi­rier­ten Le­sen.

    Wahr­schein­lich wird es wie mit al­lem Neu­en sein: Für ge­wis­se Zwecke wird die Ma­schi­ne sich eig­nen (und im­mer bes­ser wer­den), und für an­de­re wer­den die An­sprü­che eher stei­gen und spe­zi­el­ler wer­den, weil die Ma­schi­ne noch lan­ge phi­lo­lo­gisch blind blei­ben wird. Auch die stei­gen­den Wort­klas­sen- und De­fi­ni­ti­ons­zwän­ge für ei­ne KI stei­gern die Kom­ple­xi­tät – zu­min­dest für die Re­zi­pi­en­ten – ja ir­gend­wann ins nicht mehr Hand­hab­ba­re. Dann dich­ten Dich­ter und Al­go­rith­men nur noch für sich selbst. In­ter­es­sant für den nach neu­en Äs­the­ti­ken aus­schau­en­den Le­ser, wenn die Ma­schi­ne ir­gend­wann wirk­lich hal­lu­zi­niert.
    Viel­leicht fin­det sich so / der neue Rim­baud? Oder end­lich ein Shakes-Pierre?

  7. @Leopold Fe­der­mair
    In vie­len Pro­to­kol­len von GPT, die ich so se­he (wie ge­sagt, ich kom­me nicht in das Pro­gramm, weil man über­la­stet sei), nimmt sich die Ma­schi­ne in den Ant­wor­ten noch ziem­lich zu­rück, ins­be­son­de­re wenn es um Be­wer­tun­gen geht, die di­rekt ab­ge­fragt wer­den. Ich ha­be das »In­ter­view« hier vor al­lem ab­ge­druckt um zu se­hen, wie die Fra­gen in ei­nem oder zwei Jah­ren be­ant­wor­tet wer­den. Kann es hier ei­nen Selbst­lern­ef­fekt ge­ben? Die Gram­ma­tik ei­ner Spra­che ist zum gro­ßen Teil ge­wis­sen Re­geln un­ter­wor­fen – aber das Werk ei­ne Dich­ters (zu­mal, wenn es der­art um­fang­reich ist) – das dürf­te schwie­ri­ger zu um­fas­sen sein. GPT wird al­so im­mer auf das zu­rück­grei­fen, was vor­han­den ist. Und auch hier wer­den Al­go­rith­men am En­de be­stim­men, wel­che Quel­len ein­flie­ßen und wel­che nicht.

    Das Bei­spiel mit dem Kopf­rech­nen ist tref­fend. Häu­fig er­lebt man, dass 30jährige bei leich­te­sten Re­chen­auf­ga­ben ver­sa­gen. Für Wir­bel sorg­te An­fang des Jah­res ei­ne Fra­ge in der po­pu­lä­ren Quiz­sen­dung »Wer wird Mil­lio­när?«. Sie war mit 16.000 Eu­ro do­tiert und lau­te­te: »Wenn mei­ne 100 Eu­ro Ak­tie um 300 Pro­zent steigt, muss sie da­nach um wie viel Pro­zent wie­der fal­len, um den Aus­gangs­wert zu ha­ben?« Zur Aus­wahl stan­den fol­gen­de Ant­wort­mög­lich­kei­ten: 66%, 75%, 150%, 300%. Der Kan­di­dat war auf­ge­regt (ver­ständ­lich) und nahm den so­ge­nann­ten Zu­satz­jo­ker, d. h. aus dem Pu­bli­kum sol­len die­je­ni­gen auf­ste­hen, die die Lö­sung ken­nen. Er wählt dann ei­nen, der auf­ge­stan­den ist, aus und dis­ku­tiert mit ihm. (Der Kan­di­dat ist frei, die Ant­wort zu über­neh­men oder auch nicht.) Aus dem Pu­bli­kum (es sol­len nach Pres­se­mel­dun­gen 100 Leu­te ge­we­sen sein), mel­de­ten sich vier Per­so­nen. Der Kan­di­dat wäh­le aus und der­je­ni­ge wuss­te die rich­ti­ge Ant­wort. Für Fu­ro­re sorg­te, dass es nur 4 von 100 wa­ren, die ei­ne sol­che Auf­ga­be lö­sen konn­ten bzw. sich si­cher wa­ren.

    @herr.jedermann
    Ich glau­be eben nicht, dass Li­te­r­a­ri­zi­tät so et­was wie ein »Pro­gramm« ist, wel­ches am En­de »nur« ent­deckt und ge­schrie­ben wer­den muss. Schach folgt Re­geln, die Zü­ge ent­fal­ten be­stimm­te Kon­stel­la­tio­nen, die kei­nen Aus­bruch aus die­sen Re­gel er­lau­ben. So wird ein Turm nie dia­go­nal zie­hen kön­nen und folg­lich braucht der Com­pu­ter dies nicht ein­zu­kal­ku­lie­ren. Li­te­ra­tur ist aber ein Dschun­gel; die Ge­set­ze, die hier herr­schen, wer­den wir nie er­grün­den (nur durch Kor­re­la­tio­nen, die wir als Kau­sa­li­tä­ten neh­men müs­sen). Si­cher, Klein­schrei­bung oder be­son­ders skur­ri­le Wort­wahl kön­nen Li­te­r­a­ri­zi­tät un­ter Um­stän­den er­zeu­gen, be­kräf­ti­gen oder aber auch nur si­mu­lie­ren. Am En­de steht dann aber so et­was wie ei­ne Über­lie­fe­rung, in der sich zeigt, was er­hal­ten wur­de und was nicht. Das ist bis­wei­len un­ge­recht, aber auch hier gibt es eben kei­ne Mo­ral – wie im Dschun­gel.

    (Die Zan­der-Sa­che ha­be ich nicht ver­folgt, au­ßer, dass die Au­torin die Neid-Kar­te spiel­te, weil sie ge­ra­de die­sen Preis be­kom­men hat­te. Die ewi­ge Fra­ge, ob Ly­rik ver­ständ­lich sein muss oder min­de­stens soll, ist eher er­mü­dend. Für mich wird es im­mer mehr frag­wür­dig, nach wel­chen Kri­te­ri­en Li­te­ra­tur­prei­se ver­ge­ben wer­den – und von wem. Wer­den da be­stimm­te Reiz-Re­ak­ti­ons-Sche­ma­ta an­ge­spro­chen?)

    Viel­leicht ist mei­ne eher ab­weh­ren­de Hal­tung von / über ma­schi­nen­ge­schrie­be­ne Li­te­ra­tur am En­de auch nur wie­der ei­ne Fort­schrei­bung in der Rei­he der mensch­li­chen Krän­kun­gen. Wo­zu ist dann über­haupt noch der Mensch nütz­lich? Ist er nur mehr ein Tier, der für sei­ne ei­ge­ne Re­pro­duk­ti­on exi­stiert?

  8. Ein paar der The­men, die Sie so wun­der­bar um­kreist ha­be, möch­te ich ger­ne wie­der auf­neh­men:
    Die Roll­la­den – ge­wis­ser­ma­ßen als phy­si­sche Gren­ze des Vir­tu­el­len und Nicht­phy­si­schen: wie die Smar­tho­me­steue­run­gen auf­ge­schmis­sen wä­ren, wenn der Mo­tor nicht mehr will, so ist auch un­ser Geist, im­mer noch auf den Kör­per an­ge­wie­sen, der ihn durch die Ge­gend trägt.
    Ge­ra­de wo ich mit Soft­ware mein Geld ver­die­ne, geht ei­ne ge­wis­se nost­al­gi­sche Wär­me von Din­gen aus, die rein mesca­nisch-elek­tri­scher Na­tur sind: wie mei­ne Sieb­trä­ger­ma­schi­ne oder mein Plat­ten­spie­ler. Ganz oh­ne Blue­tooth und WLAN mit me­cha­ni­schen Kipp­schal­tern. Die Tech­nik­skep­sis, die mir be­geg­net, hier, in der S‑Bahn (https://phorkyas.wordpress.com/2023/02/10/auftritt/) oder von an­de­ren El­tern, die ih­re Kin­der auch mög­lichst lan­ge von Smart­phone und Ta­blet fern hal­ten wol­len, tei­le ich.
    Aber ich ha­be auch ei­ne ge­wis­se Skep­sis vor der Dys­to­pie. »1984«, »Schö­ne neue Welt«, »Bla­derun­ner«, »Ma­trix« – ein ge­wis­ser Sog der Dü­ster­nis, aber ir­gend­wie schien’s mir doch auch im­mer fern un­se­rer Le­bens­rea­li­tät. So als hät­ten sich die Kas­san­dra-Ru­fer eben­so zu sehr an den Mög­lich­kei­ten der Tech­nik be­trun­ken, wie ih­re Pro­phe­ten, die glaub­ten der Mensch sei schon be­reit fürs Me­ta­ver­se oder den Upload in die Cloud. Fast so wie das Chri­sten­tum mit der Dif­fa­mie­rung des »Flei­sches« ge­gen den Kör­per hetz­te, aus dem der Geist ent­springt, der sich so gern dar­über er­he­ben möch­te, schei­nen sich die Com­pu­ter­pro­phe­ten über al­le phy­si­schen und ma­the­ma­ti­schen Gren­zen ih­rer Rech­ne­r­ei­en hin­aus in den Him­mel der All­mög­lich­kei­ten bea­men zu wol­len, und schla­gen eher ei­ne Del­le in ihr Hirn als ins Uni­ver­sum.

    Ge­wis­se Ir­ri­ta­tio­nen muss man wohl aber zu­las­sen: So schreibt Tu­ring an­schlie­ßend zu sei­nem Vor­schlag des »Imi­ta­ti­on games«:
    »The ori­gi­nal que­sti­on, ‘Can ma­chi­nes think!’ I be­lie­ve to be too meanin­g­less to de­ser­ve dis­cus­sion. Nevert­hel­ess I be­lie­ve that at the end of the cen­tu­ry the use of words and ge­ne­ral edu­ca­ted opi­ni­on will have al­te­red so much that one will be ab­le to speak of ma­chi­nes thin­king wi­t­hout ex­pec­ting to be con­tra­dic­ted.«
    Von der Per­spek­ti­ve der ab­strak­ten Sym­bol-Ma­ni­pu­la­ti­on her be­trach­tet, ist die Fra­ge, ob ei­ne Ma­schi­ne den­ken kön­ne, wohl auch in et­wa so, als wür­de man fra­gen, ob ein Boot schwimmt. Lan­ge war un­se­re Pro­gram­mie­rung so ein­ge­schränkt, dass wir den Com­pu­ter zwei­fels­frei nur als In­stru­ment wie ein Fern­rohr oder ein Fahr­rad wahr­nah­men.

    Lang­sam ist es un­ein­deu­ti­ger, ob un­se­re Al­go­rith­men schon stark ge­nug sind, als dass sich sich schon ih­res ei­ge­nen »Ver­stan­des« be­die­nen kann. In so be­grenz­ten Pro­blem­fel­dern wie Schach oder Go, ist die Ma­schi­ne schon da­von­ge­eilt. – Wo­bei ich die­se ei­ne Ver­lust­par­tie von Al­pha­go, sehr in­ter­es­sant fand: Es gab da die­sen ei­nen be­rühm­ten Zug von Lee Se­dol, nach dem die KI völ­lig den Fa­den ver­lor und dem sie wohl nur ei­ne 1 / 10.000 Chan­ce zu­ge­rech­net hat­te. Selbst wenn die spä­te­ren Ver­sio­nen von Al­pha­Ze­ro noch stär­ker sind, so dass die­se Schlupf­lö­cher noch schwie­ri­ger auf­zu­spü­ren wä­ren, zeigt es doch, dass.. das Spiel der Ma­schi­ne aus un­se­rer un­wis­sen­den War­te viel­leicht gott­gleich er­schei­nen mag, weil wir sie so gut wie nie in sol­che Si­tua­tio­nen brin­gen könn­ten, die sie nicht hand­ha­ben kann, aber ganz aus­schlie­ßen lässt es sich ver­mut­lich nicht. (Was ja auch ge­wis­se Si­cher­heits-Im­pli­ka­tio­nen für den Stra­ßen­ver­kehr hat, wenn man dort ähn­li­che Al­go­rith­men ein Au­to steu­ern lässt, durch die Viel­falt der Si­tua­tio­nen und Ent­schei­dun­gen, die täg­lich und in Se­kun­den­bruch­tei­len ge­sche­hen, aber ein viel grö­ße­rer Schbaum ab­ge­grast wer­den kann – und so sol­che »Tilt«-Situationen sehr viel wahr­schein­li­cher wer­den.)

  9. »So als hät­ten sich die Kas­san­dra-Ru­fer eben­so zu sehr an den Mög­lich­kei­ten der Tech­nik be­trun­ken, wie ih­re Pro­phe­ten…«

    Das ist ein tref­fen­des und schö­nes Bild. Ich bin auch weit ent­fernt von dys­to­pi­schen Sze­na­ri­en. Ich be­fürch­te aber, dass Chan­cen, Her­aus­for­de­run­gen und Ge­fah­ren nicht klug mit­ein­an­der ab­ge­wo­gen und ent­spre­chen­de Schlüs­se dar­aus ge­zo­gen wer­den. Statt­des­sen wird ei­ne Sei­te den Takt und die Rich­tung vor­ge­ben – und dann wird man spä­ter De­fi­zi­te er­ken­nen, die man ei­gent­lich hät­te vor­her ein­kal­ku­lie­ren kön­nen.

    Und dann kom­men die Me­di­en da­zu – ihr Hang zur Po­la­ri­sie­rung, Idea­li­sie­rung oder Skan­da­li­sie­rung (je nach­dem, was ge­ra­de an­ge­sagt ist). Zwi­schen­tö­ne brin­gen kei­ne Auf­merk­sam­keit. Uto­pien wer­den zu Dys­to­pien und um­ge­kehrt. Egal – Haupt­sa­che man ist »da­bei«.

    Chat­bots sind – so scheint mir, dem in die­sem Me­tier un­be­darft-ah­nungs­lo­sen Be­ob­ach­ter – noch ei­ni­ges ent­fernt von ei­ner re­fle­xi­ven Text­for­mu­lie­rung. Denn sie wer­den im­mer da­von ab­hän­gig blei­ben, was sie vor­fin­den, sie wer­den die­ses Vor­ge­fun­de­ne ge­wich­ten und zwar wie­der in dem Ma­ße, wie sie es vor­fin­den. Wie der Mensch – der sein Welt­bild aus dem formt, was ihm be­geg­net. Aber ein Mensch kann ab­wä­gen, re­la­ti­vie­ren, Er­fah­run­gen au­ßer­halb sei­ner Welt ab­stra­hie­ren und, mit gu­tem Wil­len, ein­flie­ßen las­sen. Kann das ei­ne Ma­schi­ne? Ich ha­be da Zwei­fel.

  10. Klei­ne Zwi­schen­fra­ge (falls das hier er­laubt ist): Ha­be vor ein paar Ta­gen mit wach­sen­der Be­gei­ste­rung »Das Ge­wicht der Welt« ge­le­sen und moch­te da­bei vor al­lem das ‘Ro­man­haf­te’ der Frag­ment-Form (die per­sön­lich-au­to­bio­gra­phi­schen Be­ob­ach­tun­gen, die wie­der­keh­ren­den ‘Fi­gu­ren’, der Schau­platz Pa­ris, so­zu­sa­gen das in­ne­re Zu­sam­men­hän­gen der Auf­zeich­nun­gen). Ha­be nun ganz ober­fläch­lich in die an­de­ren Jour­na­le ge­schaut und den Ein­druck er­hal­ten, dass die­ses Ro­man­haf­te dort we­ni­ger prä­sent ist und dass das of­fen Au­to­bio­gra­phi­sche et­was zu­rück­tritt. Kön­nen Sie die­sen Ein­druck viel­leicht be­stä­ti­gen oder war ich vor­schnell mit dem Ur­teil?

  11. @p.anselm

    Zwar er­läu­tern Sie, was Sie mit »ro­man­haft« mei­nen, aber es ist mir lei­der nicht ganz klar. Al­len »Jour­na­len« Hand­kes ist ge­mein, dass sie aus­schnitt­haft, vom Au­tor für die je­wei­li­gen Bü­cher zum Teil auch noch re­di­giert sind. Sieht man die zur Ver­fü­gung ste­hen­den Ori­gi­nal-No­tiz­bü­cher Hand­kes ein, so stellt man fest, dass die Ab­wechs­lung von Be­ob­ach­tun­gen, Schreib­übun­gen, Lek­tü­re­ein­drücken und per­sön­li­chen Be­find­lich­kei­ten mun­ter mit­ein­an­der ab­wech­seln. In Die Ge­schich­te des Blei­stifts fin­den sich noch vie­le No­ta­te, die vor al­lem auch zeit­lich im Ge­wicht der Welt hät­ten ste­hen kön­nen. Spä­ter nimmt die Kon­zen­tra­ti­on auf das Werk­statt­haf­te deut­lich zu; man kann be­ob­ach­ten, wie weit die Über­le­gun­gen für zu­künf­ti­ge Er­zäh­lun­gen ge­hen. Per­sön­li­ches au­ßer­halb der Re­fle­xi­on über das ei­ge­ne Schrei­ben und An­schau­en nimmt ab. (Zu un­ter­schei­den ist hier pri­va­tes. Das gibt es in den No­tiz­bü­chern nur höchst sel­ten; in den Jour­na­len fast nichts. Das ist Ab­sicht.)

    Na­tür­lich hän­gen die je­wei­li­gen No­ta­te mit­ein­an­der zu­sam­men. Ei­ne Ro­man­ab­sicht ist aber nicht in­ten­diert.