Ein bisschen erinnert Barbara Hoffmeisters Buch »S. Fischer, der Verleger« an diese Situation. Da werden Zitate von Imre Kértesz und Siegfried Unseld in eine Lebensgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts eingestreut und man fragt sich wozu. Zwar vermeidet Hoffmeister die Gattungsbezeichnung »Biografie« und verwendet stattdessen den Begriff der »Lebensbeschreibung«, aber so ganz vermag sie den biografischen Anspruch nicht aufzugeben. Die direkte Quellenlage scheint allerdings mindestens zu bestimmten Lebensphasen Fischers eher dürftig. Hinzu kommt eine vertiefte Verschwiegenheit Fischers. Er hatte weder Tagebuch geschrieben, noch äußerte er sich regelmäßig in der Öffentlichkeit. Daher übt sich die Autorin in Spekulationen, die sie jedoch immerhin als solche kennzeichnet. Dennoch befremden irgendwann die zahllos erscheinenden Konjunktive. Natürlich könnte sich Fischer auf der Weltausstellung am Stand der »Firma S. Reich & Co.« befunden haben. Oder womöglich unter den Schaulustigen irgendeiner Veranstaltung gewesen sein. Wahrscheinlich war Fischer am 29. Juli 1890 bei der Gründungsversammlung der »Freien Bühne« dabei und wenn ja, so weiß Hoffmeister zuverlässig, dürfte ihm die Massenveranstaltung nicht behagt haben. Aber was würde dies bedeuten? Und warum versteifen sich diese Vermutungen ab und an fast zu Unterstellungen?
Seitenlang lässt sich Hoffmeister über die Frage aus, ob Fischer nun am 24. Dezember 1858 oder 1859 geboren wurde, führt eine Menge Material auf – um dann jedoch eine endgültige Klarheit nicht geben zu können. Da fragt man sich als Leser, warum man mit Einwohnerlisten aus Fischers Geburtsort so lange malträtiert wurde.
Immer wenn der Stoff von und über Fischer fehlt, wird reichlich Zeit- und Literaturgeschichte aufgerollt. Hoffmeister zeigt, worin Fischers genialisch-aufklärerische Idee bestand (kurz gesagt: gute, zeitgenössische Literatur für wenig Geld anzubieten) und wie sich die Voraussetzungen Ende des 19. Jahrhunderts dafür einstellten. So wurde Samuel Fischer in seiner Zeit zum bedeutendsten deutsch(sprachig)en Verleger.
Anfangs findet man sehr viel Zeitkolorit in dem Buch. Später geraten immer mehr der Verlag, die verlagsinternen Machtkämpfe und Intrigen aber vor allem die Autoren in den Fokus von Hoffmeisters Betrachtungen. Nach dem Krieg von 1914–18 gab es immer mehr Verlagsgründungen. Und der Versuch einer Fusion mit dem größten Konkurrenten Kurt Wolff scheiterte.
Hoffmeister bemüht sich chronologisch zu erzählen, schweift jedoch häufig ab, weiß etwas, was man damals noch gar nicht wissen konnte und erhebt sich ab und an fast prahlerisch über die Protagonisten. Am Anfang das Verhältnis Fischer und Ibsen (auch hier viel Spekulation). Man lernt den alten Fontane en passant als Kritiker und wachen Geist kennen (und schätzen). Autoren wie Jakob Wassermann, Max Halbe, Moritz Heimann (der auch Fischer-Lektor war), die heute kaum bekannt sind. Natürlich Gerhart Hauptmann, der Fixstern von Fischer. Bis ins (unwichtigste) Detail geht die Autorin hier. Später dann Thomas Mann (Heinrich Mann bei Wolff). Auch hier lange Exkurse: über das Verhältnis der beiden Brüder; Abhängigkeiten, Gegnerschaften und doch ein stilles aber festes Band der Zuneigung auch im Zwist.
Die Österreicher: Schnitzler und sein latentes Misstrauen den Berlinern gegenüber. Zum »Reigen« weiß Hoffmeister viel – zu »Professor Bernhardi« sehr wenig, auch und gerade in den Kapiteln über den Antisemitismus. Schnitzler über Freud. Hofmannsthal. Gerne ergeht sich Hoffmeister in süffisanten Bemerkungen, wie zu Hofmannsthals berühmten Chandosbrief über die Sprachlosigkeit eines Autors: Doch offensichtlich blieb dem sprachkritisch Erstarrten Beredsamkeit, er war bewegt von den eigenen Metaphern, so handelte es sich zugleich um eine solipsistische Aussagekrise. Oder dieser billige Hochmut zu Thomas Manns Verirrungen zum Kriegsausbruch 1914, als dieser vom »feierliche[n] Volkskrieg« schwadronierte und wider eine »Friedenswelt«, die »faulig vor lauter Komfort« sei, wetterte. Und nun? Will sie sagen, dass Heinrich der bessere Mensch aber schlechtere Schriftsteller gewesen sei? Wahrlich: Darauf habe ich in einem Buch über den Verleger Fischer gewartet.
Samuel Fischer hörte den anschwellenden Trommelsang nur gedämpft, wie hinter einem Schleier meldet Barbara Hoffmeister (in dem ihr eigenen Stil auf Fischers beginnende Schwerhörigkeit anspielend) und der Leser bemerkt bei dieser Gelegenheit überdeutlich, wie Fischer in diesem Buch höchstens als eine Art Silhouette erscheint, ja, wie er manchmal fast den Fluss der Assoziationen der Autorin zu stören scheint. (»Können wir jetzt gehen?«)
Dabei weiß sie so viel, aber sie weiß so oft nicht, diese Materialfülle für den Leser anschaulich zu machen. Es gibt durchschnittlich zwei Zitate pro Seite. Also blättert man ab Seite 417 nach und sucht. Man muss oft nachschlagen, weil die Zitate im Kontext nicht eingebettet sind, sondern plötzlich Text zwischen Anführungszeichen erscheint. Im Anhang werden dann immer die ersten und die letzten Wörter der Zitate angegeben; manchmal stehen sie dort aber auch nicht und man sucht dann wieder im Text nach einem Bezug. So ist vieles für Kenner geschrieben, die das Zitierte schon verinnerlicht haben und die Sottisen von Hoffmeister dann zu würdigen wissen oder mit den Augen rollen (oder beides). Und der Begriff des »Herrschaftswissens« bekommt eine ganz neue Nuance.
Zu selten gibt es Momente des erhellenden Versinkens. Etwa, wenn geschildert wird, wie Fischer bei den designierten Schwiegereltern um seine Hedwig geworben hat. Was für ein drollig anmutendes, aber doch zartes 19. Jahrhundert-Casting. Fischers Kinder, vor allem Gerhart (der Vorname!), sein musikalisches Wesen, seine Erziehung (wieder ganz ausführlich die Schulen und Internate, die er besuchte). Die Kriegsjahre und Verblüffendes über das geistig-kulturelle Leben in dieser Zeit. Aber immer mal wieder geht dieser affektierte Sarkasmus mit Hoffmeister durch. Etwa wenn Gerhart mit 19 Jahren an einer rätselhaften Krankheit binnen weniger Tage stirbt und dies schmissig mit dem Geburtstag der Mutter in Verbindung gebracht wird: …und wie um die Mutter zu schonen, starb das Sorgenkind fünf Minuten nach Mitternacht.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts macht Hoffmeister als prägnante Zeitströmungen Modernisierungskritik, Interessenpolitik und Judenfeindschaft aus. Fischer ist das, was man einen deutschen Patrioten nennen könnte; den immer weiter schwelenden Antisemitismus will er in diesem Ausmaß offensichtlich nicht wahrnehmen. Er schreibt Thomas Mann eine zustimmende Postkarte auf seinen Artikel gegen (den Juden) Theodor Lessing, der in einer Satire angeblich antisemitische Klischees bediente. Ansonsten heißt es über Fischer noch 1934 (also in seinem Todesjahr), dass er »sich eher mit Knüppeln totschlagen lassen« würde »als Deutschland zu verlassen.«
Auch gegen Ende entsteht für den großen, alten Mann des deutschen Verlagswesens kaum so etwas wie Empathie. Der Schwiegersohn übernimmt in den 1920er Jahren immer mehr die Leitung. Es gibt noch ein despektierliches Zitat zu Peter Suhrkamp, in dem kolportiert wird, Fischer glaube an »seine Verlässlichkeit im Menschlichen« nicht. Hoffmeister ist’s diesmal kein Kommentar wert. Samuel Fischer ist tot und wir sind nur ein bisschen klüger. Schade.
Die kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem besprochenen Buch
Ich hatte mal eine Biographie über S. Fischer und ich habe die letzten 20 Minuten damit verbracht, dies Taschenbuch in meinen Regalen zu suchen. Vergeblich; ich find’s nicht mehr.
Ich erinnere mich aber vage, dass es recht lesbar und informativ war; muss aus den sechziger/siebziger Jahren (?) gewesen sein. Wo isses nur? Hab’s doch nicht etwa weggeworfen? (ich mach das manchmal; auch mit CDs. Aus Platzgründen natürlich nur).
Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, das Buch von Frau Hoffmeister ist recht neu. Sie hatte wohl Zugriff zum Fischer-Archiv, was nicht so vielen möglich war/ist.
Ich hab mal’n bisschen in Internet gesucht. »Mein« Buch war nicht Samuel F. sondern:
“Bedroht, bewahrt: Der Weg eines Verlegers” von Gottfried Bermann Fischer.
Das war der Schwiegersohn, der in Hoffmeisters Buch nur sehr am Rande vorkommt.