Bar­ba­ra Hoff­mei­ster: S. Fi­scher, der Ver­le­ger

Barbara Hoffmeister: S. Fischer - Der Verleger

Bar­ba­ra Hoff­mei­ster: S. Fi­scher – Der Ver­le­ger

In den 70er Jah­ren gab es im deut­schen Fern­se­hen ei­ne Sen­dung mit dem Ti­tel »Das ist ihr Le­ben«. Pro­mi­nen­te wur­de un­ter ei­nem Vor­wand in ein Stu­dio ge­lockt. Dort war­te­te ein auf­ge­kratz­ter Mo­de­ra­tor mit ei­nem Mäpp­chen auf sie, ging die ein­zel­nen Sta­tio­nen des Le­bens die­ses Pro­mi­nen­ten durch, lud ehe­ma­li­ge Freun­de und so­ge­nann­te Weg­ge­fähr­ten des Ga­stes ein (ty­pi­sche Kör­per­be­we­gung: die Um­ar­mung des seit Jah­ren nicht mehr Ge­se­he­nen) und frisch­te die Kar­rie­re­hö­he­punk­te auf (sel­te­ner die Rück­schlä­ge). Das hat­te ir­gend­wie den Charme von Klas­sen­tref­fen, Stamm­tisch und vor­weg­ge­nom­me­ner Grab­pre­digt. Un­ver­ges­sen die Per­si­fla­ge von Lo­ri­ot auf die­se Sen­dung, in der der Mo­de­ra­tor dem fik­ti­ven Schau­spie­ler »Ted Brown« man­gels Ver­füg­bar­keit kei­nen Schul­ka­me­ra­den aus der ei­ge­nen Klas­se prä­sen­tie­ren konn­te, son­dern nur je­man­den, der zur glei­chen Zeit in ei­ner an­de­ren Stadt zur Schu­le ging. »Er ist Ih­nen al­so völ­lig un­be­kannt« – und trotz­dem heu­te im Stu­dio. »Kön­nen wir jetzt ge­hen« fragt dann ir­gend­wann Ted Brown, als die Re­kon­struk­tio­nen im­mer ab­stru­ser wur­den.

Ein biss­chen er­in­nert Bar­ba­ra Hoff­mei­sters Buch »S. Fi­scher, der Ver­le­ger« an die­se Si­tua­ti­on. Da wer­den Zi­ta­te von Im­re Kér­tesz und Sieg­fried Un­seld in ei­ne Le­bens­ge­schich­te des aus­ge­hen­den 19. Jahr­hun­derts ein­ge­streut und man fragt sich wo­zu. Zwar ver­mei­det Hoff­mei­ster die Gat­tungs­be­zeich­nung »Bio­gra­fie« und ver­wen­det statt­des­sen den Be­griff der »Le­bens­be­schrei­bung«, aber so ganz ver­mag sie den bio­gra­fi­schen An­spruch nicht auf­zu­ge­ben. Die di­rek­te Quel­len­la­ge scheint al­ler­dings min­de­stens zu be­stimm­ten Le­bens­pha­sen Fi­schers eher dürf­tig. Hin­zu kommt ei­ne ver­tief­te Ver­schwie­gen­heit Fi­schers. Er hat­te we­der Ta­ge­buch ge­schrie­ben, noch äu­ßer­te er sich re­gel­mä­ßig in der Öf­fent­lich­keit. Da­her übt sich die Au­torin in Spe­ku­la­tio­nen, die sie je­doch im­mer­hin als sol­che kenn­zeich­net. Den­noch be­frem­den ir­gend­wann die zahl­los er­schei­nen­den Kon­junk­ti­ve. Na­tür­lich könn­te sich Fi­scher auf der Welt­aus­stel­lung am Stand der »Fir­ma S. Reich & Co.« be­fun­den ha­ben. Oder wo­mög­lich un­ter den Schau­lu­sti­gen ir­gend­ei­ner Ver­an­stal­tung ge­we­sen sein. Wahr­schein­lich war Fi­scher am 29. Ju­li 1890 bei der Grün­dungs­ver­samm­lung der »Frei­en Büh­ne« da­bei und wenn ja, so weiß Hoff­mei­ster zu­ver­läs­sig, dürf­te ihm die Mas­sen­ver­an­stal­tung nicht be­hagt ha­ben. Aber was wür­de dies be­deu­ten? Und war­um ver­stei­fen sich die­se Ver­mu­tun­gen ab und an fast zu Un­ter­stel­lun­gen?


Sei­ten­lang lässt sich Hoff­mei­ster über die Fra­ge aus, ob Fi­scher nun am 24. De­zem­ber 1858 oder 1859 ge­bo­ren wur­de, führt ei­ne Men­ge Ma­te­ri­al auf – um dann je­doch ei­ne end­gül­ti­ge Klar­heit nicht ge­ben zu kön­nen. Da fragt man sich als Le­ser, war­um man mit Ein­woh­ner­li­sten aus Fi­schers Ge­burts­ort so lan­ge mal­trä­tiert wur­de.

Im­mer wenn der Stoff von und über Fi­scher fehlt, wird reich­lich Zeit- und Li­te­ra­tur­ge­schich­te auf­ge­rollt. Hoff­mei­ster zeigt, wor­in Fi­schers ge­nia­lisch-auf­klä­re­ri­sche Idee be­stand (kurz ge­sagt: gu­te, zeit­ge­nös­si­sche Li­te­ra­tur für we­nig Geld an­zu­bie­ten) und wie sich die Vor­aus­set­zun­gen En­de des 19. Jahr­hun­derts da­für ein­stell­ten. So wur­de Sa­mu­el Fi­scher in sei­ner Zeit zum be­deu­tend­sten deutsch(sprachig)en Ver­le­ger.

An­fangs fin­det man sehr viel Zeit­ko­lo­rit in dem Buch. Spä­ter ge­ra­ten im­mer mehr der Ver­lag, die ver­lags­in­ter­nen Macht­kämp­fe und In­tri­gen aber vor al­lem die Au­toren in den Fo­kus von Hoff­mei­sters Be­trach­tun­gen. Nach dem Krieg von 1914–18 gab es im­mer mehr Ver­lags­grün­dun­gen. Und der Ver­such ei­ner Fu­si­on mit dem größ­ten Kon­kur­ren­ten Kurt Wolff schei­ter­te.

Hoff­mei­ster be­müht sich chro­no­lo­gisch zu er­zäh­len, schweift je­doch häu­fig ab, weiß et­was, was man da­mals noch gar nicht wis­sen konn­te und er­hebt sich ab und an fast prah­le­risch über die Prot­ago­ni­sten. Am An­fang das Ver­hält­nis Fi­scher und Ib­sen (auch hier viel Spe­ku­la­ti­on). Man lernt den al­ten Fon­ta­ne en pas­sant als Kri­ti­ker und wa­chen Geist ken­nen (und schät­zen). Au­toren wie Ja­kob Was­ser­mann, Max Hal­be, Mo­ritz Heimann (der auch Fi­scher-Lek­tor war), die heu­te kaum be­kannt sind. Na­tür­lich Ger­hart Haupt­mann, der Fix­stern von Fi­scher. Bis ins (un­wich­tig­ste) De­tail geht die Au­torin hier. Spä­ter dann Tho­mas Mann (Hein­rich Mann bei Wolff). Auch hier lan­ge Ex­kur­se: über das Ver­hält­nis der bei­den Brü­der; Ab­hän­gig­kei­ten, Geg­ner­schaf­ten und doch ein stil­les aber fe­stes Band der Zu­nei­gung auch im Zwist.

Die Öster­rei­cher: Schnitz­ler und sein la­ten­tes Miss­trau­en den Ber­li­nern ge­gen­über. Zum »Rei­gen« weiß Hoff­mei­ster viel – zu »Pro­fes­sor Bern­har­di« sehr we­nig, auch und ge­ra­de in den Ka­pi­teln über den An­ti­se­mi­tis­mus. Schnitz­ler über Freud. Hof­manns­thal. Ger­ne er­geht sich Hoff­mei­ster in süf­fi­san­ten Be­mer­kun­gen, wie zu Hof­mannst­hals be­rühm­ten Chan­dos­brief über die Sprach­lo­sig­keit ei­nes Au­tors: Doch of­fen­sicht­lich blieb dem sprach­kri­tisch Er­starr­ten Be­red­sam­keit, er war be­wegt von den ei­ge­nen Me­ta­phern, so han­del­te es sich zu­gleich um ei­ne so­lip­si­sti­sche Aus­sa­ge­kri­se. Oder die­ser bil­li­ge Hoch­mut zu Tho­mas Manns Ver­ir­run­gen zum Kriegs­aus­bruch 1914, als die­ser vom »feierliche[n] Volks­krieg« schwa­dro­nier­te und wi­der ei­ne »Frie­dens­welt«, die »fau­lig vor lau­ter Kom­fort« sei, wet­ter­te. Und nun? Will sie sa­gen, dass Hein­rich der bes­se­re Mensch aber schlech­te­re Schrift­stel­ler ge­we­sen sei? Wahr­lich: Dar­auf ha­be ich in ei­nem Buch über den Ver­le­ger Fi­scher ge­war­tet.

Sa­mu­el Fi­scher hör­te den an­schwel­len­den Trom­melsang nur ge­dämpft, wie hin­ter ei­nem Schlei­er mel­det Bar­ba­ra Hoff­mei­ster (in dem ihr ei­ge­nen Stil auf Fi­schers be­gin­nen­de Schwer­hö­rig­keit an­spie­lend) und der Le­ser be­merkt bei die­ser Ge­le­gen­heit über­deut­lich, wie Fi­scher in die­sem Buch höch­stens als ei­ne Art Sil­hou­et­te er­scheint, ja, wie er manch­mal fast den Fluss der As­so­zia­tio­nen der Au­torin zu stö­ren scheint. (»Kön­nen wir jetzt ge­hen?«)

Da­bei weiß sie so viel, aber sie weiß so oft nicht, die­se Ma­te­ri­al­fül­le für den Le­ser an­schau­lich zu ma­chen. Es gibt durch­schnitt­lich zwei Zi­ta­te pro Sei­te. Al­so blät­tert man ab Sei­te 417 nach und sucht. Man muss oft nach­schla­gen, weil die Zi­ta­te im Kon­text nicht ein­ge­bet­tet sind, son­dern plötz­lich Text zwi­schen An­füh­rungs­zei­chen er­scheint. Im An­hang wer­den dann im­mer die er­sten und die letz­ten Wör­ter der Zi­ta­te an­ge­ge­ben; manch­mal ste­hen sie dort aber auch nicht und man sucht dann wie­der im Text nach ei­nem Be­zug. So ist vie­les für Ken­ner ge­schrie­ben, die das Zi­tier­te schon ver­in­ner­licht ha­ben und die Sot­ti­sen von Hoff­mei­ster dann zu wür­di­gen wis­sen oder mit den Au­gen rol­len (oder bei­des). Und der Be­griff des »Herr­schafts­wis­sens« be­kommt ei­ne ganz neue Nu­an­ce.

Zu sel­ten gibt es Mo­men­te des er­hel­len­den Ver­sin­kens. Et­wa, wenn ge­schil­dert wird, wie Fi­scher bei den de­si­gnier­ten Schwie­ger­el­tern um sei­ne Hed­wig ge­wor­ben hat. Was für ein drol­lig an­mu­ten­des, aber doch zar­tes 19. Jahr­hun­dert-Ca­sting. Fi­schers Kin­der, vor al­lem Ger­hart (der Vor­na­me!), sein mu­si­ka­li­sches We­sen, sei­ne Er­zie­hung (wie­der ganz aus­führ­lich die Schu­len und In­ter­na­te, die er be­such­te). Die Kriegs­jah­re und Ver­blüf­fen­des über das gei­stig-kul­tu­rel­le Le­ben in die­ser Zeit. Aber im­mer mal wie­der geht die­ser af­fek­tier­te Sar­kas­mus mit Hoff­mei­ster durch. Et­wa wenn Ger­hart mit 19 Jah­ren an ei­ner rät­sel­haf­ten Krank­heit bin­nen we­ni­ger Ta­ge stirbt und dies schmis­sig mit dem Ge­burts­tag der Mut­ter in Ver­bin­dung ge­bracht wird: …und wie um die Mut­ter zu scho­nen, starb das Sor­gen­kind fünf Mi­nu­ten nach Mit­ter­nacht.

Schon En­de des 19. Jahr­hun­derts macht Hoff­mei­ster als prä­gnan­te Zeit­strö­mun­gen Mo­der­ni­sie­rungs­kri­tik, In­ter­es­sen­po­li­tik und Ju­den­feind­schaft aus. Fi­scher ist das, was man ei­nen deut­schen Pa­trio­ten nen­nen könn­te; den im­mer wei­ter schwe­len­den An­ti­se­mi­tis­mus will er in die­sem Aus­maß of­fen­sicht­lich nicht wahr­neh­men. Er schreibt Tho­mas Mann ei­ne zu­stim­men­de Post­kar­te auf sei­nen Ar­ti­kel ge­gen (den Ju­den) Theo­dor Les­sing, der in ei­ner Sa­ti­re an­geb­lich an­ti­se­mi­ti­sche Kli­schees be­dien­te. An­son­sten heißt es über Fi­scher noch 1934 (al­so in sei­nem To­des­jahr), dass er »sich eher mit Knüp­peln tot­schla­gen las­sen« wür­de »als Deutsch­land zu ver­las­sen.«

Auch ge­gen En­de ent­steht für den gro­ßen, al­ten Mann des deut­schen Ver­lags­we­sens kaum so et­was wie Em­pa­thie. Der Schwie­ger­sohn über­nimmt in den 1920er Jah­ren im­mer mehr die Lei­tung. Es gibt noch ein de­spek­tier­li­ches Zi­tat zu Pe­ter Suhr­kamp, in dem kol­por­tiert wird, Fi­scher glau­be an »sei­ne Ver­läss­lich­keit im Mensch­li­chen« nicht. Hoff­mei­ster ist’s dies­mal kein Kom­men­tar wert. Sa­mu­el Fi­scher ist tot und wir sind nur ein biss­chen klü­ger. Scha­de.


Die kur­siv ge­setz­ten Stel­len sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich hat­te mal ei­ne Bio­gra­phie über S. Fi­scher und ich ha­be die letz­ten 20 Mi­nu­ten da­mit ver­bracht, dies Ta­schen­buch in mei­nen Re­ga­len zu su­chen. Ver­geb­lich; ich find’s nicht mehr.
    Ich er­in­ne­re mich aber va­ge, dass es recht les­bar und in­for­ma­tiv war; muss aus den sechziger/siebziger Jah­ren (?) ge­we­sen sein. Wo is­ses nur? Hab’s doch nicht et­wa weg­ge­wor­fen? (ich mach das manch­mal; auch mit CDs. Aus Platz­grün­den na­tür­lich nur).

  2. Ich weiß nicht ge­nau, aber ich glau­be, das Buch von Frau Hoff­mei­ster ist recht neu. Sie hat­te wohl Zu­griff zum Fi­scher-Ar­chiv, was nicht so vie­len mög­lich war/ist.

  3. Ich hab mal’n biss­chen in In­ter­net ge­sucht. »Mein« Buch war nicht Sa­mu­el F. son­dern:
    “Be­droht, be­wahrt: Der Weg ei­nes Ver­le­gers” von Gott­fried Ber­mann Fi­scher.