Der Vorwurf des Plagiats ist der schlimmste, den man einem Schriftsteller machen kann. Daher sollte man mit solchen Beschuldigungen vorsichtig umgehen. Plagiatsgeschichten haben meist nicht nur Enthüllungscharakter. Die schlechten Enthüllungen denunzieren auch immer gleich mit. Es gibt zahlreiche Beispiele für Kampagnen, die gelegentlich durchaus die Intention hatten, Schriftsteller auch ökonomisch zu vernichten.
Die Definition von dem, was man »Plagiat« nennt, ist recht klar. Neben der rechtlichen Erklärung, gibt es auch eine ethische. Beide Interpretationen machen es so schwierig festzustellen, ob etwas Plagiat ist, ein Motiv verwandt wurde oder ob es eine Veränderung oder Weiterentwicklung eines Motives ist.
Deef Pirmasens hat in seinem Weblog »die gefühlskonserve« Helene Hegemanns Bestseller »Axolotl Roadkill« mit dem Buch »Strobo« des Bloggers »Airen« verglichen und verblüffende Parallelen festgestellt, die er ausführlich dokumentiert.
Ausdrücklich schreibt Pirmasens:
Es gibt noch mehr, in denen nicht Wort für Wort kopiert, aber das Handlungsmotiv einer Szene übernommen wurde. Helene Hegemann zeigt uns in Axolotl Roadkill zwar, dass sie nicht nur für ihr Alter, sondern ganz allgemein eine beachtenswert wortgewaltige und wundervoll böse Schreibe hat. Aber statt sich nur von anderen inspirieren zu lassen und zu zitieren, schreibt sie ab
Die von ihm aufgeführten Beispiele sind schlagend. Und wenn es noch mehr gibt, dann handelt es sich nicht um ein Zitat oder eine Nebenhandlung, die »untergemogelt« wurde. Dann handelt es sich um ein Plagiat.
Schade, denn Hegemann war ja das Hätschelkind des deutschen Feuilletons. Das Buch wurde über den grünen Klee gelobt – die Gründe liegen natürlich darin, weil den Rezensenten hier eine Welt gezeigt wird, die sie gar nicht kennen und für exotische Jugendliche hat man doch immer ein Ohr, zumal wenn sie Authentizität, die Krücke aller Lebensfremden, suggerieren. So schwärmte noch am Freitag in den ZDF-Sendung »Die Vorleser« der Barack Obama der deutschen Literaturkritik, Ijoma Mangold, in den höchsten Tönen – was bei der durchaus lebensgewandteren Co-Moderatorin Amelie Fried (sie wies auf ihre zwei pubertierenden Kinder ähnlichen Alters hin) auf ziemliche Skepsis stieß. Dennoch ließen beide keinen Zweifel daran: Hier schreibt ein Wunderkind. Nur: Heißt dieses »Wunderkind« Helene Hegemann?
Fast noch interessanter als die Frage, wo geklaut wurde, ist: Warum hat die Literaturkritik dies nicht entdeckt. Wieder Pirmasens:
Helene Hegemanns Quasi-Eingeständnis “ich bediene mich überall” kann nicht als Rechtfertigung herangezogen werden. Es stellt sich viel mehr die Frage, warum andere Rezensenten an dieser Stelle nicht begonnen haben, Lunte zu riechen. Eine Google-Suche hätte sie zu Airens Blog und darin zu seinem Roman geführt.
Die Frage ist mehr als berechtigt. Sie zeigt vor allem eines: Die Inkompetenz der zeitgenössischen (!) Literaturkritik im Umgang mit den neuen Medien. Es herrscht weitgehend die Unfähigkeit, zu googlen.
Die ersten Reaktionen des Feuilletons sind durchaus bemerkenswert. So führt Felicitas von Lovenberg in einem merkwürdig verteidigenden Artikel in der F.A.Z. das Kriterium des Alters ein, nachdem Plagiatsvorwürfe ruchbar sind und oder nicht:
- »Die Fragen, die seit dem Wochenende an das Buch und die Autorin gestellt werden, sollten immer auch mit Blick auf die Jugend dieses aufstrebenden Talents diskutiert werden.«
Das ist eine erstaunliche – und neue Feststellung: Es gibt also eine Art »Jugendrecht« für Plagiatvorwürfe? Muss man in Zukunft nach dem Alter des Autors fragen, um festzustellen, dass da etwas »geklaut« wurde? Und: Welches Talent meint von Lovenberg eigentlich?
In Wirklichkeit scheint sich als Abwehrhaltung des Feuilletons herauszukristallisieren: Es ist nicht so schlimm, von einem weitgehend unbekannten Medium aus dem Web geklaut zu haben – Hegemann kann zur Not noch als Transkribistin vom Internet ins Buch gefeiert werden. Man entschuldigt sich (streicht dabei natürlich weiter das Geld alleine ein) und alle kommen halbwegs ungeschoren aus der Sache heraus.
Schade nur, dass die alten Männer dem netten Mädchen jetzt nicht mehr den Buchpreis geben können. Hätte doch so nett werden können. Der Leser sagt: Dankeschön, Deef Pirmasens, dass uns das (hoffentlich!) erspart geblieben ist.
Kleine Ergänzung noch:
Das Talent liegt wohl in der Familie.
Dank an R. D
Richard Strauss wurde einmal von einem Freund oder Bekannten darauf hingewiesen, dass eine bestimmte Stelle bereits bei einem anderen Komponisten zu hören war. Strauss: »Nicht wahr, das ist doch eine schöne Stelle, die musste ich verwenden.«
Ob in der Musik eine Stelle ein Plagiat oder eine Ehrung ist, hängt von Fall zu Fall ab. Bei Bruckner kommt manchmal etwas von Wagner vor, doch keiner würde Bruckner des Plagiierens von Wagner bezichtigen. In der sogenannten »U‑Musik« finden sich häufig Anleihen von der »E‑Musik«, die mehr oder weniger legitim sind. Ich spreche hier aber nicht von Cross-Over.
In der Literatur sieht die Sache anders auch. Wie ist das z.B. mit der Antigone von Anouilh. Da wird Stoff verarbeitet.
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Wenn Formulierungen übernommen werden, ohne dass sie als Zitate gekennzeichnet sind, ist das im Prinzip solange nicht böse, solange keine Vorteile daraus erworben werden. Was aber hier und oft auch in der Technik nicht der Fall ist. Wie sieht es mit Reis und Bell aus. Wer hat am Telefon verdient?
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Generell werfe ich die Vorgangsweise nicht »dem netten Mädchen« vor. Es ist der Zeitgeist, der hier die Mittel erstens leicht ermöglicht, zweitens noch durch unsere Hype-Kultur begünstigt.
Aber es hätte mich gefreut, eine Lobhudelei von MRR oder Iris Radisch zu hören, um später dann die Aufklärung präsentiert zu bekommen.
Ja, das hätte mir wirklich gefallen:)
Ja, Du sprichst den Grenzbereich genau an. Anouilhs Stoffverarbeitung lässt ja nie Zweifel daran, was da verarbeitet wird.
Und ich glaube, dass der Deef Pirmasens mehr herausgefunden hat als ein, zwei gelungene Formulierungen. Und – wer weiß: Vielleicht hat das »nette Mädchen« damit am wenigsten zu tun. (Ich spekuliere jetzt natürlich nur; s. o.)
Copy & Paste
Warum sollte in der Literatur etwas erlaubt, der Jugend nachgesehen werden, was unredlich ist und anderswo bestraft wird?
Aber da das Plagieren in Schule und Studium, beim Verfassen von schriftlichen (Abschluss-)Arbeiten, kaum geahndet weil selten entdeckt wird, sollte man sich nicht wirklich wundern.
Mich wundert...
auch eher die ausgebliebene Skepsis bei der Kritik (und auch dem Verlag).
Gerade wegen des Verlages ist auch eine Debatte über ein Jugendplagiatsrecht vollkommen absurd. Denn die sind voll zurechnungsfähig und sollten einem Autoren eh freundlich klarmachen, daß er eigene Leistung abzuliefern habe, was der Verlag auch getan zu haben behauptet – (und notfalls kontrollieren). Zudem ist es ja der Verlag, der solches in Verkehr bringt und als Wirtschaftsgut zu verantworten hat.... Und die Stellungnahme von Hegemann selbst ist – mir fehlen die Worte. Ich halte es für die auf naiv getrimmte und in schlechtem Deutsch vorgetragene Umformung eines anwaltlich vorgegebenen Textes..... Lest selbst
@tinius #6
Schon merkwürdig, den Schwarzen Peter der Autorin zuzuschieben und das eigene Lektorat (gab es eines?) zu »entlasten«...
in schule und studium
schauen lehrer und dozenten mittlerweile schon bei google nach, um so zu verhindern, dass etwa ganze passagen von wikipedia abgeschrieben werden und bei magister- und doktorarbeiten gibt es eigene computerprogramme, die das herausfinden sollen..
warum hat hegemann auf die explizite frage nach weiteren quellen gerade diese nicht angegeben (vielleicht doch eine form von unrechtsbewusstsein?) und warum hat das lektorat der 17-jährigen so einfach geglaubt?
[EDIT: 2010-02-14 18:15]
Wieso soll sie den Preis jetzt nicht mehr kriegen können?
Ist doch – neben immerhin Qualitätsaspekten – immer auch ein Teil Marketing dabei (wie viele Preise ja überhaupt aus solchen Überlegungen heraus geschaffen werden). Und jetzt bei der Kontroverse? Womöglich bringt das in die ganz Copyright-Debatte die entscheidenden Fragen auf? (Könnte ja jeder copy & paste-Künstler, 17-jährige bald mal ein Buch schreiben statt Schul-Aufsätze abzukupfern. Tatsächlich aber gab’s in den 60ern [letztes Jahrhundert] mal eine Bewegung [im Zuge der »neuen Subjektivität«] die ausdrücklich proklamierte: »Schreib’s neu und schreib deinen Namen drunter«. Die Texte auf dem Airen-Blog scheinen mir auch nicht gerade... naja, »originell.«)
Was ist aber überhaupt mit dem Buch? Wer hat es gelesen? Ist es Literatur? Kann doch nicht nur Hype sein? Soviel Verblendete? Soviel grummelnde Unerreichbare? Es wird über ein Buch geredet, und Kultur-Deutschland erregt sich!
Dass heute immer häufiger die Kriterien zu einem solchen zunehmend außer-literarische sind, ist schon bezeichnend genug. (Der Link auf den Jörg Sundermeier-Artikel, der m.M. die Umstände ganz gut zusammenfasst, ist ja hier auf der Seite.)
Was mir noch auffällt: Komische Allianzen zeichnen sich da ab, sowohl Pro als auch Contra. (Sogar der ewig nörgelige, dabei selber so verjährte Biller findet plötzlich zur Affirmation!)
Vielleicht sind solche Fälle ganz gut, weil fast alle Aspekte einmal durcheinander gewirbelt werden?
Aber noch mal die Hauptfrage: Ist das Literatur???
Ja, die entscheidende Frage: Ist das Literatur? Vermutlich. Aber: Ist es GUTE Literatur? (ich beabsichtige das Buch zu lesen.)
Keine Frage: Neben den Nebenkriegsschauplätzen der Literaturkritik wie z. B. Authentizität gehört die klare Autorenschaft essentiell zum Buch dazu. Wo käme man hin, ein zusammengestoppeltes Buch zu prämieren? Vielleicht haben Sie Ortheils Gespräch mit »Kulturzeit« gesehen – er tritt für einen unaufgeregten Umgang ein und sieht irgendwie am Horizont ein neues Genre aufleuchten (so interpretiere ich ihn).
[EDIT: 2010-02-08 21:14]
Ich kenne bisher nur eine Leseprobe, die mich sprachlich eher entsetzt hat, aber ich habe Original und Fälschung bestellt und beabsichtige, diese auch zu lesen – Hegemann schon länger, weil mich das Theater um »Feuchtgebiete« gelehrt hat, selbst hinzuschauen, bevor ich dem Feuilleton – Geschrei egal welcher Richtung vertraue. Allerdings lag meine Bestellung genau einen Tag vor dem Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe und des Eingeständnisses. Den Preis wird sie dafür wohl nicht bekommen können, denn das wäre eine quasi – offiziöse Aufforderung, der Strategie Hegemanns zu folgen und eine Entblößung des Literaturbetriebs (als Industrie jenseits der Kunst), die man mit Sicherheit vermeiden wollen wird.
[EDIT: 2010-02-08 23:12]
@tinius
Ich hatte gelesen, »Strobo« sei derzeit nicht lieferbar – nun, wir werden sehen.
[EDIT: 2010-02-09 07:56]
Man muss zugeben, dass auch Brecht nicht zimperlich war, was die Übernahme fremder Texte betraf. Die Liste der Plagiate in der Literatur ist jedenfalls schon lang gewesen, bevor es das Internet gab. Mit dem Internet sind Plagiate leichter aufzustöbern als früher. Daher stimmt das Beispiel Helene Hegemann mich eher hoffnungsfroh. Denn immerhin waren die Rechercheure schneller als die Preisverleiher.
Ja, Brecht wird immer gerne aufgeführt. Der hat’s auch zugegeben. Auch Thomas Mann und ähnliche Heroen mussten sich immer wieder mal solchen Vorwürfen ausgesetzt sehen. Wobei sich mir immer die Frage stellt, ob die Variation eines Motives schon Plagiat ist (m. E. eher nicht).
In jedem Fall versucht »der Betrieb« die Sache ins einem Sinn zu »regeln«: Andreas Kilb in der FAZ. (Ich fand ihn schon mal wesentlich besser.)
Bei Lowry »Unter dem Vulkan« hat sie sich wohl auch bedient. Siehe dazu Andrea Dieners Weblog (gig.antville.org) und einen Kommentar darin:
—>
»O. k., die Nacht, wieder mal so ein Ringen mit dem Tod, die Fetzen angstgequälten Schlafes, mein von schicksalsmächtigen Orchestern erbebendes Kinderzimmer und all diese Einbrecherstimmen aus dem Hinterhof, die unausgesetzt meinen Namen schreien.«
Das ist wohl der Anfang des Roman der jungen Dame.
Und bei Malcolm Lowry, »Unter dem Vulkan« heißt es:
»...dachte er einen Augenblick (..) an die furchtbare Nacht, die ihn – ob er noch mehr trank oder nicht – unausweichlich erwartete, an sein von dämonischen Orchestern erbebendes Zimmer, die Fetzen eines angstgequälten tumultuösen Schlafes, unterbrochen von Stimmen, die in Wirklichkeit Hundegebell waren, oder von eingebildeten Besuchern, die unausgesetzt seinen Namen riefen,...«
<—-
Danke. Interessanter Artikel.
In den Kommentaren wird ja auch über die Rolle des Vaters spekuliert. Ich glaube nämlich, dass eine 16jährige irgendwann nicht unbedingt diese Ahnung und Durchdringung von Literatur haben kann.
Was wäre wenn...
...sie ihre »Zitate« auch als solche gekennzeichnet hätte? Es ist ja durchaus legitim zu zitieren und weiterzuverarbeiten, wenn es denn kenntlich gemacht wird. Hätte die Kritik das abgestraft? Eher nicht, die sind so in einen Taumel geraten, dass sie es genau so wenig bemerkt und angemerkt hätten, wie sie das möglich Plagiat nicht bemerkten.
Gute Frage
Die Kritik hätte das Buch dann kaum derartig »gehypt« und sich mit dem/den Original(en) beschäftigt (meine Prognose). Ein Wesen des Plagiats ist ja die Verschleierung des Werkes, welches man »verwendet« hat, um sich mit diesen fremden Federn zu schmücken.
Das, was ich hier bisher gelesen haben, legt den Verdacht des Plagiats nahe. Das ist weit mehr als nur die Verwendung und Variation eines Motives.
Plagiat
Wie könnt ihr das bloß so runterspielen? Wenn ein Blogger bei einer Zeitung Text zitiert hetzen die gleich ihre Anwälte, wenn eine Journalisten bei einen Blogger kopiert geschieht im besten Fall nix, außer das Bildblog.de darüber berichtet, und jetzt kopiert sogar eine Autorin, und was ist, es wird von den alten staubigen Medien heruntergespielt, weil sie daran Geld verdienen. Heuchelei pur.
@Tudor
Es ist nicht nur der Bildblog, der darüber berichtet. Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass im Moment der Eindruck entstehen könnte, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.
Aber Literatur verwendet immer wieder Motive aus anderer Literatur; Plagiat ist das mehr oder weniger wortgetreue und verborgene Abschreiben.
—
@en- passant
Hier das Gespräch mit Ortheil aus der Kulturzeit.
Wie hätte man denn bitte mithilfe von Google darauf kommen sollen, dass da haufenweise Zitate drin sind? Jeden einzelnen Satz des Romans ins Suchfenster eingeben und hoffen, dass man was findet, bevor die Arme eingeschlafen sind?
Es gehört doch zum Wesen des Abschreibens (oder wie auch immer man das in diesem Fall nennen mag), dass es nicht auffällt, bis nicht jemand zufälligerweise auch die Quelle kennt, aus der abgeschrieben wurde.
Ja und Nein.
Hegemann verweist in ihrem Roman wohl auf das Berghain, einen angesagten Szeneschuppen. Wenn man die Authentizität so hoch hält, wie sie die Kritik nun postuliert, hätte man sehr schnell mittels Google recherchieren können, dass 16 oder 17jährige in diesen Laden nicht hineinkommen und wäre ziemlich schnell auf »Strabo« gekommen. Der Rest wäre – pardon – der Job des Rezensenten gewesen (nicht umsonst rühmen sich doch die Qualitätsmedien ihrer Redaktionen, oder?)
Oder man hätte zum Biepsiel »Vaselintitten« einfach mal gegooglet. (Ich sag’ damit nicht, dass ich das gemacht hätte, aber ich sitz’ auch nicht im Fernsehen und halte das Buch als literarische Sensation wie ein Aalhändler auf dem Hamburger Fischmarkt vor das Publikum).
Es gibt Programme, mit denen Plagiate gefunden werden können, die vor allem von Professoren zur Kontrolle angeblich wissenschaftlicher Arbeiten verwendet werden.
hegemann darf das passieren
sie ist tatsächlich in und mit einer kultur groß geworden, in der das zitieren, mixen und mash-uppen OK ist. ihr liegt es im blut.
dumm war, dass sie – warum auch immer – ein paar sehr explizite quellen nicht genannt hat. aber ja: sie ist jung, sie überblickt einiges nicht, vielleicht hat sie ja doch auch schon ein paar drogen zu viel drin gehabt. wie auch immer.
aber verdammt: der verlag hat versagt. er hat versagt und er gehört dafür gebürstet! da liegt für mich der hase im pfeffer!
#12
Kein Wunder. Bei amazon stieg das Buch von Verkaufsrang 14.000 + knick auf 74 heute morgen um 3. Eine Bestellbestätigung bekam ich noch nicht... ;)
@amo #24 – Warum auch immer...
das ist (fast immer) eindeutig. Und konterkariert meines Erachtens die »naive« Sichtweise.
Zur Ergänzung:
Plagiatoren gibt es auch im »Online to Online«-Bereich – der Blog »shortlist« setzt ohne Quellenangabe Teile meiner Besprechung des Unseld-Bernhard-Briefwechsels bei sich online: hier. Aber von diesen Leuten ist man eh’ nichts anderes gewohnt.
Gilt das (auch) als Aufforderung an Ihre Leser, dies in den Kommentaren dort entsprechend zu bemerken? Oder warum tun Sie dies nicht selbst? Haben Sie Befürchtungen, daß ob dieser Handlungsweise bei »shortlist« im Zorn die Pferde mit Ihnen durchgehen? Ich finde, Sie könnten dort darüber ruhig einen Satz verlieren. Aber einmal unabhängig davon, wer sind diese Leute, daß man von diesen nichts anderes gewohnt sei? (Eine ernstgemeinte Frage.)
(Noch etwas off-topic: Vorhin sah ich, es sind 41 Leser online. Vielleicht bewahrheitet sich nun Ihre in meinen Augen etwas zu schlichte These, daß Qualität sich langfristig immer durchsetze. Zeit wär’s ja.)
@Peter Viehrig
Eingaben dieser Art werden dort ignoriert (das Impressum verweist auf einen Sitz in Großbritannien – und man droht dort sogar ganz unverhohlen). Es soll im übrigen keine »Aufhetzung« anderer Leser sein; ich habe an twoday geschrieben und erwarte von dort eine Reaktion (die Erfahrung zeigt auch hier, dass man sich in solchen Dingen nicht bewegt; ich werde wohl rechtliche Schritte einleiten müssen).
»shortlist« ist Teil eines undurchschaubaren Blogkonglomerats, der mehrere Blogs betreibt und dort Texte von Zeitungen und anderen Blogs ausschlachtet – mal mit Quellennennung und mal ohne.
Ich mache mir ein bißchen Sorgen um die junge Dame. Natürlich hat die Jugend kein Sonderrecht auf Plagiate. Aber sie hat ein Sonderrecht darauf, sich bessern zu dürfen. Man muss bezweifeln, ob die öffentliche Häme, Zurechtweisung und Skandalisierung am Ende eine wirklich angemessene Strafe für das Delikt des Plagiats sind. Ich meine: das Strafmaß ist zu hoch, wenn die Person der Autorin jetzt fertiggemacht wird. Schließlich werden den Entschuldigungsartikeln der FAZ noch die böswilligen Kommentare folgen...
Naja,
sie reagiert ja recht selbstbewusst und durchaus offensiv (oder eher naiv?). Und es gibt ja auch noch Ihren Vater, der auch kein Unbekannter in der Szene ist. Sorgen mache ich mir nicht; der Roman wird dadurch erst recht noch einmal gepuscht. Zumal es in ihrer Generation sicherlich ein anderes Rechtsbewusstsein über diese Dinge gibt.
sie wird doch gar nicht...
fertig gemacht. aber natürlich darf auch sie scharf ermahnt werden. man wird veröffentlich, will das, wird gelobt und kritisiert. ich gehe davon aus, das man an so einer erfahrung wächst. am ehesten wird sie noch die vorsicht vor den ganzen schulterklopfern mitnehmen. recht so.
#31 – @Gregor
»Zumal es in ihrer Generation sicherlich ein anderes Rechtsbewusstsein über diese Dinge gibt.«
Ich bin mir da nicht sicher. Gewiss, ich finde häufig in den studentischen Hausarbeiten Plagiate. Aber das betrifft nach wie vor eine – wenn auch große – Minderheit. Auf der anderen Seite verhält es sich mit diesen Plagiaten wie mit der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik: Man sieht so viele studentische Plagiate, weil man so genau hinschaut. Bei anderen macht man sich nicht die Mühe. Aber da ich mit Zeitungsquellen für meine Forschung arbeite, habe ich auch hier einige freche Plagiate gefunden, auch lange vor Google und Wikipedia. Von vorgeblich seriösen Journalisten. Diese Leute werden vermutlich ebenso wenig Probleme mit einem Copy-Paste-Roman haben.
#33 – @Internetausdrucker
Niggemeier entlarvt das Abschreiben in der Journalistik ja in regelmässigen Abständen auf seinem Blog. Man sieht ja, was dabei herauskommt.
Hier gibt es übrigens einen Kontrapunkt – der Autor unterstellt und konstruiert da zwar einiges herum, aber es zeigt doch einen gewissen Trend an.
#31
Sie reagiert vor allem uneinsichtig, zumindest was den Vorgang als solchen betrifft. Zwar entschuldigt sie sich, aber besteht doch weiterhin darauf, ihre Romane von anderen schreiben zu lassen.... Das geht m.E. garnicht. Hier gibt es ein aktuelles Interview mit ihr. Es werden immer wieder Goethe oder Brecht herangezogen : Helene Hegemann ist weder der eine, noch der andere, sondern eine gehypte Pseudo – Literatin, die mit eigener Leistung allenfalls den Nicht-einmal-Insider-Status des Bloggers airen erreicht hätte..... Entsetzt aber bin ich von den nach und nach eintrudelnden Reaktionen des Feuilletons, die ihre Lieblingsdiebin bis ins Unerträgliche zu verteidigen suchen.
@tinius – #35
Welche Anmaßung: Es gab auch nicht pubertierende Klauer: Shakespeare hat Montaigne mit Übersetzungsfehlern abgeschrieben, Brecht hat Gedichte von seinen Freundinnen unter seinem Namen veröffentlicht, Goethe hat seinerseits dann Shakespeare abgeschrieben im Faust. Obwohl ich das jetzt einen unguten Diskurs finde. (H.H. im verlinkten »Welt«-Interview) -
Klingt wie schön beigebracht und auswendig gelernt.
fake plastic-trees
Abgeschrieben – den großen Gedanken eines anderen trivialisiert – hat wohl jeder schon mal. Etwas nicht ganz Unähnliches ist, wenn Leute sich gleich ständig hinter Zitaten verstecken. Bestens zusammen gefasst hier.
Und sind nicht sämtliche Haltungen, ist nicht alles Denken in großen Teilen ein Wiederkäuertum von Vorgefundenem, wie Politik oft nur das Wiederholen verabredeter Sätze ist, bis sie sich programmatisch verwirklicht haben? Die RAF verhielt sich gern, als herrschten in der BRD südamerikanische Zustände. Der Vorstadt-HipHopper gibt sich als NYC-Gangster. Usw. Alle Subjekte sind durchdrungen von etwas, das sie von anderswoher nehmen. Alles Schöpfertum ist eigentlich auch immer schon zweifelhaft, da immer auch von anderswoher inspiriert.
Verrückt ist eigentlich eher, von einer 17-jährigen ein Genietum zu erwarten. (Wahrscheinlich sind eben Frechheit und Unbekümmertheit die Qualitäten, die hier hervorstechen – der Rest ist schon Selbstverkaufe mit all dem Charme der Ungeübtheit und der medialen Nahelegung, was draus zu machen.)
Wahrscheinlich hat Ortheil Recht: niedriger hängen und andere vom »Skandal« lernen lassen: Wird eh wieder vorkommen. Oder »die Kunstanstrengung erhöhen« (Alexander Kluge). Aber würde das noch erkannt?
Man sollte sich aber auch mal der Häme stellen, der lauten Lust der Contraseite daran, dass ein Gutteil des Hypes mal »wieder nur einem Mädchen« geschuldet scheint. Alle würden wir eigentlich selber gern mal Genie sein, wissen aber, dass es nicht reicht. Da soll es uns auch keiner mal eben vorspielen.
Aber wo kommt die »mediale Nahelegung« her?
Das ist die Frage für mich, die dahintersteht: Wie konnte dieses Buch als Feuilletonhype reüssieren? Warum erklärt man eine 17jährige so vorschnell zum Wunderkind?
Machen wir uns doch nichts vor: Die Literaturkritik heutzutage kennt zwei sakrosankte Elemente, die ihre Ästhetik weitgehend bestimmen – Authentizität und Exotismus.
Die Mischung aus beiden ist unwiderstehlich für die Kritiker, die – das muss man doch auch mal so sagen – einen verdammt beschissenen Job haben (und ihn demzufolge auch ausüben – siehe u. a. den Sundermeier-Artikel, der seltsam unwidersprochen blieb). Sie können nicht widerstehen, wenn ihnen jemand etwas vorsetzt, was sie noch nie SO gesehen oder gehört haben. Und dann in Buchform – da sind sie weg; fasziniert. Und dann zieht Papa noch ein bisschen die Fäden und man fragt sich, ob das nicht schon Kindesmißbrauch ist.
Sie, die Kritik, schaut nicht mehr, liest nicht mehr – sie konsumiert nur noch und produziert, schreibt selber von Kollegen ab und hoffiert die paar wenigen Hypebröckchen, die ihnen vorgeschmissen werden. Es gilt heute nichts mehr, ein Buch von A‑Z gelesen zu haben – das gilt dann schon als Klugscheißerei, wenn man auf Stil oder Form achtet und nicht nur Inhaltsangaben abgibt. Das ganze erbärmliche Elend dieser Kirtik zeigt sich an Heidenreich, Fried und Westermann (bitte keine Verrisse in meiner Sendung) und deren Inauguration zu Literaturkritikern (naja, Heidenreich hatte wenigstens formale Grundlagen).
Es geht mir nicht darum zu zeigen, dass Hegemann gar nicht in dem Szeneschuppen gewesen sein kann (vielleicht war sie es ja doch). Es geht darum, wie oberflächlich eine Kritik affirmiert, sich prostituiert und alle Regeln und Gesetze über Bord wirft, nur weil man ihnen mundgerecht etwas serviert, was sie neugierig macht und eine gewisse Erwartung bedient.
Aber es wird sich zeigen: Man liebt den Verrat und nicht den Verräter. Auf diese Causa angewandt: Frau Hegemann erhält den Welpenschutz und die anderen sind die bösen Neidhammel. Ihr nächstes Buch ist bestimmt schon ein Megaseller.
one hit wonder?
Über die Kritik brauchen wir (fast) nicht mehr reden – sie weiß ja (weitgehend) auch selbst irgendwo von ihrer Überflüssigkeit; bei Sundermeier stehts erklärt und Sie haben das ja auch schon mal näher beleuchtet.
(Dabei fällt mir allerdings mal wieder auf: Sind diese TV-Populärfiguren, die Sie nennen denn überhaupt satisfaktionsfähig? Beklagen müsste man doch wirklich eher die »ernsthafte« Kritik im Feuilleton. Aber die will eben auch auf eine Mehrheit an Adressaten zielen.)
Also bleiben die medialen Mechanismen – Automatismen? Mir scheint es oft, als färbten längst die erfolgreichsten Formate anderswo (DSDS und die Modellsuchsendungen etwa) ab – und das eben sicher wegen ihrem divers anschlussfähigen Spektakel.
Dazu käme dann in diesem Fall dieses Wunderkind-Ding – das liebte die Menschheit schon immer, an allen Königshöfen, diese kryptische Verwunderung über Auswüchse ihrer selbst. Ich musste aber auch an die früh ausgebrannten KInderstars in Hollywood denken, die dann als Drogenwrack enden.
Es geht also um Menschenverbrauch, es geht um den »Stargast«, um vorzeigbare Personen und Gefühle, es geht um sexy Zutaten für’s Storytelling, um das Eigenblutdoping in einem kulturellen Umschlagformat. Letztlich konkurrieren heute alle Medien mit allen anderen, täglich, stündlich, minütlich. (Und alle haben sich auch verdächtig oft auf die Schnelligkeit von Twitter gestürzt.) Für eine sorgfältige oder tiefer zielende Kritik bleibt da einfach nicht mehr die Zeit.
Ich könnte mir aber ebenso gut vorstellen, dass H.H. damit auch schon abgefeiert ist – schließlich wird sie bald 18! (Denken Sie auch an »die kleine« Zoe Jenny seinerzeit nach ihrem »Blütenstaubzimmer«.)
Ich glaube, es bleibt einem nichts anderes übrig, als auf die »Nachhaltigkeit« auch in der Kritik an traditionell etwas langsameren kulturellen Formate zu setzen. Der Rest sind Sternschnuppen, »Helden für einen Tag«. Und dieses Lebensgefühl lässt sich noch immer gut sampeln und zitieren: Es ist ebenso original wie geklaut.
[EDIT: 2010-02-09 16:46]
Satisfaktionsfähigkeit
Die Frage ist nicht, ob die TV-Populärfiguren intellektuell satisfaktionsfähig sind (Mangold ist es, aber die anderen eher nicht). Sie müssen in jedem Fall formell so betrachtet werden. Sie werden inauguriert als Instanzen. Von wem auch immer (meist von denen, die Präsentatoren und keine Kenner brauchen). Der Titel alleine (»Die Vorleser«) ist eine Frechheit. Man könnte sie natürlich ignorieren, aber dann würden sie genau so weitermachen wie bisher. Also »begleitet« man sie – dennoch wird man von ihnen ignoriert (jedes Eingehen würde Diskussion bedeuten und die wollen sie in keinem Fall).
Das Phänomen des Menschenverbrauchs bei Wunderkindern sehe ich auch – nicht umsonst sprach ich von »Kindesmißbrauch«, wobei eine 17jährige kaum ohne entsprechende Hinwendung soweit kommt. Die Parallele zu DSDS ist nicht unflott – auch dort kommt es letztlich auf Protegé an und dann läuft es wie am Schnürchen und zur Not eben mit einem kleinen Skandälchen.
Die Nachhaltigkeit in der Kritik – schöner Traum. Schon in den 90er Jahren wurde Busche dafür gescholten, wie er den 1000seitigen Handke zwei oder drei Tage nach Erscheinen bereits (enthusiastisch) besprechen konnte. Da gab’s noch keinen Twitter; das Ego war schon früher so stark.
[EDIT: 2010-02-09 18:11]
@Gregor
Warum immer die jugendlichen Wunderkinder?
Vielleicht haben Sie recht: es ist exotisch, was sie schreiben. Immer geht es um jugendliche Exzesse, das weckt den Voyeurismus in uns. Ich stand ja auch schon vor dem Regal und wollte das Buch mitnehmen. Weil ich hoffte, so mal handfeste Tatsachenberichte aus dem Jugendleben zu haben...
Das »Wunderkind« füllt dann die Feuilletons und man hat wieder einen gemeinsamen Debattengegenstand: Das Buch und seinen Autor sowie die Jugend im allgemeinen. Es ist wie mit den Autoritäten. Alle haben einen gemeinsamen Bezugspunkt. Damit kann man eine Debatte anfachen. Feuilletionist A kann auf Kollegen B antworten und C verreißt beide, worauf A und B wieder einsteigen ad infinitum. So hat man wenigstens ein Thema...
»Es gilt heute nichts mehr, ein Buch von A‑Z gelesen zu haben -«
Das berührt mich seltsam. Denn genau das ist mein Problem – mit der wissenschaftlichen Literatur. Ich lese gerne Bücher von vorn bis hinten. Aber auf diese Weise schaffe ich nur wenige Bücher. Meine Literaturlisten werden so nicht lang. Aber irgendwie versteht das keiner. Ich fühle mich mit meinem Umgang mit Büchern ziemlich alleine. Womöglich sind die anderen Kollegen auch alles Genies, die die dicken Wälzer in Windeseile lesen und begreifen?
# 41 @Internetausdrucker
Ich glaube nicht, dass ALLE, die Bücher nur noch querlesen, Genies sind. Es ist einfach aus der Mdoe gekommen; man liest »diagonal« oder – wenn möglich – man hat seine Leser. Vielleicht ist ein Kritikerjob anders nicht mehr zu bewerkstelligen.
ich finde...
man muss auch erst noch abschließend klären, was wirklich alles 1‑zu‑1 übernommen wurde. dass formulierungen und gedanken gespiegelt werden ist ja nun wirklich nichts neues, das muss und sollte doch auch so sein, wie ich finde.
bis aufs worte gleiche sätze und seiten kann es aber natürlich nicht ohne genehmigung und kennzeichnung geben. und ich wiederhole mich: wo war der kritische verlag an dieser stelle?
de facto freue mich ebenfalls, dass dieses »jungesmädchenschreibteinbuchgleichpopstar«-ding eins in die fresse kriegt.
Zum Lesen – Wunderkind?
Es gibt verschiedene Bücher. Hesse hat einmal über die drei Arten des Lesens geschrieben.
Ich selbst kann schnell, quer, langsam, wiederholt und stochastisch lesen.
schnell .. je nach Druckbild 100 Seiten/h
quer ... 2003 wurde ich befördert und musste mir Wissen anlesen. Ich musste einen möglichst großen Überblick bekommen. Das waren 24000 Seiten in 8 Monaten. Die habe ich nicht gelernt. Ich habe nur »gescanned«, ob etwas dabei ist, in das ich mich näher vertiefen müsste. Oder welche Themen gab es, bei denen ich besser vorsichtshalber »die Gosch’n« hielt, weil man dafür viel mehr Wissen und Praxis gebraucht hätte.
langsam ... by Lyrik und Texten, die mich sehr ansprechen, manchmal auch bei Sachtexten.
wiederholt ... Bestimmte Bücher wie die Strudlhofstiege oder Meister und Margarita habe ich sicher mehr als zehn mal gelesen. (Manchmal auch B‑Literatur, so ähnlich wie Schokolade futtern)
stochastisch ... Ein Buch, über das ich schon gelesen habe, irgendwo anfangen: in der Mitte, am Schluss, bei einem Drittel. Es sind Bücher, bei denen ich denke, dass ich sie gelesen haben sollte, doch wenn ich den Stil nicht mag, quäle ich mich nicht unnotwendigerweise durch.
Wunderkind?
Ich bin eher ein Wunderalter. (59) Zugegebenerweise lese ich viel. Aber lange nicht so viel wie in meinen Studententagen oder danach. Zwischen 20 und 40 habe ich zwei Stunden pro Tag gelesen. 1 Stunde Belletristik, 1 Stunde Fachliches. Und dann wieder aufgeteilt: 1 Stunde deutsch, 1 Stunde englisch.
Wenn man nicht fern sieht, was ich damals nicht getan habe, bleibt ausreichend Zeit fürs Lesen.
@steppenhund
Ich bin von Berufs wegen Schnellleser, ich kann Zeitungen in rasender Geschwindigkeit durchlesen. Bücher auch. Aber Sie haben ja richtiger Weise verschiedene Arten zu lesen unterschieden. Wenn ich einen wissenschaftlichen Autor verstehen will, dann brauche ich Wochen: zwei Mal lesen und dann meist schriftliches Interpretieren der Aussagen, um sie wirklich zu ergründen. Und das dauert dann sehr lange. Aber wenigstens ist das dann nicht oberflächlich. Aber auf diese Weise werde ich in meinem Dasein nicht viele Bücher schaffen. Andererseits: wozu soll ich Fachbücher lesen, deren Argumente und Ideen ich am Ende nicht wirklich begriffen habe?
Ich habe ja bei Fachbüchern am liebsten in Buchgeschäften gekauft, um mir einige Seiten anzusehen, ob mir der Stil und das Niveau des Autors passt. Es gibt da eine optimale Anpassung und ein Verständnis zwischen Autor und Buch, welches die Verstehensgeschwindigkeit stark beschleunigen kann. (Ich selbst arbeite in der EDV)
Es gibt Bücher, die ich sehr genieße, bei denen die Lesegeschwindigkeit trotzdem sehr langsam ist. Sloterdijk gehört dazu. Aber da habe ich den EIndruck, dass mir die Zeit nicht davon läuft:)
Unbezahlbar: Google hat Anzeigen für Ghostwriter (!) unter das Interview bei »Welt Kompakt« sortiert: http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article6311552/Goethe-hat-auch-abgeschrieben.html
*hihi*
Passt ja genau!
Brahms, Liszt und Schumann (beide) spielten sich gegenseitig ihre Stücke in der Entwicklungsphase vor und »befruchteten« einander. Nur der Punkt ist, dass man allein schon wegen fehlender Kopiertechnik nur die Inspiration und nicht gleich ganze Passagen mitnahm. Im wissentschaftlichen und Recruitment-Bereich ist Gegenlesen zur Not mit einer Plagiatsuchmaschine nichts welterschütterndes. Offenbar sind die Literaturschaffenden bei Ullstein und Feuilletonisten entweder noch nie enttäuscht worden, oder ich interpretiere es böse.
Der eine will es sich mit dem anderen nicht verderben und weiter mit Freibüchern, Einladungen zu Lesungen etc. bedacht werden.
Der andere ist zu groß um noch zu stürzen, zur Not kauft man den Winzverlag mitsamt dem Borderliner und seiner Ansprüche. Und die letzte hat es einfach mal probiert.
Das das Gefecht in der Außenansicht noch so entspannt anmutet, dürfte am komplexen Thema und dann doch geringen Streitwert liegen. Die gütliche Lösung dürfte finanziell nicht uninteressanter werden als die vom Kadi. Außerdem wollen jetzt alle gut dastehen. Der Sukultur-Verlag dürfte noch einige Wochen von der Gratis-PR profitieren können. Da wird man die Rolle des kleinen mittellosen Idealistenverlags auch spielen wollen. (Die Leute sind immer für David. Nie für Goliath.) Danach werden die Bandagen härter.
@Falk D.
Ich vermute, Sie liegen mit Ihrer/n Prognose/n richtig.
Der ganze Fall ist ein Lehrstück in Sachen Literaturkritik – und wie sie heute funktioniert. Da war der Hype um Benjamin Lebert vor gut 10 Jahren geradezu unschuldig dagegen. Beteiligt waren aber die gleichen Gutfinder (Maxim Biller usw.) mit den fast gleichen Argumenten. An der Buchgattung »Debüt« lässt sich das Fehl-Funktionieren von Literaturkritik besonders anschaulich illustrieren. Es gibt da auch ein schönes Grundlagenwerk zum Thema: über die Ästhetik des literarischen Debüts in der Mediengesellschaft, von Christian Kortmann. Darin (S. 266):
»Literarische Debüts sind nicht mehr bloß Texte, sondern Medien für durch die Autorenfigur vermittelte Bilder und Werte, die gehandelt werden: Die Kommunikation über ein Debüt vermittelt mitunter ein Mehr an Attraktion als der Text selbst. Diese Gesamtinszenierung muss man heute stets im Blick haben...«
Und genau dieses attraktive Mehr bzw. die Verheißung, Teil dieses Drumherum zu sein, programmierte auch das Verhalten der Feuilletons im Fall Hegemann.
Ein gutes Feuilleton würde, statt der Rotzgöre das dritte und vierte Forum aufzubieten (»Goethe hat auch abgeschrieben«), mal jemanden wie Kortmann befragen, wie er die Debüt-Mechanismen mit Blick auf den aktuellen Fall gelagert sieht.
Genau
das ist es: Feuilleton nicht als bloßer Affirmationskiosk, der die klebrigen Bonbons der Hersteller als Glücksmacher verkaufen möchte, sondern als – man traut es sich kaum zu sagen – Aufklärungsbühne.
Schöner Link, danke.
Ergänzung – Artikel von Jürgen Kaube in der F.A.Z.
Doch eine von der Angst bürgerlicher Blässe und des Altwirkens heimgesuchte Literaturkritik freut sich dann daran, dass das Leben die Hosen herunterlässt, die den Kritikern selbst nicht mehr passen, man feiert das junge Célin
Tatsächlich vielleicht: Kindesmißbrauch.
Rotzgöre?
Ich finde, dieser Ausdruck ist etwas herabsetzend. Man muss doch nicht von einer haltlosen Jugendidealisierung in das genaue Gegenteil verfallen. Die Frau ist immerhin auch schon 17. Da bietet sich eine ernsthafte Auseinandersetzung unter Erwachsenen doch eher an. Falsch ist es, sie jetzt in das Ghetto des jugendlichen Schonraumes zurückzuverweisen: du bist zu jung, halt lieber die Klappe, jetzt sprechen die Experten (nämlich Literaturwissenschaftler).
Da sie nun einmal ihr fragwürdiges Credo öffentlich geäußert hat (siehe »Goethe hat ... usw), kann man die Debatte um Urheberrecht und Autorenschaft auch führen. Dies umso mehr, wenn man annimmt, dass ihre ganze Generation dem Plagiat offen gegenübersteht. Dann geht es nicht mehr um die feuchten Träume mancher Literaturkritiker, sondern um den Umgang mit Texten ganz allgemein.
Den Begriff
halte ich Anbetracht der Äußerungen der Dame in den diversen Interviews (sofern es ihre Äußerungen waren) für angemessen.
Emotionen statt Analyse
Nein, Rotzgöre ist nicht angemessen. Respekt vor Mitmenschen, auch wenn sie Fehler machen und anderer Meinung sind, bleibt eine Tugend. Persönliche Herabsetzungen emotionalisieren diese Auseinandersetzung doch nur.
Aber sie ist ja schon emotionalisiert. Man schaue sich nur den Artikel von Kaube an:
»Doch eine von der Angst bürgerlicher Blässe und des Altwirkens heimgesuchte Literaturkritik freut sich dann daran, dass das Leben die Hosen herunterlässt, die den Kritikern selbst nicht mehr passen, man feiert das junge Célinchen als görè fatale, obwohl sie selber eine Stubenhockerin ist, die Bücher und Webseiten ausgewertet hat.«
Der Autor hats hier seinen Kollegen mal richtig gegeben, er lässt sie wie Idioten dastehen. Das macht er nicht sachlich, sondern mit Rhetorik, die ganz gezielt ad hominem geht. Und natürlich muss es ein wortgewaltiges Pathos haben. Das liest sich sehr vergnüglich, zugegeben, aber wirklich aufklärend ist das nicht.
Alles, was ich hier erfahre ist, der Herr Kaube mag die anderen nicht und hält sie für Schwachköpfe.
Das gilt nun nicht nur für Kaube. Ich denke, die scheinbar mit Theorie verhüllten Geschmacksurteile und sozialen Stereotypen sind sehr verbreitet. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich dem Feuilleton nichts abgewinnen kann.
Moment...
»Rotzgöre« ist aus Marcuccios Kommentar; im Kaube-Artikel erscheint es nicht.
Kaube hat vollkommen recht mit dem was er schreibt – und was ich – etwas unbeholfener – so ausdrückte: ...die Gründe liegen natürlich darin, weil den Rezensenten hier eine Welt gezeigt wird, die sie gar nicht kennen und für exotische Jugendliche hat man doch immer ein Ohr, zumal wenn sie Authentizität, die Krücke aller Lebensfremden, suggerieren.
Er braucht sie nicht wie Idioten darzustellen, in diesem Fall sind sie es. (Das Attribut »Nestbeschmutzer« oder die zivilisierte Tochter »Kollegenschelte« hat für mich noch nie gezählt.)
@Gregor
Ich stimme Ihrer Einschätzung ja auch zu. Ich denke, Sie haben recht. Die Faszination der Kritiker für Hegemann erklärt sich sicher aus ihrer Exotik.
Aber WIE Kaube das (auch) sagt, stört mich. Immer will er auch eine Art Literat sein, er will auch schön schreiben. Und das ist typisch für diesen Bereich Journalismus. Kulturjournalisten haben einen ziemlich markanten Habitus. Und er argumentiert nicht nüchtern, sondern er stellt bloß. Er greift die Kollegen mit großer Rhetorik an. Nun entsteht ein öffentliches Drama: Feuilletonist X gegen Kollegen Y usw. Mehr als ein Schauspiel ist das am Ende auch nicht. Die Autoren solcher Artikel nehmen bloß die Protagonistenrolle in diesem Schaukampf ein. Das ärgert mich. Was nicht heißt, dass mir einige Formulierungen nicht gefallen. Wie die mit den nicht mehr passenden Hosen – wunderbar!
Wir haben da eben...
etwas unterschiedliche Meinungen. Ist doch schön.
Zeitgeist
Liebe Leute,
mir wird da allmählich ein Muster klar, welches ich gefühlsmäßig schon eine Weile bemerke, doch noch nicht so auf den Punkt bringen konnte.
Das Problem liegt nicht in der Literatur oder nicht in der Literatur allein. Vielleicht sollten wir hier auch Dichtung und Schriftstellerei genauer auseinanderhalten. Und wenn Schriftstellerei so wie die Dichtung an der Prägnanz der Worte, an der Formulierungskunst, an der »dichten« Darstellung gemessen wird, so implizierte das einen Vorgang des Schreibens, der sich über Jahre hinziehen kann. Beim Fachbuch »Gödel, Escher, Bach« für Laien hat der Autor Hofstadter 20 Jahre investiert. Ein Fachbuch heute wird in der IT von seriösen Autoren mit einem Arbeitsaufwand von 2 Jahren beziffert.
Solange will die zu unterhaltende Gesellschaft aber heute nicht warten. Ohne Hegemann gelesen zu haben, erinnere ich mich an »Die Kinder vom Bahnhof Zoo«. Das ist schon eine ganze Weile her. Oder »Trainspotting«, dass ich zuerst im Film sah. Nehmen wir einmal an, es bedurfte wieder einmal einer solchen Darstellung. Dann stellt jemand fest, der Markt ist reif. Dann wird das erste beste genommen und »gepushed«. Wahrscheinlich bietet sich da »Axolotl xx« an, egal, ob es abgeschrieben ist oder nicht.
Einerseits gibt es einen enormen Bedarf der Massen an »Neuigkeiten«. Da ist es egal, ob abgeschrieben wird oder wird. In Zeitungsmedien gibt es montags einen Skandalbericht, der mittwochs relativiert wird. Nach einer Woche kann man die entsprechende Berichte nicht einmal mehr googlen, weil alles anders war.
Andererseits gibt es nur mehr sehr wenige Menschen, die bereit sind, die Arbeit, die in ein Werk hineingeflossen sind, zu würdigen. Man muss es gleich, jetzt, sofort und LEICHT verstehen können. Sonst ist es der Mühe nicht wert.
In diesem Zusammenhang ist dann aber der Hype um Hegemann als typische Medienentartung systemkonform. Es liegt nicht an ihr. Es liegt an einer Informationsgier, wie sie andere in Bezug auf Optionen und Derivate kennen. Eine Art von Rauschgift-Rausch, der durch immer stärkere und in kürzeren Abständen auftretenden Reize befriedigt werden muss.
(So wie auch ein Blog:)
Es liegt nicht an ihr.
Ja, genau. Darum ging es mir ja zuvörderst.
(Obwohl mich das naßforsche Gequatsche der Dame nervt.)
@ internetausdrucker
»Rotzgöre«, mein begriff, meinte nicht helene Hegemann als person, sondern das Kunstprodukt, das uns vom Literaturbetrieb erst als fläcjhendeckend als Wunderkind, dann mit seinen naiv-rotzfrechen Antworten zum Urheberrecht wie ein gefallenes Mädchen vorgeführt wird. Selbstkritische oder doch wenigstens distanzierte Phänomenberichterstattung sieht anders aus.
@Marcuccio
Danke für die Klarstellung. So leuchtet es mir ein. Sorry für das Missverständnis!
Ich darf an dieser Stelle mein Entsetzen erweitern : Man hat Hegemann für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.... Dumm nur, daß man einen Preis, mit dem man wenig zu tun hat, kaum boykottieren kann....
@tinius
Und das gegen Lutz Seilers Zeitwaage. Die spinnen, die Leipziger (nicht DIE Leipziger, sondern die »Leipziger«.
Selbst ein Donald – Duck – Heft hätte es mehr verdient. Mir geht da jedes Verständnis ab....
@steppenhund #2
Dass Bruckner von Wagner stilistisch und handwerklich gelernt hat, ist ohne Zweifel, aber seine Symphonik ist alles andere als Wagner – es wäre mir neu, wenn er ihn tatsächlich zitiert hätte (nachempfunden manchmal).
@en-passant #37
Und sind nicht sämtliche Haltungen, ist nicht alles Denken in großen Teilen ein Wiederkäuertum von Vorgefundenem, wie Politik oft nur das Wiederholen verabredeter Sätze ist, bis sie sich programmatisch verwirklicht haben?
Irgendwo las ich einmal: Wer schreibt, stielt. Das stimmt, denn zweifelsohne nimmt man von diesem oder jenem, und sehr oft unbewusst. Dort aber, wo es bewusst passiert, »darf« es kein unkenntlich bleibendes Kopieren sein, schon aus Achtung vor dem Leser.
Ist das Literatur?
Um die »Gegenfrage« zu stellen, was wäre damit gewonnen? Für den Leser, denn zweifellos gibt es für jeden von uns Literatur mit der wir »nichts« anfangen können...
Ja, was wäre damit gewonnen... ?
Das wäre zumindest die Frage. Die, nach den Unterschieden wohl, nach den Kriterien und den Distinktionen einer »Kultur« im empathischeren Sinne überhaupt. (Wo heute auch die Pommesbuden in Dortmund Kultur sind – sind sie ganz sicher, aber was taugt dann noch der hochmögende Begriff?)
Wahrscheinlich geht es aber wohl erst mal darum, »Literatur«, wie sie manche eben noch verstehen wollen, als eine künstlerische Kraft zu retten vor dem, was der Markt ungefragt eingemeidet bzw. selbstvergessen draus macht. (Da sind dann also auch Promi-Bekenntisse Bücher... die Literatur schon zu einer Subkategorie werden lassen.)
Der Rest ist Geschmack. Und Ansprüche. Und ein Hochhalten von irgendwie längerfristig überdauernden »Werten«. Der maßgeblicheren, besseren Version einer Sache, einer Anstrengung, eines kulturellen Formats.
Und das zu separieren, zu verteidigen, zu behaupten, fände ich nicht ganz falsch. Vor allem, wenn man mit solcherart Konservatismus heute fortschrittlicher da zu stehen scheint als mit der vermeintlichen Avantgarde, die längst alle Türen eingerannt und ihre Distinktionskräfte eben verloren hat.
@en-passant/metepsilonema
Vor der Lektüre des Buches, aber in Kenntnis einiger Ausschnitte: Wie immer ist es eine Frage der Definition, ob das Literatur ist bzw. »gute« Literatur ist.
Dabei wurde Literatur als Begriff immer wieder verbogen zu Gunsten einer eher reportagehaften Interpretation aus »erster« Hand. Das scheint der einzige Anspruch der »modernen« Literaturkritik an Literatur zu sein. Ist die Sache dann der bildungsbürgerlichen Erfahrungswelt enthoben oder sonstwie auf eine Weise exotisch, wird sie, die vermeintliche Literatur, idealisiert (ich will mein Mantra nicht wieder ausbreiten; das kommt noch früh genug). Da spielt dann auch Sprache keine Rolle mehr – sie soll nur »authentisch« sein, etwas »abbilden«.
Literatur wäre je genau das Gegenteil. Sie kommt zwar ohne Wirklichkeit bzw. ohne Erfahrungshorizont nicht aus, sollte das jedoch transzendieren. Ein gutes Gemälde sei nicht eines, auf dem sich orginalgetreu etwas abgebildet findet – so (frei aus dem Kopf zitiert) Goethe über Malerei.
Es rächt sich immer mehr, Begriffe wie Kultur oder auch Literatur durchlässig gemacht zu haben, so dass sie irgendwann verschwinden und – die Sprache der Kritik ist da ja durchaus erhellend – zum »Text« werden. Ein Text ist aber auch die Bedienungsanleitung eines Staubsaugers.
@en-passant, Gregor
Nicht, dass ich das nicht unterschreiben würde. Aber vielleicht gerade deswegen: Wenn wir die künstlerischen Kräfte retten wollten, dann sind sie offenkundig besonders, herausragend, dann müssen sie, jetzt bin ich wieder dort, jenseits allen Hedonismus, etwas für unser Leben bedeuten (und da schwappt dann die Subjektivität herein).
Natürlich nicht, wie Gregor sagte, »realitätsgenügend«, aber, und ich denke nur so hat der Begriff Sinn: Ausschließlich Literatur kann das liefern was wir brauchen, weil sie auf eine bestimmt Art und Weise gemacht ist. Und das wiederum bedeutet, dass es irrelevant ist, darüber zu sprechen bevor wir ein Buch kennen, und auch, dass man gut darüber streiten, aber es nicht immer entscheiden kann.
@Metepsilonema #67
Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass seine Symphonik vollkommen anders ist. Von einem direkten Zitat würde ich gerade bei Bruckner nicht sprechen. Aber vor ein, zwei Jahren ist mir einmal bei der 3. eine Stelle aufgefallen, wo ich mir dachte, »das ist Verehrung« nicht Kopie.
Und es könnte auch umgekehrt sein. Es gibt eine Stelle bei Bruckner, in der der Rhythmus des Walkürenritts vorkommt und ich denke, dass Bruckner da zuerst dran war;)
Bruckner (#72)
Nun, die dritte trägt (zumindest gelegentlich, ich weiß nicht ob »offiziell«) den Beinamen »Wagner«, und Ihr Höreindruck wäre eine Bestätigung dafür.
Das Adagio der siebten entstand (angeblich) unter dem Eindruck von Wagners Tod. Wieviel Gewicht man diesen biographischen Notizen auch immer einräumen mag...
[EDIT: 2010-02-13 18:43]
Ich glaube, ich sehe den Punkt...
Aber muss man (wird man nicht sowieso, weil Menschen das seit den ersten metaphysischen Schauern umkreisen) nicht auch über das Inkommesurable streiten? Über Ästhetik erst recht bzw. das, was sich fast nur noch mittels ihrer in einem auf diesen Versuch dahin setzenden Werk glücklichenfalls »transzendiert«?
Die Kriterien dazu sind ja eher ein bewegliches Gerüst. Und nicht jeder wird jeden Parameter überhaupt einsehen, wenn er ihm selber nicht zugänglich ist.
Aber das Darüberhinaus wird man doch erkennen? Und das wird einerseits eine Verabredung sein (alle Kunstinteressierten gemeinsam bestimmen, was die Kunst des einen Werkes ist und des anderen nicht). Andererseits etwas, das dann doch nie ganz verfügbar gemacht werden kann, weil es zu kompliziert ist oder zu mächtig oder zu schillernd oder zu unauflösbar mit seiner Machart verwoben, es auf nur auf den einen aufgehenden, allen zugänglichen Begriff zu bringen. (Ich glaube den Ekel von Botho Strauß gegen »die Herunterdemokratisierung« auch des Schwierigeren teilt eigentlich jedermann.)
Darüber aber muss wohl gesprochen werden, unablässig. Und das zeigt sich ja schon daran, dass es eh geschieht.
(Jochen Hörisch hat, glaube ich, als Erster mal laut gesagt, dass Wittgensteins Diktum vom eher fälligen Schweigen eigentlich ein Kommunikationsgebot sei – und an Verbote wolle sich heute eben niemand mehr halten.)
Darüber sprechen, darüber streiten, ja.
Aber man muss immer beachten, dass die Hintergründe und Erfahrungen sehr verschieden sind. Die Kritik an der Herunterdemokratisierung kann ich verstehen, anderseits vergisst sie mitunter, dass es eben diese verschiedenen Hintergründe und Erfahrungen gibt.
Mir scheint, ich führe parallel gerade eine sehr ähnliche Diskussion. Vielleicht ist’s von Interesse.
@amo # 24 – Hat er nicht
Ich finde es erstaunlich, wie oft immer wieder auf eine Verantwortung des Verlages hingewiesen wird.
Die ist für die Frage »Plagiat oder nicht« nicht vorhanden.
Jeder Autor, der ein Werk abliefert, versichert hoch und heilig, daß es sich um SEIN Werk handelt – oder gibt an, von wo noch alles Rechte ggf. einzuholen sind.
Wer´s nicht glaubt: Der Normvertrag ist im Netz leicht aufzufinden.
Es gibt gegen Großverlage einiges zu sagen (zum Beispiel, daß es de facto gar keine Lektorate mehr gibt) – aber der Punkt zieht einfach nicht.
@Gachmuret – #76
Gut, wenn er auch die juristische Pflicht nicht hat – sind dadurch Lektoren befreit von jeglicher Art von Recherche?
Interessanter Beitrag auf Ihrem Blog.
Transzendenz... und das Vermögen dazu – #75
Ich bin noch bei dem Punkt der Transzendenz (dann vielleicht auch eines über das Gewöhnliche hinaus geführten »Handwerks«... man denke auch an so was wie »Meisterschaft«).
Dieser Punkt scheint ja nicht zu verobjektivieren zu sein. Die »Wahrheit« ist aber nach Kierkegaard eh die Subjektivität.
Jetzt frage ich mich, ob man das mit einer anderen Sache in Zusammenhang bringen kann, nämlich einem anscheinend existierenden körperlichen Korrelat, einer physischen Entsprechung des Vermögens zur Selbst-Transzendenz in unseren Menschenhirnen. (Da geht es ebenfalls um Glauben... oder so was wie Residuen einer wie auch immer geratenen Metaphysik.)
Meine Idee war, dass das nun – wie auch immer – mit dem Vermögen zur Kunst zusammenhängt. Und andererseits wohl ungleich bei den Menschen verteilt vielleicht ist (angeblich sogar teils genetisch bedingt).
Etwas spekulativ vielleicht (und hier natürlich extrem verkürzt dargestellt). Aber vielleicht weiterführend?
&nsbP,
@en-passant
Den Strauß’schen Ekel teilen nur diejenigen, die von der »Herunterdemokratisierung« nicht (wie auch immer) profitieren (was ein guter Hebel ist, Strauß als elitär abzuservieren). Ansonsten lebt eine ganze Industrie davon, die Verabredungen zuverlässig nivelliert zu haben. Aber ist nicht das Eingeständnis, eine Objektivität mit subjektiven Parametern sowieso nicht erreichen zu können, geradezu eine Einladung?
Wenn jemand einen Ton nicht trifft, kann er nicht singen. Aber taugt er dann auch nicht zum »Sänger«? Gerade die Möglichkeit, trotzdem zu reüssieren, ist das Zweideutige: Entweder man lässt das Kriterium »Ton treffen« fallen und huldigt dem vielzitierten anything goes oder man stellt es als unhinterfragbar.
Das verrückte ist, dass dies bei Literatur nicht mehr zu »funktionieren« scheint (ich glaube ja, dass das mindestens teilweise ein Irrtum ist). Sicher, hier gibt es kein empirisches Kriterium »Ton treffen« (oder doch?). Insofern müssten die Kriterien fast noch präziser sein. Aber eine Kritik, die sich vorauseilend aller Kriterien beraubt, findet irgendwie und irgendwann alles satisfaktionsfähig.
Mit Transzendenz meinte ich eher den ebenfalls so oft zitierten »doppelten Boden« – aber auch schon durchaus mehr. Wobei die Frage auftaucht, ob das postmoderne Diktum, das Buch entstehe im Leser (das war wohl Joyce) nicht die Ursache für die ganze Crux ist: Man glaubt, durch die »Abbildung« bestimmter Ereignisse sozusagen nur einen Anreiz geben zu brauchen. Und das alleine reiche schon als Literatur. Den Rest erledigt dann der Leser (sozusagen). Das ist dann keine Beliebigkeit, sondern »polyphon«. (Oder mache ich es mir da zu einfach?)
Das von Ihnen angesprochene biologistische Element überfordert mich derzeit (das ist nicht ironisch gemeint). Könnten Sie das ein bisschen konkreter machen?
#77 – Nunja,
@Gregor Keuschnig:
Im Prinzip ja.
Die Stellen bei Airen wurden ja eher durch Zufall überhaupt entdeckt, und zwar von einem Leser, der dessen Werk kennt. Ein Lektor wiederum ist nicht in der Pflicht, nun wirklich jedes UndergroundWerk zu kennen. Und er ist auch nicht verpfichtet, davon auszugehen, daß ihm ein Autor etwas unterjubeln will. Die Zusammenarbeit zwischen Lektor und Autor ist im Gegenteil ein Vertrauensverhältnis. Daß es sich beim gemeinsam zu publizierenden Werk also um ein Plagiat handelt – davon geht ein Lektor zu Recht nicht aus.
Allerdings, und dies unterstützt meine Vermutung, daß es bei Ullstein, wie bei allen Großverlagen, kein Lektorat mehr gibt, das diesen Namen noch verdient, hätte ein guter Lektor nach Inspirationsquellen fragen können, vielelicht sogar sollen. Denn daß das Werk unmöglich allein ihrer eigenen Phantasie, geschweige denn eigenem Erleben entsprang, dürfte offensichtlich gewesen sein.
Ein Vorwurf, den man Ullstein, die unter erheblichem Erfolgsdruck stehen, da sie die Rechte an Axolotl Roadkill ja ersteigert hatten (einem Interview mit Frau Ostermeyer zu entnehmen: http://ow.ly/17hgn ), machen kann, ist also durchaus, daß ihnen dieser Punkt nicht wichtig genug erschien. Man wollte wohl unbedingt eine eigene Charlotte Roche. Mit dieser Einschränkung, aber nur mit dieser, würde ich den Vorwurf ans Lektorat gelten lassen.
#80 – Tja, man muss wohl auch sehen...
dass ein Lektor heute (und eigentlich schon länger) auch Marketing-mäßig zu denken hat, das Buch als Projekt in einem Marktumfeld unter durch Medien formatierten Aufmerksamkeit zu begreifen hat – die reine Textoptimierung ist da mittlerweile vielleicht zu wenig?
Und Verlage sehen ja, wie es auch im Umfeld von Kultur eben heute so geht, ob im Theater oder bei bildender Kunst oder im Fernsehen: Alles personalisiert, da ist ein gutes story-telling um den Autor schon die halbe Miete? Wer war denn der letzte Autor bei »Harald Schmidt«?
Und die erzielbaren Buchumsätze a la Charlotte Roche, dazu die Publicity, das Agendasetting und die Lizenzgeschäfte und der ganze long-tail... das muss man realistischerweise als ökonomische Verlockung ansehen, der man mit einer »nur« qualitätsorientierten Politik nicht begegnen kann. Insofern ist das schöne Feuilleton auch blauäugig bzw. doppel-züngig.
Und dann ändern sich auch noch die Aufmerksamkeitsverteilungen insgesamt rapide, sowieso transformieren sich die Medien selber, alles ist im Umbruch – man muss im Gespräch sein, man muss seine Möglichkeiten nutzen, die Hysterie der einen zieht die anderen mit – ist vielleicht auch ein bisschen zuviel verlangt, sich da wegen ein paar verschnarchten Bedenken zu entziehen... ?
#80 – @Gachmuret
Ich stimme Ihnen zu. Natürlich kann ein Verlag bzw. der Lektor nicht davon ausgehen, dass Passagen aus dem Buch geklaut sind. Und man kann nicht alle Romane und/oder Texte kennen. Einverstanden. Man kann auch nicht alles »ergooglen«; an anderer Stelle wurde mir der Vorwurf gemacht, ich forderte das. All das ist absurd.
Aber wenn ich im Supermarkt drei Joghurts in den Händen trage und die Kasse von mir sechs Euro haben will, dann muss ich skeptisch werden. Dahin geht meine Kritik.
Und meine Kritik geht weiter: Das Feuilleton stilisiert dieses Buch aus der Not heraus zum intertextuellen Kunstwerk hoch. Das ist ungefähr so, als wollte man einen Taschendieb als Robin Hood feiern.
# 81- @en-passant
Früher war das wohl mal so: Es gab ein gutes Buch und dies wurde/musste vermittelt werden. Dann verdiente man damit Geld. Heute fragt man sich, womit man Geld verdient, und schreibt danach einfach irgendwas.
[EDIT: 2010-02-15 10:29]
#79 – @Gregor/en-passant
Ich bin mir nicht sicher ob ich Ihre Anmerkung zur Transzendenz weiter oben, richtig verstanden habe.
Zur biologischen Sache: Klar, unsere Fähigkeiten werden sich auf irgendeine Weise in der Struktur und Funktion unserer Gehirne finden lassen (und dadurch auch wieder in den Genen). Das weitere ist interessant, aber sehr spekulativ (weil sich über unsere Gehirne, diese riesige Ansammlung an Nervenzellen, sehr wenig eindeutig und isoliert, also ohne viele »wenns« und »abers«, sagen lässt). Aber das spricht noch nicht dagegen es zu versuchen, und ja: Wenn Kunst Erleben und Allgemeinheit zu verbinden weiß, dann ist so etwas wie (Selbst)transzendenz erforderlich. Würden Sie es auch Empathie nennen? Dann lässt es sich biologisch vielleicht etwas besser festmachen.
In der Literatur kann man den Ton vielleicht auf unterschiedliche Weisen treffen, das macht die (eine) Schwierigkeit aus.
Versuch...
Wenn jemand den Ton nicht trifft, kann er nicht singen.
Ja, aber man braucht es auch nicht mehr können! Die uns immer noch beispielgebende televisionäre Welt ist voll von Leuten, die etwas vorführen, was sie nicht können... es vorzuspielen aber versuchen und dann, „demokratischer“ gewendet, eben auch so lala was können und dafür dann auch oft belohnt werden, wenn es gefällt. Man traut sich – und tritt in jedem Fall Erscheinung. Das wollen dann andere auch... und so werden wir alle zu sozialen Performern. Und diese Basis wird also immer breiter.
(Ein weiteres Indiz dafür wäre vielleicht, dass die alte jahrelange Lehre im Aussterben begriffen ist: esmuss schneller gehen... und dann muss es auch nicht mehr so vertieft gelehrt werden.)
Nicht erst seit Warhol hat die Kunst immer versucht, ihre Standards zu zerstören, um sich davon zu »befreien« resp. sich zu »erweitern«. So kann eben auch jeder mit gutem Ideen-Marketing „sich verwirklichen“, also auf einem Aufmerksamkeitsmarkt erscheinen und etwas zu schaffen versuchen, das der Kunst zumindest ein Ähnliches ist: Und wieder zeigt der Markt, man wird dafür belohnt!
(Und die – nicht nur politisch erzeugten – stark egalitären Tendenzen fördern das ebenfalls. Und das Genie wird ja in der Kunst auch gar nicht gebraucht, sondern der Markt braucht das Genie. [Peter Weibel] Usw.)
Empathie dann vielleicht auch in dem Sinne, wieman heutzutage ein Verkäufer seiner Idee zu sein: Ein Gesicht, eine Story, ein Skandächen: Man muss auch schon erahnen können, wie der Hase läuft.
***
Zur „Transzendenz“: Das ist ja schon im passiven Modus eine einigermaßen komplexe Leistung.
Nun hat aber nicht jeder einen Sinn für solche schwieriger handhabbar zu machende Dinge wie Kunst und Ästhetik: Sie sind nicht für jeden. Und da sie evolutionär anscheinend wenig Sinn haben – und m. M. nach nur entsprechend sehr wackliger Behauptungen so was wie »Selektionsvorteile« bieten -, ist sie vielleicht überflüssig? (Oder eben Spiel des »homo ludens.«)
Andererseits gibt es sehr wohl immer wieder ungebildete (unverbildete) Menschen, die sich berufen fühlen, und dann in ebenfalls komplexen Situationen außergewöhnliche Dinge leisten. Hier setzt meine Spekulation ein: Dass es neben den spezifischen sozialen Bedingungen womöglich diese „biologische“, entwickelte, in einem besonderen zerebralen Vermögen latent vorhandenen Befähigungen gibt.
(Damit ist man natürlich auch schnell wieder bei solchen Dingen wie „Genie & Wahnsinn“ und ein Messias heute, tauchte er dann auf, würde wahrscheinlich sofort aussortiert. Aber dieser höhere „Ruf“, diese Berufenheiten Einzelner taucht also immer wieder auf. Das ist einerseits eine Konstante, und andererseits „eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit“ [Luhmann]).
Da sich aber heute eh das Triviale überall an die Stelle des Sakralen setzen versucht (ob in der Kunst oder im Kaufhaus, ob in den Präsentationen von so was Banalem wie einem neuen Automodell oder in den messianischen Tendenzen einer neo-apokalyptischen Politik der Heilsbringerschaften (Obam,a wie Bush wie Bin Laden, noch so ein Würstchen wie Westerwelle „inspiriert“ ja seine Anhängerschafft, er erlöst sie: „endlich spricht es mal jemand aus...“)... all das mag als Variable eine Rolle spielen. (Das, was die Neurobiologie an Ergebnissen hervorbringt noch nicht mal eingerechnet. Aber er scheint also so, dass die Hirnregionen für „Glauben“ denen für Ästhetik“ sehr nahe liegen oder teils identisch sind. Was immer das hieße.)
Wie gesagt, sehr spekulativ. Man müsste das mal richtig ausarbeiten... die Quellenlage wird immer breiter, scheint mir. Und gewisse Typen (heute etwa Jonathan Meese) bringen ihre neuerdings auszuleben möglichen Wahn-Dinge in der Kunst unter und befördern so womöglich was anderes: Metaphysik-Ersatz per Ästhetik. Und ihr Ruf wird von einigen gehört. (Aber eben nicht von jedem.) Und in den Schwundstufen des Marktes kommt je und je was davon an.
@en-passant
Wenn jemand den Ton nicht trifft, kann er nicht singen. Ja, aber man braucht es auch nicht mehr können!
Aber genau darum geht es ja! Wer sagt denn, dass er/sie es nicht mehr können muss? In der klassischen Musik kann nach wie vor niemand Opernsänger werden, der den Ton nicht trifft. Oder Virtuose, der sich »verspielt«. Hier gilt es noch – in der »Pop«-Musik nicht mehr bzw. nicht mehr zwingend. Bliebe also nur das Refugium des klassischen Interpretentums? Selbst modernste Operninszenierungen verzichten ja nicht auf den getroffenen Ton. (Im Sprechtheater sieht das ja schon wieder ganz anders aus.)
Wo ist der Bogen zur Literatur? Das eine ist re-produzierend, das andere produzierend. Schon klar. Aber wohin bringt uns die Befreiung aus der scheinbaren platonischen Höhle? Manche können doch diese Helligkeit gar nicht mehr ertragen.
Skandälchen: Selbst wenn man ahnt, wie der Hase läuft – warum lassen sie denn den Hasen laufen? Warum schalten Kritiker entscheidende Segmente ihres Gehirns ab und an einfach aus? Zu billig wäre die Aussage, sie profitierten selber davon. Warum werfen sie den Lesern ein Buch wie »Axolotl Roadkill« vor die Füsse und bannen jeden, der es nicht gut findet, als Spießer? Die Roche hatten sie noch mit Ekel betrachtet. Wie einfach sind solche Mechanismen auszulösen? Man merkt ja nicht direkt, dass jemand wie Carl Hegemann (der Vater) mit Schlingensief gut steht. Wer trifft die Entscheidung: Hype oder Verriss? Nicht die, die wir sehen, scheint mir.
Empathie ist etwas anderes. In keinem Fall ist damit die Fähigkeit gemeint, den Markt zu antizipieren (diesen Verdacht hege ich bei der zeitgenössischen Kunst allerdings manchmal).
***
Ist es denn wirklich so, dass Kunst und Ästhetik keinen »Selektionsvorteil« bringen? Was, wenn das gängige Evolutionstheorem deswegen falsch wäre? Oder dass genau das den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet und die Menschheit nicht an (oder trotz) der Kultur zugrunde geht, sondern weil die Kulturlosen sie usurpieren und/oder ruhigstellen? Oder will der Ästhetiker das nur glauben, weil es ihm als Existenzberechtigung gut gefällt? (Die Frage ist ja dann wieder, wer ist kulturlos und wer nicht.)
Andererseits: Künstler, Intellektuelle, Philosophen – diese Leute an die Macht? Das ist ja wirklich keine Perspektive.
Natürlich ist mir ein Holzhacker im Wald überlegen, wenn ich mit ihm dort alleine bin. Da helfen mir meine belletristischen Lektüreerfahrungen rein gar nicht weiter. Aber das unterstreicht, dass der Mensch ein kollektives Tier ist. Und das muss man mit dem Individualismus heutiger Prägung erst einmal wieder auf die Reihe bekommen.
Als letzte Flucht dann vielleicht doch wieder der naive Glaube? Sie schreiben es ja: Die Sehnsucht ist da – die Sehnsucht nach einer Transzendenz. Ich glaube auch, dass die Leute im wahrsten Sinne des Wortes die Demokratie irgendwann satt haben und sich an dem »guten Diktator« sehnen. Sie ahnen im Moment noch, dass es ihn nicht gibt. Wenn wir Pech haben, ändert sich das irgendwann.
Transzendenz...
Diese zu restaurieren oder zu dekorieren.. ist das die Postmoderne? – Satres Kritik zu der Fremde habe ich sehr genossen (darin fand sich auch eine tolle Beschreibung Kafkas, glaube ich, u.a. als den Dichter der »vergeblichen Transzendenz«) – wenn ich das etwas verkürzt, subjektiv wiedergebe, dann zeigte er wie Camus Sprache und Beschreibungen schon die Konstruktion dieses entleerten, absurden Subjekts spiegeln. Also: wir malen diesen grauslich leeren Himmel ohne Transzendenz, um uns ein bisschen gruseln zu können.. – und, das ist jetzt meine Anfügung, weil wir das nicht ertragen können, kommen die Postmodernen und hängen uns wieder nen bisschen Christbaumkitsch dran? (Aber da muss ich die alten Diskussionen mal durchwühlen und meine Hausaufgaben zur »Postmoderne« endlich mal machen..)
Hypes finde ich grässlich. Bei diesem empfinde ich mal wieder beinahe physischen Ekel. Eben wieder einen dummen Kommentar in der Zeit gelesen (Ijoma Mangold, scheinbar noch nicht online). Leichte Würganfälle löste allerdings schon dieser Artikel aus.
Feuilleton meets Boulevard? In Medien wie der Bild mag es ja angehen den Subtext gleich mit aufzuschreiben – aber diese Mischung von Autosuggestion oder selbsterfüllenden Prophezeiungen, Selbstreferentialität und Aufgeilen an der eigenen Mediengeilheit: Unser Thema ist dieses Mädchen, weil dieses Mädchen ein Thema sein wird?! (#!§$%’!!=wüste Tiraden für die mir vor Wut die Worte fehlen)
— * –
Da wir Menschen uns unsere eigene künstliche Umwelt geschaffen haben, können wir sehr vorzüglich von Symbolmanipulation oder Sprachspielbeherrschung leben, würde ich sagen.
@phorkyas – Transzendenz
Ich weiss nicht, ob das, was ich (vielleicht ein bisschen holprig) »Transzendenz« nenne, postmdoern ist oder überwunden ist. Keine Ahnung. Wirklich.
Ich meine Transzendenz nun nicht als Jenseits-Verheissung oder spiritueller Reinigung. Ich glaube aber, dass eine Erzählung, ein Roman, eine Novelle, ein Theaterstück mehr sein muss als nur irgendetwas »abzubilden«. Ich glaube, dass Literatur einen doppelten Boden haben muss und wenn möglich nicht aus Pappmaché. Vielen zeitgenössischen Werken kommt dies zusehens abhanden. Man merkt es ganz schnell, wenn es sich wie eine journalistische Reportage liest – und sei es (wie bei der Hegemann) um eine Reportage ins eigene Ich (das reicht als Durchdringung eines literarischen Textes nicht). Der Christbaumkitsch ist damit genau nicht gemeint. Der soll nämlich in Wirklichkeit verdecken, dass der Baum krumm und schief ist und schon nadelt.
Vielleicht müsste ich dazu irgendwann einmal etwas Genaueres schreiben.
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Mangolds Kommentar ist schon arg frech. Aber ist es nicht auch irgendwie befreiend, dass man diese Figur danach nicht mehr besonders ernst nehmen kann?
Transzendenz
Ich hätte gemutmaßt, dass die Postmoderne an Fragen wie dieser schlicht kein Interesse hat, so wie an der Frage nach Wahrheit (ich hörte in irgendeinem Vortrag einmal, dass es sich angeblich so verhält, und die postmoderne »Beliebigkeit« daher rührt).
Ich weiß nicht ob ich den Einwurf richtig verstehe, »das Gruslige« war m.E. eher nicht Camus »Intention« (der »Kampf« gegen das Absurde ein ernster).
Hat Camus nicht Satre auf Grund der Rezension die Freundschaft aufgekündigt, oder irre ich mich jetzt?
zu lose angebunden..
Die Besprechung ist doch einiges komplexer.. und Satre würdigt dieses Werk durchaus (auch wenn da mal der Seitenhieb kommt Camus zitiere fortwährend Jaspers, Heidegger und Kierkegaard ohne sie verstanden zu haben). – »[..] Camus’ Anschauungen sind ganz und gar irdisch gebunden. Kafka dagegen ist der Romancier derunmöglichen Transzendenz: für ihn ist das Universum voller Zeichen, die wir nicht verstehen; bei ihm gibt es eine Kehrseite der Dinge. Für Camus dagegen ist das Drama des Menschen das Fehlen der Transzendenz: [..] Es geht ihm also nicht darum Wortgruppierungen zu finden, die uns eine außermenschliche und nicht zu entzifferne Ordnung ahnen lassen: denn das Außermenschliche ist ganz einfach die Unordnung, das Mechanische.«
Camus’ Roman schockiert, weil er ein reines, losgelöstes Bewusstsein konstruiert ohne Transzendenz (oder: der doppelte Boden besteht darin, dass die Romanfiguren, keinen doppelten Boden mehr kennen..?) – darüber könnte ich diskutieren (hätte ich meine Gedanken besser sortiert),.. auch diese Ekelromane sind ja auf Schock ausgerichtitet (ich werf jetzt auch mal die Hegemann in diese Schublade), aber auch die meisten Witze dieser Art, finde ich nur noch langweilig. Was bleibt denn, wenn man die »Scheiße« entfernt? Bleibt dann noch ein Thema (die »Nullerjahre« höhö)? – Ist das nicht auch nur wieder verweigerter Sinn, Transzendenz, doppelter Boden? Warum muss man da wieder soviel Drogen, Kotze, Exkremente drüberschaufeln?
PS.
Der Bruch zwischen Satre und Camus hat meiner Erinnerung mehr damit zu tun, dass Camus nichts mehr mit den Kommunisten zu tun haben wollte (aber irgendwer sollte wohl wieder in Wikipedia nachschlagen..)
Vorschlag
Ich habe gerade nicht Zeit, aber vielleicht abends. Ich kenne von Camus nur den »Mythos des Sisyphos« und »Die Pest«, »Den Fremden« wollte ich immer schon einmal lesen (und habe jetzt die Gelegenheit genutzt und ihn gleich bestellt). Es gibt im Mythos auch ein Kapitel über Kafka (und ich glaube für Camus ist er ein Beispiel für eine absurde Existenz), und man könnte Satres und Camus’ Sicht vergleichen.
Sartre/Camus und noch ein Versuch
Es gibt vermutlich ganze Wälder, die über das Verhältnis Sartre/Camus geschrieben wurden. Hauptdiskrepanzen zwischen den beiden waren ästhetische und politische Differenzen. Sartre trat vehement für die »engagierte Literatur« ein, also für das Politische – mit eindeutigem Fokus auf den Sozialismus bzw. Kommunismus. Camus ging hier nicht mit; seine Sicht war sozusagen ent-politisiert (womit nicht gesagt ist, dass es er ein unpolitischer Mensch war).
Camus treibt den existenzialistischen Gedanken sozusagen auf die Spitze: Er negiert nicht nur religiöse sondern auch irdische Glücksverheissungen (also z. B. politische Ideologien) – beides sind für ihn Ursachen für Not, Leid und Elend. Der Mensch hat das Absurde seiner Existenz ohne wenn und aber anzunehmen. Der intellektuelle Zeitgeist der 50er bis fast in die 70er Jahre war eher auf der Seite Sartres (trotz des Nobelpreises für Camus) – das hat sich m. E. in den letzten Jahrzehnten verändert.
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Das ist natürlich eine sehr grobe und verkürzende Sicht. Meines Erachtens bringen die Vergleiche zum Thema Transzendenz wie ich das hier verstehe wenig. Ich unternehme noch einmal einen Versuch:
Literatur wird – ob das postmodern ist, weiss ich nicht – derzeit fast nur noch in Verbindung mit der biografischen Erfahrung eines Autors gesehen. Daher ist man so unglaublich wild auf biografische Details und dieses Unbehagen anonymen Autoren gegenüber (z. B. Bloggern). Mit dieser wie auch immer durchgestylten Biografie geht man nun daran, die Authentizität der vorliegenden Prosa (oder auch Lyrik) zu bearbeiten und abzuschätzen. Je grösser die Übereinstimmungen zwischen dem, was man erwartet hat und dem, was der Autor liefert sind, um so besser wird das Buch angesehen werden.
Für mich ist aber Literatur, die derart beschreiben ddaherkommt, uninteressant. Natürlich spielen immer biografische Erfahrungen MIT in Prosa hinein, aber ein wie auch immer gearteter »Naturalismus« ist keine ergreifende Literatur. Vielleicht ist es eine gute Reportage oder ein schön formuliertes journalistisches Stück – aber mehr auch nicht.
Literatur ist also mehr als blosse Abbildung eines Zustandes. Literatur hat Erfahrung zu durchdringen. Sie muss sich jenseits eines bloß-naturalistischen »Abbildes« spiegeln bzw. dies ermöglichen.
Camus’ Literatur ist zwar formal anti-transzendental – aber dies nur aus dem Text heraus, d. h. es gibt in der Prosa weder Trost noch eine andere Form von Hoffnung. Aber der Leser wird zurückgeworfen auf seine eigene Existenz – die indirekt formulierten Fragen der Figuren pflanzen sich in den Leser. Es geht nicht vordergründig darum, dass jemand einen Menschen am Strand tötet. Es geht darum, warum er das tut. Und dies wird im Buch NICHT ausformuliert oder es gibt keine Krücke, an die man sich zur Not festhalten kann. Der Prozess der Reflexion findet beim Leser, nein: im Leser, statt.
DAS ist von mir aus modern oder auch post-modern (mir verschwimmen diese Etiketten immer mehr). Zwar liegt darin auch wieder ein Dilemma (die vollkommen beliebige Ausdeutung), aber es ist zumindest etwas zum Deuten da, was über das normale Schockerlebnis einer Fäkalsprache hinaus geht.
Nach der Lektüre des Hegemann-Buches ist mit klar, warum dieses Buch in der Kritik so erfolgreich ist. Es handelt sich um ein überaus kühl konzipiertes Werk, glatt konstruiert mit dem richtigen Futter im Trog. Aber das wäre dann wieder ein anderes Thema.
Anmerkungen/Ergänzungen
Camus tut das m.E. aus folgenden Überlegungen: a) Er findet keine Logik die das Leben verneint, die in den Selbstmord führt, b) erkennt er das Bedürfnis nach Einheit, nach dem Absolutem, nach Rückführung auf Prinzipien, ist c) im selben Moment gewiss, dass das nicht vollständig möglich ist, und d) will nichts, was über seine Gewissheiten hinausgeht, daher nicht springen, und sich von der absurden Spannung (er)lösen. Ganz im Gegenteil, er lehnt sich (zwecklos) dagegen auf, und leitet aus der Absurdität u.a. die Freiheit ab. Und dann sind wir mitten im Politischen.
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Vermutung: »Die Postmoderne« wird die Transzendierung der Erfahrung nicht mehr für möglich (realistisch, machbar) halten. Die Eindeutigkeit ist am Ende, und dort wo alles vielgesichtig wird, gibt es eben keine Durchdringung mehr (In der Zeit wurde einmal ein Buch besprochen, und später hielt ich es auch bei einem Freund in Händen, das Paradebeispiel für ein postmodernes Werk, da konnte man richtig erleben wie Postmoderne funktioniert).
transzendieren heißt ja: überschreiten, überführen...
Camus macht das sehr wohl, und zwar in dem Sinne wie G.K. das Transzendieren zur Literatur eingeführt hat (ich hatte nur versucht, das zu erweitern, weil diese Diskussionen oft etwas eng geführt werden). Er macht es desweiteren, weil er versucht, seine eigenen Bedingungen als die jedes anderen zu untersuchen und er wird darin außerliterarisch um so literarischer. Die Transzendenz kann sich an einem dreckigen Strand in Nordafrika ereignen. Oder in unbedingter Lebensbejahung, die er (zuerst einmal nur für sich) als letztlich stärker als das Absurde der »transzendentalen Obdachlosigkeit« postuliert. Das Wichtigere aber war, dass darin – oder erst darin wieder – Freiheit zu gewinnen war. (Und zwar, wenn man will in einem »überschreitenden« Sinne.)
(Auf die Sezierung der mutmaßlichen Binnenüberlegungen Camus’ von Metepsilonema gehe ich jetzt nicht ein.)
Camus’ Hinauswurf (Umstände und vor allem die Gründe dazu) aus der Sartre-Clique seinerzeit erscheinen aus heutiger Sicht eigentlich nur lächerlich. Dabei hatte Sartre in seinem ersten Roman selber das Transzendenzlose transzendiert -, und das sowohl in Literatur wie auch »Existenz«, die auf einmal vielen lesbar werden konnte und an der Zeit war und damit moderner als alles, was er dann zu dem – historisch befangen bleiben müssenden – Kampf um die richtige Welt schrieb.
In Bezug auf das Vermögen zur Überschreitung von Literatur hieße das, dass diese empathische Kraft sich zu verlieren scheint zugunsten eines zunehmend eindimensional operierenden Marktes (oder, von mir aus, eines »Naturalismus«).
Was ich dann weiter vorne in der Diskussion mit dem Verlust überhaupt einer Transzendenz – jetzt also also Jenseitigkeit – in Verbindung zu bringen versucht habe. Die Realien des Lebens werden zunehmend eindimensional (Ökonomiedruck, Latenz zur Katastrophe, 2. Hand Leben aus Medien) und zugleich wird alles immer komplexer und ist in transzendierenden Entwürfen, die auch ästhetisch die Höhe hielten, immer schwerer zu fassen.
Da kommt dann eben auch die Literatur aus dem Supermarkt, abverkauf-verpackt und tiefgekühlt und komponiert nach Mindesthaltbarkeit versprechenden Rezepten.
Und was die Postmoderne angeht: Oft allzu nietzscheanisch, weist sie alle möglichen Konstanten ab (»Wahrheit«, »Gott« usw.), und muss sie dann doch unentwegt umkreisen – oder gar begrifflich re-installieren – weil sie ohne diese Dinge gar nicht auskommen kann respektive diskursmäßig unter zu starker Anämie litte. Daran ist sie ja dann eigentlich auch »verschieden«: Am neuen Gott nämlich der bis ins Unendliche immer weiter spaltbaren Differenz. Und hat sie mit diesen Atomen dann nicht etwas »transzendiert«? Die Widersprüche bleiben unauflösbar.
Themen
(i) Biographische Übereinstimmung mit dem Werk ist kein Authentizitätskriterium für Literatur, das halte ich ebenfalls für völlig indiskutabel (das wurde hier ja auch mal bei Handke diskutiert). – Es ist aber leider vielleicht ein leichter handhabbares Kriterium; so wie Statistiken (selbst Professoren oder Wissenschaftler werden ja mittlerweile nach ihrer Zitationszahl beurteilt – so braucht man sich nicht mehr mit Inhalten beschäftigen)
(ii) Markförmigkeit der Literatur -
Ist er aber hinreichend dieser »Naturalismus«, um einen Hype zu triggern? Naja, kennte man die Rezeptur, dann könnte man ja Bestseller am Band produzieren. – Manchmal reicht ja auch Nazikitsch (hier wäre es vielleicht interessant zu vergleichen, warum bei Thor Kunkel der Skandal so negativ für den Autor verlief, während bei Littell wohl primär die Auflage gesteigert wurde) – Ist es wirklich so schlimm wie beispielsweise bei Komikern, die immer ihren einen Typ representieren müssen (der sich dann auch vornehmlich an Äußerlichkeiten orientiert)? Als Physiker kann man wohl nur mit Ähnlichem wie Ranga Yogeshwar oder Vince Ebert Auflage erzielen. – Leicht verdaulich muss es immer sein. Mir ist das unverständlich: Wenn ich mir doch schon einmal die Mühe mache etwas zu lesen, warum dann nur diesen ballaststoffarmen Fast-Food-Schrott? Da habe ich doch nichts im Magen.
(iii) In der Abkehr von (ii), heißt es wohl sich häuslich einzurichten im Kulturpessimismus (langsam komme ich mir schon schrecklich alt vor..)? Es gibt ja immer noch gute Bücher zu hauf, welche die für einen als Leser noch über sich selbst hinausweisen.
@Phorkyas
I. Warum ist das Ihrer Meinung nach indiskutabel? Natürlich ist es sehr leicht, aufgrund autobiografischer Kenntnisse die Prosa eines Autors zu »durchforschen«, sie interprationsmässig hinzubiegen. Aber bringt uns das Literatur nahe? Nur nach Übereinstimmungen zu suchen wie in einem Suchspiel nach »Original und Fälschung« – hier nach »Leben und FIktion«?
II. Einen Hype zu »Triggern« – das weiss man doch, wie es geht. Aber es funktioniert nicht immer. Es kommen viele Faktoren dazu: Wie ist der Autor im Betrieb bekannt? Untersucht man die Hypes der deutschsprachigen Literatur in den letzten Jahren so erkennt man, dass es es sich häufig um Kinder bekannter Medienmenschen und/oder mit dem betrieb verbandelter Figuren handelt. Das ist nicht als Verschwörungstheorie gemeint: Lebert, Kuttner, Hegemann. Bei Alexa Hennig von Lange und Roche trifft das nicht zu – obwohl mindestens Roche schon früh im Betrieb angesiedelt ist. Das gibt es auch im Ausland, siehe Littell (der Vater schreibt Thriller).
Wer die Eintrittskarte so billig bekommt, braucht natürlich trotzdem ein Thema; ein Skandalon. Nazis kommen im Ausland immer gut. In Deutschland fasziniert die Kritik immer das, was sie nicht kennt – also bspw. eine Subkultur- bzw. Drogenszene. Nie geht es ohne Sex. Usw.
III. Trotz allem glaube ich nicht, dass es Zeit für übermässigen Kulturpessimismus ist. Die Welt war letztlich nie anders; gerecht schon gar nicht. Wäre sie es, würde statt Axolotl Roadkill dieses Buch gelesen, diskutiert, gelobt. Das würde sich lohnen.
@en-passant – Eindimensionalität
Ja, genau darum geht es mir: Die Literatur bzw. die Kritik mutiert in einer Anpassungsgestik an die EIndimensionalität des Lebens, des Alltags, unserer Welt (unserer!) in dem sie sich dieser EIndimensionalität nicht nur bedient, sondern sie kopiert bzw. genau das lobt. Da reicht dann die blosse Pose einer literarischen Figur, die Simulation von Auflehnung wird zur Auflehnung hochstilisiert. (DAS ist für mich der Hype hinter dem Hype.)
Mir ist das Vexierspiel mit der indirekten Rückführung, der »bis ins Unendliche immer weiter spaltbaren Differenz« vermutlich schlichtweg zu wenig.
Einerseits. Andererseits: Was bleibt den Autoren eigentlich anderes übrig?
Was bleibt den Autoren eigentlich anderes übrig?
Aber wäre das nicht der Punkt (der Einsicht auch, der Notwendigkeit), irgendwas zu »überschreiten«? (Und das als zu vermitteln zu verlangen, sei es durch eine Wege dahin formulierende Kritik?)
Nochmal der lakonische Satz von Alexander Kluge, der dann auch als Programm zu lesen ist: »... die Kunstanstrengung erhöhen«.
@en-passant
Natürlich. Meine Frage war als Provokation gedacht.
Die Überschreiter sind gesucht. Die »Erhöher«. (Und Sie wissen sicherlich, welche beiden Namen der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur mir da sofort einfallen, die dies seit Jahren, Jahrzehnten unablässig tun bzw. versuchen...)
Camus über Kafka – »Die Hoffnung und das Absurde im Werk von Franz Kafka«
Ein paar Brocken aus dem Kafka-Kapitel im Mythos (ich schrieb oben im Hinblick auf Kafka von absurder Existenz – es muss natürlich absurdes Werk heißen; und ganz richtig war das nicht, da Camus Kafkas Werk nicht als absurd ansieht, es aber wohl solche Züge trägt).
Er sieht bei Kafka eine grundlegende Zweideutigkeit, einen ständigen Wechsel zwischen Natürlichem und Außergewöhnlichem, zwischen Tragik und Alltäglichem, zwischen Absurdem und Logischem.
Kafka setzt das Tragische ins Alltägliche, drückt das Absurde durch das Logische aus, deshalb ist Josef K. Durchschnittseuropäer. Im Prozess erkennt er Sisyphos (Auflehnung, Verzweiflung, Freiheit).
»Der Prozess« ist eine Beschreibung, »das Schloss« eine (erfolglose) Therapie (Sprung, Hoffnung). In Josef Ks. Bestrebungen in das Schloss zu kommen sieht Camus einen Hoffnungsschrei. Die Sinnlosigkeit seiner Versuche, überzeugen ihn von der Existenz Gottes (das Absurde führt ihn zu Gott).
»Das Schloss« und »der Prozess« sind zwei Pole die Kafka anziehen. Sein Werk ist religiös inspiriert, und es stellt das Problem des Absurden in seiner Gesamtheit dar.
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Ich bin gerade zufällig auf ein Zitat von Delacroix gestoßen (in einem Essay von Camus). Ich dachte es passt zu unserer Diskussion weiter oben (und auch an anderer Stelle): Damit der Realismus nicht ein sinnloses Wort ist, müssten alle Menschen den gleichen Geist und die gleiche Art, die Dinge anzuschauen, haben.
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Camus im Mythos: Es gibt eine gewisse Beziehung zwischen der globalen Erfahrung eines Künstlers und dem Werk, das diese widerspiegelt, zwischen »Wilhelm Meister« und der Reife Goethes. Diese Beziehung ist schlecht, wenn das Werk sich anmaßt, alle Erfahrung in das Konfektpapier erklärender Literatur einzupacken. Diese Beziehung ist gut, wenn das Werk nur ein Ausschnitt aus der Erfahrung ist, nur eine Facette des Diamanten, in der sich der ganze innere Glanz uneingeschränkt sammelt
Um einen anderen Punkt aufzugreifen...
»Unsere Kritiker« können ja auch anders, Radisch z.B. schreibt Kritiken wie diese, die Gregor unlängst aufgedröselt hat, und dann wiederum solche, die eigentlich so schlecht gar nicht sind (auch wenn man auf wiederkehrende Muster des Schlechtredens stößt). Wenn man, was mir plausibel erscheint, ein wenig Selbstreflexion und Berufsethos voraussetzt, dann müsste man doch sehen, was man, neben anderem, auch an »Mist« produziert. Wird da bewusst wieder besseren Wissens gehandelt, vertritt man anderwärtige Interessen, oder sind die Zwänge des Betriebs tatsächlich schon so groß?
[EDIT: 2010-02-13 19:09]
Radisch ist speziell
Sie ist – darin übrigens Reich-Ranicki »verwandt« – immer meinungsstark. Das finde ich zeichnet sie aus. Ihre Littell-Kritik fan dich grandios und in großen Teilen richtig (das fand der »Umblätterer« übrigens auch).
Sie polarisiert und tritt dafür furios ein. Davor habe ich Respekt. Oft liegt sie »schief«, manchmal verrutschen ihr die Koordinaten (etwa Herta Müller vorzuhalten, mit »Atemschaukel« Literatur »aus zweiter Hand« zu schreiben). Man konnte das in Klagenfurt sehen, als sie Jurorin war. Man kann ihr vieles nachsagen, aber das ihre Kritiken langweilig sind – das ist selten.
[EDIT: 2010-02-13 19:48]