Prolog
Apologie an entsetzte Wissenschaftspuristen
Ich habe in meiner Jugend lange genug (natur)wissenschaftlich gearbeitet. Jetzt geniesse ich die Narrenfreiheit des Alters und nehme mir heraus, mich nur noch mit Dingen zu befassen, die mich wirklich interessieren (mehr noch: die ich liebe), und dies vor allem auf eine Weise, die mir entspricht. Ich mag nicht einen einzigen weiteren Tag meines Restlebens in Ernsthaft verbringen. Einerseits habe ich den Dogmen der Wissenschaft („objektiv, reproduzierbar, wertfrei“) längst abgeschworen, denn sie sind pure Lüge und Selbsttäuschung, andererseits wäre es ohnehin vermessen, eine Arbeit auf einem Gebiet, in dem ich nicht qualifiziert bin, als „wissenschaftlich“ zu bezeichnen. Ich stehe, ganz in Montaignes Tradition, zu radikaler Subjektivität, auch wenn ich nicht den Schneid vorweisen kann, der einem raffinierten Essayisten anstehen würde. Ich verberge persönliche Vorlieben und Abneigungen nicht, ergreife Partei, beute die eigene Intuition, Erfahrung und das Hörensagen genauso aus wie die Quellentexte, falle mir munter selbst ins Wort, schweife ab, wo etwas zu spannend ist, um es zu unterschlagen, obwohl es scheinbar nicht zum Kontext gehört, und lasse auch mal Fünfe grade sein, wenn sich die Referenzen widersprechen und die Recherche vom Hundertsten ins Tausendste führt. Dabei versuche ich aber, ganz wahrhaftig und ein bisschen seriös zu bleiben – wo keine Version schöner ist als die andere, rate ich sicher nicht ins Blaue hinaus, sondern praktiziere den Übermut zur Lücke. Für all die eleganten Unschärfen übernehme ich die volle Verantwortung. Ich wage zu behaupten, dass diese Vorgehensweise durchaus im Sinne der andinen Dichter und Sänger und überhaupt kompatibel mit dem Geist des runa simi ist.
Eins: quechua, da wo der Mais wächst, und runa simi, die Sprache der Menschen.
Das Wort quechua bezeichnet ursprünglich nicht die Sprache der Inka, sondern eine andine Höhenstufe, die von ungefähr 2300 bis 3500 m ü. M. reicht, sowie die dazugehörige Klimazone, die sich über landwirtschaftliche Grenzprodukte definiert. Die quechua ist durch ihr gemässigtes Klima und die ausreichenden Niederschläge die für die Landwirtschaft am Vielseitigsten nutzbare Klimazone der Anden. Erst die Spanier wandten den Begriff quechua auf die Sprache und ihre Sprecher an, und die moderne Ethnologie fasst mehrere andine Ethnien unter diesem Begriff zusammen. Die Inka selbst nannten ihre Sprache runa simi, „Sprache der Menschen“. Das allein ist zwar nicht ungewöhnlich; aber es ist dennoch nicht von der Hand zu weisen, dass sich darin auch der Dünkel des Inka-Adels widerspiegelt. Nicht nur wurden die Sprachen der integrierten oder unterworfenen Völker als minderwertig betrachtet (die Sprachen der Vasallenvölker wurden kollektiv wawa simi genannt, „Kindersprache“); auch innerhalb der Inka-Sprache gab es in Abgrenzung zu den zahlreichen Dialekten eine Hochsprache, die den höhergestellten Familien und Beamten vorbehalten war. Man nimmt an, dass das heute in der Region Ayacucho (quechua ayacuchano) gesprochene runa simi dieser Hochsprache am nächsten kommt. Zwar wird die Bezeichnung runa simi aktuell wieder von radikalen nationalistischen Bewegungen instrumentalisiert, aber ihrer Präzision wegen übernehmen wir sie hier, wenn wir die Sprache meinen.
Da jede Schreibweise nur eine phonetische sein kann, ist es aufgrund der vielfältigen Quellen unmöglich, ohne vertiefte Kenntnisse des runa simi auch nur auf die kurze Strecke eines Essays einen einheitlichen Standard einzuhalten (quechua oder kichwa; yarawí, harahui, jaravi,… Abhilfe würde nur schaffen, den quipu lesen zu lernen!). Satzzeichen und Unterteilung der Suffixreihen in einzelne Wörter sind allgemein üblich, entsprechen aber nicht der Grammatik der Sprache und dienen daher nur der besseren Lesbarkeit.
Ebenso unsinnig ist übrigens jegliche Einteilung oder Unterteilung, so wie ich hier unter anderem die dichterischen Berufe oder die literarischen Gattungen auseinanderzudröseln versuche. Kapitel und Abschnitte um der Übersicht willen sind somit völlig willkürlich und künstlich.
Zwei: tahuantinsuyu, räumliche und zeitliche Verortung; sei kein Dieb!, sei kein Faulpelz!, sei kein Lügner!, und wo bleibt der Dichter?
Geographischer und historischer Abriss: das tahuantinsuyu („die vier Regionen“) reichte zur Zeit seiner grössten Ausdehnung von Südkolumbien über Ecuador, Peru, und Bolivien bis Zentralchile und in den Nordwesten Argentiniens – das entspricht einer Fläche von zwei Millionen Quadratkilometern sowie einer Küstenlinie von 9000 Kilometern Länge. Nach Westen wurde das Reich durch den Pazifik begrenzt (manche behaupten, dass die Inkas auf dem Seeweg Polynesien erreicht hätten); im Osten blieb der Urwald trotz immer neuer Eroberungsversuche jene Grenze, die den wohlorganisierten Inkas schlicht zu bunt war, um sie zu überschreiten und dauerhaft zu kontrollieren. Jedes der vier Viertel, die sich am Nabel der Welt, in der Hauptstadt Cuzco, berührten – chinchay suyu im Norden, anti suyu im Osten, kunti suyu im Westen und qulla suyu im Süden – wurde von einem Gouverneur regiert.
Die Gründer des Reiches waren der mythische Manco Capac und seine Gefährtin Mama Ocllo, womöglich letzte Überlebende und Boten der Zivilisation aus dem kurz (?!) zuvor versunkenen Atlantis, nicht wahr!, das geschah ja vielerorts so oder ähnlich. Einige Chronisten datieren dieses Ereignis auf das frühe 6. Jahrhundert; das würde bedeuten, dass es das Methusalemphänomen ebenfalls in heidnischen Kulturen gegeben hätte, weil daraus für die mythischen Inkakönige Regierungszeiten von über hundert Jahren resultieren würden. Archäologen tendieren deshalb eher zum Jahr 1200 (sie lassen aber das runa-simi-Zeitempfinden aussen vor).
Das historische Imperium beginnt mit dem neunten Inka Pachakutiq und seinem Sieg über die Konföderierten Nationen der Chancas im Jahr 1438. Der elfte Inka Huayna Capac konsolidierte das Reich, das zu seiner Regierungszeit den höchsten kulturellen, technischen und wissenschaftlichen Entwicklungsstand erreichte. Diese Pracht sollte jedoch nicht einmal ein Jahrhundert überdauern. Kurz vor dem Eintreffen der Spanier entbrannte ein Bürgerkrieg um die Erbfolge zwischen Huascar und Atahualpa. Letzterer siegte, stieg 1532 auf den Thron, und nur ein Jahr später ging er seines Kopfes verlustig. Die Spanier krönten weiterhin „Könige des Inkareiches“ – Marionetten des spanischen Vizekönigs. Eine Gruppe Inkas (nicht aus der königlichen Familie, daher mit leicht despektierlichem Unterton als „Incas de Vilcabamba“ bezeichnet) verschanzte sich im Osten und hielt sich bis 1572, als ihr Anführer Túpac Amaru I enthauptet wurde. Der letzte Inka von Vilcabamba, der gegen den spanischen Vizekönig die Revolution ausrief, war Túpac Amaru II (José Gabriel Condorcanqui), der 1781, vierzig Jahre vor der Unabhängigkeit Perus, hingerichtet wurde. Túpac Amaru, die Grosse Schlange, wird alle paar Jahrhunderte wiedergeboren und nicht ruhen, bis das Imperium reinstalliert ist.
Im tahuantinsuyu hatte niemand Hunger und jeder Obdach, medizinische Versorgung und Arbeit. Krieg wurde erst geführt, wenn diplomatische Verhandlungen nicht fruchteten (was natürlich dem Expansionsdrang nichts von seiner überheblichen Aggressivität nahm). Verwaltung und Logistik waren bis ins allerletzte Detail durchorganisiert, die Infrastruktur funktionierte ohne Fehl; Strassennetz, Postwesen, Wasserversorgung, Anbauplanung. Die Inkas wussten (die Römer und die Mongolen auch, moderne Imperialisten begreifen es nie), dass das Reich nur stabil bleiben kann, wenn religiöse und kulturelle Toleranz gegenüber den unterworfenen Völkern geübt wird. Zwar war die Gesellschaft streng hierarchisch organisiert und der sapa inka göttlicher Abstammung, aber man konnte durchaus auch durch Meriten in den Adel aufsteigen, ungeachtet der Herkunft. Neben all den kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften und der organisatorischen Perfektion bewundert der Agronom vor allem die sogenannte „vertikale Integration“: eine Lebensmittelerzeugung und ‑versorgung, die die natürlichen Ressourcen auf allen Höhenstufen, in beinah allen auf der Erde vorkommenden Ökosystemen (!) nutzt, ohne sie zu ruinieren. Der Fischer an der Küste konnte gefriergetrocknete Kartoffeln und charqui (gedörrtes Alpakafleisch) essen, der Hirte in der Puna Salzwasserfisch oder Affe aus der Selva; alles stand jederzeit überall zur Verfügung, ohne negative soziale oder ökologische Folgen. Eine Errungenschaft, der der Welthandel seither vergebens hinterherhechelt.
Nicht nur, um die heterogene Bevölkerungsstruktur auszugleichen, sondern auch, um das runa simi als Menschensprache zu etablieren, praktizierten die Inkaherrscher mitimaes: sie entwurzelten ganze Gemeinschaften aus den eroberten Gebieten und siedelten sie näher am Zentrum an, während längst akkulturierte Gemeinden in die neu annektierten Zonen ausgesiedelt wurden. (Wohl nicht immer mit Erfolg – die Chetillanos, mit denen ich zusammengearbeitet habe, wurden vor Jahrhunderten von den Inkas aus dem heutigen Ecuador zwangsumgesiedelt. Sie sind aber stur sie selbst geblieben und haben sich weder den Inkas noch den Spaniern angepasst, genau so, wie sie jetzt der Nestlé und den Schweizer NGOs die Stirn bieten. Noch nicht einmal ein Missionar scheint es je lang bei ihnen ausgehalten zu haben, und niemand sonst in ganz Peru versteht ihren hausgemachten runa-simi-Dialekt.)
Der Vergleich zwischen Römern und Inkas drängt sich bei allen Unterschieden unweigerlich auf. Die Römer kannten keine Null und die Inkas erfanden das Rad nicht; beide Kulturen kann man nur bewundern, und allein schon wegen der nun enttäuschten Neugier, wie lang sich das tahuantinsuyu gehalten und wie es sich weiterentwickelt hätte, war die Conquista ein überaus ärgerlicher Unfall der Geschichte. Aber, um persönlich zu werden, bei aller Bewunderung und Faszination hege ich eine heftige Abneigung sowohl gegen die Römer als auch gegen die Inkas. Beide waren gnadenlos effizient und beschämend phantasielos. Alles diente einem ökonomischen oder politischen Zweck; für nutzlose, bunte, schnörkelige, girlandenhafte Dinge war kein Platz. Sie bauten eckig und funktional, ihre Götter bekleideten Ämter in der Verwaltung, die Kunst wurde instrumentalisiert, und weil man selbst keine Musse hatte, auf die Inspiration zu warten, übernahm man von den Barbaren, was halt gerade so brauchbar war (vielleicht mit heimlichem Neid?). Das Motto des tahuantinsuyu lautete: ama sua, ama quella, ama llulla – sei kein Dieb!, sei kein Faulpelz!, sei kein Lügner! Ist ja alles ganz ehrenhaft; aber mal im Ernst, würde das einen Dichter motivieren, sich dort niederzulassen? Sowas kann doch nur Beamte, Militärs und Polizisten anziehen!
Ich vermute, dass auch die runa-simi-Poesie in der Dichtung der Vorgängerkulturen und der eroberten Völker wurzelt und vielleicht gar nicht in bedeutendem Mass eigenständig weiterentwickelt wurde. Wenn es möglich wäre, wenn es genügend Quellen gäbe, würde ich viel lieber über die Poesie der Nicht-Inkas schreiben. Selbst das, was uns von den Inkas überliefert ist, ist grausam wenig und unscharf. Sicher aber ist es immer noch mehr als ein schwacher Abglanz dessen, was einst gesungen wurde. Und es bleibt die Hoffnung, dass der eine oder andere Dichter am Hof (oder vielleicht im Hinterhof) des sapa inka nicht einfach nur ein Beamter war, sondern tief im Herzen eben dies: subversiv. Ein Dichter.
[Teil II]
Überlassung des Bildes mit freundlicher Genehmigung der »Edition Viktoria«, Wien
Momentan nur überflogen. Bin aber ganz begeistert von der Auswahl, die erfrischend für einmal die Politik außen vorlässt:)
Durchaus mein Ziel: Weniger Politik resp. Tagespolitik.
Sehr schön.
Soweit ich das zu beurteilen vermag. Und es freut, hier auf eine Bekannte aus vergangenen, »grauen« N‑Zeiten zu treffen.
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Ist es dann nicht doch wieder Ernst den »Dogmen der Wissenschaft« abzuschwören? Und wenn objektiv, reproduzierbar, wertfrei ein Ideal ist, nicht zu verwirklichen, was bliebe als sich daran zu halten (vorausgesetzt es ist der Weg den man gehen will, der einem liegt)?
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Vor »langer« Zeit bin ich einmal auf eine meiner Erinnerung nach sehr gute Diplomarbeit über diese gefinkelten ökologischen Agrarsysteme gestoßen; falls von Interesse kann ich nachsehen ob ich das Zitat noch finde.
Interessant.
Ich habe mich lange Zeit nicht mehr mit diesem Blog auseinandergesetzt, aber nachdem ich heute erneut endlich mal wieder einen Blick auf diese Site geworfen habe, bin ich doch der Ansicht, dass es sich lohnt!
Es ist eine sehr interessante und erfrischende Abwechselung. Ich proklamiere allgemein immer mal einen regelmäßigen Tapetenwechsel (bitte nicht als heftigere Kritik verstehen, als sie eigentlich ist).
Der Epilog (müsste es nicht »Prolog« heißen? Dieser Abschnitt steht schließlich VOR dem eigentlich Hauptteil.) schafft in mir auch eine gewisse Vorfreude und positive Erwartung, da ich mich von einer selbstkritischen Haltung arg beeindrucken lasse.
Ja, es müsste PROlog heissen. Die Autorin hatte dies jedoch eigentlich am Ende ihres Essays gestellt und ich habe dann (halb fehlerhaft – halb unbewusst) dies stehengelassen.
Narrenfreiheit im Alter
»Ich habe in meiner Jugend lange genug (natur)wissenschaftlich gearbeitet. Jetzt geniesse ich die Narrenfreiheit des Alters und nehme mir heraus, mich nur noch mit Dingen zu befassen, die mich wirklich interessieren (mehr noch: die ich liebe), und dies vor allem auf eine Weise, die mir entspricht.«
Mit dieser (sehr verständlichen) Haltung erinnern Sie mich an alte Professoren bzw. Emeriti, die das genau wie Sie machen und die sich das auch leisten können. Der akademische Nachwuchs darf das nicht, der muss erstmal Orthodoxie bis ins Mark praktizieren und mit Fußnoten umherwerfen. Die von Ihnen beschworenen Freiheiten werden bei den Jungen schwer bestraft mit Reputationsentzug. Die Alten dagegen entwickeln fröhlich Thesen querbeet und jenseits ihrer angestammten Fächer und sie werden dafür beklatscht.
Das ist eine seltsame Hierarchie im Reich der geistigen Freiheit (die ich Ihnen – um Missverständnissen vorzubeugen – keineswegs vorwerfen will und die ich Ihnen von Herzen gönne. Schließlich habe ich als Leser was davon).
@ internetausdrucker
Entweder haben Sie die Überschrift und den Namen der Verfasserin ignoriert oder ich habe da etwas falsch interpretiert. Ich habe das gesamte Essay der Urheberin zugeschrieben und G.K. als sog. »Sprungbrett« betrachtet.
Aber vielleicht sind meine Augen schon etwas müde.
#3 – Zum Glück
habe ich hinterrücks erfahren, wer Du bist, sonst würde ich jetzt fürchterlich vor mich hin neugieren. Ja, schön, Dich wiederzu»sehen«!
Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe wie Du das meinst mit dem »Sich-daran-Halten, obwohl es nicht zu verwirklichen ist«. So etwas wie das existentialistische Aushalten des Absurden? DAS würde mir schon liegen. Aber die Dogmen der Wissenschaft ... ich kann nicht mehr. Schaue aber immer noch gern von aussen zu.
Wenn Du das Zitat grad zur Hand hast, ohne in den Keller steigen zu müssen bei der Kälte..?
U.T.R.E.S.
Es ist ganz einfach,
ich habe mich aus dem Akademischen an sich ausgeklinkt, ohne auf die Emeritierung zu warten. Das kann man sich in jedem Alter leisten, und es wird ja keiner gezwungen, überhaupt in diese obskuren Zirkel einzutreten. Aber es ist schon gut, einmal in einer Sekte gewesen zu sein, sonst würde man dorten allzeit eine Wahrheit vermuten.
(Reputation? Wenn man das will, ja dann hat man keine Wahl.)
U.T.R.E.S.
@lou-salomé
Das war mein Fehler, sorry! Aber es ändert inhaltlich nichts.
#8
Nein, mit dem Absurden würde ich es nicht vergleichen. Die wissenschaftlichen Tugenden sind Ideale, nicht restlos verwirklichbar und auch nicht unproblematisch. Dessen eingedenk glaube ich aber, dass uns vielfach keine andere Wahl bleibt, als uns an diese Kriterien zu halten, auch wenn man persönlich damit negative Erfahrungen hat(te).
Das Zitat suche ich, und kommt (wenn es sich auftreiben lässt) per mail, Keller habe keinen, die Gefahr des Erfrierens besteht daher nicht.
@ u r e s zur runa simi
Vorweg eine kleine Erklärung, warum ich erst jetzt auf Ihren äusserst interessanten Essay-Ausschnitt reagiere: hatte einfach bis jetzt keine Zeit, mich in Ruhe mit den geschriebenen Seiten auseinanderzusetzen. Aber heute abend habe ich sie mir ausgedruckt und gelesen und werde Ihnen leider kein empirisches Feedback geben können, da ich keine Fachfrau für Quechua o.ä. bin. Nun bedaure ich es ja (ein ganz klein wenig), das Buch von Michael D. Coe „ Das Geheimnis der Mayaschrift“ nicht richtig gelesen zu haben und es nur als Bücherschrankzierde benutze. Denn dann hätte ich jetzt vielleicht Parallelen finden können.
Erklären Sie anfangs den Begriff Quechua, den ich übrigens bisher nur auf die Sprache projiziert hatte, gehen Sie im Text weiter mit der geographischen Lage und der Historie.
Da habe ich übrigens nicht verstanden, warum Manco Capac anscheinend nur mythische Legende ist. Hat man hier, so wie Sie an anderer Textstelle zu einem anderen Aspekt schreiben, keine mündliche Überlieferung gesichert ( = durch die später eingedrungenen Spanier festgehalten) oder gibt es Bilder in Form von Steinskulpturen oder Zeichnungen? Und sonst keine Fakten? Und was ist mit den Knotenschnüren? Wurden die nur zum Rechnen benutzt oder auch als sog. Buch?
Ach ja, und das versunkene Atlantis. Nun soll es auch dort liegen. Eine meiner letzten Informationen beruht darauf, dass Akrotiri auf Santorin das versunkene Atlantis sein könnte, das ca. 1500 v.u.Z. durch den Vulkanausbruch auf Santorin in Asche und Schutt gelegt wurde. Ah, darüber lässt sich auch nur zu gerne lesen, über die Zeit der minoischen Kultur. Aber zurück zu den Inkas.
Bis auf Ihren kurzen Abschnitt zur Schreibweise des runa simi erfahre ich in diesem Teil des Essays nicht, in welcher Form Dichter ihre Lyrik festhielten. Und bis hierher schreiben Sie sowieso kaum über die Dichter. Deshalb hoffe ich sehr, dass Sie auch den zweiten Teil des Essays auf Begleitschreiben veröffentlichen, denn mich hat der Inhalt neugierig gemacht und ich möchte weiteres über Lyrik-Inkas wissen.
Mein Laien-Statement: Geographisch, historisch, soziologisch und politisch haben Sie die Informationen in verdichteter Form wiedergegeben, verständlich und gut nachvollziehbar.
Eine winzige Kritik übe ich nur an Ihren eingestreuten Begriffen, wie z.B. „auseinanderzudröseln“. Das passt in meinen Augen überhaupt nicht in das empirische Gesamtbild Ihres Essays. Es lockert auf und lässt unweigerlich ein Schmunzeln entstehen, aber die Gesamtform ist aus einem anderen Guß.
Anmerkung: Von den Kelten weiß ich, dass hier nur mündliche Überlieferungen bekannt sind. Es gab anscheinend keine Schrift. Parallelen zur Inkazeit?
LG von lou-salome
Kurze »redaktionelle« Stellungnahme
Es ist ein mehrteiliger Essay; viele der angesprochenen Punkte werden noch behandelt werden.
liebe lou-salome,
danke fürs präzise Lesen, fürs Fragen und Kritisieren. Richtig schön, so hat man das Gefühl, dass sich so eine Arbeit nicht nur zur Freude im stillen Kämmerlein lohnt.
Wie Gregor schon sagt, die meisten Fragen werden in den folgenden Kapiteln aufgegriffen und teils ausführlich behandelt (Knotenschnüre, Überlieferung, Lyrik etc.); ich werde am Schluss gern noch offene Fragen beantworten – sofern ich kann.
Zu Manco Capac: ich glaube, diese Unterteilung in mythische und historische Inkas ist eine (eurozentrisch) wissenschaftliche; erst für den neunten Inka Pachakutiq hat man handfeste Daten, man kennt seine Regierungszeit, sein Wirken, seine Politik etc. Worauf diese Daten im einzelnen beruhen, weiss ich nicht, vermutlich auf archäologischen Befunden, da »schriftliche« Zeugnisse im engeren Sinne nicht existieren (siehe später, bei den Knotenschnüren). Deshalb spricht man vom »mythischen Imperium« vor Pachakutiq und vom »historischen Imperium« danach. So ähnlich unterteilt man meines Wissens auch in mythische und historische Könige z.B. im Alten Testament. Wahrscheinlich dasselbe wie die Unterscheidung Prähistorie/Historie, nur dass man hier kein so scharfes Abgrenzungskriterium hat wie die Erfindung der Schrift. Das ist ein Gelotter (verschwommen wie das »mythische Zeitalter«), ich weiss, aber genauer kann ich es leider nicht erklären.
Den Seitenhieb auf Atlantis konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Sollten Manco Capac und Mama Ocllo Atlanter gewesen sein, wäre die Insel wahrscheinlich doch eher im Atlantik itself zu suchen als auf/unter Santorin. Der Titicacasee soll aus einem Schwapp Wasser nach der Inselsinkung entstanden sein (übrigens gehört Titi Peru und Caca Bolivien!).
Ich finde Atlantis super, ich wäre sehr enttäuscht, wenn es nie existiert hätte oder wenn es gefunden würde. Meine bevorzugte Theorie ist die Verschiebung der ehemals subtropischen Antarktis an den Pol. :-)
Es stimmt, Sachen wie »auseinanderdröseln« rutschen mir öfters aus. Halbwegs bin ich mir dessen bewusst. Es zeigt wohl auch, dass mir dieses »sachliche« Arbeiten nicht besonders liegt und dass daher der Formwille nicht allzu ausgeprägt ist – eine Sauerei angesichts der Qualitätsstandards, die ich mir sonst auferlege.
Ich bin sehr froh um solche Hinweise, immer frisch drauflos, wenn noch mehr davon auftaucht!
Sauerei? Nein.
Ich finde, der Ton passt zur Einleitung (die ich dummerweise als »Epilog« stehenliess – und jetzt auch so lasse). Ich mag ihn, weil man doch spürt, dass es trotzdem kein oberflächliches Schreiben ist, sondern eines mit Leidenschaft für die Sache. Und das ist, was zählt.
Ich finde die Kritik schon berechtigt. Auch wieder mal schön, vorgeführt zu bekommen, dass man vor dem Leser nicht die leiseste Regung verbergen kann. Je nach Empfinden bewegt sich das zwischen salopp und schlampig. Ich erinnere mich deutlich an das »Schlampengefühl«, als ich das tippte. Je weiter die Arbeit fortschritt, umso mehr genoss ich dieses Gefühl und dachte irgendwann: ach zum Teufel, ich will ja gar nichts Ernstes machen! Der Zivilisationsgrad dieses Essays nimmt gegen Ende hin immer mehr ab.
Mal sehen, ob es dann vielleicht doch wieder »aus einem Guss« wirkt. Ob nun stramm oder schlampig, das wäre tatsächlich ein oder DAS Kriterium der gelungenen Form.
Schlampig ist er nicht; auch nicht salopp. Eher vielleicht nonchalant.
(Mir wirft man meine Verbissenheit, Ernsthaftigkeit, dieses deutschtypisch-humorlose ja oft genug vor [lou-salome allerdings nicht]. Ich finde dennoch, dass die Komptenz, die Du ausstrahlst, erhalten bleibt.)
Eigentlich bin ich ja weg, andererseits habe ich wohl etwas vom hiesigen Virus abbekommen und konnte es nicht lassen, nach dem nach Hause kommen, kurz hier reinzulesen :).
@ Tortuga: Ich empfinde Ihre Art zu schreiben sehr erfrischend!!Und wenn es nach mir ginge, dann könnte gern das starre Schreiben im wissenschaftlichem Kontext aufgebrochen werden. Aber wo fängt man/frau an und wo lässt man/frau es? Der eine kommt aus Sachsen, der andere aus Bayern, wieder eine andere aus dem Saarland. Und bei wissenschaftlichen Arbeiten kann schlecht mit Dialekt oder umgangssprachlichem Ausdruck gearbeitet werden. Vielleicht weil ich/wir es gewohnt sind, dem Sachthema eine sachliche Sprache zu geben, sprich: eine »Neutralität«. Damit eine gewisse Ernsthaftigkeit, die im wissenschaftlichen Bereich unumgänglich ist, zum Ausdruck gebracht wird und jeder es verstehen kann, wie eine sog. Amtssprache.
Aber bitte, halten Sie sich jetzt bloß nicht an diesen Kleinigkeiten fest! Mir ist das schon viel zu lang darüber gesprochen.
Ihr o.a. Werk ist dafür zu schade, denn es kommt ja auf den Inhalt an und der ist in meinen Augen reif!
@ Gregor Keuschnig: Wissen Sie, das ist es ja, was ich an diesem Blog, dem Ihrigen, schätze, dass das trallali und trallala eine absolute Nebenrolle spielt, obwohl und überhaupt, es ist mir noch gar nicht untergekommen.
LG l‑s