Lang­wei­lig oder Of­fen­ba­rung?

Al­tes und Neu­es zum Werk von Pe­ter Hand­ke

Janko Ferk: Peter Handke

Jan­ko Ferk: Pe­ter Hand­ke

Der Kärnt­ner Jan­ko Ferk ist Ju­rist, Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler (Schwer­punkt Franz Kaf­ka), Über­set­zer, In­itia­tor ei­nes Le­xi­kons Kärnt­ner slo­we­ni­scher Li­te­ra­tur, Au­tor von Sach­bü­chern, Rei­se­füh­rern, No­vel­len, Ro­ma­nen, Es­says und Li­te­ra­tur­kri­ti­ken. Im LIT-Ver­lag wer­den re­gel­mä­ssig sei­ne Li­te­ra­tur­kri­ti­ken aus un­ter­schied­li­chen öster­rei­chi­schen Me­di­en ge­bün­delt pu­bli­ziert. Neu er­schie­nen sind nun sei­ne »Be­gleit­schrei­ben, Ge­sprä­che und Zu­stim­mun­gen« (so der Un­ter­ti­tel des Büch­leins) zu (und auch über) Pe­ter Hand­ke. Der Band ist merk­wür­di­ger­wei­se, was die Hand­ke-Re­zen­sio­nen Ferks an­geht, nicht voll­stän­dig. So fin­det man et­wa die Sam­mel­re­zen­si­on zu Zdeněk Ada­mec und der Dä­mo­nen- und Mai­ge­schich­te Hand­kes in ei­nem an­de­ren Band. Zu­mal es im neu­en Band Be­spre­chun­gen zu jün­ge­ren Wer­kes Hand­kes gibt. Völ­lig ent­fes­selt zeig­te sich Jan­ko Ferk in ei­ner ver­nich­ten­den Re­zen­si­on von Ge­org Pich­lers Hand­ke-Bio­gra­phie Die Be­schrei­bung des Glücks von 2002. Hier bleibt kein Stein auf dem an­de­ren. Zur spä­te­ren Bio­gra­phie von Mal­te Her­wig fin­det sich nichts.

Vie­le die­ser Tex­te sind kei­ne klas­si­schen Re­zen­sio­nen, wie der Auf­satz zu Wunsch­lo­ses Un­glück zeigt, der Er­zäh­lung von 1972 über den Frei­tod von Hand­kes Mut­ter und die Schwie­rig­keit, dar­über li­te­ra­risch zu schrei­ben. Ferk nimmt die Tat­sa­che, dass Hand­kes Mut­ter Kärnt­ner Slo­we­nin war zum An­lass sich ge­ne­rell mit dem Schick­sal der Min­der­heit der Kärnt­ner Slo­we­nen und ih­rer stei­ni­gen jün­ge­ren po­li­ti­schen Ge­schich­te in Öster­reich zu be­schäf­ti­gen. Was na­tür­lich kaum ver­wun­dert, denn er ge­hört die­ser Min­der­heit sel­ber an und hat vie­les sel­ber er­lebt. Hand­kes Rol­le bei­spiels­wei­se im Orts­ta­fel­streit wird er­wähnt, auch sein Über­set­zungs-En­ga­ge­ment von Au­toren wie Gu­stav Ja­nuš und Flor­jan Li­puš.

Der heim­li­che Hö­he­punkt des Bu­ches ist ein Ge­spräch zwi­schen Ferk, Mi­cha­el Mai­er und Pe­ter Hand­ke aus dem Jahr 1993, das war­um auch im­mer rasch in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten ist. Hand­ke steht da­mals am An­fang sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit dem zer­fal­len­den Ju­go­sla­wi­en und macht ei­ni­ge in­ter­es­san­te, spä­ter rich­tungs­wei­sen­de Aus­sa­gen, vor al­lem was Na­tio­na­lis­mus und sei­nem Hei­mat­be­griff an­geht. Hier­auf hät­te man rück­blickend auf die spä­ter ent­stan­de­nen Ju­go­sla­wi­en-Tex­te Be­zug neh­men kön­nen – aber die­se Be­schäf­ti­gung un­ter­bleibt gänz­lich (nur in ei­nem Ge­spräch mit Hans Wid­rich klingt es kurz an).

In Ferks Buch fin­det sich auch ei­ne Re­zen­si­on zur 2011 er­schie­ne­nen Er­zäh­lung Der Gro­ße Fall. Er ist nicht be­gei­stert: »Die­ses Buch ist et­was Lang­wei­li­ges«, heißt es schließ­lich bi­lan­zie­rend. Nach drei Punk­ten folgt ei­ne Re­la­ti­vie­rung: »…aber für Fein­schmecker«. Der Le­ser ist so klug wie zu­vor.

Willibald Hopfgartner: Das Heilige im Werk Peter Handkes

Wil­li­bald Hopf­gart­ner: Das Hei­li­ge im Werk
Pe­ter Hand­kes

Bes­ser macht es der Fran­zis­ka­ner Wil­li­bald Hopf­gart­ner in sei­nem bei Wie­ser kürz­lich er­schie­ne­nen Buch Das Hei­li­ge im Werk Pe­ter Hand­kes. Hopf­gart­ner in­ter­pre­tiert auf we­ni­gen, ful­mi­nan­ten Sei­ten den Gro­ßen Fall als ei­ne prä­apo­ka­lyp­ti­sche Of­fen­ba­rungs­er­zäh­lung, ei­ne »Of­fen­ba­rung un­er­lö­sten Da­seins«. Die­sen Aspekt hat man so noch nicht ge­le­sen.

Der Ver­such, in Hand­kes Werk re­li­giö­se Kon­no­ta­tio­nen nach­zu­wei­sen, ist nicht neu. Har­ry Ba­loch lie­fer­te 2010 mit der Stu­die Ob Gott oder Nicht-Gott – Pe­ter Hand­ke und die Re­li­gi­on (eben­falls im Wie­ser-Ver­lag er­schie­nen) ei­ne um­fas­sen­de Stu­die da­zu. Ei­ne gan­ze Text­samm­lung über die­ses The­ma ga­ben 2014 An­dre­as Bier­in­ger und Jan Hei­ner Tück her­aus. Hopf­gart­ner ver­sucht dem Un­ter­ti­tel ge­mäß ei­ne wei­te­re An­nä­he­rung und ver­weist ne­ben der Prä­gung Hand­kes durch den Be­such ei­ner ka­tho­li­schen Prie­ster­schu­le, dem In­ter­nat in Tan­zen­berg, auf Text­stel­len in Hand­kes Werk, die auf ei­ne »neue Of­fen­heit für die re­li­giö­se Er­fah­rung« ab un­ge­fähr An­fang der 1970er Jah­re, spä­te­stens je­doch mit Lang­sa­me Heim­kehr 1979 hin­wei­sen (ein Lap­sus, dass im Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis am En­de aus­ge­rech­net die­ses Buch nicht er­wähnt ist). Der Au­tor liest Hand­kes »äs­the­ti­sche Um­struk­tu­rie­rung« (Thor­sten Car­sten­sen), je­ne Wen­de zur Klas­sik, wie Hans Höl­ler sie nennt, als Hin­wen­dung zum »Hei­li­gen«. In der Leh­re der Sain­te-Vic­toire sieht er wie Tück ei­ne »eu­cha­ri­sti­sche Poe­tik«, die Land­schaft be­kom­me durch den »Fil­ter« der Bil­der von Cé­zan­ne ei­ne »re­li­giö­se Si­gna­tur« zu­ge­wie­sen. Aus dem un­längst voll­stän­dig pu­bli­zier­ten No­tiz­buch von 1978 wer­den zahl­rei­che Stel­len her­aus­ge­ar­bei­tet, die die­se Hin­wen­dung be­le­gen. Ei­ne wei­ter­füh­ren­de Re­cher­che in den bis­her di­gi­ta­li­sier­ten Jour­nal­bän­den Hand­kes hät­te die Be­schäf­ti­gung des Dich­ters mit ka­tho­li­scher Kunst und Sym­bo­lik noch deut­li­cher il­lu­striert. Wo­bei die Er­wäh­nun­gen bei­spiels­wei­se zu Jesus/Jesus Chri­stus eben auch aus den zahl­rei­chen Kir­chen- und Bild­be­schrei­bun­gen Hand­kes re­sul­tie­ren. Was wie­der­um mit Hand­kes Be­schäf­ti­gung mit der Ro­ma­nik zu tun hat, was nicht wei­ter ent­wickelt wird.

Es ist klar, dass der ka­tho­li­sche Ri­tus, den man ana­log zu Hand­kes Poe­ti­kide­al als ein »Ver­wan­deln al­lein durch Er­zäh­len« (Mein Jahr in der Nie­mands­bucht) cha­rak­te­ri­sie­ren könn­te, ei­ne ge­wis­se Fas­zi­na­ti­on auf das Den­ken und Schrei­ben des Dich­ters aus­übt. Hopf­gart­ner fin­det im Werk die­se In­di­zi­en, die er ge­schickt ver­knüpft und im Sin­ne ei­ner Got­tes­fürch­tig­keit Hand­kes wei­ter­spinnt. Et­wa wenn um Sa­kra­men­te geht oder um ein Ge­mein­schafts­er­leb­nis wäh­rend des Got­tes­dien­stes. In den klei­nen Epo­pö­en aus Noch ein­mal für Thuky­di­des (En­de der 1980er ver­fasst), die das au­gen­blick­haf­te Wun­der des Da­seins als das »Hei­li­ge des All­tags« fei­ern, wird die­se Hin­wen­dung, so die Deu­tung, li­te­ra­risch ge­formt. Un­längst hat­te Hand­ke al­ler­dings er­klärt, dass die­se Zeit des Schau­ens und Be­ob­ach­tens ir­gend­wann vor­bei ge­we­sen sei und nicht be­lie­big wei­ter­ge­trie­ben wer­den konn­te. Hier zeigt sich sei­ne Furcht vor Schreib­rou­ti­nen.

Hopf­gart­ner knüpft bis­wei­len naht­los an Ba­loch an. Aber er be­geht den Feh­ler, an­de­re Aspek­te aus­zu­blen­den. Hand­ke liest nicht nur in der Bi­bel, be­schäf­tigt sich nicht nur mit der la­tei­ni­schen Lit­ur­gie. So setzt er sich bei­spiels­wei­se mit My­sti­kern wie Mei­ster Eck­hart oder auch Ja­kob Böh­me aus­ein­an­der. Letz­te­rer wird in den ver­öf­fent­lich­ten No­ti­zen Vor der Baum­schat­ten­wand nachts, die zwi­schen 2007 und 2015 ent­stan­den sind, mehr­fach er­wähnt und kom­men­tiert. Zu­gleich liest Hand­ke in die­sem Zeit­raum auch is­la­mi­sche Ge­lehr­te und su­fi­sti­sche My­sti­ker wie Ibn al-Fārid, Al-Gha­zālī oder den von ihm als »Dichterdenker/Denkerdichter« apo­stro­phier­ten Ibn ʿA­ra­bī. Hand­kes Su­chen ist aus ei­ner Neu­gier ge­bo­ren, aus dem Nach­spü­ren von Tran­szen­denz und zwar jen­seits von re­li­giö­sen Dog­men und In­sti­tu­tio­nen, wie man et­wa die Ein­tra­gung vom April 1976, die im Ge­wicht der Welt auf­ge­nom­men wur­de, le­sen kann: »Trö­sten, oh­ne den Trost­lo­sen wahr­zu­neh­men (die Kir­che)«. Oder sei es das Wü­ten über das Ver­hal­ten der ka­tho­li­schen Amts­kir­che an­läss­lich der Bom­bar­die­rung Ser­bi­ens 1999 und sei­ne (vor­über­ge­hen­de) Be­schäf­ti­gung mit der Or­tho­do­xie. Trotz die­ser Ein­wän­de ist Hopf­gart­ners Buch an­re­gend, und lädt zur er­neu­ten Be­schäf­ti­gung der The­ma­tik ein.

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Hand­kes »Chi­ne­se des Schmer­zes« spielt zu Ostern und ist wie ei­ne Auf­er­ste­hungs­ge­schich­te struk­tu­riert. Auch in an­de­ren Bü­chern fin­det man die­se Struk­tur – auch als Mi­kro­struk­tur -, aber hier be­son­ders klar. Fra­ge an Gre­gor: Wird das in den hier be­spro­che­nen Bü­chern er­wähnt?

  2. Bei Hopf­gart­ner wird Der Chi­ne­se des Schmer­zes zwar in der Bi­blio­gra­phie er­wähnt, es gibt aber kein di­rek­tes Zi­tat, ge­schwei­ge denn ei­ne Ver­bin­dung zur Struk­tur der Er­zäh­lung.

    Man darf Hopf­gart­ners Buch mit sei­nen 77 Sei­ten nicht als voll­stän­di­ge Mo­no­gra­phie le­sen.

    Im ver­grif­fe­nen Band von Har­ry Ba­loch wird der Chi­ne­se aus­führ­lich ge­deu­tet.

  3. Aha, ich dach­te, die Be­spre­chung sei von Gre­gor K. War sie aber nicht. Macht der Ge­wohn­heit.

  4. Hopf­gart­ner schreibt auf S. 10: »...ins­be­son­de­re in den Pro­sa­ge­dich­ten der Jah­re 1972–1974...« Wis­sen Sie, wel­che er meint?

  5. Im Sam­mel­band Als das Wün­schen noch ge­hol­fen hat von 1974 fin­den sich drei Ge­dich­te, die zwi­schen 1972 und 1974 in di­ver­sen Pu­bli­ka­tio­nen er­schie­nen wa­ren. Man kann sie tat­säch­lich als Pro­sa­ge­dich­te be­zeich­nen. Ei­ne di­rek­te Hin­wen­dung zum Re­li­giö­sen oder Tran­szen­den­ten er­ken­ne ich da eher nicht.

    Der Band taucht ja in der Bi­blio­gra­phie nicht auf. Hart­näckig ver­wen­det Hopf­gart­ner auch als Pu­bli­ka­ti­ons­da­tum von Wunsch­lo­ses Un­glück das Jahr 1974 statt 1972. Klei­nig­kei­ten, aber scha­de.

  6. Dan­ke für den Hin­weis auf die zwei neu­en Bü­cher zu und über Pe­ter Hand­ke.
    Ich er­in­ne­re mich an Ge­sprä­che mit Lu­cas Sup­pin, der mit Pe­ter Hand­ke be­freun­det war. Der »Chi­ne­se des Schmer­zes« stammt aus die­sem Zeit­rah­men.

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