Frühjahr 2014, leichter Schneefall. Der 42jährige freie Drehbuchautor Nikolas Finck reist mit dem Zug von Berlin über Nürnberg in den fiktiven fränkischen Ort Gründlach. Über dem Anwesen der Schriftzug »STERNBALD«, der Ort seiner Kindheit, inzwischen etwas heruntergekommen, vermutlich dem Understatement der Eltern geschuldet. Anlass des Besuches ist der 103. Geburtstag des Großvaters Heinrich Christian Theobald, genannt Henry. Nikolas hatte die letzten Jahre immer abgesagt, musste sich auch jetzt überwinden, sucht aber den Abstand, weil seine Beziehung mit Ele nach deren Fehlgeburt in einer Krise steckt. Zudem stehen Verhandlungen mit dem Bayerischen Rundfunk in München an, der Interesse am Skript einer neuen, von ihm geschriebenen Serie, gezeigt hat.
Erst später wird der Leser von Monika Zeiners Roman Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre die ersten Impressionen des Ich-Erzählers Nikolas nach all den Jahren einzuordnen wissen. Seine ambivalenten Gefühle und die gespürte Enttäuschung der Mutter zur Ankunft des Sohnes. Vorerst wird der Jubilar vorgestellt. Er sitzt im Rollstuhl, wird rund um die Uhr von einer Betreuerin umsorgt. Mit neunzig hatte er anscheinend aufgehört zu altern und vermutlich seitdem auch das Sprechen eingestellt. Stattdessen ein Dauerlächeln, »als wäre es übrig geblieben von einem Ereignis, das vor sehr vielen Jahren stattgefunden haben musste, etwas wie Wehmut war darin, wie im Nachhall eines Musikstücks oder dem letzten Schein eines Sonnenuntergangs«. Oder ist es nur eine »Maske der Fröhlichkeit«, eine Verstellung?
Überall entdeckt Nikolas, das schwarze Schaf der Familie, Masken, Verborgenes. Etwa auf den Fotos im Gang, die die Ahnen in selbstbewussten Posen zeigen. Früh begann bei ihm das Zweifeln. »Erzgauner« nannte Katharina, die Tochter eines Bauunternehmers, seine Familie. Nikolas kannte nur »Erzengel«. Was soll ein Erzgauner sein? »Alle Fincks lügn wie gedruckt. Ihr seid doch nur so reich, weil ihr alles zusammengstohln habt!«, schrie ihm Eddie ins Gesicht und man prügelte sich dafür auf dem Schulhof. Überraschend ergriff dann Katharina für Nikolas Partei. Eddie wurde bestraft; er hatte keine Chance gegen die Fincks. Später wird man erfahren, dass Eddie jetzt im Gemeinderat sitzt. Nikolas’ Fragen konnte der Großvater damals noch mit den üblichen Textschablonen von Fleiß, Pflichtgefühl, Demut und Verantwortung beschwichtigen. Was den Enkel nicht davon abhält, Geschenke für Katharina und seine Schulkameraden zu kaufen, um sich besser mit ihnen zu stellen. Das Geld hierfür stiehlt er paritätisch und gerecht aus den Geldbörsen der Mutter und des Großvaters.
Den vollständigen Text »Obduktion einer deutschen Familie« bei Glanz und Elend weiterlesen.