Nach der Entscheidung der Grünen an der Saar, mit CDU und FDP in Koalitionsverhandlungen zu gehen, kann man an den Reaktionen von SPD und der Linken erkennen, warum sich die Leute in Scharen von der Politik abwenden.
Eben noch umworben poltert Lafontaine gegen den Grünen-Chef Ulrich, dass der wohl mit 5,9% vergessen habe, dass dies keine 59% seien. Man fragt sich, ob er ihm dies in den Vorgesprächen auch so gesagt hat.
Man kann das natürlich beklagen. Dann muss man jedoch konsequent für das Mehrheitswahlrecht eintreten. Und vielleicht vorher auch ein bisschen Schulunterricht nehmen. Die SPD kam nämlich 1969 im Bund mit der 5,8%-Partei FDP an die Macht und leitete damit die sozial-liberale Koalition ein.
Den Gipfel der Inkompetenz zeigt jedoch der Heiko Maas von der SPD. Er bramabasiert von Anrufen des Grünen-Chefs Ulrich vor der Wahl. Er habe, so Maas, für eine Zweitstimmenkampagne »gewinselt« (die Grünen mussten lange befürchten, unter der 5%-Hürde zu bleiben). Maas vergisst, dass eine Zweitstimmenkampagne nur Sinn macht, wenn es zwei Stimmen bei einer Landtagswahl gibt.
Im Saarland gab es aber nur eine Stimme.
Unklar ist, ob auch nur ein Journalist ihm dies gesagt hat.
Die Liste der Politiker, die pawlowsch reagiert haben, solltest du aber um einige Politiker aller Parteien aus Thüringen, Brandenburg und dem Bund ergänzen, am besten gefällt mir immer Po falla.
Ich kann nur Politiker kritisieren, die ich vorher halbwegs für satisfaktionsfähig gehalten hatte.
Die Reaktion der genannten Politiker ist in der Tat nicht adäquat, allerdings haben die Grünen – Wähler vermutlich mehr und allein Grund, sich zu beklagen. In der Regel wählt man nämlich (noch) nicht Grün, um damit die CDU und vor allem die konkurrierende FDP an die Regierung zu bringen. Und die FDP dürfte auf Dauer eines der größten Probleme für die Grünen – aber auch vice versa – sein. Aber es wäre illusorisch, zu glauben, politische Neuausbalancierungen könnten in einem größer gewordenen Parteienspektrum ausbleiben.
Dass Grün und Schwarz miteinander können, ist so neu nun auch wieder nicht, und beide sind Parteien die (auch) »bürgerliche« Kreise ansprechen.
Ja, in HH gibt es eine Schwarz – Grüne Koaltion, aber die Grünen sind auch da mit anderen Prämissen angetreten. Und mir persönlich ist es eh egal, da ich die Grünen schon lang nicht mehr wähle – wegen der Annäherung ans bürgerliche Lager. Die fand ja erstmal innerhalb der Partei statt, indem man fast alle Linken dort hinausdrängte oder mit Beschlüssen vergraulte.
In der aktuellen Ausgabe der »ZEIT« gibt es ein gespräch mit Heinz Bude. Er beschreibt dort, wie ähnlich sich die Milieus von FDP und Grünen sind – wie schlecht sie aber miteinander kommunizieren können, weil es in einigen Punkten eben doch gravierende Differenzen bzw. Vorurteile gibt.
Wie es aussieht, haben die Grünen im Saarland viel »herausgeholt«. Zwei der drei Abgeordneten im saarländischen Parlament werden Minister. Man hat Verständigung über die Abschaffung der Studiengebühren erreicht. Und auch in anderen Bildungsfragen ist man den grünen entgegengekommen.
Der schwerste Brocken – die Atompolitik -, die ja Ländersache ist, spielt meines Wissens im Saarland keine Rolle, weil es dort keine AKWs gibt. Ich habe auch nicht gehört, dass Ulrich vorher Jamaika ausgeschlossen hatte; von Wählerbetrug kann gar keine Rede sein. Die Linke hatte im Wahlkampf die Grünen stark angegriffen, daher konterte man mit einem sehr bösen Plakat gegen Lafontaine. Ich wäre daraufhin eher überrascht gewesen, wenn man auf einmal mit ihm am Kabinettstisch sitzen würde.
»In der Regel wählt man nämlich (noch) nicht Grün, um damit die CDU...«
Soweit es die CDU betrifft, darf man zumindest Zweifel äußern, ob diese These noch richtig ist, auch wenn ich sie selbst im Moment noch vorsichtig bejahen würde.
Gleichwohl hat beispielsweise in meinem persönlichen Umfeld, das weit davon entfernt ist, als repräsentativ zu gelten, eine ganze Reihe von Leuten sowohl bei der Kommunalwahl im Juni als auch bei der Bundestagswahl schwarz und grün kombiniert.
Etwas aussagekräftiger ist eine Forsa-Untersuchung für den Stern aus dem Vorjahr:
»Bündnisse zwischen CDU und Grünen [...] stoßen in der Bevölkerung auf eine überraschend hohe Zustimmung. 39 Prozent der Bürger würden nach einer Forsa-Umfrage für den stern eine engere Zusammenarbeit beider Parteien begrüßen. [...] Unter allen Parteien ist die Zustimmung bei den Grünen-Wählern am größten. 59 Prozent ihrer Parteianhänger fänden es gut, wenn es mehr Allianzen mit der Union gäbe.«
Ich kann nicht beurteilen, wie ernst dieses Ergebnisse letztlich zu nehmen ist; die letzten beiden Sätze hätte ich in dieser Form aber nicht erwartet.
Dass der durschnittliche GRÜNEN-Wähler indes noch ein Stück weiter davon entfernt ist, sich die FDP zu wünschen, will ich nicht bezweifeln...
Im Übrigen bin ich entsetzt über Herrn Maas’ Fantasien zur Zweitstimme.
Sehr oft wird ja die »bürgerliche« Nähe zwischen Grünen und CDU-Wählern hervorgehoben (die sicherlich nicht von der Hand zu weisen ist). Was meines Erachtens aber nicht hineinpasst, ist das »FDP-Element«. Zwar gibt es hier sicherlich durchaus gesellschaftlich-soziologische Parallelen (siehe Bude), aber die politischen Differenzen sind eigentlich zu groß. Insofern ist eine »Jamaika«-Koalition immer ein reines Zeitbündnis (vieleicht vergleichbar mit einer sogenannten »Großen Koalition«). irgendwann haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft.
FDP und Grüne
»Insofern ist eine »Jamaika«-Koalition immer ein reines Zeitbündnis (vieleicht vergleichbar mit einer sogenannten »Großen Koalition«). irgendwann haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft.«
Das würde dann analog für die Ampel (oder Senegal, wie Herr Trittin sagen würde) gelten, oder ist die SPD dort ein stärkeres Verbindungsglied als die CDU bei Jamaika (die bisherigen Versuche waren ja auch nicht so richtig dauerhaft)?
Ja, für die »Ampel« gilt das auch. Dreierkoalitionen sind sicherlich per se kurzlebiger als Koalitionen zwischen zwei quantitativ ungleichen Partnern.
Ich glaube nicht, dass sich die Wähler wegen Lafontaine scharenweise von der Politik verabschieden, sondern weil den Wählern die völlige Bedeutungslosigkeit ihrer Wahlentscheidung mit jeder Wahl aufs Neue vor Augen geführt wird. Vier Jahre wurde im Bund gegen eine Mitte-Links-Mehrheit regiert. Und nach den letzten Landtagswahlen in Thüringen und an der Saar wird den Wählern genau jene Partei wieder als Regierungspartei zugemutet, die in beiden Wahlen massiv verloren hat und deren Abwahl als oberstes Wahlziel von allen Oppositionsparteien plakatiert wurde. Immer mehr Wähler fühlen sich auf den Arm genommen, um nicht zu sagen verar....!
Münteferings saudummer Spruch, es sei unfair die Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen, trug natürlich gewaltig zum Vertrauen der Wähler bei, zumal das nur für richtige Vollblutpolitiker gilt, nicht natürlich für so windige Gestalten wie Andrea Ypsilanti.
Noch eine Bemerkung zur 89er Wahl: Obwohl in der Regierung Kiesinger, hatte sich die FDP zur Pünktchen-Partei F.D.P. gewandelt, von der vorher stramm rechtsnational-liberalen zur linksliberalen Partei, welche in weiten Bereichen, besonders der Ostpolitik, der SPD näher stand als der CDU und noch weniger der CSU. Der ganze Wahlkampf im Vorfeld der 69er Wahl war auf die Verhinderung einer absoluten Mehrheit der CDU/CSU und, wenn möglich, auf Bildung einer SPD/FDP-Koalition ausgerichtet, incl. Leihstimmenkampagne der SPD für die FDP. Hier wusste der Wähler vorher Bescheid. Dies nun mit dem Ergebnis und Verhalten der Grünen an der Saar gleichzusetzen ist nun wirklich abwegig.
Münteferings Spruch bezog sich auf das Eingehen von Koalitions-Kompromissen. Rhetorisch brillant ist er natürlich nicht. Bald Schnee von gestern.
Es galt keineswegs als ausgemacht, dass die FDP 1969 mit der SPD geht; Mischnick hatte das immer offen gelassen. Die Wandlung von der rechts-nationalen zur bürgerrechts-liberalen Partei geschah inoffiziell schon Mitte der 60er Jahre (freilich »offiziell« durch die Freiburger Thesen erst 1971; Leute wie Mende waren da längst ausgetreten).
Es kam 1966 zum Koalitionsbruch mit der CDU, was die Grosse Koalition zurfolge hatte (übrigens ging es um Steuererhöhungen; Adenauer hatte wohl Recht: Erhard konnte es nicht). Dieses Gehabe der CDU steckte vielen FDPlern noch in den Knochen. Im Vorfeld gab es wohl informelle Vereinbarungen zwischen SPD und FDP. Saher forcierte die SPD auch nicht mehr den Gesetzentwurf in der Grossen Koalition zur Einführung des Mehrheitswahlrechts.
Insofern sind die »Königsmacher«-Methoden durchaus vergleichbar. An der Saar hatten meines Wissens die Grünen keinerlei Koalitionsaussagen getroffen (was richtig ist) – insofern kann von Wählertäuschung nicht die Rede sein.
Cäsar...
... soll laut Plutarch gesagt haben, er wäre lieber der Erste in einem Bergdorf als der Zweite in Rom.
Diese Einstellung scheint Lafontaine zu teilen. In seiner konsequenten Egomanie und seinem Willen zur Vermehrung der persönlichen Macht ist er Politikern wie Strauß, Stoiber oder Haider sehr ähnlich.
Naja, Stoiber passt in diese Reihe kaum. Aber mit Strauß hat er inzwischen viel gemein.
Sagen wir mal so:
Stoiber hat zumindest versucht, so zu sein.
Ich bin wirklich kein Stoiber-Freund. Aber auch das glaube ich nicht. Das Spezl-System von Strauß (und ähnlichen Konsorten) hat er immer angegriffen; ich halte ihn im Grunde für eine »ehrliche« Haut. Ein guter Beamter, aber eigentlich kein Politiker.
Möglicherweise kann ein Griff in die Geschichte die Saar-Geschehnisse erhellen. Lafontaine hat in den 80ern bei Landtagswahlen die Strategie gefahren, grüne Themen zu besetzen. Er hatte es dabei darauf abgesehen, die Grünen aus dem Landtag herauszuhalten. Das ist ihm auch gelungen. Möglicherweise hat er dabei auch gegen die Grünen Wahlkampf gemacht.
Jedenfalls ist vorstellbar, dass es im Saarland eine alte und gewachsene Lafontainefeindschaft unter den Grünen gibt. Wieso sollten die Grünen dort auch sonderlich rot-grün drauf sein, wenn es bei der Saar-SPD für sie nichts zu holen gibt? Ich weiß zwar nicht, ob Heiko Maas Lafontaines Strategie weiterverfolgt hat. Aber solche Konflikte können ja ziemlich lange fortdauern.
Wichtiger Hinweis; danke dafür.
Ähnliche Konflikte gibte s ja in Schleswig Holstein zwischen CDU und SPD (u. a. aber nicht nur durch die sogenannte »Barschel«-Affäre).
#5 @tinius
Dass die Grünen auch bürgerlich sind, oder es immer stärker werden ist fast logisch, denn ökologisches oder umweltbewusstes Leben kostet Geld, vor allem dann, wenn man auf einen bestimmten Standard nicht verzichten will (fairtrade-Produkte, Lebensmittel biologischer Herkunft, Wärmedämmung des Eigenheims, Solarzellen auf dem Dach etc.). Wenn ich Lebensfreude bzw. Genuss mit Umweltbewusstsein und Gerechtigkeit kombinieren will, kann es eine Option sein grün zu wählen (ich behaupte nicht, dass das stimmt, und ich betreibe keine Werbung, sondern versuche mir nur vorzustellen, wonach sich Wahlentscheidungen richten).
@Metepsilonema
Ich glaube, dass viele »Grünen«-WählerInnen ihre Stimme als eine Art Ablass betrachten. Im privaten Umfeld beispielsweise outen sich »Grüne«-Wähler, die ganz normal mit dem Auto fahren, 2 x am Tag ausgiebig duschen, Textilien von »adidas« oder »Nike« kaufen, Flugreisen machen – kurz: Leute, die mit den »grünen Idealen« der 70er/80er Jahre relativ wenig im Sinn haben. Spricht man sie auf bestimmte Probleme an (Klimawandel, Atompolitik) übernehmen sie sofort fast reflexartig »grüne Positionen« und finden es ganz toll, diese Partei wählen zu können. Damit ist für sie dann das Thema mehr oder weniger weg-delegiert.
Umweltbewusstes Leben kostet nur Geld, wenn man seinen Lebensstil nach den »richtigen« Umweltstandards ausrichtet. Das Un-Wort vom »Verzicht« haben die Grünen vor vielen Jahren in die Schublade verbannt. Der Hedonismus muss nur nach bestimmten Richtlinien stattfinden – dann haben auch Grüne nichts mehr dagegen. Nur dass es dann eigentlich keine Grünen mehr sind.
Das hätte ich nicht schöner sagen können! Früher wurde vom Profit ein Dom gebaut, heute werden ehemalige Ton, Steine, Scherben-»Managerinnen« alimentiert.
@Gregor
Besser ist vielleicht Lebensstil (bourgeoise Bohemien), zumindest kenne ich zu wenig persönliche Äußerungen in dieser Richtung, um vom Ablass sprechen zu wollen.
Ich gebe aber zu bedenken: Tatsächlich sind z.B. biologische angebaute Nahrungsmittel erheblich teurer, man muss sie sich – vor allem als Familie – erst mal leisten können (ich meine regelmäßig).
Und zum zweiten: Wären tatsächlich regenerative Energiequellen in großem Maßstab verfügbar, warum sollte man dann auf einen »etwas höheren« Energieverbrauch verzichten (ich meine jetzt nicht Verschwendung)?
Ich hätte da einen kleinen Programm-Hinweis, denen ich Ihnen allen ans Herz legen möchte (vielleicht kennen Sie ihn auch schon). Meine Rede ist von »Frontal 21« im ZDF, Dienstags 21:00 Uhr, einem Polit-Magazin.
Bei solchen Fehltritten, wie sie oben beschrieben wurden, fällt mir immer nur der Polit-Satire-Beitrag »Toll!« am Ende der Sendung ein. Sehr humorvoll werden dort auch oft die Widersprüche und Fehlschläge hiesiger Politiker behandelt, ähnlich wie hier im Beitrag.