Die Bundestagswahl 2009 bekommt im Schlußspurt doch noch einen hohen Unterhaltungswert. Die FDP erhält noch einmal kostenlose Wahlpropaganda für die banale, von ihr seit Jahren gemachte Aussage, es gäbe keine »Ampel« (eine Koalition mit der SPD und den Grünen). Neu ist diese Aussage nicht. Allerdings in dieser Zuspitzung ziemlich dumm.
Noch lächerlicher machen sich die Grünen: Sie haben logischerweise schon was Rot-Grün angeht öffentlich resigniert (das wird nicht reichen). Rot-Rot-Grün schließen sie auch aus (was innerhalb der Partei mindestens derzeit Konsens sein dürfte). Und jetzt wird noch einmal bekräftigt, dass »Jamaika« (also Schwarz-Gelb-Grün) in der Karibik bleibe. Und plötzlich müsste es jedem potentiellen Grünen-Wähler dämmern: Die Stimme für die Grünen bei der Bundestagswahl 2009 ist eine verlorene Stimme.
Durch ihre Aussagen verbauen sich die Grünen vorzeitig jegliche Machtoption und richten sich freiwillig auf vier weitere Jahre Opposition ein. Jedem Wähler muß dieses selbstverschuldete Kellerdasein auffallen – und er müsste, wenn er denn Schwarz-Gelb verhindern möchte, SPD wählen. Die Zweitstimmenkampagne der Grünen gegen die Große Koalition ist lächerlich, weil die Stimme nicht produktiv verwendet wird.
Da sie sich statt in eventuellen Koalitionsverhandlungen wenigstens Teile ihrer Politik umzusetzen aus was-auch-immer-für-Gründen lieber in eine freiwillige Opposition begeben, können sie dies genauso gut mit 5% tun. Die restlichen Grünen-Wähler sollten ihre ideologischen Barrieren über Bord werfen und das tun, was zu tun ist.
Völlig richtig: Es ist ziemlich sinnlos, eine Partei zu wählen, welcher der Wille zur Macht fehlt. Durch den Ausschluss gewisser (bzw. im Falle der Grünen: fast aller) Koalitionsmöglichkeiten wollen die kleinen Parteien wohl Glaubwürdigkeit signalisieren. Und diese Rechnung scheint ja auch aufzugehen, zumindest bei der FDP: Denn seitdem sie ihr Treuegelübde gegenüber der Union wie ein Mantra wiederholen und Seitensprünge mit den Sozis ausschließen, erfreuen sich die Liberalen wieder eines höheren Zuspruchs seitens der Wähler. Und die Grünen wollen sich nach den für ihre Basis doch sehr befremdenden Jahren der Joschka-Realpolitik bei ihrer dogmentreuen Anhängerschaft wieder salonfähig machen. Lieber noch einmal vier Jahre Opposition als ein (eventuelles/künftiges) Kratzen an der Fünf-Prozent-Marke.
Ich bin mir nicht sicher, ob Rot-Rot-Grün bei einer rechnerischen Mehrheit nicht doch in Erwägung gezogen würde. Die SPD würde dann wohl Steinmeier und Müntefering über die Klinge springen lassen und Nahles, Gabriel oder Wowereit auf den Schild heben. Ob es bei den Grünen auch eines personellen Opfers bedürfte, vermag ich nicht zu sagen. Dass ein Trittin mit der Linkspartei kompatibler ist als Realos vom Schlage eines Fischer oder gar Metzger (sofern die noch nicht zur Union oder FDP desertiert sind), steht allerdings außer Frage.
Lassen wir uns überraschen, und vielleicht gibt es nach dem 27. doch eine neue Folge in der Serie »Was Ypsilanti konnte, können wir schon lange«.
Rot-Rot-Grün...
sehe ich derzeit nicht. Selbst wenn Wowereit/Nahles nach der Wahl in die SPD »putschen« würden, käme es nicht zu einerm entsprechenden Bündnis, da es (1.) die SPD endgültig zerreissen würden und (2.) die Grünen das nicht mitmachen würden. 2013 sieht das anders aus; bis dahin könnte das sogar als Heilsbringung fungieren.
Warum ist nicht auch Schwarz-Grün möglich?
Die Grünen müssten nur mehr Stimmen als die FDP erringen, sagen wir 14%, die FDP 12 und die CDU meinetwegen 34%. Lassen wir die Überhangmandate mal aus dem Spiel ergebe sich evtl. nur eine Schwarz-grüne oder eine Große Koalition. Schwarz grün hätte seinen Reiz, wenn nicht jetzt dann spätestens 2013.
Ja, Schwarz-Grün ist theoretisch möglich. Aber ich sehe nicht, wie die Grünen derzeit stärker als die FDP werden könnten (folgt man allen Umfragen). Im Bund wäre dies auch meines Erachtens noch schwieriger als in bestimmten Ländern oder auf kommunaler Ebene (wo Schwarz-Grün ja teilweise schon Standard ist [Frankfurt; Freiburg]).
Die Parolen der Grünen-Politiker, dass ihre Partei stärker als die FDP werden kann, halte ich für im höchsten Maße realitätsfremd.
Ich überspitze das bewusst – die Frage beschäftigt mich nichts desto Trotz. Könnte man in Abwandlung und Gegensatz zu Zehner nicht gleichzeitig auch sagen: Es ist ziemlich sinnlos, eine Partei zu wählen, welcher der Wille zur Position fehlt?
@alteverything
Bzw. der Wille zur Verantwortung...
Nicht, dass es um »Regieren um jeden Preis« geht. Aber es geht doch auch nicht um »Regieren um keinen Preis« – gerade als 10%-Partei.
Und was ist mit der „Funktion“ als Opposition? (Besonders in Zeiten der Großer Koalition.)
Zwar mag es sein, dass der polternde Oskar und der dubiose Gysi nicht wählbar sind – doch legen sie den Finger auf die Wunden: Und zwar so, dass es auch den Mainstream erreicht (also die schweigende Mehrheit der Konsens- und Harmonie-Süchtigen, die demokratischen Streit eher scheuen).
Klar, ist das der Moment der Wahrheit für die allzu schönen Utopien und die faulen Konzepte, wenn es dann um „das Bohren dicker Bretter“ geht, um das öde Geschäft realen Regierens. Aber in Zeiten derartiger Unübersichtlichkeit, da die „Positionen“ der Leitfiguren ernötigte sind oder anderswie windelweich und in der Defensive, kann eine radikale Formulierung durchaus etwas Weiterführendes sein – und sie ist nicht nur nötig, sondern auch legitim: Dafür sind die „kleinen“ Parteien da, solche Wählerpotenziale aufzufangen und doch noch wirksam zu machen, und sei es nur parlamentarisch. (Woher sonst käme es, dass die Redebeiträge dieser Parteien – etwa auf „Phoenix“ – oft die unterhaltsameren sind?)
Ich sehe also durchaus Ausnahmen von dem Primat des Willens zur Macht, und außerdem wird „Realpolitik“ sowieso zunehmend bzw. immer schon von außer-politischen Dingen bestimmt (etwa bloßen Sympathien für Merkel oder Wowereit).
Überspitzt formuliert: Wenn alle unwählbar sind, warum nicht das Unwählbare wählen?
Dass Frau Wagenknecht von ihrer entlegenen Ecke aus „realistisch“ diskutiert, erwartet ja eh niemand mehr. Warum sie dann aber nicht wählen, weil sie so schön radikal ist und bittere Dinge ausspricht und mit dem Unmöglichen das Klein-Klein des Möglichen ein bisschen akzentuiert? Dinge und Ansichten, die, selbst wenn man sie nicht teilt, ihre Berechtigung und Notwendigkeit haben?
Außerdem – ich habe sie neulich zufällig aus der Nähe erlebt – sieht sie wirklich besser aus als die üblichen Bedächtigen!
Um Ihren Vorschlag ins Absurde zu führen: Aber wählen wir nicht schon per se das Unwählbare? Auch, wenn wir uns für die vermeintlichen »logischen« Parteien entscheiden? Wer ist überhaupt noch wählbar? Ist das nicht per se eine »Spaßwahl«? Und: Ist meine Stimme, die ich bei der Europawahl einer Partei gegeben habe, die auf irgendwo 1,etwas Prozent kam dann nicht auch schon eine »Spaßwahl«?
Und dann, wenn man die Spaßwahl für alle deklariert hat, kommt man wieder zur ernsthaften bzw. halb-ernsthaften Wahl und da ist eine Partei, die sich mit ihren Thesen schon vor einer Wahl in der Opposition wiederfinden möchte, nicht einmal mehr lächerlich. Wählen wir, um Opposition zu wählen? Dann doch bitte gleich diese Dame hier, die mich doch alle vier Jahre immer neu mit ihren Theorien erheitert.
Oder sollte man, damit man überhaupt etwas von diesem Spiel hat, seine Stimme nicht versteigern? Warum nicht den Söldnerwähler einführen? Eine Spezies, die zwischen Resignation und Zynismus schwankt und sich fragt, wie viel die Stimme wohl wert sein mag? (Seriöse Angebote bitte weiter unten; und bitte trennen zwischen Erst- und Zweitstimme)
Widersinn als Methode
Also, diese Büso-Frau ist nur dumm und bösartig – also gefährlich, selbst wenn sie zynischerweise nur das Geld pro Stimme der Verirrten abgreift und ansonsten in der Versenkung verschwindet (aber das kann sich unser System anscheinend leisten).
Ich denke aber doch, dass es innerhalb des Systems – und wie viele Stimmen sind längst immer »taktisch« – Sinn hat, Opposition als Widerpart gegen die saturierte Entscheiderklasse zu wählen (sich also eher von ihr etwas zu erhoffen: das wäre, sozusagen, noch einmal ein affirmativer Akt im Gegensatz zur Spaßwahl). Insofern ist es auch die verlorene Stimme, die anderswie ... irgendwie zählt, wie die Nichtwähler ja auch zählen, so oder so.
Nach der immer noch größeren Zahl der Wähler, sind die Parteien eben nicht das Unwählbare (sogar wenn die Pros & Contras immer in schwierig zu sortierenden Argumentationsketten ineinander »verdreht« sind), sondern die Bewahrer des lähmenden status quo.
Ich denke übrigens sehr wohl, dass alle demokratischen Partei grundsätzlichen miteinander koalitionsfähig sind sollten. Sind sie aber nicht (überraschend oft schon aus »menschlichen« Gründen; mein Kompliment jedenfalls an Ramelow). Von daher zielt die Frage nach der Vernunft dieser politischen Anschlussfähigkeiten selber auf etwas an Relativität... in der alles Oppostionelle auch außerhalb der immanten Logik (oder der parlamentarischen Praxis) seine eigene Berechtigung hat.
»Spaßwahl« nimmt da buchstäblich schon nichts mehr ernst, während eine Wahl des Radikalen (oder eine von mir aus abwegig begründete »Protestwahl«) sehr wohl innerhalb des Spektrums von Überlegungen bleibt, die – wenn auch vermutlich oft eher paradoxerweise – weiterführend sein können. Die Stimme jedenfalls ginge nicht verloren.
(Tatsächlich habe ich diesmal meinen Schein brav ausgefüllt!)
Aber die Büso-Frau ist doch – unterhaltsam? Vielleicht mehr als Frau Wagenknecht, die auf ihren Plakaten schon wie eine Büste ihrer selbst wirkt. Sie hat doch, wie ich neulich auf einem Plakat las, das »Patent-Rezept«. Sie verspricht doch Erlösung. Immerhin. Was kann man mehr versprechen?
Wieso eigentlich immer Koalitionen? Warum nicht – wi ein skandinavischen Ländern mit wechselnden Mehrheiten versuchen, immer eine Mehrheitsmeinung zum Gesetz zu formen?
Daher das Neue in Thüringen: Ramelow tritt sozusagen von seinem Anspruch der höchsten Macht zurück (ein genialer strategischer Zug) – und die Grünen, die rechnerisch nicht »gebraucht« werden fungieren sozusagen als »Mittler« (wobei, man denke an Goethes Wahlverwandtschaften: Mittler schaffte letztlich nur Unheil).
Und Protestwahl ist etwas anderes als eine Wahl einer Partei, die sich per se ausschaltet, in dem sie Koalitions- bzw. Gestaltungsoptionen (um nicht das leicht degoutante Wort Macht zu verwenden) ausschließt, obwohl sie sich eventuell doch ergeben könnten (das die CDU/CSU nicht mit der Linken kann, ist logisch, weil es so gut wie keine Übereinstimmungen gibt).
Dass die SPD und die Grünen nicht mit der Linken können, liegt meines Erachtens eher an Personalien als an den vorhandenen programmatischen Unterschieden (die z.B. zwischen dem linken Flügel der SPD und der Linkspartei gar nicht so groß sind): Die SPD hegt immer noch gegen die Schismatiker, allen voran natürlich Lafontaine, eine verständliche Ranküne. Und dass es für viele ehemalige Bündnis-90-Leute unzumutbar ist, mit der SED-Nachfolgepartei zu koalieren, liegt ebenfalls auf der Hand. Vielleicht wäre es deshalb auch eine notwendige Voraussetzung für Rot-Rot-Grün, dass sich die Linke von einigen ihrer Funktionäre mit ungeklärter bzw. belasteter DDR-Vergangenheit trennt bzw. entsprechende Bauernopfer bringt.
Auch wenn der Leidensdruck 2013 bei der SPD vermutlich größer sein wird als heute, wird es auch dann nicht ohne einen metaphorischen Blutzoll vonstattengehen, da sich die gegenseitige Abneigung in der Zwischenzeit sicher nicht legt.
Die andere Frage ist natürlich, ob sich die Möglichkeit Rot-Rot-Grün in vier Jahren überhaupt noch bietet: Insbesondere die Linkspartei, die einen großen Anteil ihrer diesjährigen Stimmen zweifellos von Protest‑, also Wechselwählern bekommen wird, als auch die SPD könnten 2013 viel schlechter abschneiden – und dann wäre eine Koalition des linken Lagers ohnehin schon nicht mehr spruchreif.
Abo-Verlierer in der neuen Parteienlandschaft ist natürlich die SPD, die mittlerweile wirklich zu einer Partei der Mitte geworden ist. Das bedeutet aber auch, dass sie über kein scharfes Profil mehr verfügt: Es gibt im Bundestag eine Fraktion, die sozialistischer ist; eine, die liberaler ist; eine, die konservativer und eine, die ökologischer ist. Womit soll die alte Tante also noch punkten?
Ach ja: Der Nadir der Wahl-Talkshows wurde zweifellos gestern mit der »Münchner Runde« erreicht. Sigmund Gottliebs ständige Inswortfallerei war wirklich unerträglich, ebenso seine immer wieder durchscheinende politische Schlagseite. Nicht dass ich für die Linke oder Herrn Ernst große Sympathien besäße, doch dessen Unmut gegen Gottlieb war gerechtfertigt.