Nicht, daß ich mit Philipp Mißfelder Mitleid hätte. Nein. Und natürlich ist Dirk Kurbjuweits Artikel »Der Schattenmann« (Spiegel v. 22.05.09; pdf-Dokument) irgendwie ein »exemplarischer Text«. Aber auch wenn Kurbjuweit Mißfelder als exemplarisch für einen bestimmten Typus Politiker nimmt – geht er nicht manchmal zu weit?
Sobald Mißfelders Handy vibriert, hat er eine neue Lage, auf die er reagieren muss. Da das Handy ständig vibriert, fehlt die Zeit zur Besinnung, zum Nachdenken, Politik wird zum Minutenereignis. So etwas wie eine Linie wird unbedenkbar. Aber es ist nicht so, dass Mißfelder dies vermissen würde.
Oder zu einem Satz Mißfelders zur Kanzlerin:
Das ist ein kleiner, mieser Politikersatz, wie man ihn oft hört von Leuten, die sich nichts verderben wollen, und Mißfelder sagt ihn ohne Grinsen, ohne sein Lachen, als glaubte er das so.
Wie oft hat Kurbjuweit diesen miesen Politikersatz bei anderen schon herausgestellt? Warum dieses Ausplaudern von ansonsten oeinlich genau unter Verschluß gehaltenem Wissen?
Macht sich Kurbjuweit zum Büttel von anderen Personen, die diesen Mißfelder einfach nur loswerden wollen? Warum nehme ich dem »Spiegel«-Büroleiter Berlin dieses aufklärerische Pathos nicht ab? Warum muß er dafür ad hominem schreiben und das Gewicht Mißfelders immer en passant angeben?
Soll uns das auf die »richtige Seite« bringen:
Es gibt wohl keinen Politiker, der sich so schamlos zu seiner Inhaltsleere und seinen Machtträumen bekennt wie Philipp Mißfelder. Er ist Spezialist für Kommunikation, für nichts anderes. Inhalte sind seiner Ansicht nach für hinterbänklerische Spezialisten, für Beamte. Diese Arbeitsteilung gibt es schon länger, in Mißfelder findet sie ihre Zuspitzung.
Bedient da jemand nicht ein bisschen arg das Klischee vom »Mißfelder in uns«:
Nicht alle in dieser Welt sind wie Philipp Mißfelder. Aber in allen steckt etwas von ihm. Es ist die Zuspitzung, die Verdichtung des politischen Systems.
Oder ist es nur, weil Kurbjuweit Mißfelder nicht als »tragischen« Politiker darstellt, der vom geraden Weg abgekommen ist sondern ihn uns als das große Arschloch zum Spott vorwirft?
Ich frage ja nur.
Heuchel gehört zum Handwerk
Ich kann Phillipp Mißfelder auch nicht ausstehen, und halte seine vollmündigen Äußerungen auf Kosten alter Menschen und ALG II-Empfänger für das Allerletzte.
Allerdings: Kurbjuweits Artikel erweckt in mir den bösen Verdacht, dass er sich einen Politiker heraussucht, der ohnehin den (m. E. berechtigten) Ruf hat, ein ziemliches Arschloch zu sein. Einer, dessen Popularitätswerte sowieso im Keller, ach was, im Bergwerk, von Sole 12 abwärts, sein dürften. Einer, mit dem er’s ohne große Gefahr »machen kann«.
Über die Motive Kurbjuweits kann ich nur spekulieren. Nehme ich seinen Text beim Wort, dann beobachtet er Mißfelder-mäßige Verhaltensweisen bei vielen Politikern, und traut sich nicht, dass unter Namensnennung zu Sprache zu bringen. Mißfelder hat sich wahrscheinlich seine politische Karriere schon verspielt (es sei denn, ein »Mann fürs Grobe« wird gebraucht, den man, wenn die groben Maßnahmen beim Wähler oder der Parteibasis nicht ankommen sollten, problemlos opfern kann).
Deshalb nehme ich dem »Spiegel«-Büroleiter Berlin das aufklärerische Pathos nicht ab. Weil er sich, wie ein Raufbold auf dem Schulhof, als Oper jemanden aussucht, der schwach und allgemein unbeliebt ist – und andere, die es, sogar nach Kurbjuweits Andeutungen, vielleicht mehr verdient hätten, verschont.
Ich gebe mal zu Bedenken, daß Parteien die Leute fürs Grobe immer brauchen werden, und daß Mißfelders Weg in der Partei als würdiger Nachfolger von Dregger, Geißler – zu Generalsekretärszeiten – und Koch vorgezeichnet scheint, und es mich eher Wunder nimmt, daß mit einigen Nachfolgern als Generalsekretär bislang ein relativ ziviler Verlautbarungston in diesem Amt zu herrschen scheint. Mißfelder inszeniert sich selbst, ist aber gleichzeitig unabdingbares Instrument seiner Partei. Und er ist vielleicht die deutlichste Inkarnation eines Zeitgeistes, die wegen dieser Deutlichkeit ebenso deutlich angegriffen werden kann – in meinen Augen auch sollte. Ich persönlich bevorzuge allerdings eher sachlich – analysierende Artikel, die nicht wie eine Homestory anmuten.... Allerdings scheinen mir Intention und gewählte Form in diesem Fall stimmig zusammenzupassen, wenn man das unter textkritischem Blickwinkel betrachtet. Wie Gregor richtig feststellt – ein Unbehagen bleibt dennoch.
Spekulation über Missliche
Vielleicht ist das ja einer der Fälle, wo ein von der Schreibweise her eigentlich unjournalistisches Moment in eine Schreibe mit hinein gerät, deren Schreiber sich – mittels der Transmission des Atmosphärischen, des Kolorits, des Insider-Details – eben von dem üblichen sachlichen Ton etwas absetzen möchte und als Person in seiner Ansicht selber deutlicher werden? Er bringt sich mit einem implizit Richtigeren, nämlich seinem eigenen Maßstab zur Sache mit ein. (Ich kenne Kurbjuweits Schreibe sonst nicht, ich spekuliere also nur.)
Und es wäre das eine Schreibe, worin man – wenn nicht sogar etwas vom guten alten „new journalism“ – auch etwas vom Blogosphärenklang hören kann, einer Freiheit des Subjektiven, die dennoch nicht im Privaten verharrt, etwas à la Huffington-Post (wo hier die „Alphablogger“, die es nötig haben sich so apostrophieren zu lassen, erst mal hinwollen) : Jemand, der an einer Quelle ist und sich mit „Sachlichkeit“, also deren Vorgeblichkeit begnügen könnte, erlaubt sich eine subjektive Färbung, ein Meinungs-Element. (Wie sie ja auch manche Reporter drauf haben, die gerne persönliche Wertungen mit einfließen lassen und „schildern“, Thomas Tuma etwa.)
Das „Pathos“ wäre dann eigentlich ursprünglich keines, sondern entsteht durch den Einfluss der anderen Textbehandlung, es ist sozusagen ein, mit der Nahführung des geschilderten Gegenstands, nebenher produziertes Insistieren: Der Berichterstatter ist an seinem Gegenstand sozusagen „dichter dran“. Außerdem ist er ja auch wer auf dem Markt der Agierenden und muss da auch mal eine Marke setzen. („Position“ zeigen.)
Weil – und das ist das Elend und die Antriebskraft der Missfelders, wie auch seiner Agenten, vulgo Öffentlichkeit – diesen Gegenstand / Protagonisten aber noch nicht alle, sondern eher nur interessierte Leser kennen, kann / muss der Reporter ihn mittels dieser Verstärkung leicht verstärken, kann er sich aber außerdem leisten, etwas mehr aufzutragen, um sich selber damit ein bisschen zu erhöhen.
Das Klischee der Missfelders allerdings existiert auch wirklich, und es ist auch ein dankbares Feindbild, also muss es auch noch eine Zeit lang bestätigt werden, bis es „rum“ ist. Bis dahin lese ich so was ganz gerne: Ich habe ja auch „niedere Triebe“ und an Objektivität glaube ich eigentlich nicht. Auch fühle ich keine Verpflichtung solch einem Typ Politiker gerecht werden zu müssen. Mitleid mit einem Missfelder hätte ich nicht.
Vollkommen unironisch gemeint: Was für interessante Kommentare!
@MMarheinecke
Vollkommen d’accord, was diesen Eindruck angeht: Da wurde jemand gefunden, der irgendwie für »vogelfrei« erklärt worden ist – vom wem auch immer (diese Information verschweigt Kurbjuweit). Das erzeugt mir dieses Unbehagen: Sich auf Kosten eines (zugegebenermaßen unsympathischen Pseudo-Politikers) mal so richtig auszutoben.
@tinius
Das mit den »Männern fürs Grobe« ist so eine Sache. Etliche der CDU-Granden waren zu ihrer Jugendzeit (also zur »Mißfelder«-Zeit) eher Rebellen; sogar Helmut Kohl galt anfangs als aufmüpfig und hat damit gepunktet (und ein Netzwerk geknüpft). Mißfelder versucht’s offensichtlich umgekehrt: Er wird als skrupel- und substanzloser Karrierist gezeichnet, also das, was die Kohls, Geißlers und Kochs erst wurden, als sie unmittelbar vor einem grossen Ziel standen oder »angekommen« waren. Vielleicht ist das der Unterschied: Früher wurden die »Rebellen« (die nicht radikal sein durften) domestiziert bzw. herangeführt, heute versucht man erst gar nicht mehr rebellisch zu sein, sondern antichambriert.
@en-passant
Keine Frage, auch ich lese so was gerne. Nur: Die Person Mißfelder ist mir dafür zu »billig«. Ein bisschen rustikal gesagt: Ich will nicht, dass das Ferkel geschlachtet wird, sondern ich will … naja, ist schon klar, oder?
Und tatsächlich: Kurbjuweits Artikel (seine Schreibe kenne ich auch nicht) hat etwas bloghaftes in seiner unverhohlenen Parteinahme, Fabulier- und Dekonstruktionslust. Aber wäre so etwas nicht von einem zu Guttenberg oder irgendeinem anderen »shooting star« auch sagbar? Wenn Kurbjuweit suggeriert, dass es ein »Prinzip Mißfelder« gibt, müsste er irgendwann vom spezifischen ins Allgemeine wechseln. Das unterbleibt jedoch. Natürlich: Es ist auch mal schön, keinen dieser normalen weichgespült-ausgewogenen Artikel zu lesen, der einem schnell langweilt. Es ist auch schön, keinen hysterischen Alarmismus lesen zu müssen. Aber dennoch: Nach der Lektüre bleibt mir irgendwie ein Loch im Bauch wie nach einem Essen bei McDonalds.
Also diesen Artikel find ich ziemlich langweilig
aus dieser ziemlichen Distanz. Der Missfelder wie er aussieht
erinnert mich, sein Gesicht, an den beruehmten Baseball Spieler »Babe Ruth« und an einen beruehmten Amerikanschen Boxer! Auch an eine gewisse Art von Sexual Verbrecher... aber ich bin schon seit 4 Uhr morgen auf und brauch
jetzt meinen Nachmittags Schoenheits Erholungs Schlaf. »A nap.«
Ihre Langeweile mag...
daran liegen, dass die US-amerikanischen Kommentatoren / Journalisten ganz anders vorgehen als in Deutschland.
Nein daran liegt meine Lange Weile nicht...
der Spiegel Mensch verhunzt da jemanden der eigentlich scheinbar nichts besonderes geleistet hat ausser dass er der Führer der Jung Christ Demokraten ist und das Ohr der Kanzlerin hat und sich als Poliker benimmt, vielleich verpass ich da was. Die Art und Weise wie der Journalist vorgeht ist gar nicht so verschieden von hier, aber um so was, sagen wir bei dem entsprechenden Organ, Newsweek oder Time anzubringen, müsste das Sujet interessanter sein. Also, der Journalist versucht schon brav das irgendwie aufzuputschenn... aber nach der Haelfte davon hab ich abgeblasen. Warscheinlich intern-politisch in Deutschland ist das bedeutungsvoller. xx m..r
Nein, es ist innenpolitisch nicht bedeutungsvoller und damit berühren Sie den Punkt, der mich ja so stört. Normalerweise werden private Äusserungen von Politikern, sofern sie Journalisten zugängig werden, in Deutschland nicht berichtet. Da gibt es eine gewisse Etikette. Die wurde hier m. E. durchbrochen, d. h. da hat jemand (von den hohen Funktionären der CDU) einen politischen »Jungstar« sozusagen zum »Abschuss freigegeben«.
Dadurch bekommt Mißfelder erst noch zusätzliche Bekanntheit – obwohl seine politische Karriere wohl beendet sein dürfte (was kein Schaden ist, eher im Gegenteil).
Was mir auch nicht gefällt ist, dass unterschwellig suggeriert wird, dass alle Politiker Attitüden von Inhaltsleere und Speichelleckerei à la Mißfelder eigen sind. Das halte ich für eine gefährliche Verallgemeinerung.
In diesem stimme ich mit dem Keuschnigg ueberein
»Was mir auch nicht gefällt ist, dass unterschwellig suggeriert wird, dass alle Politiker Attitüden von Inhaltsleere und Speichelleckerei à la Mißfelder eigen sind. Das halte ich für eine gefährliche Verallgemeinerung.« Das war aber zu einer Zeit – des 1973 »Leben Ohne Poesie« auch Handke’s Meinung!
Aber wenn der Kerl jetzt kaput gemacht ist als Politiker, mit so’nem Gesicht und Koerpergewicht wuerde ich ihn sofort beim Berliner Ensemble anheuren, oder ihn einem gescheiten Film Regisseur anraten: seit dem 13ten Lebensjahr steht der auf eigenen Fuessen, redet, quasselt vor and auf Versammelungen; Schauspielen musss er auch schoen koennen als Politiker. Das macht doch auch viel mehr Spass, vergiftet einen nicht so dass Leben. Nur mit anderen CDU Leuten das ganze Leben zu verbringen – das ist ein Hoellenkreis an den Dante bis jetzt nicht gedacht hat!
Wenn er schauspielern würde, dann immer nur sich selber bzw. denjenigen, den er für sein Ich hält. Solche Schmierenkomödianten gibt es schon genug.
Ist diese – vermeintliche – Inhaltsleere nicht auch / nur ein Zeichen der derzeitig recht eindeutig geklärten Machtverhältnisse in der CDU, die Frau Merkel wirklich eindrucksvoll für sich entschieden hat – gegen sie angehen kann im Moment doch nur – und das allenfalls bedingt – Seehofer, der von einer ganz anderen Basis her agieren kann ? (Im Falle der SPD wirkt dagegen eher der reine Überlebensinstinkt angesichts und im Vorfeld eines allenfalls zu verlierenden Wahlkampfs...). Sollte Merkel angezählt werden – in 2009 eher nicht zu erwarten – wird es erhebliche Fraktionierungen und damit mehr und konkurrierende Inhalte geben..., in der SPD wird Ende September zumindest heftige Unruhe einziehen, Guido W. und sein Kurs stehen schon lang auf der Agenda, ihn retten die nicht unerheblichen Stimmgewinne in Umfragen und bei der Europawahl. Bei den Grünen hat Frau Künast gerade schwarz – grün auf Bundesebene angedacht, was mit Sicherheit zu – hier zwangsläufig – inhaltlichen Debatten führen wird...
@tinius
Guter Einwand! Natürlich dominiert Merkel die CDU im Moment und jegliche Diskussion wird mehr oder weniger schnell abgebürstet. (Wehe, Sie verliert im Herbst, dann ist sie ganz schnell weg.) Dass sie gleichzeitig auch visionslos herumtorkelt, hat mit der negativen Erfahrung bei der Festlegung im Wahlkampf 2005 zu tun, den sie mit ihrem wirtschafts-liberalen Programm fast noch verloren hätte. Die CDU ist da angekommen, wo sie Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre bei Kohl war: sie ist nur noch ein Kanzlerwahlverein.
Das Ungeheuerliche bei Mißfelder ist ja, dass er sich offensichtlich zur Inhaltsleere zu bekennen scheint und sich gar nicht erst der Mühe unterzieht, Fassaden aufzubauen.
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Bei der SPD vermute ich eine grandios verlorene Wahl. Danach wird die linke in der SPD (Wowereit/Nahles) die Macht übernehmen; die letzten Schröderianer werden in Pension gesetzt (sie dürfen dann bei Schlichtungsverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften gelegentlich noch mal aushelfen). 2013 soll Rot-Rot-Grün laufen.
Schöner Eintrag
Herrn Kurbjuweits Artikel ist m. E. populistisches Politiker-Bashing, vorgetragen mit der überheblichen Distanz des Alpha-Journalisten. Blogger mit dem Pseudonym Keuschnig: Großes Lob, dass Sie (Du?) hier nicht zum publizistischen Aasfresser geworden sind, sondern Ihre mehr als berechtigten Einwände gegen diese verbale Enthauptung zu Bildschirm gebracht haben.