So wie der Torso Apollos im Louvre von Paris im Jahr 1908 zum Dichter Rainer Maria Rilke mit seiner durchlichtende[n] Äußerung des Seins in einem anthropomorphen Akt zu sprechen beginnt und ihn aufruft »Du mußt dein Leben ändern«, so möchte auch Peter Sloterdijk den Leser mitreissen und affizieren. Begeistert ob dieser (säkularistischen) Inspiration weist er in seiner höchst originellen Lesart des Rilke-Gedichts en passant auf die beiden wichtigsten Worte dieses absoluten Imperativs hin: Zum einen das »Müssen« – zum anderen das Possessivpronomen: hier sind weder Ausflüchte noch Delegationen erlaubt und die Konsequenzen könnten einschneidend sein.
Und so nimmt Sloterdijk Fahrt auf zur Lebensänderungs-Expedition. Dabei soll (in Paraphrase zu Wittgenstein) der Teil der ethischen Diskussion, der kein Geschwätz ist, in anthropotechnischen Ausdrücken reformuliert werden. So wird der Übende, der Akrobat, zur Galionsfigur des Sich-Ändern-Wollenden installiert und bekommt dabei fast zwangsläufig das Attribut »asketisch«, denn der größte Teil allen Übungsverhaltens vollzieht sich in der Form von nicht-deklarierten Askesen. Kein Ziel kann da hoch genug sein (und das im wörtlichen Sinn). Rilkes Vollkommenheits-Epiphanie als unumkehrbares Aufbruchsmoment, als Vorbild für den heutigen Trägheitsmenschen. Sloterdijk als Trainer (das ist derjenige, der will, daß ich will oder doch eher eine Re-Inkarnation Zarathustras, denn kein Zweifel kommt auf, daß hier Nietzsche der grosse Motivator ist, sozusagen der »Über-Trainer«.
Weltverbesserung und Krüppelexistentialismus
Zusammen mit seinem anderen Co-Trainer Heidegger, dem Re-Vitalisator des Daseins, versucht Sloterdijk den Leser aus (s)einer modernen Bequemlichkeits-Lethargie aufzurütteln – ohne dabei mit esoterischen Lebenshilfepropheten oder billigen Parolendreschern verwechselt zu werden. Hart geht er mit den Kulturkritikern ins Gericht, die den Menschen im Fatum seiner Existenz verhaftet sehen. So greift er Bourdieus Habitus-Begriff stark an, den er als Ausrede für ein autosuggeriertes Klassenbewusstsein begreift. Dieser leidenschaftliche Versuch den Ausgang des Menschen aus seiner oktroyierten und dann (willig?) selbsteingebildeten (soziologischen) Schicht herbeizuschreiben, um die Klassengesellschaft in eine Disziplinengesellschaft zu überführen, lohnt die Lektüre.
Das Sloterdijksche Ziel ist, auch wenn er das in dieser Form bestreiten würde, auf Weltverbesserung ausgerichtet. Und hier kann tatsächlich jeder mitmachen, wie er in einem bemerkenswerten Kapitel über Carl Hermann Unthan ausführt, einem armlosen Geigenspieler, der Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts mit seiner Kunst durch erst durch Varités zog, bevor er als anerkannter Solist in Konzertsälen spielte. Sloterdijk versucht die Übungsintensitäten dieses Mannes nachzuempfinden, entdeckt dabei einen vitalistisch gefärbte[n] Krüppelexistentialismus (mit Melancholie-Verbot; ergänzt wird dieses Kapitel mit Bemerkungen zu Hans Würtz und seinem Buch »Zerbrecht die Krücken«) und transformiert ihn ins Allgemeine.
Aber der Weg, der zum Aufstieg werden soll, ist an Voraussetzungen geknüpft. Erst durch eine Evakuierung des Innenraums durch Ausräumung des Nicht-Eigenen, der Absetzung von der Mitwelt und den dann folgenden Rückzug in sich (Sezession von der Gewöhnlichkeit bzw. Rezession genannt) wird die Grundlage zum übenden Wesen gelegt, welches das Dasein des Menschen von morgen begründen soll, und zwar einschließlich der Willensgymnastik und der Mutproben für die eigenen Kräfte – hier ist Sloterdijk ganz Nietzsche-Adept, wobei er sehr früh die biologistischen Implikationen, die Nietzsche-Verächter zügig heranziehen, um nicht tiefer in die Materie eindringen zu müssen, verwirft (bzw. in den Kontext der Zeit stellt): der »Übermensch« sei impliziert kein biologisches, sondern ein artistisches, um nicht zu sagen: akrobatisches Programm.
Lösung aus den religiösen Affekten
Diese Formen von Exerzitien wecken natürlich zahlreiche Assoziationen zu religiösen und spirituellen Handlungen und Versenkungen. Diese werden en détail, achtungsvoll und sogar als durchaus vorbildhaft für den heutigen Übenden beschrieben. Dennoch rechnet Sloterdijk mit Verve mit den religiösen Affekten speziell der Neuzeit ab – respektvoll mit dem somatischen Religionsstifter Pierre de Coubertin, der mit seinem Olympismus allzu naiv die Welt über die Wiedereinführung des Griechentums retten wollte, beißend-ironisch mit dem Religionsparodist[en] und Business-Trainer, in der Tradition moderner Scharlatane stehenden Ron Hubbard, dessen psychotechnische Übungstruppe immerhin indirekt aufklärerisch aufzeigt, wie einfach letztlich das Stiften einer Religion sein kann (die Gefahren dieser »Psychology-Fiction« für den Einzelnen werden dabei durchaus erkannt). Aber auch Religionen, wo das Interesse an Letztversicherung die affektive und ästhetische Besetzung der vorletzten Dinge sabotiert, wie beispielsweise das Christentum werden kritisch betrachtet (naturgemäß weniger die fernöstlichen Erzählungen).
Religionen sind nichts anderes als Komplexe von inneren und äußeren Handlungen, symbolische Übungssysteme und Protokolle zur Regelung des Verkehrs mit höheren Stressoren und »transzendenten« Mächten – mit einem Wort Anthropotechniken im impliziten Modus. Glauben geht mit einer Suspension der Empirie daher. Nur der ist in der Lage zu glauben, der imstande ist, sich gegen die Autorität des Augenscheins zu entscheiden. Dem gut organisierten Eremiten der Moderne (bzw. der Neo-Antike, der Ära »nach der Moderne«) kommt die Inkludierung oder gar das Abdriften in die von Sloterdijk in Anführungszeichen gesetzte Religion nicht in den Sinn; er begreift dies als obsolete Regression, die höchstens noch als autarkes System ihr Refugium hat (ein Religionsstürmer ist Sloterdijk dabei nicht; er kritisiert die Oberflächlichkeit des Neuen Atheismus à la Hitchens und Dawkins ausdrücklich).
Das Ziel des asketischen Übens muß demnach ein anderes sein als Gottgefälligkeit oder Gottesnähe zu erreichen. Wobei Sloterdijk durchaus hart mit der (von ihm sogenannten) Pseudo-Säkularisierung der Moderne verfährt und sogar von einem Mißverständnis spricht. Er sieht das Hauptereignis dieser Epoche nicht in der Ära der Säkularisierung (die meisten hätten sich, so wird suggeriert, in einen offen lassenden Agnostizismus oder Religions-Eklektizismus begeben), sondern in der Entradikalisierung der ethischen Unterscheidung – oder…: Devertikalisierung der Existenz.
»Vertikalspannungen«
Diese scheinbar rein deskriptive Bemerkung bekommt durchaus Brisanz, wenn man als essentiellen Makel der Moderne das Streben nach einer Art Rigorismus der Egalität begreift. Sloterdijk schickt seinen Übenden in Opposition, in dem dieser sich den Vertikalspannungen, die sich aus seiner Akrobatik ergeben, nicht nur stellt, sondern sie aushält und sich auf ihnen sozusagen zum »Leader« gegen die träge gewordene Rest-Welt empor manövriert. Leicht erliegt der unaufmerksame Leser dem Irrtum, Sloterdijk huldige damit einem neuen Hierarchie- oder Elite-Prinzip. Vertikalität wird stattdessen definiert als eine ethisch kompetentere und empirisch adäquatere Alternative zu der grobschlächtigen Herleitung aller Hierarchie-Effekte und Stufenphänomene aus der Matrix von Herrschaft und Unterwerfung. Das klingt sehr schön, wird aber im weiteren Verlauf des Buches außer vagen Anregungen zu einer neuen Disziplinistik (einem Vorboten der Askese?) nicht konkretisiert; zumal Sloterdijk von den herrschaftsfreien Diskursen gleich weit entfernt zu sein scheint wie von starren Hierarchien, wie seine Ausfälle der Frankfurter Philosophenschar gegenüber dokumentieren.
Was aber, wenn das »Basislager-Problem« auftritt? Was, wenn die anfangs willigen Expeditionsteilnehmer mit ihrem Basislager, welches Ausgangspunkt zum steinigen Gipfelaufstieg sein soll, als Aufenthaltsort vollkommen zufrieden sind und sich in ihrem »Habitus« eingerichtet und damit abgefunden haben? Wenn die finalen Spießer […] wollen, was sie haben, nur komfortabler? Was, wenn das Wollen des Nicht-Wollens unter dem Vorwand der Demut virulent zu werden droht? Mit Grandezza beseitigt Sloterdijk für lange Zeit die Zweifel:
Mochten die Stoiker der Antike ihr Leben dem Versuch gewidmet haben, durch stetiges Üben in sich die Statue aufzustellen, die in unsichtbarem Marmor ihr bestes Stück herausarbeitete – die Modernen finden sich als fertige Trägheitsplastik vor und stellen sich im Identitäten-Park auf, gleich, ob sie den ethnischen Flügel wählen oder das individualistische Freigelände bevorzugen.
[…] Entscheidend ist, daß der Gedanke an neue Höhen verpönt sein muß – würden solche erklommen, könnte eine Wertminderung bei den eingelagerten Beständen eintreten. Wenn und weil im Basislager das bisher Erreichte als solches unter Kulturschutz gestellt wird, bedeutet jedes Expeditionsprojekt in der Vertikalen einen Frevel, eine Verhöhnung aller gerahmten Werte. Im Identitäten-Regime werden sämtliche Energien devertikalisiert und der Registratur übergeben. Von dort aus geht es direkt in die permanente Sammlung, in der es weder »progressive Hängung« noch evolutionäre Stufung gibt. Im Horizont des Basislagers ist jede Identität jede andere wert. Identität liefert folglich den Super-Habitus für alle, die so sein wollen, wie sie aufgrund ihrer lokalen Prägungen wurden, und meinen, das sei gut so. Auf diese Weise stellen die Identischen sicher, außer Hörweite zu sein, sollte unvorhergesehen wieder irgendwo der Imperativ »Du mußt dein Leben ändern!« zu hören sein.
Die Wiederentdeckung der Vollnarkose
Wer ginge da nicht erst einmal geduckten Hauptes mit seinem Rucksack weiter? Und so setzt sich der Leser dem gelegentlich donnernden Aphorismusgewitter geduldig aus, hört die Kritik an Wittgensteins Lehrerrolle (er nennt ihn einen Narodnik, der sich im Jahrhundert geirrt hatte), liest ein Lob über Foucault, der den Weg zu einer allgemeinen Disziplinistik begründete, bekommt verblüffende Lesarten zu Kafkas »Hungerkünstler« und »Bericht für eine Akademie«, streift den metaphysisch Hungernden Emile M. Cioran, diesen Meister des Es-zu-nichts-Bringens, für den Nietzsches Übermensch nur ein aufgeblasener Hausmeister darstellte, erfährt nahezu alles über Trainer (inklusive ausgezeichneter, zehnteiliger Typologie – paritätisch ausgewogen: fünf spirituelle und fünf akrobatische Trainertypen), liest über den Unterschied zwischen Trainer und Pädagoge, erhält eine Ahnung, warum das Schulwesen so ist, wie es ist, bekommt den spiritualisierten Sezessionsmus nebst Extremismus des frühen Christentums erläutert, lernt den Unterschied zwischen Sezessionisten und Sesshaften kennen, erregt sich mit dem Autor über die ideologische Blindheit Sartres, vernimmt harte Worte über die fortschreitende Pervertierung des Sports durch das Doping (das ideale Übungssystem wird dadurch dauerhaft beschädigt), hört etwas vom naiv-großen Denker der Weltverbesserung Hermann Bloch und bekommt einen Einblick in die Denkstrukturen beispielsweise der russischen Revolutionäre, Benedikt von Nursia, dem Heiligen Franziskus (das Christentum…suchte den Superstar), erfährt fast nebenbei, daß Hegels Philosophie Verarbeitung von frustriertem Idealismus sein dürfte und ist verblüfft von der Feststellung, daß die Wiedereinführung der Vollnarkose am 16. Oktober 1846 (»ether day«) die anthropotechnische Situation der Moderne radikaler verändert habe als jedes einzelne politische Ereignis oder jede sonstige technische Innovation seither.
Nietzsche, Heidegger – und Sennett
Das sind nur einige der teilweise weit entlegenen Täler, in die der Expeditionsteilnehmer mit immer schwererem Gepäck in ständigem Auf und Ab geführt wird – mal in Serpentinen und dann auch wieder steil hinauf in die Höhe. Sloterdijks Ausführungen scheinen parallel auch eine gut getarnte Topografie des Umwegs zu sein.
Neben Nietzsche ist dieses Buch mehr als nur im entsprechenden Kapitel (Meisterspiele) von Richard Sennetts »Handwerk« inspiriert, wenn nicht beeinflußt. Nicht nur die Parallelen zum Eremiten Sloterdijks mit den »ihrer Arbeit mit Hingabe nachgehen[den]« Handwerkern des »engagierten Tuns« sind offensichtlich. Insbesondere wenn Sennett die negative Konnotation des Begriffs der Routine in die positive Formulierung des »Übens« überführt und als »Entwicklungsvorgang« darstellt, sind die Übereinstimmungen frappierend. Später führt Sloterdijk listigerweise noch den Begriff der Wiederholung ein (Was ist ein Kulturträger, wenn nicht der Hüter der Wiederholung?). Während Sennett allerdings seine Übungslehre als kulturanthropologische Betrachtung anlegt und mit durchaus egalitärer Tendenz soziologisch ausstattet, kommt Sloterdijk philosophisch als ein Übermensch-Trainer des 21. Jahrhunderts daher, der das »Handwerkliche« in das »Akrobatische« verwandelt.
Die Moderne, so gibt Sloterdijk dem potentiellen Sezessionisten auf den Weg, bindet uns an ein Gemeinwesen, das keine Auswanderung mehr kennt. Seit wir in ihm leben, besitzen wir alle den gleichen Paß, ausgestellt durch die Vereinigten Staaten der Gewöhnlichkeit. Sämtliche Menschenrechte sind garantiert, ausgenommen das Recht auf Ausreise aus der Faktizität. Deshalb werden die meditativen Enklaven mit der Zeit unsichtbar, die Wohngemeinschaften der Weltfremdheit lösen sich auf. Die heilsamen Wüsten veröden, die Klöster entleeren sich, Urlauber treten an die Stelle von Mönchen, Ferien ersetzen die Weltflucht. Die Halbwelten der Entspannung geben dem Himmel wie dem Nirvana empirisch Sinn.
Es gibt Imperative – aber gibt es eine Ethik?
Da erscheint das neue Gesetz des absoluten Imperativs notwendig: »Hiermit trete ich aus der gewöhnlichen Wirklichkeit aus«. Sloterdijks Akrobat ist der Passionsspieler des In-der-Welt-Seins, wobei die Welt des Akrobaten eine andere ist als die des Nicht-Akrobaten (da ist Sloterdijk dann wieder ganz bei Wittgenstein).
Zwischendurch erweckt der Autor den Eindruck, mit dem ganzen eigenen Dasein des Sezessionisten einen Unterschied zu machen, den zuvor niemand vollzog sei der Weg ins ethische Denken. Immer wieder variiert Sloterdijk »seinen« Imperativ, deklamiert einen perfektionistischen Imperativ (»Verhalte dich jederzeit so, daß die Nacherzählung deines Werdegangs als Schema einer verallgemeinerbaren Vollendungsgeschichte dienen könnte«), und passt ihn schließlich der Stoßrichtung der Moderne an, vom Du sollst dich jederzeit so verhalten, daß du in deiner Person die bessere Welt in der schlechten vorwegnimmst bis hin zum Du mußt die Welt verändern, damit du, wenn sie im richtigen Sinn umgestaltet ist, dich guten Gewissens an sie anpassen kannst.
Auch wenn er gegen Ende wuchtig postuliert, daß der Fortschritts- und Entwicklungsgedanke in der Moderne als schlimmster Feind der radikalen Metanoia alten Stils erwiesen habe (Metanoia übersetzt Sloterdijk selber mit Gesinnungswandel; zu seinem Begriff der politischen Metanoia gibt es interessante Ansichten in seinem Nachkriegszeiten-Buch) – er betreibt unter der Hand doch das Geschäft des Fortschritts und macht aus dem Übenden, der sich mit Leidenschaft, Sennetts Handwerksgeschick und einer gewissen Impertinenz, die als Variationen von Askese aufgehübscht werden, den neuen Leistungsträger der Moderne; derjenige, der die scheinbare Aussichtslosigkeit der Dichotomien wie der vermeintlichen Sachzwänge negiert.
Nicht überzeugend ist die Darstellung der Re-Emigration des Eremiten, der nicht dauerhaft in seiner weltflüchtigen Klausur verharren kann. Grundsätzlich ist ein solcher Abstieg sicherlich irgendwann geboten, aber die Begründung überrascht schon, soll doch aus dem eigenen Dasein ein Gegenstand der Bewunderung zu formen sein, der sich natürlich eines Tages auf die Bühne bringen und aus der inneren Performance eine äußere zu machen habe. Als sei ein zu erwarteter Applaus Movens der Sezession gewesen. Und was geschieht, wenn die Resultate der Klausur ein Ergebnis brächten, welches ad hoc keine Bewunderung fände, denn schließlich ist doch die allesinfiltrierende Massenkuktur aufgrund ihrer siegreichen Mischung aus Simplifikation, Respektlosigkeit und Unduldsamkeit jeder normativen Vorstellung von Höhe abgeneigt, erst recht von Höhen, an denen sie sich messen sollte?
Leuchtende Momente
Selten wird Sloterdijk konkret, was Übungs-Resultate angeht. Interessant wird es dann, wenn er bemerkt, wie der Asket sich vom Zwang, einen Feind zu haben [emanzipiert], in dem er einen universalen Feind in seinem Innern wählt, von dem in der Außenwelt nur zweitklassige Projektionen auftreten können. [...] Die moralische Askese nimmt dem Feind die Macht aus der Hand, uns zum Zurückschlagen zu nötigen. Wer die Ebene des Regierens auf Feindschaft übersteigt, löst den ‘circulus vitiosus’ von Gewalt und Gegengewalt auf, natürlich oft um den Preis, der Leidtragende zu bleiben.
Oder wenn es um eine eventuell neu zu schaffende Ökonomie geht: Die effektive Weltverbesserung würde die möglichst generelle Vereigentümerung verlangen. Statt dessen begeisterten sich die politischen Metanoetiker für die allgemeine Enteignung – hierin den christlichen Ordensgründern verwandt, die alles gemeinsam und nichts für sich besitzen wollten. Ihnen blieb die wichtigste Einsicht in die Dynamik der ökonomischen Modernisierung unzugänglich: Das durch die Beleihung von Eigentum geschaffene Geld ist das universale Weltverbesserungsmittel. Erst recht will ihnen nicht einleuchten, daß bis auf weiteres nur der moderne Steuerstaat, der anonyme Hyper-Milliardär, als allgemeiner Weltverbesserer fungieren kann, gewiß in Allianz mit den lokalen Melioristen – nicht allein aufgrund seiner traditionellen Schulmacht, sondern vor allem dank seiner im Lauf des 20. Jahrhunderts bis ins Unglaubliche angewachsenen Umverteilungsmacht. Der aktuelle Steuerstaat seinerseits hat nur Bestand, solange er sich auf Eigentumswirtschaft stützt, deren Akteure es widerspruchslos akzeptieren, wenn ihnen durch die sehr sichtbare Hand des Fiskus Jahr für Jahr die Hälfte des Gesamtprodukts zugunsten von Gemeinschaftsaufgaben abgenommen wird. Sloterdijk spricht – ohne ideologischen Hintergedanken – in Anbetracht einer Staatsquote von 50% von einem Semi-Sozialismus. Letztlich fehle dem System nur die Etablierung einer weltweit homogenisierten Steuersphäre und die längst überfällige Vereigentümerung der armen Welt.
Es sind diese leuchtenden Stellen, die das Buch so wertvoll machen (unabhängig davon, ob man den Thesen zustimmt oder nicht). Hier bezieht Sloterdijk Position und kurz schimmern die Möglichkeiten, die Dimensionen dieser anthropotechnischen Konstruktion durch, was angesichts des üppigen Volumens des Buches (bedauerlicherweise) erstaunlich selten der Fall ist.
Allzu gerne ergeht er sich in süffisanten Beschreibungen und weite Teile sind letztlich multi-historische Exkursionen durch dreitausend Jahre Philosophie- und Kulturgeschichte (wobei der »Kultur«-Begriff beizeiten als Hyperpopanz verkündet wird). Alles wunderbar formulierte, luzide Bemerkungen, Sentenzen und Ergänzungen. Aber man merkt früh: Stringenz ist Sloterdijks Stärke nicht; sein aphoristisch-narrativer Stil hat Schwächen, wenn er die Metaphorierung seiner Akrobaten- und Askesenlehre immer weiter forciert und dabei gekonnte aber dann doch manchmal manischem Originalitätszwang unterliegende Pirouetten dreht. (Man ist dann schon amüsiert, wenn er schreibt, daß Philosophen auf der Höhe der Zeit den Mut zur Simplizität haben müssen – und dabei Richard Rorty und Hans Jonas anpreist, denen er eine jargonfreie Sprache als Tugend anrechnet.)
Die Angst des Philosophen vor der Höhe
Wer da nicht auf der Höhe des aktuellen (philosophischen) Diskurses ist, wird recht bald gezwungen auf seiner Reise auch einmal die schöne Pflanze am Wegesrand oder den Jahrtausende alten Tempel auf der Anhöhe nicht zu bestaunen, sondern die Expedition mechanisch (zwangsläufig kopfnickend) weiterzugehen; ein erstes Zugeständnis mangelnder Fitness (des Lesers? des Autors?). Aber noch ist man gewillt, dem Trainer zu folgen. Etwa, wenn von der Konversion als Subversion, über den makroegoistischen Staat, der nicht ohne blühende Mikroorganismen gedeihen kann oder äußerst anregend über die russischen Revolutionäre, deren Revolutionsrhetorik und den Vertikalisten des beginnenden 20. Jahrhunderts die Rede ist (hier wird besonders deutlich, daß der teilweise deskriptive Stil Sloterdijks Schwächen hat, da er wenigstens vorübergehend eine gewisse Übereinstimmung mit dem Beschriebenen suggeriert).
Irgendwann beginnt Sloterdijk wohl Angst vor der Höhe zu bekommen. Alte Formen seien auf ihre Wiederverwendbarkeit zu prüfen, neue Formen zu erfinden heißt es einmal. Und weiter: Ein anderer Zyklus von Sezessionen mag beginnen, um Menschen erneut herauszuführen – wenn schon nicht aus der Welt, so doch aus der Stumpfheit, der Niedergeschlagenheit, der Verranntheit, vor allem aber aus der Banalität, von der Isaac Babel sagte, sie sei die Konterrevolution. Ist dieser andere Zyklus von Sezession nach all dem vorher so emphatisch Vorgetragenen nicht nur mehr eine »Light«-Version, die lediglich noch die gröbsten Spuren der Banalität tilgen will?
Wie war das denn genau? Am Anfang nahm man die zart angedeutete Mahnung noch als Ansporn des Trainers, aber jetzt steht dort noch einmal und deutlicher, daß jeder Einzelne, auch der erfolgreichste, der schöpferischste, der großzügigste, wenn er sich ernsthaft prüft, zugeben müßte, er sei weniger geworden, als er seinem Seinkönnen nach hätte werden sollen, die wenigen Momente ausgenommen, in denen er sagen durfte, er habe der Pflicht, ein gutes Tier zu sein, gehorcht. Was bleibt ist das durchschnittliche Übertier, von Ambitionen gekitzelt, von exzessiven Symbolen heimgesucht, welches hinter dem zurückbleibt was von ihm gefordert wird, selbst im Trikot des Siegers, selbst im Gewand des Kardinals, da hilft kein Gott und Übermensch.
Aber was ist das für ein Trainer, der seinem Artisten auf diese Weise nur eine Perspektive auf die Zweitklassigkeit in Aussicht stellt? Warum dann nicht gleich im Identitäten-Park den Klappstuhl aufstellen und die Sonnenbrille aufsetzen? Ausgerechnet Sloterdijk, der so klug jede Aktion in den entsprechenden Kontext verorten und bewerten kann zieht sich plötzlich auf die (nicht nur christlich verordnete) Unvollkommenheit des Menschen zurück? Oder will er mit durchaus guten Absichten einer neuen menschlichen Hybris vorbeugen?
Der Leser ist verwirrt und auch ärgerlich. Begriffe wie Heterotopie; revolutionäre Orthopädie; enhancement-Fieber; das Subjekt in der auto-operativen Krümmung; die Metaphysik des Eisernen Zeitalters nebst Verteidigung des Zweiten Silbernen Zeitalters – es ist schier unmöglich im Rahmen einer solchen Besprechung die ständig neu auftauchenden Wort- und Begriffsschöpfungen wiederzugeben. All diese Kapitel haben teilweise hohen Unterhaltungswert – sofern sie nicht später im Jargon-Dickicht unpassierbar werden. Und so vernimmt man dann einiges, wie zum Beispiel die Immunologie-Lehre, nur noch im Nebel.
Alleine im Gebirge
Das Denken beginnt, wenn das Affentheater der Assoziationen aufhört – was ursprünglich als Ordnungsruf gegenüber den forschen Neurologen galt, die ihre deterministischen Theorien verabsolutieren möchten, wendet sich irgendwann dezidiert gegen den Trainer. (Über die Notwendigkeit, ja Pflicht, diesen bedarfsweise zu wechseln, ist im Buch ja auch die Rede.)
Sloterdijks Stärke – die Sprache – wird auf einmal seine Schwäche. Was im kurzen politischen Essay willkommene geistige Erfrischung und Inspiration ist, ermattet im philosophischen Konvolut. Die Ermüdung hätte durch Konsistenz gemildert bzw. aufgehalten werden können. Aber am Ende wurde der geneigte Novize verlassen, im Rucksack – so stellt er fest – eine Menge Material, daß er nun mühsam zu sortieren hat (es gibt kein Personen- bzw. Stichwortverzeichnis am Ende; ein sträfliches Unterlassen). Man hatte zwar nicht unbedingt ein funktionierendes GPS-Gerät erwartet, aber mindestens einen Kompass und Karte. Wäre nicht der Heideggersche Feldweg leichter und trotzdem ergiebiger gewesen als diese abgebrochene Gipfelexpedition? Oder ist dies schon Teil des Programms des übenden Wesens (im Heidegger-Duktus steht einmal Die Weltverbesserung ist das Gute, das Zeit braucht); Paraphrase des Prüfungsgedankens?
Und wie ist das nun mit der Enklaven-Existenz des Eremiten? Da die Religionen programmatisch ins Private verschoben wurden, den Preis, den Nietzsche, der mit Wahnsinn Geimpfte, als Zeuge für die Vertikale ohne Gott zahlte, ein sehr hoher war (falls diese Einschätzung nicht ein veritables Mißverständnis sein sollte) und der bestirnte Himmel über den Übenden längst entzaubert und inzwischen mit nordkoreanischen Satellitenattrappen kontaminiert ist, stolpert die Sloterdijksche Meta-Akrobatistik nur noch hin zu einer diffus-halbherzigen Perfektionierungsstrategie. Jetzt erst weiß man die Bemerkung vom Trainer als Führer in die Unwahrscheinlichkeit richtig einzuordnen.
Klingt das nicht verdächtig nach einer Melange aus evangelischem Pfarrhaus und fernöstlichen Übungssystemen, jeweils um die ihre spirituellen Grundfeste befreit, einer säkularen Umformung unterzogen und schließlich der Moderne anverwandelt? Die Krux dieses Verfahrens: Die Sinnstiftung bleibt dauerhaft tautologisch, da alle vorhandenen Ideale entweder nicht mehr infrage kommen, längst als falsche Weltverbesserungsoptionen entlarvt wurden, oder anderweitig besetzt sind. Der Übende vereinsamt – nicht zuletzt ideell. Man bekommt eine Ahnung, wie man üben soll, aber eben nicht was und – vor allem – warum. Dem Leser bleibt fast nichts anderes übrig, auf diese Frage aller Fragen mit einem patzigen »darum« zu antworten. Oder die Handwerker zur Renovierung des Basislagers zu bestellen. Wortakrobatik hin oder her.
Die kursiven Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch
Leseprobe aus dem besprochenen Buch
Sehr kluge und interessante Besprechung von Goedart Palm
Adepten-Räsonnement
Die Frage, die mir nach dem Lesen bis hierhin kommt, ist: Sind Antworten auf dem Level überhaupt noch möglich? Und sind sie nötig? Wenn man auf solchen Höhen von Meta-Akrobatistik sich bewegt? Wie oft ist Philosophie Selbstzweck, da sie auch ein schöner, mitreißender Rausch sein kann!
Ich habe schwerlich geglaubt – und es bisher nicht erlebt -, dass Sloterdijk auch ermüden kann. Es klingt vielleicht blöd, aber ich habe an ihn als Leser anscheinend ganz andere Bedürfnisse. Warum sollte er sich um so was wie Konsistenz und Praktikabilität seiner zugleich ausufernden wie doch auch stringenten Denk-(=Labyrinth-)fäden noch kümmern? Man kann manchmal den Eindruck haben, er nähert sich selber mehr und mehr der Rätselhaftigkeit in einem Zustand der Sprache, da das Denken darin aufgelöst scheint und zugleich ebenso multiperspektisch wie resonierend logik-verstrebt wie auch schon fast seherisch, in einer Art über-reflektiertem Raunen, das einem auch mal nahe an einem Umschlag in Hölderlin’scher Umnachtung vorkommen kann. Aber war der je umnachtet? Jedenfalls hört er so nicht auf, etwas zu sagen. Ich weiß, man darf es eigentlich nicht zugeben, aber im Entschlüpfen des Fadens meine ich dann manchmal etwas Weiterführendes zu finden als nur die erwartbare, altgewohnte Logik des Gedankens, der es sich selber als geschlossener zu beglaubigen schafft.
Heidegger mit Nietzsche kurzzuschließen – das scheint mir aufregend genug. Was aber kann da schon praktikable Konsequenz sein? Selbst Botho Strauß, der mir vergleichsweisen Positionen mal vergleichsweise nahe gewesen zu sein schien, kann dann doch nur mehr „weitermachen“ oder sich auf die Suche nach dem Partikularen begeben. Vor dem Verdacht eines bloßen Selbstlaufs des Akrobatiken ist man da eh nicht gefeit. Insofern führt er auch immer etwas vor, macht uns etwas vor, und in diesen Verblendungszusammenhängen des Sehers, des großen „Durchblickers“ – so schien es mir jedenfalls bisher – sieht sich Sloterdijk auch.
(Eine Freundin studiert neuerdings bei ihm in Karlsruhe und hat der Buchvorstellung vor den Studenten beigewohnt – sie ist normalerweise sehr klug, aber sie bekennt, dass sie „nichts“ verstanden hat.)
Obwohl ich weit davon entfernt bin, solcherart Askesen für mich adaptierbar zu machen, leuchtet mir vieles doch ein (auch wenn ich es teils kurzschließen muss, Zwischenschritte mal auslasse). Die Vertikalspannungen, die dann – doch auch Bourdieu’schen – Distinktionsgewinne der Religion nicht leichtfertig aufzugeben, sind dann vielleicht eine Anstrengung an sich wert. Und die zu findenden Übungssysteme müssen dann vielleicht zwangsläufig zum Teil die auf den alten Systemen aufbauenden sein. Wie sich davon lösen? Dann aber wieder allein das Beharren auf Weltverbesserung – und dass jeder mitmachen kann! Wo hörte man heute denn schon mal solche Ermutigung?
Es ist vielleicht wie mit Jesus selbst: Man muss gar nicht kapieren, was er wollte, die Zumutung ist schon, dass es solche komischen Heiligen gibt. Da lauern dann immerhin doch noch, nach allen Erschöpfungen, Optionen, sich „ein Beispiel“ zu nehmen, von denen man längst selber ahnt, dass es keinerlei getreues mehr sein kann, und dass die persönlichen Errungenschaften damit in einem Unbekannten liegen müssen.
Was mir auch noch auffällt, ist, wie auf einmal die größeren Narrative, die ja (mindestens seit Lyotard) für erschöpft gegolten haben wieder möglich sein sollen (die “kategorische“ Geschichte des eigenen Werdegangs – ein Gleichnis?). Vielleicht ist das forcierte weiter Erzählen – in „dürftiger“ Zeit, die doch längst mit Billionen jonglieret (= Akrobatik) – selber schon das Fortschreiten. Im Antwortgeben scheint, wenn es so viele Antworten stets schon gibt, immer auch schon die voreilige Verneinung zu liegen. Und da brauchte es dann vielleicht erst mal solche Öffner wie Sloterdijk, denen man nicht einmal nicht in allem folgen können muss. Die Verwirrung reichte fast schon für neue Positionierungen. Das Beharren auf eindeutige Koordinaten wäre das zweifelhaft Gewordene. („GPS“)
Dass er für Simplizität plädiert ist dann natürlich eine wirkliche Volte – ist es vielleicht ein Witz? Immerhin ist Sloterdijk ein genug barocker Typ, dass er sich auch solche Widersinnigkeiten durchgehen lässt. (Und er wird auch wissen, wann er sich vergaloppiert – wollen wir ihn wirklich bremsen? Für mich sind seine Bücher oft genug einfach nur öffnende „Trips“.)
Das Schlimme – oder das Gute? – ist dann nur, dass mir klar wird, dass man außer solchen Büchern, die einen lange besetzt halten aber vielleicht um so mehr durchdringen (und der einen oder anderen guten Literatur natürlich noch) eigentlich nichts mehr lesen braucht. Auch eine Art von Erleichterung – und eine Form von Askese.
Es kann ja sein, daß die Ermüdung mein Fehler, mein Unverständnis, meine Ungeduld ist. Wobei ich gerade merke, dass Ermüdung vielleicht das falsche Wort war. Ermüdend wie bspw. Jonas’ Prinzip Verantwortung (aus dem man mindestens fünf Sechstel hätte streichen können) war die Lektüre nicht. Ich hatte merkwürdigerweise während der Lektüre daran gedacht, obwohl es außer diese Stelle gegen Ende kaum einen direkten Anknüpfungspunkt von Sloterdijk mit Jonas gibt. Vielleicht hätte ich besser »Übersättigt« schreiben sollen.
Das Wohltuende an diesem Buch ist dann tatsächlich, dass da jemand noch etwas versucht und sich nicht dem lockenden Zeitgeist-Zynismus andient. Dass, was Sie »Ermutigung« nennen. Nur: Wer will diesen losen Fäden folgen oder, besser: wer vermag ihnen zu folgen (auch nicht Ihre Bekannte)? Das Wollen wäre doch da.
Natürlich ist Sloterdijk kein Entweder-Oder-Philosoph (er nennt das – glaube ich – an einer Stelle »archaisch«). Und dieses Buch ist wie geschaffen, sich einem Rausch hinzugeben, wenn man seine vielleicht etwas kruden Erwartungen sozusagen auf halber Strecke vergisst, oder, besser, sich von ihnen befreit. Aber erzählt man mir nicht schon in anderen Erzählungen so oft vom »Selbstzweck«? Das ist, was ich tautologisch nenne: Wenn das Üben zum Selbstzweck wird. (Ich gestehe: Ich bin kein Freund dieses halbgaren Ansporns.)
Ich glaube, dass Sloterdijk letztlich nicht weit genug geht (im fast wörtlichen Sinn). Die Narben der Fehl- und hämischen Missinterpretationen zu »Regeln für den Menschenpark« sitzen noch tief (es gibt zwei Stellen, in denen es so etwas wie Erläuterungen gibt). Daher diese teilweise über-metaphorierende Sprache. Er sagt »Vertikalspannungen« und meint so etwas wie Machtkampf. Er redet von »Askese« und meint vielleicht Opfer. Er spricht von »Übung« und meint (auch) das Experiment (das gesellschaftliche, das naturwissenschaftliche, das soziologische). Er spricht von »Trägheiten« im »Identitäten-Park« – statt von Saturiertheit und – tja, das sind halt solche Assoziationen – dem kollektiven Freizeitpark. (In Wahrheit ist Sloterdijk von diesem Duktus natürlich meilenweit entfernt.)
Der entscheidende Unterschied zu Heidegger ist seine Ermutigung (siehe oben); Sloterdijk verachtet die Masse nicht. Er konzidiert jedem den »Akrobatenstatus« zu; wenn er ihn aber (aus irgendeinem Grund) nicht will, soll er den anderen weichen. Sein Programm ist nicht egalitär, sondern »diszipliniert« (aber nicht diktatorisch). Aber Sloterdijk ist kein Mann der Moderne, die er für dauerhaft nicht wetterfest genug hält.
Mmh, „übersättigt“ ja, das empfinde ich mit. Und das weitere setzt dann natürlich doch auch etwas andere Akzente (Askese – Opfer) – auch sie leuchten mir ein, nicht nur als Ihre Lesart (obwohl ich selber vielleicht nicht darauf gekommen wäre). Ich muss zugeben, dass Teil des eigenen Rausches bei solchen geistern wie Sloterdijk für mich dann auch die Lust an der Verführbarkeit ist, einer gewissen Wörtlichkeit ohne die mitzuhörenden Echos und Anklänge nachzugeben. Das wird selber mir dann manchmal verspätet verdächtig.
Ich sehe aber auch immer schon den etwas dubiosen Schatten, den so ein Genie-Tier wie S. notwendig werfen muss. Es hat immer auch etwas von einem Künstler, der ja auch rabiat sein Ding befördern und nach vorne bringen muss; und hier wäre es, das Genie, ja doch auch deutlich Nietzscheaner und behauptete sich immer auch aus einer Kraft seiner selbst. Und die muss notwendig blinde Flecken haben.
(Und neuerdings kriege ich ja auch schon mal Nachricht von Sloterdijks Attitüden im akademischen Bereich. Da wäre ich allerdings immer auch großzügig. Selbst so eine Type wie Lüpertz wäre mir weniger auf die Nerven gegangen, wenn er ein interessanter Maler gewesen wäre.)
Aber es gibt auch bei mir so etwas wie eine Bereitschaft, zuletzt auch den Verführer zu stürzen. Allerdings sehe ich niemanden, der das intellektuell vermöchte. (Die Argumente gegen Sloterdijk hörte und höre ich sehr wohl und manche leuchten auch ein.)
Und ja, dann die eigenen Narben in so einem weit gehenden Wurf nicht ganz vergessen zu können (vor allem, wenn sie damals teils von wirklich sehr dummen Positionen aus kamen), ist dann doch ein Makel. Aber eitel war er schon immer.
Den letzten Punkt an Unterscheidung dann finde ich weiter führend: Dass er die Masse nicht verachtet. Zwar fällt mir jetzt kein direkter Leitsatz Heideggers dahin ein, aber dass die Bewältigung der modernen Unbehaustheit dann doch ein Projekt wäre, in dem jeder allein steht, zumal die Unangeleiteten, hatte schon etwas von impliziter Ignoranz, wenn nicht von Verachtung auch. Das gefiel mir immer bei Sloterdijk, dass er diese deutsche Linie – Jünger, Schmidt... Helmuth Lethen („Verhaltensregeln der Kälte“) – zwar präsent, sie aber als historisch angesehen hatte, was sie auch sein muss. – Oder nicht? Sie könnte, eventuell mit dem neuen Ansatz Sloterdijks für „Übungen“, ja auch wieder den Kult des heroischen Einzelnen befeuern. Meist ist die Masse ja doch nicht zu retten, obwohl man sie, ihre Transmissionskräfte, sehr gut für die eigenen Positionen benutzen kann. Disziplin ist ja auch der Masse keine immer rundum verdächtige Tugend. Oft sind die eigenen (reflexhaften) Verdächtigen gegen sie schon überholter...
Wenn ein Buch schon Befreiungen erlaubt, seien es sekundäre, indirekte, welche auch immer, ist es sicher lesenswert.
Ich finde, man kann bei Heidegger im »Man« und der »Uneigentlichkeit« der Existenz schon eine gewisse Reserviertheit, ja auch Verachtung erkennen; Beispiel zum »Man«:
»Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab. Das Man kann es sich gleichsam leisten, daß ‘man’ sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. Das Man ‘war’ es immer und doch kann gesagt werden, ‘keiner’ ist es gewesen. In der Alltäglichkeit des Daseins wird das meiste durch das, von dem wir sagen müssen, keiner war es. Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit....Und weil das Man mit der Seinsentlastung dem jeweiligen Dasein ständig entgegenkommt, behält es und verfestigt es seine hatznäckige Herrschaft.« Und dann kommt der harte Satz »Jeder ist der Andere und Keiner er selbst.« (»Sein und Zeit«, §27)
Einerseits finde ich das teilweise von grosser Luzidität (teilweise fast prognostisch, was nach 1945 geschah) – und teilweise eben gruselig.
Da ist natürlich Sloterdijk leichter – und vordergründig optimistischer. Vor einem neuen Kult des Einzelnen (des »Übenden«) schreckt er zurück (nicht umsonst behandelt er die russischen Revolutionäre und behält – wie Sie schreiben – im Hinterkopf Schmitt et. al.).
Jetzt würde ich noch gerne was über seine Attitüden hören. Wenn Sie möchten, können wir auf das Mailing ausweichen (das werde ich wohl ab Sommer sowieso versuchen – statt des Blogs, den »Meister« paraphrasierend: ‘Du mußt deine Kommunikation ändern’): begleitschreiben ät googlemail dot com
Was Sloterdijk betrifft bin ich völlig »blank«. Aber dazu Aber Sloterdijk ist kein Mann der Moderne, die er für dauerhaft nicht wetterfest genug hält. würden mich ein paar Details interessieren: Inwiefern ist er kein Mann der Moderne bzw. welche Alternativen schlägt er vor?
@Metepsilonema
Die Moderne ist, so Sloterdijk, in eine für das Individuum willkommene Passivität (bspw. Sich-Informieren-Lassen, Sich-Unterhalten-Lassen, Sich-Bedienen-Lassen…). Er plädiert mit seiner Übungslehre in diesem Sinne für eine neue »Aktivität« (freilich nicht das, was man dafür »gekauft« bekommt). In diesem Sinne will auf der Moderne aufbauend diese weiterentwickeln und einmal fällt das Wort »Neo-Antike« (wobei dies nicht als historisch-politische Regression zu verstehen ist). Die Moderne ist dabei Voraussetzung dessen, was er treiben will. Aber – er will darüber hinaus (insofern ist meine Bemerkung ungenau), weil er diese als »saturiert« sieht (das ist meine Formulierung). Hierzu gibt es zahlreiche Anspielungen, etwa wenn er von der Moderne als starke[m] Ersatzprogramm für die ethische Sezession spricht und dann en passant noch folgen lässt: Ihre Voraussetzung ist die Demonstration, dass man […] auch mit anderen Mitteln siegen kann als denen, die von den Übungshelden älterer Zeiten in die Schlacht geführt wurden oder an anderer Stelle der bissige Terminus der Vereinigten Staaten der Gewöhnlichkeit.
An anderer Stelle steht konkreter: Die Entwicklung des westlichen Zivilisationskomplexes nach 1945 scheint den Gemäßigten nahezu uneingeschränkt recht zu geben. Sie brachte die Sättigung der Umwelt mit leicht zugänglichen Weltverbesserungsmitteln für die meisten. Deren Verbreitung erfolgte teils über frei Märkte, teils durch Leistungen des Umverteilungsstaats und des überbordenden Versicherungswesens – den beiden unpolitischen Operationalisierungen der Solidaritätsidee, die für die praktische Implantation linker Motive mehr bewirken, als eine politische Ideologie je vermocht hätte. 1968 bezeichnet er als erweiterte Romantik, die sich historische Figuren wie Lenin, Stalin, Mao, Brecht und Wilhelm Reich als Ready-mades aneignete […] Unter der antirevolutionären Grundstimmung, die sich auf diskursiver Ebene als Antitotalitarismus bzw. Antifaschismus artikulierte, verbarg sich die Rückkehr zu den progressiven Traditionen des Barock und der Aufklärung, deren pragmatischer Kern in der relativ steigenden und rational überwachten Erweiterung menschlicher Optionsräume besteht.
Am Ende entwirft er ein bisschen nebulös eine Art Zeiten-Lehre; spricht von Eisernem Zeitalter und zweitem Silbernen Zeitalter (seit 1945), was er dann (sogar) verteidigt. Fast emphatisch stellt er sich dagegen, dass unzählige Bewohner des Zweiten Silbernen Zeitalters, das sich selbst nicht begreift, zur üblen Nachrede über den neuen Zustand greifen. Was man die Postmoderne nennt, ist in weiten Teilen nichts anderes als die mediale Ausschlachtung des Unbehagens am Zweitbesten – mit all den Risiken, die Luxuspessimisten anhaften. Die Schicksalsfrage heißt: ob es gelingt, die Standards des episodisch aufgetauchten Silbernen Zeitalters zu stabilisieren oder ob der Rückfall in ein Eisernes Zeitalter vor der Tür steht, von dessen Aktualität alte und neue Realisten überzeugt sind – nicht zuletzt unter Hinweis auf die Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der Menschheit es nie verlassen haben. Ein solcher Rückfall wäre kein Schicksal, sondern eine Folge mutwilliger Reaktionen gegen die Paradoxien des Daseins im Suboptimalen.
Deutlich wird für mich hier: 1. Sloterdijk will keine radikale Kulturkritik der Moderne (obwohl er dann doch nicht widerstehen kann) und 2. er verteidigt das Erreichte, auch wenn es nur »suboptimal« sein sollte – um darauf eben aufzubauen. Das hat durchaus Pathos und ergeht sich nicht in »postmodernem« Lamento.
Die Moderne ist, so Sloterdijk, in eine für das Individuum willkommene Passivität (bspw. Sich-Informieren-Lassen, Sich-Unterhalten-Lassen, Sich-Bedienen-Lassen…).
Ich erlebe das anders; sehr oft habe ich eher den Eindruck, dass ich in diese Passivität gedrängt werde, dass eine Unzahl von Dingen bewältigt werden muss, und das eigentlich Wesentlich auf der Strecke bleibt. In diesem Sinn interpretiere ich sein Plädoyer (bzw. das was von Deiner Rezension hängen blieb) für Übung und Askese, als einen Aufbruch zu dem was Wesentlich ist, und zugleich als ein Abstreifen von all den Dingen die auf uns einströmen.
@Metepsilonema
Schöne Kurzzusammenfassung würde ich mal sagen.
Wenn von »der« Moderne oder »dem« Individuum gesprochen wird so ist das als (vorläufige) »Zwischenbilanz« zu sehen. Es gibt m. E. keinen Zweifel an der Diagnose, dass wir in eine Passivität abgedrängt werden. Würde ich jetzt verschwörungstheoretisch argumentieren wollen, so kann dies an der fast durchweg negativen Konnotation dessen, was man Internetkultur nennen könnte (um den abgelutschten Begriff ‘Web 2.0’ zu bringen) schön sehen: In dem die Übungen der Blog-»Akrobaten« per se als Dilettantismus denunziert werden (von denen, die hierdurch einen Bedeutungsverlust für ihre eigenen Aktivitäten befürchten), entstünde der willkommene Nebeneffekt der Re-Passivierung der entsprechenden »Störenfriede«.
Zum Aufbruch gehört dabei ganz wesentlich die Weiterentwicklung der Moderne – so habe ich das herausgelesen.
Naja, bestellt habe ich mir das Buch schon einmal. Eine ganz schöne Arbeit, diese Betrachtung zu schreiben, so kommt es mir vor.
»Religionen sind nichts anderes als Komplexe von inneren und äußeren Handlungen, symbolische Übungssysteme und Protokolle zur Regelung des Verkehrs mit höheren Stressoren und »transzendenten« Mächten – mit einem Wort Anthropotechniken im impliziten Modus. « Allein deswegen muss ich mir das Buch schon einmal geben:)
Tut mir leid, die lange Unterbrechung...
Aber etwas wie einen (Gegen)Entwurf, eine Art Wegweiser, findet man bei Sloterdijk nicht (was die Postmoderne ja versucht)?
Der Gegenentwurf...
ist das »Akrobatische«...
Sloterdijk entwirft kein neues Gesellschaftspanorama, sondern nimmt jeden für sich in die Pflicht. Nicht wenig, wie mir scheint.
Hmm
So habe ich es bisher nicht verstanden (aber das Buch auch nicht gelesen), und dachte zunächst eher an eine bloße Lebensänderung (quasi ohne Hintergedanken), die man fühlt, aber sich nicht (zu)traut. Das heißt Sloterdijk meint mit »du musst dein Leben ändern«, »du musst dein modernes Leben (d.h. Leben in der Moderne) ändern«.
@Metepsilonema
Da hat offensichtlich mein Text vollkommen versagt: Sloterdijk ist ja kein Lebenshilfe-Philosoph. Er ist allerdings genauso wenig ein »Drill-Sergeant«, der ein fertiges Konzept mit klaren Anweisungen vorgibt. Und welches Leben soll man sonst ändern, als das, was man gerade führt?
Sloterdijks Appell an den sich in eine »weltliche Klausur« begebenden »Übenden« kann man als Chiffre für den Ausgang des (naturgemäss modernen) Menschen aus seiner selbstverschuldeten Trägheit verstehen.
Dieser Gedanke entwickelt zunächst durchaus seinen Reiz. Die Problem, die ich dann bekomme, sind andere: Inwieweit ist dies zu wenig?
@Gregor
Ich halte die Frage nach dem Leben (und damit nach dem Sinn) für eine fundamentale und bedeutende, womit man sich aber oft etwas wie Abfälligkeit einhandelt (ich deute das als Abwehrhaltung, da diese Frage eine ist, die einen zur Verzweiflung bringen kann). Dass sich die Philosophie ihrer annimmt verwundert kaum, ja man könnt vielleicht sogar sagen, dass ihr alle Philosophie entspringt. Dass man dann zu Antworten kommt, die – wenn sie eine Art Rechtfertigung für die eigene Lebensführung sein sollen – auch einen gewissen Allgemeinheitsanspruch tragen, liegt in der Natur der Sache. Einen unfreiwillig komischen Beigeschmack erhalten die Antworten, wenn sie zu Regeln oder Anleitungen »verkommen«, aber auch das ist in gewisser Hinsicht durch den (bedingten) Allgemeinheitsanspruch der Antwort schon mit vorgeschrieben. Sein Leben nach Anleitung eines anderen leben zu wollen bzw. anderen zu sagen wie sie leben sollen, weil man das besser weiß, das macht die Lebenshilfe verdächtig (von Kitsch etc. mal abgesehen). Sich der Frage zu stellen, sich mit Gedanken von anderen beschäftigen, aber selbst entscheiden – daran kann ich nichts schlechtes sehen, und auch nicht wenn man in diesem Sinne Bücher schreibt.
Mir war schon klar, dass Sloterdijk kein Lebenshilfephilosoph im oben genannten, schlechten Sinn ist. Aber explizite Moderneüberwindung bzw. ‑weiterentwicklung habe ich weder aus Deiner Besprechung noch aus der von Goedart Palm (wobei ich zugeben muss, dass mir beide noch »im Magen liegen«) herausgelesen. Das hat vermutlich viele Ursachen: Ich habe bislang nichts von oder über Sloterdijk gelesen; ich kenne das besprochene Buch nicht; und wenn Sloterdijk keine echte Kulturkritik der Moderne geschrieben hat, dann bleibt seine Kritik mehr implizit, und ist dadurch weniger offensichtlich; und nicht zuletzt: auch ich als Leser interpretiere Deine Besprechung, und meine kann sich von Deiner Leseart durchaus unterscheiden. Du solltest das nicht vorschnell Deinem Text anlasten.
Wie auch immer: Dein – nach Sloterdijk formuliertes Fazit – kann ich aus eigenem Erleben nur unterschreiben (wobei daraus dann auch wieder Probleme entstehen, aber dazu hoffentlich in einiger Zeit an anderem Ort).
Den Bezugspunkt Deines zu wenig bekomme ich gerade nicht in den Blick.
@Metepsilonema
Ja, Sloterdijks Kritik ist tatsächlich implizit – und in doppelter Hinsicht erweiternd, was ich einerseits versuchte durch das Bild der Bergtour anzudeuten, was wiederum auf Sloterdijks Begriff des »Basislager-Problems« rekurrierte und sich andererseits nicht in einer Nörgelei über die Moderne erschöpft.
»Zu wenig« ist es mir deshalb, weil ich mich auf halber Strecke alleingelassen fühle. Wie die säkulare Klausur (die m. E. schwer genug ist weil klassische »Bezugsreferenzen« fehlen) nachher zurück auf der »Bühne« fruchtbar gemacht werden kann (und soll), leuchtet mir nicht ein.
Notwendig wäre bei dem was Sloterdijk »Neo-Antike« nennt (und ich als Weiterentwicklung der Moderne verstehe) eine Art von Paradigmenwechsel der gesellschaftlichen (Werte)Prioritäten. Das wird elegant umschifft, weil es dann doch so etwas wie Anleitungen bedarf. Sloterdijk ist dem Begriff der »Regeln« nicht abgeneigt (s. seinen umstrittenen Essay »Regeln für den Menschenpark«) – er scheut offenbar nur, diese auszuformulieren. Anderen wiederum (wie beispielsweise Palm) geht bereits dieses »Angebot« zu weit – sie haben sich vermutlich inzwischen ganz gut im Basislager eingerichtet.
Ich habe mir mal Zeit genommen die »Regeln für den Menschenpark« zu lesen. Es ist genauso wie von Dir festgestellt, und obwohl das Ganze höchst spannend und interessant ist, am Ende stehe ich enttäuscht da, weil ich auch wissen will, was das etwas konkreter und praktisch bedeuten kann. Das mag nicht Sloterdijks Intention gewesen sein, und ist natürlich geeignet, wenn man Auseinandersetzungen und Debatten anstoßen will.
Jetzt habe ich endlich mit dem Sloterdijk angefangen. Der Anfang gefällt mir schon einmal sehr gut.
Aber natürlich kann ich gleich zu Beginn einen eminenten Kritikpunkt anbringen:
Für wen schreibt er denn das? Die, welche es kapieren und einen ähnlichen Stand an Abstraktion beherrschen, können sich wahrscheinlich das Gleiche zusammendenken. Ohne eine entsprechende Gedankenschulung wird man aber vermutlich sagen: »Was geht mich das an?«
Böse gesprochen, als advocatus diaboli. Mir macht das Lesen jedenfalls Freude. Ein paar schöne Sätze habe ich schon entdeckt:)
Die Frage, für wen er das schreibt ist interessant. Ich glaube er schreibt zunächst einmal für Leute, die bereit und in der Lage sind, ihn überhaupt zu verstehen (mit Verlaub: für solche wie uns also).
Die Verführung, sich seinen schönen Sätzen oder Formulierungen zu ergeben, ist gross. Aber...reicht das am Ende? Deine Meinung hierzu würde mich sehr interessieren!
Ich werde mich beizeiten wieder rühren.
Unbedingt!
Lieber Gregor Keuschnig, ich werde den Sloterdijk bei mir selbst kommentieren. Das deswegen, weil es nicht mit einem Kommentar abgetan ist. Und weil ich auch andere Eindrücke, die nicht unmittelbar vom Buch verursacht sind, mit hineinbringen will.
Generell finde ich deine Rezension großartig, selbst wenn ich gerade die Schlussfolgerung ablehne. Du hast Ihn vermutlich so verstanden, wie er verstanden werden will, doch das was dir abgeht, kann es meiner Meinung nach nicht geben und ist gerade die unziemliche Forderung der heutigen Zeit.
Antworten im Schnellgerichtverfahren. Wenn S. so gescheit ist, muss er doch gleich auch das Rezept liefern, wie man es richtig kocht. Ich sehe ihn eher als eine Fortsetzung des 20. Jahrhunderts. Wir erkennen langsam, was uns unmöglich ist. Natürlich wollen wir es nicht wahrhaben. Aber wir dürfen nicht die Absenz von etwas beklagen, was es für einen vernünftigen Menschen gar nicht geben kann, was es vielleicht nie geben wird, wenn wir uns nicht weiterentwickeln. Von S. zu einer praktikablen Verfahrensweise und zu der Erkenntnis des Warum ist es noch ein langer Weg. Und gerade das scheint mir eine Haupterkenntnis des Buches zu sein. Für mich ist es tröstlich, dass es auch andere Menschen gibt, die das so sehen und dazu noch viel überlegter und fundierter ausdrücken können.
Aber jedenfalls großen Dank für deinen Text und auch für den Link des Radio-Interviews.
Bei einem Alt wird es sich noch viel besser darüber plaudern lassen.
Dass meine Forderung eine »unziemliche« ist, ist ein interessanter Gedanke, der mir noch gar nicht gekommen ist, aber natürlich in das doch sehr stark »buddhistische« dieses Buches passt (das habe ich in dieser Konsequenz dann tatsächlich übersehen und daher könnte dann mein Unwohlsein kommen).
Sloterdijks »Übungsprogramm« ist also dann eine »neverending story«, eine Art Streben, welches niemals endet. Eine Vervollkommung, die per se immer scheitern muss (das ist dann wieder protestantisch).
Da habe ich ihn dann am Ende doch anders gelesen, als er fast missionarisch zu werden scheint und eben das Elfenbeintumdasein ablehnt und die Übenden (man könnte sie auch als Meditierende bezeichnen) wieder auf die Menschheit loslässt. Das Üben als Privatvergnügen – so hatte ich ihn nicht gelesen. Da war schon deutlich mehr Ambition drin. Das ist ja das, was mir gefallen hat.
Nicht gefallen hat mir, dass er die Leute auf halbem Weg stehen läßt. (Aber vielleicht liege ich hier auch falsch.)
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