Dror Za­ha­vi / Mi­cha­el Gut­mann: Mein Le­ben (arte/ARD)

Die Fra­ge ob bzw. wie der Film das Buch nun kor­rekt wie­der­ge­be oder nicht, er­weist sich meist als mü­ßig: Zu un­ter­schied­lich sind die Me­di­en, zu grob die Struk­tur des Films, die in den mei­sten Fäl­len die fei­nen Un­ter­tö­ne des li­te­ra­ri­schen Wer­kes nicht im Ent­fern­te­sten zu ent­fal­ten ver­mag. Es gibt die ein oder an­de­re Aus­nah­me, die sich zwar eng am li­te­ra­ri­schen Werk hält, aber dann doch ein ei­gen­stän­di­ges Film-Kunst­werk wird oh­ne die Vor­la­ge zu de­nun­zie­ren, son­dern sie er­gänzt, ja, kla­rer zu macht; lei­der »too few to men­ti­on« (und nicht re­le­vant für die­se Be­trach­tung hier).

Fast selbst­ver­ständ­lich muss­te die Ver­fil­mung von Mar­cel Reich-Ra­nickis Buchs »Mein Le­ben« (es wer­den letzt­lich au­sser der mehr als ober­fläch­lich ein­ge­streu­ten un­mit­tel­ba­ren Nach­kriegs­zeit Reich-Ra­nickis als pol­ni­scher Ge­ne­ral­kon­sul nur die er­sten bei­den Tei­le des Bu­ches bis 1944 ge­zeigt) hin­ter dem doch stark be­ein­drucken­den Ge­schrie­be­nen zu­rück­ste­hen. In neun­zig Mi­nu­ten presst man die Ge­schich­te von 1929 bis 1944 und ha­stet von Stich­wort zu Stich­wort. Man spürt das Be­mü­hen, Schlüs­sel­sze­nen des Bu­ches un­ter­zu­brin­gen (was teil­wei­se auch ge­schieht), aber Reich-Ra­nickis an­ek­do­ti­sches Er­zäh­len, was die­ses Buch nicht un­we­sent­lich cha­rak­te­ri­siert und auf ver­blüf­fen­de Wei­se stark macht, fällt die­ser Er­eig­nis-Ral­lye als er­stes zum Op­fer.


Statt­des­sen gibt es viel Kli­schee: der jun­ge Reich-Ra­nicki (Mat­thi­as Schweig­hö­fer) mit der Bril­le, die auf dem Co­ver von Walsers »Tod ei­nes Kri­ti­kers« zu se­hen ist und ihn den­noch im Film nicht zum Thea­ter- und Li­te­ra­tur­lieb­ha­ber macht, son­dern nur als vor­lau­ten Stre­ber wir­ken lässt. Was die Ber­li­ner Kul­tur für den Jun­gen be­deu­tet, bleibt Be­haup­tung in Schweig­hö­fers Ge­sicht, er­gibt sich aber nicht aus der Hand­lung; die Dif­fe­renz zwi­schen Schwär­me­rei und Em­pha­se wird nicht deut­lich. Joa­chim Król als Va­ter Reich in herr­lich welt­frem­der At­ti­tü­de, der selbst im War­schau­er Ghet­to den fürch­ter­li­chen Ernst der La­ge nicht zu er­ken­nen scheint.

Vom Schrecken des War­schau­ers Ghet­to zeigt die­ser Film nichts. Er spult das Sze­na­rio als ha­stig ge­dreh­ten Ko­stüm- und Ku­lis­sen­film her­un­ter. Ein­mal kommt der jun­ge Reich zu ei­ner Sit­zung des Ju­den­rats mit sei­ner Schreib­ma­schi­ne zu spät – und tippt nach der Ent­schul­di­gung die neu­en Drang­sa­le in die Ma­schi­ne, als han­de­le es sich um ein Ma­na­ger­pro­to­koll. Die Ar­beit Reichs im Ju­den­rat, die er im Buch aus­führ­lich schil­dert und die ihm den wah­ren Cha­rak­ter die­ses Ghet­tos ent­hül­len, kommt prak­tisch wird als ei­ne Art Se­kre­tär be­bil­dert, aber nicht ge­zeigt. Und auch die Fluch­ten in die Mu­sik und das Thea­ter schim­mern nur in ei­ner Sze­ne her­vor; zu­viel hat man mit der Un­ter­brin­gung der Fak­ten zu tun.

Mein Va­ter blick­te mich rat­los an, mei­ne Mut­ter er­staun­lich ru­hig. Sie war sorg­fäl­tig ge­klei­det: Sie trug ei­nen hel­len Re­gen­man­tel, den sie aus Ber­lin mit­ge­bracht hat­te. Ich wuss­te, dass ich sie zum letz­ten Mal sah. Und so se­he ich sie im­mer noch: mei­nen hilf­lo­sen Va­ter und mei­ne Mut­ter in dem schö­nen Trench­coat aus ei­nem Wa­ren­haus un­weit der Ber­li­ner Ge­dächt­nis­kir­che. Die letz­ten Wor­te, die To­sia von mei­ner Mut­ter ge­hört hat, lau­ten: »Küm­me­re dich um Mar­cel«.

Die­se Sze­ne er­zählt im Film der Ver­haf­te­te Ra­nicki sei­nem War­schau­er Ver­hör­of­fi­zier 1949; nicht ein­mal die Wor­te des Bu­ches wer­den im Film ver­wen­det. Die fil­mi­sche Um­set­zung die­ses schreck­li­chen Er­eig­nis­ses fin­det nicht statt; die »Se­lek­ti­on« wird mit an­de­ren Prot­ago­ni­sten ge­zeigt. Im Buch heisst es dann: Mein Va­ter und mei­ne Mut­ter – ich konn­te es von wei­tem se­hen – be­gan­nen in ih­rer Angst vor dem stram­men Deut­schen zu lau­fen, so schnell sie konn­ten.

Auf die fil­mi­sche Um­set­zung die­ses für Reich-Ra­nicki zwei­fel­los prä­gen­den Bil­des ver­zich­tet der Film. Man weiß nicht, ob man dem Re­gis­seur da­für dan­ken soll oder nicht. Dank­bar sein höch­stens des­we­gen, weil kaum je­mand die­se Sze­ne nicht als Rühr­stück mit den un­ver­meid­li­chen Gei­gen zu in­sze­nie­ren ver­mag. Und kri­ti­sie­ren muss man die­ses Weg­las­sen, weil der Film (nicht nur des­halb, aber auch) zur seich­ten Em­pö­rungs­un­ter­hal­tung ver­kommt, ei­ner Art »Light«-Version; so­zu­sa­gen frei nach Schrö­ders Mal­mot zum Ho­lo­caust-Mahn­mal zu Ber­lin, »zu dem man ger­ne« hin­ge­hen soll.

Und am En­de sagt Bo­lek, der pol­ni­sche Bau­er, der Reich-Ra­nicki und sei­ne Frau in ei­nem vor­bild­li­chen Akt mensch­li­chen Mit­ge­fühls ver­steck­te: Ich bit­te euch, sagt nie­man­dem, dass ihr bei uns ge­we­sen seid. Ich ken­ne die­ses Volk. Es wür­de uns nie ver­zei­hen, dass wir zwei Ju­den ge­ret­tet ha­ben. Na­tür­lich tilgt der Film auch die­se Pas­sa­ge, die tref­fend den pol­ni­schen An­ti­se­mi­tis­mus auf den Punkt bringt.

Und so in­sze­niert Dror Za­ha­vi ei­nen Film, der nicht nur der Vor­la­ge nicht ge­recht wird, son­dern die­se oft ver­rät. Her­aus­ge­kom­men ist nicht die kon­ge­nia­le Ver­fil­mung ei­nes be­weg­ten und schreck­li­chen Le­bens­ab­schnitts (auch mit all sei­nen Hö­hen), son­dern ein weich­ge­spül­tes Do­ku-Dra­ma, dass sich von ei­nem »Tat­ort« nur durch die Zeit­ach­se un­ter­schei­det. Man kann, ja man muss zu Reich-Ra­nicki als Li­te­ra­tur­kri­ti­ker ein am­bi­va­len­tes Ver­hält­nis ha­ben. Aber ei­ne der­art be­lang- und lieb­lo­se Ver­fil­mung sei­nes Bu­ches hat er nicht ver­dient.


Der Film ist noch ei­ni­ge Ta­ge in der ar­te-Vi­deo­thek zu se­hen und wird am 15.04.09 um 20.15 Uhr in der ARD aus­ge­strahlt.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Zu­se­hen­de An­ämie
    Für mich als Nicht-Se­her be­mer­kens­wert, wie al­so an­schei­nend die be­we­gend­sten – und ja wohl le­bens­ge­schicht­lich we­sent­lich­sten – Mo­men­te der mo­der­nen bio­pic-Kol­por­ta­ge an­heim – oder: „zum Op­fer? – fal­len.

    Und dass das auch und aus­ge­rech­net der „au­then­tisch­sten“ Er­zäh­lung, näm­lich der Le­bens­ge­schich­te des zu Ruhm ge­kom­me­nen „Kri­ti­ker­pap­stes“ ge­schieht, von dem man doch das We­sen der Li­te­ra­tur – als Wahr­haf­tig­keit im Wort, als Zeug­nis­ge­bung, als Ver­ge­gen­wär­ti­gung des We­sent­li­chen in ei­ner über­grei­fen­den Form... oder sonst et­was Em­pa­thi­sches – hoch­ge­hal­ten er­war­ten wür­de.

    Und dann kom­me ich auch auf die An­fangs­fra­ge Ih­rer Kri­tik: Hat es et­was mit dem Wech­sel des Me­di­ums zu tun, dem Trans­fer aus dem Wort zum Be­wegt­bild? Ob­wohl doch die spe­zi­fi­schen Stär­ken des Films die­sen Buch­stel­len als zu dra­ma­ti­sie­ren­de hät­ten ent­ge­gen kom­men müs­sen? Es aber viel­leicht all­zu oft an­ders­wo schon ge­tan ha­ben und von da­her an ei­ner Schwä­chung der ge­nui­nen Mög­lich­kei­ten des Bild­wer­den­den la­bo­rie­ren? Was dann, in ei­ner er­wart­ba­ren Wei­se auch wie­der das Wort, die Er­zäh­lung, die Li­te­ra­tur schwächt.

    Ich mag im­mer we­ni­ger Bio­gra­phi­sches le­sen, selbst wo es durch et­was an­de­res, für mich An­nehm­ba­res der Per­so­nen be­glau­bigt wä­re. „Die Schick­sa­le“ und de­ren Wahr­hei­ten sel­ber schei­nen ver­nutzt, wo man all­zu oft schon auf sie zu be­har­ren hat­te, um über­haupt et­was be­rich­tens­wert zu ma­chen, mit an­de­ren Wor­ten: Um nur das Me­di­um bzw. des­sen Pro­duk­ti­ons­ma­schi­nen mal wie­der an­zu­wer­fen. Hier reicht ein Le­ben bald nicht mal mehr für’s „Ei­gen­blut­do­ping“ (wie D. Di­ed­rich­sen die Ein­spei­sung des Ei­ge­nen in die kul­tu­rel­le Ka­pi­ta­li­sie­rung nennt), son­dern be­dient nur mehr die­sen Durch­lauf durch die Pro­duk­ti­ons­rou­ti­nen.

     

  2. Ich ver­mu­te: Der Re­gis­seur (und mit ihm das Team) war der Ma­te­rie künst­le­risch und – vor al­lem – hand­werk­lich nicht ge­wach­sen. Man woll­te ei­nen »ge­fäl­li­gen« Film dre­hen, fä­hig zur Haupt­sen­de­zeit Leu­te an die Bild­schir­me zu brin­gen. Gro­sse deut­sche Re­gis­seu­re, die ei­nen Fern­seh­film in­sze­nie­ren mö­gen gibt es eh’ nicht; für Ame­ri­ka­ner ist ei­ne Fi­gur wie Reich-Ra­nicki min­de­stens su­spekt. Das wä­re auch zu teu­er ge­wor­den.