Die Frage ob bzw. wie der Film das Buch nun korrekt wiedergebe oder nicht, erweist sich meist als müßig: Zu unterschiedlich sind die Medien, zu grob die Struktur des Films, die in den meisten Fällen die feinen Untertöne des literarischen Werkes nicht im Entferntesten zu entfalten vermag. Es gibt die ein oder andere Ausnahme, die sich zwar eng am literarischen Werk hält, aber dann doch ein eigenständiges Film-Kunstwerk wird ohne die Vorlage zu denunzieren, sondern sie ergänzt, ja, klarer zu macht; leider »too few to mention« (und nicht relevant für diese Betrachtung hier).
Fast selbstverständlich musste die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Buchs »Mein Leben« (es werden letztlich ausser der mehr als oberflächlich eingestreuten unmittelbaren Nachkriegszeit Reich-Ranickis als polnischer Generalkonsul nur die ersten beiden Teile des Buches bis 1944 gezeigt) hinter dem doch stark beeindruckenden Geschriebenen zurückstehen. In neunzig Minuten presst man die Geschichte von 1929 bis 1944 und hastet von Stichwort zu Stichwort. Man spürt das Bemühen, Schlüsselszenen des Buches unterzubringen (was teilweise auch geschieht), aber Reich-Ranickis anekdotisches Erzählen, was dieses Buch nicht unwesentlich charakterisiert und auf verblüffende Weise stark macht, fällt dieser Ereignis-Rallye als erstes zum Opfer.
Stattdessen gibt es viel Klischee: der junge Reich-Ranicki (Matthias Schweighöfer) mit der Brille, die auf dem Cover von Walsers »Tod eines Kritikers« zu sehen ist und ihn dennoch im Film nicht zum Theater- und Literaturliebhaber macht, sondern nur als vorlauten Streber wirken lässt. Was die Berliner Kultur für den Jungen bedeutet, bleibt Behauptung in Schweighöfers Gesicht, ergibt sich aber nicht aus der Handlung; die Differenz zwischen Schwärmerei und Emphase wird nicht deutlich. Joachim Król als Vater Reich in herrlich weltfremder Attitüde, der selbst im Warschauer Ghetto den fürchterlichen Ernst der Lage nicht zu erkennen scheint.
Vom Schrecken des Warschauers Ghetto zeigt dieser Film nichts. Er spult das Szenario als hastig gedrehten Kostüm- und Kulissenfilm herunter. Einmal kommt der junge Reich zu einer Sitzung des Judenrats mit seiner Schreibmaschine zu spät – und tippt nach der Entschuldigung die neuen Drangsale in die Maschine, als handele es sich um ein Managerprotokoll. Die Arbeit Reichs im Judenrat, die er im Buch ausführlich schildert und die ihm den wahren Charakter dieses Ghettos enthüllen, kommt praktisch wird als eine Art Sekretär bebildert, aber nicht gezeigt. Und auch die Fluchten in die Musik und das Theater schimmern nur in einer Szene hervor; zuviel hat man mit der Unterbringung der Fakten zu tun.
Mein Vater blickte mich ratlos an, meine Mutter erstaunlich ruhig. Sie war sorgfältig gekleidet: Sie trug einen hellen Regenmantel, den sie aus Berlin mitgebracht hatte. Ich wusste, dass ich sie zum letzten Mal sah. Und so sehe ich sie immer noch: meinen hilflosen Vater und meine Mutter in dem schönen Trenchcoat aus einem Warenhaus unweit der Berliner Gedächtniskirche. Die letzten Worte, die Tosia von meiner Mutter gehört hat, lauten: »Kümmere dich um Marcel«.
Diese Szene erzählt im Film der Verhaftete Ranicki seinem Warschauer Verhöroffizier 1949; nicht einmal die Worte des Buches werden im Film verwendet. Die filmische Umsetzung dieses schrecklichen Ereignisses findet nicht statt; die »Selektion« wird mit anderen Protagonisten gezeigt. Im Buch heisst es dann: Mein Vater und meine Mutter – ich konnte es von weitem sehen – begannen in ihrer Angst vor dem strammen Deutschen zu laufen, so schnell sie konnten.
Auf die filmische Umsetzung dieses für Reich-Ranicki zweifellos prägenden Bildes verzichtet der Film. Man weiß nicht, ob man dem Regisseur dafür danken soll oder nicht. Dankbar sein höchstens deswegen, weil kaum jemand diese Szene nicht als Rührstück mit den unvermeidlichen Geigen zu inszenieren vermag. Und kritisieren muss man dieses Weglassen, weil der Film (nicht nur deshalb, aber auch) zur seichten Empörungsunterhaltung verkommt, einer Art »Light«-Version; sozusagen frei nach Schröders Malmot zum Holocaust-Mahnmal zu Berlin, »zu dem man gerne« hingehen soll.
Und am Ende sagt Bolek, der polnische Bauer, der Reich-Ranicki und seine Frau in einem vorbildlichen Akt menschlichen Mitgefühls versteckte: Ich bitte euch, sagt niemandem, dass ihr bei uns gewesen seid. Ich kenne dieses Volk. Es würde uns nie verzeihen, dass wir zwei Juden gerettet haben. Natürlich tilgt der Film auch diese Passage, die treffend den polnischen Antisemitismus auf den Punkt bringt.
Und so inszeniert Dror Zahavi einen Film, der nicht nur der Vorlage nicht gerecht wird, sondern diese oft verrät. Herausgekommen ist nicht die kongeniale Verfilmung eines bewegten und schrecklichen Lebensabschnitts (auch mit all seinen Höhen), sondern ein weichgespültes Doku-Drama, dass sich von einem »Tatort« nur durch die Zeitachse unterscheidet. Man kann, ja man muss zu Reich-Ranicki als Literaturkritiker ein ambivalentes Verhältnis haben. Aber eine derart belang- und lieblose Verfilmung seines Buches hat er nicht verdient.
Der Film ist noch einige Tage in der arte-Videothek zu sehen und wird am 15.04.09 um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt.
Zusehende Anämie
Für mich als Nicht-Seher bemerkenswert, wie also anscheinend die bewegendsten – und ja wohl lebensgeschichtlich wesentlichsten – Momente der modernen biopic-Kolportage anheim – oder: „zum Opfer? – fallen.
Und dass das auch und ausgerechnet der „authentischsten“ Erzählung, nämlich der Lebensgeschichte des zu Ruhm gekommenen „Kritikerpapstes“ geschieht, von dem man doch das Wesen der Literatur – als Wahrhaftigkeit im Wort, als Zeugnisgebung, als Vergegenwärtigung des Wesentlichen in einer übergreifenden Form... oder sonst etwas Empathisches – hochgehalten erwarten würde.
Und dann komme ich auch auf die Anfangsfrage Ihrer Kritik: Hat es etwas mit dem Wechsel des Mediums zu tun, dem Transfer aus dem Wort zum Bewegtbild? Obwohl doch die spezifischen Stärken des Films diesen Buchstellen als zu dramatisierende hätten entgegen kommen müssen? Es aber vielleicht allzu oft anderswo schon getan haben und von daher an einer Schwächung der genuinen Möglichkeiten des Bildwerdenden laborieren? Was dann, in einer erwartbaren Weise auch wieder das Wort, die Erzählung, die Literatur schwächt.
Ich mag immer weniger Biographisches lesen, selbst wo es durch etwas anderes, für mich Annehmbares der Personen beglaubigt wäre. „Die Schicksale“ und deren Wahrheiten selber scheinen vernutzt, wo man allzu oft schon auf sie zu beharren hatte, um überhaupt etwas berichtenswert zu machen, mit anderen Worten: Um nur das Medium bzw. dessen Produktionsmaschinen mal wieder anzuwerfen. Hier reicht ein Leben bald nicht mal mehr für’s „Eigenblutdoping“ (wie D. Diedrichsen die Einspeisung des Eigenen in die kulturelle Kapitalisierung nennt), sondern bedient nur mehr diesen Durchlauf durch die Produktionsroutinen.
Ich vermute: Der Regisseur (und mit ihm das Team) war der Materie künstlerisch und – vor allem – handwerklich nicht gewachsen. Man wollte einen »gefälligen« Film drehen, fähig zur Hauptsendezeit Leute an die Bildschirme zu bringen. Grosse deutsche Regisseure, die einen Fernsehfilm inszenieren mögen gibt es eh’ nicht; für Amerikaner ist eine Figur wie Reich-Ranicki mindestens suspekt. Das wäre auch zu teuer geworden.