Wie kommt es eigentlich dazu, dass auch zeitgenössische Kunst inzwischen bei Auktionen exorbitant hohe Preise erzielt? Wie ist dieser Hype zu erklären? Die Professorin, Kunstkritikerin und Publizistin Isabelle Graw untersucht in Ihrem Buch mit dem schön-doppeldeutigen Titel »Der große Preis« die Wechselwirkungen zwischen Kunst (gemeint ist stets der Sonderfall der bildenden Künste) und Markt. Wobei das Buch durchaus den Beginn der Wirtschaftskrise, die uns aufgrund medialer Aufbereitung ständig präsent ist, reflektiert (der Schluss, aufgrund der Spezialisierung des Kunstmarktes wären die Auswirkungen gedämpfter, erweist sich allerdings als falsch). Bereits auf den ersten Seiten ihres Vorworts (welches eine Zusammenfassung der später ausführlich ausgebreiteten Thesen darstellt) wird der hohe Anspruch dieses Projekts deutlich – und die Ambivalenzen, die sich für jemanden stellen, der, wie Graw mehrfach bemerkt, selber stark in das Geschehen des zu beurteilenden Gegenstandes involviert ist.
Kein kulturkritisches Lamento
Graw beschäftigt sich zunächst mit den Mechanismen des Marktes und wie diese auf Preis und Wert eines Kunstwerks wirken. Es gibt sehr kluge und bedenkenswerte Ausführungen zu Parallelen zwischen Kunstwerk und Luxusgut, wobei herausgestellt wird, dass dem Kunstwerk im Gegensatz zum Luxusgegenstand der Gebrauchswert fehlt. Während ein Luxusauto durchaus noch seiner eigentlichen Bestimmung (von A nach B zu kommen) genügt (wenn dieser Zweck auch in den Hintergrund gedrängt zu sein scheint bzw. als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird), besitzt ein Kunstwerk einen solchen Gebrauchswert nicht (das ästhetische Vergnügen lässt Graw – wohl zu Recht – in Bezug auf die Wertigkeit nicht gelten). Umgekehrt fehlt dem Luxusgut jedoch sowohl kulturelle[s] und soziale[s] Prestige als auch die Aura des kulturell Bedeutungsvollen.
Gleichzeitig stellt Graw fest, dass der Markt längst nicht mehr als gesellschaftlich abgekoppelte Realität begriffen werden kann, sondern dass er die ganze Ebene des Sozialen in Form eines Netzes umschliesst. Die »globale Industrie« und »archaische Tauschgesellschaft« sind für sie zwei Seiten derselben Medaille. Mehrfach wird betont, dass sie kein dezidiert marktfeindliches oder kulturkritisches Lamento in alarmistischem Tonfall anstimmen möchte. Eher im Gegenteil wird ein bisschen süffisant darauf verwiesen, dass Marktphobie…gut fürs Geschäft sei.
Kunst hat, so eine These des Buches, sowohl einen Markt- als auch einen Symbolwert, wobei das Verhältnis zwischen Symbol- und Marktwert…in Entsprechung zum Kunst-Markt-Verhältnis als spannungsgeladenes Wechselverhältnis aufgefasst wird. Dieser Bemerkung sagt jedoch leider alles und nichts aus. Und auch nach sehr vielen Erläuterungen zu Symbol- und Marktwert versteht es die Autorin nicht, ihre These mit mehr als Beliebigkeitsmetaphern zu unterstützen.
Dabei wird munter mit Denkgebäuden (unter anderem) von Kant, Marx, Benjamin, Adorno, Foucault und Pierre Bourdieu jongliert und auch neuere, zeitgenössische Denker wie Paolo Virno und Ulrich Bröckling oder Kunsttheoretiker wie Marcel Duchamp und Andy Warhol (für Graw eine besondere Figur) kommen zu Wort. In teilweise eklektizistischer Manier (es gibt immerhin 353 Fussnoten auf 235 Seiten) werden Thesen variiert, modifiziert und – je nach Gusto – auch (passkonform) korrigiert.
Symbolwert und Marktwert
Graw folgt Bourdieu noch in der Feststellung, dass der Symbolwert von Kunst Manifestation einer materiell nicht messbaren, schwer zu quantifizierenden Auszeichnung sei. Dann braucht sie Marx, um den Symbolwert im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware zu erkennen. Demnach ist Symbolwert als zweifache gesellschaftliche Aufladung zu definieren weil er für einen Überschuss und eine Aufgeladenheit steht, die jenseits von dem mit ihm Bezeichneten liegen. Der Symbolwert drückt jene schwer dingfest zu machende, symbolische Bedeutung aus, die sich aus unterschiedlichen Faktoren – Singularität, kunsthistorische Zuschreibung, Etabliertheit des Künstlers, Originalitätsverheissung, Versprechen auf Dauer, Autonomiepostulat oder intellektuellem Anspruch – zusammensetzt. Richtigerweise konstatiert sie, dass die Entlassung der Kunst aus ihrer Zweckgebundenheit durch die Ästhetik im 18. Jahrhundert erst die Voraussetzungen zu ihrer Vermarktung schaffte (wobei reichlich spät ein kurzer Hinweis auf das Werkstattwesens Rembrandts aus dem 17. Jahrhundert folgt). Nun stellt sich das Problem, dass das, was von berufener Seite (Kunstkritik und Kunstgeschichte) als ästhetische Leistung einer künstlerischen Arbeit behauptet wird nicht ohne weiteres in einen Preis »überführt« werden kann.
Trotz der Feststellung, dass der Marktwert immer auf einen »Symbolwert« angewiesen [ist], der ihn [den Marktwert] letztlich legitimiert begeht Graw einen Denkfehler, in dem sie behauptet, dass der Symbolwert nicht im Marktwert auf[geht]…obwohl, wie sie selber konzidiert, für ihn ein Preis verlangt wird. Dieser Preis rechtfertigt sich umgekehrt mit einem Symbolwert, der grundsätzlich nicht verrechenbar ist. Das führt zu ihrem Paradoxon, dass das Kunstwerk von seiner symbolischen Bedeutung aus gesehen preislos sei und dennoch hat es seinen Preis. In dem sie den Symbolwert jedoch am Markt »bilden« lässt (eben durch Institutionen wie Kritik, Galeristen, Sammler, Kunstwissenschaftler), wird der Symbolwert sozusagen sozialisiert und ist nicht beispielsweise nur eine Wertzuweisung eines einzelnen Sammlers oder einer kleinen Gruppe von Enthusiasten. Dies wiederum führt zu einer Quantifizierung, die zwar nicht real nachprüfbar ist, aber durchaus mit der Zeit durchaus Parameter entwickelt, die mindestens für eine gewisse Zeit Gültigkeit besitzen.
Daher trifft der Vergleich zwischen dem Kunstwerk und der Markenware (sieht man – ähnlich wie beim Luxusartikel – von dessen Gebrauchswert ab) durchaus mehr zu, als Graw einräumt. Der Gedanke, dass die Designerbrille nicht [an] die Vorstellung eines von ihr abgeworfenen, erkenntnistheoretischen Mehrwerts geknüpft ist und damit im Gegensatz zum Kunstwerk steht, welches enorme intellektuelle Leistungen vollbringen soll, verhindert nicht, dass nicht nur der Preis in der Kunst als etwas Arbiträres angesehen werden muss. Auch der Wert der Designerbrille ist in diesem Sinne willkürlich, weil vom reinen Material- und Produktionswert abgekoppelt. Die Aufladung des Kunstwerks als »intellektuelles« Produkt ist letztlich nur wiederum Teil des Symbolwertes des Kunstwerkes. Das wäre, salopp gesagt, letztlich der (einzige) Grund, warum eine Designerbrille normalerweise preiswerter (!) ist als ein Bild eines angesagten Malers.
Da hilft dann die Feststellung der Überdeterminiertheit des Symbolwerts, der sich in horrenden Preisen zeigt (wie beispielsweise für Damian Hirsts »Totenschädel«, der noch im August 2008 für 100 Millionen US-Dollar versteigert wurde, jedoch einen reinen »Materialwert« von nur rd. US$ 30 Millionen haben soll), nicht weiter.
Graw folgt Bourdieu in dem Augenblick nicht mehr, als dieser Symbolwert und Marktwert in relative[r] Unabhängigkeit sieht. Sie plädiert für eine eng geführte Parallelität und kommt zu dem sibyllinischen Schluss, sie machten sich beide gegenseitig das Leben schwer, um doch aufeinander angewiesen zu sein; ihr Verhältnis sei von Anziehung und Abstossung geprägt. Dies wäre jedoch nur richtig, wenn es sozusagen zwei »Preise« gäbe, die auch getrennt ermittelt würden. Statt die Schnittstelle, wenn der Symbolwert zum Marktwert wird und die einzelnen Implikationen zu definieren und eventuell eine Art Phänomenologie des Marktwerts zu versuchen, wird eine schlaffe Schwebeposition konstruiert.
Tatsächlich betont Graw die Sonderstellung des Kunstwerks aufgrund dieser »bipolaren Wertermittlung« (die sie als polare Grundkonstellation bezeichnet). Sie vergisst dabei, dass beispielsweise auch der Börsenhandel ähnlichen Bewertungen unterliegt (streng genommen ist sogar der Wert des Geldes selber ein höchst symbolischer). Zwar wäre hier (theoretisch) der (Markt-)Wert des Unternehmens über die buchhalterischen Kennziffern der Bilanz quantifizierbar. Der Aktienkurs jedoch schafft eine zweite, extrem variable Grösse, der nun den »Symbolwert« des Unternehmens ausdrückt. Beide Werte können sich beträchtlich unterscheiden, wie man am Beispiel der Spekulationen um die VW-Aktie Ende 2008 sehen kann, als die Volkswagen AG vorübergehend zum »wertvollsten« Unternehmen der Welt wurde. Dieser »Wert« entsprach jedoch keinesfalls der »realen« Bewertung des Konzerns. Im Gegensatz zum Kunstwerk sind zwar beide Werte viel eher zu ermitteln, da sie an konkreten Zahlen festzumachen sind. Aber durch die Volatilität des Aktienmarktes (der sich übrigens verblüffenderweise in Teilen dem nähert, was Graw als Spezifikum des Kunstmarktes herausarbeitet) bleibt der »Symbolwert« (Börsenwert) des Unternehmens ungewiss, ja spekulativ, obwohl er reflexiv auch wieder in den eigentlichen Marktwert einfliesst (wenn auch nur indirekt, beispielsweise durch immaterielle Zuordnungen). Dennoch hat ein Unternehmen (um diesen Vergleich fortzuführen) letztlich nur einen »Wert« – genau wie das Kunstwerk (welches ja auch Schwankungen unterworfen ist).
Networking statt Einzelkämpfer
Ergiebig ist Graws Buch in der Schilderung der Veflechtung der einzelnen »Institutionen«, die den Markterfolg…zum Maß aller Dinge und zum Gradmesser künstlerischer Qualität machen. Da sie sich gelegentlich nicht mit normalen Vokabular zufriedengibt, wird hierfür den sperrige (vermutlich jedoch passende) Begriff der Konsekrationsinstanzen eingeführt. Nicht nur hier zeigt sich, dass die Autorin von der (zunächst) deskriptiv-neutralen Haltung, die eine gewisse Reserviertheit gegenüber der beschriebenen Dynamik zeigt, irgendwann sozusagen zwischen den Zeilen immer mehr ins Bejahende abdriftet, so dass es dem Leser gelegentlich erscheint, als sei das Buch von zwei Autoren geschrieben worden, deren Sätze irgendwann zusammenmontiert worden seien.
Einerseits ist es für sie folgerichtig, dass der Markt à la longue auf bestimmte Konsekrationsinstanzen angewiesen ist, die künstlerische Produktion legitimieren, andererseits konstatiert sie, dass der Markt eine Art »permanentes ökonomisches Tribunal« sei. Sie moniert das Vordringen einer Marktlogik, die sich in letztlich undurchschaubaren Rankingsystemen oder obskuren Hitlisten zeigt und beanstandet teilweise emphatisch, dass Kritiker immer mehr ihre neutrale Position zu Gunsten einer Rolle von Glaubwürdigkeitslieferanten übernehmen, die gut fürs Geschäft sind, weil sie jene Bedeutung produzieren, die den Marktwert letztlich legitimiert (die Kritiker wollen wohl auch ein bisschen von der Goldrauschstimmung profitieren, in dem sie dem privaten Galeristen erlauben, sie für einen Text gut zu bezahlen) und problematisiert andererseits das marktferne Selbstverständnis von Teilen der Kritik. Einerseits scheint sie den Paradigmenwechsel, der den Markterfolg als ästhetisches Kriterium festschreibt, zu kritisieren, andererseits entfaltet sie am Ende des Buches an diversen von ihr so genannten marktreflexiven Kunstwerken eine gut geölte Exegesemaschine, der beispielsweise der Interpretationswalze des märchendeutenden Eugen Drewermann in nichts nachsteht.
Das Buch hat aber auch sehr interessante und erhebende Momente. Etwa, wenn Graw ausführlich auf die Interdependenzen und gegenseitigen Verstrickungen der Konsekrationsinstanzen eingeht und eine gekonnte und pointierte Sicht auf die Kunstwelt als netzförmig organisierte »Kontaktwelt« gibt, was letztlich fast zwangsläufig in den »Networking-Imperativ« mündet. Zwar übernehmen Auktionshäuser immer noch die Rolle von Kreditinstituten und Kritiker werden (wie bereits erwähnt) zu Bedeutungsproduzenten, aber die Rollen von Galeristen, Kuratoren und Sammlern weisen inzwischen oft Überschneidungen auf. Kritiker sind inzwischen auch Galeristen und/oder Kuratoren, Auktionen bestücken Galerien – jeder macht irgendwann einmal alles und das führt zu Rollenkonflikte[n] (Graw verschweigt hier abermals ihre eigenen potentiellen Interessenkonflikte nicht), die letztlich einen Mangel an Selbstreflexion zur Folge haben. Dies wird eindringlich und mit offensichtlich hoher Vertrautheit geschildert, wenn auch ohne direkte Beurteilung dieses Prinzips; (moralische) Entrüstung scheint ihr fremd sein. Auch unterlässt sie es, Belege aus dem »Nähkästchen« beizusteuern.
Die Aufhebung der klassischen Kompetenzprofile führt zu einem Kooperationszwang. Der Gegner von heute könnte der dringend benötigte Kooperationspartner von morgen sein. Freundschaften werden unter rein ökonomischen Gesichtspunkten geschlossen (ein wenig holprig das Beispiel van Gogh/Gauguin, um dies nicht ausschliesslich als zeitgemässes Phänomen zu beschreiben). Der Einzelkämpfer ist weitgehend chancenlos, er fungiert höchstens noch als eine Art Künstler-Künstler, der dazu neigt sein ganzes Leben in Form von als »legendär« erachtenden Auftritten in die Waagschale zu werfen. Am Modell des Künstler-Künstlers entdeckt Graw die Differenz zwischen einem hohen Kultwelt, der in der jeweiligen Person begründet liegt und einem eher geringen Marktwert, da die Kunstwerke oft vergänglich und keine festen Gegenstände sind. Der Künstler-Künstler, der anfangs (oberflächlich betrachtet) für eine Verweigerung der Kommerzialisierung steht, geht bei Graw später in den Celebrity über – das zweifellos gelungenste Kapitel des Buches.
Celebrity: Verschmelzung von Leben und Werk
Ein Celebrity ist zunächst einmal eine omnipräsente Figur, die als »Produkt« ausschliesslich ihre eigene Berühmtheit »besitzt« und diese vermarktet. Ihr Leben und ihre Persönlichkeit sollen exemplarisch, herausragend und der Rede Wert sein. Graw beschreibt nun, wie der Kunstmarkt diese Form der Selbstvermarktung akkumuliert und damit das Projekt der Avantgarde praktisch vollendet. Sie nennt dies biopolitische Wende. Der Künstler, der ja immerhin im Gegensatz zum Celebrity das Kunstwerk (im Idealfall ein Œuvre) anzubieten kann, wird zum lebende[n] Beweis. Die Legende vom Künstler wird implementiert, der sein Leben als fundamentale Kategorie, welches mindestens ebenso sehr wie das Werk unser Interesse verdient definiert und inszeniert wird und dann zusammen mit dem Kunstwerk dem neoliberalen Regime darbringt (ärgerlich in diesem Zusammenhang, dass Graw den Begriff »neoliberal« mehrere Male im landläufigen, also falschen Sinn verwendet, obwohl sie ihn auch mindestens zweimal korrekt verwendet und sogar erläutert).
Graw zitiert die Schauspielerin Angelina Jolie, die meinte, ihr Produkt [bestünde heute] zu 80% aus ihrem Privatleben, aus »albernen und erfundenen Geschichten« oder dem, was sie anhabe. Das Verhältnis zwischen »Leben« und »Werk« ist, so die These, grundsätzlich metonymisch, also durch Verschiebung und Übertragung charakterisiert. Wie bei Celebrities färben Leben und Werk des Künstlers aufeinander ab und begründen einen Kult des Authentischen. Schön wenn sie beschreibt, wie Erfolg und auch Scheitern der Protagonisten in fast biblischen Dimensionen Heilserwartungen und Sehnsüchte bedienen, die längst ausserhalb jeglichen Werkskontextes liegen. Obwohl Graw mit grosser Strenge bei der Betrachtung der Kunstszene bleibt, lassen sich hier sehr gut Parallelen beispielsweise zum Literaturbetrieb feststellen.
Vom Celebrity-Künstler ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Celebrity-Kultur, welche die von der Kulturkritik regelmässig aufgerufene (und verdammte) »Spektakelkultur«…abgelöst hat. Graw übersieht zwar, dass die »Spektakel«- bzw. »Skandalkultur« als bekanntheitsstiftendes Requisit immer noch oft genug praktiziert wird (und sie unterlässt es, hier die medialen Mechanismen herauszuarbeiten), aber vom Prinzip her neigt man dazu, ihr zuzustimmen.
Der »marktreflexive« Künstler
Den »Urvater« des Celebrity-Künstlers sieht Graw in Andy Warhol, der in den 60er Jahren vom blossen Partygänger zum Inbegriff des marktreflexiven Künstlers wurde, schon insofern…als er das Marktgeschehen zu seinem künstlerischen Material erklärte, ohne sich mit seiner bloßen Abbildung zu begnügen und dies obwohl (oder gerade weil?) die Bilder der Pop Art-Kollegen…Lichtenstein oder Johns weit höher bewertet worden waren.
Mit der Implementierung des marktreflexiven Künstlers, der aus der Celebrity-Kultur hervorgeht und sie wohl überwinden soll, erleidet Graw jedoch veritablen Schiffbruch. Mit marktreflexiven Gesten soll der Rückbezug auf ein Marktgeschehen umschrieben sein, von dem sich der Gestikulierende selbst nicht ausnimmt. Diesem Marktgeschehen wird in seiner jeweiligen historischen Verfasstheit begegnet – sei es, dass die strukturelle Nähe des Kunstmarkts zum Finanzmarkt behauptet wird, sei es, dass den Auswirkungen des Celebrity-Prinzips auf künstlerische Produktion nachgegangen wird. Fast glaubt man verstanden zu haben, da heisst es dann aber, dass unter Marktreflexion nicht das unmittelbare Hineinragen des Marktes in die künstlerische Produktion zu verstehen sei. Was ist also konkret gemeint, wenn gesagt wird, dass marktreflexive Gesten…die Marktbedingungen im Hinblick auf deren potentielle Veränderbarkeit aufgreifen?
Die Beispiele, die Graw dann aufführt (von Gustave Courbet über Marcel Duchamp, Yves Klein [nach Graw ein Vorreiter der…»Eventkultur«], Damien Hirst [dessen abgeklärter Marktrealismus vorgeführt wird], Merlin Carpenter, Jeff Koons bis zur Aktion von Andrea Fraser, die auf einem Video mit einem ihrer Sammler sexuell verkehrt [Untitled, 2003]) entwickelt Graw die bereits angesprochenen, eindrucksvollen Interpretationsmodelle, die jedoch wenig überzeugen, da das, was sie als Marktreflexivität definiert letztlich nur noch aus kommerziellen Erwägungen heraus produziert scheint (inklusive gelegentlichem Skandalanteil) und damit schlichtweg das Bedienen gewisser Erwartungshaltungen befriedigt. Eine Marktreflexivität, die den Markt auf eine marktkonforme (und somit vorhersehbare) Art und Weise bedient, weil sie glaubt, die Verhältnisse nicht mehr ändern zu können, verkommt zur blossen Affirmation (wenn sie nicht in Zynismus abgleitet, was im Zweifel schwer zu entscheiden sein kann).
Bei all diesen Überlegungen spielt übrigens verblüffenderweise der Kunstbetrachter und Museumsbesucher in »Der große Preis« keine Rolle. Er bleibt wohl entweder Celebrity-Groupie mit »Bunte«, »Vanity Fair« oder »Gala« als Referenzmedien oder wird zum akklamierenden Konsumenten degradiert, der im Museum schon routiniert zur Erklärmaschine per Kopfhörer greift und im »Museumsshop« am Ende drei Kunstpostkarten für zwei Euro das Stück kaufen darf, bevor er sich dann irgendwann ob dieses solipsistisch-grossmauligen Gehabes einer sich selbst genügenden Kunstschickeria mehr oder weniger angeekelt abwendet.
Wenn Graw richtigerweise den Gestus des Marktverweigerers als meistens unglaubwürdige Pose herausarbeitet (weil er letztlich auch nur auf den Markt rekurriert), so ist der marktreflexive Künstler im Ergebnis nichts anderes als jemand, der dem Kommerz in einem selbstreferentiellen System erliegt. Ob er dessen Gesetzmässigkeiten analysiert hat und kühl mit ihnen spielt oder ob es sich um einen primitiveren, trivialisierten Vorgang handelt, spielt dann letztlich keine Rolle mehr. Wo da die Kunst als emphatisches Ausdrucksmedium bleibt, wird nicht thematisiert.
Mitten in diesem Amalgamierungsprozess zwischen Kunst und Markt bewegt sich Isabelle Graw als Heroine des Beschreibens. Genau wie der marktreflexive Künstler, erliegt sie fast willig den (scheinbaren) Realitäten, in dem sie diese als Fatum definiert und durch eine krude These über »Marktreflexivität« aufzuwerten versucht.
Auf der vorletzten Seite traut dann der Leser seinen Augen nicht. Graws eigenes Verhältnis zu Markt, Marktgeschehen und markterfolgreichen Praktiken sei von Ambivalenz geprägt erfahren wir da. Sie stehe bestimmte[n] Entwicklungen – etwa dem…Siegeszug des Markterfolgs – ablehend gegenüber und verfolge das Geschehen mit einer Art schaudernder Begeisterung. Sie nennt ihre Studie plötzlich »Faszinationsanalyse« und Form der Gesellschaftskritik…die Distanz zu den Verhältnissen, in die sie gleichsam eingebunden ist, reklamiert, um diesen Verhältnissen aber auch fasziniert zuzuschauen und beizuwohnen.
Dieser Spagat ist, mit Verlaub, misslungen; die Kehre unglaubwürdig. Hier trifft das einfache Bild von jemandem, der den Kuchen gleichzeitig essen und behalten wollte. Was das Buch dennoch lesenswert macht, ist eine Fülle von Details, die dem interessierten Leser die Gegebenheiten des Kunstmarktes deutlich machen. In überbordender politischer Korrektheit ergeht sich die Autorin allerdings leider in ein wahres »Innen-Gewitter«, was zu Satzungetümen wie Im Bereich der bildenden Künste sind es gewöhnlich Kunsthistoriker/innen, Kritiker/innen oder Kurator/innen… oder Darauf, dass eine/ihre Galerie auch in schwierigen Zeiten zu ihm/ihr halten wird, kann sich mithin kein Künstler/keine Künstlerin mehr verlassen führt (ach ja, auf Seite 40, vorletzte Zeile, wurde »Spezialist/innen« vergessen).
Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
interessiert habe ich soeben ihre rezension gelesen. als ‘produzent’ (bescheiden: künstler) und ganz spontan würde ich sagen, es handelt sich einmal mehr um eine jener manchmal unsäglichen peripherschriften, welche ich reflexartig seit jahren beiseite lege. damit mag unrecht getan sein, vielleicht ist es eben nur die unsägliche verschwägerung zwischen den kunstschaffenden einerseits und der deutenden zunft (kunsthistoriker, kuratoren etc.) andererseits.
symbolwert und marktwert sind aus meiner erfahrung und beobachtung untrennbar miteinander verbunden. je höher die preise steigen, um so mehr wird getan, um ebenjene ebendort zu halten und zu etablieren. am spezifischen preisgefüge für werke eines künstlers hängt nicht allein die existenz/der wohlstand des künstlers selbst, sondern eine vielzahl existenzen, die ihn/sie umgeben (sammler/förderer/kunsthistoriker/rezensenten/kritiker etc.). daher kann auch ab einem gewissen ’niveau’ nicht mehr von der unabhängigkeit des marktes die rede sein, geschweige denn von ‘qualität’ (aber das ist ein anderes thema).
das ziel des künstlers unter marktaspekten muss sein, eine gewisse schwelle der reputation zu überwinden. ist man erst einmal in wichtigen sammlungen vertreten, so werden weitere wichtige sammlungen interesse zeigen. aus sicht der kuratoren: habe ich einen künstler ausgestellt, der später erfolgreich ist, so steigt dadurch auch mein (markt)wert als kurator. ins absurde lief diese entwicklung in den hälftigen neuziger jahren, als sich mancher galerist als der wahre und eigentliche künstler verkaufte. auch heute noch wird manche themenausstellung angekündigt unter alleiniger namensnennung des kurators.
der galerist also als künstler, der kunsthistoriker als künstler, der kurator als künstler, der sammler als künstler. und manch künstler auf einmal als kurator. die jagd aller auf den titel desjenigen, der am eigentlichsten für den erfolg eines kunstwerkes verantwortlich zeichnet (incl. marktwert/symbolwert).
insofern dann doch lieber keine bücher mehr. auf dieser bühne halte ich die figur des »künstlers« selbst für die am meisten autarke, kann dieser sich doch – jenseits aller märkte – auf das ‘werk’ an sich zurückziehen bzw. besinnen. alles andere ist markt, zufall, spiel, geiz und ehrgeiz oder laune. den eigentlichen wert, wer mag den schon ernsthaft beurteilen, überhaupt und heute?
in meinem adressverteiler befindet sich übrigens seit jahren auch die autorin des von ihnen besprochenen buches. sie hat fast jede einladungskarte zu ausstellungen bekommen, meinen namen müsste sie daher kennen. wer weiß, wenn nun ihre bedeutung noch steigt, vielleicht steigt ja dann auch die meine? ;-)
viele grüße,
ihr schneck
(uff, jetzt ists aber lang geworden...)
Ihr Kommentar fasst ziemlich genau grosse Teile des besprochenenen Buches zusammen, wobei Frau Graw immerhin mehrfach auf ihre »gefangene« Position hinweist. Was mir in dem Buch essentiell fehlt, ist eine Untersuchung dessen, was Sie sehr schön »Schwelle zur Reputation« nennen. Hierüber schweigt sich die Autorin aus. Denn es besteht m. E. (ich habe keine Intimkenntnisse) kein Zweifel daran, dass der-/diejenige, die einmal im Boot sitzen, immer drinbleiben.
Auch, dass was Sie »Niveau des Marktes« nennen kommt nicht vor. Zwar beklagt Graw, dass der künstlerische Wert eines Kunstwerkes (fast) nur noch aufgrund des Preises vorgenommen wird – gleichzeitig verfällt sie in Faszination gerade dieses Phänomens.
Sehr schön.
Ich nehme an, diese Besprechung kennst Du.
Später hoffentlich mehr.
Diese Besprechung hatte mich angeregt, das Buch zu lesen, wobei ich nur den Tenor noch im Kopf hatte.
(Unbedingt mehr!)
Der Preis eines Kunstwerks.
Ich sehe im Zustandekommen des Preises von Kunstwerken, Parallelen zu Sammlerstücken für die ebenfalls horrende Summen bezahlt werden: Ob für Wein, oder Briefmarken, ist eigentlich egal.
Jedes Kunstwerk ist in den bildenden Künsten ein Einzelstück, was – ganz im Gegenteil – für Literatur, oder Musik nicht zutrifft. Letztere sich reproduzier- und verbreitbar, als Tonträger, Bücher, digital, als Lesung und Konzert – oder man spielt selbst. Ein Gemälde, oder eine Skulptur ist ein Einzelstück, ein Original, und besitzt deshalb schon eine Voraussetzung für einen hohen Preis: es ist limitiert. Wenn nun die Aura etwas Besonderes zu sein (eben ein Kunstwerk) hinzutritt, und es begehrt wird, steigt sein Preis.
Einen Widerspruch zu einem ideellen Wert sehe ich insofern nicht, da ihn der Preis nicht ausdrücken muss, oder nur einem Teil ausdrückt. Oder anders: Mit den horrenden Preise, hat der ideelle Wert nichts zu schaffen.
Die Singularität eines Kunstwerks ist natürlich ein wichtiger Bestandteil zur Preisbildung (Graw rekurriert hierauf mehrfach). Es gibt natürlich auch Drucktechniken, die limitierte Vervielfältigungen erlauben, aber das spielt letztlich keine Rolle, weil es ja mit einem Buch oder einer CD nicht vergleichbar ist.
Dennoch ist es interessant, warum das Bild eines zeitgenössischen Malers A 200 Euro kosten soll und von B vielleicht 10.000 Euro. Beide Gemälde gibt es nur einmal. Und wenn ich noch ein Gemälde von mir daneben stelle, hat es vielleicht einen Wert von 5 Euro (das wären dann nochnicht einnmal die Materialkosten). Woher kommen diese Unterschiede?
Sie sind letztlich an das gebunden, was Graw (und andere) als »Symbolwert« bezeichnen. Da ist dann zunächst einmal der Name des Künstlers wichtig, sein bisheriges Werk und – vor allem! – wer das kauft. Der Sammler spielt eine sehr grosse Rolle.
Das Verdienst von Graws Buch ist, dass sie den in der Öffentlichkeit häufig als kunst- und menschenfreundlich beschriebenen Sammler ein bisschen dekonstruiert. Es gibt sehr wohl Sammler, die im Laufe ihrer »Sammlerexistenz« immer wieder Teile ihrer Sammlung verkauft oder verliehen (verschenkt) haben. In beiden Fällen versuchen sie, einen Wert zu generieren. Beim plumpen Verkauf ist das eindeutig, bei der »Schenkung« geht es um Anerkennung (Schenkungen/»Dauerleihgaben« sind selten vollkommen bedingungslos).
Letztlich geht es darum, welcher »Wert« einem Kunstwerk zugewiesen wird. Dabei ist entscheidend, wer diese Zuweisungen vornimmt. Diese Strukturen werden im Buch ein bisschen angekratzt, aber – leider – mehr auch nicht. Dies vermutlich, weil die Autorin aus ihrer Faszination für diese Hypes keinen Hehl macht.
Ich glaube nicht, dass Kunst als »Mode« angesehen wird, sondern eher als weitere Möglichkeit, Gewinne zu generieren (bzw. Status). Bzgl. der Sammler möchte Graw tatsächlich ein bisschen am Image des Sammlers als »Kunstfreund« kratzen. Sie behauptet nicht, dass es solche Sammler nicht gab und auch nicht, dass es sie nicht mehr gibt, aber sie gibt zu bedenken, dass viele ihre Sammlungen irgendwann verkaufen – und nicht, um damit Verluste einzufahren. Auch die »lebenslangen Leihgaben« sieht sie skeptisch (im Tenor ihrer anderen Affirmation des Betriebs meines Erachtens zu skeptisch).
Sie beklagt, dass der Preis des Kunstwerks gleichzeitig auch als Ausweis für dessen »Kunst« gilt. Also das ein teures Kunstwerk ein »besseres« Kunstwerk ist, als ein günstigeres. Gleichzeitig ergeht sie sich eben in der Faszination dieses Betriebs, dem sie dann erliegt.
Man könnte es mit den Bestsellern in der Literatur vergleichen. Dass diese Bücher stark verkauft sind, sagt rein gar nichts über deren (literarischen) »Wert« aus. Genau das wird aber sehr häufig in der oberflächlichen medialen Betrachtung gleichgesetzt.
Diskutiert Graw eigentlich ob der Markt Auswirkung auf die Qualität von Kunstwerken hat (über den »Marktverweigerer« usw. hinausgehend)? Auf die Literatur gemünzt scheint man das durchaus beurteilen zu können.
Diskutiert Graw eigentlich ob der Markt Auswirkung auf die Qualität von Kunstwerken hat
Sie thematisiert nur, dass in der Szene immer mehr die künstlerische Qualität eines Kunstwerks nach seinem Preis beurteilt wird. Kunstwerke, die »teuer« sind gelten auch unter Künstlern plötzlich als ästhetisch gelungener als preiswertere. Das gilt insbesondere für zeitgenössische Künstler und Kunstwerke.
Das ein Künstler den Markt auf einem gewissen Gebiet »bedient«, spricht sie nur sehr kursorisch an.