Wieder einmal ist es geschafft: Die Diskurswächter haben das Monopol auf ihre Deutungshoheit anderen aufgedrängt. Aktuell im Beispiel Tchibo und Esso. Hatten beide Unternehmen (in seltsamer Parallelität) doch die Frechheit besessen mit dem (merkwürdig anmutenden) Spruch »Jedem den Seinen« für ihre Produkte zu werben.
Das durfte natürlich nicht sein. Der scheinbar notorisch unterbeschäftigte Zentralrat der Juden schmeisst – wie inzwischen üblich – ganz schnell die Empörungsritualmaschine an. »Nicht zu überbietende Geschmacklosigkeit« oder ein Beispiel »totaler Geschichtsunkenntnis« schmettern sie dann in die Runde. Weil während der Zeit des Nationalsozialismus der Spruch »Jedem das Seine« über dem Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald prangte, scheint es so zu sein, dass das Eigentum der Rechte an diesem ursprünglich harmlosen Lebenshilfe-Diktum aus der Antike an den Zentralrat übergegangen zu sein scheint und von nun an im rhetorischen Giftschrank zu verbleiben habe. Ob man damit den Nationalsozialisten nicht ein bisschen zuviel Ehre zukommen lässt?
Ähnliches durfte der Ministerpräsident Niedersachsens, Christian Wulff, mit dem Begriff des »Pogroms« erfahren. Auch hier beharrte man auf die Exklusivrechte. Wulff hatte in einer Talkshow folgende Formulierung gebraucht: »Ich finde, wenn jemand 40 Millionen Steuern zahlt als Person und Zehntausende Jobs sichert, dann muss sich gegen den hier nicht eine Pogromstimmung entwickeln.« Zweifellos ist dieser Vergleich unangemessen und übertrieben. Aber ist er auch eine »nicht hinnehmbare« Entgleisung, wie die Vorsitzende Knobloch nahe legt? Geradezu absurd die »Forderung« des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer nach einem Rücktritt des Ministerpräsidenten. Wulff telefonierte mit Kramer, der sich zunächst »nicht zufrieden« mit der Entschuldigung des Ministerpräsidenten zeigte. Ein albernes Spiel: ein freigewählter Politiker, der einen blöden Vergleich intonierte, sich dafür jedoch entschuldigte, wird öffentlich einem virtuellen Tribunal unterzogen.
Langsam aber sicher verspielt der Zentralrat der Juden mit solchen lächerlichen Spielchen seinen Ruf als intellektuelle Instanz der Bundesrepublik. Die Zeiten eines Ignatz Bubis, der sich mit Martin Walser an einen Tisch setzte und diskutierte, sind offensichtlich leider längst vorbei. Von Kierkegaard stammt das Bild des Theaterbesuchers, dessen Feuerwarnung nicht mehr gehört wird, weil er vorher immer seinen Spass damit getrieben hatte. Unter der Ägide von Charlotte Knobloch rück-entwickelt sich der Zentralrat zur profanen Diskurspolizei, die mit pawlowschen Affekten die »Verfehlungen« aus Politik, Wirtschaft und Popkultur abstrafen will. Dabei scheuen sie vor keinen noch so abwegigen Übertreibungen zurück, als müssten sie die Inflationierung der Nazi-Vergleiche (die es zweifellos in einer aufmerksamkeitsgeilen Diskursgesellschaft gibt) mit superlativem Betroffenheitsgestus kontern (vielleicht eine Folge der langsam aber sicher eintretenden Abgestumpftheit eben aufgrund übermässiger Orchestrierung).
Die Suche nach Empörungsfutter lässt inzwischen sogar »Bild«-Leserreporter »Nazi-Kleiderständer« entdecken. Und in den USA fand man vor anderthalb Jahren einen Jahrzehnte alten US-Navy-Stützpunkt in Hakenkreuzform. Das erinnert alles ein bisschen an die (belegte) Szene im 1977 entführten Flugzeug »Landshut«, als eine Passagierin vom »Anführer« der Entführer, einem rasenden Antisemiten, als »jüdisch« beschimpft wurde, weil das Logo ihres Mont-Blanc-Stiftes für ihn als Davidstern interpretiert wurde.
Wie wäre es, nicht mehr jeden Unsinn und jeden blödsinnigen Nazi-Vergleich durch übertriebene und irgendwann selbst den wohlwollenden Geistern enervierende Erregungen noch künstlich aufzuwerten? Wie wäre es mit einer rhetorischen und verbalen Abrüstung, damit tatsächlich besorgniserregende Entwicklungen nicht mit dem gleichen Gestus kommentiert werden müssen wie die debilen Absonderungen diverser Promis? Warum nicht ein gewisses Vertrauen in eine Diskurskultur entwickeln?
Deine Hoffnung auf eine Abrüstung und eine Diskurskultur in allen Ehren, aber das scheint mir vergeblich, ist doch das Schwingen der Nazikeule bei jeder sich bietenden Lappalie nachgerade der Lebenszweck des ZRdJ. Besonders deutlich wurde das, als man seinerzeit die ölige Krawallschachtel Michel, Verzeihung, Michél Friedmann zum Vizepräsidenten erkor. Er ist es nicht mehr, ich weiß, aber das Prinzip des Hau-drauf- Reflexes besteht und wird sich nicht ändern. Dass man dadurch echt bedenklichen Entwicklungen im Neo-Nazi-Umfeld geradezu Vorschub leistet, hat für den ZRdJ den positiven Effekt, durch Verweis auf eben diese Zunahme ideologischer Armleuchter die eigene Notwendigkeit und Einflussmöglichkeit als Lobbyistengruppe zu untermauern.
Der Zentralrat der Juden kann keine moralische Instanz sein, jedenfalls nicht, solange er regelmäßig (vermutlich bewusst) Kritik an Israel, Antizionismus und Antisemitismus gleichsetzt.
Es gibt eine einfache Möglichkeit, »Israelkritik« auf Antisemitismus zu prüfen
Nämlich Sharanskys »3‑D«: Dämonisierung, Doppelstandards, Delegitimierung
Antisemitismus in 3‑D
Eine ähnlicher einfacher Ansatz ist beim »allgemeinen« Antisemitismus leider nicht möglich.
Allerdings habe ich im konkreten Fall »Jedem das Seine« Verständnis für die dünnhäutige Reaktion des Zentralrates der Juden in Deutschland. Denn der muss davon ausgehen, dass die Werber sich sehr genau überlegen, welche Gedanken und Bilder ein Spruch wie »Jedem das Seine« in den Köpfen der Verbraucher auslöst. Der Spruch ist, auch wenn er ursprünglich kein Nazi-Spruch ist, sozusagen durch den Nazi-Missbrauch für Zwecke der Werbung »verbrannt«. (Für den privaten und literarischen Gebrauch gelten da ganz andere Maßstäbe.)
Vor diesem Hintergrund kann ich nur sagen: die Werbeagentur, die für diese Slogans verantwortlich ist, war fahrlässig und ihr gehört zurecht auf die Finger geklopft.
#3
Man sollte beachten, dass Sprache und Sprachgebrauch einem Wandel unterliegen, und sich Bedeutung und Konnotation ändern können. Unter diesem Gesichtspunkt sehe ich nicht, warum das bei dem Satz »Jedem das Seine« nicht passieren kann, soll, oder darf, vor allem wenn man beachtet, dass das »Argumentationsmuster« xyz hat, und deshalb dürfen wir auch nicht, keinerlei logische, oder sonstige Stichhaltigkeit besitzt. Wenn man nicht bereit ist das näher auszuführen, gewinnt das Ganze den Charakter einer autoritär daherkommenden Behauptung. Zudem ist bei sprachlichen »Richtlinien« ohnehin Vorsicht geboten: ich meine, die meisten sind mündig das selbst zu entscheiden. Gilt dann die oft beschworene Liberalität westlicher Gesellschaften nichts mehr?
Es ist zwar schwer zu akzeptieren, aber es ist leider so ...
... dass es ausreicht, dass ein bestimmter Spruch oder ein bestimmtes Symbol bei einen Teil der Bevölkerung eine Nazi-Konnotation haben, um sie für den Werbegebrauch (!) unmöglich zu machen. Es geht nicht um Kunst oder Privates, es geht nicht um den mündigen Bürger – es geht schlicht um Verkaufsförderung, und da geht so etwas gar nicht.
Anderes Beispiel: Runen. Die haben seit der Nazi-Zeit ebenfalls eine negative Konnatation. Ich mache mich sogar strafbar, wenn ich bestimmte Runen verwende – auch wenn die Nazis die Runen natürlich nicht erfunden haben. Ich verwenden – in einem heidnisch-germanischen Kontext selber Runen – sogar in der Öffentlichkeit, auch aus dem Grunde, den Nazis diese Symbole nicht zu überlassen.
Würde ich aber Werbung gestalten, würde ich bewusst auf Runen verzichten. Oder auch die Verwendung germanischer Götternamen. Weil ich aus vielfacher Erfahrung weis, wie viele Menschen dabei zuerst an Nazis denken.
Es ist nicht einzusehen, daß bestimmte Formulierungen, die während der NS-Zeit in einem bestimmten Kontext verwendet (missbraucht) wurden, für immer und ewig für nur irgend etwas »verbrannt« sein sollen.
Im konkreten Fall ist ja noch nicht einmal »Jedem das Seine« als Werbespruch benutzt worden, sondern »nur« ein Spruch, der eine gewisse Ähnlichkeit assoziiert (gestern auf »arte« Woody Allens Film »Manhattan Murder History« gesehen – dort sagt Allen in der synchroniseirten Fassung auch einmal »jedem das Seine«, als seine Frau merkwürdige Vorkommnisse bei ihrem Nachbarn entdeckt – ist jetzt Allen sanktionierungspflichtig? oder der Synchronisierer?)
Selbst wenn der Spruch »verbrannt« sein sollte – ist die hysterische Reaktion darauf nicht vollkommen unangemessen? (Noch mehr finde ich das im Beispiel »Pogrom« – als sei »Pogrom« Exklusivbesitz für eine bestimmte »Volksgruppe« [huch, das Wort darf man bestimmt auchnicht sagen].)
Vor einigen Jahren hatte ich Klemperers »LTI« gelesen. Klemperer war ja Verfolgter; seine Tagebücher sind bewegendes Dokument dieser schrecklichen Zeit. Die »LTI« wurde von ihm aus seinen Aufzeichnungen währen der NS-Zeit zusammengestellt und Ende der 40er Jahre herausgegeben. Es ist sehr interessant, welche Begriffe und Begriffsverwendungen er als nazistisch herausarbeitet. Aber es wäre ein Fehler, diese Wörter und Begriffe, die immer in einem bestimmten Kontext stehen, als ewige Paria-Begriffe zu verwenden, wie dies beispielsweise hier angedeutet wird. Neben schrecklichen und eindeutigen Fornmulierungen und Entgleisungen stehen dort auch Redewendungen wie »herzliche Grüße« oder »schweren Herzens«. Abstruser wird das noch, wenn eine Wörterliste angelegt wird, nach der dann Diskurspolizisten nur noch mechanisch agieren können.
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Das »3 D-»Modell überzeugt mich übrigens gar nicht. Shakespeares »Kaufmann von Venedig« als »antisemitisch« zu postulieren, ist vollkommener Unsinn. Insgesamt ist dieses »Modell« viel zu holzschnittartig; es leistet einer vereinfachten Darstellung bzw. Verurteilung, die man in solchen Zusammenhängen gerade vermeiden sollte, sozusagen von der anderen Seite Vorschub, in dem es mit locker-flockigem Postulat ein bequemes Urteil ermöglicht.
@Gregor & Metepsilonema
Es steht jedem frei, alle Begriffe so zu verwenden, wie er das gern möchte. Aber man sollte das Ziel von Kommunikation nicht außer acht lassen: Verständigung. Wir hatten dasselbe Thema gerade bei den Begriffen »Neoliberalismus« und »Sozialismus«. Natürlich kann man darauf beharren, es in einer bestimmten Bedeutung zu verwenden. Wenn eine große Mehrheit den Begriff aber anders verwendet, wird man missverstanden. Unbewusst kann das immer passieren, aber wenn man es bewusst darauf anlegt, muss man auch den Preis dafür akzeptieren – der Streit dreht sich dann um Worte und nicht mehr um Inhalte.
Ich zucke jedenfalls bei »jedem das Seine« zusammen, weil in unserem Kulturkreis sicher jeder Gebildete dasselbe Bild vor Augen hat – das bekannte Foto vom KZ-Eingang. Ein Werber disqualifiziert sich sowohl in dem einen als auch dem anderen Fall – wenn er das weiß und wenn er das nicht weiß.
Fragen
Wo ist hier ein Argument? Ich lese, dass etwas leider so ist und dann: da geht so etwas gar nicht. Noch einmal: Ich will wissen, wie die Argumentation lautet, warum der Satz nicht verwendet werden darf. Ich mag diese autoritären Feststellungen nicht. Also: Wer legt das fest, und warum? Falls es die Sprecher sind, dann nehme ich mir heraus, mir meinen Wortgebrauch selbst ausszusuchen.
Falls jemand nicht weiß, dass dieser Satz über dem Eingang des KZ Buchenwald stand, wie könnte er wissen, ob die Verwendung legitim ist? Und warum darf der Satz privat, aber nicht in der Öffentlichkeit verwendet werden? Wo ist hier der prinzipielle Unterschied?
@Köppnick
Es geht nicht um Begriffe, sondern um eine Formulierung, und im Grunde darum, ob es gerechtfertigt ist einen bestimmten Gebrauch vorzuschreiben. Ich halte das für sehr problematisch, weil vieles oft nur aus einer persönlichen Perspektive verständlich ist, wie Du selbst schreibst (Ich zucke jedenfalls bei »jedem das Seine« zusammen).
Das »3‑D-Modell« ist für den Sonderfall »Israelkritik« gedacht
Es ist leider nicht auf andere Situationen übertragbar.
Shakespeares »Kaufmann von Venedig« hat eine – aus der Zeit erklärbare, entschuldbare, aber eindeutig vorhandene – antijüdische Tendenz. Im Kontext von Sharanskys (politischem) Artikel ist es – der größeren Deutlichkeit halber – völlig akzeptabel, das Stück »antisemitisch« zu nennen. Zumal Shylock tatsächlich ein treffendes und bekanntes Beispiel für die Dämonisierung eines Juden ist. (In einer Theaterkritik wäre das Wort sicher nicht angemessen, es sei denn, ein umgeschickter oder gewissenloser Regisseur inszeniert das Stück so, dass Shylocks dämonische »Bosheit« völlig in den Vordergrund tritt – und der bei Shakespeare durchaus vorhandene Aspekt, dass Shylock von den Christen Venedigs verachtet und von Antonio öffentlich beleidigt wird, also einen Grund für seinen Hass hat, und dass Shylock ein Jude, aber nicht der Jude ist, vernachlässigt wird.)
Dass heißt nun nicht, dass man für den »Kaufmann« ein Aufführungsverbot erlassen sollte – das ist ein genau so großer Unsinn, wie der jahrzehntelange Wagner-Boykott in Israel, der zum Glück inzwischen Geschichte ist. (Wobei Wagner im Gegensatz zu Shakespeare tatsächlich Antisemit im heutige Sinne war.)
@MMarheinecke
Die Tatsache, dass Shylock im Stück ein Jude ist und eine unbehagliche Figur darstellt, reicht mir nicht aus, es als antisemitisch zu sehen (unabhängig von der Inszenierung, die natürlich hier starke bis unerträgliche Akzente setzen kann). Ich habe das Gefühl, dass die »Antisemitismus-Hellseherei« (Sloterdijk [in anderem Zusammenhang verwendet]) den Blick für das Wesentliche verliert, in dem es sich in Kleinigkeiten verzettelt. So wurde den bedauerlichen xenophoben Ausschreitungen in der Bundesrepublik oft genug mit xenophilen Abgrenzungen »geantwortet«, so als müsse man die eine Radikalität mit einem anderen radikalen Denkmuster exorzistisch austreiben. Das ist letztlich ein Akt von Hilflosigkeit. Ähnliches entdecke ich in der permanenten Suche, antisemitische Versatzstücke zu entdecken wo keine sind. Ein Beispiel ist das Fassbinder-Stück »Der Müll, die Stadt und der Tod«. Nicht nur an diesem Beispiel zeigt sich, dass sehr oft die Wahrnehmung in Israel selber sehr viel abgeklärter, besonnener und kritischer ist.
Antisemitismus bzw. Antijudaismus (Araber sind streng genommen auch Semiten) sollte man dort angehen, wo es ansteht. Es gibt einen Blog hier auf twoday, der mehr als nur israelkritische Beiträge verfasst und der tatsächlich partiell antisemitisch ist. Dort kursiert Jude als Schimpfwort und der Intendant des DLF ist eine »Krummnase«. twoday interessiert’s nicht (das sind vermutlich diejenigen, die Köppnick meint, wenn er von den Ungebildeten spricht – oder sie sind bereits immunisiert).
#9 – @Metepsilonema
Ich verwende solche Begriffe und Redewendungen nicht, weil ich mit meinen Aussagen das Ziel verfolge, möglichst gut verstanden zu werden. Wenn ich uneindeutige Begriffe verwende, werde ich eher missverstanden. Es liegt aber nicht in meinem Interesse missverstanden zu werden. An einer Provokation bzw. an allem, was so verstanden werden könnte, habe ich (meistens) kein Interesse.
Ich schreibe keinem anderen den Gebrauch oder Nichtgebrauch bestimmter Wörter vor. Aber natürlich kann ich seine Aussagen nur in meinem eigenen Kontext interpretieren. Und bei solchen zweideutigen Formulierungen überlege ich dann, wie er es gemeint haben könnte. Sehr negativ gesehen gibt es dann bei missverständlichen Formulierungen drei Möglichkeiten:
– Mein Gegenüber ist zu dumm, um den Zusammenhang zu sehen.
- Mein Gegenüber will mich provozieren.
- Mein Gegenüber ist starrsinnig, weil er auf Kosten der Verständlichkeit auf seiner Interpretation beharrt, obwohl es Alternativen gäbe, mit denen beide Seiten gut leben könnten.
Man muss es nicht immer so streng sehen, aber jemand, der beständig Wörter dieses Kalibers verwendet, sinkt in meiner Wertschätzung ganz automatisch, weil Dummheit, Bosheit oder Starrsinn für mich nicht attraktiv sind.
@Köppnick
Grundsätzlich stimme ich mit Dir überein. Ich frage mich nur woran man hier das Missverständnis genau festmachen möchte. Eigentlich doch nur darin, dass es einen bestimmten Beigeschmack gibt (geben kann)? Der Kontext sollte das klar stellen. Abgesehen davon sind in diesem Fall die Wurzeln, und der Missbrauch eindeutig festzustellen: Der Satz geht auf die Antike zurück.
@Metepsilonema/Köppnick
Ich stimme Metepsilonemas Frage-Kritik zu.
Lassen wir das Beispiel »Jedem das Seine« einmal weg. Tatsächlich ist ja DIESER Spruch gar nicht thematisiert worden, sondern nur ein Slogan, der diesem ähnelte.
Nehmen wir den Begriff »Pogrom« im Zusammenhang mit Wulffs Äusserung (siehe Beitrag oben). Fest steht für mich: Die Aussage Wulffs, Manager würden einer Pogromstimmung ausgesetzt, ist Blödsinn. Ein Progrom ist eine Art Massen-Lynchjustiz, die sich bspw. gegen Mitglieder einer bestimmten Ethnie oder Religion richtet. Im »Wilden Westen« gab es auch Lynchjustiz, die sich aber in der Regel an einen (vermuteten) Täter wandte und nicht ethnisch, religiös oder sonstwie konnotiert war.
Mehrheitlich wird der Begriff »Pogrom« (derzeit) mit der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden durch Christen und – in der Zeit ab 1933 – durch das NS-Regime verwendet. Es gibt Wissenschaftler (u. a. Völkermordforscher wie Heinsohn), die den Begriff nicht ausschliesslich in Verbindung mit der Verfolgung und Ermordung von Juden sehen, sondern auch auf andere, ähnliche Situationen anwenden (bspw. der Türken gegen die Armenier).
Zurück zu Wulff: Die Aussage, Manager würden (trotz ihrer »guten Taten« [hierüber kann man ja geteilter Meinung sein, aber lassen wir das einmal weg]) einer massenweisen Verfolgung ausgesetzt sein, die mindestens Leib und sogar Leben bedroht (nur dann kann man von einem Pogrom sprechen), ist an sich nun vollkommen blödsinnig (siehe oben). Diese Blödsinnigkeit kann man feststellen, ohne den Begriff mit der Ausschliesslichkeit auf Judenpogrome zu assoziieren. Streng genommen wäre es vermutlich sogar falsch, ihn nur auf Juden zu fokussieren.
Wenn es jedoch eindeutig ist, dass Wulffs Aussage »daneben« ist (um es freundlich auszudrücken), bedarf es nicht dem alarmistisch-hysterischen Apparat der Empörungsmaschinerie, die bis zur Rücktrittsforderung des MP geht. Die knappe und sachliche Feststellung (für die Unwissenden, mit denen Köppnick und ich so ungerne reden), dass diese Aussage unzutreffend ist, müsste/sollte ausreichen. Ja, sie, die kurze, darstellende Aussage, wäre auf Dauer didaktischer und nachhaltiger.
Warum wird das ganze Instrumentarium vom Zentralrat ausgepackt? Warum schiesst man mit einer Kanone auf die Katze, wo es die Zwille auch täte?
Der Akt der Verständigung, den Köppnick benennt, tangiert es nicht. Die »Bewusstseinsmachung«, die angestrebt werden soll, ist bzw. wird durch die permanente Reizung der Öffentlichkeit irgendwann stumpf.
Die Aussage, dass etwas so ist, wie es ist, ist eine tautologische und in diesem Fall (wie so oft) wehrlos. So kann man allenfalls Kinder stillhalten, weil man ihnen nicht die grosse Welt erklären will; schon in der Pubertät verfangen solche tautologischen Erklärungsversuche nicht mehr.
@Gregor
Ich stimme dir bzgl. »Pogrom« zu. Man sollte Wulff zugute halten, dass er das in einer Talkshow gesagt hat und nicht schriftlich irgendwo geäußert. Die Aufregung fällt für mich in dieselbe Kategorie wie damals im Zusammenhang mit Eva Hermans missglücktem Zitat. Gegen Eva Herman mobilisierten seinerzeit Alice Schwarzer & Co.
Und zum Zentralrat der Juden habe ich mich schon geäußert. Im übrigen: Habt ihr das schon gelesen: Israels Erfolge im Propagandakrieg. Das sagt doch eigentlich sehr viel zur Diskussionskultur in Deutschland bzgl. Palästina und Israel.
@Köppnick
Bisschen arg verschwörungstheoretisch. Als würde sich der Staat Israel für eine deutsche Talkshow interessieren.
Das, was da vom »Spiegelfechter« als Sensation dargestellt wird, ist gang und gäbe. Im Luyendijk-Buch ist sehr gut beschrieben, wie geschickt Israels »Marketing« funktioniert. Das zu kritisieren, finde ich ehrenrührig; es bekannt zu machen, wichtig.
Pogrom
Das online verfügbare Langenscheidt Fremdwörterbuch definiert Pogrom wie folgt:
Po’grom, der/das; ‑s,-e Verfolgung, Ausschreitung gegen politische, ethnische oder religiöse Minderheiten
Das deckt sich zumindest mit meinem bisherigen Verständnis.
Ich stimme Gregor prinzipiell zu, aber ...
die Problematik der Redewendung »Jedem das Seine« ist seine Perfidie. Ich kenne keinen Satz aus dem Wortschatz der NS-Ideologen, der ähnlich harmlos klingt, aber so ins Mark trifft. Die gespreizte Bösartigkeit haftet an dem Satz, wie eine Fliege am Klebestreifen. Das mag unterschiedlich rezipiert zu werden, aber mir sträuben sich tatsächlich die Nackenhaare.
Ich würde aber ebenso ausdrücklich das genannte Beispiel von dem Vergleich freisprechen, da der Werbespruch diese Konnotation kaum noch hat, und Frau Knobloch tatsächlich nur noch die stumpf gewordene Auschwitzkeule schwingt, ohne die moralische Integrität ihrer Vorgänger zu versprühen.