Eine Philippika. Eine Anklage. Eine Selbstbezichtigung. Eine kalkulierte Provokation? Götz Alys »Unser Kampf 1968« (im Schmutztitel: »Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück«) kommt vor allem auf den ersten Seiten mit schier atemlosen Furor daher.
Da ist von luxorierenden Jugendexistenzen die Rede, die bis ins hohe Alter ihre Mythen pflegen. Oder vom Parasitenstolz einer Generation, die ihre revolutionsselige Sturm- und Drangzeit als Geschichte einer besseren Heilsarmee verklärt und sich noch heute rühmt, seinerzeit Sozialhilfe erschlichen zu haben. Che und Meinhof als Maskottchen eines Sentimentalstalinismus.
Am Anfang zerpflückt Aly mit polemisch-scharfen Wortkaskaden das mythische Geraune jener Altachtundsechziger, zu denen er sich selber zählt (und woran er keinen Zweifel lässt), die sich heute ein Ferienhaus in der Toskana gönnen, mit der ihnen eigenen, selbstgerechten Hochnäsigkeit (allerdings grundlos) auf die DDR-Intelligenz hinunterschauen, die sie selber 1990 »abgewickelt« haben, um – endlich! – in den Genuss der seit langem ersehnten Pöstchen zu kommen: Die verspielten Wohlstandsrevoluzzer hatten ihre Umsturzphantasien nie zur Tat werden lassen. Jetzt profitierten sie vom Umsturz der Anderen.Die untergegangene DDR konfrontierte die Achtundsechziger – nicht zuletzt mit ihren marxologischen Formulierungen – an vergangene Zeiten, die sie für sich schon längst überwunden hatten. Die Westlinken waren angeekelt von diesem déjà-vu ihrer eigenen Unzulänglichkeiten. Die Ostdeutschen hielten den Spiegel parat, in dem sie [die Westlinken], falls sie nicht einfach wegsahen, vor allem eines erkennen mussten: den totalitären Charakter ihrer früheren Weltanschauung.
Aly mittendrin
Der Autor hat wenig Schmeichelndes für die altgewordenen Salonlinken übrig, die ihre politisch-gesellschaftlichen Gesinnungshavarien als Kollateralschäden eines revolutionären Rebellentums idyllisieren und Terrorgruppen wie die RAF oder besonders unsympathische Einzelpersonen wie Andreas Baader heute als Sündenböcke benutzen, mit deren Hilfe von den eigenen Schandworten und –taten abgelenkt wird (bei dieser Gelegenheit erfahren wir, dass Aly einmal eintausend Mark »gewaschen« hat).
Das hat natürlich mit dem pomadigen und unhistorischen 68er-Bashing eines Kai Diekmann nichts zu tun. Aly verurteilt die insurgenten Umtriebe an sich nicht – deutlich schildert er die drohenden Erstarrungen des restaurativen Geistes der Adenauer und Erhard-Zeit und erkennt sehr wohl die Notwendigkeit politischen und gesellschaftlichen Umdenkens. Was jedoch vehement bestritten wird, ist die epochale Veränderung, die im Nachhinein – und nicht ohne Zutun der Protagonisten (und der Gegner – man sieht das exemplarisch an Diekmann) – den Achtundsechzigern zugeschrieben wird.
Diese Dekonstruktion wird auf drei Ebenen simultan vorgenommen: Erstens wird aufgezeigt, welche gesellschaftlichen und politischen Veränderungen seit der Grossen Koalition 1966 und erst recht mit der sozial-liberalen Koalition 1969 angestossen wurden (wobei der Fokus nicht auf die seinerzeit so vehement bekämpften »Notstandsgesetze« gerichtet bleibt). Desweiteren zeigt Aly die autoritären und antidemokratischen Strukturen innerhalb der revolutionären Gruppen (hauptsächlich deren Wortführer) auf und deren Immunität totalitärer Umtriebe (und Ideologien) gegenüber und zum dritten beschreibt er seine damaligen persönlichen Aktionen und analysiert diese lakonisch und unsentimental.
Immer wieder flechtet Aly seine Handlungen, Motivationen, Denkrichtungen – und die damit einhergehenden Desillusionierungen ein (als er dann zweifacher Vater war, hiess es lapidar, Revolution könne man nicht mit Kindern machen). In dem Kapitel über den fahrlässig-verklärenden Maokult der Linken stellt er sich die Frage, die diese Generation – der Legende nach – ihren Eltern gestellt hatte: Warum habt ihr das nicht gewusst? Und da Aly Zeitzeuge ist, stellt er fest: Man konnte es wissen – problemlos. Und dabei rehabilitiert er bei dieser Gelegenheit den Politikwissenschaftler Jürgen Domes (der am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin lehrte – der Uni, an der auch Aly studierte), der schon sehr früh die Schrecken der Kulturrevolution benannte, als die Mehrzahl diese noch als emanzipatorischen Akt feierten (und Domes als Reaktionär denunzierten).
Gartenlaube für gehobene Stände
Aly seziert die Rhetorik von Dutschke et. al., referiert über die Zirkelschlüsse der »Rätedemokraten«, stürzt sich mit lustvoller Destruktion auf das seinerzeit so sakrosankte »Kursbuch« welches er als eine Art Gartenlaube für die gehobenen Stände der Neuen Linken apostrophiert, zitiert (zugegeben) blöde Gedichte von Peter Schneider und F. C. Delius, geisselt Enzensbergers Kommunismus- und Maohymnen, prangert die Worthülsen der SDSler an, jongliert mit deren rhetorischen Kampfbegriffen und beschreibt die Karriere und Transformationen der Mao-KPDler seit Ende der 70er Jahre.
Das alles ist gekonnt, pointiert und wird durchaus auch argumentativ vorgetragen. Und weil Aly (unter anderem) Zugriff zu den Bundesarchiven des Innen- und Justizministeriums, des Kanzleramts und auch des Bundesamts für Verfassungsschutz bekommen hat und hier aus dem Vollen schöpfen kann, gibt es auch einige neue Erkenntnisse, insbesondere was interne Schreiben in den Regierungsbehörden angeht.
So zeigt der sogenannte »Staritz-Bericht« über ein konspirativen Treffen an zwei Tagen im Juni 1967, an dem ein sogenannter »Machtergreifungsplan« von Dutschke, Semler, Peter Schneider, Bernd Rabehl (der heute ein Freund der NPD ist), Wolfgang Lefèvre und einigen anderen entworfen wurde, eine gewisse Kreativität. Man strebte mit West-Berlin (dem Zentrum der »Bewegung«) tatsächlich eine Sezession in Form eines Freistaates nach dem Muster Hongkongs an (ein »Stadtsowjet« sollte implementiert werden). Ferner plante man, in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren eine Massenbewegung zu formieren, die das bestehende System der Bundesrepublik sukzessive unterwandern sollte. Der Plan dokumentiert exemplarisch die latent totalitäre und antidemokratische Haltung der sich als Elite verstehenden Revolutionäre.
Die Mythen der heutigen Meinungsführer
Zum heutigen »taz«-Leitartikler Christian Semler vermerkt Aly nicht nur dessen Elogen auf Mao und Pol Pot (bis weit in die 70er Jahre hinein), sondern auch seinen Artikel von 1974 anlässlich des Rücktritts von Willy Brandt mit der Schlagzeile »Brandt gescheitert – das Gespann der Volksfeinde wird ausgewechselt«. Thomas Schmid, seinerzeit auch ein Vordenker der Rebellen und heute Chefredakteur der »Welt« (einem Springer-Blatt), ist für Aly ein Spätbekehrter und Erbschleicher. Und für Enzensberger gelte immer noch das Habermas-Zitat aus dem Jahre 1968, als dieser ihn portraitierte als »zugereisten Harlekin am Hof der Scheinrevolutionäre, der, weil er so lange unglaubwürdige Metaphern aus dem Sprachgebrauch der zwanziger Jahre für seinerzeit folgenlose Poeme entrichten musste, nun flugs zum Dichter der Revolution sich aufschwingt – aber immer noch in der Attitüde des Unverantwortlichen, der sich um die praktischen Folgen seiner auslösenden Reize nicht kümmert.« Und auch die inzwischen zu Ikonen stilisierten geistigen Ziehväter der Rebellion – allen voran Herbert Marcuse, dem er in der Verachtung der pluralistischen Moderne explizit Parallelen zu Heideggers Denken unterstellt – kommen nicht gut weg.
Alys Polemiken wider diejenigen, die heute den aufgeklärten Meinungsführer abgeben, haben etwas Erfrischendes. Und auch manches heute noch lieb gewonnene Freund-/Feindbild wird attackiert. Etwa das vom »bösen« Kanzler Kiesinger, seines Zeichens NSDAP-Mitglied und daher gern genommen. Philipp Gassert zitierend zeigt er allerdings, dass Kiesinger sehr wohl ein reales Interesse und rudimentäres Verständnis für die Revoluzzer hegte und sich mit dem SDS treffen sollte (freilich unter der Bedingung der Gewaltlosigkeit, was dann flugs dafür herhalten musste, dass es nicht zur Begegnung kam). Kiesingers Empathie für die Aufständler war grösser als beispielsweise die der (scheinbar so liberalen) SPD-Koalitionäre Willy Brandt und Helmut Schmidt, die eher auf der Seite (des späteren Bundespräsidenten) Karl Carstens und des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger standen und eine harte, durchgreifende Hand forderten. Insgesamt war das politische Establishment weder auf die Vehemenz noch dem Zeitpunkt noch auf die Methoden der Achtundsechziger gefasst. Entsprechend fahrig fielen auch die Reaktionen aus.
Die Achtundsechziger rannten offene Türen ein
Alys These: Die Politik und die Staatsorgane waren spätestens ab der Zeit der grossen Koalition besser (und weiter) als die Achtundsechziger – und deren Geschichtsapologeten bis zum heutigen Tage – dies wahrhaben wollten. Die Rebellierenden bezeichneten den Staat…als post‑, wahlweise als präfaschistisch oder vage als (tendenziell) faschistoid. Aly verortet jedoch das nazistische Restgift weniger in den Staatsorganen bzw. ‑repräsentanten als in der Mehrheitsgesellschaft. Das Volk pflegte den keifigen Ton und das gespannte Verhältnis zur Idee der Freiheit. Hierüber, so die These, erheben sich nonchalant die Rebellierenden und züchten lieber ihre Feindbilder, statt sich den Realitäten zu stellen.
Das Aufkommen der Revolte sei durch das Verschweigen der Nazivergangenheit begünstigt worden? Das Gegenteil ist richtig. Aly zählt –zig Gerichtsverfahren auf, die Mitte/Ende der 60er Jahre aufgenommen wurden und die nationalsozialistischen Verbrechen sukzessive thematisierten. Der Studentenprotest irrte auch deshalb ins Besinnungslose ab, weil in der Öffentlichkeit und von Staats wegen in den Schulen immer intensiver über den Mord an den Juden geredet und informiert wurde. Aly geht sogar so weit zu behaupten, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die akademische und politische Elite dazu geführt hat, dass die »neue Linke« diese deshalb nicht zur Kenntnis nehmen wollte.
Das Problembewusstsein für durchgreifende Reformen im Hochschulwesen sei durch die Achtundsechziger geschaffen worden? Seit der Grossen Koalition stieg die Studentenanzahl an – und auch die Arbeiterkinder konnten studieren. Sexuelle Befreiung der Frau? Aly entlarvt das Macho-Gehabe der männlichen, libidinös durchsetzten Protagonisten, die ihre Promiskuität als revolutionär ausgaben (Bumsphallera) und weist den wahren Ruhm dem Erfinder der Anti-Baby-Pille zu.
Furios seziert Aly den ethischen Rigorismus der Revolutionäre, die einseitige Fokussierung auf den Vietnamkrieg mit der Folge der Ausblendung so vieler anderer Stellvertreterkriege. Damit einher diagnostiziert er (das ist nicht unbedingt originell) einen virulenten Antiamerikanismus (letztlich gespeist aus unerwiderter Amerikaliebe), den er als gegenaufklärerischen Ersatzprotest begreift und der in der »Gleichung« »USA – SA – SS« eskaliert, und – später dann durch die Fokussierung auf die palästinensische Befreiungsorganisationen wie die PLO – auch noch einen linken Antisemitismus, den er (die DDR durchaus einbeziehend) als Form der Schuldübertragung auf die Opfer der deutschen Rassen- und Vernichtungspolitik interpretiert. Und das, obwohl er auch Zitate des SDS bringt, die zwischen antizionistischer und antijüdischer Haltung differenzieren wollen.
Dass die Protestler einerseits die USA als faschistischen und imperialistischen Staat bezeichneten, andererseits jedoch die amerikanische Kultur weiter »angesagt« blieb, ist keine besonders ingeniöse Feststellung. Und reichlich übertrieben scheint es, wenn er bei Antje Vollmer aufgrund einer Kritik an Marcel Reich-Ranicki Mitte der 90er Jahre die Residuen des Antisemitismus der Achtundsechziger nachweisen will (Vollmer mag er wirklich nicht, was dann ein wenig den Blick trübt).
Der schwere Stand der Widerständler
Als Kontrast werden etliche intellektuelle Widerständler gegen die Rigoristen angeführt: Neben den leidlich bekannten Persönlichkeiten wie Habermas, der früh von der Militanz abgestossen war, Horkheimer (der den Antiamerikanismus als »Pro-Totalitarismus« empfand) und Erwin K. Scheuch, der eine »böse historische Kontinuität der Vergewaltigung des Mitmenschen aus Gesinnung« beobachtete, zitiert Aly auch nicht so prominente Intellektuelle, wie (besonders ausführlich) Richard Löwenthal, der u. a. durch den teilweise latenten Antisemitismus schockiert war und aus seinen biografischen Erlebnissen heraus unangenehm berührt war, Ernst Fraenkel und den Philosophen Wilhelm Weischedel.
Eine angebliche »Errungenschaft« der Achtundsechziger nach der anderen wird entlarvt, relativiert und – meistens – als mythische Überhöhung präsentiert. Aly polemisiert und argumentiert gegen das Märchen der Aufklärungsrhetorik im Bezug auf die NS-Vergangenheit. Die sich so politisch gebenden Revolutionäre waren in Wirklichkeit blind nicht nur der Vergangenheit gegenüber, weil sie beispielsweise den Nationalsozialismus zum Faschismus verdünnten und die sozialrevolutionäre Dynamik des Nationalsozialismus nicht wahrnehmen wollten, sondern auch taub, was die Möglichkeiten und Chancen in der aktuellen Politik der sozial-liberalen Koalition betraf. Ihr Kampf spielte sich in den Puddingbergen des Schlaraffenlandes ab. Die Mehrheit war aus gut-bürgerlichem Elternhaus (wie seinerzeit durchgeführte Umfragen zeigen). Von den damals rund 280.000 Studenten waren in den besten Zeiten ca. 2.500 im SDS organisiert. Aus eigener Anschauung beschreibt Aly bereits 1969 die beginnende Institutionalisierung der »Revolution« und der Revoluzzer – entweder band man sich in bestehende Strukturen ein oder implementierte eine Hierarchie inklusive Bürokratie.
Der kalkuliert-provokante Vergleich
Und all diese Einwände, Zurechtrückungen und Klärungen sind ja erhellend, interessant und durchaus – im ein oder anderen Fall – decouvrierend. Und das Aly sich selber mit in die Irrtumszone begibt, mehrfach wir sagt, statt ein einfaches »die« ehrt ihn. Es ist auch nicht der Punkt, geirrt zu haben. Es ist die noch heute betriebene Verklärung des Irrtums, die Aly umtreibt. Gegen viele, auch einem breiten Publikum bekannte Persönlichkeiten (neben den bereits angesprochenen »Meinungsführern«), stichelt er. Etwa Fritz J. Raddatz (damals stellvertretender Leiter des Rowohlt-Verlages, der ausdrücklich »wichtigeres« zu übersetzen und zu verlegen hatte als Raul Hilbergs »Die Vernichtung der europäischen Juden«, welches heute als Standardwerk gilt) oder Sebastian Haffner, der einige revolutionäre Büchlein über Gebühr lobte. Und trotzdem hätte sein Buch nicht diese Wirkung gehabt, wenn nicht der Vergleich gekommen wäre. Ein Vergleich, der stillschweigende Vereinbarungen untergräbt und ad absurdum führt. Ein Vergleich, der ins Mark trifft und die Meinungsführer wie waidwunde Platzhirsche wild um sich schlagen lässt.
Im letzten Drittel, den Leser gut vorbereitend und entsprechend in Stimmung versetzt (auch mit einer Kapitelüberschrift wie Kraft durch Freude, Lust durch Aktion; den Buchtitel nicht zu vergessen!), holt Aly zur ultimativen Gegenüberstellung aus (und er scheut sich nicht, Hannah Arendts »Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft« als Kronzeugin anzurufen). Kurz gesagt: Die deutschen Achtundsechziger [knüpften] an den Aktionismus ihrer Dreiunddreissiger-Väter an. Die Dreiunddreissiger sind für Aly diejenigen, die im nationalsozialistischen Studentenbund ab Ende der 20er Jahre die NS-Ideologie eines Baldur von Schirach nicht nur mittrugen, sondern in das Land tragen sollten. Sie sind die Eltern der Achtundsechziger; es sind – so Aly – die zwischen 1910 und 1922 geborenen.
Zwar heisst es am Anfang, dass der Blick auf die Schnittmenge…nicht auf die Gleichsetzung von Rot und Braun [ziele] (die Kritiker Alys lassen diesen Einschub gerne weg), aber es geht ihm sehr wohl darum, die Ähnlichkeiten der Mobilisierungstechnik, des politischen Utopismus und des antibürgerlichen Impetus herauszuarbeiten. Seitenlang zitiert Aly zu diesem Zweck aus Schirachs Propaganda, um schon in der Sprache Verwandtschaften, ja Übereinstimmungen festzustellen. Hier wie dort sprach man von der »Bewegung«, hier wie dort ist die Feindfigur der Spiesser. Und auch wenn die »LTI«-Attitüde ein bisschen grosspurig daherkommt – die Parallelen sind natürlich sichtbar. Auch was die (gemeinsamen) Feindbilder angeht, z. B. die »Scheiss-Liberalen«. Auch die Achtundsechziger denunzierten die vorsichtigen, differenziert argumentierenden Pragmatiker als »zerstreute Kompromissmenschen«. Und sicherlich hat Aly recht, wenn er den Revolutionären eine Geschichtsvergessenheit oder, besser noch, Ignoranz unterstellt. Denn, so eine gelungene Sentenz, wo der Irrsinn regiert, sind Differenzierungen überflüssig. (Und so richtig hat sich das ja immer noch nicht geändert.)
Aber Aly schiesst in toto über das Ziel hinaus. Wenn er die Forderungen nach einer umfassenden Hochschulreform durch den nationalsozialistischen Studentenbund mit den Forderungen der Studentenrevoluzzer von Achtundsechzig gleichsetzt (wobei er die Differenzen sehr wohl erwähnt) oder die Parole »Einen Finger kann man brechen – fünf Finger sind eine Faust« analog zu Unsere Ehre heisst Treue setzt und somit den SS-Wahlspruch nur leicht paraphrasiert – in diesen Momenten ist Aly von seinen eigenen Thesen offensichtlich derart überwältigt, dass er in blosse Rabulistik abgleitet. Und wenn er gar konstatiert, dem nationalrevolutionären Schwung sei es, wie den Achtundsechzigern, darum gegangen, die »Erbärmlichkeit alter ergrauter, erfahrener Männer« zu überwinden und diese (nazistische) Formulierung im rustikalen »Trau keinem über dreissig« übernommen sieht, so irrt er eindeutig, denn dieser Spruch wird Jack Weinberg zugeschrieben, der ihn bereits Mitte der 60er Jahre in Berkeley/USA prägte (so Wolfgang Kraushaar »Achtundsechzig – Eine Bilanz«; Aly zitiert übrigens aus etlichen anderen Kraushaar-Büchern).
So stellt sich die Frage: Warum ausgerechnet dieser Vergleich? Warum nicht eine Konfrontation zu den kommunistischen Strassenkämpfern der Weimarer Republik oder – später – den Stalinisten und Maoisten dieser Welt? Warum diese dann doch fast billige, dem Autor nicht angemessene, Provokation? Dient sie letztlich nur, um in der Fülle der Epitaphe auf die Achtundsechziger Gehör zu finden?
Werden nicht längst Parallelen zwischen »rechten« und »linken« Extremisten in der Politikwissenschaft behandelt? »Vor der deutschen Zipfelmütze hat sich noch nie jemand gefürchtet, wohl aber vor dem Furor teutonicus, der deutschen Wildheit und Besessenheit, unserer Radikalität und Unfähigkeit zum Kompromiss« – so wird Wilhelm Hennis zitiert, der dies bereits 1968 feststellte. Rennt da jemand nicht offene Türen ein?
Oder sind Alys generationspsychologische Deutungen letztlich nur wieder Fortführungen dessen, was er selber geisselt? Diese fehlende menschliche Wärme, die er den Eltern der Achtundechziger attestiert – unter Berücksichtung der Tatsache, dass ihr Wertesystem nach 1945 zusammengebrochen war – ist nicht diese fehlende menschliche Wärme, die dann auf die Kinder übersprang auch heute federführend (im wörtlichen Sinne) bei dieser Abrechnung? War das der psychotherapeutische Ratschlag, den Aly angenommen hat, um seinen Selbsthass zu »überwinden« (auch das so eine Floskel aus der Zeit)?
Die Achtundsechziger waren keine homogene Gruppe
Am Ende weiss Aly: Die Achtundsechzigerrevolte nahm ihren heillosen – sic! – Verlauf, weil in der alten Bundesrepublik der ideelle Kern fehlte, den eine freie Gesellschaft braucht. Die kohäsiven Kräfte erwiesen sich als zu schwach, und die aufbegehrenden Neurerer wurden – vorübergehend – zum seitenverkehrten, totalitären Abklatsch des Alten. Die »Zwischengeneration«, die »Fünfundvierziger« (Hans-Ulrich Wehler), die Aly (auch das schon wieder eine kleine Provokation) die Generation Kohl nennt, diejenigen, die ihre Ausbildung und ihren beruflichen Aufstieg…unter extrem schwierigen Bedingungen im zerstörten, demoralisierten Deutschland begonnen hatten, waren letztlich diejenigen, die die Revolte der Achtundsechziger, der neuen Wohlstandskinder, von Natur aus mit grosser Skepsis betrachteten und 1968 zu den angehenden Leistungseliten gehörten. Ihr Weg war ein anderer – ein Weg, den ihnen dann später die Achtundsechziger im »Marsch durch die Institutionen« nachmachten.
Aly will aber zuviel. Indem er die »Bewegung« als deutsches Phänomen isoliert betrachtet und die simultanen Entwicklungen beispielsweise in Frankreich – und vor allem die Ursprünge in den USA – kleinredet oder gar verschweigt (in Frankreich flüchtete de Gaulle immerhin für einige Tage aus Paris ob der Unruhen), betreibt er noch einmal das Geschäft derer, die er so vehement angreift: Er postuliert eine Singularität, obwohl es eigentlich um eine internationale Szene handelte (freilich mit historisch bedingten unterschiedlichen Voraussetzungen). Aber auch die Franzosen rangen mit ihren Vätern; der Algerienkrieg war gerade zu Ende und die Kollaboration mit den Nationalsozialisten war noch weitgehend tabuisiert.
Die Achtundsechziger erscheinen bei Aly im Rückblick als fast homogene Einheit, was sie nie waren. Und auch die gesellschaftspsychologischen Deutungen sind manchmal arg holzschnittartig. Das liegt hauptsächlich daran, dass aufgrund der dann doch persönlichen Erinnerungen, die im Buch immer wieder einfliessen, ein halbwegs neutraler Blick nicht immer gewahrt bleibt. Seriöse Forschungen zeigen auf, dass es selbst in der Hochzeit der Achtundsechziger nur rund 10.000 »Aktivisten« gab. Da wird ein wenig nachlässig mit den unterschiedlichen Generationsbegriffen jongliert und Generationslagerung und Generationseinheit gelegentlich vermischt, zumal er den Generationenabstand mit zwölf Jahren reichlich kurz bemisst.
Die unterschätzte sozial-liberale Koalition und die verpassten Möglichkeiten
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit den politischen und gesellschaftspolitischen Bewertungen Alys kann man durchaus übereinstimmen. Vermutlich hat er sogar recht, Arno Widman zitierend, dass die Revoltierenden die Liberalisierung des Landes nicht beförderten, sondern verzögerten. Und wenn er am Schluss sagt, dass nicht die Studentenbewegung…die Wende zur – notwendigen! – Reformpolitik [einleitete], sondern die 1969 gebildete sozial-liberale Regierung Brandt/Scheel, so ist dies im Grossen und Ganzen zweifellos richtig (wobei zu betonen ist, dass Brandt/Scheel nicht wegen, sondern trotz der Achtundsechziger, die damals bis tief in das sozialdemokratische Milieu hinein verschreckten, reüssierten). Statt am gesellschaftlichen Aufbruch mindestens der Anfangsjahre der sozial-liberalen Koalition mitzuarbeiten, zersplitterten sich die Achtundsechziger ins wohlige Wohnzimmer oder drifteten in den blindwütigen Terrorismus ab. Mit einiger Verspätung kamen dann die Grünen ab Ende der 70er Jahre zum Vorschein – dieses Phänomen blendet Aly merkwürdigerweise aus.
Ob die Achtundsechziger die alte deutsche Angst vor den Unwägbarkeiten der Freiheit fortführten oder gar eine Flucht aus der komplexen Welt in Form eines Rückzugs in Landkommunen, Ordensburgen und verschworenen Guerillagruppen betrieben? Überhöht Aly da nicht in seiner Erregung die Achtundsechziger sozusagen durch die Hintertür? Schliesslich ist eine Dämonisierung ab einer gewissen Dimension auch Ausdruck einer Wertschätzung.
Alle kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Wenn dabei Begriffe oder Sätze in Anführungszeichen gesetzt sind, so sind dies selbst wieder Zitate von Götz Aly, die er wiedergibt.
Donnerwetter, was für eine furiose Rezension, Herr Keuschnig!
Ich sehe Sie hier ganz in Ihrem Element, sowohl, was den zeitlichen Kontext betrifft, als auch im Bezug auf jene Fragen, die heute als ‘Altlasten’ im Raum stehen.
Ich bin zu jung (endlich einmal!), um mich zu den Altachtundsechzigern zählen zu können, aber was mir bereits immer dunkel schwante, ist mir jetzt ganz deutlich geworden: Die ‘Bretter’, welche deren Protagonisten vor dem Kopf trugen, konnten erstaunlicherweise reibungslos als Karriererutschbahn dienen. Der lange Marsch durch die Instanzen – alles Theater! Aber immerhin spielt das Stück auf jenen Brettern, die – so sagt man doch – die Welt bedeuten...
Ich bin auch kein »Zeitgenosse«
der Achtundsechziger (war zu jung). Ich habe (damals unbewusst) die Folgen ein bisschen erleben dürfen – in Form von Referendarlehrern, die an die Schulen kamen. Die meisten waren – das konnte ich damals bereits feststellen – spiessiger als die »alten Herren«. Ihre neuen pädagogischen Konzepte machten abrupt vor der Notengebung halt. Da waren sie entgegen ihrer Ankündigungen sehr viel unnachgiebiger und argumentationsresistenter.
Was leider bei Aly fehlt (ich erwähnte das kurz), dass ist die Verknüpfung hin zu den Grünen. Das kommt beim Kraushaar deutlicher heraus (das folgt hier auch noch).
War Götz ALY ein –»68-er«?
mit einigen gesellschaftspolitischen Bewertungen Alys kann getrost auskommen,sind ja auch Allgemeingut....und das »68« spätestens 65 anfing ist vor auch allen »Durchblickern« klar,...es sei denn sie waren im RCDS...damit hat esich...Das Kind musste für die Nachgeborenen doch einen Namen haben: So entstand der Mythos von den »68-ern«. Festzustellen bleibt....das dieses Phänomen in erster Linie eine Kulturrevolution war. Der SDS und später die ganzen K‑Gruppen Spinner, viele traf man später ganz woanders wieder, sind garnicht repräsentativ für diese gesellschaftliche Strömung ! Man könnte genauso gut die Beatles, Elvis und die Rolling Stones plus A.KInsey/Masters und Oswald Kolle als die Drahtzieher der 68-er bezeichnen.ICh flog als Schulsprecher 68 in der 11.Klasse vom Gymnasium, u.a. weil ich es gewagt hatte, eine allererste DEmo gegen die Notstandsgesetzgebung zu organisiere. Welch ein Frevel damals!!!!Sein (ALYS) bashing dient sicher psychotherapeutischen Zwecken und natürlich dem marketing. Er hätte damals mehr fun haben soilen, statt dröge Flugblätter vor Fabriktoren zu verteilen.Diese knochentrocknen Genossen waren uns schon damals nicht geheuer.
a few comments on goetz aly’s take on the 68ters
Again I must write in English, the mother tongue is a weight that I am too fatigued right now to manage. Let me start this way: I am the translator of Michael Schneider’s Neurose und Klassenkampf which I published as senior editor at Continuum Books in 1974 under the title of Neurosis and Civilization: A Marxist/Freudian Synthetis [available for $ 1.86 at Amazon!] and which in fact is a compendium of the various Anliegen of the 68ters. And various they were indeed, half baked some, otherwise quite clear. I remember especially their liking for an African tribe that avoided the father/son oedipal conflicts by substituting the avunculate! The egalitarian impulse that manifested itself in a critique of Freud’s hierarchical arrangement of psychic functions. Overall: reichlich konfus. But what was to be expected after all from the descendent of that history who had not had the good fortune to have Juergen Habermas as their first teacher?
I also recall an evening dinner in New York, mentioning the book to Juergen Habermas, who dismissed it with a comment such as »na ja wenn Sie davon etwas halten...« So ungefaehr. Habermas of course was already successful and belonged to an older middle generation, perhaps to one that did not feel that uncomfortable under Adenauer aside being super super smart. But what stuck was his lack of sympathy, the dismissive tone. He was not going to be the mediator as he might have been for these confusions. He was not going go take the trouble to understand, Professor Habermas only talked to other professors – is one way of putting it. Subsequently I got to know the breadth of his work since I translated a volume of his essays, and Habermas can make the simplest matter super complicated.
I translated and published the Schneider because I thought I could not only inform myself about what was going on in the country I might still be part of had I not emigrated in 1950, nay tried to flee from as of 1947, but it was a useful text also for the US discussion for parallel Anliegen here in the U.S. Yet I also recall a vague discomfort at a certain inappropriateness of German student demonstrations against the entirely, nearly, US fought Vietnam imperialist successor war. How right the students, the 68ters were in that respect has perhaps only become clear now with the naked [i.e. ungetarnt by cold war ideology] oil imperialism in the Near East, the hundred upon hundreds of world wide bases, the expansion East, also in Europe; the involvement in Afghanistan being one of those wars that is one of the upshots of imperialist actions during the 70s. I myself really, my sympathies ran far more with the old Left of pre-WW I, Liebknecht, Thaelmann, Rosa Luxemburg, or with certain United Front ventures just prior to WW II, and so I realized quickly that the fervor that the students manifested might be justified in all its noisiness, but if they did not have the workers or the police or the army on their side – but against them as they did in this case in West Germany – they would die on the vine of their own righteousness. What seemed to be the case, too, was that they really had no father’s left to oppose; those were either dead or discredited by their involvement in Nazidom. Goetz Aly also seems to ignore the world wide phenomenon of the student revolt which occurred simultaneously everywhere, brutally suppressed in some places, such as Mexico, at many other it was “party time” indicating that the revolt or whatever you want to call it would not have been possible without the wealth of free time generated by the Wirtschaftswunder. [A parallel worldwide phenomenon was the resurgence of neo-liberalism in the 80s, which however succeeded, and required no street demonstrations].
In the U.S. the student revolt was quelled as soon as Richard Nixon abolished the draft, and I feel quite certain that you cannot make a revolution with the children of the middle class. Chavez and Evo in South America are genuinely products of the underclass, of the [once] oppressed. My own upbringing was much more aristocratic than middle class, but since I realized at a very early age that I had to get away from that class, yet of course couldn’t completely, too much had been internalized, I have always felt most comfortable, if I have felt comfortable at all, among the aristocracy of the American working class; and for a while I belonged to both the marble [mostly of Italian heritage] and the tile layers union [Polish] as an apprentice. One among many reason I like Handke’s UEBER DIE DOERFER so much. I have other sides which I find far less admirable.
The apparent fact that one generation reproduces itself in the next is not too surprising. But to call the commonality between the 60s students and German 20s and 30s Naszistic fascistic Revanchism to be fascist, as Aly does, would strike me as historically wrong and prematurely accusatory. The model seemed to be, and Enzensberger introduced it, was the Russian 19th century social revolutionaries: who, however, retrospectively, were a genuine avant garde, had their antennae well tuned. Here, the German 60s student’s turn to the “long march through the institutions” only manifested the regretful or not so realization, that the great majority of them would take their place within the Wirtschaftswunder society, as teachers, professors whatever. Not such a long march really.
German fascism as a popularly based Nazism had utopian qualities, it aggrandized itself by co-opting various ideas from various sources – the utopia being “to get well.” to repair. That after all is the chief motive of a particular form of Revanchism – on the face of it quite mad since the simplest of reflections leads to the conclusion, or ought to, that such Revanchism will only lead to more if not an endless of that kind.
Hitler, a product of a particularly extreme German family constellation, was one of the most traumatized of all: his extermination policy, his need to be in a constant state of war was/ is one of the most extreme example of the acting out of an unhealable trauma; once he found his voice, he had a huge appeal; but not ever more than to one third of the electorate. The problem was not one of inherent unsuitability of the Weimar democracy, but the fact that someone like that and that kind of criminal brutal party was allowed in the position to have a Reichstagsbrand and a Nacht der langen Messer. And that that that was possible points to a weakness among the German military elite of that time to compromise with someone like Hitler; of the Deutsche Justiz [similar to current US enabling laws under Busch]
German authoritarianism of course perpetuates/ ed itself within families first of all.
Goetz Aly makes out a good case that no end of Justizverfahren were being brought around the time of the all important Frankfurt Auschwitz trial, but I do not recall their being publicized. Of course that was the way to go: to take to task the Schreibtischtaeter of the bureaucracy who had managed to elude the Allies post WW II trials. In no end of instances the 68ters were fighting Gespinste in their own heads. Aly is also right I would say, up to a point, in emphasizing the parti pris quality of Kursbuch: it is/ was a characteristic of their editor in jefe, H.M.Enzenberger, and it was an attractive quality that made for fine arguments. Otherwise, you are in Sturm von Bordwehr’s world where all arguments cancel each other out.
In general, the German 68ter that I knew fall within what Mitscherlich describes so well in Die Vaterlose Gesellschaft. They lacked that Rueckhalt, those models, and some became ruecksichtlos. I myself wonder sometimes what I would have done during that period, I would have been a late 50s student, my orientation would have been literary, as it became here; what if I had run into the man who tortured my grandfather in Buchenwald or put my mother into a tiger cage in Gestapo prison: so whenever I returned I was well aware that Die Moerderer sind unter uns; and I went to occasional right wing meeting while doing work in Munich to check out who these people were. They at least showed their face.
As a child who attended first grade at a German village school in 1944
I only had a single encounter with an SS man type, a school teacher who slapped me because I had given the Hitler Gruss with the wrong hand; subsequently, he no longer hit, but remarked about my family’s living under US Army protection, I was an Ami whose mother dated an American. These types I find also in the US a country with all the structures for a populist and even religiously based know-nothing fascist movement very much in place, chauvinistic, you name it; a neutered parliament; an impotent two party system. Righteousness, idealism, the wish to heal and repair are not features indigenous either to German National Socialism or German idealism; what is fairly unique among the 68ters is how bourgeois based it was – not so the US anti-war movement once it got going; the Veterans against the war, nor some of the radicals whose parents had been Communists in the 30s and 40s; though again US labor lagged behind, was already drifting into what would later be called Reagan Democrats, for reasons of the self-interest of their achieved middle class status through their union acquired living standard, which bought them of.
Danke für den Kommentar.
Aly weist natürlich darauf hin, dass Habermas eine andere Generation war als die rebellierenden Studenten. Er glaubt nur zu erkennen, dass er nach anfänglichen Sympathien sehr schnell die autoritären Strukturen erkannt hat (wiedererkennt hat?) und sich dann von ihnen distanzierte. Ob dies berechnend geschah oder aufgrund von Überzeugungen oder aus einem gewissen Opportunismus, vermag ich nicht zu sagen.
Was Aly umtreibt ist meines Erachtens zweierlei: Erstens – und das spreche ich ja an: Die Verklärung dieser Zeit, die bis heute anhält. Und – hier eine Parallele, die ich vorsichtig anbringe, aber ich bringe sie an: Die Verdrängung dieser Irrtümer und Wirrungen, die in diese Verklärung einfliessen. Damit setze ich NICHT 68 und 33 gleich!
Zweitens – und das ist fast wichtiger: Die Blindheit der damaligen Protagonisten auf dem berühmten »linken Auge«. Natürlich konnte (und musste!) man gegen den Vietnamkrieg sein. Aber deswegen Pol Pot als »Befreier« sehen? War alles, was gegen die USA ist, automatisch »für uns«? Das entsprach exakt der Linie der US-Aussenpolitik dieser Zeit: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.
Ist dieser Furor ein Kollateralschaden revolutionärer Umtriebe? Und dann wären die Schäden ja gering ausgefallen, denn soviele sind nicht umgebracht worden wie bspw. in der Französischen Revolution. Schnell verpuffte der Furor – man schaute, dass man weiterkam. (Mehr in meiner Besprechung zum Buch von Wolfgang Kraushaar demnächst hier).
Ich glaube, dass Aly in zwei Sachen Recht hat: Die Achtundsechziger haben für Deutschland relativ wenig politisch erreicht – vielleicht ein bisschen Beschleuniger gespielt. Und zweitens haben sie nichts Wesentliches zur »Aufarbeitung« des Nationalsozialismus beigetragen, den sie auch noch – dümmlicherwise – als »Faschismus« bezeichneten (und sogar im Fahrkartenkontrolleur einen »Faschisten« ausmachten). Die Literatur, die Filme, die akribische Geschichtsschreibung wurde von anderen betrieben. Und das auch nachdem der »Marsch durch die Institutionen« am (vorläufigen) Ziel angekommen ist. Worauf sie sich jetzt – in der Regel – beschränken, ist eine wohlfeile Menschenrechts- und Demokratierhetorik (in letzterem den Neokonservativen der USA nicht unähnlich). (Mir gefällt Handkes Formulierung der »Menschenrechtshyänen«.)
Wo Aly irrt – und das haben Sie gezeigt: Er sieht nicht den globalen Kontext, in dem dies stattfand. Und auch sein unmittelbares Vergleichen von Texten ’68 und ’33 ist Unsinn. Schade, dass er glaubte, mit solcher überzogenen Polemik Argumente beisteuern zu können.
a few comments about your comments keushnigg [i think i will become filip kobal if that is allowed]
a few comments in this color and in italics on your comments lothar
Danke für den Kommentar.
1] Aly weist natürlich darauf hin, dass Habermas eine andere Generation war als die rebellierenden Studenten...[ ]
MY COMMENT.. all these professors, horkheimer most of all, become terrified wenn da leben in die bude kommt! die wollen ihre ruhe! braucht man auch! it’s an irreconcilabe conflict, the french intellectuals with their revolutionary tradition lived it out most vividly.
it was more of a cultural and a life style revolution that broke down, violated, a lot of boundaries: »why don’t you do it in the road« was a beatles signal of the oncoming reaction [based on the latent reaction formation in these psyches.] aly is quite right in pointing to the easy availability for birth control on massive basis! but that was brewing even prior to the introduction of the »anti-baby-pille« wie das so graesslich [aber genau] auf deutsch heisst; the equivocal relationship to pleasure that is fundamental to a protestant [including counter-reformational] culture... and which persists.
Was Aly umtreibt ist meines Erachtens zweierlei: Erstens – und das spreche ich ja an: Die Verklärung dieser Zeit, die bis heute anhält.
MY COMMENT:
in the u.s. of course this got all mixed up not only with the vietnam war but with the civil rights and free speech movement but the reactionary forces ultimately became dominant again, the reaction to free speech is called political correctness!
Und – hier eine Parallele, die ich vorsichtig anbringe, aber ich bringe sie an: Die Verdrängung dieser Irrtümer und Wirrungen, die in diese Verklärung einfliessen. Damit setze ich NICHT 68 und 33 gleich!
MY COMMENT:
no of course the genuinely revolutionary nationalist and socialist movements of the 20s can not be conflated with the utopian desires of the 60s. authoritarianism is not confined to germany, it is a characteristic of a patriarchal culture, which demands leaders, models…
just note how badly both johnson and nixon took real street opposition to their murderous foreign policy; but ultimately you get grandpa Reagan, the kindly murderer! the complete reactionary if you take a close look at his policies. but who needed to subvert congressionally enacted laws [iran-contra]. meanwhile, we have reached the world of »signing statements« where a president enacts his own reservations whenever he signs a law!!! bullies the entire world. i would say that authoritarianism more or less openly has come back to the fore or never disappeared ; nation states however breaking down somewhat in some respects due to trade and the dominane of u.s. or u.s. inspired popular culture.
Zweitens – und das ist fast wichtiger: Die Blindheit der damaligen Protagonisten auf dem berühmten »linken Auge«. Natürlich konnte (und musste!) man gegen den Vietnamkrieg sein. Aber deswegen Pol Pot als »Befreier« sehen? War alles, was gegen die USA ist, automatisch »für uns«? Das entsprach exakt der Linie der US-Aussenpolitik dieser Zeit: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.
MY COMMENT:
of course such simplemindedness can be hideous, i happened to be in INdia during the US bombing of Hanoi in 1973 [not on pilgrimage not a hippie, except that i am some kind of hippie all right.
a decisive moment after ww ii was when the u.s. failed to support the national liberation movements and allowed their linkage to soviet state capitalism, and instead became a successor, implemented its manifest destiny imperialist ambition, from this you get the neo-cons who sing “amerika ueber alles in der welt”.... that these newly liberated nations were usually just as authoritarian, and that authoritarianism and its structures also marked the liberation movements no matter to what degree thee were influenced by communist party structures... or mad and murderous... they had not been colonized long enough!!!
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Ich glaube, dass Aly in zwei Sachen Recht hat: Die Achtundsechziger haben für Deutschland relativ wenig politisch erreicht – vielleicht ein bisschen Beschleuniger gespielt. Und zweitens haben sie nichts Wesentliches zur »Aufarbeitung« des Nationalsozialismus beigetragen, den sie auch noch – dümmlicherwise – als »Faschismus« bezeichneten (und sogar im Fahrkartenkontrolleur einen »Faschisten« ausmachten).
MY COMMENT:
i can’t judge to what extent the 68ters influence exerted itself in the german 2 + 1 party system. the unions and the unternehmer verband were stronger i am sure! aufarbeiten of course requires thinking reading research, tough to do while you are out on the street!
Die Literatur, die Filme, die akribische Geschichtsschreibung wurde von anderen betrieben. Und das auch nachdem der »Marsch durch die Institutionen« am (vorläufigen) Ziel angekommen ist. Worauf sie sich jetzt – in der Regel – beschränken, ist eine wohlfeile Menschenrechts- und Demokratierhetorik (in letzterem den Neokonservativen der USA nicht unähnlich). (Mir gefällt Handkes Formulierung der »Menschenrechtshyänen«.)
MY COMMENT:
yes i much like handke’s formulation too. you get folks like susan sontag playing „endgame“ in sarajevo. dismissing the serbian victims of the balkan conflicts. some otherwise very intelligent and admirable persons became as one-eyed as handke has been accused of being.
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Wo Aly irrt – und das haben Sie gezeigt: Er sieht nicht den globalen Kontext, in dem dies stattfand. Und auch sein unmittelbares Vergleichen von Texten ’68 und ’33 ist Unsinn. Schade, dass er glaubte, mit solcher überzogenen Polemik Argumente beisteuern zu können.
MY COMMENT:
what is interesting is how these waves – 68 world wide student unrest; 80s neo liberal accumulist materialistic impulses – is it the world wide pop culture as it reaches and stands in a relationship – dialectical would not be the word but indicates the direction in which I am searching – to its consumers, a word I also don’t much like for those souls and sensibilities which are shaped b mass produced media, where one needs to be specific in seeing what the reciprocal relationship satisfies….
come up as though out of a world wide ocean, very generational and then determined by the poitical situation in each country.
68 was also the year of the repression of he Czech reformers; evidently there were powerful impulses in that direction in the soviet union and east germany…. it’s Chilean manifestation was crushed by the u.s. in the early 70s. one features that characterizes u.s. foreign policy since the early 50s is the overthrow of democratically elected governments that it does not like: Guatemala in 1953; Iran [Mossadegh] in 1954; and onward from there. letting the French waft in the wind in Dienbenphu after initially allowing them back into Vietnam [a u.s. ally during ww ii] so as to replace their influence [the Dulles policy]; Reagan’s support for Apartheid, of the counter-revolutionary Savimbi in Angola; the Congolese dictator, Tschombe?? who reigned with U.S. support. It is a hideous legacy that was sowed there. Entirely ideologically driven.
Waidwund
Am Freitag wurde im Büchermarkt des Deutschlandfunkes das Buch Rebellion und Wahn von Peter Schneider, in dem
der Autor an Hand seines damals geführten Tagebuches seine Haltung zu verstehen versucht, in einem Interview mit dem
Autor vorgestellt. In dem Interview bringt er die von Albrecht von Lucke beschriebene Zäsur in der Wahrnehmung der
68er nach dem Mauerfall ins Spiel. Die Umdeutung der Jahre des Umbruchs vom Ende (der Geschichte womöglich) wird
nach Schneider vehement von den damaligen Anti-68ern betrieben, die die damaligen Schmähungen bis heute nicht
verwunden haben und den Jahrestag zur Abrechnung im heimeligen Milieu der gewonnenen Ideologieschlacht nutzen.
Natürlich kommt Schneider auch auf Alys Buch zu sprechen, man merkt, dass er sich zurückhalten muss. Um sich selbst [Aly]
zu exkulpieren, haut er eine ganze Bewegung in den Klump. Schneider nennt es ein Bubenstück, dass
nichts zu tun hat mit der Arbeit eines Historikers, ein reines Pamphlet, ein denunziatorisches
Machwerk. Schneider verachte ihn [Aly] seit her, Aly denunziert, hat einen üblen Charakter.
Die Behauptung, dass sich die von Aly angesprochenen Protagonisten wie waidwunde Platzhirsche gebärden, ist perfide
Polemik. Wie man in den Wald ruft, so schallt es hinaus. Ist es nicht Aly, der in beiden Fällen auf der Welle des
Zeitgeistes schwimmt? Und dann kommt er natürlich mit einer neuen These. Die Erklärungen bringt (nachrationalisiert).
Eine neue These zum Jahrestag. Das ist lachhaft, ein billiger Versuch die Medienhype abzugrasen. Wie viel ehrlicher
ist da Schneiders Versuch sich mit seinen damaligen, da Tagebuch ungeschönten, Positionen auseinanderzusetzen.
Dazu die Behauptung, dass es nur ein nazistisches Restgift in der Mehrheitsgesellschaft gab, ist aberwitzig.
Nach nur ein paar Jahren der ungewollten Ruhe waren alle Vertreter der NS-Zeit wieder in Freiheit und begannen ihre Fäden
zu spinnen. In allen Organisationen des Staates tauchten die alten Köpfe oder deren Vertreter wieder auf. Bis heute. Man
machte sich lächerlich, wollte man heute die Positionen des SDS etc. rechtfertigen. Die gegenteilige Haltung ist aber
mindestens ebenso fragwürdig.
Schneider
rechne ich zu den Intellektuellen (wirklich? ja, doch), die auch immer wunderbar ihr Fähnchen im gerade wehenden Wind gehängt haben. Als es opportun war, waren sie 68er, als es opportun war, es nicht mehr zu sein, sind sie es nicht mehr.
Alys Buch ist natürlich auf einem Hype angesiedelt – keine Frage. Aber indem er auch und immer persönlich wird und seine damalige eigene Position befragt, ist es eben kein »Machwerk«, was man mit einem Federstrich abtun kann. Im Gegensatz zu vielen Alt-68ern steht Aly zu seiner »Waidwundheit« und geht mit ihr um.
Über den versteckten und/oder vorhandenen Nazismus der 60er Jahre kann man sicherlich viel schreiben. Fest steht, dass noch niemand der Aly-Kritiker Alys Thesen zur »Bewältigung« des Nazitums durch die 68er (welches er negiert) erschüttert hat. Da hilft auch kein noch so grosses Abwehren. Die Fakten stehen fest: Bereits Anfang der 60er Jahre begann die prozessuale Aufarbeitung – und zwar unabhängig von irgendwelchen SDS-Adepten.
Macht Fass auf wie Flasche leer
rechne ich zu den Intellektuellen (wirklich? ja, doch), die auch immer wunderbar ihr Fähnchen im gerade wehenden Wind gehängt haben. Als es opportun war, waren sie 68er, als es opportun war, es nicht mehr zu sein, sind sie es nicht mehr.
Nein, Schneider steht zu seiner Haltung. Er sagt ausdrücklich, dass es ein Fehler war sich mit dem Wahn der Anderen zu beschäftigen, ohne den eigenen zu erkennen. Das reicht, ohne larmoyant zu werden.
Alys Buch ist natürlich auf einem Hype angesiedelt – keine Frage. Aber indem er auch und immer persönlich wird und seine damalige eigene Position befragt, ist es eben kein »Machwerk«, was man mit einem Federstrich abtun kann. Im Gegensatz zu vielen Alt-68ern steht Aly zu seiner »Waidwundheit« und geht mit ihr um.
Das sehe ich eben nicht. Aly mach einfach ein neues, großes Fass auf. Schneider bezieht sich auf die vermeintliche Realität seines damaligen Ich, da sein Tagebuch ihm schonunglos seine Attitüden aufzeigt. Aly lenkt eher von sich ab, zeigt auf Andere.
... Da hilft auch kein noch so grosses Abwehren. Die Fakten stehen fest: Bereits Anfang der 60er Jahre begann die prozessuale Aufarbeitung – und zwar unabhängig von irgendwelchen SDS-Adepten.
Bedingt. Strukturell hatte sich Deutschland nach den Jahren der Schockstarre mindestens nationalkonservativ konsolidiert. Ein kurzer Blick auf die Nürnberger Prozesse bzgl. der Justiz und deren Auswirkungen bis Ende der 50er zeigen deutlich, dass es eben keine Fakten sind.